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| Die zulässige Klage ist begründet. |
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| I.) Der Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des Bekl sind rechtswidrig und verletzen die Kl in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für eine Änderung der ESt-Bescheide 2009 bis 2011 nach § 173 AO liegen vor. Insbesondere trifft die Kl kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen. |
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| 1.) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. |
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| Im Streitfall ist die Tatsache nachträglich bekannt geworden, dass in dem vom Arbeitgeber des Kl in den Jahresbescheinigungen ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn die gezahlten Kinderzulagen enthalten sind. Dieser Umstand ist dem Bekl erst am 18. November 2013 und somit nach Erlass der ESt-Bescheide für 2009, 2010 und 2011 mitgeteilt worden. |
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| 2.) Die Kl trifft kein grobes Verschulden daran, dass sie dem Bekl erst nachträglich mitgeteilt haben, dass in dem vom Schweizer Arbeitgeber des Kl ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn Kinderzulagen enthalten sind. |
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| a) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 9. November 2011 X R 53/09, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen -BFH/NV- 2012, 545; vom 16. Mai 2013 III R 12/12, BFH/NV 2013, 372). Nach der Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten; dabei werden an einen solchen Berater erhöhte Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der von diesem zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften gestellt (z.B. BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, Bundessteuerblatt -BStBl- Teil II 1983, 324; vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BStBl II 1984, 2; vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BStBl II 2013, 566). |
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| Grob fahrlässiges Handeln nimmt die Rechtsprechung insbesondere dann an, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt. Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 4. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641; vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; vom 20. März 2013 VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige -auch wenn ihm steuerrechtliche Kenntnisse fehlen- andererseits nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet (vgl. BFH-Urteil vom 18. März 2014 X R 8/11, BFH/NV 2014, 1347, mit weiteren Nachweisen). Ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, muss im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind. Auch muss der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen. |
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| Demgegenüber stellen Fehler und Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden muss, keine grobe Fahrlässigkeit dar; insbesondere bei unbewussten - mechanischen - Fehlern, die selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden sind, kann grobe Fahrlässigkeit - nicht stets, aber im Einzelfall - ausgeschlossen sein (BFH-Urteil vom 13. September 1990 V R 110/85, BStBl II 1991, 124). Dies betrifft insbesondere unbewusste und mechanische Fehler, die selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden sind. |
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| b) Unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalles liegt nach Überzeugung des Senats danach zwar eine - leichte - Sorgfaltspflichtverletzung seitens der Kl vor, die Grenze zur groben Fahrlässigkeit ist jedoch noch nicht überschritten worden. |
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| aa) Der Bekl hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass die Kl bzw. ihr steuerlicher Berater bei Erstellung der Steuererklärungen für die Streitjahre die im Formular N-Gre ausdrücklich enthaltene Zeile „Kinderzulage“ nicht ausgefüllt haben. Er ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kl bzw. ihr Bevollmächtigter dabei entsprechend den oben genannten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung grob fahrlässig gehandelt haben. |
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| So liegt hier gerade keiner der Fälle vor, in denen der Steuerpflichtige bzw. deren steuerlicher Berater eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet. Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist in einem solchen Zusammenhang nicht grundsätzlich, sondern nur dann von einer groben Fahrlässigkeit auszugehen, wenn der Steuerpflichtige bzw. sein steuerlicher Berater in Steuerformularen gestellte Fragen - bewusst - nicht beantwortet oder klare und ausreichend verständliche Hinweise und Angaben - bewusst - unbeachtet lässt (vgl. BFH-Urteil vom 18. März 2014 X R 8/11, BFH/NV 2014, 1347, mit weiteren Nachweisen). Einen Rechtssatz, wonach eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO immer ausgeschlossen sei, sofern ein bloßer Zusammenhang der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache mit einer in der Steuererklärung gestellten Frage besteht, gibt es hingegen nicht (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 27. März 2015 13 K 3844/13 E, EFG 2016, 10). |
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| Im Streitfall hat der steuerliche Berater der Kl die im Formular N-Gre gestellte Frage nach einer „Kinderzulage“ anhand der Jahreslohnbescheinigung (mittelbar) mit „nein“ beantwortet. Denn in dieser war eine solche ja gerade nicht ausgewiesen. Um, wie der Bekl fordert, die ausdrücklich gestellte Frage richtig zu beantworten, hätte der Bevollmächtigte zunächst erkennen müssen, dass die Kinderzulagen im Bruttolohn enthalten sind. Die Kl und ihr steuerlicher Berater haben also im Formular die Frage nicht bewusst nicht, sondern unbewusst unrichtig beantwortet. |
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| Dass die Kl dem steuerlichen Berater jeweils nur die Jahreslohnbescheinigungen vorgelegt haben und dieser die ESt-Erklärung nur anhand dieser Bescheinigung erstellte, begründet keinen Vorwurf einer groben Pflichtverletzung. Die Erstellung einer ESt-Erklärung anhand der Jahreslohnbescheinigung ist in der Praxis absolut üblich. Weder die Kl noch der Prozessbevollmächtigte hatten zudem - in den Streitjahren - Anlass, den jeweiligen Bescheinigungen nicht zu vertrauen. Diese waren auch nicht falsch, denn aus Sicht des Schweizer Arbeitgebers war die Kinderzulage Bestandteil des Bruttolohns, wie auch aus den monatlichen Lohnbescheinigungen hervorgeht. |
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| Richtig ist, dass sowohl den Kl als auch dem Steuerberater der Fehler aufgefallen wäre - oder zumindest hätte auffallen müssen -, wenn sie die Jahreslohnbescheinigungen mit den monatlichen Lohnbescheinigungen abgeglichen hätten. Dass dies indes in den Streitjahren nicht geschah, stellt aber nach Auffassung des erkennenden Senats weder bei den Kl noch beim Steuerberater einen besonders schweren, nicht entschuldbaren Pflichtverstoß dar, denn die Erforderlichkeit dessen musste sich aus den oben genannten Gründen bereits nicht aufdrängen. |
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| bb) Auch soweit der Berater der Kl dem Thema „Kinderzulage“, allein aufgrund der im Formular enthaltenen Rubrik, nicht weiter nachgegangen ist, liegt kein schwerer, nicht entschuldbarer Pflichtverstoß vor. |
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| Der Prozessbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass er bzw. sein Büro bisher nicht mit Grenzgängerfällen im Verhältnis zur Schweiz befasst gewesen ist. Er besaß also keine Erfahrungen auf diesem Gebiet. Auch wenn an den Prozessbevollmächtigten erhöhte Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften gestellt werden (z.B. BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BStBl II 1983, 324 und vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BStBl II 2013, 566), handelte es sich um eine spezielle Konstellation im tatsächlichen Bereich, die sich auch dem Fachkundigen nicht ohne weiteres erschließen konnte und musste. Denn die vorgelegte Jahreslohnbescheinigung enthielt hierzu - wie schon ausgeführt - gerade keinen Anhaltspunkt für weitere Erwägungen. |
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| Zu berücksichtigen ist weiter, dass es letztlich nicht um die Frage ging, ob der Kl von seinem Schweizer Arbeitgeber Kinderzulagen erhalten hat. Es ging auch nicht um die (Rechts-)Frage, ob eine solche steuerfrei ist. Der Prozessbevollmächtigte hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass aus seiner Sicht mit dem Ausweis des jeweiligen Kindergeldanspruchs an sich alles für eine in punkto Kindergeld zutreffende Steuerfestsetzung getan war. Dabei ging er - zutreffend - davon aus, dass die Kl für ihre Kinder in der Summe auch jeweils die entsprechenden Jahresbeträge erhalten haben. Die zu Lasten der Kl unzutreffende ESt-Festsetzung beruht vielmehr auf dem Umstand, dass die Schweizer Kinderzulage unerkannt im Bruttolohn enthalten war, mit der Folge, dass dieser damit zu hoch ausgewiesen war. Kausal war also nicht die nicht ausreichende Befassung mit der Kindergeld- bzw. -zulagenproblematik, sondern die Nichterkennbarkeit der Zusammensetzung des Bruttolohns. |
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| cc) Die Kl haben auch nicht im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dadurch grob fahrlässig gehandelt, dass sie die von ihrem Steuerberater auftragsgemäß gefertigte Steuererklärung unterzeichneten. Zwar räumte der Kl in der mündlichen Verhandlung freimütig ein, dass sie die Steuererklärung vor Leistung der Unterschrift nicht im Einzelnen geprüft haben. Die Kl verwiesen hierzu nachvollziehbar darauf, dass sie ja gerade wegen fehlender eigener Fachkunde einen Steuerberater beauftragt hätten. |
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| Ein Steuerpflichtiger ist zwar verpflichtet, die von seinem steuerlichen Berater vorbereitete Erklärung darauf zu überprüfen, ob sie alle Angaben tatsächlicher Art enthält. Jedoch darf der Steuerpflichtige im Regelfall darauf vertrauen, dass der Steuerberater die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn er diesem die für die Erstellung der Steuerklärung erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat (vgl. BFH vom 18. Mai 2005 VIII R 107/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2006, 115). Danach ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, die vom Steuerberater vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen. Jedenfalls ist es hiernach ausreichend, wenn der Steuerpflichtige die tatsächlichen Angaben vor Unterzeichnung der Erklärung überprüft. |
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| Den Kl war - was sie auch einräumten - schon aufgrund der umfangreicheren Kontakte zur Familienkasse bewusst, dass der Kl Kinderzulagen aus der Schweiz erhielt und im Inland lediglich Differenzbeträge gezahlt wurden. Hieraus hätten sie aber auch bei Prüfung der ESt-Erklärung weder erkennen können noch müssen, dass die Kinderzulage im ausgewiesenen Bruttolohn enthalten gewesen ist und letzterer daher zu hoch angesetzt ist. |
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| Gleiches gilt für den Ausweis des deutschen Kindergeldes in der ESt-Erklärung. Der Umstand, dass entgegen der Angabe in der ESt-Erklärung nicht jeweils inländisches Kindergeld in Höhe des gesetzlichen Jahresbetrages gezahlt wurde, sondern sich dieser Betrag in Schweizer Kinderzulage und deutsches Differenzkindergeld aufteilte, weist für sich genommen nicht darauf hin, dass die Schweizer Kinderzulage im ausgewiesenen Bruttolohn enthalten ist. Ein - als ausreichend zu erachtender - Abgleich mit den Jahreslohnbescheinigungen hat und hätte diesen Fehler nicht zu Tage befördert. |
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| dd) Schließlich sind die Kl ihren Zweifeln an der Richtigkeit der Steuerfestsetzung sofort nachgegangen, sobald sie diese bemerkt haben. Der Bevollmächtigte hat hierzu ausgeführt, dass bei Gesprächen mit den Kl Höhe und Zusammensetzung des Gehalts des Klägers zum Zwecke des Vergleichs im Zusammenhang mit Bewerbungen thematisiert worden sei. Außerdem hätten sich aufgrund der steigenden Steuerlast Zweifel ergeben, die bei der Vorbereitung zur ESt-Erklärung für 2012 zum Abgleich mit den monatlichen Verdienstabrechnungen geführt hätten. Hiernach sei auch für die Streitjahre der Abgleich erfolgt und der Fehler entdeckt worden. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser - schlüssig und nachvollziehbar vorgetragenen - Angaben zu zweifeln. |
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