Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 18. Dez. 2015 - 1 WNB 1/15

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2015:181215B1WNB1.15.0
bei uns veröffentlicht am18.12.2015

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 21. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) liegt nicht vor.

2

Die Antragstellerin hat sich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen (telefonischen) Befehl ihres Kompaniechefs vom 29. Oktober 2014 gewandt, sich einer ärztlichen Begutachtung gemäß Belegart (BA) 90/5 beim Fachsanitätszentrum M. zu unterziehen. Nach Auffassung der Antragstellerin hat sich das Truppendienstgericht in dem angefochtenen Beschluss nur mit der Frage befasst, ob nach der bereits erfolgten ärztlichen Begutachtung durch den Truppenarzt der Sanitätsstaffel Mu. eine erneute ärztliche Begutachtung beim Fachsanitätszentrum M. angeordnet werden durfte. Das Truppendienstgericht habe jedoch unberücksichtigt gelassen, dass sie, die Antragstellerin, sich auch dagegen gewandt habe, dass die Untersuchung bei einem Truppenarzt in M. erfolgen solle, mit dem der Kompaniechef zuvor Absprachen getroffen habe, also bei einem ganz konkreten Truppenarzt.

3

Die Beschwerde macht damit sinngemäß eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.

4

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Oktober 2009 - 1 BvR 1729/09 - Rn. 12 und vom 18. Januar 2011 - 1 BvR 2441/10 - Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom 24. August 2012 - 1 WNB 4.12 - Rn. 4 m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen; insbesondere begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat. Besondere Umstände in diesem Sinne liegen etwa dann vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist.

5

Gegen diese Grundsätze hat das Truppendienstgericht nicht verstoßen.

6

Aus dem Tatbestand des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass das Truppendienstgericht die Einwände der Antragstellerin gegen die Untersuchung bei einem Truppenarzt beim Fachsanitätszentrum M., mit dem der Kompaniechef angeblich ihr nachteilige Absprachen getroffen habe, zur Kenntnis genommen hat. Unter I.3 des Tatbestands finden sich - in wörtlicher Wiedergabe - die diesbezüglichen Kernsätze aus der (Ausgangs-) Beschwerde der Antragstellerin vom 30. Oktober 2014. Unter I.4 des Tatbestands wird der Inhalt des Beschwerdebescheids vom 26. November 2014 referiert, der sich ausführlich mit den Gründen für die Bestimmung gerade des Fachsanitätszentrums M. als untersuchender Stelle und mit dem Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für der Antragstellerin nachteilige Absprachen befasst. Unter I.5 des Tatbestands schließlich wird der Vortrag im gerichtlichen Verfahren - ebenfalls in wörtlichem Zitat - wiedergegeben, mit dem die Antragstellerin nochmals den Vorwurf erhoben hat, der Kompaniechef habe versucht, Einfluss auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung zu nehmen.

7

Auch für die Rüge, das Truppendienstgericht habe "unberücksichtigt gelassen, dass die Antragstellerin - nicht bestritten - vorgetragen hat, dass dem Truppenarzt in Mu. sämtliche ärztlichen Unterlagen" vorgelegen hätten, finden sich keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hat in ihrer Beschwerde vom 30. Oktober 2014 lediglich angeführt, dass dem Truppenarzt in Mu. Facharztbefunde vom 28. Juli und 22. September 2014 vorgelegen hätten; genau dies - Vorliegen von zwei Facharztbefunden - gibt der angefochtene Beschluss (unter I.3 erster Absatz am Ende) wieder.

8

Das Truppendienstgericht hat sich schließlich auch in den rechtlichen Entscheidungsgründen mit der Bestimmung gerade des Fachsanitätszentrums M. befasst. Es hat hierzu - wie bereits der Beschwerdebescheid vom 26. November 2014 - auf Kap. D 01.01 der Fachdienstlichen Anweisungen des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (Allgemeiner Umdruck 80) verwiesen, wonach militärärztliche Begutachtungen durch den für den Probanden zuständigen Truppenarzt zu erfolgen hätten; dies sei vorliegend das Fachsanitätszentrum M. gewesen. Der Befehl des Kompaniechefs vom 29. Oktober 2014 entspreche damit den fachdienstlichen Vorgaben und setze diese um. Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerde geltend machen will, dass mit der Vorgabe eines konkreten Truppenarztes im Fachsanitätszentrum M. ihre Arztwahl beeinträchtigt werde, hat sie diese Rüge erstmals im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhoben. Das Truppendienstgericht hat ferner betont, dass für die Begutachtung die Nutzung der - beim Fachsanitätszentrum M., nicht aber beim Truppenarzt in Mu. vorhandenen - vollständigen Krankenunterlagen, unter Einschluss insbesondere der G-Akte, erforderlich sei. Dass letztere dem Truppenarzt in Mu. vorgelegen habe, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Schließlich hat sich das Truppendienstgericht auch mit dem Vorwurf manipulativer Absprachen zulasten der Antragstellerin befasst und hierfür keine Belege gesehen.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Wehrbeschwerdeordnung - WBO | § 23a Ergänzende Vorschriften


(1) Zur Ergänzung der Vorschriften dieses Gesetzes gelten die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung, insbesondere über Akteneinsicht, Befangenheit der für die Entscheidung zuständigen Disziplinarvorgesetzten, Bindung an tatsächliche Feststellungen

Wehrbeschwerdeordnung - WBO | § 22a Rechtsbeschwerde


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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 18. Jan. 2011 - 1 BvR 2441/10

bei uns veröffentlicht am 18.01.2011

Tenor 1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 23. August 2010 - 461 C 2877/10 - und das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 6. Juli 2010 - 461 C 2877/10 - verletzen den Beschwerdeführ

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(1) Gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts steht dem Beschwerdeführer und dem Bundesministerium der Verteidigung die Rechtsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn diese in der Entscheidung des Truppendienstgerichts oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung durch das Bundesverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Beschwerdesache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
der angefochtene Beschluss von einer Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Truppendienstgericht gebunden.

(4) Die Rechtsbeschwerde ist bei dem Truppendienstgericht, dessen Beschluss angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses schriftlich zu begründen.

(5) Der Beschwerdeführer muss sich im Rechtsbeschwerdeverfahren, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder durch eine Person vertreten lassen, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz hat. § 21 Absatz 2 und 3 Satz 2 gilt entsprechend.

(6) Über die Rechtsbeschwerde entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss. Ist die Rechtsbeschwerde begründet, kann das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst entscheiden oder den angefochtenen Beschluss aufheben und die Sache an das Truppendienstgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Zur Ergänzung der Vorschriften dieses Gesetzes gelten die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung, insbesondere über Akteneinsicht, Befangenheit der für die Entscheidung zuständigen Disziplinarvorgesetzten, Bindung an tatsächliche Feststellungen anderer Entscheidungen, Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen und Wiederaufnahme entsprechend.

(2) In den gerichtlichen Antragsverfahren sowie in den Verfahren nach den §§ 22a und 22b sind darüber hinaus die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sowie des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Bundesgerichtshofs die Wehrdienstsenate beim Bundesverwaltungsgericht treten und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt.

(3) Für die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gilt § 152a der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 23. August 2010 - 461 C 2877/10 - und das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 6. Juli 2010 - 461 C 2877/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Hannover zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen amtsgerichtliche Entscheidungen.

2

1. Der Beschwerdeführer kaufte am 22. Mai 2009 bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) einen gebrauchten Pkw und schloss gleichzeitig einen selbständigen Garantievertrag für das Fahrzeug ab. Nachdem sich kurz nach der Übergabe Mängel am Getriebe des Fahrzeugs zeigten, wandte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. August 2009 schriftlich an die Beklagte und forderte diese unter Fristsetzung auf, die Mängel zu beseitigen. Die Beklagte erklärte sich hierauf mit Schreiben vom 13. August 2009 zur Nachbesserung des Fahrzeugs bereit und teilte gleichzeitig mit, dass sie mit einer Ersatzvornahme durch eine andere Werkstatt nicht einverstanden sei. Nach telefonischer Rücksprache mit der Beklagten ließ der Beschwerdeführer in der Folge eine zunächst erfolglose Reparatur und anschließend einen Austausch des Getriebes des Fahrzeugs durch eine andere Fachwerkstatt vornehmen. Anschließend stellte der Beschwerdeführer der Beklagten die nach Abzug der vom Garantiegeber erbrachten Garantieleistungen verbliebenen Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 492,24 € (212,04 € aus der ersten Reparatur und 280,20 € aus der zweiten Reparatur) in Rechnung.

3

Da die Beklagte diesen Betrag nicht bezahlte, erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem Amtsgericht und machte dabei Schadensersatzansprüche in Höhe der Reparaturkosten von 492,24 € nebst Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 58,50 € gegen die Beklagte geltend. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer aus, die Beklagte sei aufgrund des geltenden Gewährleistungsrechts zum Ersatz der nach Abzug der Garantieleistungen verbliebenen Reparaturkosten verpflichtet; mit einer Reparatur des Fahrzeugs in einer Fachwerkstatt habe sich die Beklagte einverstanden erklärt. Durch Beschluss vom 15. April 2010 ordnete das Amtsgericht gemäß § 495a der Zivilprozessordnung (ZPO) das schriftliche Verfahren an. Die Beklagte beantragte in der Folge Klagabweisung und wies darauf hin, dass sie dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. August 2009 die Nachbesserung des Fahrzeugs angeboten und gleichzeitig die Durchführung der Reparatur durch eine andere Werkstatt abgelehnt habe; der Beschwerdeführer habe ihr das Recht zur Nachbesserung abgeschnitten. Hierauf führte der Beschwerdeführer aus, dass es nach dem Schriftwechsel zwischen ihm und der Beklagten am frühen Abend des 14. August 2009 zu einem Telefonat zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten gekommen sei, in dem man sich im Hinblick auf die weite Entfernung zwischen dem Standort des Fahrzeugs bei Dresden und der Werkstatt der Beklagten in Hannover darauf geeinigt habe, dass er die erforderlichen Reparaturen in einer Fachwerkstatt in Dresden vornehmen lassen könne; zum Beweis seines Vorbringens beantragte der Beschwerdeführer seine Vernehmung als Partei. Die Beklagte nahm hierzu nochmals Stellung und führte unter erneutem Hinweis auf ihr Schreiben vom 13. August 2009 aus, dass ihr nicht nachvollziehbar sei, warum der Beschwerdeführer ihr Angebot zur Nachbesserung ausgeschlagen und eine andere Fachwerkstatt mit der Mängelbeseitigung beauftragt habe. Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zu dem Telefonat am 14. August 2009 ging die Beklagte nicht ein.

4

Durch Urteil vom 6. Juli 2010 wies das Amtsgericht die Klage des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt und habe ihr das Recht zur Nacherfüllung genommen, indem er das Fahrzeug in einer anderen Werkstatt habe reparieren lassen, obwohl die Beklagte eine Kostenübernahme hierfür ausdrücklich abgelehnt habe.

5

Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge wies das Amtsgericht durch Beschluss vom 23. August 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, das Parteivorbringen sei umfassend berücksichtigt worden. Selbst wenn der Beschwerdeführer wirksam eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe, sei der Beklagten dennoch das Recht zur zweiten Andienung genommen worden. Das Urteil sei nicht ausschließlich mit dem Fehlen einer Fristsetzung begründet worden, sondern auch damit, dass der Beschwerdeführer das Fahrzeug nicht von der Beklagten habe reparieren lassen, obwohl diese hierzu bereit gewesen sei. Als Beweisantritt für das vom Beschwerdeführer behauptete Telefonat, bei dem der Geschäftsführer der Beklagten einer Reparatur durch einen Dritten zugestimmt haben solle, sei nur eine Parteieinvernahme angeboten worden. Gemäß § 445 ZPO sei dieser Antrag nicht zu berücksichtigen gewesen, weil das Gericht aufgrund des vorgelegten Schriftwechsels davon überzeugt gewesen sei, dass die Beklagte eine Reparatur durch einen Dritten abgelehnt habe.

6

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung führt er aus, das Amtsgericht habe seinen unstreitig gebliebenen Vortrag übergangen, wonach er der Beklagten eine Frist zur Nachbesserung gesetzt habe und wonach die Parteien nach dem Schriftwechsel telefonisch vereinbart hätten, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug in einer anderen Fachwerkstatt reparieren lassen dürfe. Die Ausführungen des Amtsgerichts zu seinem Beweisangebot für das Telefonat am 14. August 2009 seien prozessual unzutreffend, weil mit § 138 ZPO unvereinbar. Da sein Vorbringen unbestritten geblieben sei, sei es auf eine Beweiserhebung oder deren Voraussetzungen nicht angekommen. Das Amtsgericht sei bei seiner Entscheidung vom Gegenteil seines unstreitig gebliebenen Vortrags ausgegangen und habe sein Vorbringen zu dem Telefonat vollkommen unberücksichtigt gelassen. Aus welchen Gründen das Gericht eine Überzeugung habe gewinnen können, die dem Gegenteil des unstreitigen Parteivortrags entspreche, sei nicht mitgeteilt worden.

7

3. Das Niedersächsische Justizministerium und die Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

8

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 141 <143 f.>; 86, 133 <144 ff.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

9

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

10

Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 <190> m.w.N.; 86, 133 <144 ff.>). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet daher das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Ein vom Bundesverfassungsgericht festzustellender Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber dann vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <144 ff.>). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht vorgetragen behandelt (vgl. BVerfGK 10, 41 <46> m.w.N.).

11

Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht insbesondere sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblichen Vorbringens und erheblicher Beweisanträge (vgl. BVerfGE 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 65, 305 <307>; 69, 141 <143 f.>). Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfGE 60, 1 <5>; 60, 305 <310>; 62, 249 <254>; 69, 141 <144>); dies kann aber nicht mehr gelten, wenn die Nichtberücksichtigung von Vortrag oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 60, 250 <252>; 65, 305 <307>; 69, 141 <144>).

12

Dies ist vorliegend der Fall. Das Amtsgericht hat den Vortrag des Beschwerdeführers zu der von ihm erklärten Fristsetzung zur Nachbesserung und zur telefonischen Vereinbarung einer Reparatur des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch eine andere Fachwerkstatt in dem angegriffenen Urteil vom 6. Juli 2010 offensichtlich übergangen. Diese Gehörsverletzung wurde zwar insoweit geheilt, als das Amtsgericht das Vorbringen zur Fristsetzung zur Nachbesserung in dem Beschluss über die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers ausdrücklich berücksichtigt hat. Nicht geheilt wurde die Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör allerdings hinsichtlich seines weiteren Vorbringens zu der telefonisch mit dem Geschäftsführer der Beklagten am 14. August 2009 getroffenen Vereinbarung, wonach er das streitgegenständliche Fahrzeug in einer anderen Fachwerkstatt reparieren lassen durfte. Das Amtsgericht hat diesen Vortrag des Beschwerdeführers zwar formal aufgegriffen; es hat das Vorbringen aber aus Gründen, die im Prozessrecht keine Stütze finden, nicht ernsthaft in Betracht gezogen und nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Das Amtsgericht hat verkannt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu der vom vorangegangenen Schriftverkehr abweichenden Vereinbarung über die Reparatur des Fahrzeugs von der Beklagten in keiner Weise bestritten worden ist. Damit hat das Amtsgericht das tatsächlich unstreitige Vorbringen des Beschwerdeführers zu dem Telefonat am 14. August 2009 ohne Grundlage im geltenden Prozessrecht in unvertretbarer Weise als streitig und in der Folge zudem als nicht erwiesen erachtet. Den amtsgerichtlichen Entscheidungen lässt sich schon nicht ansatzweise entnehmen, warum das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Telefonat am 14. August 2009 als bestritten und damit überhaupt als beweisbedürftig angesehen worden ist. Die Behandlung des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers als streitig ist insbesondere nach der unmittelbaren Erwiderung der Beklagten nicht vertretbar, weil sich diese in dem neuerlichen Hinweis der Beklagten auf ihre im Schreiben vom 13. August 2009 erklärte Bereitschaft zur Nachbesserung erschöpfte. Diese Erklärung ist aber schon wegen der zeitlichen Abfolge nicht geeignet, das vom Beschwerdeführer für den nachfolgenden Tag behauptete Telefonat in Frage zu stellen.

13

Nachdem das Amtsgericht unstreitigen und erheblichen Vortrag des Beschwerdeführers übergangen und ohne Stütze im einschlägigen Prozessrecht nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, verletzen ihn die angegriffenen Entscheidungen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

14

Auf dieser Grundrechtsverletzung beruhen die angegriffenen Entscheidungen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass unter Berücksichtigung des unstreitigen Vorbringens des Beschwerdeführers zu der am 14. August 2009 getroffenen Vereinbarung eine ihm günstigere Entscheidung ergangen wäre.

15

2. Die Entscheidungen des Amtsgerichts sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache selbst ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

16

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Zur Ergänzung der Vorschriften dieses Gesetzes gelten die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung, insbesondere über Akteneinsicht, Befangenheit der für die Entscheidung zuständigen Disziplinarvorgesetzten, Bindung an tatsächliche Feststellungen anderer Entscheidungen, Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen und Wiederaufnahme entsprechend.

(2) In den gerichtlichen Antragsverfahren sowie in den Verfahren nach den §§ 22a und 22b sind darüber hinaus die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sowie des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Bundesgerichtshofs die Wehrdienstsenate beim Bundesverwaltungsgericht treten und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt.

(3) Für die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gilt § 152a der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.