Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 18. Nov. 2018 - 1 BvR 1481/18

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181118.1bvr148118
bei uns veröffentlicht am18.11.2018

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich als Verfahrensbeiständin zweier Kinder mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung, in der den Eltern wegen des Verdachts, dass der Vater pädophile Neigungen hat, im Wege der einstweiligen Anordnung Auflagen nach § 1666 Abs. 3 BGB erteilt wurden. Nachdem zwischenzeitlich eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache ergangen ist, begehrt sie die Feststellung, dass die Kinder in ihrem Anspruch auf Schutz des Staates aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG dadurch verletzt seien, dass das Oberlandesgericht in der einstweiligen Anordnung davon abgesehen habe, den Vater aus der Wohnung zu verweisen.

I.

2

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil sie unzulässig ist. Mit Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache ist jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

3

1. Das ursprünglich mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren ist erledigt, weil die Entscheidung in der Hauptsache nach § 40 Abs. 1 FamFG mit Bekanntgabe an die Beteiligten wirksam geworden und somit die angegriffene Entscheidung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 FamFG außer Kraft getreten ist. Die ausweislich der Mitteilung der Beschwerdeführerin eingelegten Beschwerden mehrerer Beteiligter des Verfahrens haben keine aufschiebende Wirkung (statt vieler: Abramenko, in: Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 64 FamFG Rn. 20; Sternal, in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 64 FamFG Rn. 57).

4

2. Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse besteht nicht. Weder sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, noch ist eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen, noch ist eine fortdauernde Beeinträchtigung der Kinder durch die angegriffene Entscheidung zu erkennen (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 69, 161 <168>; 81, 138 <140 f.>).

5

Die grundsätzlichen Fragen zum Anspruch des Kindes auf Schutz gegen den Staat (vgl. zuletzt BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, juris, Rn. 37 ff. und vom 30. April 2018 - 1 BvR 393/18 -, juris, Rn. 6) und zu den Anforderungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung (vgl. zuletzt BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2017 - 1 BvR 1202/17 -, juris, Rn. 19 m.w.N. und vom 23. April 2018 - 1 BvR 383/18 -, juris, Rn. 18 f.) sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.

6

Die Wiederholung der Maßnahme ist nicht zu besorgen. Dass mit der Entscheidung in der Hauptsache vergleichbare Anordnungen getroffen werden könnten wie in der einstweiligen Anordnung genügt dafür nicht. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Entscheidung könnte auch dann nicht übertragen werden, denn sie betrifft einen längeren Zeitraum. Dann sind in der Abwägung allerdings zusätzliche Gesichtspunkte zu beachten. Ferner liegt aufgrund der zwischenzeitlichen neuen Erkenntnisse - insbesondere nach Erstellung des Sachverständigengutachtens - eine andere Tatsachengrundlage vor als bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung, so dass eine neue, von der angegriffenen Entscheidung unabhängige Würdigung des Sachverhalts erforderlich wird. Die Wiederholung der von der Beschwerdeführerin als fehlerhaft gerügten Würdigung des der einstweiligen Anordnung zugrundeliegenden Sachverhalts ist daher nicht zu besorgen.

7

Eine aktuelle weitere Beeinträchtigung der Kinder durch die außer Kraft getretene einstweilige Anordnung ist weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls


(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 40 Wirksamwerden


(1) Der Beschluss wird wirksam mit Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist. (2) Ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Dies i

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 56 Außerkrafttreten


(1) Die einstweilige Anordnung tritt, sofern nicht das Gericht einen früheren Zeitpunkt bestimmt hat, bei Wirksamwerden einer anderweitigen Regelung außer Kraft. Ist dies eine Endentscheidung in einer Familienstreitsache, ist deren Rechtskraft maßgeb

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(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Der Beschluss wird wirksam mit Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Dies ist mit der Entscheidung auszusprechen.

(3) Ein Beschluss, durch den auf Antrag die Ermächtigung oder die Zustimmung eines anderen zu einem Rechtsgeschäft ersetzt oder die Beschränkung oder Ausschließung der Berechtigung des Ehegatten oder Lebenspartners, Geschäfte mit Wirkung für den anderen Ehegatten oder Lebenspartner zu besorgen (§ 1357 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auch in Verbindung mit § 8 Abs. 2 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), aufgehoben wird, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. Der Beschluss wird mit Bekanntgabe an den Antragsteller wirksam.

(1) Die einstweilige Anordnung tritt, sofern nicht das Gericht einen früheren Zeitpunkt bestimmt hat, bei Wirksamwerden einer anderweitigen Regelung außer Kraft. Ist dies eine Endentscheidung in einer Familienstreitsache, ist deren Rechtskraft maßgebend, soweit nicht die Wirksamkeit zu einem späteren Zeitpunkt eintritt.

(2) Die einstweilige Anordnung tritt in Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden, auch dann außer Kraft, wenn

1.
der Antrag in der Hauptsache zurückgenommen wird,
2.
der Antrag in der Hauptsache rechtskräftig abgewiesen ist,
3.
die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wird oder
4.
die Erledigung der Hauptsache anderweitig eingetreten ist.

(3) Auf Antrag hat das Gericht, das in der einstweiligen Anordnungssache im ersten Rechtszug zuletzt entschieden hat, die in den Absätzen 1 und 2 genannte Wirkung durch Beschluss auszusprechen. Gegen den Beschluss findet die Beschwerde statt.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) - 21 UF 56/16 - verletzt das betroffene Kind in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.

2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 € (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die im Fachverfahren bestellte Verfahrensbeiständin gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts, durch die den Kindeseltern das Sorgerecht zurückübertragen und die Rückführung des Kindes aus der Pflegefamilie zu seinen Eltern angeordnet wird.

2

1. a) Das betroffene Mädchen wurde im November 2014 von seiner Mutter in der 30. Schwangerschaftswoche geboren. Die damals 25 Jahre alte Mutter, deren Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie abgerissen ist, hatte nach eigenen Angaben bis kurz vor der Entbindung nicht bemerkt, dass sie schwanger war. Medikamente zur Behandlung einer bei ihr im Jugendalter festgestellten Epilepsie hatte sie einige Zeit zuvor aus eigenem Entschluss und nach eigenen Angaben aufgrund eines Kinderwunschs abgesetzt. Gemeinsam mit dem Kindesvater und der Tochter lebte sie zunächst bei dessen Eltern, bis sie Anfang März 2015 eine eigene Wohnung bezogen. Der Kindesvater wurde wegen Alkoholmissbrauchs zeitweise mit Fahrverboten belegt. Bei ihm besteht ebenfalls ein Epilepsieverdacht, den er entgegen ärztlicher Empfehlung nicht weiter aufgeklärt hat. Die Kindeseltern heirateten am 8. Mai 2015. Im März 2017 erwarten sie ein weiteres gemeinsames Kind.

3

Das Mädchen wurde am 18. Dezember 2014 von der Frühgeborenenstation zu seinen Eltern entlassen. Eine durch die Kinderklinik eingesetzte Hebamme entließen die Kindeseltern nach zwei bis drei Besuchen. In der Folge wurde das Kind von den Eltern zweimal in das Kinderkrankenhaus gebracht, weil es häufig schrie und dann auch an Gewicht verlor. Im Krankenhaus wurden bei dem Kind unklare Schreiattacken bei Meteorismus (Blähbauch) und Obstipation (Verstopfung) diagnostiziert. Nach stationärer Untersuchung und Behandlung sowie ausreichender Gewichtszunahme wurde das Kind am 7. Januar 2015 wieder zu seinen Eltern entlassen. Am 28. Januar sowie am 6. und 10. Februar 2015 wurde das Kind von einer Physiotherapeutin behandelt, auf die das Kind freundlich und unauffällig wirkte.

4

Bei einem Routinetermin zur Gewichtskontrolle am 11. Februar 2015 fielen der Kinderärztin diskrete Hämatome (Einblutungen) an allen Gliedmaßen des Kindes auf. Die Eltern gaben an, diese am Vorabend beim Baden bemerkt zu haben. Die Kinderärztin veranlasste zur Abklärung die erneute stationäre Aufnahme des Kindes im Kinderkrankenhaus. Bei Röntgenaufnahmen des Brustkorbs wurden dort ältere Rippenserienfrakturen auf beiden Seiten (an fünf Rippen links und vier Rippen rechts) festgestellt. Aufgrund des von der Klinik gemeldeten Verdachts einer Kindesmisshandlung erfolgte am 17. Februar 2015 ein Gespräch, anlässlich dessen der anwesende Oberarzt erklärte, dass die Rippenbrüche nicht frisch, sondern einige Wochen alt seien. Derartige Verletzungen könnten nur durch massive Gewalteinwirkung entstehen. Die Kindeseltern hatten ebenso wenig wie die Großeltern eine schlüssige Erklärung für die Verletzungen. Das Jugendamt beschloss die Einleitung einer rechtsmedizinischen Untersuchung und kündigte die Inobhutnahme des Kindes an.

5

b) Das Kind wurde vom Jugendamt nach der dem Familiengericht am 18. Februar 2015 angezeigten Inobhutnahme und Entlassung aus der Klinik am 19. Februar 2015 in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Die Eltern hatten zunächst wöchentlich für eine Stunde begleiteten Umgang mit ihrem Kind.

6

Das vom Jugendamt in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten der Rechtsmedizin vom 6. März 2015 kam zu dem Ergebnis, dass die Entstehung der Hämatome nur durch eine äußere Einwirkung zu erklären sei, da sich Kinder in einem Alter von drei Monaten nicht eigenständig bewegten. Die festgestellten Befunde seien diskret und zum Beispiel mit einem vermehrten Festhalten etwa bei pflegerischen Maßnahmen zu erklären. Die Befunde ließen keine weiteren Schlussfolgerungen zu, auch wenn sie für einen nicht mobilen Säugling auffällig und ungewöhnlich seien. Die Rippenbrüche seien bei Kindern, speziell bei Säuglingen, ausgesprochen ungewöhnlich, da sie üblicherweise nicht einmal bei heftigen Brustkorbverbiegungen (wie z.B. bei erforderlichen Wiederbelebungsmaßnahmen) aufträten. Das Auftreten derart symmetrischer Rippenbrüche sei nur durch eine ganz massive Brustkorbkompression zu erklären. Die Lokalisation seitlich spreche ebenfalls für diesen Kompressionsmechanismus. Die symmetrischen Brüche würden durch Umgreifen des Rumpfs von den Seiten mit je einer Erwachsenenhand und kräftiges Zudrücken beziehungsweise Zusammendrücken des Brustkorbs hervorgerufen. Dies sei eine Verletzung, die eine kräftige Gewalteinwirkung voraussetze. Sie sei nicht mit einem ungeschickten Umgang mit dem Kind oder durch festeres Zufassen zu erklären, etwa wenn das Kind zu entgleiten drohe. Eine genauere zeitliche Einordnung dieser Verletzung sei nicht möglich. Es handele sich jedenfalls um wochenalte Verletzungen, da der Knochenkallus - nur dieser sei röntgenologisch nachweisbar - üblicherweise ab ca. 14 bis 21 Tagen nach Verletzungsentstehung festzustellen sei. Bei Brüchen von Rippen, die durch die ständigen Atembewegungen nicht bewegungslos in ihren Knochenenden blieben, könne sich dieser Zeitraum noch verlängern. Rippenbrüche seien, gerade durch die ständigen Atemexkursionen, schmerzhaft.

7

c) Unter Vorlage des rechtsmedizinischen Gutachtens stellte das Jugendamt sodann einen Antrag, der zu diesem Zeitpunkt allein sorgeberechtigten Mutter nach §§ 1666, 1666a BGB die elterliche Sorge zu entziehen. Mit Beschluss vom 14. April 2015 entzog das Familiengericht die elterliche Sorge vorläufig und ordnete Vormundschaft durch das Jugendamt an. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten hätten die Rippenbrüche nur durch eine massive Brustkorbkompression hervorgerufen werden können; sie seien für das Kind mit extremen Schmerzen verbunden gewesen. Die Eltern hätten sich im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert, hätten sich diese Verletzungen aber nach ihren Angaben gegenüber dem Jugendamt nicht erklären können. Da sie gegenüber dem Jugendamt jedoch gleichzeitig behauptet hätten, das Kind die ganze Zeit selbst beaufsichtigt zu haben, sei eine Gefährdung des Kindes nicht auszuschließen.

8

d) Im Hauptsacheverfahren bestellte das Amtsgericht zunächst die hiesige Beschwerdeführerin zur Verfahrensbeiständin. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ordnete das Familiengericht eine Beweiserhebung durch Ein-holung eines familienpsychologischen Gutachtens an.

9

In dem Gutachten vom 2. Oktober 2015 führte die Sachverständige unter anderem aus, dass das Kind aufgrund der Frühgeburt und insbesondere aufgrund der negativen lebensgeschichtlichen Erfahrungen einen deutlich erhöhten emotionalen Bedarf habe. Insoweit sei davon auszugehen, dass der Mutter aufgrund eigener lebensgeschichtlich ungünstiger Erfahrungen beziehungsweise möglicherweise fehlender Lernerfahrungen ein intuitiver, feinfühliger Umgang mit dem Kind erschwert sei, weil sie selbst wenig liebevolle und fürsorgliche Betreuungs- und Interaktionserfahrungen habe machen können. Hier sei eine wesentliche Anleitung und Korrektur notwendig. Im Hinblick auf von der Mutter berichtete wiederholte körperliche Grenzverletzungen durch die eigene, impulsiv und aggressiv reagierende Mutter und einen Kontaktabbruch zum alkoholkranken Vater nach Trennung der Eltern werde die Gefahr unsachgemäßer Reaktionen gegenüber dem Kind als erhöht angesehen - insbesondere vor dem Hintergrund des bestehenden Befundes einer schweren Kindesmisshandlung. In diesem Zusammenhang sah die Sachverständige auch den Umstand, dass die Mutter ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hatte, als kritischen Aspekt an. Aus psychologischer Sicht könne eine Überforderung der Mutter mit der bestehenden Schwangerschaft vermutet werden, denkbar sei auch eine defizitäre Selbstwahrnehmung oder auch eine Verleugnung, da in der Partnerbeziehung ein Kinderwunsch bislang nicht thematisiert worden sei. Eine Gefahr bestehe auch aufgrund der Epilepsieerkrankung, an der die Mutter seit ihrem 14. Lebensjahr leide. Sie sei nach medikamentöser Einstellung viele Jahre anfallsfrei gewesen. Die Medikamente habe sie zwischenzeitlich abgesetzt. Diesbezügliche Angaben der Mutter hätten kontext-abhängig divergiert. So habe sie gegenüber der Sachverständigen angegeben, nach Rücksprache mit einem Arzt gehandelt zu haben. Im Krankenhaus, wohin sie nach einem neuerlichen Krampfanfall eingeliefert worden sei, habe sie eingeräumt, die Medikamente aufgrund eines Kinderwunschs eigenmächtig abgesetzt zu haben. Erneut seien Medikamente verschrieben worden. Die zuverlässige Einnahme stehe in Frage, woraus Einschränkungen der mütterlichen Erziehungsfähigkeit resultieren könnten. Ein Gefährdungsrisiko für das Kind könne nicht ausgeschlossen werden, falls es zu einem etwaigen eigenmächtigen Absetzen der Medikamente und in der Folge zu einem Krampfanfall komme.

10

Auch beim Vater bestünden Defizite in der Emotionalität und Einfühlungsfähigkeit. Es sei dem Vater, ähnlich wie der Mutter, nicht möglich gewesen, Signale schwerer Schmerzen des Säuglings wahrzunehmen und hierauf unmittelbar zu reagieren. Auch Angaben des Vaters wiesen auf relevante lebensgeschichtliche Belastungen hin. Die Gefahr, dass dieser gegenüber dem Kind unsachgemäß reagiere, werde als erhöht angesehen, zumal sich Hinweise auf einen zumindest in der Vergangenheit kritischen Alkoholkonsum sowie auf eine epileptische Erkrankung ergeben hätten, wobei eine medizinische Abklärung jeweils wünschenswert sei.

11

Die Prognose hinsichtlich einer gelingenden Zusammenarbeit mit Fachkräften sei schwierig. Zwar sei insoweit von einer grundsätzlichen Bereitschaft der Eltern auszugehen, allerdings hätten beide Eltern auch im Kontext der Begutachtung eine Tendenz gezeigt, verschiedene Aspekte nicht zu thematisieren. Dies sei jedoch eine wesentliche Voraussetzung, um Veränderungen einleiten und etablieren zu können und auch eine unabdingbare Voraussetzung dafür, das Kind vor etwaigen neuerlichen Übergriffen schützen zu können.

12

Im Ergebnis sei unter der Prämisse der Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil von einem wesentlichen Wiederholungsrisiko auszugehen, verbunden mit potentiell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingt noch erhöhten Schutz- und Betreuungsbedarfs des Kleinkindes und fehlender Möglichkeit des Kindes zum selbständigen Schutz. Wenn die Eltern die alleinige Verantwortung für das Kind trügen, könnten ihre Überforderung und die Erhöhung eines Misshandlungsrisikos nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere sei eine Gefährdung des Kindes unmittelbar durch die Eltern selbst nicht auszuschließen. Das Risiko lasse sich durch aufsuchende Hilfen nicht ausreichend reduzieren.

13

e) Nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung, bei der die Sachverständige nach weiteren Ausführungen zur Sache erklärte, dass aus psychologischer Sicht eine Rückführung des Kindes zu den Eltern nicht in Betracht komme, entzog das Amtsgericht den inzwischen verheirateten Eltern mit Beschluss vom 23. Februar 2016 die elterliche Sorge für ihr gemeinsames Kind und ordnete Vormundschaft durch das Jugendamt an. Der Sorgerechtsentzug nach §§ 1666, 1666a BGB sei nach Würdigung aller Umstände erforderlich, um eine schwerwiegende Gefahr für das körperliche, geistige und seelische Wohl des minderjährigen Kindes abzuwenden. Bei beiden Eltern seien so erhebliche Defizite in der Erziehungsfähigkeit festzustellen, dass das grundrechtlich verankerte Erziehungsrecht der Eltern hinter den Interessen des Kindes zurücktreten müsse. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Erziehungsfähigkeit beider Eltern nicht in einem für das Kind erforderlichen Maße gegeben sei, so dass es auch ausgeschlossen sei, das Sorgerecht einem Elternteil allein zu übertragen. Bereits das Vermögen, die Versorgung des Kindes sicherzustellen, sei höchstens eingeschränkt gegeben. Auch sei zu bedenken, dass die Eltern zwar angegeben hätten, ihre Tochter mit Ausnahme der Klinikaufenthalte ununterbrochen selbst beaufsichtigt zu haben, dass es in dieser Zeit allerdings höchst wahrscheinlich zu massiven Misshandlungen gekommen sei, welche die Eltern entweder selbst ausgeführt oder jedenfalls nicht verhindert hätten. Die Angabe der Eltern, man habe dem Kind im Krankenhaus die Rippen gebrochen, sei wenig glaubhaft.

14

Dies sei allerdings nur ein Aspekt, der bei der Feststellung der fehlenden Erziehungsfähigkeit der Eltern und beim Entzug der elterlichen Sorge zu berücksichtigen gewesen sei. Ausschlaggebend sei gewesen, dass beide Eltern gegenüber dem Gericht den Eindruck erweckt hätten, auf emotionaler Ebene ihrem Kind nicht ansatzweise gerecht werden zu können und nicht in der Lage zu sein, die Bedürfnisse ihrer Tochter richtig einzuschätzen. Die Einschätzung, dass es den Eltern an Empathie fehle, werde durch die Einblicke der Sachverständigen in die Eltern-Kind-Beziehung gestützt. Dem entspreche auch der von Seiten des Jugendamts der Sachverständigen übermittelte Eindruck, die Eltern hätten in Anbetracht der Inobhutnahme und bei Konfrontationen mit den erlittenen Verletzungen des Kindes wenig Emotionalität gezeigt. Auch die Verfahrensbeiständin - die hiesige Beschwerdeführerin - habe die Eltern als wenig einfühlend in die verletzungsbedingten Schmerzen eingeschätzt. Gegen die Erziehungseignung der Eltern spreche, dass sie die Schmerzen ihres Kindes durch die Rippenbrüche nicht wahrgenommen hätten. Auch die Übernahme der elterlichen Sorge durch einen Elternteil komme nicht in Betracht. Selbst wenn die Sachverständige bei der Mutter Grundkompetenzen hinsichtlich der Pflege und Versorgung gesehen habe, sei sie nicht in der Lage, auch emotional den Bedürfnissen des Kindes gerecht zu werden. Bedenken bestünden bereits aufgrund ihrer widersprüchlichen Angaben beispielsweise zur Schwangerschaft und der Epilepsie. Mit unsachgemäßen Reaktionen der Mutter könne auch deshalb gerechnet werden, weil diese Gewaltübergriffe durch ihre eigene Mutter in ihrer Jugend erlitten habe. Diesen Einschätzungen schließe sich das Gericht an.

15

Auch eine Übernahme der elterlichen Sorge durch den Vater scheide aus. Beim Vater seien in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht erhebliche Defizite in der Selbstwahrnehmung festzustellen gewesen. Der Vater habe zu verstehen gegeben, dass er die von der Sachverständigen festgestellten Erziehungsdefizite nicht ernst nehme. Ferner habe sich der Vater in der mündlichen Verhandlung in diverse Widersprüche verstrickt. So habe er angegeben, seit 2013 keine Alkoholprobleme mehr zu haben. Dem widerspreche, dass seine Hausärztin der Sachverständigen nach deren Auskunft mitgeteilt habe, ihn bei einer Untersuchung mit einer Alkoholfahne angetroffen zu haben. Gleichzeitig sei der Vater dem Verdacht der Epilepsie in seiner Person nicht nachgegangen, obwohl seine Ärzte hierzu geraten hatten.

16

Die Anforderungen, die die Sachverständige hier an die Eignung als Bezugsperson stelle, könnten die Eltern nicht erfüllen. Die Eltern hätten sich nach dem übereinstimmenden Eindruck aller Beteiligten in mehreren Situationen überfordert gezeigt.

17

f) Das Kind befindet sich seit April 2016 in einer Dauerpflegestelle. Seitdem erfolgen Besuchskontakte der Eltern im Zweimonatsabstand für eine Stunde.

18

g) Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legten die Eltern Beschwerde ein. Die Verfahrensbeiständin, die Vertreterin des Jugendamts und die Pflegeeltern waren der Ansicht, die Beschwerde sei zurückzuweisen. Das Oberlandesgericht änderte den amtsgerichtlichen Beschluss nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit angegriffenem Beschluss vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) dahingehend ab, dass die elterliche Sorge für das betroffene Kind unter Aufhebung der Vormundschaft des Jugendamts auf die Eltern zurückübertragen werde. Das Kind sei binnen sechs Wochen zu seinen Eltern zurückzuführen. Den Eltern werde geboten, die ihnen zur Verfügung gestellten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe - insbesondere Dienste der Erziehungsberatung und der sozialpädagogischen Familienhilfe - über die Zeit der Rückführung des Kindes hinaus in Anspruch zu nehmen.

19

Es sei zwar nicht zu beanstanden, dass das Kind vom Jugendamt in Obhut genommen und nach Widerspruch der Eltern eine familiengerichtliche Entscheidung über Maßnahmen zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für das Kindeswohl herbeigeführt worden sei. Eine Fortdauer der aus damaliger Sicht veranlassten Herausnahme des drei Monate alten Säuglings aus seiner Herkunftsfamilie erscheine inzwischen aber nach Abwägung aller Umstände nicht mehr erforderlich und verhältnismäßig. Es sei zu erwarten, dass dies die Lage des Kindes nicht verbessern werde und seiner Gefährdung mit milderen Maßnahmen als der dauernden Trennung von seinen leiblichen Eltern begegnet werden könne.

20

Die am 11. Februar 2015 im Kinderkrankenhaus festgestellte Brustkorbverletzung deute auf eine erhebliche körperliche Schädigung des Säuglings durch seine Eltern oder ihnen nahestehende Personen in der häuslichen Sphäre hin. Ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens seien die Rippenserienfrakturen die Folge einer massiven, nicht auf bloße Ungeschicklichkeit zurückzuführenden Gewalteinwirkung. Weder der das Kind behandelnden Physiotherapeutin noch dem Krankenhauspersonal könne ein derart grobes Fehlverhalten ernsthaft angelastet werden. Nach Überzeugung des Senats, die sich mit der wohl begründeten Entscheidung des Familiengerichts decke, seien die Eltern, die das Kind mit Ausnahme der Klinikaufenthalte durchgängig beaufsichtigt haben wollen, für die zu den Rippenbrüchen führende massive Kompression des kindlichen Brustkorbs durch einen Erwachsenen zumindest mitverantwortlich - sei es, dass einer von ihnen selbst Täter gewesen sei, sei es, dass beide die schmerzhafte Verletzung des Kindes durch einen Dritten zugelassen und im Nachhinein vertuscht hätten.

21

Obgleich die Verletzung des Kindes danach durch ein nicht zu entschuldigendes Fehlverhalten der Eltern mindestens mitverursacht worden sei, deuteten die übrigen Umstände eher auf ein Augenblicksversagen als auf wiederholte, in vergleichbarer Weise auch künftig zu erwartende Misshandlungen hin. Die von der Kinderärztin am 11. Februar 2015 bemerkten Hämatome an Oberschenkeln und Ellenbogen ließen nach dem rechtsmedizinischen Gutachten keine diesbezüglichen Schlüsse zu. Die Eltern hätten zwar in der Weihnachtszeit 2014 die Dienste der Familienhebamme nicht mehr in Anspruch genommen, wegen unklarer Schreiattacken des Kindes aber zweimal die Ambulanz des Kinderkrankenhauses aufgesucht und seiner erneuten stationären Aufnahme zugestimmt. Aus der Häufigkeit der Krankenhausbesuche ließen sich Hinweise auf eine Vernachlässigung oder häufige Misshandlung im häuslichen Bereich nicht ableiten. Kinderarzt- und Physiotherapietermine seien von den Eltern regelmäßig wahrgenommen worden.

22

Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Eltern ergäben sich zwar daraus, dass sie im Laufe des Verfahrens die wünschenswerte Offenheit in Bezug auf die tatsächlichen näheren Umstände der Körperverletzung und in Bezug auf kritische und belastende Aspekte ihrer Biografien und ihres Gesundheitszustands hätten vermissen lassen. Wie die Sachverständige näher ausgeführt und im Beschwerdeverfahren insbesondere die Verfahrensbeiständin des Kindes betont habe, müsse deshalb von Störungen ihrer Selbstwahrnehmung und einer bei beiden bislang nur unzureichend ausgeprägten Bereitschaft ausgegangen werden, eigenes Fehlverhalten einzugestehen, Negativerlebnisse aufzuarbeiten und defizitäre Fähigkeiten auszugleichen.

23

Bei Bewertung dieser problematischen Umstände sei allerdings in Rechnung zu stellen, dass die eingeschränkte Offenheit der Eltern auch nach Einschätzung der Sachverständigen nicht zuletzt situativ bedingt sei. Sie gehe auf den Versuch zurück, im vorliegenden Verfahren negative Umstände eher zu verschweigen oder zu verdrängen als durch ein Eingeständnis die eigene Verteidigungsposition vermeintlich zu schwächen. Dieses Motiv der Selbstrechtfertigung entfalle mit der vorliegenden Entscheidung. Den Eltern müsse klar sein, dass ihnen die Zurückübertragung der sorgerechtlichen Verantwortung für ihr Kind letztlich mehr Ehrlichkeit mit sich selbst und Einsicht in eigene Fehler und Unzulänglichkeiten abverlange. In diesem Sinne an sich zu arbeiten und fachkundige Hilfe anzunehmen, solle ihnen ermöglicht werden.

24

Soweit die psychologische Sachverständige und die beteiligten pädagogischen Fachkräfte daneben Einschränkungen der elterlichen Erziehungsfähigkeit vor allem im Bereich der Emotionalität, Feinfühligkeit und Empathie ausgemacht hätten, halte es auch der Senat nicht für ausgeschlossen, dass die Eltern in dieser Hinsicht längerfristiger Anleitung, aufsuchender Hilfe und Korrektur bedürfen könnten. Nach den vorliegenden Berichten, die durch den persönlichen Eindruck von beiden Eltern bei ihrer Anhörung vor dem Senat bestätigt würden, verfügten diese aber auch über beachtliche emotionale Ressourcen, die es zu verstärken gelte. Ihre von den Fachleuten beobachtete Unsicherheit bei den seit langem auf nur wenige Stunden beschränkten Interaktionen mit dem Kind dürfe in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden.

25

Konkrete Anhaltspunkte für wiederholt drohende elterliche Gewalt gegen das älter gewordene Kind wegen fehlender emotionaler Sperren des Vaters oder der Mutter vermöge der Senat weder dem Sachverständigengutachten noch dem übrigen Inhalt der familiengerichtlichen, staatsanwaltschaftlichen oder jugendamtlichen Akten zu entnehmen.

26

Eine Verbleibensanordnung (§ 1632 Abs. 4 BGB), die als milderes Mittel gegenüber einer dauerhaften Sorgerechtsentziehung in Betracht zu ziehen sei, scheide im vorliegenden Fall aus. Zwar lebe das Mädchen inzwischen seit einem halben Jahr als jüngstes Kind in seiner derzeitigen Pflegefamilie, nachdem es zuvor über ein Jahr lang im Wege der familiären Bereitschaftsbetreuung untergebracht gewesen sei. Nach den Angaben insbesondere der jetzigen Pflegeeltern im Anhörungstermin müsse indessen davon ausgegangen werden, dass das Mädchen während dieser Zeit noch keine Bindungen zu ihnen oder der Bereitschaftspflegemutter entwickelt habe, deren Abbruch oder erhebliche Lockerung sein Wohl gefährden würde. Das als auffällige Distanzlosigkeit beschriebene Bindungsdefizit des Kindes sei zwar seinerseits als potentiell schädlich für dessen seelische Entwicklung anzusehen, könne jedoch nach Lage der Dinge den leiblichen Eltern nicht zur Last gelegt und nicht als Argument gegen eine Rückführung in deren Obhut angeführt werden.

27

Die Eltern übernähmen mit der Pflege und Erziehung ihres bald zweijährigen Kindes keine leichte Aufgabe, weshalb ihnen professionelle Unterstützung bei der Rückführung und dem Aufbau einer sicheren Bindung des Kindes zu geben sei. Eine dauerhafte Fremdunterbringung des Mädchens bilde bei dieser Sachlage aber erst recht keine vertretbare Alternative.

28

Nach umfassender Abwägung der für und gegen einen fortdauernden Sorgerechtsentzug sprechenden Gesichtspunkte hege der Senat die Erwartung, dass die Eltern trotz eigener lebensgeschichtlicher Belastungen und daraus abzuleitender Gefährdungen zu einer gewaltfreien Erziehung und Sorge für ihr Kind willens und in der Lage seien. Werde ihre ihm Kern vorhandene Pflege- und Erziehungskompetenz mit Hilfe geeigneter Maßnahmen (§§ 27 ff. SGB VIII) gestärkt, erscheine deshalb aus heutiger Sicht die Trennung des Kindes von seiner Herkunftsfamilie nicht mehr gerechtfertigt, sondern seine behutsame Rückführung geboten.

29

2. Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Verfahrensbeiständin als Beschwerdeführerin eine Verletzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG geltend. Das Oberlandesgericht habe die Grundrechtspositionen des Kindes verkannt. Die angegriffene Entscheidung weise sowohl Fehler auf, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte des Kindes beruhten, als auch Auslegungsfehler. Durch die Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die leiblichen Eltern und die Anordnung der Rückführung werde das Kind Gefährdungen ausgesetzt, welche ihm nicht zuzumuten seien. Hierdurch werde das Gericht seinem Auftrag im Rahmen des staatlichen Wächteramts und der Pflicht, die Grundrechtspositionen des Kindes zu schützen, nicht gerecht.

30

Konkrete, insbesondere von der psychologischen Sachverständigen im erstinstanzlichen Verfahren genannte physische wie psychische Gefährdungsrisiken für das Kind durch die Eltern infolge der Defizite ihrer Erziehungsfähigkeit habe das Oberlandesgericht unberücksichtigt gelassen. Nicht nachvollziehbar sei, dass es der Akte keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen könne, dass erneut elterliche Gewalt drohen könnte. Bedenken werfe die Entscheidung auch hinsichtlich der Einschätzung zur Abwendung der Gefährdung des Kindes durch unterstützende Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe auf. Da die Eltern keine Misshandlung und auch keine Defizite einräumten, könne kaum bestimmt werden, mit welchen Maßnahmen geholfen werden könne. Weiterhin habe das Oberlandesgericht keine aktuelle sachverständige Prüfung der Gefährdungssituation herbeigeführt. Es habe eine den Empfehlungen sämtlicher Fachkräfte grundlegend widersprechende Einschätzung der Erziehungsfähigkeit der Eltern und der Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe vorgenommen, ohne seine eigene Sachkunde darzulegen.

31

Die Entscheidungsgründe des angegriffenen Beschlusses ließen ferner nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht in erforderlichem Maße der Frage nachgegangen sei, ob die leiblichen Eltern in der Lage seien, die nachteiligen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes nach dem Wechsel in ihren Haushalt so gering wie möglich zu halten. Zudem seien auch die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich der Folgen der Trennung des knapp zweijährigen Kindes von seinen derzeitigen Bezugspersonen bedenklich. Das Oberlandesgericht habe insoweit den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Es bleibe offen, wie und warum die Rückkehr des Kindes binnen sechs Wochen erfolgen solle. Die Umgangskontakte zu den leiblichen Eltern erfolgten zurzeit im Zweimonatsabstand für eine Stunde. Des Weiteren gehe das Oberlandesgericht zwar davon aus, dass der Zeitraum, in dem das Kind bei der Pflegefamilie lebe, aus kindlicher Sicht lang sei, erkläre aber gleichzeitig, dass das Kind "noch keine Bindungen zu ihnen (…) entwickelt habe, deren Abbruch oder Lockerung dessen Wohl gefährden würde". Das Oberlandesgericht habe "blind" - ohne das Kind je gesehen zu haben - festgestellt, dass es keine Bindungen zu den Pflegeeltern habe. Als Begründung nenne das Gericht lediglich "Angaben der Pflegeeltern", die weder im Protokoll der mündlichen Verhandlung noch im Beschluss selbst näher beschrieben seien. Die Entscheidungsgrundlage werde so nicht nachvollziehbar.

32

3. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung des angegriffenen Beschlusses ausgesetzt.

33

4. Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, dem Jugendamt (zugleich in seiner Stellung als Amtsvormund), den Pflegeeltern und den leiblichen Eltern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens nebst Beiakten haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

34

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und gibt ihr statt. Die Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

35

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Bestellung als Verfahrensbeiständin befugt, Verfassungsbeschwerde einzulegen und mit dieser - ausnahmsweise - fremde Rechte in eigenem Namen geltend zu machen (so zur Position des Verfahrenspflegers im Betreuungsverfahren bei ähnlicher Interessenlage und gesetzlicher Ausgestaltung BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2013 - 1 BvR 372/13 -, juris, Rn. 4 ff.; ebenso Engelhardt, in: Keidel, FamFG, 18. Auflage 2014, § 158 Rn. 44a).

36

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das betroffene Kind in seinen Grundrechten.

37

a) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates (aa). Mit den materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung (bb). Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes besteht, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle (cc).

38

aa) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn seine Eltern ihm nicht den Schutz und die Hilfe bieten, die es benötigt, um gesund aufzuwachsen und sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln (1). Diese Schutzpflicht kann dem Staat gebieten, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine Trennung aufrechtzuerhalten, wenn das Kind in der Obhut seiner Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (2). Die Entscheidung, ob eine Trennung des Kindes von den Eltern geboten ist, verlangt dem Gericht eine Prognose ab und unterliegt darum besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens (3).

39

(1) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können.

40

Das Kind, dem die Grundrechte, insbesondere das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als eigene Rechte zukommen, steht unter dem besonderen Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119, <144>; 55, 171 <179>; 57, 361 <382>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Kinder bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln und gesund aufwachsen zu können (vgl. BVerfGE 107, 104 <117>; 121, 69 <92 f.>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit verpflichten den Staat, Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für seine Entwicklung und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 57, 361 <383>; 133, 59 <73 f. Rn. 42>). Diese Schutzverantwortung für das Kind teilt das Grundgesetz zwischen Eltern und Staat auf. In erster Linie ist sie den Eltern zugewiesen; nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht. Dem Staat verbleibt jedoch eine Kontroll- und Sicherungsverantwortung dafür, dass sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern tatsächlich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln und gesund aufwachsen kann (vgl. BVerfGE 133, 59 <74 Rn. 42>).

41

Werden Eltern der ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Verantwortung nicht gerecht, weil sie nicht bereit oder in der Lage sind, ihre Erziehungsaufgabe wahrzunehmen oder können sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten, kommt das "Wächteramt des Staates" nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zum Tragen. Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>; 60, 79 <88>; 72, 122 <134>; 107, 104 <117>).

42

(2) Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten.

43

Ob der Staat zum Schutz des Kindes tätig werden muss und darf und welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, bestimmt sich nach Art und Ausmaß der Gefahr für das Kind. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit verpflichtet und berechtigt den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen; vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen. Die Eltern haben ein Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), die Kinder haben ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf elterliche Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), beide sind gemäß Art. 6 Abs. 3 GG besonders dagegen geschützt, voneinander getrennt zu werden (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 29>). Der Staat darf und muss daher zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. Darauf ist er jedoch nicht beschränkt, sondern er darf und muss, wenn solche Maßnahmen nicht genügen, den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend, gegebenenfalls sogar dauernd entziehen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; stRspr).

44

Der Staat kann verfassungsrechtlich berechtigt (Art. 6 Abs. 3 GG) und verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) sein, zur Wahrung des Kindeswohls die räumliche Trennung des Kindes von den Eltern zu veranlassen oder aufrechtzuerhalten. Das ist dann der Fall, wenn das Kind bei einem Verbleib in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <140>; 136, 382 <391 Rn. 28>; stRspr). Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 - 1 BvR 1178/14 -, Rn. 23, m.w.N.; s. auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

45

Ist ein Kind, wie hier, seit längerer Zeit bei einer anderen Pflegeperson untergebracht, kann die Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegeperson einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer durch diese Trennung womöglich verursachten Traumatisierung des Kindes gering zu halten (vgl. BVerfGK 17, 212 <221>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 2006/98 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31). Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 68, 176 <187 ff.>; 72, 122 <140>; 75, 201 <217 ff.>; 79, 51 <64>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31).

46

(3) Ob eine Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt danach regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab. Dem muss die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens Rechnung tragen. Das gerichtliche Verfahren muss geeignet und angemessen sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die vom Gericht anzustellende Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu erlangen. Ob etwa Psychologen als Sachverständige hinzuziehen sind, um die für die Prognose notwendigen Erkenntnisse zu erlangen, muss das erkennende Gericht im Lichte seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).

47

bb) Mit diesen materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben des Grundgesetzes korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung.

48

Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 3190/13 -, juris, Rn. 25 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 48 ff.; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

49

Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen nicht folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor. Zwar schließt die Verfassung nicht aus, dass das Fachgericht im Einzelfall von den fachkundigen Feststellungen und Wertungen gerichtlich bestellter Sachverständiger abweicht. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer abweichenden Einschätzung und Bewertung von Art und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung gelangt. Es muss dann aber eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung haben und diese offenlegen. Ein Abweichen von den gegenläufigen Einschätzungen der Sachverständigen bedarf hier eingehender Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juni 1999 - 1 BvR 1689/96 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 - 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 34). Weicht das Gericht von den Feststellungen und Wertungen weiterer beteiligter Fachkräfte ab (insbesondere Verfahrensbeistand, Jugendamt, Familienhilfe, Vormund), gilt im Grundsatz das Gleiche (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 44 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 - 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 37; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Januar 2016 - 1 BvR 2742/15 -, juris; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

50

cc) Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes vorliegt, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle.

51

Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 42, 143 <147 ff.>; 49, 304 <314>). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (vgl. BVerfGE 42, 163 <168>; 79, 51 <63>).

52

Stellt sich wie hier die Frage der Trennung des Kindes von seinen Eltern zur Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung, besteht wegen des sachlichen Gewichts der teils parallelen, teils gegenläufigen Grundrechte der Beteiligten Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen, zumal die Entscheidung über eine Trennung für alle Beteiligten von existenzieller Bedeutung sein kann (vgl. BVerfGE 60, 79 <90 f.>; 68, 176 <190>; 72, 122 <138 f.>; 75, 201 <221>; 79, 51 <63>; 136, 382 <391 Rn. 28>). Dies gilt auch, wenn das Bundesverfassungsgericht wie hier zu überprüfen hat, ob die Ablehnung einer Trennung des Kindes von seinen Eltern mit der Pflicht des Staates zum Schutz des Kindes vereinbar ist. Bei dieser Sachlage können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 42, 163 <169>; 60, 79 <91>; 68, 176 <190 f.>; 75, 201 <222>; 79, 51 <63>). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich ausnahmsweise auch auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>).

53

b) Die angegriffene Entscheidung genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Es bestehen mehrere Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Gefahr für das Kind vorliegt, sodass das Gericht mit Rücksicht auf die Art und Schwere der dem Kind drohenden Gefahr bezüglich seiner gegenläufigen Einschätzung besonders hohen Begründungsanforderungen unterliegt (aa). Diese hat es nicht erfüllt. Es weicht ohne hinreichende Begründung und anderweitige verlässliche Grundlage von der Einschätzung der Sachverständigen und anderer am Verfahren Beteiligter ab (bb). Dessen ungeachtet ist die Würdigung des Oberlandesgerichts auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar (cc).

54

aa) Die Anforderungen an die Begründung einer Rückführung sind hier besonders hoch, weil es - vom Oberlandesgericht näher zu klärende und zu bewertende - Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Kind bei einer Rückkehr in die elterliche Obhut schwerste körperliche Misshandlungen erleiden könnte. In der Vergangenheit ist es bereits zu einer solchen Misshandlung gekommen (neunfacher Rippenbruch, der eine kräftige Gewalteinwirkung voraussetzt), deren Umstände nicht aufgeklärt sind, für die die Eltern indessen auf die ein oder andere Art für verantwortlich gehalten werden. Das Risiko einer neuerlichen schweren körperlichen Misshandlung realisiert sich, wenn es denn eintritt, nicht in einer prozesshaften Entwicklung, die beobachtet und nachträglich aufgehalten werden könnte; der Schadenseintritt ist vielmehr unumkehrbar. Eine Rückführung verlangt unter diesen Umständen ein hohes Maß an Prognosesicherheit, dass dieser Schaden nicht eintreten wird, was sich in hohen Begründungsanforderungen niederschlägt.

55

bb) Das Oberlandesgericht weicht mit der Verneinung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr von der - von anderen Beteiligten (insbesondere Verfahrensbeiständin und Jugendamt) im Wesentlichen geteilten - Einschätzung der Sachverständigen (1) ab, ohne dies hinreichend zu begründen (2) und insbesondere ohne darzulegen, inwiefern es anderweitig über eine verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung verfügt (3).

56

(1) Die Sachverständige legt im Befund ihres Gutachtens ausführlich dar, wie sie aufgrund der in der Begutachtung gewonnenen Daten die Entwicklung und Erziehungsbedarfe des Kindes, die Bindungs- und Beziehungsstrukturen sowie die Erziehungsfähigkeit der Eltern einschätzt. Zusammenfassend sieht sie ein Risiko einer erneuten Misshandlung des Kindes und bezweifelt, dass die aus ihrer Sicht eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern ausreicht, dem nach ihrer Einschätzung erhöhten erzieherischen Bedarf des Kindes gerecht zu werden:

"… prognostisch besteht … ein erhöhter erzieherischer Bedarf und eine dauerhaft erhöhte Fragilität durch die Frühgeburtlichkeit und die erfahrene Beeinträchtigung (wiederholte Klinikaufenthalte, wechselnde Betreuungspersonen und Umgebungsbedingungen, Frakturen mit einhergehenden erheblichen Schmerzen, bei welchen am ehesten von Misshandlungen durch eine Betreuungsperson ausgegangen werden kann)."

"Unter der Prämisse einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil ist von einem wesentlichen Wiederholungsrisiko auszugehen, hier mit potentiell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingt noch erhöhten Schutz- und Betreuungsbedarfs bzw. fehlender Möglichkeit zum selbständigen Schutz des Kleinkindes. Neben den Anforderungen an elterliche, insbesondere … mütterliche Belastbarkeit durch eine ganztätige Betreuung des Kindes kämen weitere Belastungen auf die Mutter durch die zu erwartende Unruhe des Kindes aufgrund des Bezugspersonen- und Umgebungswechsels zu, was die Kapazitäten der Familie noch zusätzlich beanspruchen würde. Elterliche Überforderungen mit nochmaliger Erhöhung eines etwaigen Misshandlungsrisikos können in der Gesamtschau nicht ausgeschlossen werden, wenn die Eltern die alleinige Verantwortung für das Mädchen trügen.

Bei beiden Eltern ergaben sich Hinweise auf Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit. Eine von einem Elternteil ausgehende unmittelbare Gefährdung des Kindes ist nicht auszuschließen. Das Risiko lässt sich durch aufsuchende Hilfen nicht ausreichend kompensieren."

"Sachverständigerseits werden in der Gesamtschau bei den Eltern wesentliche Risikofaktoren gesehen, welche besonders vor dem Hintergrund des bestehenden Missbrauchsbefundes durch die Rechtsmedizin ernst zu nehmen sind. Für den Fall einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil, beispielsweise als Ausdruck der Reinszenierung eigener traumatischer Kindheitserfahrungen, ist das Risiko neuerlicher Übergriffe deutlich erhöht. Insbesondere ist die Gefahr impulsiver plötzlicher Übergriffigkeit in Erwägung zu ziehen, besonders in Überforderungssituationen wie bei anhaltendem Weinen des Kindes, Trotzreaktionen bei zunehmendem Alter, ausgeprägten Explorationswünschen etc.

Angesichts der, wenn auch sicherlich situativ mitbedingten, eingeschränkten Offenheit der Eltern, der, soweit beurteilbar bestehenden Zurückhaltung, eigene Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste oder Überforderungen offen zu machen, sowie der besonders bei der Mutter bedenklichen Selbstwahrnehmung erscheint prognostisch unsicher, ob und inwieweit die Eltern, beispielsweise in einem stationären Setting, zu einer ausreichend offenen Haltung, eigenständigem Benennen von Unsicherheiten und Überforderung und auch dem Einfordern von Unterstützung finden könnten."

"Aus fachlicher Sicht ist derzeit nur eingeschränkt beurteilbar, ob und inwieweit die Eltern unter Alltagsanforderungen und insbesondere schwierigen Situationen reagieren würden. … Aus fachlicher Sicht ist es angesichts der auszumachenden erhöhten Risikosituation … empfehlenswert, dass sich die Eltern zunächst gemeinsam mit L. einer stationären Diagnostik unterziehen. … Prognostisch kann sich erst im Zuge eines begleiteten diagnostischen Settings zeigen, inwieweit unter Alltagsbelastung Hinweise auf wesentliche Überforderung und einhergehend konkret gefährdende Situationen auftreten bzw. ob und inwieweit die Eltern tatsächlich längerfristig zur Reflexion und Annahme von Hilfen bzw. Korrektur bereit sind. Es sollte ein stationäres Setting gefunden werden, welches dem Kind aber auch den Eltern durch engmaschige Begleitung Schutz, Anleitung und Korrektur bietet."

57

Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts äußerte die Sachverständige in der zweiten mündlichen Verhandlung, "dass sie in jedem Fall eine 24-Stunden-Betreuung für erforderlich halte; auch nachts".

58

(2) Mit dieser Einschätzung der Sachverständigen und den von der Sachverständigen zugrunde gelegten Befunden setzt sich das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht hinreichend auseinander und legt auch nicht dar, weshalb es der Einschätzung der psychologischen Sachverständigen nicht folgt. Das Gericht beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, es vermöge "konkrete Anhaltspunkte für wiederholt drohende elterliche Gewalt … weder dem Sachverständigengutachten noch dem übrigen Inhalt der familiengerichtlichen staatsanwaltlichen oder jugendamtlichen Akten zu entnehmen". Die Sachverständige hat indessen zu einer Reihe von Faktoren nähere Ausführungen gemacht, die nach ihrer Einschätzung auf Risiken aufgrund der Biografie und der Persönlichkeit beider Eltern hindeuten: etwa die unbemerkte oder verleugnete Schwangerschaft, massive Gewalterfahrungen der Kindesmutter durch ihre eigene Mutter, die nicht durchgehend behandelte Epilepsieerkrankung der Kindesmutter, die fragliche Epilepsieerkrankung und die ebenfalls nicht weiter aufgeklärte Alkoholproblematik des Vaters, Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit insbesondere im Bereich emotionaler Schwingungsfähigkeit und Feinfühligkeit, fehlende Offenheit auch gegenüber "eigenen lebensgeschichtlichen Lerndefiziten und eigenen potentiell traumatisierenden Erfahrungen", insbesondere die geringe Aufklärungsbereitschaft gegenüber physischen, psychischen Defiziten sowie Anzeichen für eine Überlastungsreaktion und in diesem Zusammenhang die Gefahr weiterer "impulsiver unkontrollierter Reaktionen gegenüber dem Kind". Auf die hierzu und zu weiteren Aspekten von der Sachverständigen in der Begutachtung gewonnenen Einschätzungen, die sie ihrem ausführlich mitgeteilten Befund - nicht offensichtlich unplausibel - zugrunde legt, geht das Gericht nicht näher ein. So ist nicht erkennbar, warum das Gericht die von der Sachverständigen herangezogenen Daten und den Befund nicht als "konkrete Anhaltspunkte" für die von der Sachverständigen bejahte Wiederholungsgefahr gelten lässt.

59

(3) Es ist nicht ersichtlich, dass das Gericht über eine anderweitige verlässliche Grundlage für seine Einschätzung verfügt. Insbesondere hat es nicht selbst ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine gegenläufige Einschätzung stützen könnte. Demgegenüber hatte die Sachverständige ausführlich dargelegt, dass es weiterer Aufklärung bedürfe, um die Alltagsbelastbarkeit der Eltern und deren Reaktionsmöglichkeiten unter höherer Belastung zu erfassen und um die sich aus ihrer Sicht häufenden unklaren Gesichtspunkte insbesondere hinsichtlich des Vaters wie den Hinweis auf Absencen, den Verdacht auf Epilepsie und den Alkoholkonsum aufzuklären.

60

Das Gericht gibt an, auch aufgrund des Eindrucks, den es von beiden Eltern bei ihrer Anhörung gewonnen hat, zu der Auffassung gelangt zu sein, den Eltern könne zugetraut werden, für das Kind in ausreichender Weise Verantwortung zu übernehmen. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, dass das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung zu einem solchen Eindruck kommt und auf dieser Grundlage zu einer optimistischeren Risikobewertung gelangt als die anderen Beteiligten. Das Gericht hätte hierfür jedoch konkret benennen müssen, welche Umstände, insbesondere welche Aussagen und welches Verhalten der Eltern in der mündlichen Verhandlung seiner abweichenden Einschätzung zugrunde liegen und weshalb diese geeignet sind, die von der Sachverständigen benannten Risikofaktoren zu entkräften. Das ist hier nicht geschehen. Das Gericht hat den Inhalt der mündlichen Verhandlung nicht näher dargelegt und auch kein aussagekräftiges Protokoll gefertigt, aus dem sich Gründe für die optimistischere Bewertung erschließen könnten.

61

cc) Ungeachtet der entgegenstehenden Einschätzung der Sachverständigen, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts ist die eigene Würdigung der Gefährdungsaspekte durch das Oberlandesgericht auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar. Das Oberlandesgericht hat die hier zutage getretenen Gefährdungsaspekte, insbesondere im Hinblick auf etwaig drohende weitere Misshandlungen (1) sowie in Bezug auf die spezifisch mit der Rückführung verbundenen Belastungen des Kindes (2) weder im Einzelnen noch in ihrem Zusammenwirken hinreichend nachvollziehbar gewürdigt. Das gilt auch für die Einschätzung, die Gefährdung könne hier durch öffentliche Hilfen abgewendet werden (3).

62

(1) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht plausibel begründet.

63

(a) Nach Ansicht des Oberlandesgerichts "deuten die übrigen Umstände eher auf ein Augenblicksversagen als auf wiederholte, in vergleichbarer Weise auch künftig zu erwartende Misshandlungen hin". Dafür findet sich jedoch keine nachvollziehbare Begründung. Insbesondere bleibt offen, welche "übrigen Umstände" das Gericht hier meint.

64

(b) Die Einschätzung des Gerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht frei von Widersprüchen. Das Gericht nimmt einerseits an, dass die Eltern für die massiven Rippenbrüche des Kindes jedenfalls mitverantwortlich sind und hält die ursprüngliche Inobhutnahme des Kindes zur Abwendung der Gefährdungslage für erforderlich. Aus der Entscheidung geht andererseits nicht hervor, inwiefern sich die Gefahrenlage verbessert haben soll. Es ist nicht dargelegt, was sich in der Zeit der Fremdunterbringung auf Seiten der Eltern im Vergleich zur damaligen Familiensituation, in der es zu dem Übergriff kam, in der Weise verändert haben soll, dass eine Abweichung von der vorangegangenen Risikobewertung angezeigt erschiene. Zudem steht nun die Geburt eines weiteren Kindes bevor, so dass es bei der Betreuung beider Kinder vermehrt zu Stresssituationen kommen kann. Hierzu wären nähere Prüfungen und Ausführungen erforderlich gewesen (vgl. BVerfGK 17, 212 <219>).

65

(2) Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefahr aus den rückführungsspezifischen Belastungen resultieren könnte, weil die leiblichen Eltern den hierdurch gesteigerten Anforderungen an die Erziehungsfähigkeit nicht gerecht werden könnten. Insoweit hat es das Gericht bereits an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung fehlen lassen.

66

Das Oberlandesgericht hat sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob und in welchem Maße zu den jetzigen Pflegeeltern Bindungen entstanden sind und eine abermalige Herausnahme aus dem sozialen Umfeld eine nicht hinnehmbare Schädigung des Kindes nach sich ziehen kann. Die Annahme, dass das seit April 2016 bei der Dauerpflegefamilie lebende Kind noch keine beachtlichen Bindungen zu der jetzigen Pflegefamilie entwickelt habe, stützt das Gericht allein auf eine nicht näher wiedergegebene Angabe der Pflegeeltern, die auch nicht aussagekräftig protokolliert ist.

67

Mögliche aus der Rückführung erwachsende weitere Belastungen für das ohnehin schon erheblich vorbelastete Kind sind nicht näher untersucht worden. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses lassen demgemäß auch nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht der Frage nachgegangen ist, ob die leiblichen Eltern in der Lage sind, die mit der Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie verbundenen nachteiligen Folgen so gering wie möglich zu halten. Auch insoweit hätten die im elterlichen Umfeld erfolgte und nicht aufgearbeitete Misshandlung des Kindes sowie die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern in Bezug auf Emotionalität, Feinfühligkeit und Empathie Anlass für eine eingehende Prüfung - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme sachverständiger Unterstützung - gegeben.

68

Schließlich hat das Oberlandesgericht für die Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt lediglich eine Befristung von sechs Wochen vorgesehen, ohne zu prüfen, auf welche Weise der Wechsel des Kindes so vorbereitet werden könnte, dass er das betroffene Kind von seinen bisherigen Bezugspersonen nicht zu abrupt und ohne einen Aufbau von Beziehungen zu seinen Eltern trennt. Hier wäre in Erwägung zu ziehen gewesen, ob durch eine sich intensivierende Umgangsregelung ein allmählicher Bindungsaufbau zu den noch fremden leiblichen Eltern erreicht werden könnte (vgl. BVerfGK 2, 144 <147>; 17, 212 <222>). Zur Ausgestaltung eines behutsamen Übergangs des Kindes von der Pflegefamilie zu den Eltern bestand in gesteigertem Maße Anlass angesichts der besonders belastenden Vorgeschichte des Kindes, der Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Eltern und des Umstandes, dass seit mehreren Monaten Umgangskontakte der leiblichen Eltern mit ihrem Kind nur alle zwei Monate für eine Stunde stattfinden.

69

(3) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, die - in der Entscheidung nicht näher spezifizierte - Gefährdung für das Kind in elterlicher Obhut könne durch öffentliche Hilfen abgewendet werden, ist angesichts des Ausmaßes der hier in Rede stehenden Gefahren nicht ausreichend begründet. Das Gericht versäumt insoweit, Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Hilfen im konkreten Fall aufzuklären und darzulegen. Welche Hilfen im Einzelnen welche Gefährdungsrisiken kompensieren sollen, wird weder im Tenor noch in den Gründen der Entscheidung nachvollziehbar ausgeführt. Mit den Bedenken der Sachverständigen auch in diesem Zusammenhang (fehlende Reflexion der Eltern und fehlendes Vermögen, relevante Aspekte offen anzusprechen, so dass die Hilfe möglicherweise ins Leere läuft) setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. Inwieweit in Anbetracht der auch vom Gericht angenommenen markanten Schwierigkeit der Eltern, einen Unterstützungsbedarf zu erkennen, das Ziel, das Kind vor Schädigungen zu schützen, prognostisch erreicht werden kann, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Die Sachverständige hat dargelegt, dass insoweit ein Bedarf weiterer Aufklärung im Rahmen stationärer Diagnostik besteht. Dies wird ebenso wenig verarbeitet wie die Einschätzung der Sachverständigen, dass ambulante Hilfen zur Vermeidung einer Gefährdungslage nicht genügten und letztlich nur eine - nicht realisierbare - 24-Stunden-Betreuung ausreichenden Schutz des Kindes sicherstellen könne.

70

3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

71

4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der im fachgerichtlichen Verfahren bestellte Verfahrensbeistand gegen die im Zuge eines Sorgerechtsentzugs erfolgte Bestimmung des Jugendamts zum Amtsvormund.

2

Er macht geltend, dass die Grundrechte des Kindes aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt seien, weil mit ihm selbst ein dem Jugendamt vorzuziehender ehrenamtlicher Einzelvormund zur Verfügung gestanden hätte, nachdem er seine Bereitschaft zur Übernahme der ehrenamtlichen Vormundschaft und zur Aufnahme des Kindes in seinen Haushalt erklärt habe. Grundrechte des Kindes seien außerdem dadurch verletzt, dass der Amtsvormund das Kind nicht aus dem Haushalt der nicht erziehungsgeeigneten Mutter herausgenommen und damit die bestehende Kindeswohlgefährdung nicht beendet habe.

3

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht erkennbar ist, dass hier Grundrechte des Kindes, in dessen Interesse der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, durch die angegriffene Bestellung des Jugendamts zum Amtsvormund verletzt sein könnten.

4

1. Der Beschwerdeführer ist allerdings aufgrund seiner Bestellung als Verfahrensbeistand im fachgerichtlichen Kinderschutzverfahren befugt, Verfassungsbeschwerde einzulegen und mit dieser - ausnahmsweise - fremde Rechte in eigenem Namen geltend zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 35).

5

2. Auch sind durch die Vormundbestellung Grundrechte des Kindes betroffen.

6

a) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 39 m.w.N.). Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>; 60, 79 <88>; 72, 122 <134>; 107, 104 <117>). Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten.

7

b) Ist die Trennung eines Kindes von den Eltern danach geboten, ist auch die Auswahl des Vormunds an diesem Schutzanspruch des Kindes zu messen. Dieser gebietet im Falle der Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt auch, dafür Sorge zu tragen, dass das Kind die Lebensbedingungen erhält, die für seine Entwicklung und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind (vgl. BVerfGE 24, 119 <44 f.>; 57, 361 <383>; 133, 59 <73 Rn. 42>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 40). Dies setzt voraus, dass dem Kind nur ein zur Führung der Vormundschaft geeigneter Vormund bestellt wird. Die einfachgesetzliche Regelung über die notwendige Eignung eines Vormunds in § 1779 Abs. 2 Satz 1 BGB ist insofern Ausfluss des kindlichen Schutzanspruches gegenüber dem Staat. Durch die Bestellung eines ungeeigneten Vormunds würde der Staat seiner Schutzverantwortung gegenüber dem Kind nicht hinreichend gerecht.

8

3. Der Beschwerdebegründung lässt sich die Möglichkeit einer Verletzung dieser Grundrechte jedoch nicht entnehmen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit der angegriffenen Entscheidung rechtlich-argumentativ auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 99, 84 <87> m.w.N.; 101, 331 <345 f.>; stRspr). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

9

a) Das Oberlandesgericht hat plausibel begründet, dass der in § 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB normierte Vorrang der ehrenamtlichen Einzelvormundschaft vor der Amtsvormundschaft nur in Bezug auf einen geeigneten Einzelvormund gelte. Es hat ferner nachvollziehbar ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Vormund für das hier betroffene Kind nicht geeignet sei, weil sowohl die Mutter als auch das Kind den Verfahrensbeistand als ehrenamtlichen Einzelvormund ausdrücklich ablehnten, was letztlich eine mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbarende nachhaltige Beeinträchtigung der Führung der Vormundschaft befürchten lasse. Die Beschwerdebegründung geht hierauf nicht ein.

10

b) Die Frage der konkreten Ausübung der Vormundschaft durch den Amtsvormund, insbesondere das vom Beschwerdeführer beanstandete Belassen des Kindes im mütterlichen Haushalt, war hingegen nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung und stand nicht zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung an.

11

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

12

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Oldenburg vom 20. Februar 2017 - 5 F 1433/16 EASO - und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. April 2017 - 4 UF 39/17 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufge-hoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich, auch im Wege des Eilantrags, gegen den im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgten teilweisen Entzug der elterlichen Sorge für seine beiden im Jahr 2016 geborenen Zwillingstöchter.

2

1. a) Der Beschwerdeführer, ein belgischer Staatsangehöriger, ist Vater zweier Kinder. Die Eltern leben voneinander getrennt. Der Beschwerdeführer wohnt und arbeitet in Belgien, die Mutter lebt in Deutschland. Die Mutter ist gebürtige Ivorerin, betreibt in der Bundesrepublik ein Asylverfahren und verfügt über eine entsprechende Aufenthaltsgestattung. Nachdem die Eltern im Sommer des Jahres 2015 eine kurze Beziehung eingegangen waren, hielt sich der Beschwerdeführer, der ursprünglich aus Guinea stammt, zunächst von Herbst 2015 bis in das Frühjahr des Jahres 2016 in Afrika auf. Von der Schwangerschaft und der Geburt der Kinder wusste der Beschwerdeführer zunächst nichts. Nach der Geburt im März 2016 kümmerte sich die Mutter allein um die Kinder. Im August/September 2016 erfuhr der Beschwerdeführer erstmals von seiner Vaterschaft.

3

b) Am 13. Dezember 2016 nahm das Jugendamt die Kinder, die sich zu diesem Zeitpunkt bei der Mutter aufhielten, aufgrund erheblicher Kindeswohlgefährdungen in Obhut. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 21. Dezember 2016 entzog das Amtsgericht der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen sowie das Recht der Vertretung bei Behörden und ordnete insoweit Ergänzungspflegschaft des Jugendamts an. Der Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt weder dem Jugendamt noch dem Familiengericht bekannt.

4

c) Der Beschwerdeführer erkannte seine Vaterschaft am 19. Dezember 2016 mit Zustimmung der Mutter an. Die Eltern gaben zugleich eine gemeinsame Sorgerechtserklärung ab. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 6. Januar 2017 bestellte das Amtsgericht im Verfahren der einstweiligen Anordnung eine Verfahrensbeiständin, die die Eltern sogleich kontaktierte und sich in ihrer Stellungnahme vom 23. Januar 2017 gegen eine Rückkehr der Kinder zu der Mutter und für einen begleiteten Umgang der Kinder sowohl mit der Mutter als auch mit dem Beschwerdeführer aussprach. Unter dem 24. Januar 2017 gab das Jugendamt ebenfalls eine Stellungnahme ab, in der es die Erziehungsgeeignetheit der Mutter und die Vaterschaft des Beschwerdeführers in Frage stellte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 17. Februar 2017 wurden die Vertreterin des Jugendamtes sowie die Eltern angehört. Das Jugendamt sprach sich für eine dauerhafte Fremdunterbringung aus und beantragte, den Eltern die gesamte elterliche Sorge zu entziehen. Die Erziehungsfähigkeit der Mutter sei erheblich eingeschränkt, was unter anderem auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen sei. Im Anhörungstermin erklärte der Beschwerdeführer, dass es sein Wunsch sei, dass die Kinder zu ihrer Mutter zurückkehrten. Es sei geplant, dass er in der Zukunft mit den Kindern und der Mutter, mit der er sich in einer Beziehung befinde, zusammenlebe. Beide Elternteile wollten, dass es den Kindern gut gehe.

5

d) Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Februar 2017 hielt das Amtsgericht den teilweisen Sorgerechtsentzug in Bezug auf die Mutter aufrecht und entzog nunmehr auch dem Beschwerdeführer das Sorgerecht im selben Umfang wie der Mutter. Im Falle einer weiteren Versorgung durch die Mutter sei das Kindeswohl der beiden Kinder erheblich gefährdet. Auch durch andere Hilfeleistungen durch das Jugendamt könne diese Gefährdung nicht beseitigt werden. Die Mutter habe sich geweigert, einen entsprechenden Antrag zu Jugendhilfemaßnahmen zu unterschreiben. Sie sei auch nicht in der Lage, die Kinder angemessen zu versorgen. Ihre Nachlässigkeiten hätten letztlich in dem von ihr als Unfall geschilderten Vorfall gegipfelt, bei dem eines der Kinder massive Verbrennungsverletzungen erlitten habe. Die Hilfen, die bisher eingerichtet worden seien, hätten nicht dazu geführt, dass sie ihr Verhalten reflektiert und geändert habe. Ob dies aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung der Fall sei und ob eine Rückführung der Kinder gegebenenfalls mit Hilfestellungen möglich sei, solle im Rahmen eines einzuholenden Erziehungsfähigkeitsgutachtens im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Auch dem Beschwerdeführer seien Teile des Sorgerechts zu entziehen, da er mitgeteilt habe, dass er sich wünsche, dass die Kinder zur Mutter zurückkehrten.

6

e) Gegen den vorgenannten Beschluss legte der Beschwerdeführer am 3. März 2017 Beschwerde ein und stellte einen Aussetzungsantrag gemäß § 64 Abs. 3 FamFG. Zur Begründung führte er aus, dass in Bezug auf seine Person weder eine Kindeswohlgefährdung festgestellt noch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen worden sei.

7

f) Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 12. April 2017 wies das Oberlandesgericht den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses vom 20. Februar 2017 zurück und wies darauf hin, dass es die Absicht habe, die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Folge des Entzugs der elterlichen Sorge der Kindesmutter sei der Übergang der Gesamtsorge auf den Beschwerdeführer gemäß § 1680 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BGB, was diesem das Recht verschaffen würde, die Kinder zu sich zu nehmen, über wesentliche Belange der Gesundheitsfürsorge zu entscheiden, Jugendhilfemaßnahmen zu beantragen, aber auch abzulehnen und die Kinder gegenüber den Behörden zu vertreten. Zum jetzigen Zeitpunkt sei nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer in der Lage und geeignet sei, diese Aufgaben der elterlichen Sorge zum Wohl der Kinder wahrzunehmen. Der von dem Beschwerdeführer im Termin zur mündlichen Erörterung geäußerte Wunsch, die Kinder mögen zur Mutter zurückkehren, zeige, dass er sich selber nicht in der Lage sehe, die Bereiche, insbesondere die Betreuung und Versorgung der Kinder, zum jetzigen Zeitpunkt wahrzunehmen und dass er eine Maßnahme anstrebe, die mit dem Wohl der Kinder nicht vereinbar sei und sich mithin als kindeswohlgefährdend darstelle. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung der begehrten Aussetzung erklärt habe, dass er mit einer Verbleibensanordnung einverstanden wäre, da er nicht vorhabe, die Kinder abrupt aus der Einrichtung herauszunehmen und diese derzeit in der Einrichtung verbleiben sollten, sei zu berücksichtigen, dass sich diese Bereitschaft offensichtlich zunächst nur auf die beantragte Aussetzung der Vollziehung beziehe und zudem im Widerspruch zu den früheren Bekundungen im Termin zur mündlichen Erörterung am 17. Februar 2017 stünde. Es könne daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht verantwortet werden, dass der Beschwerdeführer seine Meinung unter Umständen ändere, die Kinder kraft seiner Sorgerechtskompetenz aus der Einrichtung herausnehme und es dadurch zu einer Gefährdung des Kindeswohls komme. Hierbei sei im Besonderen zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Leben der Kinder bislang keine Rolle gespielt habe. Eine tragfähige Beziehung habe bis dato nicht aufgebaut werden können. Insoweit bedürfe es in Bezug auf den Beschwerdeführer auch nicht der Feststellung eines nachhaltigen und ursächlichen Fehlverhaltens, da dieser die elterliche Rolle bislang noch überhaupt nicht wahrgenommen habe. Hieran vermöge der allein rechtlich bedeutsame Aspekt der Abgabe einer Sorgerechtserklärung nichts zu ändern. Der Beschwerdeführer sei mithin derzeit im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen einer Fremdunterbringung und einer vorrangig zu prüfenden Unterbringung bei ihm selbst als anderem sorgeberechtigtem Elternteil nicht als vorzugswürdig anzusehen. Die Übernahme der elterlichen Sorge durch den Beschwerdeführer nach dem vorläufigen Entzug gegenüber der Mutter komme daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Mildere Mittel seien nicht gegeben. Nachdem der Beschwerdeführer nun in das Leben der Kinder getreten sei, sei es seine vorrangige Aufgabe, eine tragfähige Beziehung aufzubauen und gegebenenfalls mit der Mutter gemeinsam die Voraussetzungen zu schaffen, um den Kindern ein tragfähiges, am Kindeswohl orientiertes Zuhause zu bieten. Ob der Beschwerdeführer hierzu allein oder seinem Wunsch entsprechend gemeinsam mit der Mutter in der Lage und geeignet sei, müsse der Klärung durch ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten vorbehalten bleiben, welches im bereits eingeleiteten Hauptsacheverfahren einzuholen sein werde. Entsprechende Ermittlungen im Rahmen der summarischen Prüfung des einstweiligen Anordnungsverfahrens seien weder angezeigt noch geboten.

8

g) Zu dem Hinweis des Oberlandesgerichts verwies der Beschwerdeführer unter anderem darauf, dass er die Erziehungsgeeignetheit seiner Person nicht unter Beweis stellen müsse. Im Falle der Aufrechterhaltung seines Sorgerechts wolle er die Kinder nicht aus der Bereitschaftspflegefamilie, in der sie sich zurzeit aufhielten, herausnehmen. Er sei vielmehr mit einer Verbleibensanordnung einverstanden. Er beabsichtige auch nicht, die Kinder ohne weitere Aufsicht der Mutter zu überlassen.

9

h) Mit angegriffenem Beschluss vom 25. April 2017 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde zurück. Zur Begründung verwies es auf den Inhalt des Hinweisbeschlusses vom 12. April 2017. Der Beschwerdeführer habe im Leben der Kinder bislang keine Rolle gespielt. Er sei erstmalig durch die unter dem 19. Dezember 2016 abgegebenen Erklärungen zur Anerkennung der Vaterschaft sowie zum gemeinsamen Sorgerecht in das Leben der Kinder getreten. Den Kindern sei es daher nicht möglich gewesen, eine tragfähige Beziehung zum Beschwerdeführer aufzubauen. Diese müsse erst noch geschaffen werden. Eine alleinige Sorgerechtsübernahme durch den Beschwerdeführer, die gemäß § 1680 Abs. 3 BGB kraft Gesetzes eintreten würde, stelle sich daher zum jetzigen Zeitpunkt als kindeswohlgefährdend dar.

10

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.

11

Die Gerichte hätten die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung verkannt. Er habe wiederholt deutlich gemacht, dass er keineswegs beabsichtige, die Kinder abrupt aus der Pflegefamilie herauszunehmen. Auch hätten die Gerichte verkannt, dass er als Elternteil seine Erziehungsfähigkeit nicht positiv unter Beweis stellen müsse. Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen Gewährleistungsinhalt des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ergebe sich aus einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung.

12

3. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.

13

4. Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung Niedersachsen, dem Jugendamt, der Verfahrensbeiständin der Kinder und der Mutter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

14

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des gerügten Elternrechts des Beschwerdeführers angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde hiernach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschwerdeführer ist in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

15

1. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts sind nicht mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar.

16

a) aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen beziehungsweise aufrechterhalten werden darf (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff nur unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <140>; 136, 382 <391>; stRspr). Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 - 1 BvR 1178/14 -, juris, Rn. 23, m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, juris, Rn. 44 m.w.N.).

17

Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung, die sich nicht darauf beschränkt, ob die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruht (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>), sondern auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391>) erstreckt ist.

18

bb) Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch die Gestaltung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>; 79, 51 <66f.>; 99, 145 <162>). Das Gericht hat von sich aus - nach pflichtgemäßem Ermessen - die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen und durchzuführen sowie die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Allerdings bestimmt das Fachgericht zugleich - auch in kindschaftsrechtlichen Verfahren - selbst über den Umfang seiner Ermittlungen (vgl. BVerfGE 79, 51 <62>). Das Verfahren muss aber grundsätzlich dazu geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182 f.>).

19

Im Eilverfahren bemessen sich die Möglichkeiten des Gerichts, das Sorgerecht ohne abschließende Ermittlung des Sachverhalts zu entziehen, einerseits nach dem Recht des Kindes (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen Gefahren geschützt zu werden, und andererseits insbesondere nach dem Recht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), von einem unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 22). Weil bereits der vorläufige Entzug der gesamten Personensorge einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern darstellt, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Soll das Sorgerecht vorläufig entzogen werden, sind die Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung umso höher, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt, in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt und je weniger wahrscheinlich dieser ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 23). Einfachrechtlich drückt sich diese Anforderung in der Vorschrift des § 49 Abs. 1 FamFG aus, die ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden erfordert, was voraussetzt, dass ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen (hier: das Kindeswohl) zu wahren. Nicht ausreichend ist, dass die gerichtliche Entscheidung dem erstrebten Ziel (hier: dem Kindeswohl) am besten entsprechen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, juris, Rn. 20 m.w.N.).

20

b) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzen die angegriffenen Entscheidungen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Es wurden weder hinreichende Feststellungen zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung in Bezug auf den Beschwerdeführer getroffen (aa), noch erweist sich der vollständige Entzug der elterlichen Sorge als verhältnismäßig (bb).

21

aa) Dass eine den Sorgerechtsentzug bezüglich des Beschwerdeführers tragende Kindeswohlgefahr hinreichend wahrscheinlich ist, lässt sich den angegriffenen Entscheidungen nicht entnehmen und ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht geht bereits von einem unzutreffenden Entscheidungsmaßstab aus (1). Ferner haben die Gerichte den Sachverhalt im Hinblick auf das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung nicht im erforderlichen Maß ermittelt (2).

22

(1) Das Oberlandesgericht legt seiner Entscheidung einen unzutreffenden Entscheidungsmaßstab zugrunde. Indem es seine Entscheidung, dem Beschwerdeführer das Sorgerecht zu entziehen, darauf stützt, dass er gegenüber dem Vormund "nicht als vorzugswürdig" anzusehen sei, verkennt es, dass die bloße Existenz "besserer" Alternativen den Entzug der elterlichen Sorge nicht zu rechtfertigen vermag. Dieser kommt allein dann in Betracht, wenn im Falle des Verbleibs des Sorgerechts beim Betroffenen eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung zu befürchten wäre.

23

(2) Die Begründungen der angegriffenen Entscheidungen lassen das Vorliegen einer hinreichend konkreten Kindeswohlgefährdung, die es ohne weitere Aufklärung des Sachverhaltes rechtfertigen könnte, dem Beschwerdeführer das Sorgerecht sofort zu entziehen, nicht erkennen.

24

Insbesondere vermag das vom Oberlandesgericht angeführte Fehlen einer tragfähigen Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern allein keine Kindeswohlgefährdung zu begründen.

25

Die angegriffene Beschwerdeentscheidung beschränkt sich in der Sache auf die Äußerung der Befürchtung, der Beschwerdeführer werde künftig der Mutter die Betreuung der Kinder überlassen. Das Oberlandesgericht hat hierzu allerdings keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Es stützt sich ausschließlich auf die Äußerung des Beschwerdeführers im amtsgerichtlichen Anhörungstermin vom 17. Februar 2017, wonach er eine Rückkehr der Kinder zur Mutter wünsche. Demgegenüber hat der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er keineswegs einen unbeaufsichtigten Umgang der Kinder mit der Mutter befürworte und gerade nicht anstrebe, die Kinder abrupt aus der Bereitschaftspflegefamilie zu nehmen und der Mutter - unbeaufsichtigt - zu überlassen, sondern im Gegenteil eine Fortdauer der Fremdunterbringung anrege und auch akzeptieren werde. Die Ernsthaftigkeit dieser Angaben hätte das Oberlandesgericht näher überprüfen müssen. Insbesondere hätte es hierzu weiterer Ermittlungen etwa durch die Befragung der Fachkräfte (Jugendamt, Verfahrensbeiständin) und gegebenenfalls einer persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers durch das Oberlandesgericht bedurft.

26

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung ergeben sich auch nicht aus dem Verweis des Oberlandesgerichts auf die Äußerungen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes. Der Bericht der Verfahrensbeiständin vom 23. Januar 2017 enthält zu der Frage des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung, die aus der Sorgeberechtigung des Beschwerdeführers resultieren könnte, keinerlei Ausführungen und regt lediglich eine Begutachtung der Mutter an. Die im einstweiligen Anordnungsverfahren eingeholte Stellungnahme des Jugendamtes vom 24. Januar 2017 beschränkt sich auf die Aussage, dass der Beschwerdeführer nach Ansicht des Jugendamtes nicht der sorgeberechtigte Vater der Kinder sei, weshalb dieser im Zuge der Maßnahmen der Hilfe und Inobhutnahme nicht zu informieren gewesen sei und mangels Kontakts des Vaters zu den Zwillingen keine Umgangskontakte befürwortet würden. Im Rahmen der amtsgerichtlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2017 sprach die Vertreterin des Jugendamtes zwar der Mutter die Erziehungsfähigkeit ab, traf jedoch keine Aussage zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung durch den Beschwerdeführer im Falle der Ausübung des Sorgerechts durch ihn.

27

Die unzureichende Ausermittlung des Sachverhaltes war auch nicht deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, weil ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestanden hätte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, juris, Rn. 25). Das Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses für den sofortigen Sorgerechtsentzug lässt sich weder der Entscheidung des Amtsgerichts, noch der Entscheidung des Oberlandesgerichts entnehmen. Im Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen waren die Kinder bereits fremduntergebracht. Der Beschwerdeführer hatte zudem im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich erklärt, die Kinder nicht voreilig zu sich nehmen zu wollen, sondern die Absicht kundgetan, diese in der Pflegefamilie zu belassen. Danach waren die Gefahren, die den Kindern im mütterlichen Haushalt drohten, gebannt; eine besondere Dringlichkeit lag daher nicht vor.

28

bb) Darüber hinaus ist der sofortige Entzug der elterlichen Sorge gegenüber dem Beschwerdeführer unverhältnismäßig (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG).

29

Die Begründung des Oberlandesgerichts lässt nicht erkennen, dass es erforderlich war, dem Beschwerdeführer im Wege einstweiliger Anordnung die gesamte Personensorge zu entziehen. Die vom Oberlandesgericht angenommene und vom Beschwerdeführer akzeptierte Notwendigkeit einer (vorübergehenden) Fremdunterbringung der Kinder allein erfordert nicht zwangsläufig den Sorgerechtsentzug. Selbst wenn eine Fremdunterbringung geboten ist, kann der Sorgerechtsentzug zur Abwendung einer dem Kind drohenden Gefahr insbesondere dann entbehrlich sein, wenn der erziehungsberechtigte Elternteil die Fremdunterbringung mitträgt und unterstützt und alle im Zusammenhang hiermit notwendig werdenden Mitwirkungshandlungen vornimmt oder vorzunehmen bereit ist. Sind die Eltern willens, die Gefahr für ihr Kind im Wege der Fremdunterbringung abzuwenden, ist ein familiengerichtliches Einschreiten grundsätzlich nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juni 2014 - 1 BvR 725/14 -, juris, Rn. 39;Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, juris, Rn. 22m.w.N.).

30

Der Beschwerdeführer hat einer Inobhutnahme der Kinder zu keinem Zeitpunkt widersprochen. Zwar hat er im Anhörungstermin vom 17. Februar 2017 geäußert, sich eine Rückkehr der Kinder zur Mutter und künftig ein Zusammenleben mit ihr und den Kindern zu wünschen. Hieraus folgt jedoch nicht, dass er die Kinder aus der Bereitschaftspflegefamilie herausnehmen und der Mutter übergeben werde, sobald er die elterliche Sorge allein ausüben würde. Vielmehr hat der Beschwerdeführer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ausdrücklich eine Verbleibensanordnung und einen temporären Umgangsausschluss in Bezug auf die Mutter angeregt und zugleich versichert, die Kinder nicht voreilig zu sich nehmen zu wollen. Ausreichende Feststellungen dazu, weshalb zu befürchten sein könnte, dass er sich nicht an seine Zusicherung halten werde, lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen.

31

Auch in der von dem Oberlandesgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Amtsgerichts finden sich keine Ausführungen, anhand derer sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür ergäbe, dass der Beschwerdeführer die Kinder unvermittelt und ohne vorherige Absprache aus ihrem derzeitigen Umfeld herausnehmen würde.

32

Selbst wenn nach - hier nicht durchgeführten - Ermittlungen des Oberlandesgerichts Zweifel an dieser Zusage des Beschwerdeführers fortbestanden hätten, wäre zu erörtern gewesen, ob der Erlass einer Verbleibensanordnung als milderes Mittel zu einem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Betracht gekommen wäre. Auch dies hat das Oberlandesgericht vorliegend nicht getan.

33

Sollte der Erlass einer Verbleibensanordnung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als milderes Mittel nicht in Betracht kommen, hätte im Falle eines Herausgabebegehrens des Beschwerdeführers im Übrigen immer noch die Möglichkeit bestanden, ihm dann das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Eilverfahren zu entziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, juris, Rn. 24).

34

Ferner hat das Gericht keine Anhaltspunkte dafür benannt, dass das Jugendamt ohne einen sofortigen und vollständigen Sorgerechtsentzug daran gehindert gewesen wäre, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Kinder zu ergreifen, etwa weil der Beschwerdeführer notwendige Mitwirkungshandlungen nicht vorgenommen hätte. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die in Bezug genommenen Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin lassen erkennen, dass und weshalb der Beschwerdeführer nicht willens oder in der Lage wäre, die im Rahmen der Personensorge erforderlichen Entscheidungen zum Wohle seiner fremduntergebrachten Kinder zu treffen und an den hierfür notwendigen Maßnahmen mitzuwirken, so dass es eines Entzugs der vollständigen elterlichen Sorge bedurft hätte.

35

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesen Verstößen gegen das Elterngrundrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fachgerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers getroffen hätten.

36

2. Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil dem Beschwerdeführer damit besser gedient ist. Denn es liegt in seinem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>).

37

3. Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtet ist, bedarf es keiner Entscheidung, weil infolge der Aufhebung und Rückverweisung der Entscheidung des Oberlandesgerichts der Rechtsweg vor den Fachgerichten wieder eröffnet ist (vgl. BVerfGE 129, 1 <37>; 134, 106 <121>).

38

4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

39

5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

40

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen Sorgerechtsentzug nach § 1666 BGB für seine beiden minderjährigen Kinder in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

2

1. a) Der Beschwerdeführer ist Vater einer erwachsenen Tochter und zweier minderjähriger Kinder, eines im Jahr 2004 geborenen Sohnes und einer im Jahr 2007 geborenen Tochter. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern leben getrennt. Ihr Verhältnis ist konfliktbehaftet. Der Beschwerdeführer lebte zeitweilig in einem Container und wohnt jetzt in einer Obdachlosenunterkunft. Die Kinder lebten zunächst bei ihrer Mutter. Nachdem ihr eine Zwangsräumung gedroht hatte, wurde die Mutter ab 2007 für vier Jahre von einer Familienhilfe unterstützt. Anfang 2017 berichtete die Grundschule der Tochter, dass diese verwahrlost wirke, kaum spreche und verstört erscheine. Hieraufhin wurde erneut eine Familienhilfe installiert. Die Zusammenarbeit der Eltern mit dem Jugendamt gestaltete sich schwierig. Termine wurden nicht wahrgenommen. Das Mädchen wies am Schuljahresende 2016/2017 diverse Fehlzeiten auf. Mangels Entscheidung der Eltern über die weitere Schullaufbahn der Tochter besuchte diese zu Beginn des Schuljahrs 2017/2018 zunächst gar keine Schule mehr. Aufgrund wiederkehrend geäußerter Suizidgedanken des Sohnes empfahl eine Kinder- und Jugendtherapeutin eine stationäre Behandlung des Jungen. Daraufhin ließen die Eltern ihn zunächst in einer Tagesklinik behandeln, brachen diese Behandlung jedoch gegen den Rat der Fachärzte ab. Die Tochter wurde ambulant in der Kinder- und Jugend-psychiatrie behandelt.

3

b) Auf Gefährdungsmeldungen des Jugendamts hin leitete das Amtsgericht ein Kindesschutzverfahren ein. Mit angegriffenem Beschluss vom 5. Oktober 2017 entzog das Amtsgericht den Eltern im Wege einstweiliger Anordnung für beide Kinder zunächst ohne mündliche Erörterung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen, das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII und ordnete diesbezüglich eine Ergänzungspflegschaft an.

4

c) Die Kinder wurden am 6. Oktober 2017 in einer Inobhutnahmegruppe untergebracht.

5

d) Aufgrund des Antrags der Eltern auf erneute Entscheidung aufgrund mündlicher Erörterung hörte das Amtsgericht die Kinder, die Eltern, die Ergänzungspflegerin, die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt am 16. Oktober 2017, 17. Oktober 2017 und am 19. Oktober 2017 persönlich an. Im Termin sagten die Eltern zu, eine Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen, bei der Regelung des Umgangs mit ihren Kindern kooperativ mitzuwirken, die beanstandete Wohnungssituation zu verbessern (Reinigung, Möbelbeschaffung) und eine Beratungsstelle wegen häuslicher Gewalt aufzusuchen. Die Eltern sollten die Gelegenheit erhalten, die Kooperation mit dem Jugendamt wieder aufzunehmen, um die geforderten Maßnahmen umzusetzen. Im November 2017 hörte das Amtsgericht die Beteiligten nochmals an. Das Jugendamt teilte insbesondere mit, dass keine Kommunikation mit den Eltern stattfinde, die eigentlich problematischen Punkte - häusliche Gewalt, Vernachlässigung und psychische und physische Gefährdung der Kinder - nicht abgewendet worden seien und die Eltern hierzu keine Fragen beantworteten. Die Ergänzungspflegerin teilte mit, dass die Mutter zwar bemüht sei. Gleichwohl sei die Wohnung derzeit noch nicht bewohnbar. Auch die psychischen Bedürfnisse der Kinder könnten in der Familie nicht erfüllt werden.

6

Mit angegriffenem Beschluss vom 23. November 2017 bestätigte das Amtsgericht seine einstweilige Anordnung, da weiterhin eine Gefährdung des Kindeswohls bestehe. Im Abschlussbericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 1. September 2017 zum tagesklinischen Aufenthalt des Sohnes sei die Haupt-diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode gestellt worden. Dennoch hätten die Eltern das Kind gegen den ausdrücklichen ärztlichen Rat wieder aus der Tagesklinik herausgenommen. Nach dem während der ambulanten Behandlung der Tochter erstellten Bericht habe sich das Mädchen auf einer Gesamtskala im Störungsbereich "Depression" auffällig gezeigt. Im Störungsbereich "Angst" und "soziale Phobie" sei das Kind ebenfalls sehr auffällig gewesen. Im Kontakt habe sich das Mädchen sehr scheu, unsicher und misstrauisch sowie in depressiver Stimmung gezeigt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen habe sich ergeben, dass bei den Eltern keine hinreichende Problemeinsicht vorhanden sei. Damit fehle es an einer ausreichenden Grundlage für die Zusammenarbeit mit den sozialen Diensten. Zwar sei die Wohnung der Mutter inzwischen besser eingerichtet. Dies allein genüge jedoch nicht. Denn es fehle den Eltern an der ausreichenden Einsicht in die konkreten psychischen und physischen Probleme ihrer Kinder. Angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit und den Bekundungen, nur in Grenzen bereit zu sein, Hilfe anzunehmen, sei eine ausreichende Mitwirkung der Eltern an den zur Abwendung der gesundheitlichen Gefahren für ihre Kinder erforderlichen Maßnahmen nicht zu erwarten.

7

e) Seit Mitte Dezember 2017 leben die Kinder in einer auf längere Dauer angelegten Pflegestelle.

8

f) Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Januar 2018 wies das Oberlandesgericht die Beschwerden der Eltern zurück. Die getroffenen einstweiligen Maßnahmen seien von §§ 1666, 1666a BGB, § 49 FamFG gedeckt. Dies ergebe sich hier bereits unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit der Kinder. Sowohl die Äußerungen des Sohnes als auch des Mädchens gegenüber dem Familiengericht, dem Verfahrensbeistand und den behandelnden Ärzten legten den starken Verdacht einer nicht unerheblichen depressiven Störung bei beiden Kindern nahe.

9

aa) Zwar hätten die Eltern den Sohn im Mai/Juni 2017 drei Screeningterminen bei einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin zugeführt, die auf einen stationären Klinikaufenthalt gedrängt habe. Dieser sei zunächst auch wahrgenommen, allerdings am 4. September 2017 entgegen dem dringenden ärztlichen Anraten beendet worden. Die Eltern hätten auch nicht für eine alternative Anschlussbehandlung gesorgt. Sie hätten lediglich angegeben, dass eine ambulante Weiterbehandlung bei der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin beabsichtigt gewesen sei, ohne hierfür aber ein beurteilungsfähiges Konzept oder einen entsprechenden Therapieplan vorzulegen. Der Abschlussbericht der Klinik attestiere, dass bei dem Jungen wegen einer deutlich depressiven Symptomatik die weitere tagesklinische Behandlung erforderlich sei.

10

Weil mit hoher Wahrscheinlichkeit eine (tages-)stationäre Behandlung notwendig sei, könne die Kindeswohlgefahr nur durch den Entzug der Gesundheitssorge und den zusätzlichen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung schulischer Angelegenheiten sowie des Rechts zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII abgewendet werden. Mildere Maßnahmen kämen nicht in Betracht. Insbesondere sei nicht zu erwarten, dass die Eltern die nach dem Abschlussbericht der Klinik dringend indizierten medizinischen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt dauerhaft und nachhaltig freiwillig durchführen ließen. Denn bereits in der Vergangenheit sei es immer wieder zu Spannungen gekommen, wenn die Eltern mit Vorgaben oder Ansichten des Jugendamts nicht einverstanden gewesen seien. Nunmehr setzten sie sich auch über die Einschätzung und Diagnosen der Ärzte hinweg.

11

bb) In Bezug auf die Tochter hätten die Ärzte demgegenüber zwar bislang nur eine ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung empfohlen. Dennoch sehe der Senat aufgrund der im hiesigen Eilverfahren bisher möglichen und angezeigten Ermittlungen auch bei ihr eine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung. Das Mädchen weise erhebliche Verhaltensauffälligkeiten mit depressiven Indikatoren auf. Sie sei äußerst scheu, ängstlich (soziale Phobie) und spreche kaum. Sie habe keine Freunde und so gut wie keinen sozialen Anschluss. Allein eine durchgeführte Logopädie und Ergotherapie und Termine beim Kinderarzt seien bei dem Mädchen ersichtlich nicht ausreichend. Es stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Eltern auch in Bezug auf die Tochter, die ähnliche Anfangssymptome aufweise wie der Sohn, nicht ausreichend für eine nachhaltige Behandlung sorgen würden. In dem Zusammenhang sei auch die Problematik der Wahl der Schule für das Mädchen zu sehen. Hier habe eine verspätete Veranlassung erforderlicher Maßnahmen und Entscheidungen dazu geführt, dass das Mädchen zunächst nach Abschluss der Grundschule gar keine Schule mehr besucht habe.

12

cc) Da die Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit nicht in der Lage oder nicht willens seien, die aufgezeigten ganz erheblichen Gefahren für Wohlergehen und Entwicklung ihrer beiden Kinder dauerhaft abzuwenden, stehe dem Sorgerechtsentzug auch nicht die Äußerung der Kinder entgegen, dass sie ihre Eltern vermissten.

13

2. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Sein Elternrecht sei verletzt, weil sich den angegriffenen Entscheidungen eine akute Kindeswohlgefährdung für die Kinder nicht entnehmen lasse. Nach dem Abschlussbericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei der Junge nicht mehr suizidal. Außerdem habe er danach die Schule wieder besucht, ohne dass Auffälligkeiten bei ihm festgestellt worden seien. In Bezug auf die Tochter liege ein Sorgerechtsentzug "auf Vorrat" vor. Die angegriffenen Entscheidungen seien unverhältnismäßig. Sie ließen nicht erkennen, weshalb die Herausnahme der Kinder aus dem mütterlichen Haushalt gegen den Willen der Eltern derart dringlich gewesen sei, dass die Hauptsacheentscheidung nicht habe abgewartet werden können. Die Fachgerichte hätten sich außerdem mit den negativen Folgen der plötzlichen Herausnahme der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung nicht befasst. Das Fehlen milderer Maßnahmen (Auflagen, Weisungen etwa zum Annehmen jugendamtlicher Hilfen und/oder zur Ermöglichung der weiteren therapeutischen Behandlung der Kinder) sei nicht (erschöpfend) begründet worden. Auch hätten die Fachgerichte nicht auf gesicherter Ermittlungsgrundlage entschieden. Sie hätten es unterlassen, aktuelle ärztliche Stellungnahmen oder ein Sachverständigengutachten einzuholen; das Oberlandesgericht habe die Kinder und die Eltern nicht angehört.

II.

14

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

15

1. a) Das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>).

16

Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff nur unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <140>; 136, 382 <391>; stRspr). Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 - 1 BvR 1178/14 -, www.bverfg.de, Rn. 23 m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, www.bverfg.de, Rn. 44 m.w.N.). Auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 19, 295 <303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, www.bverfg.de, Rn. 38) und müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, www.bverfg.de, Rn. 38; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 3190/13 -, www.bverfg.de, Rn. 31).

17

Die fachgerichtlichen Annahmen zu der Frage, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegen wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Sie beschränkt sich nicht darauf, ob eine angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruht (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>), sondern erstreckt sich auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391>).

18

b) Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch die Gestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>; 79, 51 <66 f.>; 99, 145 <162>). In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, www.bverfg.de, Rn. 19). In Eilverfahren bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Den Gerichten ist es in kindesschutzrechtlichen Eilverfahren insbesondere regelmäßig nicht möglich, noch vor der Eilentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies steht dem vorläufigen Sorgerechtsentzug jedoch nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. August 2015 - 1 BvR 1084/15 -, www.bverfg.de, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2015 - 1 BvR 1292/15 -, www.bverfg.de, Rn. 19). Verfassungsrechtlich entscheidend ist vielmehr, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2017 - 1 BvR 1202/17 -, www.bverfg.de, Rn. 19 m.w.N.).

19

Einfachrechtlich drücken sich diese Anforderungen in der Vorschrift des § 49 Abs. 1 FamFG aus. Ein danach erforderliches dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden setzt voraus, dass ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht möglich ist, weil diese zu spät käme, um die zu schützenden Interessen (hier: das Kindeswohl) zu wahren. Nicht ausreichend ist, dass die Entziehung des Sorgerechts dem Kindeswohl "am besten entsprechen" würde, vielmehr muss das Kindeswohl ohne den Sorgerechtsentzug nachhaltig gefährdet sein (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2017 - 1 BvR 1202/17 -, www.bverfg.de, Rn. 19 m.w.N.).

20

2. Danach liegt eine Grundrechtsverletzung nicht vor.

21

a) Gestützt auf den Abschlussbericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie bezüglich des Sohnes, den ärztlichen Bericht über die Tochter, die Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin im Anhörungstermin, die Anhörungsvermerke des Amtsgerichts sowie das Verhalten der Eltern vor und während des Verfahrens gingen die Fachgerichte davon aus, dass eine die vorläufige Herausnahme der Kinder aus dem mütterlichen Haushalt gebietende Kindeswohlgefährdung bestehe. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Aus den bisherigen Erkenntnissen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts ergaben sich hinreichende Anhaltspunkte für gravierende Formen der körperlichen, emotionalen, kognitiven und erzieherischen Vernachlässigung beider Kinder durch ihre Eltern. Die Gerichte haben im erforderlichen Maße aufgezeigt, dass bei beiden Kindern bereits erhebliche, typischerweise aus verschiedenen Formen der Vernachlässigung resultierende Schäden eingetreten sind.

22

aa) Der Sohn leidet ausweislich des von den Fachgerichten in Bezug genommenen Abschlussberichts der Kinder- und Jugendpsychiatrie zum tagesklinischen Aufenthalt u.a. an einer mittelgradigen depressiven Episode, Anpassungsstörungen mit somatischen Anteilen (täglich auftretende Kopfschmerzen, Grübeln, Schlafprobleme) und einer ernsthaften sozialen Beeinträchtigung. Das ausgeprägt negative Selbstbild des Jungen und seine starke Meidung sozialer Kontakte sei auf die für ihn schambesetzten Wohnverhältnisse, die innerfamiliäre Dynamik zwischen den Eltern und auf sein Verhältnis zu beiden Elternteilen zurückzuführen. Dass der Junge laut Abschlussbericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie bei Abbruch der tagesklinischen Behandlung durch die Eltern nicht mehr suizidal war und er wieder seine Schule besucht hat, steht den fachgerichtlichen Feststellungen zum Vorliegen einer akuten Kindeswohlgefährdung nicht entgegen. Denn die Ärzte haben ausdrücklich auf den dringenden Bedarf einer Fortführung der tagesklinischen Behandlung hingewiesen, weil bei dem Jungen nach wie vor eine deutlich depressive Symptomatik bestehe. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sich die Elterndynamik, ihr Verhältnis zu dem Jungen und insbesondere ihr Problembewusstsein inzwischen so weit verbessert hätten, dass ihm im Falle seiner Rückkehr in den mütterlichen Haushalt nicht erneut die Verschlechterung seines - aufgrund der bestehenden Depression ohnehin schlechten - Zustands drohe. Insbesondere haben die Eltern den Jungen aus der Tagesklinik herausgenommen, ohne für seine ambulante Weiterbehandlung zu sorgen. Insoweit waren weitere fachgerichtliche Ermittlungen nicht zwingend.

23

bb) Nachvollziehbar ist das Oberlandesgericht auch im Hinblick auf das Mädchen von einer die vorläufige Trennung des Kindes ohne vollständige Ausermittlung des Sachverhalts rechtfertigenden Kindeswohlgefährdung ausgegangen. Nach dem von den Gerichten in Bezug genommenen Bericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind auch bei der Tochter bereits Schäden eingetreten. Danach liegen bei dem Mädchen bereits jetzt unter anderem Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen, eine deutliche soziale Beeinträchtigung und Entwicklungsstörungen, insbesondere ein weit unterdurchschnittliches Sprachverständnis vor. Darüber hinaus besteht aufgrund der Verhaltensweisen des Mädchens (depressive Stimmung, herabgesetzte Schwingungsfähigkeit, verminderte Gestik und Mimik, psychomotorische Unruhe, Störung der Vitalgefühle mit Ein- und Durchschlafproblemen) der Verdacht auf eine leichte depressive Episode, soziale Phobien und Anpassungsstörungen. Die Verfahrensbeiständin bestätigte die Verhaltensauffälligkeiten des Mädchens. Auch insoweit bedurfte es vor Ergehen der Eilentscheidung nicht notwendig weiterer Ermittlungen.

24

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

25

aa) Die mit der Entziehung der elterlichen Sorge einhergehende Fremdunterbringung ist geeignet, die Gefährdung für die Kinder abzuwenden. Nach den Angaben der Fachkräfte hat sich die Gesamtsituation der Kinder durch die Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt verbessert. Ausweislich der Berichte der Verfahrensbeiständin vom 5. Januar 2018 und der Ergänzungspflegerin vom 10. Januar 2018 haben sich beide Kinder während der Zeit der Fremdunterbringung trotz fortbestehenden Hilfebedarfs stabilisiert. Der Junge habe sich im Gruppenkontext sogar sehr gut entwickelt und Freunde gefunden.

26

bb) Die Sorgerechtsentziehung war auch erforderlich. Insoweit sind beide Gerichte schlüssig und nachvollziehbar davon ausgegangen, dass den Eltern die für Auflagen und Weisungen und die Annahme fachlicher Hilfen erforderliche Einsicht in die aktuelle Bedürfnislage ihrer Kinder ebenso fehle wie die hierfür notwendige uneingeschränkte Bereitschaft zur Kooperation mit den Fachkräften. Die Gerichte haben die derzeit unzureichende Problemeinsicht und Kooperationsbereitschaft der Eltern plausibel daraus abgeleitet, dass die Eltern ihren Sohn trotz entgegenstehender dringender Empfehlungen der Ärzte aus der Tagesklinik herausgenommen haben, sie trotz des Drucks des Verfahrens die ihnen vom Amtsgericht aufgetragenen Aufgaben nicht im erforderlichen Maße erfüllt und die Angebote des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin nicht wahrgenommen haben. Ferner haben sie ihre Annahme auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Anhörungstermin gestützt, nicht uneingeschränkt bereit zu sein, Hilfen anzunehmen. Die Einschätzungen der Fachgerichte werden bestätigt durch die Angaben der im Ausgangsverfahren beteiligten Fachkräfte (Jugendamt, Verfahrensbei-ständin, Ergänzungspflegerin).

27

c) Auch die Verfahrensgestaltung der Gerichte ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

28

Der Beschwerdeführer verkennt, dass in einstweiligen Rechtsschutzverfahren wegen des typischerweise bestehenden Eilbedürfnisses eine gesicherte Ermittlungsgrundlage gerade nicht gefordert ist. Die Gerichte konnten auch im vorliegenden Eilverfahren entscheiden, ohne zuvor ein Sachverständigengutachten und weitere ärztliche Stellungnahmen einzuholen. Es bestanden bereits hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gegenwärtig nur durch einen vorläufigen Sorgerechtsentzug abwendbaren Kindeswohlgefährdung.

29

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Oberlandesgericht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat, weil es sich aufgrund der kurz zuvor erfolgten Anhörungen beim Amtsgericht keine weitergehenden Erkenntnisse versprach, zumal weder die Eltern im Beschwerdeverfahren Umstände vorgetragen haben, aus denen sich eine Veränderung der festgestellten kindeswohlgefährdenden Ausgangssituation ableiten ließe, noch solche Umstände sonst ersichtlich waren.

30

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.