Finanzgericht München Beschluss, 14. Juli 2016 - 7 V 1641/16

bei uns veröffentlicht am14.07.2016

Gericht

Finanzgericht München

Gründe

Finanzgericht München

Az.: 7 V 1641/16

Beschluss

Stichwort: keine Verletzung des rechtlichen Gehörs im AdV-Verfahren durch Ablehnung als unzulässig wegen fehlender Zugangsvoraussetzungen sowie durch Ablehnung wegen fehlender Begründung

In der Streitsache

...

Antragstellerin

gegen

...

Antragsgegner

wegen Rüge i. S. Aussetzung der Vollziehung i. S. Haftungsbescheide gem. § 50 a EStG (7 V 51/16)

hat der 7. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht die Richterin am Finanzgericht und die Richterin am Finanzgericht ohne mündliche Verhandlung

am 14.07.2016

beschlossen:

Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 128 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung).

Gründe:

I.

Die Klägerin stellte mit Schriftsatz vom 6. Januar 2016 Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Haftungsbescheide und der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2015 (Az. 163/105/70161) wegen Steuerabzug nach § 50a Einkommensteuergesetz (EStG). Eine Begründung sollte in Kürze nachgereicht werden. Dieses Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 7 V 51/16 registriert. Gleichzeitig erhob sie gegen diese Bescheide auch Klage im Hauptsacheverfahren, die unter dem Aktenzeichen 7 K 50/16 registriert wurde. Auch hinsichtlich der Klage sollte eine Begründung in Kürze nachgereicht werden.

Die Antragstellerin wurde mit Schreiben des Gerichts vom 14. Januar 2016 aufgefordert, bis 29. Januar 2016 einen Zustellungsbevollmächtigten in der Bundesrepublik Deutschland zu bestellen, den Antrag zu begründen und mitzuteilen, ob eine der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt sind. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet. Im Hauptsacheverfahren (Az. 7 K 50/16) erhielt die Antragstellerin hierfür eine Frist bis 29. Februar 2016. Außerdem wurde ihr nach erfolglosem Fristablauf mit Anordnung vom 8. März 2016 im Hauptsacheverfahren eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 2. Mai 2016 zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gesetzt.

Mit Beschluss vom 29. April 2016 wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, da die Zugangsvoraussetzungen für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nicht vorliegen und der Antrag daher unzulässig ist. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass der Antrag auch unbegründet wäre, da er nicht begründet wurde.

Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2016 erhob die Antragstellerin unter Beifügung einer Begründung zum Aussetzungsverfahren Anhörungsrüge nach § 133a FGO und rügte, dass der Beschluss unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen sei. Es sei ihr aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen, innerhalb der vom Gericht mitgeteilten Frist eine Begründung abzugeben. Es sei auch keine Ausschlussfristen mitgeteilt worden, zur Begründung des Antrags bis 29. Januar 2016 sei sie lediglich gebeten worden. Nachdem sie keine Erinnerung zur Abgabe der Begründung erhalten habe und nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet habe, sei durch den Beschluss des rechtlichen Gehörs verwehrt worden. Ferner werde auf den Effektivitätsgrundsatz i. V. m. den EuGH-Entscheidungen Van Gend & Loos (C-26/62) und Costa/Enel (C-6/64) hingewiesen, da sich hierdurch erhebliche Einschränkungen im nationalen materiellen und formellen Recht ergäben und der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen zur Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts bisher nur beschränkt nachgekommen sei. In dem Antragsverfahren gehe es unter anderem um die Bereitschaft eines Staates, eine gleichmäßige und einkommensgerechte Besteuerung durchzuführen. Dazu gehöre auch, dass nicht vorsorglich Steuern im Übermaß erhoben würden.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

das Verfahren über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (7 V 51/16) unter Beachtung der nachgereichten Begründung fortzusetzen.

Im Einzelnen wird auf die Akten und Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Anhörungsrüge ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs wurde im ADV-Verfahren nicht verletzt.

1. Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde abgelehnt, weil die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO im Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorlagen und der Antrag daher unzulässig war. Es besteht keine richterliche Pflicht, auf Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens hinzuweisen. Dies stellt weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch der Prozessfürsorgepflicht des Gerichts dar (Herbert in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 76 Rz. 56 m. w. N.). Über den ADV-Antrag kann das Gericht auch dann entscheiden, wenn die Beteiligten nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 1 S. 2 FGO).

2. Der Hinweis, dass der Antrag auch unbegründet wäre, da er nicht begründet wurde, erfolgte nur ergänzend. Im Übrigen werden im ADV Verfahren keine Ausschlussfristen, wie sie im Hauptsacheverfahren zur Anwendung kommen, gesetzt. Denn das ADV-Verfahren ist ein Eilverfahren. Hinsichtlich seines Prozessstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie auf die präsenten Beweismitteln statt. Weitere Sachermittlungen führt das Gericht grundsätzlich nicht durch (vgl. Stapperfend in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 69 Rz. 196 f. M. w. N.). Es ist daher Sache des Antragstellers, den ADV Antrag möglichst bereits sofort, spätestens jedoch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist (in Deutschland ist es üblich, eine solche Aufforderung in der Höflichkeitsform „Sie werden gebeten" auszudrücken) zu begründen und, wenn dies nicht möglich ist, eine Fristverlängerungsantrag zu stellen. Bei Erlass des ADV-Beschlusses vom 29. April 2016 war die der Antragstellerin gesetzte Frist bereits seit drei Monaten abgelaufen, ohne dass ein Fristverlängerungsantrag gestellt wurde. Die am 2. Mai 2016 eingereichte Klagebegründung lag dem Gericht bei seiner Entscheidung noch nicht vor. Selbst wenn der Antrag daher zulässig gewesen wäre, wäre es daher keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn der Antrag wegen fehlender Begründung abgelehnt wird.

3. Zu Unrecht beruft sich die Antragstellerin auch auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts. Das Unionsrecht verlangt auf Grundlage der aus Art. 10 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften abgeleiteten Prinzipien der Effektivität und der Äquivalenz nur, dass die Mitgliedstaaten die verfahrensrechtlichen Fristen, die zur Durchsetzung des Unionsrechts einzuhalten sind, nicht ungünstiger ausgestalten als in den nur das innerstaatliche Recht betreffenden Verfahren. Weiter darf es nicht praktisch unmöglich sein, eine auf das Unionsrecht gestützte Rechtsposition geltend zu machen (vgl. Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BStBl II 2011, 151). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2014 X S 20/14, BFH/NV 2015, 508; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 133a Rz. 17). Nach Nr. 6400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes entstehen für das Verfahren über die Rüge nach § 133a FGO Gerichtskosten in Höhe von 60 €.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 3 Höhe der Kosten


(1) Die Gebühren richten sich nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Kosten werden nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 69


(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 90


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Ger

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 128


(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 133a


(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn 1. ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2. das Gericht den Anspruch dieses

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(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

Tenor

1. Die Haftungssummen werden unter Änderung der Haftungsbescheide vom 23. Januar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2015 auf 213.553,57 € (IV/2000), 260.832,59 € (2001), 6.700,77 € (2002), 10.227,37 € (2003), 46.434,42 € (2004) und 9.949,67 € (2005) herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 79% und der Beklagte zu 21% zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts mit Sitz in Salzburg. Sie ist eine Schwestergesellschaft der unter der gleichen Adresse ansässigen Z-GmbH. Die Z-GmbH betreibt eine Konzertdirektion, die seit Jahren Gastspielreisen ausländischer Künstler in den Bereichen Konzert, Oper und Operette, Theater, Ballett und dergleichen in Deutschland veranstaltet. Seit Herbst 2000 schaltet die Z-GmbH in ihre Rechtsbeziehungen zu den inländischen Veranstaltern eine GmbH (Y) mit Sitz in Berchtesgaden ein.

Sowohl die Y als auch die Z-GmbH wurden in der Folgezeit durch den Beklagten (das Finanzamt - FA -) für einen unterbliebenen Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) in der in den Streitjahren geltenden Fassung durch Haftungsbescheide nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG in Haftung genommen. Die Besteuerungsgrundlagen wurden hierbei anhand vorliegender Kontrollmitteilungen geschätzt. Im Rahmen eines beim Bundesfinanzhof (BFH) in dieser Sache anhängigen Beschwerdeverfahrens wegen eines vom Finanzgericht München abgelehnten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) reichte die Z-GmbH beim BFH mit Schriftsatz vom 6. August 2004 erstmals Unterlagen ein, aus denen sich ergab, dass sie Gastspiele von Künstlern, die außerhalb von EU-Mitgliedsstaaten ansässig sind, über die Klägerin (und somit nicht über sie) gebucht und an die Y weitervermittelt hatte. Nach dem BFH-Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04 (BFH/NV 2005, 1778) wurden für diese Gastspiele Zahlungen in Höhe von 3.235.800 DM im Zeitraum IV/2000 bis II/2001 geleistet. Außerdem machte die Z-GmbH im Beschwerdeverfahren beim BFH geltend, dass weitere Veranstaltungen ausländischer Künstler aus Nicht-EU-Staaten über die Klägerin gebucht worden seien, konnte dies aber nicht belegen.

In der Folge forderte das FA die Klägerin auf, Steueranmeldungen für die Abzugssteuer nach § 50a EStG ab 2000 bis einschließlich III/2005 einzureichen. Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam und auch weder Freistellungsbescheinigungen für die an die Künstler gezahlten Vergütungen noch Unterlagen über die den Gastspielreisen zugrundeliegenden Honorarvereinbarungen mit den Künstlern vorgelegt hatte, erließ das FA unter dem Datum vom 23. Januar 2006 sechs Haftungsbescheide (jeweils für ein Jahr) für die Jahre 2000 bis 2005 nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG. Hierbei legte das FA geschätzte Besteuerungsgrundlagen zugrunde. Die Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug ermittelte das FA, indem es Kontrollmitteilungen über die von der Y mit den inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen auswertete und die darin vereinbarten Vergütungen jeweils zur Hälfte der Klägerin und der Z-GmbH als an die ausländischen Künstler weitergeleitete Vergütungen zurechnete. Die Klägerin wurde für folgende Haftungsbeträge in Anspruch genommen:

IV/00: 256.979,39 € Einkommensteuer und 14.133,87 € Solidaritätszuschlag

I/01 – IV/01: 313.872,53 € Einkommensteuer und 17.262,99 € Solidaritätszuschlag

I/02 – IV/02: 8.063,40 € Einkommensteuer und 443,49 € Solidaritätszuschlag

I/03 – IV/03: 11.483,55 € Einkommensteuer und 631,60 € Solidaritätszuschlag

I/04 – IV/04: 52.137,71 € Einkommensteuer und 2.867,58 € Solidaritätszuschlag

I/05 – IV/05: 11.171,75 € Einkommensteuer und 614,44 € Solidaritätszuschlag

Bei der Ermittlung der Haftungssummen ging das FA davon aus, dass sich die Klägerin zur Übernahme der im Inland anfallenden Steuern verpflichtet habe, so dass es einen Steuersatz von 33,96% auf die Vergütungen bis 2002 und von 25,35% ab 2003 anwendete.

Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 6. November 2015).

Mit ihrer Klage trägt die Klägerin Folgendes vor:

Sie sei eine juristische Person nach österreichischem Recht und unterliege dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Das DBA lasse einen Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG nicht zu. Sie selbst habe keine Rechtsbeziehungen zu inländischen (deutschen) Veranstaltern unterhalten und demzufolge auch keine Einkünfte von einem deutschen Vertragspartner erhalten. Vielmehr sei sie mit der Organisation von Theateraufführungen betraut gewesen. Soweit von ihr im Einzelfall auch künstlerische Ensembles für Aufführungen in Deutschland verpflichtet worden seien, habe es sich regelmäßig um Ensembles von staatlichen, städtischen oder nicht auf Gewinn ausgerichteten Organisationen gehandelt. Das hessische Finanzgericht (Urteil vom 27.7.2010 4 K 982/09) habe festgestellt, dass in solchen Fällen die Einbehaltungs- und Abführungspflicht nach § 50a Abs. 4 EStG daran anknüpfe, dass der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger (Theaterensemble) der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte erziele. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung seien Zahlungen nicht der Einkünfteerzielung zuzuordnen, wenn die betreffenden Leistungen nicht von dem Streben nach Gewinn getragen seien. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Einkunftserzielungsabsicht trage das FA, da sich dieses auf das Vorhandensein steuerpflichtiger Einkünfte berufe. Sie legt Bestätigungen über die Subventionierung ausländischer Ensembles vor, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird.

Vergütungen an in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Künstlerensembles, z.B. an das …, unterlägen bereits vom Ansatz her keiner Steuerpflicht.

Aufgrund von Rechtsbeziehungen zu anderen österreichischen Unternehmen könne sie bereits dem Grunde nach keinem Steuerabzug in Deutschland unterliegen. Steuerpflichtig könne nur derjenige sein, der Vergütungen an einen aktiven Künstler für seine Tätigkeit in Deutschland bezahle. Aus diesem Grunde bestehe auch eine Steuerpflicht nach § 50a Abs. 4 EStG nur beim inländischen Vertragspartner. Dieser - und nicht sie als österreichisches Unternehmen - müsse gegenüber seinem Finanzamt steuerpflichtige Vergütungen i.S.d. § 50a Abs. 4 EStG anmelden und abführen.

Die Z-GmbH habe 1984 in einem Verständigungsverfahren klären lassen, dass in Deutschland kein Besteuerungsrecht der Einkünfte nach dem DBA bestehe. Sie verweist auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom …, die sie vorlegt. Nachdem Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung des DBA aufgetreten seien, sei am 13.9.2000 erneut ein Verständigungsverfahren eingeleitet worden. In diesem Verfahren sei nach Durchführung eines Konsultationsgesprächs erneut ein fehlendes Besteuerungsrecht Deutschlands festgestellt worden und die weitere Wirksamkeit der Verständigungsvereinbarung vom BMF Wien festgestellt worden. Sie legt hierzu ein Schreiben bzw. E-Mail des BMF Österreich vom 13. September 2000 und 20. Februar 2009 vor.

Darüber hinaus sei § 50a Abs. 4 EStG für den Zeitraum der Steuerbemessung mangels Möglichkeit einer Nettobesteuerung nicht gemeinschaftsrechtskonform. Sie verweist auf die Rechtsprechung des EuGHs (EuGH-Urteile vom 12.6.2003 – RS. C-234/01 – Gerritse, ECLI:EU:C:2003:340; IStR 2003, 458; vom 3.10.2006 – Rs. C-290/04 – Scorpio, ECLI:EU:C:2006:630; IStR 2006, 743; vom 15.2.2007 – Rs. C-345/04 – Centro Equestre da Leziria Grande, ECLI:EU:C:2007, 96; IStR 2007, 212), in der dieser die Rechtswidrigkeit einer Bruttobesteuerung festgestellt habe. Zwar habe der EuGH das Steuerabzugsverfahren für steuerpflichtige Einkünfte nach § 50a Abs. 4 EStG als legitim angesehen, allerdings mit dem Hinweis, dass es im Fall Scorpio (mit den Niederlanden) kein Amtshilfeabkommen und auch 1993 noch keine Gemeinschaftsrichtlinie gegeben habe. Zum Zeitpunkt, in dem im Streitfall der Steuerabzug vorgenommen worden sei, habe es sowohl eine EU-Richtlinie, wie auch - seit 1954 - ein Amtshilfeabkommen gegeben. Nach Art. 2 und dem Schlussprotokoll dieses Abkommens habe keine Besteuerung der Gesellschaft erfolgen dürfen.

Ferner seien Vergütungen für Theateraufführungen fallweise auch aufgrund des sog. Kultur-orchester-Erlasses nicht steuerpflichtig.

Die Y habe für bestimmte Vergütungen vorsorglich Steuerabzüge nach § 50a Abs. 4 EStG angemeldet. Unabhängig von der Frage der Steuerabzugsverpflichtung der Y sei jedenfalls sie, die Klägerin, ausschließlich verpflichtet, dem FA auf Anforderung die Vergütungen an die Ensembles resp. Künstler mitzuteilen, damit hier eine Steuerpflicht geprüft werden könne, da generell die Steueranmeldung durch den inländischen (nicht durch den ausländischen) Vergütungsschuldner zu erfolgen habe. Die Klägerin habe von dem FA keine Informationen erhalten, wie sich der eingeforderte Steuerabzug auf die einzelnen Projekte aufteile, so dass hier auch keine projektbezogene Stellungnahme möglich sei. Dem FA lägen zu den einzelnen Projekten ausführliche Informationen vor. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 50a Abs. 4 EStG unter Außerachtlassung der Unkosten sei vom Ansatz her unzulässig. Mit Wirkung des DBA Österreich ab 1.1.2003 trete auch die Freigrenze für Vergütungen an Künstler mit 250 € in Kraft. In Streitfall habe kein Künstler eine Vergütung erhalten, die den Freibetrag übersteige.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Haftungsbescheide und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 6.11.2015 aufzuheben, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen und verweist zu Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2018 wird Bezug genommen. Am 31.1.2018 ging bei Gericht per Telefax ein Schriftsatz des Geschäftsführers der Klägerin vom 30.1.2018 ein, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

II.

Die Klage ist insoweit begründet, wie die Haftungssumme einen Betrag von insgesamt 547.698,39 € übersteigt und im Übrigen unbegründet.

1. Nach § 50a Abs. 4 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung (jetzt § 50a Abs. 1 EStG) wird bei beschränkt Steuerpflichtigen die Einkommensteuer in bestimmten Fällen (hier nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG bei Einkünften aus der Ausübung oder Verwertung einer Tätigkeit als Künstler bzw. § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Einkünften, die durch künstlerische Darbietungen oder durch deren Verwertung im Inland erzielt werden, ein-schließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen im Wege des Steuerabzugs erhoben. In diesen Fällen muss der Schuldner der Vergütungen den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers vornehmen und die einbehaltene Steuer an das zuständige Finanzamt abführen (§ 50a Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG). Der Vergütungsschuldner haftet für die einzubehaltende und abzuführende Steuer (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG); soweit er seine Verpflichtungen nicht erfüllt, kann das Finanzamt die Steuer bei ihm durch Haftungsbescheid anfordern (§ 73g EStDV-Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).

2. Die Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Vergütungsschuldners nach § 50a Abs. 4 EStG knüpft daran an, dass der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte (§ 1 Abs. 4 EStG) erzielt. Sie setzt mithin voraus, dass die vom Vergütungsschuldner geleisteten Zahlungen aus der Sicht des Vergütungsgläubigers dem Einkünftekatalog des § 49 EStG unterfallen. Ist das nicht der Fall, so scheidet mangels einer abzuführenden Steuer eine Haftung des Vergütungsgläubigers nach § 50a Abs. 5 EStG i.V.m. § 73g EStDV aus.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Zahlungen nicht der Einkunftserzielung zuzuordnen, wenn sie im Zusammenhang mit Leistungen stehen, die sich als steuerlich unbeachtliche „Liebhaberei“ darstellen (BFH-Urteil vom 7. November 2001 I R 14/01, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 861). Eine solche liegt vor, wenn die betreffenden Leistungen nicht von dem Streben nach Gewinnerzielung getragen sind, sondern aus persönlichen Motiven erfolgen (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 10/97, BStBl II 1998, 663). Eine Zahlung, die auf einer solchen Leistung beruht, unterliegt deshalb bei dem Empfänger nicht der Einkommensteuer und löst für den Zahlenden keine Einbehaltungs- und Abführungspflicht i.S. des § 50a Abs. 4 EStG aus (BFH in BStBl II 2002, 861).

Eine Zuordnung der vorliegenden Einkünfte der Vergütungsgläubiger zu den einzelnen Ein-kunftsarten gemäß § 49 Abs. 1 EStG - in Betracht kommen hier Einkünfte aus Gewerbebe-trieb, die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne der Nummer 3 und 4 gehören, durch künstlerische Darbietungen oder durch deren Verwertung im Inland erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2d EStG) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) - erfolgt grundsätzlich unter Berücksichtigung der im In- und Ausland gegebenen Tatbestandsmerkmale. Ob eine bestimmte Leistung der steuerrechtlich relevanten Einkunftserzielung oder dem Bereich der Liebhaberei zuzuordnen ist, muss daher bei beschränkt Steuerpflichtigen nach denselben Kriterien beurteilt werden wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen (BFH in BStBl II 2002, 861). Bei der Frage nach der Gewinnerzielungsabsicht ist somit auf die zu beurteilende Tätigkeit der Zahlungsempfänger in ihrer Gesamtheit abzustellen.

Es kann ausgeschlossen werden, dass die von der Klägerin engagierten ausländischen Künstlerensembles unabhängig von der Frage nach ihrer Rechtsform ihre Tätigkeit im Inland nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt haben. Gegen eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht spricht insbesondere, dass es sich um professionelle Theater- und Musikgruppen gehandelt hat, die europaweite Tourneen durchführen. Anhaltspunkte, dass diese die betreffenden Leistungen nicht aus Gründen des Strebens nach Gewinn erbracht haben, sondern aus persönlichen Motiven, fehlen (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 10/97, BStBl II 1998, 663). Die Inanspruchnahme von staatlichen Subventionen oder Fördermitteln in ihrem Heimatland, wie von der Klägerin durch Vorlage von Bescheinigungen einiger Künstlerensembles geltend gemacht, spricht nicht gegen die Gewinnerzielungsabsicht der Ensembles (BFH-Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778). Ausweislich der in den Akten vorhandenen Gastspielprogramme und Kontrollmitteilungen werden vor allem populäre Opern, Operetten, Musicals und Balletts gespielt, größtenteils von Bühnen, die für konventionelle und werktreue Inszenierungen bekannt sind (vgl. …), ein möglichst breites Publikum ansprechen und damit einen größtmöglichen kommerziellen Erfolg versprechen. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass unter diesen Voraussetzungen nicht das Streben nach Gewinn, sondern ausschließlich hehre künstlerische Ziele der Zweck der Aufführung ist. Auch soweit in der als Anlage 6 zur Klagebegründung vorgelegten Erklärung …, mitgeteilt wird, dass das Ballett eine Haushaltsinstitution der Selbstverwaltung ist, die von der Stadt … unterhalten wird und nach dem Non-Profit-Prinzip arbeitet und wirtschaftet, spricht dies nicht gegen die fehlende Gewinnerzielungsabsicht. Die Arbeit nach dem „Non-Profit-System“ schließt eine Gewinnerzielungsabsicht nicht generell aus, was u.a. auch dadurch belegt wird, dass auch nach deutschem Recht gemeinnützige Körperschaften sich z.B. im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs mit Gewinnerzielungsabsicht betätigen können (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Auflage, 7.33; FG München, Urteil vom 19. Juli 2010 7 K 472/08, EFG 2010, 1921). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles. In dem von der Klägerin angeführten nicht veröffentlichten Urteil des Finanzgerichts Hessen vom 27. Juli 2010 4 K 982/09, bei dem Vergütungsgläubiger offensichtlich ein US-amerikanisches Musikensemble war, welches nach amerikanischen Recht als Non-Profit-Organisation eingestuft war, fehlten dem Gericht konkrete Anhaltspunkte, die eine Gewinnerzielungsabsicht hätten belegen könnten. Dieser Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Streitfall nicht vergleichbar, da nach Auffassung des Senats ausreichend Anhaltspunkte für eine Gewinnerzielungsabsicht der Vergütungsschuldner gegeben sind, so dass sich für den Senat insoweit keine Zweifel ergeben.

3. Soweit sich die Klägerin auf den BMF-Erlass vom 20.07.1993 VV DEU BMF 1983-07-20 IV B 4-S. 2303-34/83, BStBl I 1983, 382 (Kulturvereinigungserlass), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 30.05.1995 VV DEU BMF 1995-05-30 IV B 4-S. 2303-63/95, BStBl I 1995, 336 beruft, wonach ausländische Kulturvereinigungen, soweit eine Freistellung im Inland nicht schon nach den Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erfolgen hat, von der inländischen Einkommensteuer nach § 50 Abs. 7 EStG freizustellen sind, wenn ihr Auftritt im Inland wesentlich aus inländischen oder ausländischen öffentlichen Mitteln gefördert wird, so ist ihr entgegenzuhalten, dass dieser eine Abstandnahme vom Steuerabzug nur zulässt, wenn eine entsprechende Bescheinigung vom Bundesamt für Finanzen ausgestellt und dem zum Steuerabzug Verpflichteten vorgelegt wird. Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, durfte die Klägerin den Steuerabzug nicht unterlassen. Gleiches gilt, soweit sich ein entsprechender Freistellungsanspruch aus einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ergibt.

4. Das FA hat die Klägerin zu Recht durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen, da ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie in den Streitjahren Zahlungen an ausländische Künstler, die bei diesen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2d EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Deutschland steuerpflichtig sind, geleistet hat. Zwar trägt die Klägerin vor, in erster Linie mit der Organisation von Musik- und Theateraufführungen künstlerischer Ensembles, die von ihrer Schwestergesellschaft, der Z-GmbH engagiert worden sind, betraut gewesen zu sein. Sie räumt aber ein, im Einzelfall auch selbst künstlerische Ensembles für Aufführungen in Deutschland verpflichtet zu haben. Damit hat sie selbst mit den ausländischen Künstlern Verträge abgeschlossen und war diesen gegenüber Vergütungsschuldnerin, so dass sie den Tatbestand des § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG verwirklicht hat. Auch hat die – mit der Klägerin beteiligungsidentische und durch dieselben Personen vertretene – Z-GmbH dem BFH im Beschwerdeverfahren I B 108/04 mitgeteilt, dass ein Teil der in Deutschland aufgeführten Gastspiele „über die unter der gleichen Adresse wie die Antragstellerin ansässige Schwestergesellschaft S. GmbH gebucht wurden“. Die im Zeitraum Oktober 2000 bis April 2001 über die Klägerin gebuchten Künstler wurden vom FA gemäß den beim BFH im Verfahren I B 108/04 eingereichten Unterlagen im Einzelnen nach Datum, Name des Ensembles, Zahl der Auftritte und Vergütungshöhe bezeichnet. In welchem Umfang ab Mai 2001 Gastspielensembles über die Klägerin gebucht worden sind, konnte das FA nicht feststellen, da die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Steueranmeldungen nicht nachgekommen ist. Da das FA auch auf andere Weise die Höhe der dem Steuerabzug unterliegenden Vergütungen nicht feststellen konnte, durfte es die dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG unterliegenden Vergütungen schätzen (§ 162 Abs. 1 Abgabenordnung - AO -). Nach Auffassung des Senats ist die vom FA angewandte Schätzungsmethode zur Ermittlung der Zahlungen an ausländische Künstler (50% der aus Kontrollmitteilungen über die von der Y mit inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen – die anderen 50% hat es der Z-GmbH zugerechnet) nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat weder gegenüber dem FA, noch im gerichtlichen Verfahren Angaben zur Höhe der Zahlungen gemacht, wozu sie aber auf Grund ihrer Beweisnähe verpflichtet gewesen wäre. Sie ist ihrer Anmeldepflicht nicht nachgekommen und hat keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich die Zahlungen an ausländische Künstler der Höhe nach abschließend feststellen lassen. Da die Tatsachen und Beweismittel aus dem Wissens- oder Tätigkeitsbereich der Klägerin stammen und sie außerdem bei Auslandssachverhalten gemäß § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft, führt dies nach § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO und in rechtsanaloger Anwendung von § 444 Zivilprozessordnung (ZPO) zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes (Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 70 ff.). Bei der Schätzung der Höhe der an ausländische Vergütungsgläubiger geleisteten Zahlungen hat sich das FA an die in den Kontrollmitteilungen über die von der Y mit inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen ausgewiesenen Zahlen orientiert. Vergütungen an in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Künstlerensembles wie das … hat das FA nicht einbezogen. Die Annahme, dass davon 50% auf Gastspielensembles entfallen, die über die Klägerin gebucht worden sind, hält der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte für vertretbar. Diese Schätzung ist schlüssig, ihre Ergebnisse wirtschaftlich vernünftig und möglich (vgl. Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 162 Rz. 20 und 22). Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass das FA die geschätzten Vergütungen im Grundsatz in der Höhe ermittelt hat, wie gemäß dem vorliegenden Kontrollmaterial seitens der inländischen Veranstalter Zahlungen an die Y für die betreffenden Veranstaltungen erfolgt sind, obwohl die Klägerin nach ihren Angaben geringere Zahlungen an die Künstler geleistet hat. Die Klägerin hat keine verwertbaren Unterlagen über die Gastspiele eingereicht. Insbesondere hat sie das FA über ihre Vertragsbeziehungen zu den ausländischen Künstlern vollständig im Unklaren gelassen und keinen einzigen Künstlervertrag offengelegt. Da sie ihrer Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht zur Ermittlung der einzubehaltenden Abzugssteuer nicht nachgekommen ist, war es weder möglich, die Vollständigkeit der erfassten Veranstaltungen zu überprüfen noch zu ermitteln, welche zusätzlichen Kosten die Klägerin den Künstlern, z.B. als Reise- und Übernachtungskosten, ersetzt hat, obwohl auch die zusätzlich zur künstlerischen Gage bezahlten Beträge (Nebenleistungen) der Abzugssteuer unterliegen (BFH-Urteil vom 16. Mai 2001 I R 64/99, BStBl II 2003, 641). Die Klägerin hat durch ihr schwerwiegendes pflichtwidriges Verhalten Anlass zu der Schätzung gegeben und muss es daher hinnehmen, dass ein gröberes Schätzungsverfahren zur Anwendung kommt und die Schätzung dabei auch zu ihrem Nachteil ausfallen kann (BFH-Beschluss vom 7. April 2009 XI B 115/08, BFH/NV 2009, 1085).

5. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Anwendung der Milderungsregelung in § 50a Abs. 4 Satz 5 EStG, bei dem es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um einen Freibetrag von 250 € je Künstler und Darbietung handelt, sondern um einen gestaffelten Steuersatz, der den besonderen Risiken einer Überbesteuerung durch zu hohe Quellensteuersätze Rechnung trägt (Strunk in: Korn, Einkommensteuergesetz, 1. Aufl. 2000, 105. Lieferung, § 50a, Rz. 46). Eine Aufteilung der Vergütung nach der Anzahl der die Darbietung umfassenden Personen ist nur vorzunehmen, wenn Gläubiger der Vergütung mehrere Personen sind. Im Streitfall hat die Klägerin die Verträge mit den Vergütungsgläubigern zwar nicht vorgelegt, jedoch ist es aufgrund der vorliegenden Informationen und Unterlagen offensichtlich, dass keine Verträge mit den Ensemblemitgliedern, sondern mit der jeweiligen Körperschaft, bei welcher die Künstler engagiert waren, abgeschlossen wurden, denn wie die Klägerin selbst vorträgt, waren Vergütungsschuldner überwiegend kommunale und staatliche Ensembles. Eine Aufteilung auf die beteiligten Personen ist in diesem Fall nicht vorzunehmen, da der Steuerabzug für die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte einer juristischen Person vorzunehmen ist (BMF-Erlass vom 01.08.2002 - VV DEU BMF 2002-08-01 IV A 5-S. 2411-33/02, BStBl I 2002, 709). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ausländische Vergütungsgläubiger in Einzelfällen in der Rechtsform einer Personengesellschaft organisiert waren; dies würde aber an dem Ergebnis nichts ändern, da in diesem Fall eine Aufteilung der Gesamtvergütung nach Köpfen nur vorzunehmen wäre, soweit an der Personengesellschaft ausschließlich die auftretenden Personen beteiligt sind (BMF vom 25.11.2010, IV C 3-S 2303/09/10002, FMNR5df000010, BStBl I 2010, 1350). Dies kann im Streitfall nach den gesamten Umständen ausgeschlossen werden.

6. Die Klägerin war als Vergütungsschuldner im Sinne von § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG verpflich-tet, den Steuerabzug für Rechnung der Künstler vorzunehmen und die einbehaltene Steuer an das FA abzuführen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG). Da sie diese Verpflichtung nicht erfüllt hat und deshalb für die einzubehaltende und abzuführende Steuer haftet (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG), war das FA berechtigt, die Steuer bei ihr durch Haftungsbescheid anzufordern (§ 73 EStDV). Dem Gesetz lässt sich keine Einschränkung dergestalt entnehmen, dass - wie die Klägerin meint - nur Vergütungsschuldner, die im Inland über eine Betriebsstätte oder eine vergleichbare Einrichtung verfügen, zum Steuerabzug verpflichtet sind. Nach der Rechtsprechung des BFH ist vielmehr ausreichend, dass Entgelte an Künstler oder für die Verwertung künstlerischer Darbietungen im Inland entrichtet werden, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt steuerpflichtig sind. Das Anbieten oder Verwerten künstlerischer Veranstaltungen im Inland rechtfertigt die Verpflichtung zum Steuerabzug für Rechnung der Künstler auch für Vergütungsschuldner, die über keine Betriebsstätte oder vergleichbare Einrichtung im Inland verfügen. Die an eine Betätigung im Inland anknüpfende beschränkte Steuerpflicht des Vergütungsgläubigers stellt nach der Rechtsprechung des BFH den für die Verpflichtung zum Steuerabzug erforderlichen Inlandsbezug her (BFH-Urteil vom 22. August 2007 I R 46/02, BStBl II 2008, 190 m.w.N.; Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Auflage 2017, § 50a EStG Rdnr. 33; Loschfelder in Schmidt, EStG, 36. Auflage 2017, § 50a EStG Rdnr. 9; a.A. Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 282. Lieferung 10.2017, § 50a EStG m.w.N.).

7. Ob einzelne DBA das Besteuerungsrecht für die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte der ausländischen Künstler dem ausländischen Wohnsitzstaat zuweisen, hat ebenso wenig Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG) wie die in den jeweiligen DBA verankerten Diskriminierungsverbote (BFH-Urteil vom 21. Mai 1997 I R 79/96, BStBl II 1998, 113; Kube in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50a, A 50). Die Schwierigkeiten des Fiskus bei der Durchsetzung von Steuerforderungen gegenüber ausländischen Künstlern für deren inländische Auftritte rechtfertigen den Steuerabzug (BFH-Urteil vom 22. August 2007 I R 46/02, BStBl II 2008, 190). Denn gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ungeachtet des Abkommens anzuwenden. Von der Steueranmeldung, dem Steuereinbehalt und der Steuerabführung hätte die Klägerin nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG nur dann absehen dürfen, wenn sie die Steuerfreistellung ihrer Einkünfte im Abzugsverfahren durch eine Bescheinigung des damaligen Bundesamtes für Finanzen nachgewiesen hätte. Dies ist jedoch – zwischen den Beteiligten unstreitig – nicht geschehen.

Unerheblich für die innerstaatliche Haftung der Klägerin für die nicht abgeführte Abzugs-steuer auf von ihr gegenüber den ausländischen Künstlern geschuldeten Vergütungen ist eine mögliche Freistellung der von ihr selbst im Inland erzielten Einkünfte aus der Durchführung der im Inland ausgeübten künstlerischen Darbietungen nach dem DBA Österreich (BFH, Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778). Das DBA Österreich spielt für die Abzugssteuer, die die Klägerin für Rechnung der ausländischen Künstler abzuführen hat und für die sie nicht Steuerschuldnerin, sondern lediglich Haftungsschuldnerin ist, keine Rolle, denn § 50a EStG und das DBA haben insoweit unterschiedliche Regelungsgegenstände. Während das DBA Besteuerungsrechte zuordnet, betrifft § 50a EStG allein die Vornahme des Steuerabzugs bei bestimmten beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigern. Daher kommt es nicht zu einer Überlagerung der Regelungen des § 50a EStG durch DBA-Recht (Kube in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50a, A 49; ähnlich Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 282. Lieferung 10.2017, § 4 EStG Rdnr. 10). Auch das Verständigungsverfahren nach Art. 21 DBA Österreich, auf das sich die Klägerin beruft, hat mit der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin nichts zu tun, sondern betrifft ihre eigenen gewerblichen Einkünfte, die sie in der Bundesrepublik Deutschland erzielt.

8. Der Senat teilt auch die Bedenken der Klägerin gegen die Gemeinschaftsrechtskonformität des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 EStG nicht.

Der Bereich der direkten Steuern fällt zwar nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft; die Mitgliedstaaten müssen die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (EuGH-Urteil vom 14.02.1995 C-279/93 – Schumacker, Entscheidungen des EuGH -EuGHEI 1995, 225). Insofern ist die europäische Dienstleistungsfreiheit zu beachten. Nach Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (-AEUV-) sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der Art. 56 ff. AEUV verboten. Gemäß Art. 57 AEUV sind Dienstleistungen im Sinne der Verträge Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Nach der Rechtsprechung des EuGHs verlangt die Dienstleistungsfreiheit die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (EuGH-Urteil vom 26.02.1991 C-180/89 – Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709 m. w. N.). Dabei verleiht die Dienstleistungsfreiheit nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch dem Empfänger dieser Dienstleistungen Rechte (EuGH-Urteil vom 26.10.1999, C-294/97 – Eurowings Luftverkehr, Slg. 1999, I-7447 m. w. N.).

Mit Urteil vom 03.10.2006 (Rs. C-290/04 – Scorpio, a. a. O.) hat der EuGH entschieden, dass die Art. 56 und 57 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt. Zwar können solche Rechtsvorschriften Dienstleistungsempfänger davon abhalten, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen, und somit eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Sie sind jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Effizienz der Beitreibung der Einkommensteuer zu gewährleisten. Das Steuerabzugsverfahren stellt, zumindest wenn es keine Gemeinschaftsrichtlinie oder andere Regelung über die gegenseitige Amtshilfe zur Beitreibung steuerlicher Forderungen gibt, ein verhältnismäßiges Mittel zur Beitreibung steuerlicher Forderungen des Besteuerungsstaats dar. Diese Rechtsprechung hat der EuGH in seinem Urteil vom 18.10.2012 (Rs. C-498/10 – X, IStR 2013, 26 Tz. 47) nun auch für die Zeit der Geltung der EG-Beitreibungsrichtlinie 2001/44/EG ab dem 01.07.2002 bestätigt. Soweit eine nationale Regelung durch die Verpflichtung zum Einbehalt einer Quellensteuer wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs bewirkt, kann diese Beschränkung – auch in Anbetracht der Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung im Bereich der Beitreibung der Steuern – durch die Notwendigkeit, eine effiziente Erhebung der Steuer zu gewährleisten, gerechtfertigt sein (Tz. 53 des Urteils). Der Auffassung hat sich der BFH im Hinblick auf bestehende bilaterale Vereinbarungen über Amts- und Vollstreckungshilfe angeschlossen: Die möglichen grenzüberschreitenden Amtshilfe- oder Vollstreckungsersuchen können die Nachteile, die der Finanzverwaltung aus ihrer fehlenden Ermittlungsmöglichkeit im EU-Ausland erwachsen, nicht ausgleichen (BFH-Urteil vom 05.05.2010 I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814). Durch diese neue Rechtsentwicklung ist auch das von der EU-Kommission am 26.3.2007 gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV (Az. 1999/4852) überholt (vgl. Gosch in: Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 2017, § 50a EStG Rdnr. 2).

Darüber hinaus hat der EuGH jedoch entschieden, dass nationale Rechtsvorschriften die Dienstleistungsfreiheit verletzen, wenn der Dienstleistungsempfänger, der Schuldner der an einen gebietsfremden Dienstleister zu zahlenden Vergütung ist, im Steuerabzugsverfahren die Betriebsausgaben, die der Dienstleister ihm mitgeteilt hat und die im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Tätigkeit im Mitgliedsstaat der Leistungserbringung stehen, nicht steuermindernd geltend machen kann, während bei einem gebietsansässigen Dienstleister nur die Nettoeinkünfte der Steuer unterliegen. Das gilt jedoch nicht für nur mittelbar mit jener Tätigkeit zusammenhängende Betriebsausgaben; diese sind gegebenenfalls in einem anschließenden Erstattungsverfahren zu berücksichtigen (Urteile vom 03.10.2006, Rs. C-290/04 – Scorpio, a. a. O., und vom 15.02.2007, Rs. C-345/04 – Centro Equestre da Leziria Grande, Slg. 2007, I-1425, BFH/NV 2007, Beilage 3, 277).

Nach Maßgabe dieser – aufgrund des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht verbindlichen – Auslegung von Art. 56 und 57 AEUV durch den EuGH sind § 50a Abs. 4 Sätze 2 und 4 EStG, gemäß denen der Steuerabzug 25% bzw. 20% der Einnahmen ohne Abzug von Betriebsausgaben beträgt, in gemeinschaftsrechtskonformer Weise auszulegen: Dem Vergütungsschuldner mitgeteilte Aufwandspositionen sind prinzipiell bereits bei Vornahme des Steuerabzugs zu berücksichtigen. Ansonsten bleibt es für den Vergütungsgläubiger bei dem Erfordernis, ein Freistellungs- oder Erstattungsverfahren einzuleiten und innerhalb dieses Verfahrens seine beschränkte Steuerpflicht zu klären. Ein Grund dafür, das Abzugsverfahren wegen dessen vorbehaltloser tatbestandlicher Orientierung an der geleisteten Bruttovergütung gänzlich unangewendet zu belassen, besteht nicht. Es genügt, die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen in normerhaltender Weise zu reduzieren, die Norm aber als solche weiter anzuwenden. Eine weitergehende Rechtswirkung kommt dem prinzipiellen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht nicht zu (BFH-Urteil vom 10.01.2007 I R 87/03, BStBl II 2008, 22; BFH-Beschluss vom 07.11.2007 I R 19/04, BStBl II 2008, 228, BFHE 219, 300; Gosch, DStR- 2007, 1553, 1554 ff.; bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 09.02.2010 2 BvR 1178/07, BFH/NV 2010, 1069).

Nach diesen Grundsätzen können im vorliegenden Verfahren – soweit es sich um Vergütun-gen an Künstler handelt, auf die die Rechtsvorschriften der Europäischen Union Anwendung finden (vgl. § 50a Abs. 3 Satz 2 EStG n.F.) – keine Betriebsausgaben der Vergütungsgläubi-ger berücksichtigt werden, denn bis zur Abgabe der Steueranmeldung und Abführung der Steuer hatte die Klägerin keine ihr mitgeteilten Betriebsausgaben der Vergütungsgläubiger geltend gemacht. Der Steuerabzug von den geleisteten Vergütungen ohne Abzug von Betriebsausgaben ist deshalb nicht zu beanstanden.

9. Das FA ist in den Haftungsbescheiden davon ausgegangen, dass sich die Klägerin zur Übernahme der im Inland anfallenden Steuern verpflichtet habe, hat also eine Nettolohnvereinbarung unterstellt, sodass es einen Steuersatz von 33,96% auf die Vergütungen bis 2002 und von 25,35% ab 2003 anwendete. Das ist jedoch unzutreffend. Zwar hat die Klägerin die Verträge zwischen ihr und den Vergütungsgläubigern nicht vorgelegt. Es kann jedoch nicht unterstellt werden, dass sich darin Regelungen über die Übernahme der im Inland anfallenden Ertragsteuern befinden. Demzufolge haben die Vergütungsgläubiger Anspruch auf die vereinbarte Vergütung und haben als Steuerschuldner die darauf anfallenden Steuern selbst zu zahlen. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die Vertragspartner sich darauf geeinigt hätten, dass die Vergütungsgläubiger Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung zuzüglich der von ihnen zu zahlenden Steuern haben, dass also die Klägerin als Vergütungsschuldnerin die vereinbarte Vergütung als Nettovergütung an die Vergütungsgläubiger auszahlt und zudem die daraus geschuldeten Steuern übernimmt. Eine solche Vereinbarung kann jedoch nicht bereits dann unterstellt werden, wenn sich später herausstellt, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorgenommen hat und deshalb als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (gl.A. FG-Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. April 2012 12 V 12204/11, EFG 2012, 1352; Gosch in Kirchhof, EStG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 50a Rn. 28; Grützner, IStR 2003, 346, 347; a.A. Holthaus, IStR 2002, 664). Erforderlich ist vielmehr eine entsprechende Einigung der Vertragsparteien darüber, dass die Nettovergütungen ausgezahlt werden sollen und der Vergütungsschuldner zusätzlich die anfallenden Steuern zu entrichten hat. In offensichtlicher Ermangelung einer solchen vertraglichen Regelung zwischen der Antragstellerin und den Vergütungsgläubigern ist nicht von einer Nettovereinbarung auszugehen.

Allerdings ist in die der Abzugssteuern nach § 50a Abs. 4 EStG unterliegenden Vergütungen die Umsatzsteuer einzubeziehen, die Teil des vom Vergütungsschuldner geschuldeten Entgelts ist, unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Vergütungsgläubiger gezahlt hat oder ob auf Grund der sog. Nullregelung nach § 52 Abs. 2 UStDV a.F. von der Entrichtung der Umsatzsteuer und seiner Geltendmachung als Vorsteuer abgesehen wurde. Daran hält die höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH auch nach Aufhebung des § 52 UStDV 1993/1994 und der Ersetzung durch das sog. Reverse-Charge-Verfahren in § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 fest (BFH-Urteile vom 5. Mai 2010 I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814 und I R 105/08, BFH/NV 2010, 2043). Die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 2 UStG kommt nicht in Betracht, da keine entsprechenden Bescheinigungen der Landesbehörden vorgelegt wurden. Daher wird bei der Ermittlung der Haftungsgrundlagen die Umsatzsteuer mit 7% (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG) berücksichtigt.

Die Abzugssteuern sind demensprechend auf folgende Beträge herabzusetzen:

Zeitraum Vergütung USt 7% Bem.grundl. Steuerabzug SoliZ (5,5%)

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, um dem BFH Gelegenheit zu geben, erneut über die Frage zu entscheiden, ob ein ausländischer Vergütungsschuldner, der über keine Betriebsstätte oder vergleichbare Einrichtung im Inland verfügt, der Steuerabzugsverpflichtung nach § 50a Abs. 4, 5 EStG unterliegt.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tenor

1. Die Haftungssummen werden unter Änderung der Haftungsbescheide vom 23. Januar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2015 auf 213.553,57 € (IV/2000), 260.832,59 € (2001), 6.700,77 € (2002), 10.227,37 € (2003), 46.434,42 € (2004) und 9.949,67 € (2005) herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 79% und der Beklagte zu 21% zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts mit Sitz in Salzburg. Sie ist eine Schwestergesellschaft der unter der gleichen Adresse ansässigen Z-GmbH. Die Z-GmbH betreibt eine Konzertdirektion, die seit Jahren Gastspielreisen ausländischer Künstler in den Bereichen Konzert, Oper und Operette, Theater, Ballett und dergleichen in Deutschland veranstaltet. Seit Herbst 2000 schaltet die Z-GmbH in ihre Rechtsbeziehungen zu den inländischen Veranstaltern eine GmbH (Y) mit Sitz in Berchtesgaden ein.

Sowohl die Y als auch die Z-GmbH wurden in der Folgezeit durch den Beklagten (das Finanzamt - FA -) für einen unterbliebenen Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) in der in den Streitjahren geltenden Fassung durch Haftungsbescheide nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG in Haftung genommen. Die Besteuerungsgrundlagen wurden hierbei anhand vorliegender Kontrollmitteilungen geschätzt. Im Rahmen eines beim Bundesfinanzhof (BFH) in dieser Sache anhängigen Beschwerdeverfahrens wegen eines vom Finanzgericht München abgelehnten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) reichte die Z-GmbH beim BFH mit Schriftsatz vom 6. August 2004 erstmals Unterlagen ein, aus denen sich ergab, dass sie Gastspiele von Künstlern, die außerhalb von EU-Mitgliedsstaaten ansässig sind, über die Klägerin (und somit nicht über sie) gebucht und an die Y weitervermittelt hatte. Nach dem BFH-Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04 (BFH/NV 2005, 1778) wurden für diese Gastspiele Zahlungen in Höhe von 3.235.800 DM im Zeitraum IV/2000 bis II/2001 geleistet. Außerdem machte die Z-GmbH im Beschwerdeverfahren beim BFH geltend, dass weitere Veranstaltungen ausländischer Künstler aus Nicht-EU-Staaten über die Klägerin gebucht worden seien, konnte dies aber nicht belegen.

In der Folge forderte das FA die Klägerin auf, Steueranmeldungen für die Abzugssteuer nach § 50a EStG ab 2000 bis einschließlich III/2005 einzureichen. Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam und auch weder Freistellungsbescheinigungen für die an die Künstler gezahlten Vergütungen noch Unterlagen über die den Gastspielreisen zugrundeliegenden Honorarvereinbarungen mit den Künstlern vorgelegt hatte, erließ das FA unter dem Datum vom 23. Januar 2006 sechs Haftungsbescheide (jeweils für ein Jahr) für die Jahre 2000 bis 2005 nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG. Hierbei legte das FA geschätzte Besteuerungsgrundlagen zugrunde. Die Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug ermittelte das FA, indem es Kontrollmitteilungen über die von der Y mit den inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen auswertete und die darin vereinbarten Vergütungen jeweils zur Hälfte der Klägerin und der Z-GmbH als an die ausländischen Künstler weitergeleitete Vergütungen zurechnete. Die Klägerin wurde für folgende Haftungsbeträge in Anspruch genommen:

IV/00: 256.979,39 € Einkommensteuer und 14.133,87 € Solidaritätszuschlag

I/01 – IV/01: 313.872,53 € Einkommensteuer und 17.262,99 € Solidaritätszuschlag

I/02 – IV/02: 8.063,40 € Einkommensteuer und 443,49 € Solidaritätszuschlag

I/03 – IV/03: 11.483,55 € Einkommensteuer und 631,60 € Solidaritätszuschlag

I/04 – IV/04: 52.137,71 € Einkommensteuer und 2.867,58 € Solidaritätszuschlag

I/05 – IV/05: 11.171,75 € Einkommensteuer und 614,44 € Solidaritätszuschlag

Bei der Ermittlung der Haftungssummen ging das FA davon aus, dass sich die Klägerin zur Übernahme der im Inland anfallenden Steuern verpflichtet habe, so dass es einen Steuersatz von 33,96% auf die Vergütungen bis 2002 und von 25,35% ab 2003 anwendete.

Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 6. November 2015).

Mit ihrer Klage trägt die Klägerin Folgendes vor:

Sie sei eine juristische Person nach österreichischem Recht und unterliege dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Das DBA lasse einen Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG nicht zu. Sie selbst habe keine Rechtsbeziehungen zu inländischen (deutschen) Veranstaltern unterhalten und demzufolge auch keine Einkünfte von einem deutschen Vertragspartner erhalten. Vielmehr sei sie mit der Organisation von Theateraufführungen betraut gewesen. Soweit von ihr im Einzelfall auch künstlerische Ensembles für Aufführungen in Deutschland verpflichtet worden seien, habe es sich regelmäßig um Ensembles von staatlichen, städtischen oder nicht auf Gewinn ausgerichteten Organisationen gehandelt. Das hessische Finanzgericht (Urteil vom 27.7.2010 4 K 982/09) habe festgestellt, dass in solchen Fällen die Einbehaltungs- und Abführungspflicht nach § 50a Abs. 4 EStG daran anknüpfe, dass der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger (Theaterensemble) der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte erziele. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung seien Zahlungen nicht der Einkünfteerzielung zuzuordnen, wenn die betreffenden Leistungen nicht von dem Streben nach Gewinn getragen seien. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Einkunftserzielungsabsicht trage das FA, da sich dieses auf das Vorhandensein steuerpflichtiger Einkünfte berufe. Sie legt Bestätigungen über die Subventionierung ausländischer Ensembles vor, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird.

Vergütungen an in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Künstlerensembles, z.B. an das …, unterlägen bereits vom Ansatz her keiner Steuerpflicht.

Aufgrund von Rechtsbeziehungen zu anderen österreichischen Unternehmen könne sie bereits dem Grunde nach keinem Steuerabzug in Deutschland unterliegen. Steuerpflichtig könne nur derjenige sein, der Vergütungen an einen aktiven Künstler für seine Tätigkeit in Deutschland bezahle. Aus diesem Grunde bestehe auch eine Steuerpflicht nach § 50a Abs. 4 EStG nur beim inländischen Vertragspartner. Dieser - und nicht sie als österreichisches Unternehmen - müsse gegenüber seinem Finanzamt steuerpflichtige Vergütungen i.S.d. § 50a Abs. 4 EStG anmelden und abführen.

Die Z-GmbH habe 1984 in einem Verständigungsverfahren klären lassen, dass in Deutschland kein Besteuerungsrecht der Einkünfte nach dem DBA bestehe. Sie verweist auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom …, die sie vorlegt. Nachdem Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung des DBA aufgetreten seien, sei am 13.9.2000 erneut ein Verständigungsverfahren eingeleitet worden. In diesem Verfahren sei nach Durchführung eines Konsultationsgesprächs erneut ein fehlendes Besteuerungsrecht Deutschlands festgestellt worden und die weitere Wirksamkeit der Verständigungsvereinbarung vom BMF Wien festgestellt worden. Sie legt hierzu ein Schreiben bzw. E-Mail des BMF Österreich vom 13. September 2000 und 20. Februar 2009 vor.

Darüber hinaus sei § 50a Abs. 4 EStG für den Zeitraum der Steuerbemessung mangels Möglichkeit einer Nettobesteuerung nicht gemeinschaftsrechtskonform. Sie verweist auf die Rechtsprechung des EuGHs (EuGH-Urteile vom 12.6.2003 – RS. C-234/01 – Gerritse, ECLI:EU:C:2003:340; IStR 2003, 458; vom 3.10.2006 – Rs. C-290/04 – Scorpio, ECLI:EU:C:2006:630; IStR 2006, 743; vom 15.2.2007 – Rs. C-345/04 – Centro Equestre da Leziria Grande, ECLI:EU:C:2007, 96; IStR 2007, 212), in der dieser die Rechtswidrigkeit einer Bruttobesteuerung festgestellt habe. Zwar habe der EuGH das Steuerabzugsverfahren für steuerpflichtige Einkünfte nach § 50a Abs. 4 EStG als legitim angesehen, allerdings mit dem Hinweis, dass es im Fall Scorpio (mit den Niederlanden) kein Amtshilfeabkommen und auch 1993 noch keine Gemeinschaftsrichtlinie gegeben habe. Zum Zeitpunkt, in dem im Streitfall der Steuerabzug vorgenommen worden sei, habe es sowohl eine EU-Richtlinie, wie auch - seit 1954 - ein Amtshilfeabkommen gegeben. Nach Art. 2 und dem Schlussprotokoll dieses Abkommens habe keine Besteuerung der Gesellschaft erfolgen dürfen.

Ferner seien Vergütungen für Theateraufführungen fallweise auch aufgrund des sog. Kultur-orchester-Erlasses nicht steuerpflichtig.

Die Y habe für bestimmte Vergütungen vorsorglich Steuerabzüge nach § 50a Abs. 4 EStG angemeldet. Unabhängig von der Frage der Steuerabzugsverpflichtung der Y sei jedenfalls sie, die Klägerin, ausschließlich verpflichtet, dem FA auf Anforderung die Vergütungen an die Ensembles resp. Künstler mitzuteilen, damit hier eine Steuerpflicht geprüft werden könne, da generell die Steueranmeldung durch den inländischen (nicht durch den ausländischen) Vergütungsschuldner zu erfolgen habe. Die Klägerin habe von dem FA keine Informationen erhalten, wie sich der eingeforderte Steuerabzug auf die einzelnen Projekte aufteile, so dass hier auch keine projektbezogene Stellungnahme möglich sei. Dem FA lägen zu den einzelnen Projekten ausführliche Informationen vor. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 50a Abs. 4 EStG unter Außerachtlassung der Unkosten sei vom Ansatz her unzulässig. Mit Wirkung des DBA Österreich ab 1.1.2003 trete auch die Freigrenze für Vergütungen an Künstler mit 250 € in Kraft. In Streitfall habe kein Künstler eine Vergütung erhalten, die den Freibetrag übersteige.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Haftungsbescheide und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 6.11.2015 aufzuheben, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen und verweist zu Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2018 wird Bezug genommen. Am 31.1.2018 ging bei Gericht per Telefax ein Schriftsatz des Geschäftsführers der Klägerin vom 30.1.2018 ein, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

II.

Die Klage ist insoweit begründet, wie die Haftungssumme einen Betrag von insgesamt 547.698,39 € übersteigt und im Übrigen unbegründet.

1. Nach § 50a Abs. 4 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung (jetzt § 50a Abs. 1 EStG) wird bei beschränkt Steuerpflichtigen die Einkommensteuer in bestimmten Fällen (hier nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG bei Einkünften aus der Ausübung oder Verwertung einer Tätigkeit als Künstler bzw. § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Einkünften, die durch künstlerische Darbietungen oder durch deren Verwertung im Inland erzielt werden, ein-schließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen im Wege des Steuerabzugs erhoben. In diesen Fällen muss der Schuldner der Vergütungen den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers vornehmen und die einbehaltene Steuer an das zuständige Finanzamt abführen (§ 50a Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG). Der Vergütungsschuldner haftet für die einzubehaltende und abzuführende Steuer (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG); soweit er seine Verpflichtungen nicht erfüllt, kann das Finanzamt die Steuer bei ihm durch Haftungsbescheid anfordern (§ 73g EStDV-Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).

2. Die Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Vergütungsschuldners nach § 50a Abs. 4 EStG knüpft daran an, dass der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte (§ 1 Abs. 4 EStG) erzielt. Sie setzt mithin voraus, dass die vom Vergütungsschuldner geleisteten Zahlungen aus der Sicht des Vergütungsgläubigers dem Einkünftekatalog des § 49 EStG unterfallen. Ist das nicht der Fall, so scheidet mangels einer abzuführenden Steuer eine Haftung des Vergütungsgläubigers nach § 50a Abs. 5 EStG i.V.m. § 73g EStDV aus.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Zahlungen nicht der Einkunftserzielung zuzuordnen, wenn sie im Zusammenhang mit Leistungen stehen, die sich als steuerlich unbeachtliche „Liebhaberei“ darstellen (BFH-Urteil vom 7. November 2001 I R 14/01, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 861). Eine solche liegt vor, wenn die betreffenden Leistungen nicht von dem Streben nach Gewinnerzielung getragen sind, sondern aus persönlichen Motiven erfolgen (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 10/97, BStBl II 1998, 663). Eine Zahlung, die auf einer solchen Leistung beruht, unterliegt deshalb bei dem Empfänger nicht der Einkommensteuer und löst für den Zahlenden keine Einbehaltungs- und Abführungspflicht i.S. des § 50a Abs. 4 EStG aus (BFH in BStBl II 2002, 861).

Eine Zuordnung der vorliegenden Einkünfte der Vergütungsgläubiger zu den einzelnen Ein-kunftsarten gemäß § 49 Abs. 1 EStG - in Betracht kommen hier Einkünfte aus Gewerbebe-trieb, die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne der Nummer 3 und 4 gehören, durch künstlerische Darbietungen oder durch deren Verwertung im Inland erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2d EStG) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) - erfolgt grundsätzlich unter Berücksichtigung der im In- und Ausland gegebenen Tatbestandsmerkmale. Ob eine bestimmte Leistung der steuerrechtlich relevanten Einkunftserzielung oder dem Bereich der Liebhaberei zuzuordnen ist, muss daher bei beschränkt Steuerpflichtigen nach denselben Kriterien beurteilt werden wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen (BFH in BStBl II 2002, 861). Bei der Frage nach der Gewinnerzielungsabsicht ist somit auf die zu beurteilende Tätigkeit der Zahlungsempfänger in ihrer Gesamtheit abzustellen.

Es kann ausgeschlossen werden, dass die von der Klägerin engagierten ausländischen Künstlerensembles unabhängig von der Frage nach ihrer Rechtsform ihre Tätigkeit im Inland nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt haben. Gegen eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht spricht insbesondere, dass es sich um professionelle Theater- und Musikgruppen gehandelt hat, die europaweite Tourneen durchführen. Anhaltspunkte, dass diese die betreffenden Leistungen nicht aus Gründen des Strebens nach Gewinn erbracht haben, sondern aus persönlichen Motiven, fehlen (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 10/97, BStBl II 1998, 663). Die Inanspruchnahme von staatlichen Subventionen oder Fördermitteln in ihrem Heimatland, wie von der Klägerin durch Vorlage von Bescheinigungen einiger Künstlerensembles geltend gemacht, spricht nicht gegen die Gewinnerzielungsabsicht der Ensembles (BFH-Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778). Ausweislich der in den Akten vorhandenen Gastspielprogramme und Kontrollmitteilungen werden vor allem populäre Opern, Operetten, Musicals und Balletts gespielt, größtenteils von Bühnen, die für konventionelle und werktreue Inszenierungen bekannt sind (vgl. …), ein möglichst breites Publikum ansprechen und damit einen größtmöglichen kommerziellen Erfolg versprechen. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass unter diesen Voraussetzungen nicht das Streben nach Gewinn, sondern ausschließlich hehre künstlerische Ziele der Zweck der Aufführung ist. Auch soweit in der als Anlage 6 zur Klagebegründung vorgelegten Erklärung …, mitgeteilt wird, dass das Ballett eine Haushaltsinstitution der Selbstverwaltung ist, die von der Stadt … unterhalten wird und nach dem Non-Profit-Prinzip arbeitet und wirtschaftet, spricht dies nicht gegen die fehlende Gewinnerzielungsabsicht. Die Arbeit nach dem „Non-Profit-System“ schließt eine Gewinnerzielungsabsicht nicht generell aus, was u.a. auch dadurch belegt wird, dass auch nach deutschem Recht gemeinnützige Körperschaften sich z.B. im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs mit Gewinnerzielungsabsicht betätigen können (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Auflage, 7.33; FG München, Urteil vom 19. Juli 2010 7 K 472/08, EFG 2010, 1921). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles. In dem von der Klägerin angeführten nicht veröffentlichten Urteil des Finanzgerichts Hessen vom 27. Juli 2010 4 K 982/09, bei dem Vergütungsgläubiger offensichtlich ein US-amerikanisches Musikensemble war, welches nach amerikanischen Recht als Non-Profit-Organisation eingestuft war, fehlten dem Gericht konkrete Anhaltspunkte, die eine Gewinnerzielungsabsicht hätten belegen könnten. Dieser Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Streitfall nicht vergleichbar, da nach Auffassung des Senats ausreichend Anhaltspunkte für eine Gewinnerzielungsabsicht der Vergütungsschuldner gegeben sind, so dass sich für den Senat insoweit keine Zweifel ergeben.

3. Soweit sich die Klägerin auf den BMF-Erlass vom 20.07.1993 VV DEU BMF 1983-07-20 IV B 4-S. 2303-34/83, BStBl I 1983, 382 (Kulturvereinigungserlass), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 30.05.1995 VV DEU BMF 1995-05-30 IV B 4-S. 2303-63/95, BStBl I 1995, 336 beruft, wonach ausländische Kulturvereinigungen, soweit eine Freistellung im Inland nicht schon nach den Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erfolgen hat, von der inländischen Einkommensteuer nach § 50 Abs. 7 EStG freizustellen sind, wenn ihr Auftritt im Inland wesentlich aus inländischen oder ausländischen öffentlichen Mitteln gefördert wird, so ist ihr entgegenzuhalten, dass dieser eine Abstandnahme vom Steuerabzug nur zulässt, wenn eine entsprechende Bescheinigung vom Bundesamt für Finanzen ausgestellt und dem zum Steuerabzug Verpflichteten vorgelegt wird. Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, durfte die Klägerin den Steuerabzug nicht unterlassen. Gleiches gilt, soweit sich ein entsprechender Freistellungsanspruch aus einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ergibt.

4. Das FA hat die Klägerin zu Recht durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen, da ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie in den Streitjahren Zahlungen an ausländische Künstler, die bei diesen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2d EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Deutschland steuerpflichtig sind, geleistet hat. Zwar trägt die Klägerin vor, in erster Linie mit der Organisation von Musik- und Theateraufführungen künstlerischer Ensembles, die von ihrer Schwestergesellschaft, der Z-GmbH engagiert worden sind, betraut gewesen zu sein. Sie räumt aber ein, im Einzelfall auch selbst künstlerische Ensembles für Aufführungen in Deutschland verpflichtet zu haben. Damit hat sie selbst mit den ausländischen Künstlern Verträge abgeschlossen und war diesen gegenüber Vergütungsschuldnerin, so dass sie den Tatbestand des § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG verwirklicht hat. Auch hat die – mit der Klägerin beteiligungsidentische und durch dieselben Personen vertretene – Z-GmbH dem BFH im Beschwerdeverfahren I B 108/04 mitgeteilt, dass ein Teil der in Deutschland aufgeführten Gastspiele „über die unter der gleichen Adresse wie die Antragstellerin ansässige Schwestergesellschaft S. GmbH gebucht wurden“. Die im Zeitraum Oktober 2000 bis April 2001 über die Klägerin gebuchten Künstler wurden vom FA gemäß den beim BFH im Verfahren I B 108/04 eingereichten Unterlagen im Einzelnen nach Datum, Name des Ensembles, Zahl der Auftritte und Vergütungshöhe bezeichnet. In welchem Umfang ab Mai 2001 Gastspielensembles über die Klägerin gebucht worden sind, konnte das FA nicht feststellen, da die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Steueranmeldungen nicht nachgekommen ist. Da das FA auch auf andere Weise die Höhe der dem Steuerabzug unterliegenden Vergütungen nicht feststellen konnte, durfte es die dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG unterliegenden Vergütungen schätzen (§ 162 Abs. 1 Abgabenordnung - AO -). Nach Auffassung des Senats ist die vom FA angewandte Schätzungsmethode zur Ermittlung der Zahlungen an ausländische Künstler (50% der aus Kontrollmitteilungen über die von der Y mit inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen – die anderen 50% hat es der Z-GmbH zugerechnet) nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat weder gegenüber dem FA, noch im gerichtlichen Verfahren Angaben zur Höhe der Zahlungen gemacht, wozu sie aber auf Grund ihrer Beweisnähe verpflichtet gewesen wäre. Sie ist ihrer Anmeldepflicht nicht nachgekommen und hat keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich die Zahlungen an ausländische Künstler der Höhe nach abschließend feststellen lassen. Da die Tatsachen und Beweismittel aus dem Wissens- oder Tätigkeitsbereich der Klägerin stammen und sie außerdem bei Auslandssachverhalten gemäß § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft, führt dies nach § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO und in rechtsanaloger Anwendung von § 444 Zivilprozessordnung (ZPO) zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes (Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 70 ff.). Bei der Schätzung der Höhe der an ausländische Vergütungsgläubiger geleisteten Zahlungen hat sich das FA an die in den Kontrollmitteilungen über die von der Y mit inländischen Veranstaltern abgeschlossenen Auftrittsvereinbarungen ausgewiesenen Zahlen orientiert. Vergütungen an in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Künstlerensembles wie das … hat das FA nicht einbezogen. Die Annahme, dass davon 50% auf Gastspielensembles entfallen, die über die Klägerin gebucht worden sind, hält der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte für vertretbar. Diese Schätzung ist schlüssig, ihre Ergebnisse wirtschaftlich vernünftig und möglich (vgl. Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 162 Rz. 20 und 22). Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass das FA die geschätzten Vergütungen im Grundsatz in der Höhe ermittelt hat, wie gemäß dem vorliegenden Kontrollmaterial seitens der inländischen Veranstalter Zahlungen an die Y für die betreffenden Veranstaltungen erfolgt sind, obwohl die Klägerin nach ihren Angaben geringere Zahlungen an die Künstler geleistet hat. Die Klägerin hat keine verwertbaren Unterlagen über die Gastspiele eingereicht. Insbesondere hat sie das FA über ihre Vertragsbeziehungen zu den ausländischen Künstlern vollständig im Unklaren gelassen und keinen einzigen Künstlervertrag offengelegt. Da sie ihrer Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht zur Ermittlung der einzubehaltenden Abzugssteuer nicht nachgekommen ist, war es weder möglich, die Vollständigkeit der erfassten Veranstaltungen zu überprüfen noch zu ermitteln, welche zusätzlichen Kosten die Klägerin den Künstlern, z.B. als Reise- und Übernachtungskosten, ersetzt hat, obwohl auch die zusätzlich zur künstlerischen Gage bezahlten Beträge (Nebenleistungen) der Abzugssteuer unterliegen (BFH-Urteil vom 16. Mai 2001 I R 64/99, BStBl II 2003, 641). Die Klägerin hat durch ihr schwerwiegendes pflichtwidriges Verhalten Anlass zu der Schätzung gegeben und muss es daher hinnehmen, dass ein gröberes Schätzungsverfahren zur Anwendung kommt und die Schätzung dabei auch zu ihrem Nachteil ausfallen kann (BFH-Beschluss vom 7. April 2009 XI B 115/08, BFH/NV 2009, 1085).

5. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Anwendung der Milderungsregelung in § 50a Abs. 4 Satz 5 EStG, bei dem es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um einen Freibetrag von 250 € je Künstler und Darbietung handelt, sondern um einen gestaffelten Steuersatz, der den besonderen Risiken einer Überbesteuerung durch zu hohe Quellensteuersätze Rechnung trägt (Strunk in: Korn, Einkommensteuergesetz, 1. Aufl. 2000, 105. Lieferung, § 50a, Rz. 46). Eine Aufteilung der Vergütung nach der Anzahl der die Darbietung umfassenden Personen ist nur vorzunehmen, wenn Gläubiger der Vergütung mehrere Personen sind. Im Streitfall hat die Klägerin die Verträge mit den Vergütungsgläubigern zwar nicht vorgelegt, jedoch ist es aufgrund der vorliegenden Informationen und Unterlagen offensichtlich, dass keine Verträge mit den Ensemblemitgliedern, sondern mit der jeweiligen Körperschaft, bei welcher die Künstler engagiert waren, abgeschlossen wurden, denn wie die Klägerin selbst vorträgt, waren Vergütungsschuldner überwiegend kommunale und staatliche Ensembles. Eine Aufteilung auf die beteiligten Personen ist in diesem Fall nicht vorzunehmen, da der Steuerabzug für die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte einer juristischen Person vorzunehmen ist (BMF-Erlass vom 01.08.2002 - VV DEU BMF 2002-08-01 IV A 5-S. 2411-33/02, BStBl I 2002, 709). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ausländische Vergütungsgläubiger in Einzelfällen in der Rechtsform einer Personengesellschaft organisiert waren; dies würde aber an dem Ergebnis nichts ändern, da in diesem Fall eine Aufteilung der Gesamtvergütung nach Köpfen nur vorzunehmen wäre, soweit an der Personengesellschaft ausschließlich die auftretenden Personen beteiligt sind (BMF vom 25.11.2010, IV C 3-S 2303/09/10002, FMNR5df000010, BStBl I 2010, 1350). Dies kann im Streitfall nach den gesamten Umständen ausgeschlossen werden.

6. Die Klägerin war als Vergütungsschuldner im Sinne von § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG verpflich-tet, den Steuerabzug für Rechnung der Künstler vorzunehmen und die einbehaltene Steuer an das FA abzuführen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG). Da sie diese Verpflichtung nicht erfüllt hat und deshalb für die einzubehaltende und abzuführende Steuer haftet (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG), war das FA berechtigt, die Steuer bei ihr durch Haftungsbescheid anzufordern (§ 73 EStDV). Dem Gesetz lässt sich keine Einschränkung dergestalt entnehmen, dass - wie die Klägerin meint - nur Vergütungsschuldner, die im Inland über eine Betriebsstätte oder eine vergleichbare Einrichtung verfügen, zum Steuerabzug verpflichtet sind. Nach der Rechtsprechung des BFH ist vielmehr ausreichend, dass Entgelte an Künstler oder für die Verwertung künstlerischer Darbietungen im Inland entrichtet werden, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt steuerpflichtig sind. Das Anbieten oder Verwerten künstlerischer Veranstaltungen im Inland rechtfertigt die Verpflichtung zum Steuerabzug für Rechnung der Künstler auch für Vergütungsschuldner, die über keine Betriebsstätte oder vergleichbare Einrichtung im Inland verfügen. Die an eine Betätigung im Inland anknüpfende beschränkte Steuerpflicht des Vergütungsgläubigers stellt nach der Rechtsprechung des BFH den für die Verpflichtung zum Steuerabzug erforderlichen Inlandsbezug her (BFH-Urteil vom 22. August 2007 I R 46/02, BStBl II 2008, 190 m.w.N.; Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Auflage 2017, § 50a EStG Rdnr. 33; Loschfelder in Schmidt, EStG, 36. Auflage 2017, § 50a EStG Rdnr. 9; a.A. Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 282. Lieferung 10.2017, § 50a EStG m.w.N.).

7. Ob einzelne DBA das Besteuerungsrecht für die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte der ausländischen Künstler dem ausländischen Wohnsitzstaat zuweisen, hat ebenso wenig Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG) wie die in den jeweiligen DBA verankerten Diskriminierungsverbote (BFH-Urteil vom 21. Mai 1997 I R 79/96, BStBl II 1998, 113; Kube in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50a, A 50). Die Schwierigkeiten des Fiskus bei der Durchsetzung von Steuerforderungen gegenüber ausländischen Künstlern für deren inländische Auftritte rechtfertigen den Steuerabzug (BFH-Urteil vom 22. August 2007 I R 46/02, BStBl II 2008, 190). Denn gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ungeachtet des Abkommens anzuwenden. Von der Steueranmeldung, dem Steuereinbehalt und der Steuerabführung hätte die Klägerin nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG nur dann absehen dürfen, wenn sie die Steuerfreistellung ihrer Einkünfte im Abzugsverfahren durch eine Bescheinigung des damaligen Bundesamtes für Finanzen nachgewiesen hätte. Dies ist jedoch – zwischen den Beteiligten unstreitig – nicht geschehen.

Unerheblich für die innerstaatliche Haftung der Klägerin für die nicht abgeführte Abzugs-steuer auf von ihr gegenüber den ausländischen Künstlern geschuldeten Vergütungen ist eine mögliche Freistellung der von ihr selbst im Inland erzielten Einkünfte aus der Durchführung der im Inland ausgeübten künstlerischen Darbietungen nach dem DBA Österreich (BFH, Beschluss vom 17. Mai 2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778). Das DBA Österreich spielt für die Abzugssteuer, die die Klägerin für Rechnung der ausländischen Künstler abzuführen hat und für die sie nicht Steuerschuldnerin, sondern lediglich Haftungsschuldnerin ist, keine Rolle, denn § 50a EStG und das DBA haben insoweit unterschiedliche Regelungsgegenstände. Während das DBA Besteuerungsrechte zuordnet, betrifft § 50a EStG allein die Vornahme des Steuerabzugs bei bestimmten beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigern. Daher kommt es nicht zu einer Überlagerung der Regelungen des § 50a EStG durch DBA-Recht (Kube in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50a, A 49; ähnlich Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 282. Lieferung 10.2017, § 4 EStG Rdnr. 10). Auch das Verständigungsverfahren nach Art. 21 DBA Österreich, auf das sich die Klägerin beruft, hat mit der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin nichts zu tun, sondern betrifft ihre eigenen gewerblichen Einkünfte, die sie in der Bundesrepublik Deutschland erzielt.

8. Der Senat teilt auch die Bedenken der Klägerin gegen die Gemeinschaftsrechtskonformität des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 EStG nicht.

Der Bereich der direkten Steuern fällt zwar nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft; die Mitgliedstaaten müssen die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (EuGH-Urteil vom 14.02.1995 C-279/93 – Schumacker, Entscheidungen des EuGH -EuGHEI 1995, 225). Insofern ist die europäische Dienstleistungsfreiheit zu beachten. Nach Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (-AEUV-) sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der Art. 56 ff. AEUV verboten. Gemäß Art. 57 AEUV sind Dienstleistungen im Sinne der Verträge Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Nach der Rechtsprechung des EuGHs verlangt die Dienstleistungsfreiheit die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhen, dass der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen ist, in dem die Leistung erbracht wird (EuGH-Urteil vom 26.02.1991 C-180/89 – Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709 m. w. N.). Dabei verleiht die Dienstleistungsfreiheit nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch dem Empfänger dieser Dienstleistungen Rechte (EuGH-Urteil vom 26.10.1999, C-294/97 – Eurowings Luftverkehr, Slg. 1999, I-7447 m. w. N.).

Mit Urteil vom 03.10.2006 (Rs. C-290/04 – Scorpio, a. a. O.) hat der EuGH entschieden, dass die Art. 56 und 57 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt. Zwar können solche Rechtsvorschriften Dienstleistungsempfänger davon abhalten, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen, und somit eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Sie sind jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Effizienz der Beitreibung der Einkommensteuer zu gewährleisten. Das Steuerabzugsverfahren stellt, zumindest wenn es keine Gemeinschaftsrichtlinie oder andere Regelung über die gegenseitige Amtshilfe zur Beitreibung steuerlicher Forderungen gibt, ein verhältnismäßiges Mittel zur Beitreibung steuerlicher Forderungen des Besteuerungsstaats dar. Diese Rechtsprechung hat der EuGH in seinem Urteil vom 18.10.2012 (Rs. C-498/10 – X, IStR 2013, 26 Tz. 47) nun auch für die Zeit der Geltung der EG-Beitreibungsrichtlinie 2001/44/EG ab dem 01.07.2002 bestätigt. Soweit eine nationale Regelung durch die Verpflichtung zum Einbehalt einer Quellensteuer wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs bewirkt, kann diese Beschränkung – auch in Anbetracht der Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung im Bereich der Beitreibung der Steuern – durch die Notwendigkeit, eine effiziente Erhebung der Steuer zu gewährleisten, gerechtfertigt sein (Tz. 53 des Urteils). Der Auffassung hat sich der BFH im Hinblick auf bestehende bilaterale Vereinbarungen über Amts- und Vollstreckungshilfe angeschlossen: Die möglichen grenzüberschreitenden Amtshilfe- oder Vollstreckungsersuchen können die Nachteile, die der Finanzverwaltung aus ihrer fehlenden Ermittlungsmöglichkeit im EU-Ausland erwachsen, nicht ausgleichen (BFH-Urteil vom 05.05.2010 I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814). Durch diese neue Rechtsentwicklung ist auch das von der EU-Kommission am 26.3.2007 gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV (Az. 1999/4852) überholt (vgl. Gosch in: Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 2017, § 50a EStG Rdnr. 2).

Darüber hinaus hat der EuGH jedoch entschieden, dass nationale Rechtsvorschriften die Dienstleistungsfreiheit verletzen, wenn der Dienstleistungsempfänger, der Schuldner der an einen gebietsfremden Dienstleister zu zahlenden Vergütung ist, im Steuerabzugsverfahren die Betriebsausgaben, die der Dienstleister ihm mitgeteilt hat und die im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Tätigkeit im Mitgliedsstaat der Leistungserbringung stehen, nicht steuermindernd geltend machen kann, während bei einem gebietsansässigen Dienstleister nur die Nettoeinkünfte der Steuer unterliegen. Das gilt jedoch nicht für nur mittelbar mit jener Tätigkeit zusammenhängende Betriebsausgaben; diese sind gegebenenfalls in einem anschließenden Erstattungsverfahren zu berücksichtigen (Urteile vom 03.10.2006, Rs. C-290/04 – Scorpio, a. a. O., und vom 15.02.2007, Rs. C-345/04 – Centro Equestre da Leziria Grande, Slg. 2007, I-1425, BFH/NV 2007, Beilage 3, 277).

Nach Maßgabe dieser – aufgrund des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht verbindlichen – Auslegung von Art. 56 und 57 AEUV durch den EuGH sind § 50a Abs. 4 Sätze 2 und 4 EStG, gemäß denen der Steuerabzug 25% bzw. 20% der Einnahmen ohne Abzug von Betriebsausgaben beträgt, in gemeinschaftsrechtskonformer Weise auszulegen: Dem Vergütungsschuldner mitgeteilte Aufwandspositionen sind prinzipiell bereits bei Vornahme des Steuerabzugs zu berücksichtigen. Ansonsten bleibt es für den Vergütungsgläubiger bei dem Erfordernis, ein Freistellungs- oder Erstattungsverfahren einzuleiten und innerhalb dieses Verfahrens seine beschränkte Steuerpflicht zu klären. Ein Grund dafür, das Abzugsverfahren wegen dessen vorbehaltloser tatbestandlicher Orientierung an der geleisteten Bruttovergütung gänzlich unangewendet zu belassen, besteht nicht. Es genügt, die einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen in normerhaltender Weise zu reduzieren, die Norm aber als solche weiter anzuwenden. Eine weitergehende Rechtswirkung kommt dem prinzipiellen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht nicht zu (BFH-Urteil vom 10.01.2007 I R 87/03, BStBl II 2008, 22; BFH-Beschluss vom 07.11.2007 I R 19/04, BStBl II 2008, 228, BFHE 219, 300; Gosch, DStR- 2007, 1553, 1554 ff.; bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 09.02.2010 2 BvR 1178/07, BFH/NV 2010, 1069).

Nach diesen Grundsätzen können im vorliegenden Verfahren – soweit es sich um Vergütun-gen an Künstler handelt, auf die die Rechtsvorschriften der Europäischen Union Anwendung finden (vgl. § 50a Abs. 3 Satz 2 EStG n.F.) – keine Betriebsausgaben der Vergütungsgläubi-ger berücksichtigt werden, denn bis zur Abgabe der Steueranmeldung und Abführung der Steuer hatte die Klägerin keine ihr mitgeteilten Betriebsausgaben der Vergütungsgläubiger geltend gemacht. Der Steuerabzug von den geleisteten Vergütungen ohne Abzug von Betriebsausgaben ist deshalb nicht zu beanstanden.

9. Das FA ist in den Haftungsbescheiden davon ausgegangen, dass sich die Klägerin zur Übernahme der im Inland anfallenden Steuern verpflichtet habe, hat also eine Nettolohnvereinbarung unterstellt, sodass es einen Steuersatz von 33,96% auf die Vergütungen bis 2002 und von 25,35% ab 2003 anwendete. Das ist jedoch unzutreffend. Zwar hat die Klägerin die Verträge zwischen ihr und den Vergütungsgläubigern nicht vorgelegt. Es kann jedoch nicht unterstellt werden, dass sich darin Regelungen über die Übernahme der im Inland anfallenden Ertragsteuern befinden. Demzufolge haben die Vergütungsgläubiger Anspruch auf die vereinbarte Vergütung und haben als Steuerschuldner die darauf anfallenden Steuern selbst zu zahlen. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die Vertragspartner sich darauf geeinigt hätten, dass die Vergütungsgläubiger Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung zuzüglich der von ihnen zu zahlenden Steuern haben, dass also die Klägerin als Vergütungsschuldnerin die vereinbarte Vergütung als Nettovergütung an die Vergütungsgläubiger auszahlt und zudem die daraus geschuldeten Steuern übernimmt. Eine solche Vereinbarung kann jedoch nicht bereits dann unterstellt werden, wenn sich später herausstellt, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorgenommen hat und deshalb als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (gl.A. FG-Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. April 2012 12 V 12204/11, EFG 2012, 1352; Gosch in Kirchhof, EStG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 50a Rn. 28; Grützner, IStR 2003, 346, 347; a.A. Holthaus, IStR 2002, 664). Erforderlich ist vielmehr eine entsprechende Einigung der Vertragsparteien darüber, dass die Nettovergütungen ausgezahlt werden sollen und der Vergütungsschuldner zusätzlich die anfallenden Steuern zu entrichten hat. In offensichtlicher Ermangelung einer solchen vertraglichen Regelung zwischen der Antragstellerin und den Vergütungsgläubigern ist nicht von einer Nettovereinbarung auszugehen.

Allerdings ist in die der Abzugssteuern nach § 50a Abs. 4 EStG unterliegenden Vergütungen die Umsatzsteuer einzubeziehen, die Teil des vom Vergütungsschuldner geschuldeten Entgelts ist, unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Vergütungsgläubiger gezahlt hat oder ob auf Grund der sog. Nullregelung nach § 52 Abs. 2 UStDV a.F. von der Entrichtung der Umsatzsteuer und seiner Geltendmachung als Vorsteuer abgesehen wurde. Daran hält die höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH auch nach Aufhebung des § 52 UStDV 1993/1994 und der Ersetzung durch das sog. Reverse-Charge-Verfahren in § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 fest (BFH-Urteile vom 5. Mai 2010 I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814 und I R 105/08, BFH/NV 2010, 2043). Die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 2 UStG kommt nicht in Betracht, da keine entsprechenden Bescheinigungen der Landesbehörden vorgelegt wurden. Daher wird bei der Ermittlung der Haftungsgrundlagen die Umsatzsteuer mit 7% (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG) berücksichtigt.

Die Abzugssteuern sind demensprechend auf folgende Beträge herabzusetzen:

Zeitraum Vergütung USt 7% Bem.grundl. Steuerabzug SoliZ (5,5%)

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, um dem BFH Gelegenheit zu geben, erneut über die Frage zu entscheiden, ob ein ausländischer Vergütungsschuldner, der über keine Betriebsstätte oder vergleichbare Einrichtung im Inland verfügt, der Steuerabzugsverpflichtung nach § 50a Abs. 4, 5 EStG unterliegt.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 131 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ein Anspruch auf Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre (1993 bis 1998) zusteht.

2

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren eine Spielhalle und führte dort Umsätze durch den Betrieb von Glücksspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit aus.

3

In den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre wurden diese Umsätze, den Steuererklärungen der Klägerin folgend, vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) als umsatzsteuerpflichtig behandelt.

4

Mit Urteil vom 17. Februar 2005 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Linneweber und Akritidis C-453/02 und C-462/02 (Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94), dass Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) unmittelbare Wirkung zukomme, so dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten auf die Steuerfreiheit dieser Umsätze berufen könne. Bei Ergehen dieses Urteils lag für alle Streitjahre bereits Festsetzungsverjährung nach den Bestimmungen der Abgabenordnung (AO) vor. Die Einspruchsfrist für die für die Streitjahre ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheide war bereits seit mehr als einem Jahr abgelaufen.

5

Mit Schreiben unter dem 13. April 2005 legte die Klägerin Einspruch gegen die für die Streitjahre ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen ein und machte die Steuerfreiheit für die Umsätze mit Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit geltend.

6

Das FA verwarf die Einsprüche wegen Verfristung als unzulässig. Die hiergegen eingelegte Klage zum Finanzgericht (FG) hat das FG aus den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 364 mitgeteilten Gründen abgewiesen.

7

Hiergegen richtet sich die Revision. Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Bundesrechts sowie des Unionsrechts. Sie regt an, dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens folgende Fragen vorzulegen:

8

"1. Kann sich ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt erfolgreich darauf berufen, dass die Europarechtswidrigkeit einer steuergesetzlichen Norm des nationalen Rechts durch den EuGH festgestellt worden ist, wenn nach nationalem Recht die Vorschrift der Bestandskraft entgegenstünde?

9

2. Gilt dies insbesondere dann, wenn die Umsetzung einer Richtlinie fehlerhaft geschehen ist, sodass dem Steuerpflichtigen nicht offenbart wurde, dass eine Abweichung des Gemeinschaftsrechts vom nationalen Recht vorlag und der Steuerpflichtige durch diese Unwissenheit nicht in der Lage war, seine Rechte innerhalb der nationalen Frist geltend zu machen?

10

3. Ist es für die Zumutbarkeit eines Rechtsbehelfs im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 24. März 2009 C-445/06, Danske Slagterier von Relevanz, ob es sich um einen Eingriff handelt, der sich für den Bürger als ungewöhnlich oder selten darstellt, oder ob es sich um einen Eingriff handelt, der bereits vor Inkrafttreten der betreffenden verletzten Richtlinie durchgeführt wurde und auch bei anderen Steuerpflichtigen durchgeführt wird, sodass der Bürger keinen Anlass einer besonderen Prüfung erkennen kann, wie dies bei der Umsatzsteuerveranlagung der Fall ist und wirkt sich dies bejahendenfalls auf die Zumutbarkeit aus?

11

4. Muss der Steuerpflichtige --entgegen der Aussage in der Sache Emmott vom 25. Juli 1991 C-208/90-- die Richtlinien der EG kennen, auf denen nationale Gesetze beruhen, die für ihn anwendbar sind?

12

5. Falls Frage 3 (gemeint: 4) zu bejahen ist, stellt sich Frage 4 (gemeint: 5): Macht es für den Beginn oder für die Länge der Rechtsmittelfrist einen Unterschied, dass das nationale Recht voraussetzt, dass der Bürger die nationalen Rechtsvorschriften zumindest kennen muss, er die Vorschriften der EG-Richtlinien aber nicht kennen muss und nicht kennt (Verstoß gegen den Grundsatz der Effektivität)? Ist der kurze Lauf der Rechtsmittelfrist deshalb im nationalen Recht angemessen, weil Kenntnis vorausgesetzt wird? Bedeutet dies dann, dass beim Verstoß gegen europarechtliche Richtlinien eine längere Frist oder mangels anwendbarer Regelungen des nationalen Rechts gar keine Frist läuft?

13

6. Kann der Steuerpflichtige trotz entgegenstehender Bestandskraft nach nationalem Recht Rückzahlung der zu Unrecht vereinnahmten Steuer verlangen?

14

7. Unter welchen Voraussetzungen kann der Steuerpflichtige eine entsprechende Rückzahlung verlangen?"

15

Die Klägerin beantragt,

das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 20. April 2007 aufzuheben und die angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen 1993 bis 1998 in der Weise zu ändern, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen und damit im Zusammenhang stehende Vorsteuern nicht berücksichtigt werden,

hilfsweise den Streitfall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

16

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht sowohl die Nichtigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen als auch die Änderbarkeit der bestandskräftigen und festsetzungsverjährten Bescheide für die Streitjahre verneint.

18

1. Die angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen sind nicht nichtig.

19

Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nach § 125 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt z.B. nichtig, der die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt, den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt oder der gegen die guten Sitten verstößt.

20

Im Streitfall liegt kein Nichtigkeitsgrund vor. Ein Verwaltungsakt ist nicht allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften --auch diejenigen des formellen Rechts (Verfahrensrechts)-- unrichtig angewendet worden sind. Der erforderliche besonders schwere Fehler liegt nur vor, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen und offenkundigen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, da die Klägerin selbst in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre die streitigen Umsätze als steuerpflichtig angesehen hat und das FA dem gefolgt ist.

21

Darüber hinaus ist ein Verwaltungsakt nicht allein deswegen nichtig, weil die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Mai 1987 II R 140/84, BFHE 150, 70, BStBl II 1987, 592, und vom 26. September 2006 X R 21/04, BFH/NV 2007, 186). Für Verstöße gegen Unionsrecht ergeben sich insoweit keine Besonderheiten (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 2009 C-40/08, Asturcom Telecomunicationes SL, Slg. 2009, I-9579, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht --EWS-- 2009, 475, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft --EuZW-- 2009, 852, unter Rdnr. 37; ebenso Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 17. Januar 2007  6 C 32/06, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2007, 709). Die Gegenauffassung, nach der ein Verstoß gegen das Unionsrecht stets einen "schweren" Rechtsfehler begründen soll (vgl. de Weerth, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 1368, 1369 zu § 130 AO), lässt unberücksichtigt, dass für einen unionsrechtswidrigen Bescheid keine andere Behandlung geboten ist als für einen Bescheid, der auf einer nicht verfassungskonformen Rechtsgrundlage beruht und dessen Bestand hiervon unberührt bleibt (§ 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht; BFH-Urteile vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714; vom 21. März 1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399).

22

2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin ihren Einspruch verspätet eingelegt hat.

23

Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung ist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, zu erheben.

24

Die Klägerin hat mit Schreiben unter dem 13. April 2005 Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre (1993 bis 1998) erhoben. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war zu diesem Zeitpunkt bereits für alle Streitjahre sowohl die Monatsfrist als auch die --nach Auffassung der Klägerin wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung anwendbare-- Jahresfrist für die Einlegung eines Einspruchs abgelaufen. Dies ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

25

3. Die Versäumung der Einspruchsfrist durch die Klägerin ist nicht aufgrund der sog. "Emmott'schen Fristenhemmung" unbeachtlich.

26

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 25. Juli 1991 C-208/90, Emmott, Slg. 1991, I-4269 Rdnr. 23) kann sich ein säumiger Mitgliedstaat zwar bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf die verspätete Einlegung einer Klage berufen (vgl. zuletzt EuGH-Urteil vom 24. März 2009 C-445/06, Danske Slagterier, Slg. 2009, I-2119 Rdnrn. 53 f.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern setzt das Vorliegen besonderer Umstände voraus, die sich in der Rechtssache Emmott daraus ergaben, dass ein Bürger eines Mitgliedstaates von dessen Behörden zunächst von der rechtzeitigen Einlegung einer Klage abgehalten und ihm später der Einwand der verspäteten Klageerhebung entgegen gehalten wurde (EuGH-Urteil Danske Slagterier in Slg. 2009, I-2119 Rdnr. 54). Eine derartige Fallgestaltung ist im Streitfall nicht gegeben, da die Klägerin nicht daran gehindert war, innerhalb der allgemeinen Fristen ihre Umsatzsteuerfestsetzungen anzufechten (vgl. BFH-Entscheidungen vom 23. November 2006 V R 67/05, BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436; vom 23. November 2006 V R 51/05, BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433; vom 9. Oktober 2008 V R 45/06, BFH/NV 2009, 39; BFH-Urteile in BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399; vom 15. September 2004 I R 83/04, BFH/NV 2005, 229).

27

4. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nach dem Unionsrecht weder die Dauer der Einspruchsfrist zu beanstanden, noch besteht eine Anlaufhemmung bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie Kenntnis von der EuGH-Entscheidung Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 erlangt hat. Das FA war auch nicht verpflichtet, ihr die Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist zu gewähren.

28

a) Die Dauer der Einspruchsfrist nach § 355 AO verstößt weder gegen die unionsrechtlichen Vorgaben des Äquivalenz- noch des Effektivitätsprinzips, da nach dem EuGH-Urteil vom 19. September 2006 C-392/04 und C-422/04, I-21 Germany und Arcor (Slg. 2006, I-8559 Rdnrn. 59, 60 und 62) eine einmonatige Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs angemessen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436.

29

b) Die Einspruchsfrist beginnt --trotz der fehlerhaften Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG in nationales Recht-- mit Bekanntgabe des Steuerbescheids und nicht erst zu dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin Kenntnis von der EuGH-Entscheidung Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 erlangen konnte.

30

Das Unionsrecht verlangt auf Grundlage der aus Art. 10 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) abgeleiteten Prinzipien der Effektivität und der Äquivalenz (zum Grundsatz der Zusammenarbeit vgl. EuGH-Urteil vom 8. September 2010 C-409/06, Winner Wetten, juris, unter Rdnrn. 55, 58) nur, dass die Mitgliedstaaten die verfahrensrechtlichen Fristen, die zur Durchsetzung des Unionsrechts einzuhalten sind, nicht ungünstiger ausgestalten als in den nur das innerstaatliche Recht betreffenden Verfahren. Weiter darf es nicht praktisch unmöglich sein, eine auf das Unionsrecht gestützte Rechtsposition geltend zu machen. Danach sind Verwaltungsakte, die nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht mehr anfechtbar sind, selbst wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen, für die Beteiligten bindend (vgl. EuGH-Entscheidungen vom 13. Januar 2004 C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837, unter Rdnr. 24; I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnr. 51).

31

Die Klägerin beansprucht demgegenüber für sich eine Besserstellung gegenüber den Steuerpflichtigen, die sich auf eine Rechtsposition des innerstaatlichen Rechts berufen können, diese aber nicht kennen und sich nach Ablauf der Einspruchsfrist in § 355 Abs. 1 AO die formelle Bestandskraft der Steuerfestsetzung entgegenhalten lassen müssen.

32

Die von der Klägerin für maßgeblich gehaltenen Umstände, dass die Richtlinie 77/388/EWG sich an die Mitgliedstaaten und nicht unmittelbar an den Bürger als Adressaten wende und es bis zum EuGH-Urteil Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 nicht vorhersehbar gewesen sei, dass Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unmittelbar Anwendung finden könne, rechtfertigt entgegen ihrer Auffassung nicht den Schluss, dass es "praktisch unmöglich" war, diese Rechtsposition im Rahmen der "normalen" Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO durchzusetzen. Denn es kommt nicht darauf an, ob eine nach Erlass eines Bescheids eintretende günstige Rechtsentwicklung auf einer günstigen Richtlinienauslegung durch den EuGH oder auf einer anderen Grundlage beruht. Ein Steuerpflichtiger, der mit Rücksicht auf die herrschende Rechtsauffassung zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses von einer Klage abgesehen und es unterlassen hat, die Gerichte selbst von einem Verstoß der Steuerfestsetzung gegen das Unionsrecht zu überzeugen, nimmt den Eintritt der Bestandskraft --auch für den Fall eines späteren Rechtsprechungswandels-- bewusst in Kauf (vgl. bereits Senatsurteil vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889, unter II.3.b; s. auch weiter unten bei II.5.c bb). Die Rechtsverfolgung innerhalb der allgemeinen gesetzlichen Fristen ist daher auch bei Fragen des Unionsrechts möglich und zumutbar (BFH-Urteil in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433, unter II.3.).

33

c) Das FG hat weiter zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist gemäß § 110 AO zu gewähren war.

34

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im Zeitpunkt des Einspruchs mit Schreiben unter dem 13. April 2005, den das FG zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 110 Abs. 1 AO behandelte, mehr als ein Jahr seit dem Ende der versäumten Einspruchsfrist verstrichen war. Das FG hat eine Wiedereinsetzung --sowohl auf Antrag der Klägerin als auch von Amts wegen-- daher zutreffend bereits im Hinblick auf die gemäß § 110 Abs. 3 AO einzuhaltende Jahresfrist verneint.

35

Der Auffassung der Klägerin, die Jahresfrist sei unbeachtlich, da sie bis zum EuGH-Urteil Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 weder habe wissen können noch müssen, dass die Steuerbefreiung gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unmittelbar zu ihren Gunsten anwendbar sei, schließt sich der Senat nicht an. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf das BFH-Urteil vom 8. Februar 2001 VII R 59/99 (BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506) berufen. Diese Entscheidung betraf die Wiedereinsetzung in die prozessuale Antragsfrist gemäß § 68 FGO a.F. Für den Streitfall, in dem es die Klägerin von vornherein unterlassen hat, Rechtsbehelfe gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen einzulegen, lässt sich hieraus nichts ableiten.

36

Die Klägerin beansprucht vielmehr (vgl. bereits oben unter II.4.b) eine verfahrensrechtliche Besserstellung gegenüber den sich aus dem nationalen Recht ergebenden Rechten, um die auf der Richtlinie 77/388/EWG beruhende Steuerbefreiung durchzusetzen. Das Unionsrecht gebietet es jedoch nicht, die Klägerin verfahrensrechtlich besserzustellen (vgl. oben II.4.a zur Einspruchsfrist und die Senatsentscheidung in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433, unter II.3.; EuGH-Urteil Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnr. 37).

37

5. Die Klägerin kann auch keine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen beanspruchen.

38

a) Es ist unionsrechtlich grundsätzlich nicht erforderlich, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder nach Erschöpfen des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist oder durch ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil bestätigt wurde (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. Urteile Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837, unter Rdnr. 24; I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnr. 51).

39

b) Zu beachten ist allerdings, dass die für den Erlass einer Verwaltungsentscheidung zuständige Behörde nach dem (für die Streitjahre noch) in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sein kann, ihre Entscheidung zu überprüfen und zurückzunehmen (EuGH-Urteile Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837, unter Rdnr. 28; vom 16. März 2006 C-234/04, Kapferer, Slg. 2006, I-2585, unter Rdnr. 23; I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnr. 52; vom 12. Februar 2008 C-2/06, Kempter, Slg. 2008, I-411, unter Rdnrn. 37 bis 39; vom 3. September 2009 C-2/08, Olimpiclub, Slg. 2009, I-7501, EuZW 2009, 739, unter Rdnrn. 23 ff.; Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnr. 37).

40

Für diesen Überprüfungs- und Aufhebungsanspruch müssen nach der Rechtsprechung des EuGH vier "Voraussetzungen" vorliegen:

41

- Erstens muss die Behörde nach nationalem Recht befugt sein,

die bestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen.

- Zweitens muss die Entscheidung infolge eines Urteils eines

in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts gegen-

über dem die Änderung begehrenden Steuerpflichtigen be-

standskräftig geworden sein.

- Drittens muss das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergan-

gene Entscheidung des EuGH zeigt, auf einer unrichtigen

Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruhen, die erfolgt ist,

ohne dass der EuGH um Vorabentscheidung ersucht worden ist,

obwohl die Voraussetzungen einer Vorlage gemäß Art. 234

Abs. 3 EG (nunmehr Art. 267 des Vertrags über die Arbeits-

weise der Europäischen Union --AEUV--) erfüllt waren.

- Viertens muss der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er

Kenntnis von der besagten Entscheidung des EuGH erlangt

habe, an die Verwaltungsbehörde gewandt haben.

42

c) Bereits die erste Voraussetzung, nach der eine nationale Behörde zur Aufhebung oder Änderung eines rechtswidrigen bestandskräftigen Steuerbescheids "befugt" sein muss, ist im Streitfall nicht erfüllt.

43

aa) Steuerbescheide i.S. des § 155 AO können bei nachträglich erkannter Unionsrechtswidrigkeit --wie auch bei einem nachträglich erkannten Verstoß gegen innerstaatliches Recht-- auf Grundlage der "Kühne & Heitz-Grundsätze" und den §§ 172 ff. AO nicht geändert werden, da es im steuerrechtlichen Verfahrensrecht an der hierzu erforderlichen Befugnis fehlt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436; vom 23. November 2006 V R 28/05, BFH/NV 2007, 872; in BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399; vom 8. Juli 2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1; zustimmend Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 130 Rz 32 f. und § 172 Rz 4 a; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO vor §§ 172 bis 177 Rz 41.1; de Weerth, Der Betrieb --DB-- 2009, 2677; Tehler in Festschrift für Reiss 2008, 81, 94; Leonard/Sczcekalla, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2005, 420, 426 ff.; Birk/Jahndorf, UR 2005, 198, 199 f.; Gosch, DStR 2005, 413 ff., DStR 2004, 1988, 1991).

44

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (Urteile Kapferer in Slg. 2006, I-2585, unter Rdnrn. 22 und 23; Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnrn. 37 f.), der der Senat folgt, setzt der auf den "Kühne & Heitz-Grundsätzen" beruhende Anspruch auf Überprüfung oder Änderung rechtskräftiger Entscheidungen voraus, dass das nationale Verfahrensrecht hierfür eine Rechtsgrundlage vorsieht und insoweit das Äquivalenz- sowie das Effektivitätsprinzip beachtet werden. Hiermit stellt der EuGH klar, dass das Unionsrecht weder verlangt, im nationalen Verfahrensrecht einen entsprechenden Überprüfungs- oder Änderungsanspruch für bestandskräftige unionsrechtswidrige Verwaltungsakte vorzusehen, noch, dass aus dem Unionsrecht ein eigenständiger (vom nationalen Recht losgelöster) Überprüfungs- und Änderungsanspruch abgeleitet werden kann (unzutreffend daher Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559, 2563; Meilicke, DStR 2007, 1892, 1893; ders., Betriebs-Berater --BB-- 2004, 1087; Schacht/Steffens, BB 2008, 1254, 1257).

45

bb) Die fehlende Änderungsmöglichkeit für bestandskräftige unionsrechtswidrige Steuerbescheide in den §§ 172 ff. AO verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz.

46

Im Streitfall kann offen bleiben, ob auf Grundlage der "Kühne & Heitz-Grundsätze" im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO bei unionsrechtswidrigen Steuerverwaltungsakten (§ 118 AO) eine Ermessensreduzierung eintreten und ein Überprüfungs- oder Änderungsanspruch bei bestandskräftigen Steuerverwaltungsakten bestehen kann (so Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 130 AO Rz 22 ff.; Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559, 2564). Selbst wenn dies zutreffen sollte, verletzt die abweichende Rechtslage bei Steuerbescheiden (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO) nicht das Äquivalenzprinzip. Der nach nationalem Recht bestehende Dualismus der abgabenrechtlichen Korrekturvorschriften mit voneinander unabhängigen Regelungssystemen --§§ 130, 131 AO einerseits und §§ 172 ff. AO andererseits-- ist ein Grundprinzip des steuerrechtlichen Verfahrensrechts (vgl. Wernsmann in HHSp, vor §§ 130 bis 133 AO Rz 43, 114 ff.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz 6; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO vor §§ 130 bis 133 AO Rz 8; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 172 Rz 1; Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., vor §§ 172 bis 177 Rz 5). Dem Äquivalenzprinzip wird genügt, wenn innerhalb der verfahrensrechtlich jeweils eigenständigen Änderungsregelungen für rechtswidrige bestandskräftige Steuerverwaltungsakte einerseits und für Steuerbescheide andererseits dieselben Änderungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der sich aus dem nationalem Recht und dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche bestehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Asturcom Telecomunicationes SL, Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnrn. 49 f.). Dies ist vorliegend der Fall, da Verstöße gegen innerstaatliches Recht und das Unionsrecht innerhalb der beiden Änderungssysteme jeweils gleich behandelt werden.

47

cc) Ferner verstößt die fehlende nachträgliche Änderungsmöglichkeit für unionsrechtswidrige Steuerbescheide nicht gegen das Effektivitätsprinzip.

48

Der Grundsatz der Effektivität ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht verletzt, wenn der Steuerpflichtige eine Steuerfestsetzung des FA bestandskräftig werden lässt, weil eine künftige Rechtsprechungsänderung des EuGH oder BFH zu seinen Gunsten nicht absehbar ist (Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1889, unter II.1.d). Denn durch das Rechtsinstitut der Bestandskraft bezweckt der Gesetzgeber den Eintritt der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn die Bestandskraft nachträglich durchbrochen werden könnte und dies von der regelmäßig schwierig zu beurteilenden Vorhersehbarkeit einer Rechtsprechungsänderung des EuGH oder des BFH abhängig gemacht würde. Es ist --wie bereits unter II.4.b erläutert-- Sache des Steuerpflichtigen, unter Übernahme des Kostenrisikos seine Chance zur Herbeiführung der Korrektur einer entgegenstehenden Rechtsprechung zu wahren, indem er Rechtsmittel einlegt (Senatsurteil in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433). Sieht der Steuerpflichtige hiervon ab, nimmt er den Eintritt der Bestandskraft auch für den Fall einer späteren Rechtsprechungsänderung bewusst in Kauf.

49

Dass nach den von der Klägerin angeführten zivilrechtlichen Entscheidungen eine Haftung von Steuerberatern bis zum EuGH-Urteil Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 mangels Verschuldens nicht in Betracht kommen kann, wenn diese auf die Steuerfreiheit der Umsätze nicht hingewiesen hatten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der Effektivitätsgrundsatz garantiert --anders als die Klägerin meint-- nur eine gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit in angemessener Frist. Er betrifft das Verfahren, nicht aber die Frage, ob es in der Sache schwierig ist, eine günstige Rechtsentwicklung vorherzusehen und durchzusetzen. Der EuGH hat die deutschen Einspruchs- und Klagefristen und damit die nationalen verfahrensrechtlichen Regelungen zur Durchsetzung des Unionsrechts nicht beanstandet (EuGH-Urteil I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnrn. 58 bis 60; vgl. auch unter II.4.a und b).

50

dd) Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. September 2008  2 BvR 1321/07 (Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 2009, 60) ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Zwar hat das BVerfG dort ausgeführt, der EuGH habe die Fragen zur Durchbrechung der Bestandskraft unionsrechtswidriger belastender Verwaltungsakte der Mitgliedstaaten noch nicht erschöpfend beantwortet und es sei unklar, welche Bedeutung der vom EuGH in der "Kühne und Heitz-Entscheidung" aufgestellten Voraussetzung zukomme, die Behörde müsse nach nationalem Recht befugt sein, die Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Die vom BVerfG hierzu zitierten Schrifttumsauffassungen beziehen sich aber zu Recht ausschließlich auf die --für Steuerbescheide nicht maßgeblichen-- §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), die für rechtswidrige unanfechtbare Verwaltungsakte im allgemeinen Verwaltungsrecht wie in § 130 Abs. 1 AO --anders als die §§ 172 ff. AO-- unter bestimmten Voraussetzungen eine ermessensgebundene Überprüfungs- und Änderungspflicht vorsehen (vgl. im Hinblick auf unionsrechtswidrige Verwaltungsakte zu den §§ 48, 51 VwVfG BVerwG-Urteile vom 22. Oktober 2009  1 C 26/08, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 2010, 261; vom 17. Januar 2007  6 C 32/06, NVwZ 2007, 709).

51

d) Die zweite Voraussetzung der "Kühne & Heitz-Rechtsprechung" liegt ebenfalls nicht vor. Die Klägerin hat --wie sie selbst einräumt-- gegen die bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen nicht die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe (vgl. EuGH-Urteil I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnrn. 53 f.) ausgeschöpft (vgl. zu diesem Erfordernis BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 229; Kanitz/Wendel, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2008, 231, 232; Ludwigs, DVBl 2008, 1164, 1170; Müller/Seer, Internationale Wirtschaftsbriefe Fach 11, Gruppe 2, 865, 875; Rennert, DVBl 2007, 400, 408; Ruffert, Juristenzeitung 2007, 407, 409). Die Gegenauffassung von Meilicke (DStR 2007, 1892, 1893; ders., BB 2004, 1087 ff., und Schacht/Steffens, BB 2008, 1254, 1255), nach der die Rechtslage hinsichtlich dieser Voraussetzung nicht abschließend geklärt sein soll, vermag nicht zu begründen, warum und in welcher Hinsicht nach den Ausführungen des EuGH im Urteil I-21 Germany & Arcor in Slg. 2006, I-8559 noch Klärungsbedarf besteht.

52

Der EuGH hat auch nicht, wie die Klägerin behauptet, im Urteil Danske Slagterier in Slg. 2009, I-2119 von dieser Voraussetzung Abstand genommen, sondern dort lediglich im Bezug auf den unionsrechtlichen Entschädigungs- und Staatshaftungsanspruch entschieden, es sei nicht in jedem Fall zwingend erforderlich, dass der Geschädigte zuvor im Wege des Primärrechtsschutzes gegen das zum Schaden führende legislative oder judikative Unrecht vorgehe (vgl. auch EuGH-Urteil vom 26. Januar 2010 C-118/08, Transportes Urbanos y Servicios Generales, BFH/NV Beilage 2010, 578, unter Rdnr. 48). Für die im "Kühne & Heitz-Urteil" definierten Korrekturvoraussetzungen bei rechtswidrigen bestandskräftigen Verwaltungsakten folgt hieraus nichts.

53

6. Im Streitfall sind die von der Klägerin aufgeworfenen Vorlagefragen 6 und 7 zu den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Entschädigungsanspruchs nicht entscheidungserheblich, da sie im vorliegenden Verfahren nur die Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen, nicht aber auch einen Erlass der Steuer begehrt.

54

a) Das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, stellt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH erwachsen. Es besteht ein Entschädigungs- oder Staatshaftungsanspruch, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, oder ein Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer und der Beträge, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Voraussetzung ist, dass die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den Betroffenen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. EuGH-Urteile vom 12. Dezember 2006 C-446/04, Test Claimants in the FII Group Litigation, Slg. 2006, I-11753; vom 13. März 2007 C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2107, unter Rdnrn. 110, 111; vom 23. April 2008 C-201/05, Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, Slg. 2008, I-2875; in Transportes Urbanos y Servicios Generales in BFH/NV Beilage 2010, 578, unter Rdnrn. 29 ff.).

55

b) Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Entschädigungsanspruchs nur ein Erlass der Steuer gemäß § 227 AO in Betracht kommt (vgl. BFH-Entscheidungen vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460; in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433; in BFH/NV 2008, 1889; vom 5. Juni 2009 V B 52/08, BFH/NV 2009, 1593). Mangels einer Unionsregelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener inländischer Abgaben ist es Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, insoweit die Verfahrensmodalitäten zu regeln (vgl. das EuGH-Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation in Slg. 2006, I-11753, unter Rdnr. 203).

56

7. Der Senat folgt im Übrigen nicht der Anregung der Klägerin, gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zu den Voraussetzungen, unter denen eine Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide auf Grundlage der "Kühne & Heitz-Rechtsprechung" des EuGH in Betracht kommt, sowie zu Beginn und Dauer der Einspruchs- und Wiedereinsetzungsfrist bei nicht zutreffender Umsetzung einer Richtlinienbestimmung sind --wie dargelegt-- nach Auffassung des Senats bereits geklärt (vgl. unter II.5.). Unter diesen Umständen besteht für den Senat keine Vorlagepflicht (vgl. zu den Voraussetzungen EuGH-Urteile vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, Cilfit u.a., Slg. 1982, 3415, unter Rdnr. 21; vom 6. Dezember 2005 C-461/03, Gaston Schul, Slg. 2005, I-10513; vom 15. September 2005 C-495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I-8151).

57

8. Es kommt schließlich keine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an das BVerfG in Betracht. Die unter II.5. dargelegten möglicherweise unterschiedlichen Rechtsfolgen für die Aufheb- und Änderbarkeit von bestandskräftigen Steuerverwaltungsakten i.S. des § 118 AO und von Steuerbescheiden gemäß § 155 AO, wenn nachträglich deren Unionsrechtswidrigkeit festgestellt wird, führen wegen des Dualismus der Korrektursysteme in §§ 130 ff. AO und §§ 172 ff. AO nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG.

Tatbestand

1

I. Mit Beschluss vom 31. Januar 2014 X B 52/13 (BFH/NV 2014, 860) hat der Senat im dritten Rechtsgang eine Beschwerde der Kläger, Beschwerdeführer und Rügeführer (Kläger), die auf verschiedene Zulassungsgründe gestützt worden war, als unbegründet zurückgewiesen und dies begründet.

2

Der Beschluss wurde mit einfacher Post am 11. März 2014 abgesandt. Nach Erhalt der Kostenrechnung für das Beschwerdeverfahren erklärte der Kläger, der als Steuerberater gleichzeitig Bevollmächtigter der Klägerin ist, er habe keinen Beschluss erhalten. Mit Post vom 15. April 2014, dem Dienstag vor Ostern, wurde noch einmal eine Ablichtung des Beschlusses übersandt. Die Kläger haben am 1. Mai 2014 Anhörungsrüge erhoben, verschiedene Rügen aus dem Beschwerdeverfahren (Verletzung der Denkgesetze und objektive Willkür) wiederholt und vertieft, und am 2. Mai 2014 darüber hinaus Verletzungen rechtlichen Gehörs (neun Punkte) durch den Senat gerügt. Auf entsprechende Nachfrage hat der Kläger an Eides statt versichert, dass er den Beschluss vom 31. Januar 2014 am 19. April 2014 erhalten habe.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Anhörungsrüge ist zulässig, aber unbegründet und daher nach § 133a Abs. 4 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

4

1. Die Rüge ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.

5

Nach § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Da sich die behauptete Verletzung aus der Begründung des Beschlusses vom 31. Januar 2014 ergibt, begann die Frist mit Kenntnis des Beschlusses.

6

Der Zugang der am 11. März 2014 abgesandten Beschlussausfertigung ist nicht feststellbar. Der Senat geht davon aus, dass der am 15. April 2014 abgesandte Beschluss dem Kläger tatsächlich am Samstag, den 19. April 2014 zugegangen ist. Das rechnerische Ende der Zweiwochenfrist des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO wäre damit ebenfalls ein Samstag, und verschiebt sich nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung auf den darauffolgenden Montag, den 5. Mai 2014. Sowohl die am 1. Mai 2014 eingegangene Anhörungsrüge als auch die am 2. Mai 2014 eingegangene ergänzende Stellungnahme wahren daher die Frist des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO.

7

a) Für den Beginn der Zweiwochenfrist des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist allerdings die Fiktion des § 133a Abs. 2 Satz 3 FGO, der zufolge formlos mitgeteilte Entscheidungen mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten, nicht anwendbar. Diese Fiktion bezieht sich lediglich auf die Jahresfrist des § 133a Abs. 2 Satz 2 FGO, die an die Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung anknüpft. Die Zweiwochenfrist beginnt hingegen mit der --tatsächlichen-- Kenntnis derjenigen Umstände, die die mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen. Liegen diese Umstände in der angegriffenen Entscheidung selbst, so kommt es folglich auf den tatsächlichen Zugang dieser Entscheidung an. Die tatsächliche Kenntnis kann nicht durch eine Kenntnisnahmefiktion ersetzt werden. Der Zeitpunkt der Kenntnis kann deshalb, muss jedoch nicht mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabefiktion des § 133a Abs. 2 Satz 3 FGO zusammenfallen (i.E. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 4. April 2007  1 BvR 66/07, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 2242; ebenso Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 133a FGO Rz 17; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 133a FGO Rz 7). Er kann nach, aber prinzipiell auch vor dem Zeitpunkt der Bekanntgabefiktion liegen und ist nach § 133a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO glaubhaft zu machen.

8

Soweit der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit seinem Beschluss vom 29. Juni 2005 VII S 26/05 (BFH/NV 2005, 1848) die Bekanntgabefiktion unmittelbar auf die Zweiwochenfrist des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO angewandt hat, ist die Entscheidung durch den Beschluss des BVerfG überholt.

9

b) Jedoch beruht die Bekanntgabefiktion des § 133a Abs. 2 Satz 3 FGO ebenso wie die im Kern gleichlautende Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung letztlich auf dem --tatsächlichen-- Umstand, dass einfache Post regelmäßig und typischerweise drei Tage nach der Aufgabe zur Post dem Empfänger zugegangen ist. In beiden Vorschriften ist eine tatsächliche Vermutung zu einer Fiktion erstarkt. Auch wenn die Kenntnisnahme nicht durch eine Fiktion ersetzt werden kann, ändert dies nichts an der inhaltlichen Richtigkeit dieser Vermutung für den wirklichen Geschehensablauf. Es ist daher zulässig und geboten, davon auszugehen, dass der Empfänger einer Postsendung diese im Zweifel drei Tage nach der Aufgabe zur Post erhalten hat, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, insbesondere der Empfänger konkret dargetan hat, dass es sich anders verhält.

10

Solche konkreten Anhaltspunkte sind im Streitfall nicht gegeben. Der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post war Freitag, der 18. April 2014. An diesem Tage konnte der Beschluss nicht zugehen, da es sich um den Karfreitag und damit einen gesetzlichen Feiertag handelte. Anhaltspunkte für einen Zugang vor diesem Zeitpunkt bestehen nicht. Wenn der Kläger vorträgt, er habe den Beschluss am darauffolgenden Samstag erhalten, so ist dem daher zu folgen.

11

2. Die Rüge ist jedoch unbegründet. Nach § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2), was nach § 133a Abs. 2 Satz 5 FGO darzulegen ist.

12

a) Eine gegen eine Entscheidung des BFH gerichtete Anhörungsrüge setzt demnach voraus, dass der BFH --nicht das Finanzgericht (FG)-- den aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2010 X S 24/10, BFH/NV 2011, 279). In doppelter Hinsicht unerheblich ist der Vortrag, das FG habe inhaltlich falsch entschieden. Dies ist noch nicht einmal für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, erst recht nicht für die Anhörungsrüge gegen den diesbezüglichen Beschluss des BFH relevant. Unerheblich ist aber auch der Vortrag, der BFH habe im Verfahren betreffend die Nichtzulassung der Revision inhaltlich falsch entschieden. Erheblich kann lediglich der Vortrag sein, der BFH --und nur dieser-- habe im Beschwerdeverfahren den Anspruch der Kläger auf Wahrung rechtlichen Gehörs verletzt.

13

b) Die insbesondere in dem Schriftsatz vom 2. Mai 2014 enthaltenen Rügen sind in allen neun Punkten --jedenfalls-- unbegründet. Es kann daher offenbleiben, ob der Vortrag der Kläger in allen Punkten den Darlegungsanforderungen des § 133a Abs. 2 Satz 5 FGO genügt.

14

aa) Die Kläger halten dem Senat vor, er habe die Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Vorjahren hinsichtlich des Wareneinsatzes damit erklärt, dass in den Vorjahren deutlich niedrigere Lohnaufwendungen angefallen seien, dabei aber nicht berücksichtigt, dass diese nur deshalb niedriger erscheinen, weil das FG diese im Rechtsstreit für die Vorjahre fehlerhaft --leider rechtskräftig-- zu niedrig angesetzt habe (Punkt 1). Da es allerdings kein Fehler ist, einer Entscheidung den Inhalt einer anderen rechtskräftigen Entscheidung zugrunde zu legen, muss der Vortrag, der die Richtigkeit dieser anderen Entscheidung in Frage stellt, in diesem Zusammenhang auch nicht berücksichtigt werden. Wenn im Übrigen die andere Entscheidung in einem bestimmten Punkte zu Lasten der Kläger fehlerhaft gewesen sein sollte, ist es widersprüchlich, wenn sich die Kläger gleichzeitig zu ihren Gunsten auf dieselbe Entscheidung und deren Richtigkeit berufen.

15

bb) Die Kläger beanstanden weiter, der Senat nehme einen kausalen Zusammenhang zwischen der Höhe des Wareneinsatzes und der Höhe der Lohnaufwendungen an, und habe dabei nicht berücksichtigt, dass sie, die Kläger, das Gegenteil vorgetragen hätten (Punkt 2). Die Kläger ihrerseits berücksichtigen bei diesem Vorbringen nicht, dass zum einen die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht bedeutet, dem Vortrag des Beteiligten Folge leisten zu müssen, und zum anderen sich der Senat gerade deshalb so ausführlich mit etwaigen Relationen zwischen Wareneinsatz und Lohnaufwendungen auseinandergesetzt und seinen Standpunkt hierzu begründet hat, weil ihm die Möglichkeit bewusst gewesen ist, diese anders zu betrachten.

16

cc) Die Rüge, der Senat habe bei seinen Überlegungen über die Eigenart des Betriebes nicht berücksichtigt, dass es sich seit zehn Jahren um den gleichen Betrieb mit deshalb den gleichen Charakteristika handele (Punkt 3), geht fehl. Der Fortbestand des Betriebs beweist nicht, dass alle Charakteristika gleich geblieben sein müssen.

17

dd) Die Kläger meinen weiter, der Senat habe ihren Vortrag unberücksichtigt gelassen, dass eine Richtsatzschätzung nicht in Betracht komme (Punkt 4). Der Senat hat jedoch seine Begründung gerade nicht auf die Richtsatzsammlung gestützt. Die Kläger hatten im Beschwerdeverfahren beanstandet, das FG habe ein bestimmtes Schreiben der Handwerkskammer nicht berücksichtigt. Der Senat hat hierzu ausgeführt, dass die Schätzung zu Reingewinnsätzen führte, die nicht nur deutlich unter den in diesem Schreiben angegebenen Prozentzahlen, sondern sogar noch unter den entsprechenden Werten der Richtsatzkartei lagen.

18

ee) Die Behauptung der Kläger, der Senat habe unter Verkennung ihres Vortrags eine Reihe von Tatsachen gemutmaßt, die das FG nicht festgestellt habe (Punkt 5), trifft nicht zu. Ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt eine Verletzung rechtlichen Gehörs wäre, haben die Kläger schon nicht mitgeteilt, welche konkreten nicht festgestellten Tatsachen der Senat seinem Beschluss zugrunde gelegt haben soll. Nach seinem Dafürhalten hat der Senat bei seinen Überlegungen --mit denen er keine eigene Schätzung angestellt, sondern die Frage erörtert hat, ob das FG pflichtgemäß seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens geschöpft hat-- lediglich Zahlen, Daten und Fakten herangezogen, die sich aus den Akten ergeben.

19

ff) Die Kläger rügen, der Senat habe dahingestellt sein lassen, inwieweit ihre Ausführungen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist Ergänzung oder neues Vorbringen waren und ob die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügte und so entscheidungserhebliches Vorbringen außer Betracht gelassen (Punkt 6). Mit dieser Rüge verkehren sie allerdings die Aussagen des Senats in ihr Gegenteil. Der Senat hat zugunsten der Kläger den nach Fristablauf eingegangenen Vortrag berücksichtigt und zugunsten der Kläger angenommen, dass das Vorbringen insgesamt den Darlegungsanforderungen genüge. Das ist keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern allenfalls eine Gewährung rechtlichen Gehörs über das aus Rechtsgründen erforderliche Maß hinaus.

20

gg) Im Zusammenhang mit der Würdigung der Vernehmung des Klägers werfen die Kläger dem Senat vor, er --der Senat-- habe behauptet, der Kläger sei an dem Mietverhältnis zwischen der Klägerin und deren Eltern beteiligt gewesen (Punkt 7).

21

Die Kläger haben in diesem Punkte den Senat missverstanden. Der Senat hat nicht --unter Verkennung des Streitgegenstandes und des Akteninhalts-- behauptet und auch nicht behaupten wollen, der Kläger als Angehöriger sei an dem Vertrag beteiligt gewesen, um den es geht. Im Beschwerdeverfahren ging es um die Frage, ob das FG seine Feststellungen verfahrensfehlerfrei getroffen hat, namentlich darum, ob die Anforderungen an die Überzeugungsbildung abzumildern waren, weil wichtige Beweismittel durch das Verhalten des FG verloren gegangen sind. Der Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das FG nicht deshalb von einem geringeren Beweiswert der klägerischen Aussage ausging, weil der Kläger nur noch als Beteiligter vernommen werden konnte --unter diesen Umständen wäre in der Tat die Frage zu stellen gewesen, ob das FG die lange Verfahrensdauer zu verantworten hatte--, sondern weil der Kläger naher Angehöriger der Klägerin ist, deren Einkünfte Gegenstand des Verfahrens sind. Es trifft zwar zu, dass die Überlegungen des FG, die Aussagen naher Angehöriger zu ihrem Rechtsbindungswillen bei Verträgen unter nahen Angehörigen seien selbstbezüglich --und deshalb von geringerem Beweiswert--, weil die Angehörigen an den betreffenden Verträgen selbst beteiligt seien, im Streitfall nicht zutreffen. Dies mag ein materiell-rechtlicher Fehler sein, der jedoch als solcher gerade nicht zur Zulassung der Revision führen konnte. Die Ausführungen des Senats zu diesem Punkt (unter II.2.a aa aaa, S. 15 ff. des Beschlusses) stellen dar, dass das FG nicht den Fehler begangen hat, den die Beschwerdebegründung ihm vorwirft, nämlich den Klägern das Fehlen von Beweismitteln anzulasten, für die es möglicherweise --dies ohne Präjudiz hinsichtlich der Verfahrensdauer-- selbst verantwortlich war. Vor diesem Hintergrund kam es auf die lange Verfahrensdauer an dieser Stelle nicht an.

22

hh) Hieran anknüpfend meinen die Kläger, es stelle eine Überraschungsentscheidung dar, wenn sie erstmals über den Beschluss im Beschwerdeverfahren erführen, dass der Grund für die Beweiswürdigung durch das FG in der Angehörigeneigenschaft, nicht der Eigenschaft als Zeuge oder Beteiligter liege (Punkt 8). Selbst wenn es aber für die Kläger überraschend gewesen sein sollte, dass der Senat das FG-Urteil in dieser Weise verstanden hat, so stellt dies keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar. Der Senat hat insoweit keine eigenen rechtlichen Überlegungen angestellt und auch nicht den Klägern etwas mitgeteilt, was diese nicht wissen konnten, sondern lediglich das FG-Urteil, so wie es abgefasst war, interpretiert. Dazu waren die Kläger ebenso wie der Senat in der Lage. Der Senat war nicht verpflichtet, den Klägern das Ergebnis seiner Interpretation vor Erlass des Beschlusses mitzuteilen.

23

ii) Schließlich bemängeln die Kläger, dass der Senat bestimmte Akten nicht beigezogen habe, da es darauf nicht ankomme (Punkt 9). Sie bemängeln dies zu Unrecht, da es für die Entscheidung des Senats allerdings nicht auf diese Akten ankam. Der Senat hat zugunsten der Kläger unterstellt, dass sich aus den Akten das ergebe, was sie behaupten, und auf dieser Grundlage erläutert, warum das FG Schlussfolgerungen gegen diesen Akteninhalt zum Nachteil der Kläger ziehen durfte, weil nämlich die Kläger selbst etwas Gegenteiliges vorgetragen hatten.

24

c) Im Übrigen rügen die Kläger, das FG habe über die Klage, der BFH über die Beschwerde fehlerhaft entschieden. Das betrifft vor allem die Ausführungen des ersten Schriftsatzes vom 1. Mai 2014. Darüber ist aus den unter a) genannten Gründen im Rahmen einer Anhörungsrüge gegen den Senatsbeschluss nicht zu befinden.

25

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 133a Rz 17). Nach Nr. 6400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes entstehen für das Verfahren über die Rüge nach § 133a FGO Gerichtskosten in Höhe von 60 €.

(1) Die Gebühren richten sich nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Kosten werden nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 131 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.