Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20150615.1bvr128814
bei uns veröffentlicht am15.06.2015

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 20. Januar 2014 - 23 O 95/03 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 7. März 2014 - 3 W 13/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. April 2014 - 3 W 13/14 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.

2. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsantrages in einem - seit 2003 anhängigen - zivilrechtlichen Ausgangsverfahren.

2

1. In einem Termin zur mündlichen Verhandlung lehnte die Beschwerdeführerin den erkennenden Vorsitzenden Richter am Landgericht als Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies unter anderem damit, dass das Gericht die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als "Stellungnahme" zu Lasten der Beschwerdeführerin gewertet habe. Zudem habe der abgelehnte Richter geäußert, dass die Sache nun "durchgehauen werden müsse" und ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei. Außerdem sei die Objektivität des Gerichts anzuzweifeln, da die Aufnahme des Ablehnungsantrages zum Teil mit ins Lächerliche gehendem "süffisantem Gelächter" quittiert worden sei.

3

Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin noch im Termin mit Beschluss vom 20. Januar 2014 durch den abgelehnten Richter zurück. Die Ablehnung sei unzulässig, weil sie - wie sich aus dem gesamten Verfahrensgang ergebe - nur der Prozessverschleppung dienen solle. In einem solchen Fall des Rechtsmissbrauchs sei der abgelehnte Richter befugt, auch selbst und sogleich zu entscheiden. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin für die beantragte Ablehnung, da diese im zivilprozessrechtlichen Sinne verfahrensfremden Zwecken diene und mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar sei. Daher sei durch den abgelehnten Richter - wie geschehen - selbst zu entscheiden. Einer dienstlichen Äußerung bedürfe es nicht.

4

Der sofortigen Beschwerde der Beschwerdeführerin half das Landgericht nicht ab. Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Zu Recht habe das Landgericht das Befangenheitsgesuch als unzulässig verworfen. Es richte sich ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des Einzelrichters und sei daher rechtsmissbräuchlich. Eine inhaltliche Prüfung der vorgebrachten Ablehnungsgründe sei nicht erforderlich. Die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück.

5

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist ein das Verfahren vor dem Landgericht beendendes Urteil ergangen, gegen das die Beschwerdeführerin und die Kläger des Ausgangsverfahrens Berufung eingelegt haben. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

6

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Bayerische Staatsministerium der Justiz und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

7

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig (1.) und offensichtlich begründet (2.), soweit sie sich gegen den das Ablehnungsgesuch verwerfenden Beschluss des Landgerichts und den die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts richtet.

8

1. a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass es sich bei den angegriffenen Entscheidungen um Zwischenentscheidungen handelt. Zwischenentscheidungen können selbstständig angegriffen werden, wenn sie zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führen, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (vgl. BVerfGE 101, 106 <120>). Dies trifft auf Entscheidungen der Fachgerichte über Ablehnungsgesuche zu, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 119, 292 <294>). Die hier angegriffenen Entscheidungen sind danach tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde, obwohl der Zivilprozess in der Hauptsache weiter anhängig ist. Sie beenden das Zwischenverfahren zu dem Ablehnungsgesuch und sind für das weitere Verfahren bindend (§ 46 Abs. 2, § 512 ZPO).

9

b) Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht zwischenzeitlich ein Endurteil gefällt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin ist hierdurch nicht entfallen, weil die Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse deren Bindungswirkung für das Berufungsverfahren beseitigt.

10

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 20. Januar 2014 und des Oberlandesgerichts vom 7. März 2014 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

11

a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (BVerfGE 95, 322 <327>).

12

Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.

13

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 <213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>).

14

Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfGK 5, 269 <279 f.>).

15

Die Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (BVerfGK 11, 434 <441>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3772>). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solchem, das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Gesuch und die Ablehnung als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 45 Rn. 4 m.w.N.).

16

Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung trägt die zivilgerichtliche Rechtsprechung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGE 131, 239 <252 f.>; BVerfGK 5, 269 <280 f.>; siehe auch §§ 26a, 27 StPO für den Strafprozess).

17

In einem strafprozessualen Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetze und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 <281 f.>). Es hat indes klargestellt, dass ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>). Völlige Ungeeignetheit ist demnach anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Entscheidung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 <283>).

18

Für den Zivilprozess sind diese Grundsätze entsprechend heranzuziehen. Da die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag verfassungsrechtlich durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben sind, ist für eine abweichende Beurteilung im Zivilprozessrecht kein Raum (vgl. ebenso BVerfGK 11, 434 <442>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3773>).

19

b) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt der Beschluss des Landgerichts vom 20. Januar 2014 die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig durch den abgelehnten Richter beruht auf grob fehlerhaften Erwägungen und zeigt, dass das Landgericht den Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.

20

Das Landgericht begründet die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs damit, dass es nur der Prozessverschleppung diene und einen Fall des Rechtsmissbrauchs darstelle. Eine überprüfbare Begründung hierfür kann den gerichtlichen Erwägungen jedoch nicht entnommen werden und ist auch nicht ersichtlich. Erst mit der Nichtabhilfeentscheidung hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin einen kurzfristigen Terminsverlegungsantrag mit einem Attest belegt habe, welches sich nicht auf den Termin, sondern auf die beiden Tage zuvor bezogen habe. Die Beschwerdeführerin hat dies aber - nachdem sie im Rahmen des Ablehnungsverfahrens erstmals hierauf hingewiesen wurde - plausibel mit einem Versehen bei der Ausstellung des Attests begründet. Auch der Hinweis auf "den gesamten bisherigen Verfahrensgang", der ausweislich der Akten des Ausgangsverfahrens von fruchtlosen Vergleichsverhandlungen und Anregungen der Beschwerdeführerin, die Beweisaufnahme fortzusetzen, gezeichnet ist, rechtfertigt nicht die Einordnung des Ablehnungsgesuchs als rechtsmissbräuchlich. Vielmehr wäre es geboten gewesen, sich mit der Begründung des - erstmalig gestellten - Ablehnungsgesuchs im Einzelnen auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung hätte gezeigt, dass eine Zurückweisung als unzulässig nicht in Betracht kam.

21

Die von der Beschwerdeführerin angeführten Äußerungen des Einzelrichters, wonach die Aufklärungsmöglichkeiten erschöpft seien und die Sache nun "durchgehauen werden müsse", wobei ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, erscheinen in Verbindung mit dem Umstand, dass die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als sachliche Stellungnahme des Sachverständigen habe gewertet werden sollen, nicht als schlechthin ungeeignet, eine Ablehnung zu begründen. Es handelt sich gerade um solche Behauptungen, die nach den Vorgaben des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer objektiven Klärung durch einen neutralen, unvoreingenommenen Richter hätten zugeführt werden müssen, weil andernfalls der abgelehnte Richter seine eigene Prozessführung beurteilen müsste und sich zum Richter in eigener Sache aufschwänge.

22

Die Annahme einer Kompetenz zur Verwerfung des Antrags durch den abgelehnten Richter stellt sich daher als grobe Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar. Es handelt sich gerade nicht um eine bloße Formalentscheidung. Die im Befangenheitsantrag geäußerte Befürchtung, dass trotz Fehlens der Entscheidungsreife eine Endentscheidung erlassen werde, nachdem der abgelehnte Richter unter anderem geäußert habe, dass die Sache "durchgehauen werden müsse" und ihm ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, konnte nicht ohne Eingehen auf weitere, außerhalb des Gesuchs selbst liegende Verfahrensumstände beurteilt werden.

23

c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde, wird dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls nicht gerecht. Die Einordnung als rechtsmissbräuchlich rechtfertigt das Oberlandesgericht anders als das Landgericht mit der Begründung, dass sich das Ablehnungsgesuch ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des abgelehnten Richters richte. Damit erfasst das Oberlandesgericht aber die Begründung des Befangenheitsgesuchs nur unzureichend. Dieses enthält zwar auch Ausführungen, die sich gegen die Rechtsauffassung des Landgerichts richten, erschöpft sich aber nicht hierin. Das liegt insbesondere auf der Hand, soweit die Besorgnis der Befangenheit auf die Unsachlichkeit der Äußerungen des abgelehnten Richters gestützt wird (die Sache müsse "durchgehauen werden"; ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" sei ihm egal). Bei der Frage, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig behandelt und durch den abgelehnten Richter selbst entschieden werden kann, ist ein Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl. BVerfGK 7, 325 <340>).

III.

24

Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die sofortige Beschwerde wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge wird durch die Aufhebung des vorangegangenen Beschlusses gegenstandslos. Die Sache wird gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberlandesgericht zurückgewiesen, das im Berufungsrechtzug nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters abschließend auch über das Befangenheitsgesuch entscheiden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2007 - 2 BvR 1849/07 -, NJW-RR 2008, S. 512 <514>; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - XII ZB 244/04 -, NJW-RR 2007, S. 411, FamRZ 2007, S. 274). Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

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Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 34a


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93c


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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 95


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch


(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung b

Zivilprozessordnung - ZPO | § 46 Entscheidung und Rechtsmittel


(1) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss. (2) Gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, fin

Strafprozeßordnung - StPO | § 26a Verwerfung eines unzulässigen Ablehnungsantrags


(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn 1. die Ablehnung verspätet ist,2. ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angege

Zivilprozessordnung - ZPO | § 512 Vorentscheidungen im ersten Rechtszug


Der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 27 Entscheidung über einen zulässigen Ablehnungsantrag


(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheid

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(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss.

(2) Gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.

Der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

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(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.

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(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung.

(3) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 244/04
vom
18. Oktober 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Weist ein abgelehnter Richter das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch
zurück und entscheidet sodann in der Hauptsache, so entfällt für eine sofortige
Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs regelmäßig
das Rechtsschutzinteresse, wenn eine Berufung in der Hauptsache statthaft
ist, da in deren Rahmen auf entsprechende Rüge auch über die Ablehnung zu
entscheiden ist. Der Beschwerdeführer muss dann die sofortige Beschwerde
für erledigt erklären, um der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zu entgehen.
BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - XII ZB 244/04 - Kammergericht
LG Berlin
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Oktober 2006 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt sowie
die Richterin Dr. Vézina

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 5. November 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Beschwerdewert: 173.624 €

Gründe:


I.

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus einem gewerblichen Mietverhältnis Zahlungsansprüche in Höhe von rund 170.000 € geltend.
2
Das Landgericht hat nach Eingang der Klage und Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens Haupttermin auf den 1. Oktober 2004 bestimmt. Wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat das Landgericht den Termin auf Antrag der Beklagten auf den 21. September 2004 verlegt. Daraufhin hat die Beklagte erneut wegen Verhinderung ihres Prozessbevollmächtigten die Verlegung dieses Termins beantragt und eine Terminierung auf den 24. September 2004 angeregt. Nachdem eine telefonische Anfrage des Gerichts bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergeben hatte, dass diese an dem von der Beklagten vorgeschlagenen Ausweichtermin verhindert seien, hat das Landgericht den Verlegungsantrag der Beklagten mit Schreiben vom 3. September 2004 zurückgewiesen. Im Hinblick darauf hat die Beklagte am 14. September 2004 den als Einzelrichter amtierenden Vorsitzenden Richter am Landgericht D. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 17. September 2004, der Beklagten am 20. September 2004 zugestellt, hat der abgelehnte Richter selbst das Ersuchen als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte am 20. September 2004 sofortige Beschwerde eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2004 unter Vorsitz des abgelehnten Richters als Einzelrichter hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
3
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil, das ihr am 29. September 2004 zugestellt worden ist, Berufung zum Kammergericht eingelegt. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches nicht abgeholfen, sondern sie dem Kammergericht vorgelegt. Der dort zuständige Einzelrichter hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2004 das Verfahren auf das Kollegium übertragen. Dieses hat mit Beschluss vom 5. November 2004 die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Beklagten sei unzulässig. Ihr fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar werde die Frage in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfalle, wenn, wie hier, die Instanz unter Mitwirkung des abgelehnten Richters vollständig abgeschlossen sei. Zutreffend sei jedoch eine vermittelnde Meinung, wonach das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde gegen die Befangenheitsentscheidung jedenfalls dann entfalle, wenn gegen die Sachentscheidung ebenfalls ein Rechtsmittel statthaft sei. Die Rechtsbeschwerde hat es zugelassen. Mit ihr sucht die Beklagte die Ablehnung des Richters zu erreichen.

II.

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Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unbegründet.
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Das Kammergericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 17. September 2004, mit dem der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen hat, zu Recht, wie sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, als unzulässig verworfen. Denn der nach § 46 Abs. 2, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an sich statthaften sofortigen Beschwerde der Beklagten fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
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Allerdings ist es in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur streitig, ob das Rechtsschutzbedürfnis einer sofortigen Beschwerde gegen den zurückweisenden Ablehnungsbeschluss tatsächlich wegfällt, wenn, wie hier, die Instanz unter Mitwirkung des abgelehnten Richters vollständig abgeschlossen ist (vgl. zum Streitstand Günther MDR 1989, 691 ff.).
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Nach einer Auffassung besteht das Rechtsschutzbedürfnis einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnungsentscheidung grundsätzlich fort, auch wenn die Entscheidung in der Hauptsache unanfechtbar ist (Schellhammer Zivilprozess 10. Aufl. Rdn. 1336). Gegen diese könne nämlich dann Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erhoben werden (KG MDR 1988, 237; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 1464; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 27. Aufl. § 46 Rdn. 8). Zum Teil wird diese Auffassung dahin eingeschränkt, dass die sofortige Beschwerde nur zulässig sein soll, solange die Hauptsachenentscheidung noch anfechtbar ist (Stein/Jonas/Borg ZPO 22. Aufl. § 46 Rdn. 6; Rosenberg/ Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 16. Aufl. § 24 Rdn. 23). Denn § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sei wegen seines klaren Wortlauts nicht anzuwenden, wenn der Richter im Zeitpunkt des Erlasses der Hauptentscheidung noch nicht mit Erfolg abgelehnt worden sei. Nach der Gegenauffassung erlischt das Rechtsschutzinteresse stets mit Erlass einer die Instanz endgültig beendenden Entscheidung (OLG Frankfurt MDR 1985, 1032; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 64. Aufl. § 46 Rdn. 14 f.; Feiber in MünchKomm/ZPO 2. Aufl. § 46 Rdn. 5; Zimmermann ZPO 6. Aufl. § 47 Rdn. 6). Nach einer weiteren Meinung entfällt das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde gegen die Ablehnung der Befangenheit dann, wenn gegen die Entscheidung in der Hauptsache - wie hier - ein Rechtsmittel statthaft ist. Der Ablehnungsgrund sei dann in der Berufungsinstanz als Verfahrensfehler geltend zu machen (Musielak/Heinrich ZPO 4. Aufl. § 46 Rdn. 7; Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 46 Rdn. 18 ff.)
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Der Senat schließt sich wie das Beschwerdegericht der zuletzt genannten Ansicht an:
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Ziel einer Richterablehnung ist es, den abgelehnten Richter an der (weiteren ) Mitwirkung in dem Verfahren zu hindern. Dieses Ziel kann nicht mehr erreicht werden, wenn eine die Instanz abschließende Entscheidung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters ergangen ist. Ist jedoch ein solches Ablehnungsgesuch begründet, ist es erforderlich, ein dennoch ergangenes Urteil im Hinblick auf den verfassungsrechtlich begründeten Anspruch der Prozessparteien auf ein neutrales, unbefangenes Gericht (vgl. BVerfGE 21, 139, 145; 89, 28, 36) aufzuheben oder abzuändern. Dies kann bei einem landgerichtlichen Urteil grundsätzlich nur im Berufungsrechtszug geschehen. Die Prozessökonomie erfordert, die Prüfung, ob ein Ablehnungsgrund gegeben ist, im Berufungsrechtszug vorzunehmen. § 512 ZPO widerspricht dem entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht. Nach dieser Vorschrift kann das Berufungsgericht Zwischenentscheidungen nicht überprüfen, die, wie die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs, selbständig anfechtbar sind. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind jedoch hier nicht erfüllt. Vielmehr ist die Zurückweisung des Ab- lehnungsgesuches wegen der instanzabschließenden Entscheidung des abgelehnten Richters mangels Rechtsschutzbedürfnis gerade nicht mehr selbständig anfechtbar. Aus dem von der Rechtsbeschwerde angeführten Beschluss des II. Zivilsenats vom 8. November 2004 - II ZB 24/03 - NJW-RR 2005,294 folgt nichts anderes. Nach jener Entscheidung schließt zwar § 557 Abs. 2 ZPO, der weitgehend § 512 ZPO entspricht, die Inzidentprüfung eines Ablehnungsgesuchs im Rahmen des Revisionsverfahrens gegen die Hauptsachenentscheidung des abgelehnten Richters aus. Doch lag in dem genannten Verfahren bereits eine rechtskräftige Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch das Berufungsgericht vor. Im vorliegenden Verfahren geht es hingegen darum, ob die nicht rechtskräftige Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs im Beschwerdeverfahren oder - aus Gründen der Prozessökonomie - im Berufungsverfahren gegen die Hauptsachenentscheidung des abgelehnten Richters zu überprüfen ist. Die Verweisung der Beklagten auf die Berufung führt auch nicht zu einer Verkürzung ihres Rechtsschutzes. Richtig ist zwar, wie die Rechtsbeschwerde geltend macht, dass für die Einlegung und Durchführung der Berufung strengere Vorschriften gelten als für die sofortige Beschwerde. Dies ist der Beklagten jedoch zuzumuten, da sie ohnehin, wenn sie die Entscheidung des abgelehnten Richters nicht hinnehmen will, in der Hauptsache ein Rechtsmittel einlegen muss.
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Die Beklagte hätte daher bei Einlegung der Berufung die sofortige Beschwerde für erledigt erklären müssen (vgl. BGH Beschluss vom 11. Januar 2001 - V ZB 40/99 - NJW-RR 2001, 1007), um einer Kostenentscheidung nach § 97 Abs. 1 ZPO zu entgehen und eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO zu erreichen. Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 17.09.2004 - 32 O 296/04 -
KG Berlin, Entscheidung vom 05.11.2004 - 15 W 105/04 -

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.