Finanzgericht Hamburg Urteil, 07. Apr. 2016 - 6 K 132/15

bei uns veröffentlicht am07.04.2016

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Aufteilung von Umsätzen aus dem Verkauf von Speisen in solche zum Regel- und solche zum ermäßigten Steuersatz streitig.

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Der Kläger betrieb als Einzelunternehmer im Streitjahr 2013 im Einkaufszentrum "A" (im Folgenden: EKZ) den Imbiss "B". Mitte des Jahres 2015 gab er diesen Betrieb auf.

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Der Imbiss befand sich zusammen mit anderen Gastronomiebetrieben in einem besonderen Gastronomie-Bereich des EKZ.

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Die Fläche, auf der der Imbiss betrieben wurde, wurde von der C GmbH & Co. KG als Vermieterin mit Vertrag vom 07.05.2012/30.06.2012 an Herrn D vermietet.

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Parallel zu dem Mietvertrag schlossen die E G.m.b.H. & Co. KG (im Folgenden: E) und Herr D eine Vereinbarung über die Nutzung des Gastronomie-Bereichs. Hierin war Folgendes vereinbart:

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Der Mieter hat mit der C GmbH & Co. KG einen Mietvertrag über Flächen bzw. Räumlichkeiten in der ... abgeschlossen.

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Die in Ziffer 1.2 Teil A des Mietvertrages genannte Ladenfläche des Mieters befindet sich in einem Bereich, in dem mehrere Lebensmittelanbieter (überwiegend mit gastronomischem Angebot) angesiedelt werden. Es handelt sich um einen ... (Gastronomiebereich) mit einem gemeinsamen Sitz- und Verzehrbereich mit angesiedelter Spülküche für Tabletts. Die Gastronomie-Gemeinschaftsfläche steht den Mietern und/oder den Kunden des EKZ ... zur Verfügung. Einen Anspruch auf eine eigene besondere Nutzung dieser Fläche hat der Mieter nicht. Der Mieter hat ebenfalls keinen Anspruch auf Bestand der Größe der Gastronomie-Gemeinschaftsfläche.

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(...) Darüber hinaus sind weitere Anlagen und Einrichtungen notwendig, die von allen bzw. einigen Mietern des ... (Gastronomiebereichs) gemeinschaftlich genutzt werden können bzw. ihnen zugute kommen, die von der E erstellt werden. Letztere sind Gegenstand dieser Vereinbarung gemäß Ziffer 1. (...)

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1.1. Erstellung gemeinschaftlicher Anlagen und Einrichtungen

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Die E erstellt auf eigene Kosten und nach ihren Plänen folgende gemeinschaftliche Anlagen und Einrichtungen (...).

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1.1.2. a) Spülküche
Erstellen einer zentralen Tablettsammelstelle einschließlich der Möblierung (Tablett, Stapelwagen, Tablettspülmaschine (ohne Geschirr), Abfallsammler, usw.).
b) Möblierung Freifläche
Erstellen eines zentralen Kunden- und Verzehrbereiches für die Gastronomiefläche inklusive Boden-, Wand-, Decken- und Beleuchtungsausbau sowie Möblierung.

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1.1.10 Gemeinschaftlicher Sitz- und Verzehrbereich

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a) Der Mieter hat keinen Anspruch auf eine eigene Nutzung dieses Bereiches, etwa ausschließlich Nutzung der Sitzplätze direkt vor seiner Fläche für seine Kunden. Auch kann keine Gewähr dafür übernommen werden, dass für die Kunden des Mieters Sitzplätze in jeweils ausreichender Anzahl vorhanden sind.

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b) Entsprechend der Regelung in Ziffer 2 Teil A soll die Speisen- und Getränkeausgabe auf bzw. mit Einweg-Geschirr erfolgen, das der Mieter auf eigene Kostenanschaffen wird. Die E wird auf Kosten des Mieters farbige, wieder verwendbare Tabletts in entsprechender Anzahl und Typ anschaffen. Sollte die E eine Umstellung auf Mehrweg-Geschirr wünschen, ist diese berechtigt, für die Mieter des ... (Gastronomiebereichs) verbindlich eine derartige Umstellung festzulegen. Sofern eine derartige Umstellung erfolgt, sind diese Kosten ebenfalls als Ersatzbeschaffungskosten sowie die hieraus resultierenden weiteren Nebenkosten von den betroffenen Mietern des ... (Gastronomiebereichs) gemäß Ziffer 1.5 zu tragen. (...)

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1.3 Weitere Leistungen der E

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Der Mieter beauftragt hiermit die E, die folgenden Leistungen zu erbringen:
Betrieb, Reinigung, Pflege, Wartung, Instandhaltung und Instandsetzung (Nebenkosten) der in Ziffer 1.1 genannten gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des ... (Gastronomiebereichs).

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1.4 Nutzungsentgelt

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1.4.1 Die in Ziffer 1.1 genannten gemeinschaftlichen Anlagen und Einrichtungen des ... (Gastronomiebereichs) werden dem Mieter von der E für die Laufzeit dieser Vereinbarung zur Verfügung gestellt. Hierfür zahlt der Mieter an die E ein Nutzungsentgelt in Höhe von € ...  monatlich /qm Ladenfläche. (...)

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Herr D schloss am 30.06.2012 einen Pacht- und Geschäftsraumuntermietvertrag mit dem Kläger ab, in dem er ihm den voll eingerichteten Imbissbetrieb im EKZ vermietete. In § 6 des zwischen dem Kläger und Herrn D geschlossenen Untermietvertrages war vereinbart:

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(1) Die monatliche Miete beträgt € ... zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von z. Zt. 19 % = € ..., insgesamt somit € ....

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(2) Das monatliche Entgelt für E für die Nutzung beträgt € ... zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von z. Zt. 19 % = € ..., insgesamt somit € ....

22

(3) Der monatlich zu zahlende Betrag beträgt somit € ... zuzüglich € ... Umsatzsteuer also € .... (...)

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Herr D ist am ... verstorben.

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Der Kläger bot in dem durch einen Tresen begrenzten Imbiss, vor dem die Kunden standen, täglich mindestens zwei Tellergerichte und ansonsten Dönergerichte an. Die Speisen, die nach dem Wunsch des jeweiligen Kunden nicht vor Ort verzehrt werden sollten, wurden in Boxen verpackt. Die Tellergerichte, die die Kunden an den Tischen verzehren wollten, wurden auf Porzellantellern angerichtet und den Kunden mit Besteck und einem Tablett übergeben. Die vor Ort zu verzehrenden Dönergerichte wurden in Papier verpackt oder auf eine Serviette gelegt und dem Kunden ebenfalls mit einem Tablett übergeben. Die Kunden, die die Speisen im Sitzbereich des Gastronomiebereichs zu sich nahmen, hinterließen das Geschirr und Besteck auf dem Tisch oder brachten es auf dem Tablett in bereit gestellte Geschirrwagen. Die Tabletts, das Geschirr und das Besteck wurden von Servicekräften der E eingesammelt, in der angeschlossenen Spülküche gereinigt und an die dem Gastronomiebereich angeschlossenen Gastronomiebetriebe verteilt.

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In der Umsatzsteuerjahreserklärung für 2013 vom 23.09.2014 erklärte der Kläger Erlöse aus dem Verzehr vor Ort zum Steuersatz von 19 % in Höhe von ... € netto (rund 15 % des Gesamtumsatzes) und aus dem Verzehr außer Haus zum Steuersatz von 7 % in Höhe von ... € netto (rund 85 % des Gesamtumsatzes). Insgesamt ergab sich ein Vorsteuerüberhang von ... €.

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Der Beklagte führte im Oktober 2014 eine Umsatzsteuersonderprüfung beim Kläger durch. Der Prüfer suchte den Imbissbetrieb des Klägers während der Prüfung dreimal auf, um zu ermitteln, wieviele Kunden die erworbenen Speisen im Gastronomiebereich verzehrten und wieviele sie mitnahmen, und kam zu folgenden Ergebnissen:
- Mittwoch, 22.10.2014, 15.25 bis 15.50 Uhr: ein Kunde nahm das Essen mit (Verzehr außer Haus; 10 %), 9 Kunden nahmen das Essen an den Tischen im Gastronomiebereich (Verzehr vor Ort; 90 %);
- Freitag, 24.10.2014, 12.40 bis 13.15 Uhr: 5 Kunden außer Haus (25 %), 15 Kunden vor Ort (75 %);
- Donnerstag, 06.11.2014, 13.15 bis 13.45 Uhr: 3 Kunden außer Haus (19 %), 13 Kunden vor Ort (81 %).

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Der Prüfer schätzte daher, dass nur 25 % der Umsätze dem ermäßigten Steuersatz unterlägen (... € netto) und 75 % dem Regelsteuersatz (... € netto).

28

Daraufhin erließ der Beklagte am 03.02.2015 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2013, in dem er die Umsatzsteuer auf ... € festsetzte.

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Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 06.02.2015 Einspruch ein und trug vor, dass sich das Kundenverhalten ab ca. 14.00 Uhr ändere und sich der Anteil von vor Ort verzehrten Speisen auf höchstens 40 % belaufe.

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Während des Einspruchsverfahrens suchte der Prüfer den Imbissbetrieb des Klägers erneut zweimal auf und gab folgende Ergebnisse an:
- Mittwoch, 11.02.2015, 16.40 bis 17.20 Uhr: 1 Kunde außer Haus (15 %), 6 Kunden vor Ort (85 %);
- Freitag, 13.02.2015, 16.25 bis 17.05 Uhr: 1 Kunde außer Haus (8 %), 12 Kunden vor Ort (92 %).

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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 21.04.2015 als unbegründet zurück. Die ausgegebenen Speisen seien im Hinblick auf die Lage des Imbisses im Gastronomiebereich nahezu ausschließlich dazu bestimmt gewesen, von der Kundschaft unmittelbar an Ort und Stelle verzehrt zu werden. Dies hätten die im Rahmen der Prüfung durchgeführten Zählungen bestätigt. Auch weitere, in der Nachmittagszeit durchgeführte Kundenzählungen hätten zum selben Ergebnis geführt.

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Am 22.05.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, dass eine Kundenzählung keine anerkannte Schätzungsmethode sei und die Feststellungen nicht objektiv nachgeprüft werden könnten. Es sei schon nicht sichergestellt, dass der Prüfer im Beobachtungszeitraum tatsächlich jeden Kunden erfasst habe und zwischendurch nicht unaufmerksam gewesen sei und dass er von seinem Standpunkt aus überhaupt den gesamten Verkaufsbereich habe einsehen können. Bereits kleinste Abweichungen führten bei der insgesamt geringen Kundenzahl zu erheblichen prozentualen Änderungen. Ein nachprüfbares Zählprotokoll liege nicht vor. Auch sei unklar, ob es sich bei den Personen, die der Prüfer an den Tischen gezählt habe, überhaupt um Kunden des Klägers gehandelt habe.

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Ferner lasse sich den Aufzeichnungen des Prüfers nicht entnehmen, welche Speisen und Getränke die beobachteten Kunden bestellt hätten, sodass allein anhand der Kundenzahlen nicht auf die jeweiligen Umsätze geschlossen werden könne.

34

Darüber hinaus seien die durchgeführten Zählungen nicht repräsentativ. In den Wintermonaten blieben die Kunden erfahrungsgemäß häufiger vor Ort. Auch seien die jeweils gewählten Zeitfenster (insgesamt gerade einmal 2 Stunden 50 Minuten) in Anbetracht des Umstandes, dass es 308 Geschäftstage im Jahr mit bis zu 10 Stunden täglicher Öffnungszeit gebe, viel zu kurz und bildeten weder das normale Tagesgeschäft noch das übliche Kundenverhalten ab.

35

Der sich aus diesen Unzulänglichkeiten ergebenden erheblichen Fehlertoleranz bei der Aufteilungsschätzung hätte durch deutliche Risikoabschläge Rechnung getragen werden müssen.

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Wenn man die außer Haus verkauften Portionen anhand der eingekauften Fleischmenge und des Verpackungsmaterials kalkulieren wolle, sei der Schwund bei der Herstellung der Speisen zu berücksichtigen. Dieser belaufe sich nach der Rechtsprechung des BGH auf 38 %. Einzubeziehen seien neben dem eingekauften Verpackungsmaterial die vorhandenen Bestände an Verpackungsmaterial sowie der auf dem Konto Wareneinsatz gebuchte Einkauf von Alufolie und das auf dem Konto Warenabgabe erfasste Verpackungsmaterial. Schätzungsweise seien 20.000 Einwegverpackungen für den Außer-Haus-Verkauf eingesetzt worden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine der gängigsten Speisen, der Dürüm-Döner, und auch Lahmacun in Alufolie verpackt würden. Danach ergäbe sich eine Aufteilung Umsätze von 61,72 % zum Steuersatz von 7 % und von 38,28 % auf 19 %.

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Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass er, der Kläger, keinen möblierten Speiseraum mit Garderobe und Toiletten vorgehalten und die Kunden bzgl. der Speisen nicht informiert, beraten und am Tisch bedient habe. Der Sitz- und Verzehrbereich sei aus dem Mitverhältnis herausgenommen und einschließlich des Geschirr- und Tablettservices allein durch die E betrieben worden; er, der Kläger, habe keinen Anspruch auf eine eigene Nutzung bzw. auf eine Nutzung durch seine Kunden. Somit überwiege der Dienstleistungscharakter auch bei den vor Ort verzehrten Speisen nicht, weil die Tische von zahlreichen Gästen des E genutzt würden und nicht in seinem, des Klägers, Eigentum stünden.

38

Der Kläger beantragt,
den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2013 vom 03.02.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.04.2015 dahingehend zu ändern, dass 61,72 % der Umsätze mit Speisen zu 7 % besteuert werden und 38,28 % zu 19 %.

39

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

40

Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass ... , die Mehrzahl der Kunden ihre erworbenen Speisen vor Ort zu sich nähmen. Der Prüfer habe den Imbiss des Klägers genau von gegenüber beobachtet und die Aufzeichnungen unmittelbar nach den Zählungen angefertigt. Als Verzehr vor Ort seien nur die Fälle gezählt worden, in denen die Kunden vom Kläger ein Tablett erhalten und sich an einen der Tische gesetzt hätten. Die Gerichte, die die Kunden zum Verzehr außer Haus mitgenommen hätten, seien für den Transport aufwändig in Boxen und mit mehreren Lagen Papier verpackt worden, um sie warm zu halten. Es sei daher leicht zu erkennen gewesen, welche Kunden ihre Speisen mitgenommen hätten.

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Der Kläger habe im Streitjahr rund 15.000 Einwegverpackungen eingekauft. Aus der eingekauften Fleischmenge (10.400 kg) hätten rund 52.000 Dönerportionen mit je 200 g Gewicht hergestellt werden können. Daher seien 30 % der Portionen in Einwegverpackungen verpackt worden und 70 % unverpackt geblieben. Unterstelle man, dass alle Einwegverpackungen für einen Verkauf außer Haus verwendet worden seien, wären nur 30 % der Erlöse mit 7 % zu versteuern gewesen. Der vom Kläger für zutreffend erachtete Ansatz eines Garverlustes führe zu keinem anderen Ergebnis, weil die Portionsgröße mit 200 g in der obigen Rechnung zugunsten des Klägers sehr großzügig angesetzt worden sei. Selbst bei zusätzlicher Berücksichtigung der eingekauften Alufolie ergäbe sich maximal ein Umsatzanteil von 35 % zum ermäßigten Steuersatz.

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Daher bestünden erhebliche Zweifel an der richtigen Erfassung der Umsätze durch den Kläger, die im Laufe der Umsatzsteuersonderprüfung nicht hätten ausgeräumt werden können. Die Schätzung sei demgemäß zulässig gewesen. Der Kläger kritisiere zwar die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, liefere seinerseits jedoch keine konkreten Nachweise für den von ihm gewählten Aufteilungsmaßstab.

43

Der Senat hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 20.11.2015 der Einzelrichterin übertragen.

44

Auf die Sitzungsniederschriften des Erörterungstermins vom 20.11.2015 und der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2016 wird Bezug genommen. Wegen des Ergebnisses der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung des früheren Umsatzsteuersonderprüfers des Beklagten F wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

45

Dem Gericht haben zwei Bände Gewerbesteuerakten, ein Band Bilanz- und Bilanzberichtsakten ein Band Betriebsprüfungsakten, ein Band Betriebsprüfungs-Arbeitsakten und ein Band Rechtsbehelfsakten vorgelegen (St.-Nr. .../.../...).

Entscheidungsgründe

46

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.

I.

47

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

48

Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht im Schätzungswege einen Anteil von 75 % der Umsätze dem Regelsteuersatz von 19 % unterworfen.

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1. a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für "die Lieferungen" der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände (und damit auch zubereiteter Lebensmittel, Nr. 28, 31 und 33 der Anlage 2). Hierdurch hat der Gesetzgeber von dem ihm in Art. 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht (BFH-Urteil vom 30.06.2011 V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246).

50

b) Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind gemäß § 3 Nr. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind. Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 14 Abs. 1 (MwStSystRL), wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, sowie auf Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL, wonach als Dienstleistung jeder Umsatz gilt, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

51

c) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen (EuGH-Urteil vom 10.03.2011 C-497/09 u. a. -Bog u. a., BStBl II 2013, 256; BFH-Urteile vom 18.02.2009 V R 90/07, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; vom 10.08.2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m. w. N.).

52

d) Nach der bisherigen Auffassung in der Rechtsprechung kommt es nur beim Vorliegen einer Standardspeise für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung auf zusätzliche Dienstleistungselemente - wie z. B. Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und Besteck - an. Handelt es sich um eine qualitativ höherwertige Speise als eine Standardzubereitung, liegt demgegenüber auch ohne derartige zusätzliche Dienstleistungselemente eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vor (BFH-Urteil vom 28.05.2013 XI R 28/11, BFH/NV 2013, 1950). Aufgrund der seit dem 01.07.2011 geltenden Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuerdurchführungsverordnung -MwStDVO-), wonach die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung gilt, ist die bisherige Differenzierung zwischen Standard- und anderen Speisen jedoch hinfällig geworden ist (Leonard in Bunjes, UStG, 14. Aufl., § 3 Rz. 246; Rondorf in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz. 59).

53

e) Die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers ist eine Lieferung, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen (EuGH-Urteil vom 10.03.2011 C-497/09 u. a. -Bog u. a., BStBl II 2013, 256). Zusätzliche Dienstleistungselemente, die zu einer Einordnung des Umsatzes als sonstige Leistung führen können, sind u. a. das Endreinigen von Geschirr (BFH-Urteil vom 10.08.2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480), das Abräumen und Endreinigen von Tischen und Geschirr (BFH-Urteil vom 10.08.2006 V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482) und die Zurverfügungstellung von Verzehrvorrichtungen wie Tischen und Stühlen. Letzteres gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (EuGH-Urteil vom 10.03.2011 C-497/09 u. a. -Bog u.a., BStBl II 2013, 256; durch BFH-Urteile vom 27.02.2014 V R 14/13, BFHE 245, 272, BStBl II 2014, 869, abgelehnt für Sitze im Flugzeug; vom 30.06.2011 V R 3/07, BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241, für Sitzgelegenheiten im Foyer eines Kinos).

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f) Nicht einzubeziehen sind Leistungen eines Dritten, auch wenn diese auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt werden (BFH-Urteil vom 10.08.2006 V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482). Leistet der Dritte jedoch an den Unternehmer und dieser wiederum an den Kunden, handelt es sich um ein Dienstleistungselement des speiseabgebenden Unternehmers, das im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist (vgl. UStAE 2015/2016 Abschn. 3.6 Abs. 5 Satz 3 ff.).

55

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Umsätze des Klägers im Bereich der Speisen als sonstige Leistung zu beurteilen. Denn der Kläger hat über die Speisenlieferung hinaus zusätzliche Dienstleistungen erbracht, deretwegen die Leistung insgesamt als sonstige Leistung zu qualifizieren ist.

56

a) Der Kläger erbrachte gegenüber den Kunden, die die Gerichte vor Ort verzehrten, zusätzliche Dienstleistungen, indem er ihnen Tabletts sowie Tische und Sitzmöglichkeiten und, soweit es sich um die Tagesgerichte handelte, Porzellanteller und Besteck zur Verfügung stellte, dieses nach dem Verzehr wieder einsammelte und reinigte.

57

b) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger das - ihm gehörende - Geschirr nicht selbst einsammelte und reinigte und sich die Sitzgelegenheiten nicht in seinem Eigentum befanden. Denn der Hauptmieter, Herr D, erwarb aufgrund des mit der E geschlossenen Vertrages über die Nutzung des Gastronomiebereichs das Recht auf Nutzung der Sitzgelegenheiten durch die Kunden des Imbisses. Zwar hatte der Mieter, worauf der Kläger zutreffend hinweist, nach Ziff. 1.1.10 der Vereinbarung keinen Anspruch auf eine eigene besondere Nutzung des Sitz- und Verzehrbereiches in Form einer ausschließlichen Nutzung der Sitzplätze direkt vor seiner Fläche für seine Kunden und die E gab keine Gewähr dafür, dass für die Kunden des Mieters Sitzplätze in jeweils ausreichender Anzahl vorhanden sein würden. Insbesondere Letzteres steht der Annahme einer zusätzlichen Dienstleistung jedoch nicht entgegen, sondern liegt in der Natur der Sache. Auch bei einem Imbiss mit einem eigenen Sitzbereich kann es vorkommen, dass nicht jeder Kunde einen Platz findet. In jedem Fall erwarb der Hauptmieter durch den Abschluss der Vereinbarung über den Gastronomiebereich das Recht, den Sitz- und Verzehrbereich insgesamt durch die Kunden des Imbisses nutzen zu lassen, und entrichtete hierfür ein Entgelt. Dass der Unternehmer die Nutzung von Sitzgelegenheiten auch durch andere Personen duldet, steht einer Berücksichtigung der Sitzgelegenheiten als Dienstleistungselement nicht entgegen (UStAE 2015/2016 Abschn. 3.6 Abs. 4 Satz 7).

58

Dieses Nutzungsrecht gab der Hauptmieter durch Abschluss des Untermietvertrages mit dem Kläger an diesen weiter. Wenn dort in § 6 Abs. 2 ein "monatliche(s) Entgelt für E für die Nutzung" vereinbart war, kann damit nur die Weiterleitung der Rechte aus der Vereinbarung über den Gastronomiebereich gemeint sein. Etwas anderes hat der Kläger auch nicht behauptet.

59

Die Nutzungsmöglichkeit des Sitz- und Verzehrbereichs durch die Kunden des Imbisses ist somit dem Kläger zuzurechnen, der diese Leistung von seinem Hauptmieter bezog, der sie seinerseits von der E bezog. Es handelt sich nicht um die - nicht als Dienstleistung zu berücksichtigende - Leistung eines Dritten. Der Kläger stellte den Kunden die Sitzmöglichkeit auch ausschließlich deshalb zur Verfügung, um ihnen den Verzehr der von ihm erworbenen Speisen möglicherweise zu erleichtern.

60

3. Die Schätzung des Beklagten bzgl. der Aufteilung der Umsätze ist dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden.

61

a) Der Beklagte war zur Schätzung der Umsatzaufteilung dem Grunde nach befugt.

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aa) Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann, und zwar insbesondere, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder seine Mitwirkungspflicht verletzt. Bei der Aufteilung der Umsätze auf solche zum ermäßigten und solche zum regulären Steuersatz hat der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht aussagekräftige Aufzeichnungen vorzulegen; anderenfalls ist die Finanzbehörde zur Schätzung berechtigt (BFH-Urteil vom 30.06.2011 V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246).

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bb) Der Kläger hat über seine Angabe in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr, er habe rund 85 % des Umsatzes von Speisen durch einen Außer-Haus-Verkauf erzielt, weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren aussagekräftige Aufzeichnungen vorgelegt. Gegen die Richtigkeit dieser Aufteilung spricht zum einen die Lage des Imbisses im Gastronomiebereich des EKZ und zum anderen das durch den Prüfer des Beklagten bei seinen insgesamt fünf Kundenzählungen ermittelte, praktisch genau umgekehrte Aufteilungsergebnis. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Zählungen als Schätzungsgrundlage dienen können, begründen sie jedenfalls erhebliche Zweifel an der zutreffenden Erklärung durch den Kläger. Dass die erklärte Aufteilung den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und eine Schätzung dem Grunde nach erforderlich ist, hat der Kläger schließlich selbst eingeräumt, indem er im hiesigen Verfahren beantragt hat, lediglich (geschätzte) 61,72 % der Umsätze dem Steuersatz von 7 % zu unterwerfen statt wie erklärt 85 %.

64

b) Die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

65

aa) Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel sein (BFH-Urteile vom 23.04.2015 V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106; vom 24.06.2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501, m. w. N.). Ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, muss es jedoch hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientiert (BFH-Beschluss vom 13.07.2000 IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 44 m. w. N.).

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bb) Das Gericht schließt sich der Schätzung des Beklagten an und übernimmt sie als eigene (§ 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO i. V. m. § 162 AO; vgl. BFH-Urteil vom 28.10.2015 X R 47/13, BFH/NV 2016, 171). Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

67

aaa) Der Zeuge F hat durch insgesamt fünf Kundenzählungen an unterschiedlichen Wochentagen und zu unterschiedlichen Tageszeiten ermittelt, dass im Durchschnitt 83 % der Kunden ihre beim Kläger erworbenen Speisen vor Ort, d. h. im Gastronomiebereich, verzehrt haben. Der Zeuge hat in seiner Vernehmung glaubhaft versichert, dass er während der Beobachtungszeiten jeweils durchgehend vor Ort gewesen sei, die Kunden gewissenhaft gezählt und das Ergebnis sogleich nach Ankunft in den Diensträumen des Beklagten, ..., notiert habe. Eventuellen dennoch bestehenden Unsicherheiten und dem Umstand, dass die Anzahl der Kunden nicht direkt proportional zum jeweiligen Speiseumsatz gewesen sein muss, hat der Beklagte hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass er einen Sicherheitsabschlag vorgenommen und einen Umsatz zum Regelsteuersatz von nur 75 % berücksichtigt hat.

68

Der Kläger ist dem nicht durch substantiierte Einwendungen entgegen getreten. Insbesondere hat er, bevor er den Betrieb Mitte 2015 aufgegeben hat, keine eigenen Zählungen durchgeführt bzw. die jeweiligen Umsätze einzeln aufgezeichnet und das Ergebnis unter Beweis gestellt.

69

bbb) Das Schätzungsergebnis ist in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls plausibel. Es ist lebensnah anzunehmen, dass im Wesentlichen Kunden des EKZ und Mitarbeiter der dort und im unmittelbaren Umfeld angesiedelten Firmen und Behörden, ..., den Imbiss des Klägers frequentierten. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, dass der Verzehr der vom Kläger angebotenen Speisen, hauptsächlich Döner, durch die Kunden des EKZ in den Geschäften nicht möglich und das Essen des Döners im Gehen jedenfalls schwierig gewesen wäre. Auch die Mitarbeiter der umliegenden Firmen und Behörden werden die Gerichte im Regelfall während der Mittagspause vor Ort verzehrt haben. Andere Möglichkeiten, sich während des Verzehrs hinzusetzen, waren im EKZ und in der unmittelbaren Umgebung so gut wie nicht vorhanden.

70

Zwar mag es sein, dass, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, auch Schüler der benachbarten Schule in der Pause gekommen sind und ihr beim Kläger erworbenes Essen mitgenommen haben, ebenso wie gelegentlich evtl. auch Anwohner gekommen sein und erworbene Speisen nach Hause mitgenommen haben mögen. Dass diese Fälle aber mehr als die Hälfte des gesamten Speiseumsatzes ausgemacht haben sollen, wie vom Kläger vorgetragen und beantragt, ist angesichts der örtlichen Verhältnisse nicht glaubhaft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die weit überwiegende Mehrheit die Möglichkeit, sich mit ihrem Gericht unmittelbar vor Ort hinzusetzen, auch genutzt hat.

71

ccc) Zudem hat der Beklagte das Ergebnis der durchgeführten Kundenzählungen durch eine Kalkulation anhand des vom Kläger eingekauften Verpackungsmaterials untermauert und ermittelt, dass sich danach, selbst unter Einbeziehung der eingekauften Alufolie und unter der Annahme, dass sämtliche Verpackungen für den Verkauf außer Haus verwendet wurden, maximal ein Umsatzanteil von 35 % zum ermäßigten Steuersatz. Der Kläger hat seine hiervon abweichende Schätzung, dass 20.000 Einwegverpackungen für den Außer-Haus-Verkauf eingesetzt worden seien, in keiner Weise untermauert. Auch die Behauptung des Beklagten, dass das im Rahmen der Schätzung angenommene Gewicht von 200 g verarbeitetem Fleisch pro Döner großzügig bemessen sei und einen Garverlust abdecke, hat der Kläger nicht durch substantiierte Angaben wie etwa einer konkreten Kalkulation bei der Zubereitung eines Döners widerlegt. Im Ergebnis liegt in Ermangelung einer konkreten anderweitigen Kalkulation auf der Grundlage nachprüfbarer Angaben der Ansatz von 25 % innerhalb des Schätzungsrahmens.

72

ddd) Der durch den Kläger gegen das Schätzungsergebnis des Beklagten erhobene Einwand, zahlreiche Kunden hätten zunächst angegeben, das bestellte Gericht mitnehmen zu wollen, und sich erst nach der Abrechnung umentschieden, greift nicht durch. Dabei kann offen bleiben, ob für die Einordnung des Umsatzes allein die Absichtserklärung des Kunden maßgeblich ist und sich eine spätere Änderung seiner Entscheidung nicht auswirkt (so Leonard in Bunjes, UStG, 14. Aufl., § 3 Rz. 247; Rondorf in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz. 656; OFD Niedersachsen vom 28.03.2013, DStR 2013, 387), oder ob auf das zivilrechtliche Leistungsverhältnis abzustellen ist mit der Folge, dass durch die spätere Inanspruchnahme der Sitzgelegenheit mit Einverständnis des Leistenden eine Vertragsänderung zustande kommt, die zur Anwendung des höheren Steuersatzes führt. Denn jedenfalls hat der Kläger nicht belegt, dass derartige Fälle in einer so großen Anzahl vorkamen, dass das Schätzungsergebnis des Beklagten nicht mehr zutreffend wäre. Es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung vielmehr davon auszugehen, dass die weit überwiegende Zahl der Kunden ihre Entscheidung nicht mehr änderte. Davon abgesehen wird es auch Fälle gegeben haben, in denen sich Kunden nach der Kassierung in die andere Richtung umentschieden haben. Schließlich ist wiederum zu berücksichtigen, dass nach den vom Beklagten durchgeführten Kundenzählungen durchschnittlich lediglich 17 % der Kunden die Bestellungen nicht vor Ort verzehrt haben, in der Schätzung aber zugunsten des Klägers 25 % zugrunde gelegt wurden.

73

eee) Der Kläger hat sich im Klageverfahren darauf beschränkt, Ungenauigkeiten in der Schätzung des Beklagten zu benennen, ohne selbst eine durch Unterlagen oder sonstige Beweismittel erhärtete Schätzung vorzunehmen. Die vom Gericht im Erörterungstermin vorgeschlagene Aufteilung von 40 % des Speiseumsatzes auf den ermäßigten Steuersatz lag daher zwar noch im Schätzungsrahmen, befand sich jedoch ganz am unteren Rand, bezogen auf das steuerliche Ergebnis. Das vom Beklagten ermittelte Schätzungsergebnis liegt ebenfalls noch im Schätzungsrahmen, wenn auch zulässigerweise eher am oberen Rand, und wird vom Gericht übernommen.

II.

74

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

75

2. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

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(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. (2) Zu schätzen ist insbesondere dann, we

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 3 Lieferung, sonstige Leistung


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(1) Der Senat kann den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor dem Senat mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf den Senat zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann die Revision nicht gestützt werden.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Umsätze des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) aus dem Betrieb eines Imbissstandes dem Regelsteuersatz unterliegen.

2

Der Kläger verkaufte in einem vor seinem Ladengeschäft (Fleischerei) aufgebauten Imbissstand Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte in verzehrfertigem Zustand. Der Stand hatte eine Größe von ca. 3,5 m x 3,8 m und war mit einem über die Außenwände hinausragenden Dach versehen. Umlaufend war in einer Höhe von ca. 1,10 m ein ca. 0,5 m breites Brett angebracht, auf dem Ketchup und Senfbehälter aufgestellt waren. Der Verkauf war nach allen vier Seiten möglich, tatsächlich wurde jedoch maximal zu zwei Seiten hin verkauft. Die jeweils nicht zum Verkauf genutzten Seiten waren durch herabgelassene Fensterläden geschlossen.

3

Unmittelbar vor dem Stand befand sich eine fest installierte, allgemein zugängliche städtische Sitzbank. Ab dem 1. August 2003 stellte der Kläger eine aus zwei Bänken und einem Tisch bestehende "Bierzeltgarnitur" vor seinem Stand auf.

4

In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre (2000 bis 2003) hatte der Kläger die auf den Imbissstand entfallenden Umsätze dem ermäßigten Steuersatz unterworfen. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass diese Umsätze --mit Ausnahme eines geschätzten Anteils von Außer-Haus-Verkäufen (10 %)-- dem Regelsteuersatz unterlägen und setzte die Umsatzsteuer der Streitjahre durch die Änderungsbescheide vom 24. August 2006 entsprechend höher fest. Den dagegen eingelegten Einsprüchen half das FA mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 9. Januar 2007 aus anderen Gründen teilweise ab, im Übrigen wies es die Einsprüche mit der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2007 als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und begründete sein in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 1837 veröffentlichtes Urteil damit, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle nach § 3 Abs. 9 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) eine sonstige Leistung gewesen sei. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Vorrichtungen in Form eines umlaufenden Brettes am Imbissstand in der angebrachten Höhe und Breite den Kunden typischerweise die Möglichkeit eröffnen sollten, die erworbenen Speisen an Ort und Stelle zu verzehren und von ihnen tatsächlich auch in diesem Sinne genutzt würden. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Teil des Tresens dem Verkauf der Waren gedient habe, da der weit überwiegende Teil des Tresens zum Verzehr der Speisen an Ort und Stelle zur Verfügung gestanden habe. Dem Ergebnis entspreche das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Oktober 2006 V R 58, 59/04 (BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487), wonach die Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen als Dienstleistung dem Regelsteuersatz unterliege, wenn Kunden eines Imbisswagens ihre Speisen unter Benutzung von Tischen, Stühlen und Bänken der Standnachbarn verzehren könnten.

6

Auch unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben habe der Kläger nicht lediglich Lebensmittel geliefert, sondern verzehrfertig zubereitete Speisen verkauft, bei denen in erheblichem Umfang über eine Lieferung hinausgehende Leistungselemente vorlägen: Der Kläger habe alle von ihm verkauften Waren durch Erhitzen in einen verzehrfähigen Zustand gebracht und Vorrichtungen zu deren Verzehr an Ort und Stelle sowie Zutaten wie Ketchup und Senf zur Selbstbedienung zur Verfügung gestellt.

7

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 hat der erkennende Senat das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in den zum gemeinsamen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbundenen Rechtssachen C-497/09 und C-501/09 angeordnet. Der EuGH hat mit Urteil vom 10. März 2011 C-497/09, C-499/09, C-501/09, C-502/09 Bog u.a. (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2011, 272) die ihm vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:

8

"1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen (...) eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen; (...).

9

2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff "Nahrungsmittel" in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind."

10

Hierauf hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen:

11

Der EuGH habe in Randziffer 69 dieses Urteils die charakteristischen Dienstleistungsmerkmale eines typischen Restaurationsumsatzes aufgeführt. Ebenso wie in den Verfahren C-497/09 und C-501/09 biete der Kläger an seinem Imbissstand kein einziges der aufgeführten Dienstleistungsbestandteile an.

12

Da auf die qualitative Prüfung der Dienstleistungselemente des gesamten Umsatzes abgestellt werde, könne die seit 1. August 2003 aufgestellte und nicht überdachte Bierzeltgarnitur nicht für alle Umsätze prägend sein. Aus Randziffer 73 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272 ergebe sich, dass selbst umfangreicheres und eigenes Mobiliar nicht ausschließlich dazu bestimmt gewesen sei, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern. Dies müsse erst recht für "Fremdmobiliar" --wie die vom FG berücksichtigte städtische Sitzbank-- gelten, auf deren Vorhandensein der Kläger keinen Einfluss habe.

13

Im Übrigen habe das FG nicht --wie erforderlich-- jeden einzelnen Umsatz für sich betrachtet. Bei den schätzungsweise mit 10 % angesetzten Umsätzen zum ermäßigten Steuersatz handele es sich um "verpackte Ware", also um solche Nahrungsmittel, die ohnehin nicht zum "Verzehr an Ort und Stelle" geliefert worden seien. Derartige Umsätze seien nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen.

14

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG vom 4. Juni 2006  16 K 10040/07 aufzuheben und die Umsatzsteuer 2000 bis 2003 gemäß Klageantrag auf 8.744,42 € (2000), 9.488,43 € (2001), 8.056 € (2002) und 5.758,04 € (2003) herabzusetzen.

15

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

16

Nachdem es zunächst die Vorentscheidung verteidigt hatte, trägt es im Anschluss an das EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 vor:

17

Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt entspreche im Wesentlichen den Rechtssachen C-497/09 und C-501/09. Nach den darin aufgestellten Grundsätzen lägen auch im Streitfall Lieferungen vor. Sollte der BFH über die Verfahren XI R 37/08 und V R 35/08 ohne Berücksichtigung anderer Kriterien in diesem Sinne entscheiden, erkenne das FA den ermäßigten Steuersatz für den Umsatz von Nahrungsmitteln des Imbissstandes bis zum 31. Juli 2003 an.

18

Seit dem 1. August 2003 ständen den Kunden des Imbissstandes jedoch eine Bierzeltgarnitur und ein Stehtisch zur Verfügung. Aus der EuGH-Entscheidung gehe nicht eindeutig hervor, ob Bierzeltgarnitur und Stehtisch bereits als besondere Dienstleistungselemente ausreichten und qualitativ überwiegen. Das FA sei an die derzeitige Verwaltungsauffassung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 16. Oktober 2008 in BStBl I 2008, 949 (Beispiel 2) gebunden. Danach reichten das Vorhandensein von Stehtisch und Bierzeltgarnitur zur Anwendung des Regelsteuersatzes aus.

19

Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 27. April 2011 (Kläger) und vom 28. April 2011 (FA) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

20

II. Die Revision des Klägers ist begründet.

21

Sie führt für die Streitjahre 2000 bis 2002 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), für das Streitjahr 2003 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Entgegen dem Urteil des FG unterliegen die Umsätze des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 in vollem Umfang und im Streitjahr 2003 zum Teil dem ermäßigten Steuersatz.

22

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 in der in den Streitjahren geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die "Lieferung" der in der Anlage bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. "Zubereitungen von Fleisch ..." (Nr. 28), "Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch" (Nr. 31) und "verschiedene Lebensmittelzubereitungen" (Nr. 33). Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes Gebrauch gemacht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze "... sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar". In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind genannt: "Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse."

23

a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

24

b) Die Abgabe von Bratwürsten, Pommes Frites und ähnlichen standardisiert zubereiteten Speisen an einem mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissstand ist eine einheitliche Leistung (vgl. EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 56; BFH-Urteile vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673; vom 1. April 2009 XI R 3/08, BFH/NV 2009, 1469), die eine Lieferung darstellt und die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 28, 31 und 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.

25

aa) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist "die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen" (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 62; BFH-Urteile vom 18. Februar 2009 V R 90/07, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, m.w.N., und vom 10. August 2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m.w.N.).

26

bb) Zu  der Frage, ob die einheitliche Leistung bei der Abgabe standardisiert zubereiteter, verzehrfertiger Speisen an mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissständen als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist, hat der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 entschieden, dass die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr das überwiegende Element der betreffenden Umsätze darstellt, da die Dienstleistungselemente nur in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen bestehen, d.h. "ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien zu ermöglichen. Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügigen personellen Einsatz. Unter diesen Umständen stellen diese Elemente nur geringfügige Nebenleistungen dar und können am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d.h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern" (Rdnr. 70). "Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes darstellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann" (Rdnr. 74).

27

Soweit für den Verzehr Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke) zur Verfügung steht, ist zu berücksichtigen, dass "das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, nicht als Dienstleistungselement angesehen werden [kann], das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen" (Rdnr. 73).

28

cc) Der Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall steht die Regelung in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 19. November 2009 C-314/08 Filipiak, Slg. 2009, I-11049, BFH/NV 2010, 136 Rdnrn. 81, 82, m.w.N.; BFH-Urteile vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, unter II.2.a; vom 22. Juli 2008 VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.). Für die Anwendung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bedeutet dies, dass soweit die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung Lieferung und sonstige Leistung maßgebend sind (BFH-Urteil in BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a, m.w.N.) und dabei die vorstehende EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist.

29

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei den mit dem Imbissstand erzielten Umsätzen des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 um Lieferungen, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

30

a) Nach den das Gericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG verkaufte der Kläger Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte. Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich um verzehrfertige Speisen handelte, die keine über die einfache, standardisierte Zubereitung von Lebensmitteln hinausgehenden Leistungen des Klägers erforderten.

31

b) Entgegen dem Urteil des FG führen das Vorhandensein und die Nutzung der vor dem Imbissstand installierten städtischen Bank zum Verzehr der zubereiteten Speisen nicht zur Beurteilung als sonstige Leistung.

32

aa) Verzehrvorrichtungen sind bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung nur zu berücksichtigen, wenn sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 73). Das FG hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Senats gestützt, wonach Verzehrvorrichtungen eines Dritten berücksichtigt werden können, wenn diese auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt waren (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; BFH-Urteil vom 10. August 2006 V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482). Im Hinblick auf das EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 hält der Senat daran nicht mehr fest (Änderung der Rechtsprechung).

33

bb) Im Streitfall ist daher die Berücksichtigung der Bank ausgeschlossen, weil sie nicht vom Kläger als Verzehrvorrichtung zur Verfügung gestellt, sondern von der Stadt im Rahmen des Gemeingebrauchs der Allgemeinheit überlassen wurde.

34

cc) Die streitigen Umsätze des Klägers unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, weil die von ihm gelieferten Lebensmittel in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnet sind (Zubereitungen von Fleisch usw. --Nr. 28--, aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren --Nr. 31--, Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. --Nr. 32-- oder verschiedene Lebensmittelzubereitungen --Nr. 33--). Aus der Antwort zu 2 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272 ergibt sich, dass dies im Einklang mit Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG steht, weil Anhang H auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

35

3. Die im Streitjahr 2003 erzielten Umsätze des Klägers aus dem Betrieb des Imbissstands unterliegen nach den vorstehenden Grundsätzen bis zum 31. Juli 2003 in voller Höhe als Lieferungen dem ermäßigten Steuersatz. Seit dem 1. August 2003 erzielte der Kläger daneben aber auch Umsätze, die als Dienstleistungen anzusehen sind und daher dem Regelsteuersatz unterliegen.

36

a) Wie das FG festgestellt hat, hatte der Kläger ab dem 1. August 2003 vor seinem Imbiss eine Bierzeltgarnitur aufgestellt, die aus einem Tisch und zwei Bänken bestand. Bei den hierauf entfallenden Umsätzen handelt es sich nicht um die Lieferungen von Lebensmitteln, sondern um Dienstleistungen.

37

Als für Restaurationsleistungen charakteristische Dienstleistungsbestandteile erwähnt der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 69 zwar Kellnerservice, Beratung und Bedienung der Kunden im eigentlichen Sinne sowie das Vorhandensein geschlossener, temperierter Räume speziell für den Verzehr der abgegebenen Speisen, Garderobe und Toiletten und die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar und Gedeck. Während die Bereitstellung "behelfsmäßiger Vorrichtungen, d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit" nur als geringfügige Nebenleistung anzusehen sind und am dominierenden Charakter einer Lieferung von Gegenständen nichts ändern (Rdnr. 70 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272), verlangen dem Verzehr dienliche Elemente, wie die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar --im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos-- einen gewissen personellen Einsatz, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen (EuGH-Urteil Bog u.a in UR 2011, 272 Rdnr. 79).

38

Im Unterschied zur lediglich "behelfsmäßigen Infrastruktur" von Imbissständen stellte der Kläger seinen Kunden seit dem 1. August 2003 zusätzlich "Mobiliar" (Tisch mit Sitzgelegenheit) zur Verfügung, das ausschließlich dazu bestimmt war, den Verzehr der Speisen zu erleichtern. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Auf- und Abbau sowie die Reinigung der Bierzeltgarnitur einen "gewissen personellen Einsatz" erfordern, wird im Streitfall die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten.

39

b) Das FG-Urteil entspricht insoweit nicht den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung, als es die gesamten Imbissstand-Umsätze in 2003 dem Regelsteuersatz unterworfen hat. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zutreffend-- noch keine Feststellungen zum Umfang der auf die Bierzeltgarnitur entfallenden Restaurationsumsätze getroffen.

40

c) Im zweiten Rechtsgang wird das FG eine Aufteilung der Umsätze des Streitjahres 2003 vorzunehmen haben. Sofern der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 der Abgabenordnung) hierzu keine aussagekräftigen Aufzeichnungen vorlegt, kann die Aufteilung im Wege einer Schätzung erfolgen. Bestehen keine Zweifel daran, dass die Bierzeltgarnitur auch im November und Dezember 2003 aufgestellt wurde, ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG bei der Aufteilung des um 10 % (Außer-Haus-Verkäufe) geminderten Umsatzes vom 1. August bis 31. Dezember 2003 auch das Verhältnis der (möglichen) Stehplätze am Imbissstand zu den (möglichen) Sitzplätzen auf den beiden Bänken der Bierzeltgarnitur berücksichtigt.

(1) Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

(1a) Als Lieferung gegen Entgelt gilt das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Lieferer. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in den Fällen des § 6b.

(1b) Einer Lieferung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Entnahme eines Gegenstands durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen;
2.
die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands durch einen Unternehmer an sein Personal für dessen privaten Bedarf, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen;
3.
jede andere unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens.
Voraussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.

(2) (weggefallen)

(3) Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs) liegt zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer.

(3a) Ein Unternehmer, der mittels seiner elektronischen Schnittstelle die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Empfänger nach § 3a Absatz 5 Satz 1 unterstützt, wird behandelt, als ob er diesen Gegenstand für sein Unternehmen selbst erhalten und geliefert hätte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Unternehmer mittels seiner elektronischen Schnittstelle den Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro unterstützt. Eine elektronische Schnittstelle im Sinne der Sätze 1 und 2 ist ein elektronischer Marktplatz, eine elektronische Plattform, ein elektronisches Portal oder Ähnliches. Ein Fernverkauf im Sinne des Satzes 2 ist die Lieferung eines Gegenstands, der durch den Lieferer oder für dessen Rechnung aus dem Drittlandsgebiet an einen Erwerber in einem Mitgliedstaat befördert oder versendet wird, einschließlich jener Lieferung, an deren Beförderung oder Versendung der Lieferer indirekt beteiligt ist. Erwerber im Sinne des Satzes 4 ist ein in § 3a Absatz 5 Satz 1 bezeichneter Empfänger oder eine in § 1a Absatz 3 Nummer 1 genannte Person, die weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschreitet noch auf ihre Anwendung verzichtet; im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ist die von diesem Mitgliedstaat festgesetzte Erwerbsschwelle maßgebend. Satz 2 gilt nicht für die Lieferung neuer Fahrzeuge und eines Gegenstandes, der mit oder ohne probeweise Inbetriebnahme durch den Lieferer oder für dessen Rechnung montiert oder installiert geliefert wird.

(4) Hat der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen und verwendet er hierbei Stoffe, die er selbst beschafft, so ist die Leistung als Lieferung anzusehen (Werklieferung), wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Das gilt auch dann, wenn die Gegenstände mit dem Grund und Boden fest verbunden werden.

(5) Hat ein Abnehmer dem Lieferer die Nebenerzeugnisse oder Abfälle, die bei der Bearbeitung oder Verarbeitung des ihm übergebenen Gegenstands entstehen, zurückzugeben, so beschränkt sich die Lieferung auf den Gehalt des Gegenstands an den Bestandteilen, die dem Abnehmer verbleiben. Das gilt auch dann, wenn der Abnehmer an Stelle der bei der Bearbeitung oder Verarbeitung entstehenden Nebenerzeugnisse oder Abfälle Gegenstände gleicher Art zurückgibt, wie sie in seinem Unternehmen regelmäßig anfallen.

(5a) Der Ort der Lieferung richtet sich vorbehaltlich der §§ 3c, 3e und 3g nach den Absätzen 6 bis 8.

(6) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Befördern ist jede Fortbewegung eines Gegenstands. Versenden liegt vor, wenn jemand die Beförderung durch einen selbständigen Beauftragten ausführen oder besorgen lässt. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstands an den Beauftragten.

(6a) Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), so ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung dabei durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen. Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der zugleich Lieferer ist (Zwischenhändler), ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates und verwendet der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. Gelangt der Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer verwendet, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde. Gelangt der Gegenstand der Lieferung vom Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Gegenstand der Lieferung im Namen des Zwischenhändlers oder im Rahmen der indirekten Stellvertretung (Artikel 18 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1) für seine Rechnung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet wird.

(6b) Wird ein Unternehmer gemäß Absatz 3a behandelt, als ob er einen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte, wird die Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch diesen Unternehmer zugeschrieben.

(7) Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. In den Fällen der Absätze 6a und 6b gilt Folgendes:

1.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt.
2.
Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands endet.

(8) Gelangt der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung oder Versendung aus dem Drittlandsgebiet in das Inland, gilt der Ort der Lieferung dieses Gegenstands als im Inland gelegen, wenn der Lieferer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist.

(8a) (weggefallen)

(9) Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. Sie können auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustands bestehen.

(9a) Einer sonstigen Leistung gegen Entgelt werden gleichgestellt

1.
die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen; dies gilt nicht, wenn der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1b ausgeschlossen oder wenn eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Absatz 6a durchzuführen ist;
2.
die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.

(10) Überlässt ein Unternehmer einem Auftraggeber, der ihm einen Stoff zur Herstellung eines Gegenstands übergeben hat, an Stelle des herzustellenden Gegenstands einen gleichartigen Gegenstand, wie er ihn in seinem Unternehmen aus solchem Stoff herzustellen pflegt, so gilt die Leistung des Unternehmers als Werkleistung, wenn das Entgelt für die Leistung nach Art eines Werklohns unabhängig vom Unterschied zwischen dem Marktpreis des empfangenen Stoffs und dem des überlassenen Gegenstandes berechnet wird.

(11) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung eingeschaltet und handelt er dabei im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung, gilt diese Leistung als an ihn und von ihm erbracht.

(11a) Wird ein Unternehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung, die über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht wird, eingeschaltet, gilt er im Sinne von Absatz 11 als im eigenen Namen und für fremde Rechnung handelnd. Dies gilt nicht, wenn der Anbieter dieser sonstigen Leistung von dem Unternehmer als Leistungserbringer ausdrücklich benannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn

1.
in den von jedem an der Erbringung beteiligten Unternehmer ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind;
2.
in den dem Leistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnungen die sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 und der Erbringer dieser Leistung angegeben sind.
Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn der Unternehmer hinsichtlich der Erbringung der sonstigen Leistung im Sinne des Satzes 2
1.
die Abrechnung gegenüber dem Leistungsempfänger autorisiert,
2.
die Erbringung der sonstigen Leistung genehmigt oder
3.
die allgemeinen Bedingungen der Leistungserbringung festlegt.
Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, wenn der Unternehmer lediglich Zahlungen in Bezug auf die erbrachte sonstige Leistung im Sinne des Satzes 2 abwickelt und nicht an der Erbringung dieser sonstigen Leistung beteiligt ist.

(12) Ein Tausch liegt vor, wenn das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung besteht. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht.

(13) Ein Gutschein (Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein) ist ein Instrument, bei dem

1.
die Verpflichtung besteht, es als vollständige oder teilweise Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung anzunehmen und
2.
der Liefergegenstand oder die sonstige Leistung oder die Identität des leistenden Unternehmers entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind.
Instrumente, die lediglich zu einem Preisnachlass berechtigen, sind keine Gutscheine im Sinne des Satzes 1.

(14) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen, ist ein Einzweck-Gutschein. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im eigenen Namen, gilt die Übertragung des Gutscheins als die Lieferung des Gegenstands oder die Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im Namen eines anderen Unternehmers, gilt diese Übertragung als Lieferung des Gegenstands oder Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, durch den Unternehmer, in dessen Namen die Übertragung des Gutscheins erfolgt. Wird die im Einzweck-Gutschein bezeichnete Leistung von einem anderen Unternehmer erbracht als dem, der den Gutschein im eigenen Namen ausgestellt hat, wird der leistende Unternehmer so behandelt, als habe er die im Gutschein bezeichnete Leistung an den Aussteller erbracht. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die ein Einzweck-Gutschein als Gegenleistung angenommen wird, gilt in den Fällen der Sätze 2 bis 4 nicht als unabhängiger Umsatz.

(15) Ein Gutschein im Sinne des Absatzes 13, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ist ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der Umsatzsteuer nach § 1 Absatz 1, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Umsatzsteuer unterliegt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, war in den Streitjahren 2003 bis 2007 im Gaststätten-Service/Catering tätig und belieferte u.a. Schulen und Kindergärten mit Mahlzeiten.

2

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hat die Klägerin die wöchentlichen oder monatlichen Essens- und Speisepläne für die Kindergärten in Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen und den Elternkuratorien unter regelmäßiger Abwägung der Einzelwünsche erstellt, die Rechnungsbeträge von den Eltern im Lastschriftverfahren eingezogen, das Essen zu festgelegten Zeitpunkten in speziellen Thermobehältern angeliefert, dessen Empfang vor Ort durch ihre Mitarbeiter sichergestellt sowie es dort in Schüsseln vorportioniert und das von der belieferten Einrichtung jeweils zur Verfügung gestellte Geschirr und Besteck im Anschluss an die Mahlzeiten gereinigt.

3

Anlässlich einer Betriebsprüfung stellte die Prüferin fest, dass die Klägerin die Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an Schulen dem Regelsteuersatz i.S. des § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterworfen habe, während die Umsätze aus an Kindergärten gelieferten Mahlzeiten gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG mit dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % erfasst worden seien. Nach Ansicht der Prüferin waren hingegen auch die Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an Kindergärten dem Regelsteuersatz zu unterwerfen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) änderte dementsprechend mit Bescheiden vom 18. Mai 2009 und 23. Juli 2009 die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre.

5

Die hiergegen gerichteten Einsprüche und die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen hatten keinen Erfolg.

6

Das FG führte zur Begründung aus, dass bei den streitigen Leistungen nicht von einer ermäßigt zu besteuernden bloßen Lieferung von verzehrfertigen Speisen ausgegangen werden könne.

7

Dem überwiegenden Dienstleistungscharakter der von der Klägerin erbrachten Leistungen stehe nicht entgegen, dass die Erzieherinnen die Essensverteilung an die Kinder und das anschließende Abräumen übernommen hätten, so dass keine --wie bei Bewirtungsleistungen üblich-- direkte Essenszuteilung am Tisch und die Bedienung des Kunden stattgefunden habe.

8

Von einer durch § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG begünstigten Lieferung könne nur ausgegangen werden, soweit --anders als hier-- lediglich standardisierte, also ohne vorherige Abstimmung mit dem Kunden hergestellte Speisen abgegeben würden und zusätzliche Dienstleistungselemente fehlten.

9

Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 758 veröffentlicht.

10

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

11

Sie bringt vor, die Speisenlieferung sei --entgegen der Auffassung des FG-- der dominierende Bestandteil der streitigen Umsätze gewesen.

12

Die "Feinabstimmungen", in der im Durchschnitt nur ein Mal pro Quartal stattfindenden Sitzungen der Elternkuratorien --wie weniger Zucker, weniger Salz, mehr Salate--, die zudem der Vermarktung dienten, führten nicht zu einer individuellen Herstellung der Speisen nach Kundenwunsch.

13

Die "vorlaufenden Dienstleistungen" der Vermarktung sowie --wie hier das Kassieren des Entgelts-- die "nachlaufenden Dienstleistungen" seien nicht für die Beurteilung bestimmend, ob eine Speisenlieferung oder eine Bewirtung vorliege.

14

Ebenso seien das Vorhalten spezieller Thermobehälter sowie einer entsprechenden Organisation und die Übernahme der Geschirr- und Besteckreinigung für die gesamte Leistung nicht prägend.

15

Hingegen spreche für eine Speisenlieferung, dass sie, die Klägerin, kein Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt habe.

16

Bei der Auslieferung von täglich insgesamt ca. … Speisen, von denen ca. … auf die Kindergärten entfielen, sei eine individuelle Zubereitung dieser Mahlzeiten nicht gegeben. Derartige Produktionsabläufe seien nur in standardisierter Form zu bewältigen. Die gelieferten Speisen seien mithin als Standardspeisen zu qualifizieren.

17

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidungen vom 21. Oktober 2009 aufzuheben und die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2003 bis 2005 vom 18. Mai 2009 und für 2006 und 2007 vom 23. Juli 2009 dahingehend zu ändern, dass die streitigen Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an die Kindergärten dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % unterworfen werden.

18

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

19

Es tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen und bringt ergänzend vor, dass die streitigen Leistungen der Klägerin nicht mit denen verglichen werden könnten, die Imbissstände und Kino-Foyers erbrächten.

20

Aus der Sicht der von der Klägerin versorgten Einrichtungen liege der qualitativ überwiegende Bestandteil der erbrachten Leistungen in den zusätzlichen Dienstleistungselementen, weil --hätte die Klägerin sie nicht erbracht-- hierfür zusätzliches Personal von den Kindergärten hätte eingestellt werden müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

22

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin erbrachten Leistungen dem Regelsteuersatz i.S. des § 12 Abs. 1 UStG unterliegen, weil es sich bei ihnen um sonstige Leistungen handelt, für die der ermäßigte Steuersatz i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht gilt.

23

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für "die Lieferungen" der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände.

24

a) Nach § 3 Abs. 1 UStG sind "Lieferungen eines Unternehmers... Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)".

25

b) Demgegenüber sind sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG "Leistungen, die keine Lieferungen sind". Die für die Streitjahre noch gültigen und inzwischen aufgehobenen Sätze 4 und 5 dieser Vorschrift hatten folgenden Wortlaut: "Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden."

26

c) Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) --nunmehr Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)--, wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, sowie auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Dienstleistung jede Leistung gilt, die keine Lieferung eines Gegenstands i.S. des Art. 5 dieser Richtlinie ist --nunmehr Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL, wonach als Dienstleistung jeder Umsatz gilt, der keine Lieferung von Gegenständen ist--.

27

2. Bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung ist das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. März 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09 --Bog u.a.-- (Slg. 2011, I-1457, Deutsches Steuerrecht 2011, 515, Umsatzsteuer-Rundschau 2011, 272) zu beachten (vgl. dazu auch Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 12 f.; vom 23. November 2011 XI R 6/08, BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 23; ferner BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2011 V R 47/10, BFH/NV 2012, 812, Rz 12 f.).

28

Die Abgabe von Speisen zu festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern ist danach nur dann eine Lieferung und keine sonstige Leistung, wenn es sich um Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes handelt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 17; BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 812, Rz 13). Nur beim Vorliegen einer Standardspeise kommt es für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung auf zusätzliche Dienstleistungselemente --wie z.B. Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und Besteck-- an. Handelt es sich um eine qualitativ höherwertige Speise als eine Standardzubereitung, liegt demgegenüber auch ohne derartige zusätzliche Dienstleistungselemente eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vor (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 812, Rz 13).

29

3. Nach diesen Grundsätzen ist die Tätigkeit der Klägerin --wovon das FG zutreffend ausging-- selbst dann als sonstige Leistung zu beurteilen, wenn die gelieferten Speisen --wie die Klägerin meint-- als Standardspeisen zu beurteilen wären. Im Streitfall kann daher dahinstehen, ob entsprechend dem Vortrag der Klägerin aufgrund der Fertigung von täglich insgesamt ca. … Speisen im standardisierten Produktionsablauf die hiervon an die Kindergärten gelieferten ca. … Mahlzeiten als Standardspeisen anzusehen sind.

30

a) Die Klägerin hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des FG, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, über die Speisenlieferung hinaus zusätzliche Dienstleistungen --mit den Erzieherinnen und Elternkuratorien abgestimmte Speiseplanerstellung, Vorportionierung durch eine Servicekraft und anschließende Geschirr- und Besteckreinigung-- erbracht. Dies genügt nach den vorgenannten Grundsätzen --entgegen der Ansicht der Klägerin-- für die Annahme einer der Regelbesteuerung i.S. des § 12 Abs. 1 UStG zu unterwerfenden sonstigen Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 UStG (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 812, Rz 15 f.).

31

Besondere Umstände, die belegen, dass die Lieferung von Speisen trotz der von der Klägerin zusätzlich erbrachten Dienstleistungen dominierender Leistungsbestandteil war, sind demgegenüber nicht ersichtlich. Sie ergeben sich --entgegen der Ansicht der Klägerin-- weder aus der fehlenden Zurverfügungstellung von Geschirr und Besteck noch aus der fehlenden Essenszuteilung am Tisch und der nicht vorhandenen Bedienung.

32

b) Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass sich --wie im Streitfall-- die in Großküchen ausgeübte Tätigkeit auf die Abgabe von Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungen nach Art eines Imbissstandes beschränkt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 24). Selbst die Klägerin hat nicht vorgebracht, dass es sich bei den an die Kindergärten gelieferten Mahlzeiten um Speisen nach Art eines Imbissstandes gehandelt habe. Die Abgabe von Speisen --wie hier-- nach Maßgabe eines mit dem Leistungsempfänger vereinbarten Speiseplans zu vereinbarten Zeitpunkten in Warmhaltebehältern ist mit der Abgabe von Standardspeisen nach Art eines Imbissstandes nicht vergleichbar und kann daher auch nicht gleich beurteilt werden (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 24), auch wenn --wie die Klägerin einwendet-- der Betreiber eines Imbisswagens oder Verkaufsstandes ebenfalls auf Kundenwünsche eingehen muss, um sein Geschäft dauerhaft zu betreiben.

33

4. Im Streitfall nicht zu berücksichtigen war ferner Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Denn die Verordnung gilt nach ihrem Art. 65 erst ab 1. Juli 2011. Die Frage, welche Bedeutung dieser Regelung unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zukommt, stellt sich im Streitfall, der die Streitjahre 2003 bis 2007 betrifft, mithin nicht.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Fluggesellschaft, stellte in den Streitjahren (1999 bis 2001) auf grenzüberschreitenden Flügen ihren Fluggästen Speisen und Getränke zur Verfügung, die die Kunden durch den Flugpreis vergüteten. Darüber hinaus stellte sie den Fluggästen gegen gesondertes Entgelt weitere Speisen und Getränke wie z.B. Snacks, Süßigkeiten und (alkoholische) Getränke zur Verfügung. Die Klägerin war der Auffassung, dass auch die Abgabe von Speisen und Getränken gegen gesondertes Entgelt nicht der Umsatzsteuer unterliege.

2

Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Abgabe von Speisen und Getränken gegen gesondertes Entgelt nicht steuerfrei sei und erließ für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderte Steuerbescheide. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

3

Das Finanzgericht (FG) gab in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 973 veröffentlichten Urteil der Klage insoweit statt, als die Klägerin Speisen und Getränke gegen gesondertes Entgelt bei Flügen in Drittstaaten im Inland als nichtsteuerbare Leistung abgegeben habe. Demgegenüber sei die Abgabe von Speisen und Getränken gegen gesondertes Entgelt bei Flügen im Gemeinschaftsgebiet gemäß § 3e des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (UStG) steuerbar und auch steuerpflichtig gewesen. Die entgeltliche Abgabe von Süßigkeiten und (alkoholischen) Getränken an Bord eines Flugzeugs sei --anders als die sog. inkludierte Restauration-- nicht als unselbständige Nebenleistung Teil eines Flugbeförderungsgeschäfts, das gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 UStG von der Umsatzbesteuerung auszunehmen sei. Es handele sich um eigenständige Lieferungen von Gegenständen, nicht aber --auch unter Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Klapptischen-- um sonstige Leistungen. § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG sei nicht anzuwenden.

4

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, für die sie Verletzung materiellen Rechts anführt. Die Abgabe der Speisen und Getränke zum Verzehr an Bord der Flugzeuge gegen gesondertes Entgelt unterliege als Teil der grenzüberschreitenden Personenbeförderung im Luftverkehr nicht der Umsatzsteuer. Zumindest sei § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG analog anzuwenden. Die eigenständige Bestellung und Bezahlung der Speisen und Getränke stehe der Annahme einer Nebenleistung nicht entgegen. Es sei nicht zwischen einer Grundversorgung mit Nahrungsmitteln an Bord und einer darüber hinausgehenden Genussbefriedigung zu unterscheiden. Eine derartige Differenzierung stehe nicht mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in Einklang. Der Verzehr der Speisen und Getränke sei örtlich und zeitlich an den Flug gebunden. Zwischen Schiffs- und Flugreisen sei nicht zu differenzieren. Auf die Preisgestaltung komme es nicht an.

5

Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Aufhebung des Urteils des FG und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 1. April 2009 und unter Abänderung der Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 vom 6. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. April 2009 die Umsatzsteuer 1999 auf ... €, die Umsatzsteuer 2000 auf ... € und die Umsatzsteuer 2001 auf ... € festzusetzen.

6

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Es lägen gesonderte Lieferungen vor, die gegenüber der Flugbeförderung eigenständig seien. Die Lieferungen seien nicht steuerfrei.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass es sich bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen um Lieferungen i.S. von § 3 Abs. 1 UStG handelte, die bei den im Revisionsverfahren noch streitigen Beförderungen innerhalb des Gemeinschaftsgebiets gemäß § 3e UStG als am Abgangsort des jeweiligen Beförderungsmittels im Gemeinschaftsgebiet erbracht gelten. Diese Lieferungen sind nicht steuerfrei und unterliegen auch keinem Besteuerungsverzicht.

9

1. Die Klägerin hat mit der Abgabe von Speisen und Getränken im Inland steuerbare Lieferungen ausgeführt.

10

a) Wird ein Gegenstand an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn während einer Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets geliefert, gilt gemäß § 3e Abs. 1 UStG der Abgangsort des jeweiligen Beförderungsmittels im Gemeinschaftsgebiet als Ort der Lieferung.

11

Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Für den Fall, dass die Lieferung von Gegenständen an Bord eines Schiffes, eines Flugzeugs oder in einer Eisenbahn und während des innerhalb der Gemeinschaft stattfindenden Teils einer Beförderung erfolgt, gilt danach als Ort der Lieferung der Abgangsort des Personenbeförderungsmittels.

12

Unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht ersichtlich, dass § 3e Abs. 1 UStG im Widerspruch zu seinem eindeutigen Wortlaut, der nicht nach der Art der gelieferten Gegenstände unterscheidet, auf bestimmte Arten von Lieferungen wie etwa der Lieferung "abgabenfreier Ware" zu beschränken sein könnte.

13

b) Die von der Klägerin ausgeführten Leistungen sind umsatzsteuerrechtlich als Lieferungen i.S. des § 3 Abs. 1 UStG und nicht als sonstige Leistungen anzusehen.

14

Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Demgegenüber war gemäß § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung, wobei Speisen und Getränke in diesem Sinne zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben wurden, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt waren, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang stand, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten wurden.

15

Da der Wortlaut dieser Regelungen nicht in vollem Umfang richtlinienkonform war (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a), bestimmten § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht abschließend, unter welchen Voraussetzungen die Abgabe von Speisen als sonstige Leistung zu beurteilen ist (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, unter II.2.c), d.h. allein der Umstand, dass Speisen und Getränke zum "Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden", rechtfertigt nicht die Annahme einer sonstigen Leistung (BFH-Urteil in BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673). Vielmehr liegt bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung bei der Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr eine Lieferung vor, wenn es sich um die Abgabe von "Standardspeisen" als Ergebnis einer "einfachen, standardisierten Zubereitung" handelt (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 10. März 2011 Bog u.a. in den verbundenen Rechtssachen C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Slg. 2011, I-1457).

16

Soweit es sich bei den von der Klägerin verkauften Snacks überhaupt um frisch zubereitete Speisen gehandelt hat, hat es sich jedenfalls um Standardspeisen in diesem Sinn gehandelt, bei deren Verkauf von einer Lieferung auszugehen ist.

17

Im Streitfall erfolgte die Abgabe von Snacks, kleinen Süßigkeiten und Getränken als Lieferung i.S. von § 3 Abs. 1 UStG. Es handelt sich insbesondere nicht um die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr, bei denen unter bestimmten Voraussetzungen die Annahme einer sonstigen Leistung in Betracht kommen kann (vgl. hierzu allgemein EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457, und BFH-Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250).

18

Das Vorliegen einer sonstigen Leistung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Klägerin Speisen und Getränke an die von ihr sitzend beförderten Fluggäste abgab. Denn als Dienstleistungselement ist bereitgestelltes Mobiliar des Leistenden nicht zu berücksichtigen, wenn es --wie im Streitfall die Sitze und die an ihnen angebrachten Klapptische-- nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern (BFH-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 3/07, BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241, Leitsatz 2).

19

c) Bei den Lieferungen der Klägerin handelte es sich nicht um Nebenleistungen zur Flugbeförderung.

20

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist in der Regel jede Lieferung oder Dienstleistung eine eigene, selbständige Leistung. Bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen umfasst, ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz. Dabei sind unter Berücksichtigung eines Durchschnittsverbrauchers die charakteristischen Merkmale des Umsatzes zu ermitteln. Insoweit darf einerseits eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespalten werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt erbrachte Einzelumsätze als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind (BFH-Urteil vom 10. Januar 2013 V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, unter II.1.a aa). Danach liegt eine einheitliche Leistung insbesondere dann vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Bog u.a. in Slg. 2011, I-1457, Rdnr. 54, und Senatsurteil in BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, unter II.1.a bb (1).

21

Nach der Rechtsprechung des BFH sind bei einer auch Unterkunft und Verpflegung umfassenden Pauschalreise auf einem Schiff Übernachtung und Verpflegung Nebenleistungen zur Beförderung als Hauptleistung (BFH-Urteile vom 1. August 1996 V R 58/94, BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160, unter III.2.a bb; vom 29. August 1996 V R 103/93, BFH/NV 1997, 383, und vom 19. September 1996 V R 129/93, BFHE 181, 216, BStBl II 1997, 164). Hiervon geht der BFH auch bei einer mehrtägigen Hochseeangelreise aus (BFH-Urteil vom 2. März 2011 XI R 25/09, BFHE 233, 348, BStBl II 2011, 737, Leitsatz).

22

bb) Im Streitfall waren die Lieferungen der Speisen und Getränke keine Nebenleistungen zur Flugbeförderung.

23

Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Abgabe dieser Gegenstände, die der Befriedigung eigenständiger Konsum- und Verbrauchszwecke dient, ein Mittel ist, um die Flugbeförderung als Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Welche Bedeutung vollwertigen Mahlzeiten an Bord eines Flugzeugs zukommt, deren Abgabe im Hinblick auf die Flugdauer erforderlich sein kann, ist im Streitfall nicht zu entscheiden.

24

Gegen die Behandlung als Nebenleistung spricht zudem die eigenständige Preisbildung. Insoweit ist zu berücksichtigen, "dass die Rechnungsstellungs- und Preisbildungsmodalitäten Hinweise auf die Einheitlichkeit einer Leistung liefern können (...) ... und eine gesonderte Rechnungsstellung und eine eigenständige Bildung des Leistungspreises für das Vorliegen selbständiger Leistungen [sprechen], ohne dass diesen Faktoren allerdings eine entscheidende Bedeutung zukäme" (EuGH-Urteil vom 17. Januar 2013 C-224/11, BGZ Leasing, Umsatzsteuer-Rundschau 2013, 262, Rdnr. 44).

25

2. Die Lieferungen der Klägerin sind nicht steuerfrei.

26

a) Steuerfrei waren gemäß § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG "die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (§ 3 Abs. 9 Satz 4) im Verkehr mit Wasserfahrzeugen für die Seeschiffahrt zwischen einem inländischen und ausländischen Seehafen und zwischen zwei ausländischen Seehäfen. ..." Für die Vorschrift besteht im Unionsrecht keine Rechtsgrundlage.

27

b) Im Streitfall sind die Lieferungen der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG steuerfrei, da sie Speisen und Getränke nicht im Verkehr mit Wasserschiffen, sondern im Flugverkehr geliefert hat. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung dieser Vorschrift kommt im Hinblick auf ihre Unionsrechtswidrigkeit nicht in Betracht. Hierfür spricht neben dem allgemeinen Grundsatz enger Auslegung von Ausnahmetatbeständen, dass Vorschriften des nationalen Rechts auch dann eng auszulegen sind, wenn sie ansonsten nicht der Richtlinie entsprechen (BFH-Urteil vom 8. März 2012 V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, unter II.2.c bb).

28

3. Die Klägerin kann im Streitfall auch keinen Besteuerungsverzicht beanspruchen.

29

Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 UStG kann das Bundesministerium der Finanzen unbeschadet der Vorschriften der §§ 163 und 227 der Abgabenordnung anordnen, daß die Steuer für grenzüberschreitende Beförderungen von Personen im Luftverkehr niedriger festgesetzt oder ganz oder zum Teil erlassen wird, soweit der Unternehmer keine Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Steuer (§ 14 Abs. 1) erteilt hat. Da es sich hierbei um eine besonders geregelte Billigkeitsentscheidung handelt, ist hierüber nicht im Besteuerungsverfahren, sondern in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu entscheiden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt an mehreren Standorten in Deutschland Kinos.

2

Neben diversen Süßwaren und Getränken können Kinobesucher in den Foyers auch Popcorn und Tortilla-Chips (Nachos) in verschiedenen Größen erwerben. An den Verkaufsständen selbst sind keine Verzehrtheken angebracht. In den Foyers der Kinos befinden sich jedoch in unterschiedlicher Anzahl jeweils Stehtische, Barhocker, zum Teil Sitzbänke, Stühle, Sitztische und teilweise sog. Stehboards bzw. Wandtresen. Es sind jedoch nicht in allen Kinos sämtliche der genannten Einrichtungsgegenstände vorhanden. In einzelnen Kinosälen sind Getränkehalter an den Kinosesseln angebracht. Sonstige Ablageflächen sind in den Kinosälen nicht vorhanden.

3

Das Popcorn wird in einer Popcornmaschine hergestellt und in einem Tresenwärmer warmgehalten, der bei Bedarf wieder nachgefüllt wird. Die Nachos bezieht die Klägerin in kleineren Packungen von anderen Unternehmern, erwärmt sie im Tresenwärmer und bietet als Ergänzung hierzu Saucen in kleinen Portionen an, die sie in größeren Mengen von anderen Unternehmern bezieht und zum Teil erwärmt.

4

In der Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 2005 erklärte die Klägerin die Umsätze aus dem Verkauf des Popcorns und der Nachos mit dem ermäßigten Steuersatz. Abweichend davon setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Vorauszahlungsbescheid für den Monat Juni 2005 vom 5. September 2005 die Umsatzsteuer mit dem Regelsteuersatz fest.

5

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seines in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2007, 1044 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, das FA habe zu Recht die streitigen Umsätze als sonstige Leistung erfasst und mit dem Regelsteuersatz besteuert. Zwar würden die Waren von der laufenden Nr. 31 der Anlage 2 erfasst, da sie dem Kapitel 19 des Zolltarifs (ZT) zuzuordnen seien. Es lägen aber nicht, wie nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) i.V.m. der Anlage 2 erforderlich, Lieferungen, sondern sonstige Leistungen i.S. von § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG vor, weil die Klägerin keine "Nahrungsmittel zum Mitnehmen", sondern Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben habe.

6

Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts geltend. Bei Berücksichtigung der Grundsätze des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Abgrenzung von Lieferungen und Dienstleistungen liege eine Dienstleistung nur vor, wenn im Zusammenhang mit der Abgabe von Speisen ein Dienstleistungsanteil mit überwiegender Bedeutung erbracht werde. Auf das Warmhalten des Popcorns und der Nachos komme es nicht an, weil es sich dabei lediglich um eine lebensmittelgerechte Lagerung bzw. die Gewährleistung einer für den Verkauf optimalen Temperatur gehandelt habe. Auch die Reinigung der Kinosäle dürfe nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden. Die Stehtische, Barhocker usw. seien nicht zum Verzehr des Popcorns und der Nachos bestimmt gewesen, weil die Kinobesucher diese Lebensmittel ganz überwiegend nicht im Foyer, sondern im Kinosaal verzehrt hätten. Dienstleistungen im Darreichungsbereich, wie Bedienung am Platz, erbringe sie nicht.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die im Umsatzsteuerbescheid für 2005 vom 19. April 2007 festgesetzte Umsatzsteuer um 142.912,16 € auf ./. 404.318,55 € herabzusetzen.

8

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Handelt es sich um eine Lieferung i.S. von Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG, wenn zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten abgegeben werden?

2. Kommt es für die Beantwortung der Frage 1 darauf an, ob zusätzliche Dienstleistungselemente erbracht werden (Nutzungsüberlassung von Tischen, Stühlen, sonstigen Verzehrvorrichtungen, Präsentation eines Kinoerlebnisses)?

3. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist der Begriff 'Nahrungsmittel' im Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass darunter nur Nahrungsmittel 'zum Mitnehmen' fallen, wie sie typischerweise im Lebensmittelhandel verkauft werden, oder fallen darunter auch Speisen oder Mahlzeiten, die --durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise-- zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind?"

10

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10. März 2011 C-497/09, C-499/09, C-501/09, C-502/09, Bog u.a. (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2011, 272) die Fragen wie folgt beantwortet:

"1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass

- die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen;

...

2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff 'Nahrungsmittel' in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind."

11

Das FA vertritt hierzu die Auffassung, der EuGH gehe zu Unrecht davon aus, dass --ebenso wie in den Verfahren C-497/09 und C-501/09-- auch im vorliegenden Verfahren nur behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen vorgehalten würden. Es handele sich vielmehr um in ausreichender Anzahl vorhandene Tische, Stühle, Barhocker, Sessel und Bänke, die in der Regel allen Kinobesuchern den Verzehr von Popcorn und Nachos erlaubten. Das Urteil des EuGH führe außerdem zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn darin auf eine standardisierte Zubereitung abgestellt werde. Auch in sog. Fast-Food-Restaurants würden standardisiert zubereitete Speisen verkauft, ohne dass hierbei von steuerbegünstigten Lieferungen auszugehen sei. Das Ergebnis des EuGH, dass das Bereitstellen einer organisatorischen Gesamtheit bestehend aus klimatisierten Räumen, einer ausreichenden Anzahl von für den Verzehr geeigneten Sitzgelegenheiten sowie von Toiletten als in einem Fall wie dem vorliegenden als untergeordnete Nebenleistung anzusehen sei, müsse in Zweifel gezogen werden.

12

Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 19. April 2007 den Umsatzsteuerjahresbescheid für 2005 erlassen.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2005 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich bei den streitigen Umsätzen um Lieferungen, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

14

1. Das Urteil des FG ist nicht deshalb gemäß § 127 FGO aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen, weil das FA nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2005 erlassen hat.

15

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird nach § 68 Satz 1 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung verlieren Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide durch den Umsatzsteuerjahresbescheid ihre Wirksamkeit, wobei der Jahresbescheid die Vorauszahlungsbescheide in seinen Regelungsgehalt aufnimmt (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2009 V B 23/08, BFH/NV 2010, 1866, m.w.N.). Wird daher während des Verfahrens der angefochtene Vorauszahlungsbescheid ersetzt, wird dieser in entsprechender Anwendung des § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens, mit der Folge, dass dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt und deshalb das Urteil keinen Bestand mehr haben kann (z.B. BFH-Urteil vom 12. Februar 2009 V R 61/06, BFHE 224, 467, BStBl II 2009, 828).

16

Einer Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO bedarf es nicht, weil sich durch den Änderungsbescheid der bisherige Streitstoff nicht verändert hat. Der erkennende Senat entscheidet deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO in der Sache selbst.

17

2. Die Leistungen der Klägerin unterliegen entgegen der Auffassung des FG dem ermäßigten Steuersatz.

18

a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Lieferung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. "Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch; Backwaren" (Nr. 31) sowie "verschiedene Lebensmittelzubereitungen" (Nr. 33). Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes Gebrauch gemacht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze "... sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar". In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind genannt:

"Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse."

19

b) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

20

c) Die Abgabe von verzehrfertig erwärmtem Popcorn und zusammen mit Saucen abgegebenen erwärmten Nachos in einem Kino ist auch dann eine Lieferung, die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 31 und 33 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, wenn zusätzlich behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen bereitgehalten werden.

21

aa) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist "die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen" (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 62; BFH-Urteile vom 18. Februar 2009 V R 90/07, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; vom 26. Oktober 2006 V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, m.w.N., und vom 10. August 2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m.w.N.).

22

bb) Zu der Frage, ob die einheitliche Leistung beim Verkauf von Popcorn und Tortilla-Chips (Nachos) in einem Kino als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist, hat der EuGH in dem das vorliegende Verfahren (C-499/09) betreffenden Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 ausgeführt:

"...

72   Wie aus der Sachverhaltsschilderung des vorlegenden Gerichts hervorgeht, sind die Zubereitung von Popcorn, die mit dessen Herstellung zusammenfällt, sowie die Abgabe von Popcorn und "Tortilla"-Chips in Verpackungen Bestandteil des Verkaufs dieser Waren und stellen somit keine vom Verkauf unabhängigen Umsätze dar. Zudem erfolgen sowohl die Zubereitung der Nahrungsmittel als auch ihre Warmhaltung gleichmäßig und nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden.

73   Überdies wird das Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke), das es außerdem nicht in allen Kinos gibt, in der Regel unabhängig vom Verkauf von Popcorn und "Tortilla"-Chips zur Verfügung gestellt, und die mit ihm ausgestatteten Bereiche dienen ebenso als Warteraum wie als Treffpunkt. Der Verzehr erfolgt in der Praxis zudem im Kinosaal. Dazu sind manche Kinosäle mit Getränkehaltern ausgestattet, die zugleich dazu dienen, die Säle sauber zu halten. Das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienstleistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen.

74   Folglich ist bei den Tätigkeiten wie den in den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C-497/09, C-499/09 und C-501/09 fraglichen das überwiegende Element der betreffenden Umsätze bei einer Gesamtbetrachtung die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr, wobei die diesen wesenseigene einfache, standardisierte Zubereitung und die Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen, die einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle erlaubt, eine rein untergeordnete Nebenleistung ist. Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes darstellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann."

23

cc) Der Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall steht die Regelung in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 19. November 2009 C-314/08, Filipiak, Slg. 2009, I-11049, BFH/NV 2010, 136 Rdnrn. 81, 82, m.w.N.; BFH-Urteile vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, unter II.2.a; vom 22. Juli 2008 VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.). Für die Anwendung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bedeutet dies, dass, soweit die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung Lieferung und sonstige Leistung maßgebend sind (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a, m.w.N.) und dabei die vorstehende EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist, dessen Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich verbindlich ist. Dies übersieht das FA, wenn es eine andere Auslegung des Begriffs der Lieferung unter Berücksichtigung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG beansprucht.

24

3. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze handelt es sich bei der Abgabe von Popcorn und Nachos durch die Klägerin in ihren Kinos um Lieferungen, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

25

a) Die mit dem Verkauf im Zusammenhang stehenden Dienstleistungselemente reichen nicht aus, den Umsatz insgesamt als Dienstleistung zu beurteilen. Die Zubereitung hat sich auf die gleichmäßige einfache Herstellung von Popcorn und dessen Warmhaltung sowie der von Nachos beschränkt, und war weiter nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden erfolgt; sie hatte somit standardisierten Charakter.

26

b) Entgegen dem Urteil des FG kann die Bereitstellung von Mobiliar im Streitfall nicht als Dienstleistungselement berücksichtigt werden, weil es nicht ausschließlich dazu bestimmt war, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern, sondern die derart ausgestatteten Bereiche zugleich auch als Warteraum und Treffpunkt für Kinobesucher dienten. Dasselbe gilt für das Zurverfügungstellen von Toiletten, weil auch diese in erster Linie den Kinobesuchern, unabhängig vom Verzehr von Speisen, dienten. Soweit sich hinsichtlich der Bedeutung von Verzehrvorrichtungen aus den BFH-Urteilen in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487 und vom 10. August 2006 V R 38/05 (BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482), auf die das FG seine Entscheidung gestützt hatte, etwas Anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.

27

c) Die streitigen Umsätze der Klägerin unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, weil die von ihr gelieferten Lebensmittel in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnet sind (Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren --Nr. 31--, Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. --Nr. 32-- oder verschiedene Lebensmittelzubereitungen --Nr. 33--). Aus der Antwort zu Leitsatz Nr. 2 des EuGH im Urteil Bog u.a in UR 2011, 272 ergibt sich, dass dies im Einklang mit Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG steht, weil Anhang H auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Umsätze des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) aus dem Betrieb eines Imbissstandes dem Regelsteuersatz unterliegen.

2

Der Kläger verkaufte in einem vor seinem Ladengeschäft (Fleischerei) aufgebauten Imbissstand Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte in verzehrfertigem Zustand. Der Stand hatte eine Größe von ca. 3,5 m x 3,8 m und war mit einem über die Außenwände hinausragenden Dach versehen. Umlaufend war in einer Höhe von ca. 1,10 m ein ca. 0,5 m breites Brett angebracht, auf dem Ketchup und Senfbehälter aufgestellt waren. Der Verkauf war nach allen vier Seiten möglich, tatsächlich wurde jedoch maximal zu zwei Seiten hin verkauft. Die jeweils nicht zum Verkauf genutzten Seiten waren durch herabgelassene Fensterläden geschlossen.

3

Unmittelbar vor dem Stand befand sich eine fest installierte, allgemein zugängliche städtische Sitzbank. Ab dem 1. August 2003 stellte der Kläger eine aus zwei Bänken und einem Tisch bestehende "Bierzeltgarnitur" vor seinem Stand auf.

4

In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre (2000 bis 2003) hatte der Kläger die auf den Imbissstand entfallenden Umsätze dem ermäßigten Steuersatz unterworfen. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass diese Umsätze --mit Ausnahme eines geschätzten Anteils von Außer-Haus-Verkäufen (10 %)-- dem Regelsteuersatz unterlägen und setzte die Umsatzsteuer der Streitjahre durch die Änderungsbescheide vom 24. August 2006 entsprechend höher fest. Den dagegen eingelegten Einsprüchen half das FA mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 9. Januar 2007 aus anderen Gründen teilweise ab, im Übrigen wies es die Einsprüche mit der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2007 als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und begründete sein in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 1837 veröffentlichtes Urteil damit, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle nach § 3 Abs. 9 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) eine sonstige Leistung gewesen sei. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Vorrichtungen in Form eines umlaufenden Brettes am Imbissstand in der angebrachten Höhe und Breite den Kunden typischerweise die Möglichkeit eröffnen sollten, die erworbenen Speisen an Ort und Stelle zu verzehren und von ihnen tatsächlich auch in diesem Sinne genutzt würden. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Teil des Tresens dem Verkauf der Waren gedient habe, da der weit überwiegende Teil des Tresens zum Verzehr der Speisen an Ort und Stelle zur Verfügung gestanden habe. Dem Ergebnis entspreche das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Oktober 2006 V R 58, 59/04 (BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487), wonach die Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen als Dienstleistung dem Regelsteuersatz unterliege, wenn Kunden eines Imbisswagens ihre Speisen unter Benutzung von Tischen, Stühlen und Bänken der Standnachbarn verzehren könnten.

6

Auch unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben habe der Kläger nicht lediglich Lebensmittel geliefert, sondern verzehrfertig zubereitete Speisen verkauft, bei denen in erheblichem Umfang über eine Lieferung hinausgehende Leistungselemente vorlägen: Der Kläger habe alle von ihm verkauften Waren durch Erhitzen in einen verzehrfähigen Zustand gebracht und Vorrichtungen zu deren Verzehr an Ort und Stelle sowie Zutaten wie Ketchup und Senf zur Selbstbedienung zur Verfügung gestellt.

7

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 hat der erkennende Senat das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in den zum gemeinsamen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbundenen Rechtssachen C-497/09 und C-501/09 angeordnet. Der EuGH hat mit Urteil vom 10. März 2011 C-497/09, C-499/09, C-501/09, C-502/09 Bog u.a. (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2011, 272) die ihm vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:

8

"1. Die Art. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen (...) eine Lieferung von Gegenständen im Sinne des genannten Art. 5 ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen; (...).

9

2. Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff "Nahrungsmittel" in Anhang H Kategorie 1 der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind."

10

Hierauf hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen:

11

Der EuGH habe in Randziffer 69 dieses Urteils die charakteristischen Dienstleistungsmerkmale eines typischen Restaurationsumsatzes aufgeführt. Ebenso wie in den Verfahren C-497/09 und C-501/09 biete der Kläger an seinem Imbissstand kein einziges der aufgeführten Dienstleistungsbestandteile an.

12

Da auf die qualitative Prüfung der Dienstleistungselemente des gesamten Umsatzes abgestellt werde, könne die seit 1. August 2003 aufgestellte und nicht überdachte Bierzeltgarnitur nicht für alle Umsätze prägend sein. Aus Randziffer 73 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272 ergebe sich, dass selbst umfangreicheres und eigenes Mobiliar nicht ausschließlich dazu bestimmt gewesen sei, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern. Dies müsse erst recht für "Fremdmobiliar" --wie die vom FG berücksichtigte städtische Sitzbank-- gelten, auf deren Vorhandensein der Kläger keinen Einfluss habe.

13

Im Übrigen habe das FG nicht --wie erforderlich-- jeden einzelnen Umsatz für sich betrachtet. Bei den schätzungsweise mit 10 % angesetzten Umsätzen zum ermäßigten Steuersatz handele es sich um "verpackte Ware", also um solche Nahrungsmittel, die ohnehin nicht zum "Verzehr an Ort und Stelle" geliefert worden seien. Derartige Umsätze seien nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen.

14

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG vom 4. Juni 2006  16 K 10040/07 aufzuheben und die Umsatzsteuer 2000 bis 2003 gemäß Klageantrag auf 8.744,42 € (2000), 9.488,43 € (2001), 8.056 € (2002) und 5.758,04 € (2003) herabzusetzen.

15

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

16

Nachdem es zunächst die Vorentscheidung verteidigt hatte, trägt es im Anschluss an das EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 vor:

17

Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt entspreche im Wesentlichen den Rechtssachen C-497/09 und C-501/09. Nach den darin aufgestellten Grundsätzen lägen auch im Streitfall Lieferungen vor. Sollte der BFH über die Verfahren XI R 37/08 und V R 35/08 ohne Berücksichtigung anderer Kriterien in diesem Sinne entscheiden, erkenne das FA den ermäßigten Steuersatz für den Umsatz von Nahrungsmitteln des Imbissstandes bis zum 31. Juli 2003 an.

18

Seit dem 1. August 2003 ständen den Kunden des Imbissstandes jedoch eine Bierzeltgarnitur und ein Stehtisch zur Verfügung. Aus der EuGH-Entscheidung gehe nicht eindeutig hervor, ob Bierzeltgarnitur und Stehtisch bereits als besondere Dienstleistungselemente ausreichten und qualitativ überwiegen. Das FA sei an die derzeitige Verwaltungsauffassung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 16. Oktober 2008 in BStBl I 2008, 949 (Beispiel 2) gebunden. Danach reichten das Vorhandensein von Stehtisch und Bierzeltgarnitur zur Anwendung des Regelsteuersatzes aus.

19

Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 27. April 2011 (Kläger) und vom 28. April 2011 (FA) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

20

II. Die Revision des Klägers ist begründet.

21

Sie führt für die Streitjahre 2000 bis 2002 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), für das Streitjahr 2003 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Entgegen dem Urteil des FG unterliegen die Umsätze des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 in vollem Umfang und im Streitjahr 2003 zum Teil dem ermäßigten Steuersatz.

22

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 in der in den Streitjahren geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die "Lieferung" der in der Anlage bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören u.a. "Zubereitungen von Fleisch ..." (Nr. 28), "Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch" (Nr. 31) und "verschiedene Lebensmittelzubereitungen" (Nr. 33). Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes Gebrauch gemacht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze "... sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar". In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sind genannt: "Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse."

23

a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nicht begünstigt sind sonstige Leistungen. Eine sonstige Leistung ist nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG).

24

b) Die Abgabe von Bratwürsten, Pommes Frites und ähnlichen standardisiert zubereiteten Speisen an einem mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissstand ist eine einheitliche Leistung (vgl. EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 56; BFH-Urteile vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673; vom 1. April 2009 XI R 3/08, BFH/NV 2009, 1469), die eine Lieferung darstellt und die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 28, 31 und 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.

25

aa) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist "die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen" (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 62; BFH-Urteile vom 18. Februar 2009 V R 90/07, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, m.w.N., und vom 10. August 2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, m.w.N.).

26

bb) Zu  der Frage, ob die einheitliche Leistung bei der Abgabe standardisiert zubereiteter, verzehrfertiger Speisen an mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissständen als Lieferung oder als Dienstleistung einzustufen ist, hat der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 entschieden, dass die Lieferung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr das überwiegende Element der betreffenden Umsätze darstellt, da die Dienstleistungselemente nur in der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen bestehen, d.h. "ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, um einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien zu ermöglichen. Solche behelfsmäßigen Vorrichtungen erfordern nur einen geringfügigen personellen Einsatz. Unter diesen Umständen stellen diese Elemente nur geringfügige Nebenleistungen dar und können am dominierenden Charakter der Hauptleistung, d.h. dem einer Lieferung von Gegenständen, nichts ändern" (Rdnr. 70). "Ob die Kunden die genannten behelfsmäßigen Vorrichtungen benutzen, ist ohne Bedeutung, da der sofortige Verzehr an Ort und Stelle, der kein wesentliches Merkmal des betreffenden Umsatzes darstellt, nicht für dessen Natur bestimmend sein kann" (Rdnr. 74).

27

Soweit für den Verzehr Mobiliar (Stehtische, Hocker, Stühle und Bänke) zur Verfügung steht, ist zu berücksichtigen, dass "das bloße Vorhandensein dieses Mobiliars, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, nicht als Dienstleistungselement angesehen werden [kann], das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen" (Rdnr. 73).

28

cc) Der Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall steht die Regelung in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 19. November 2009 C-314/08 Filipiak, Slg. 2009, I-11049, BFH/NV 2010, 136 Rdnrn. 81, 82, m.w.N.; BFH-Urteile vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, unter II.2.a; vom 22. Juli 2008 VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.). Für die Anwendung des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bedeutet dies, dass soweit die Vorschrift nicht richtlinienkonform ist, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung Lieferung und sonstige Leistung maßgebend sind (BFH-Urteil in BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, unter II.4.a, m.w.N.) und dabei die vorstehende EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist.

29

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei den mit dem Imbissstand erzielten Umsätzen des Klägers in den Streitjahren 2000 bis 2002 um Lieferungen, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

30

a) Nach den das Gericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG verkaufte der Kläger Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte. Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich um verzehrfertige Speisen handelte, die keine über die einfache, standardisierte Zubereitung von Lebensmitteln hinausgehenden Leistungen des Klägers erforderten.

31

b) Entgegen dem Urteil des FG führen das Vorhandensein und die Nutzung der vor dem Imbissstand installierten städtischen Bank zum Verzehr der zubereiteten Speisen nicht zur Beurteilung als sonstige Leistung.

32

aa) Verzehrvorrichtungen sind bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung nur zu berücksichtigen, wenn sie vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern (EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 73). Das FG hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Senats gestützt, wonach Verzehrvorrichtungen eines Dritten berücksichtigt werden können, wenn diese auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt waren (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; BFH-Urteil vom 10. August 2006 V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482). Im Hinblick auf das EuGH-Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 hält der Senat daran nicht mehr fest (Änderung der Rechtsprechung).

33

bb) Im Streitfall ist daher die Berücksichtigung der Bank ausgeschlossen, weil sie nicht vom Kläger als Verzehrvorrichtung zur Verfügung gestellt, sondern von der Stadt im Rahmen des Gemeingebrauchs der Allgemeinheit überlassen wurde.

34

cc) Die streitigen Umsätze des Klägers unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, weil die von ihm gelieferten Lebensmittel in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnet sind (Zubereitungen von Fleisch usw. --Nr. 28--, aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren --Nr. 31--, Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. --Nr. 32-- oder verschiedene Lebensmittelzubereitungen --Nr. 33--). Aus der Antwort zu 2 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272 ergibt sich, dass dies im Einklang mit Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG steht, weil Anhang H auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind.

35

3. Die im Streitjahr 2003 erzielten Umsätze des Klägers aus dem Betrieb des Imbissstands unterliegen nach den vorstehenden Grundsätzen bis zum 31. Juli 2003 in voller Höhe als Lieferungen dem ermäßigten Steuersatz. Seit dem 1. August 2003 erzielte der Kläger daneben aber auch Umsätze, die als Dienstleistungen anzusehen sind und daher dem Regelsteuersatz unterliegen.

36

a) Wie das FG festgestellt hat, hatte der Kläger ab dem 1. August 2003 vor seinem Imbiss eine Bierzeltgarnitur aufgestellt, die aus einem Tisch und zwei Bänken bestand. Bei den hierauf entfallenden Umsätzen handelt es sich nicht um die Lieferungen von Lebensmitteln, sondern um Dienstleistungen.

37

Als für Restaurationsleistungen charakteristische Dienstleistungsbestandteile erwähnt der EuGH im Urteil Bog u.a. in UR 2011, 272 Rdnr. 69 zwar Kellnerservice, Beratung und Bedienung der Kunden im eigentlichen Sinne sowie das Vorhandensein geschlossener, temperierter Räume speziell für den Verzehr der abgegebenen Speisen, Garderobe und Toiletten und die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar und Gedeck. Während die Bereitstellung "behelfsmäßiger Vorrichtungen, d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit" nur als geringfügige Nebenleistung anzusehen sind und am dominierenden Charakter einer Lieferung von Gegenständen nichts ändern (Rdnr. 70 des EuGH-Urteils Bog u.a. in UR 2011, 272), verlangen dem Verzehr dienliche Elemente, wie die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar --im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos-- einen gewissen personellen Einsatz, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen (EuGH-Urteil Bog u.a in UR 2011, 272 Rdnr. 79).

38

Im Unterschied zur lediglich "behelfsmäßigen Infrastruktur" von Imbissständen stellte der Kläger seinen Kunden seit dem 1. August 2003 zusätzlich "Mobiliar" (Tisch mit Sitzgelegenheit) zur Verfügung, das ausschließlich dazu bestimmt war, den Verzehr der Speisen zu erleichtern. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Auf- und Abbau sowie die Reinigung der Bierzeltgarnitur einen "gewissen personellen Einsatz" erfordern, wird im Streitfall die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten.

39

b) Das FG-Urteil entspricht insoweit nicht den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung, als es die gesamten Imbissstand-Umsätze in 2003 dem Regelsteuersatz unterworfen hat. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zutreffend-- noch keine Feststellungen zum Umfang der auf die Bierzeltgarnitur entfallenden Restaurationsumsätze getroffen.

40

c) Im zweiten Rechtsgang wird das FG eine Aufteilung der Umsätze des Streitjahres 2003 vorzunehmen haben. Sofern der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 der Abgabenordnung) hierzu keine aussagekräftigen Aufzeichnungen vorlegt, kann die Aufteilung im Wege einer Schätzung erfolgen. Bestehen keine Zweifel daran, dass die Bierzeltgarnitur auch im November und Dezember 2003 aufgestellt wurde, ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG bei der Aufteilung des um 10 % (Außer-Haus-Verkäufe) geminderten Umsatzes vom 1. August bis 31. Dezember 2003 auch das Verhältnis der (möglichen) Stehplätze am Imbissstand zu den (möglichen) Sitzplätzen auf den beiden Bänken der Bierzeltgarnitur berücksichtigt.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 9. Januar 2014  16 K 164/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Anschlussrevision der Klägerin wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in der Rechtsform der GmbH eine Schlachterei und setzt ihre Produkte insbesondere in ihrer Filiale in X ab. Daneben betreibt sie Stände auf Wochenmärkten, einen Catering-Service, einen Mittagstisch und bietet zubereitete Speisen auf verschiedenen regionalen Veranstaltungen an. Gesellschafter (zu je 1/2) und Geschäftsführer der Klägerin sind A und B.

2

Im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung stellte der Außenprüfer fest, dass die Klägerin keine Aufzeichnungen über unentgeltliche Wertabgaben für die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer und ihre Familien geführt hatte. Der Prüfer erhöhte die dem Regelsteuersatz und die dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Warenentnahmen entsprechend der Anzahl der Familienmitglieder und dem Alter der zugehörigen Kinder auf der Grundlage der in der amtlichen Richtsatzsammlung für eine Fleischerei vorgesehenen Pauschbeträge. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte den Feststellungen des Prüfers für die Streitjahre (2007 bis 2010) in geänderten Umsatzsteuerbescheiden.

3

Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, das FA sei zwar gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) zur Schätzung befugt gewesen, weil die Klägerin keine Aufzeichnungen über Entnahmen aus dem Unternehmen für außerunternehmerische Zwecke geführt habe. Das FA habe aber die Werte der Richtsatzsammlung nicht unverändert anwenden dürfen. Die Klägerin habe überprüfbar dargelegt, dass ihre eigenen Leistungsbezüge zum Regelsteuersatz insgesamt niedriger gewesen seien, als die vom FA im Wege der Schätzung angenommene Bemessungsgrundlage der Leistungsentnahmen zum Regelsteuersatz. Auch habe die Klägerin in den Streitjahren nur äußerst geringe, dem Regelsteuersatz unterliegende Umsätze ausgeführt. Derartige Umsätze machten z.B. für 2010 weniger als 2 % des Gesamtumsatzes der Klägerin aus. Die unbesehene Übernahme der Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben nach der sog. Richtsatzsammlung führe zu einem Verstoß gegen § 162 Abs. 1 AO. Denn die Klägerin habe dargelegt, dass die Wertabgaben zum Regelsteuersatz in den Streitjahren niedriger gewesen sein müssen, als sich dies aus der Richtsatzsammlung ergebe. Nicht dargetan habe die Klägerin demgegenüber, dass die Sachentnahmen insgesamt pro Jahr geringer gewesen seien, als es die Richtsatzsammlung aufzeige. Deshalb sei es sachgerecht den Jahreswert der Sachentnahmen durch die Gesellschafter/Geschäftsführer insgesamt weiter nach den Werten der Richtsatzsammlung anzusetzen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Jahresgesamtwert der Sachentnahmen bei der Klägerin geringer ausgefallen sei, als bei anderen Fleischereibetrieben.

4

Hiergegen richtet sich das FA mit der Revision, mit der es Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Das FG-Urteil verletze § 3 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (UStG) i.V.m. § 162 AO. Die Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben dienten der Vereinfachung und ließen keine Zu- oder Abschläge zur Anpassung an die individuellen Verhältnisse zu. Auch widerspreche es den Denkgesetzen, aus den Umsätzen der Klägerin gegenüber Dritten Schlussfolgerungen über den Umfang der Wertabgaben zum Regelsteuersatz herzuleiten.

5

Das FA beantragt sinngemäß,
die Entscheidung des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 2007 auf ./. … €, die Umsatzsteuer 2008 auf … €, die Umsatzsteuer 2009 auf … € und die Umsatzsteuer 2010 auf … € festzusetzen.

7

Das FG habe zu Recht eine Kostendeckelung vorgenommen, denn es könnten nicht mehr Waren zum Regelsteuersatz entnommen werden als eingekauft worden seien. Die Begrenzung der Entnahmen zum Regelsteuersatz durch den Wareneinkauf zum Regelsteuersatz stelle keine individuelle Anpassung dar, sondern diene einer gerechteren und zutreffenden Besteuerung.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Schätzung des FG ist rechtmäßig. Die Anschlussrevision der Klägerin ist unzulässig.

9

1. Die Voraussetzungen einer Schätzung nach § 162 AO sind erfüllt. Die Aufzeichnungen über die Entnahme von Gegenständen durch den Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, sind gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 1 Satz 2, § 3 Abs. 1b Nr. 1 UStG getrennt nach Steuersätzen vorzunehmen. Bei Steuerpflichtigen, die --wie die Klägerin-- ihren Aufzeichnungspflichten nicht nachkommen, sind die Sachentnahmen nach § 162 AO zu schätzen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. März 2007 X B 191/06, BFH/NV 2007, 1134).

10

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Schätzung des FG (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171). Anders als bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen (§ 102 FGO) ist die Schätzung des FA im Klageverfahren in vollem Umfang nachprüfbar (BFH-Urteil in BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171). Das FG ist auch nicht an die vom FA gewählte Schätzungsmethode gebunden, weil es nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene, selbständige Schätzungsbefugnis besitzt.

11

3. Die Schätzung des FG gehört ebenso wie die Auswahl der Schätzungsmethode zu den tatsächlichen Feststellungen des FG (BFH-Urteile vom 24. Januar 2013 V R 34/11, BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460). Da die Schätzung des FG zulässig ist, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und weder gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, noch gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. BFH-Urteile in BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171; vom 26. Oktober 2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777; vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483).

12

a) Das FG hat durch seine von der amtlichen Richtsatzsammlung abweichende Schätzung nicht die Selbstbindung der Verwaltung verletzt. Zwar besteht, anders als bei norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften, die für die Gerichte nicht bindend sind (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 13. Januar 2011 V R 12/08, BFHE 232, 261, BStBl II 2012, 61; vom 24. September 2013 VI R 48/12, BFH/NV 2014, 341; vom 31. Juli 2008 V R 21/06, BFHE 222, 143, BStBl II 2014, 344), im Bereich des Ermessens, der Billigkeit, der Typisierung und der Pauschalierung als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes eine Selbstbindung der Verwaltung, die grundsätzlich auch von den Gerichten zu beachten ist (BFH-Urteile vom 10. November 2011 V R 35/10, juris; vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; vom 7. Dezember 2005 I R 123/04, BFH/NV 2006, 1097; vom 4. Februar 2010 II R 1/09, BFH/NV 2010, 1244; vom 11. November 2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966). Mangels besserer Anhaltspunkte ist deshalb grundsätzlich von den auf Erfahrungssätzen der einzelnen Branchen beruhenden Richtsätzen und Pauschalen auszugehen (BFH-Beschluss vom 19. März 2007 X B 191/06, BFH/NV 2007, 1134).

13

b) Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aber alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel sein (z.B. BFH-Urteile in BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460; vom 24. Juni 2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501, Rz 23, m.w.N.).

14

Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FG davon ausgeht, unentgeltliche Wertabgaben i.S. des § 3 Abs. 1b UStG könnten --wenn nicht besondere Anhaltspunkte ein anderes Ergebnis möglich erscheinen lassen-- nicht höher sein als der Wareneinkauf zum Regelsteuersatz. Da die Schätzung auf der Grundlage der Richtsatzsammlung nach dieser Gesamtwürdigung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde, entfällt die Bindungswirkung der Richtsatzsammlung (vgl. BFH-Beschluss vom 12. November 2009 VI B 66/09, BFH/NV 2010, 884, zu Pauschbeträgen für Auslandsdienstreisen).

15

4. Die mit dem über den Tenor des FG-Urteils hinausgehenden Antrag der Klägerin gestellte Anschlussrevision ist unzulässig.

16

Dass die Klägerin im Schriftsatz vom 10. Oktober 2014 nicht ausdrücklich Anschlussrevision eingelegt hat, ist unschädlich, weil jede Erklärung ausreicht, die den Willen des Anschlussrevisionsklägers zum Ausdruck bringt, ebenfalls eine Änderung des angefochtenen Urteils zu erreichen (BFH-Urteil vom 22. April 2004 V R 72/03, BFHE 205, 525, BStBl II 2004, 684). Hierzu reicht aus, dass die Klägerin mehr als die Zurückweisung der Revision beantragt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 15. März 1994 IX R 6/91, BFHE 174, 4, BStBl II 1994, 599). Die Anschlussfrist ist aber nur innerhalb der Frist des § 155 FGO, § 554 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung, und damit nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung zulässig (BFH-Beschluss vom 16. Juli 2014 III S 1/13 (PKH), BFH/NV 2014, 1759). Da die am 26. August 2014 beim BFH eingegangene Revisionsbegründung dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 1. September 2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, ist die mit dem am 13. Oktober 2014 beim BFH eingegangenen Antrag eingelegte Anschlussrevision verfristet.

17

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und 2, § 136 FGO.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Treuhänder über das Vermögen des M. M war seit 1997 Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer GmbH (M-GmbH), die in den Streitjahren 1999 bis 2003 mehrere Gaststätten in A betrieb.

2

Eine ab September 2005 bei der M-GmbH durchgeführte Außenprüfung für die Streitjahre stellte fest, dass die Kassenführung und die Buchführung nicht ordnungsgemäß gewesen seien. Es lägen Kassenfehlbeträge vor. Inventuren zur Ermittlung des Warenbestandes seien nicht vorgelegt worden. Sie schätzte daher Umsatzerlöse und Betriebsausgaben hinzu. Die Hinzuschätzungsbeträge ermittelte die Außenprüfung durch eine für das Jahr 2002 durchgeführte Ausbeutekalkulation für drei der Gaststätten. Danach erhöhten sich die Einnahmen in der Summe wie folgt:

3

Jahr 1999:

157.850 DM,

Jahr 2000:

326.537 DM,

Jahr 2001:

232.328 DM,

Jahr 2002:

130.049 €,

Jahr 2003:

121.096 €.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) änderte am 11. Dezember 2006 die Einkommensteuerbescheide des M für die Jahre 1999, 2000 sowie 2002 entsprechend den Feststellungen der Außenprüfung. Für das nicht veranlagte Jahr 2001 setzte das FA erstmals Einkommensteuer durch Bescheid vom 14. Dezember 2006 fest. Nachdem das FA M erfolglos aufgefordert hatte, eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2003 abzugeben, erließ es am 26. März 2007 einen Einkommensteuerbescheid für 2003, in dem das FA die von der Außenprüfung festgestellten Kalkulationsdifferenzen als Einnahmen des M aus verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) erfasste.

5

Die Einsprüche blieben --mit Ausnahme der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens auf die vGA für die Jahre 2001 bis 2003-- erfolglos.

6

Das für die M-GmbH zuständige Finanzamt (F) hatte aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung die Körperschaftsteuerbescheide der M-GmbH für die Jahre 1999 bis 2003 geändert. Da auch diese Einsprüche erfolglos blieben, erhob die M-GmbH im Januar 2007 vor dem Finanzgericht (FG) Klage. Nachdem das Klageverfahren zunächst nach § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) wegen Insolvenzeröffnung über das Vermögen der M-GmbH unterbrochen wurde, nahm F das Verfahren nach § 180 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) wieder auf. Der Berichterstatter äußerte sich nach summarischer Prüfung zu den Erfolgsaussichten der Klage dahingehend, dass eine Schätzungsbefugnis des F wohl bestanden habe, aber die Beträge ihm um ca. ein Drittel zu hoch erschienen. Der Insolvenzverwalter und das F einigten sich schließlich, dass die Hinzuschätzungen um ein Drittel verringert werden und der verbleibende Betrag nur zur Hälfte als vGA angesetzt werde. Das F begründete diese Einigung mit der Vermeidung eines langwierigen und zeitaufwendigen Verfahrens und mit der Insolvenz der M-GmbH. Es berichtigte entsprechend die zur Insolvenztabelle angemeldeten Körperschaftsteuerbeträge. Der Rechtsstreit wurde von den Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt.

7

M erhob am 20. November 2007 Klage beim FG gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003. Am … Januar 2009 eröffnete das Amtsgericht über das Vermögen des M das Verbraucherinsolvenzverfahren. Der zum Treuhänder bestellte Kläger bestritt die zur Insolvenztabelle angemeldeten Einkommensteuerbeträge und nahm den Rechtsstreit auf. Das FG wies die Klage ab und beseitigte den Widerspruch des Klägers gegen die zur Insolvenztabelle angemeldeten Einkommensteuerforderungen für die Jahre 1999 bis 2003. Es führte im Wesentlichen aus, das FA sei nach § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) berechtigt gewesen, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen und diese Schätzung auf der Ebene des M bei dessen Einkommensteuerveranlagungen zu verwenden.

8

Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 seien auch nicht aufgrund der im Klageverfahren der M-GmbH gegen die Körperschaftsteuerbescheide erzielten Einigung zwischen dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der M-GmbH und dem F rechtswidrig. Das FA sei nicht nach § 32a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zur Änderung der Einkommensteuerbescheide verpflichtet.

9

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

10

Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben, hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

11

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

13

1. Die Revision ist zulässig. Das durch die Klage des M anhängig gewordene Klageverfahren ist aufgrund der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2003 IX ZR 333/00, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2004, 48) über das Vermögen des M unterbrochen worden (§ 155 FGO i.V.m. § 240 ZPO). Der Kläger ist vom Insolvenzgericht zum Treuhänder (§ 313 Abs. 1 Satz 1 InsO) über das Vermögen des M bestellt worden und hat das Klageverfahren aufgenommen. Er hat gegen die vom FA zur Eintragung in die Insolvenztabelle angemeldeten Ansprüche auf Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag Widerspruch erhoben (§ 174, § 175 Abs. 1 Satz 1, § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dem gesetzlichen Übergang vom bisherigen Anfechtungs- zum Insolvenzfeststellungsverfahren und dem damit verbundenen Wechsel des Streitgegenstands entspricht die Umstellung des Klageantrags (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. November 2011 I R 96/10, BFH/NV 2012, 991, m.w.N.). Der Antrag ist nicht mehr auf eine geänderte Steuerfestsetzung, sondern darauf gerichtet, den Widerspruch gegen die vom FA zur Insolvenztabelle angemeldeten Einkommensteuerforderungen insoweit für begründet zu erklären, als diese Steuern auf Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 157.850 DM für das Jahr 1999, 326.537 DM für das Jahr 2000, 116.164 DM für das Jahr 2001, 65.024 € für das Jahr 2002 und 60.548 € für das Jahr 2003 beruhen.

14

2. Die Revision ist auch begründet. Zwar hat das FG dem Grunde nach zu Recht die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bei der M-GmbH bejaht (a). Es hat aber rechtsfehlerhaft die Schätzung des FA der Höhe nach als in sich schlüssig und deshalb rechtmäßig angesehen (b). Die Feststellungen des FG reichen zudem für die Annahme einer dem M zurechenbaren vGA nicht aus (c).

15

a) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen als sonstige Bezüge aus Anteilen an einer GmbH auch vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat (z.B. BFH-Urteile vom 24. Juli 1990 VIII R 304/84, BFH/NV 1991, 90; vom 13. September 2000 I R 10/00, BFH/NV 2001, 584; vom 22. September 2004 III R 9/03, BFHE 207, 549, BStBl II 2005, 160; BFH-Beschluss vom 14. Juli 1998 VIII B 38/98, BFHE 186, 379).

16

Ergeben sich aufgrund einer Nachkalkulation Differenzen bei der Kapitalgesellschaft und schätzt das FA deshalb --wie im Streitfall-- dem Gewinn Beträge hinzu, sind die Zuschätzungen nicht zwingend als Zuwendungen an den verantwortlichen Gesellschafter-Geschäftsführer oder an die Gesellschafter zu beurteilen. Die Annahme einer vGA setzt zum einen voraus, dass die Kalkulationsdifferenzen auf nicht vollständig erklärten Betriebseinnahmen der Kapitalgesellschaft beruhen und zum anderen, dass die nicht erklärten Betriebseinnahmen nicht betrieblich verwendet worden, sondern einem oder allen Gesellschaftern zugeflossen sind (BFH-Urteil in BFHE 207, 549, 555, BStBl II 2005, 160, 163).

17

Zu Recht hat das FG --entgegen der Auffassung des Klägers-- die Voraussetzungen für eine Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen bei der M-GmbH dem Grunde nach bejaht. Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO u.a. dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag, und nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO dann, wenn die Buchführung nach § 158 AO der Besteuerung nicht zugrunde gelegt wird. Gemäß § 158 AO ist die Buchführung, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entspricht, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

18

Die Buchführung der M-GmbH entsprach nicht der Vorschrift des § 146 Abs. 1 AO und hatte sonach nicht die Vermutung sachlicher Richtigkeit für sich. Buchungen und sonst erforderliche Aufzeichnungen sind vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen überdies täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Kassenaufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (BFH-Urteile vom 31. Juli 1974 I R 216/72, BFHE 113, 400, 402, BStBl II 1975, 96, 97; vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BFHE 135, 11, 15, BStBl II 1982, 430, 432; vom 20. September 1989 X R 39/87, BFHE 158, 301, BStBl II 1990, 109). Die Einnahmeermittlung --z.B. bei Einsatz von Registrierkassen durch Erstellung und Aufbewahrung der Kassenendsummenbons-- muss nachvollziehbar dokumentiert und überprüfbar sein. Die Aufbewahrung aller Belege ist im Regelfall notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass nicht nur die geltend gemachten Betriebsausgaben als durch den Betrieb veranlasst angesehen werden, sondern auch die Betriebseinnahmen vollständig erfasst sind (vgl. BFH-Urteil vom 15. April 1999 IV R 68/98, BFHE 188, 291, BStBl II 1999, 481; BFH-Beschluss vom 7. Februar 2008 X B 189/07, juris).

19

Diesen Maßstäben genügte die Kassenbuchführung der M-GmbH nicht. Nach den Feststellungen des FG hat die M-GmbH ihre gesamten Umsätze in einer Summe erfasst, ohne das Zustandekommen der Summe durch Aufbewahrung der angefallenen Kassenstreifen, Kassenzettel und Bons nachzuweisen. Auch die von M zur Ermittlung der Tageseinnahmen gefertigten Inventurblätter sind nicht vorgelegt worden. In den Registrierkassen sind nur die Waren gebucht worden, die nicht durch Zählwerke erfasst worden sind. Eine solche Kassenbuchführung ist mangelbehaftet, wenn --wie im Streitfall-- weitere Zählwerke neben einer Registrierkasse geführt und die Einzelergebnisse nicht nachvollziehbar und richtig zusammengeführt werden; denn hier ist es offensichtlich, dass in der Registrierkasse nur ein Teil der Einnahmen erfasst wird und die sich aus der Verwendung der Registrierkasse ergebenden Aufzeichnungen nicht vollständig sein können. Die Nichtordnungsmäßigkeit der Kassenführung ergreift bei der Struktur des Betriebs der M-GmbH (sie tätigte Bargeschäfte) ihre gesamte Buchführung. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlage Betriebseinnahmen (Umsatzerlöse) war daher geboten.

20

Da nicht ordnungsmäßige Kassenaufzeichnungen nach den Umständen des Einzelfalls den Schluss zulassen können, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH-Urteile vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, 165, BStBl II 1982, 409, 412; in BFHE 158, 301, BStBl II 1990, 109), ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG das FA für berechtigt gehalten hat, Betriebseinnahmen bei der M-GmbH dem Grunde nach hinzuzuschätzen. Der Kläger hat nach den Darlegungen des FG für die Fehler in der Kassenführung keine substantiierte und nachprüfbare Erklärung angeboten.

21

Die Vorentscheidung hat ferner zu Recht die Einwendungen des Klägers als unsubstantiiert zurückgewiesen, soweit das F --nach einer Bestätigung durch den Kläger-- im Rahmen der Schätzung angenommen hat, dass die betrieblichen Verhältnisse des Jahres 2002 denen der anderen Streitjahre entsprechen. Das FG hat auch rechtsfehlerfrei keine Bedenken gegen die Annahme des FA geäußert, dass die Kalkulationsdifferenzen auf nicht vollständig erklärten Betriebseinnahmen der M-GmbH beruhen. Für die unsubstantiierten Einwendungen des Klägers, dass sich eventuell die Bierfahrer durch die Zurückbehaltung abgerechneter Bierfässer und die Mitarbeiter durch die Unterschlagung von Betriebseinnahmen bereichert hätten, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.

22

b) Der Höhe nach hat das FG aber zu Unrecht die Schätzung des FA als in sich schlüssig und deshalb rechtmäßig beurteilt.

23

Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618; BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N.).

24

aa) Zwar ist die Vorentscheidung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, soweit es die Ermittlung der Umsatzerlöse und Betriebseinnahmen durch die Außenprüfung mittels für das Jahr 2002 durchgeführten Ausbeutekalkulationen für die einzelnen Gaststätten auf der Grundlage der auf der jeweiligen Speise- und Getränkekarte ausgewiesenen Preise und die Aufgliederung des Wareneinsatzes in Getränke und Küchenwaren als rechtmäßig angesehen hat. Zu Recht hat es das FG auch nicht beanstandet, dass die Außenprüfung den Wareneinsatz in den Jahren 1999 und 2000 auf die Gaststätten prozentual nach den Umsätzen verteilt und der Kalkulation zugrunde gelegt hat. Da der Wareneinsatz in diesen Jahren nicht getrennt verbucht worden war, bestand für die Außenprüfung keine andere Möglichkeit, die Aufteilung vorzunehmen.

25

bb) Die Auffassung des FG, die im Streitfall zu beurteilende Schätzung des FA sei der Höhe nach in sich schlüssig und begegne keinen Bedenken, ist indes durch tatsächliche Feststellungen nicht gedeckt. Es ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage das FG zu diesem Ergebnis kommen konnte, denn es hat keine ausreichenden Feststellungen zu den einzelnen Schätzungsgrundlagen getroffen. Das FG verweist zwar wegen der Einzelheiten der Kalkulationen auf den Bericht der Außenprüfung vom 25. September 2006 und den Ergänzungsbericht vom 8. November 2006 sowie wegen der Berechnung der Kalkulation auf Blatt "446 f der Bp-Arbeitsakte". Diese Feststellungen sind aber unzureichend. Denn für die Berechnung der Kalkulationsdifferenzen und die Ermittlung des Wareneinsatzes und damit zu den einzelnen Schätzungsgrundlagen wird in den Berichten auf diverse Anlagen Bezug genommen, die den Berichten nicht beigefügt sind.

26

Die Schätzungsgrundlagen (z.B. Wareneinsatz) sind damit weder nachprüfbar noch schlüssig begründet. Die Rechtmäßigkeit der Schätzung konnte das FG anhand dieser unvollständigen Berichte der Außenprüfung nicht überprüfen. Das FA hätte vielmehr Angaben machen müssen, die es dem Gericht ermöglicht hätten, die Angemessenheit der betreffenden Kalkulationen festzustellen. Dass das FG seine Beurteilung, die Schätzung des FA sei der Höhe nach unbedenklich, auf eine unzureichende Tatsachengrundlage gestützt hat, stellt einen Rechtsfehler dar, der schon für sich allein zur Aufhebung der Vorentscheidung führt.

27

c) Unbeschadet dessen sind zudem weitere Feststellungen des FG für die Annahme einer dem M zurechenbaren vGA notwendig.

28

aa) Die objektive Feststellungslast dafür, ob die Voraussetzungen einer vGA vorliegen, obliegt grundsätzlich dem FA (vgl. BFH-Urteile vom 16. Februar 1977 I R 94/75, BFHE 122, 48, BStBl II 1977, 568; vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569; vom 13. Juli 1994 I R 43/94, BFH/NV 1995, 548; vom 9. August 2000 I R 82/99, GmbH-Rundschau 2001, 208). Das betrifft sowohl das Vorliegen einer Vermögensminderung (verhinderten Vermögensmehrung) als auch die Frage nach der Veranlassung dieser Vermögensminderung (verhinderten Vermögensmehrung) durch das Gesellschaftsverhältnis. Zudem setzt die Erfassung einer vGA als Einnahme i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ihren Zufluss beim Empfänger voraus (§ 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 EStG). Spricht der festgestellte Sachverhalt dafür, dass diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, kann es allerdings Sache des Gesellschafters sein, den dadurch gesetzten Anschein zu widerlegen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Beweisrisikoverteilung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171; BFH-Beschluss vom 4. April 2002 I B 140/01, BFH/NV 2002, 1179; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 207, 549, BStBl II 2005, 160).

29

bb) Wie das FG rechtsfehlerfrei angenommen hat, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mitarbeiter der M-GmbH durch eine Manipulation der Bierzählerstände oder Dritte sich einen Teil der vereinnahmten Entgelte zugeeignet hätten. Das FG hat aber die Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis und den deswegen widerlegbar zu vermutenden Zufluss noch nicht hinreichend aufgeklärt. Auch ist aus diesem Grund die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat z.B. keine Feststellungen zu dem im Ergänzungsbericht der Außenprüfung vom 8. November 2006 (Seite 2) enthaltenen Hinweis getroffen, dass die z.T. unregelmäßige Auszahlung des Geschäftsführergehalts bzw. die Buchung des Gehalts nur über ein Verrechnungskonto ein Indiz für die fehlende Trennung des Bereichs der GmbH zur privaten Vermögenssphäre des Geschäftsführers ist. Sofern sich --beispielsweise-- eine solch fehlende Trennung des Bereichs der M-GmbH zur privaten Vermögenssphäre des Alleingesellschafters M im zweiten Rechtsgang als zutreffend herausstellen sollte, wäre es nach den Umständen des Streitfalls Sache des Klägers, den dadurch gesetzten Anschein für die Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis und den entsprechenden Zufluss bei M zu widerlegen.

30

3. Die Sache ist nicht spruchreif, sondern muss an das FG zur Nachholung der unterbliebenen Feststellungen zurückverwiesen werden.

31

a) Das FG wird zunächst erneut nach den oben (unter II.2.b) niedergelegten Maßstäben die Hinzuschätzungen auf der Ebene der M-GmbH zu prüfen haben. Soweit es an einem schlüssigen Schätzungsverfahren des FA fehlen sollte, muss das FG von seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO) Gebrauch machen.

32

b) Sollte das FG im zweiten Rechtsgang Hinzuschätzungen bei der M-GmbH dem Grunde und der Höhe nach --durch tatsächliche Feststellungen unterlegt-- für rechtmäßig erachten, hat es die notwendigen Feststellungen für die Annahme einer dem M zurechenbaren vGA nachzuholen (vgl. oben II.2.c).

33

c) Sollte sich danach eine bei M als Einnahme zu erfassende vGA ergeben, so wäre, wovon das FG im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist, das FA nicht aufgrund der Einigung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem F nach § 32a KStG zur Änderung der in der Insolvenztabelle angemeldeten Ansprüche auf Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2003 verpflichtet.

34

Nach § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG kann ein Steuerbescheid oder ein Feststellungsbescheid gegenüber dem Gesellschafter, dem die vGA zuzurechnen ist, aufgehoben oder geändert werden, soweit gegenüber einer Körperschaft ein Steuerbescheid hinsichtlich der Berücksichtigung einer vGA erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 32a KStG ist eröffnet, da die aufgrund der Einigung geänderten Körperschaftsteuerberechnungen für die M-GmbH, die zu einer Verminderung der angemeldeten Körperschaftsteuerforderungen geführt haben, nach dem 18. Dezember 2006 erfolgten (vgl. zum zeitlichen Geltungsbereich der Norm statt aller Blümich/Rengers, § 32a KStG Rz 9).

35

Zwar ist § 32a Abs. 1 KStG nach einer im Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung nach Auffassung des Senats (BFH-Beschluss vom 20. März 2009 VIII B 170/08, BFHE 224, 439) sachlich auch dann sinngemäß anwendbar, wenn sich die Beteiligten in dem Insolvenz-Feststellungsverfahren darauf geeinigt haben, dass die bei der M-GmbH angesetzte vGA reduziert wird und das für die M-GmbH zuständige F seine Anmeldung zur Insolvenztabelle entsprechend herabgesetzt hat. Im Streitfall kann die Frage einer sinngemäßen Anwendbarkeit der Vorschrift (streitig; bejahend Lang in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Kommentar zum KStG und EStG, § 32a KStG Rz 14b; kritisch Blümich/Rengers, § 32a KStG Rz 23; verneinend Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, GewStG, UmwStG, Freiburg 2011, § 32a KStG Rz 20, 23) indes offenbleiben. Wenn § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG sinngemäß anwendbar wäre, hätte das FA die äußeren Grenzen des eingeräumten Ermessens nicht überschritten.

36

Die in § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG gebrauchte Formulierung "kann" legt zwar eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde nahe (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 224, 439; Kohlhepp, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 1502), die in den Anwendungsbereich des § 102 FGO fällt (vgl. BFH-Urteil vom 28. September 2011 VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 102 Rz 12, m.w.N.). Dabei prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395; Gräber/von Groll, a.a.O., § 102 Rz 2, m.w.N.). Das der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessen wird in den Fällen des § 32a KStG allerdings regelmäßig auf Null reduziert, wenn die Steuerfestsetzung für den Gesellschafter ohne die Änderung sachlich unrichtig wäre und daher jede andere Entscheidung als die der Änderung der unrichtigen Steuerfestsetzung als ermessenswidrig beurteilt werden müsste (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 224, 439, m.w.N.).

37

Das FG hat im Streitfall zutreffend die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null nicht als erfüllt angesehen. Denn die Einigung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem F war wegen der Insolvenz der M-GmbH allein von dem Gedanken einer ökonomischen Verfahrensbeendigung geprägt und stellt keine sachgerechte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der M-GmbH dar. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt auch aus der Stellungnahme des Berichterstatters am FG vom 29. August 2007 im damaligen Klageverfahren kein anderes Ergebnis. Zwar hat sich dieser dahingehend geäußert, dass nach "summarischer Prüfung" die Reduzierung der vGA um 1/3 als möglich erscheine. Es ist jedoch --mangels Begründung durch den Berichterstatter-- nicht nachvollziehbar, wie er zu diesem Ergebnis gelangt ist, insbesondere hat er seinen Vorschlag nicht anhand von konkreten Zahlen oder durch die Benennung eines konkreten Fehlers bei der Schätzung belegt. Ebenso wenig ist bei der letztlich erzielten Einigung --Reduzierung der Hinzuschätzungsbeträge bei der M-GmbH um ein Drittel und Ansatz lediglich eines Drittels als vGA-- eine sachliche Grundlage in dem festgestellten Sachverhalt ersichtlich. Es ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FG annimmt, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der M-GmbH und das F mit der Einigung angesichts der geringen wirtschaftlichen Bedeutung das Klageverfahren ohne sachgerechte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der M-GmbH ohne Weiteres zum Abschluss bringen wollten.

38

d) Auf die Verfahrensrüge, mit der der Kläger geltend macht, die Vorentscheidung verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 FGO), da die angenommenen Kassenfehlbeträge widerlegt worden seien, kam es wegen der Zurückverweisung an das FG nicht mehr an.

39

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 10. Oktober 2013  2 K 4112/12 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2007 bis 2009 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Die Umsätze wurden im Wesentlichen in Form von Bargeschäften getätigt. Der Kläger ist nach §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches buchführungspflichtig. Er verwendet in seiner Apotheke als sog. Vorsystem das EDV-System "A" der Firma X, ein speziell für Apotheken entwickeltes Warenwirtschaftssystem mit integrierter Kassenfunktion. Die Buchführung wird mittels eines DATEV-Programms durch den Steuerberater erstellt.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte für die Streitjahre eine Außenprüfung durch. Zusammen mit der Prüfungsanordnung wies der Prüfer darauf hin, er beabsichtige von dem nach § 147 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bestehenden Recht des Zugriffs auf Daten, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (Warenwirtschafts- und Kassensystem) erstellt worden seien, Gebrauch zu machen und bat um Angaben zum EDV-System sowie um Zurverfügungstellung der entsprechenden Daten auf einem Datenträger. Dem kam der Kläger durch Vorlage einer CD-ROM nach, die jedoch keine Daten der PC-Kasse enthielt.

3

Im Verlauf der Prüfung forderte der Prüfer mehrfach die Datei BP_Kassenumsatz.csv aus dem vom Kläger eingesetzten EDV-System "A" an, die Informationen aller Barverkäufe im Detail enthält (Kassenauftragszeile). Der Kläger verweigerte die Vorlage dieser Datei und übergab stattdessen einen Datenträger mit den saldierten Tagesabschluss-Werten (CD "[Name des Klägers] Z-Bons 2007-2009"). Gegen die Datenanforderung legte er Einspruch ein, den das FA nach Abschluss der Außenprüfung mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig verwarf.

4

Der Prüfer war der Ansicht, weil der Kläger alle Warenbewegungen und Erlöse über das PC-Kassensystem erfasse, gehörten die Vorgangsdaten der einzeln aufgezeichneten Geschäftsvorfälle zu den Grundaufzeichnungen, da sich nur mit diesen das Zustandekommen der gebuchten Erlöse überprüfen lasse. Der Kläger sei der Vorlageaufforderung nicht nachgekommen, sodass die erklärten Erlöse nicht geprüft werden könnten. Aufgrund dieses elementaren Mangels habe die Buchführung die Vermutung für die sachliche Richtigkeit i.S. des § 158 AO verloren, weswegen eine Hinzuschätzung von 3 % der Barumsätze vorzunehmen sei. Das FA folgte der Auffassung des Prüfers und erließ u.a. entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009.

5

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 91 veröffentlichte Urteil, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung befreit. Soweit der Kläger freiwillig oder aus berufsrechtlichen Gründen weitergehende Aufzeichnungen gefertigt habe, sei er nicht zu deren Herausgabe verpflichtet gewesen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt seien und dem FA daher keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe. Insbesondere sei das FA nicht befugt gewesen, allein aufgrund der Weigerung des Klägers, die angeforderte Datei BP_Kassenumsatz.csv herauszugeben, pauschale Zuschätzungen vorzunehmen.

6

Die Revision des FA führte zu dem veröffentlichten Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 16. Dezember 2014 X R 47/13 (BFH/NV 2015, 793), in dem der erkennende Senat feststellte, es habe eine Verpflichtung des Klägers bestanden, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Durch das Zwischenurteil sollte den Beteiligten --wie in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2014 ausdrücklich erläutert-- Gelegenheit gegeben werden, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats zu einer Einigung zu kommen. Der Antrag des Klägers vom 24. April 2015, erneut einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, wurde durch Beschluss vom 6. Mai 2015 zwar mit dem Hinweis abgelehnt, der Senat werde --sollte eine Einigung bis zum Jahresende 2015 nicht erreicht werden können-- das Verfahren fortsetzen und ein Endurteil fällen. Nachdem das FA aber mit Schriftsatz vom 10. August 2015 vorgetragen hat, aus seiner Sicht erscheine eine --vom angerufenen Senat angeregte-- Einigung als aussichtslos, und der Kläger dieser Einschätzung nicht widersprochen hat, wird das Verfahren bereits jetzt fortgesetzt.

7

Das FA vertritt weiterhin die Auffassung, seine Schätzung sei rechtmäßig und könne den Änderungsbescheiden zugrunde gelegt werden.

8

Es beantragt,
das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an einen anderen Senat des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Das FA habe unter den Umständen des Streitfalls nicht einfach schätzen dürfen. Bevor nicht die streitige Frage des Datenzugriffsrechts geklärt gewesen sei, hätte das FA in der Weigerung, die angeforderte Datei herauszugeben, kein zu sanktionierendes Verhalten sehen dürfen.

11

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt das Vorbringen des FA.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

13

1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung befreit gewesen, die jeweiligen "Verkäufe über die Ladentheke" einzeln aufzuzeichnen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt gewesen seien und dem FA keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe.

14

Durch das Zwischenurteil vom 16. Dezember 2014 hat der erkennende Senat indes bindend entschieden, der Kläger sei verpflichtet gewesen, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Da die Anforderung der Kasseneinzeldaten durch das FA infolgedessen rechtmäßig war und der Kläger ihr nicht nachgekommen ist, war das FA dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 AO befugt.

15

2. Der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung des FG zu folgen, es widerspreche dem Zweck des § 162 Abs. 2 AO, eine darin genannte Pflichtverletzung anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige seine Herausgabepflicht bestreite, dies umfänglich begründe und die Vorlage der angeforderten Datei mit der Maßgabe anbiete, dass eine Pflicht zuvor gerichtlich festgestellt werde. Ebenso schließt sich der Senat nicht der finanzgerichtlichen Auffassung an, der Streit um vorgreifliche Rechtsfragen, deren isolierte Justiziabilität der Bundesfinanzhof (BFH) kurz zuvor in einem im Bundessteuerblatt veröffentlichten Urteil bestätigt habe, stelle keine mit der Zuschätzung zu belegende Verletzung von Pflichten i.S. von § 162 Abs. 2 AO dar.

16

Zwar wäre es wünschenswert gewesen, wenn die vorgreifliche und strittige Frage, ob und inwieweit eine Vorlagepflicht besteht, gerichtlich geklärt worden wäre, bevor das FA Schätzungsbescheide erlässt. Der Umstand, dass dies nicht geschehen ist, führt indes nicht dazu, dass die objektiv gegebene Verletzung der Herausgabepflicht entfällt. Diese berechtigt auch dann zur Schätzung, wenn die Existenz der Herausgabepflicht streitig war, der Steuerpflichtige hierüber --ggf. auch schuldlos-- irrte und die Frage erst nach Erlass der Schätzungsbescheide höchstrichterlich geklärt wurde.

17

Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO), so ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unerheblich, warum er sie nicht vorlegen kann, namentlich, ob ihn hieran ein Verschulden trifft (vgl. BFH-Entscheidungen vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819, unter 1.b; vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28, unter II.3.b ff.; vom 19. Juli 2010 X S 10/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2017, sowie vom 26. Oktober 2011 X B 44/11, BFH/NV 2012, 168, unter II.1.b). Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen will, so kann nichts anderes gelten, sodass in diesem Fall § 162 Abs. 2 AO entsprechend anzuwenden ist (so auch BFH-Beschluss vom 18. November 2009 VIII B 16/08, BFH/NV 2010, 389, unter II.1.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO Rz 37; Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 162 Rz 61; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 63).

18

3. Das FG hat --nach seiner Überzeugung zu Recht, da es bereits den Grund für eine Schätzung verneint hat-- keine Feststellungen zur Schätzung der Höhe nach getroffen, so dass die Sache zurückzuverweisen ist.

19

a) Ist ein Steuerpflichtiger seinen Verpflichtungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht nachgekommen und sind deshalb die Besteuerungsgrundlagen von der Finanzbehörde geschätzt worden, ist das FG gehalten, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch zu machen (siehe BFH-Urteil vom 18. Mai 1999 I R 102/98, BFH/NV 1999, 1492, unter II.). Das FG kann seine Verpflichtung zur eigenen Schätzung zwar auch dadurch erfüllen, dass es die Schätzung der Finanzbehörde prüft und als eigene übernimmt und sich dann darauf beschränkt, substantiierten Einwendungen gegen die Schätzung des FA nachzugehen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 12. Oktober 2005 VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326, und vom 6. Juni 2012 I R 99/10, BFHE 237, 335, BStBl II 2013, 196, unter 5.). Es ist aber nicht an die vom FA gewählte Schätzungsmethode gebunden, weil es nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene, selbständige Schätzungsbefugnis besitzt.

20

b) Im Streitfall kann den Urteilsgründen keine finanzgerichtliche Schätzung entnommen werden. Das FG spricht sich zwar gegen die vom FA vorgenommene umsatzbezogene pauschale Zuschätzung aus; in diesen Äußerungen liegt jedoch keine --konkludente-- eigene Schätzung. Das FG weist nämlich in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Befugnis zur Zuschätzung im Streitfall mit der umstrittenen Rechtsfrage zur Herausgabepflicht "steht und fällt". Da jedoch das FG bereits diese Verpflichtung als nicht gegeben ansieht, ist in seinem Urteil auch keine eigene Schätzung --und sei es auch nur hilfsweise-- zu erkennen.

21

Die ihm obliegende Schätzung hat das FG daher nachzuholen.

22

4. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, die Streitsache --wie vom FA beantragt-- an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.

23

Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung kann der BFH die Rechtssache durch besondere Anordnung an einen anderen Senat des FG zurückverweisen (z.B. BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R 68/93, BFH/NV 1994, 798, unter II.2., m.w.N.). Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. So kommt sie in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des FG-Senats bestehen, der das aufgehobene Urteil gesprochen hat (BFH-Urteil vom 25. November 2009 I R 18/08, BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b). Von einer Zurückverweisung an einen anderen Senat ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn das Revisionsgericht aufgrund der besonderen Umstände befürchten muss, dass es dem Vordergericht schwerfallen wird, sich die rechtliche Beurteilung, die zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils führte, voll zu eigen zu machen (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 798, unter II.2.).

24

Derartige Zweifel bzw. Umstände sind im Streitfall nicht erkennbar. Da sich die Frage einer Zurückverweisung nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG nicht mit der Unrichtigkeit des Urteils ("greifbare Rechtswidrigkeiten") begründet werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b, m.w.N.). Auch die vom FA angeführte Urteilspassage reicht nicht aus, um auf eine unsachliche, unfaire oder voreingenommene Einstellung des FG dem FA gegenüber schließen zu können.

25

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.