Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 21. März 2016 - 1 BvR 53/14
Gericht
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen sozialgerichtliche Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes, mit denen ihr die vorläufige Übernahme der Kosten einer ambulanten 24-Stunden-Betreuung als persönliches Budget im Rahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe anstelle einer bestehenden stationären Versorgung versagt wurde. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt sie die Verletzung von Grundrechten durch die fehlende Berücksichtigung der von Art. 19 UN-Behindertenrechtskonvention (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl II S. 1419) garantierten Wahlfreiheit behinderter Menschen, außerhalb von Heimen und anderen stationären Einrichtungen zu leben. Die Eilentscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nach ihrer Auffassung zudem aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den gesetzlichen Bestimmungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG entsprechend begründet ist.
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Die Darlegungen versetzen das Bundesverfassungsgericht nicht in die Lage zu prüfen, ob die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Insbesondere ist nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht erkennbar, dass die Gerichte bei der Auslegung von § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII und Art. 19 UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen der summarischen Prüfung dem Gewicht der in Frage stehenden Grundrechte - hier: Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG - unzureichend Rechnung getragen haben (vgl. BVerfGE 126, 1 <27 f.>).
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Die Beschwerdeführerin hat weder die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegenden Bescheide noch die entsprechenden Anträge vorgelegt oder in hinreichendem Umfang ihrem Inhalt nach wiedergegeben. Insbesondere fehlt die durch ein Beratungsunternehmen gefertigte Aufstellung der mit dem persönlichen Budget zu beschaffenden Leistungen. Auch liegen die Bewilligungsbescheide bezüglich der derzeit bezogenen Eingliederungsleistungen nicht vor. Auf dieser Grundlage kann nicht nachvollzogen werden, ob der Beschwerdeführerin verschlossene Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 96, 288 <303>) nur unzureichend durch das derzeitige Leistungsangebot der stationären Versorgung kompensiert werden. Die Begründungsmängel betreffen auch die Frage, welche Folgen die Heranziehung von Art. 19 UN-Behindertenrechtskonvention als Auslegungshilfe (vgl. BVerfGE 128, 282 <306>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2014 - 1 BvR 856/13 -, www.bverfg.de, Rn. 6) für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hat. Denn auch der Vorteil der beantragten Leistung für eine unabhängige Lebensführung in Gestalt einer deinstitutionalisierten Einbeziehung der behinderten Menschen in die Gemeinschaft, auf die Art. 19 UN-Behindertenrechtskonvention abzielt (vgl. die Thematische Studie des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zum Recht von Menschen mit Behinderungen auf unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft
vom 12. Dezember 2014), kann aufgrund der unzureichenden Darlegungen nicht bewertet werden.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Annotations
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.
In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Die Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambulante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Unzumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.
(2) Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.
(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.
(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.