Bundessozialgericht Beschluss, 27. Sept. 2018 - B 9 V 14/18 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:270918BB9V1418B0
bei uns veröffentlicht am27.09.2018

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 30. Januar 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung eines Impfschadens nach einer Hepatitis-A-Impfung.

2

Der Kläger beantragte am 18.11.2010 beim Beklagten Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Er sei als Folge einer am 26.11.2007 erfolgten Hepatitis-A-Impfung an ADEM (akute disseminierte Enzephalomyelitis) erkrankt. Den Antrag lehnte der Beklagte nach Beiziehung medizinischer Unterlagen, einer Stellungnahme des P.-Instituts vom 24.3.2011 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.5.2011 ab. Die Hepatitis-A-Impfung sei nicht ursächlich für die ADEM-Erkrankung des Klägers (Bescheid vom 28.6.2011, Widerspruchsbescheid vom 9.9.2011).

3

Im Klageverfahren hat das SG ua ein Gutachten von Dr. H. vom 2.1.2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 2.2.2014 eingeholt. Im Wesentlichen gestützt auf die Ausführungen dieses Sachverständigen hat es der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, beim Kläger einen Impfschaden mit der Gesundheitsstörung "Zustand nach akuter disseminierter Enzephalomyelitis (ADEM-Erkrankung) mit Residualschaden" anzuerkennen und zu entschädigen (Urteil vom 15.5.2014). Es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung des klägerischen Gesundheitszustands nach ADEM mit Residualschaden durch die Hepatitis-A-Impfung mit dem Impfstoff "Havrix".

4

Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. P. vom 20.11.2015 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23.6.2016 sowie auf Antrag des Klägers ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin - Kardiologie - Dr. W. vom 24.6.2017 eingeholt.

5

Daraufhin hat das LSG mit Schreiben vom 30.6.2017 die Beteiligten aufgefordert, binnen sechs Wochen zum Gutachten des Sachverständigen Dr. W. Stellung zu nehmen. Mit Schriftsatz vom 6.7.2017 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers angezeigt, dass sie die Vertretung des Klägers übernommen habe. Zugleich hat sie mitgeteilt, dass die Stellungnahme zum Gutachten fristgerecht erfolgen werde. Mit Schriftsatz vom 10.8.2017 hat die Prozessbevollmächtigte beantragt, die Stellungnahmefrist um weitere vier Wochen zu verlängern. Das LSG hat mit Schreiben vom 25.9.2017 die Prozessbevollmächtigte an die Stellungnahme erinnert und nochmals Frist bis zum 13.10.2017 gewährt. Mit Schreiben vom 26.10.2017 hat die Vorsitzende darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit nunmehr verhandelt werde und dem Kläger bzw dessen neuen Prozessbevollmächtigten ausreichend rechtliches Gehör zum Gutachten des Dr. W. eingeräumt worden sei. Die beantragte Stellungnahmefrist sei großzügig bis zum 13.10.2017 verlängert worden. Ob noch im Dezember diesen Jahres oder erst im Januar nächsten Jahres verhandelt werde, könne nach gegenwärtiger Sitzungsplanung des Senats noch nicht bestimmt werden.

6

Mit Verfügung vom 9.11.2017 hat die Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.1.2018 bestimmt. Mit unter dem 30.10.2017 datierten Schriftsatz - beim LSG infolge eines Kanzleiversehens erst am 23.11.2017 eingegangen - hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, dort im Einzelnen formulierte Fragen an den Sachverständigen Dr. W. zu stellen und ihn zur Erläuterung seines Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden. In der mündlichen Verhandlung vom 30.1.2018 hat sie gerügt, dass das LSG der mit dem vorgenannten Schriftsatz beantragten ergänzenden Befragung des Sachverständigen Dr. W. nicht nachgekommen sei.

7

Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.1.2018). Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P. gestützt. Die Verursachung der ADEM-Erkrankung des Klägers sei unklar, jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich auf die Impfung zurückzuführen. So könne sie postvakzinal oder auch virusbedingt ausgelöst worden sein. Für eine virusbedingte Auslösung sprächen die serologischen Zeichen einer CMV (Cytomegalie-Virus)-Reaktivierung (erhöhte CMV-IgM-Antikörper) und die intrathekale Antikörperproduktion gegen Cytomegalie (vom IgM-Typ). Alternativ komme eine direkt erregerbedingte Cytomegalie-Enzephalomyelitits in Frage. Eine genaue Abgrenzung sei nicht mehr möglich. Das klinische Bild der ADEM-Erkrankung entspreche aber eher einer parainfektiösen Reaktion, also einer ADEM als einer direkten Virus-Enzephalomyelitis durch CMV. Der erstinstanzlich gehörte Gutachter Dr. H. habe hingegen die CMV-Infektion nicht in der erforderlichen Form berücksichtigt. Ein Ausschluss einer Virusinfektion sei jedenfalls nicht möglich. Eine ergänzende Befragung des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. W. komme nicht in Betracht. Nachdem der Kläger zweimal Verlängerung zur Stellungnahme erhalten habe (insgesamt ein Zeitraum von knapp vier Monaten), habe ohnehin kein Raum für erneute Ermittlungen mehr bestanden. Zudem handele es sich bei den im Schriftsatz vom 30.10.2017 formulierten Fragen nicht um Beweisfragen iS des § 103 SGG.

8

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensmangel die Verletzung seines Fragerechts. Darüber hinaus macht er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend.

9

II. Auf die Beschwerde des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

10

1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

11

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das LSG hat zu Unrecht den Sachverständigen Dr. W. nicht zu den vom Kläger im Schriftsatz vom 30.10.2017 aufgeworfenen Fragen gehört. Darin liegt ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

12

a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet(vgl Senatsbeschluss vom 29.5.2017 - B 9 SB 21/17 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13). Dies gilt entgegen der Ansicht des LSG auch dann, wenn der Sachverständige ein Gutachten auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 109 SGG erstellt hat(vgl Senatsurteil vom 12.4.2000 - B 9 VS 2/99 R - SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5 = Juris RdNr 22; BSG Beschluss vom 15.9.2015 - B 13 R 201/15 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 20.7.2005 - B 13 RJ 58/05 B - Juris RdNr 11 ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 118 RdNr 12d; Bergner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 116 RdNr 27, Stand: 15.7.2017; Leopold in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 116 RdNr 24; Kühl in Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl 2014, § 116 RdNr 4; anders und isoliert für Zusatz- und ergänzende Fragen, die in untrennbarem Zusammenhang zur Beweiserhebung nach § 109 SGG selbst stehen: vgl BSG Beschluss vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 14).

13

Sachdienlichkeit iS von § 116 S 2 SGG ist zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind. Weitergehende Anforderungen sind hingegen nicht zu stellen. Unabhängig davon, ob das Gericht ein Gutachten für erläuterungsbedürftig hält, soll das Fragerecht dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können. Nur dieses Verständnis trägt der Bedeutung des Fragerechts im Rahmen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung (BSG Beschluss vom 23.6.2016 - B 3 P 1/16 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 14). Insofern steht beim Fragerecht nach § 116 S 2 SGG ein anderes Ziel im Vordergrund als bei der Rückfrage an den Sachverständigen nach § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 411 Abs 3 ZPO; diese dient in erster Linie der Sachaufklärung und nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs (BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 14 mwN).

14

Dabei müssen im Rahmen des Fragerechts nach § 116 S 2 SGG bzw § 411 Abs 4 ZPO keine Fragen formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 15), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Solche Einwendungen sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§ 411 Abs 4 S 1 ZPO). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, und er schriftlich sachdienliche Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt. Dies gilt selbst dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und keiner Erläuterung bedarf (BSG Beschluss vom 23.6.2016 - B 3 P 1/16 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 15).

15

b) Der Antrag des Klägers, den Sachverständigen Dr. W. zur ergänzenden Erläuterung seines Gutachtens schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung aufzufordern, war sachdienlich.

16

Den Anforderungen an die Bemühungen eines Beteiligten um rechtliches Gehör war hier genügt. Der Kläger hat in seinem Schriftsatz vom 30.10.2017 die nach seiner Ansicht gegen das Gutachten des Dr. W. bestehenden Bedenken vorgebracht und den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten. Er hat unter näherer Erläuterung folgende an den Sachverständigen zu stellende Fragen formuliert:

        

"1. Ist es auch möglich, dass die geschilderten Begleitsymptome Fieber bis 39° und die erhöhten Leberwertesymptome auch Ausprägungen der ADEM als Folge der stattgefundenen Impfung sind?

        

2. Spricht die Tatsache, dass im Liquor Befund vom 08.01.2008 mehrere aktive Virus Antikörper festgestellt wurden, nicht doch eher für ein polyspezifisches Geschehen als für eine stattgefundene akute IMV (gemeint: CMV)-Virus-Infektion?

        

3. Wie ist dies objektiv (zu) begründen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die von Ihnen hierzu herangezogenen unspezifischen Begleitsymptome Fieber und erhöhte Leberwerte auch Begleitsymptome (sind) der ADEM sein können?
Spricht nicht auch die Tatsache, dass die PCR-Reaktion auf das CMV-Virus negativ war gegen eine aktive Krankheitsphase?
Welche Virus Antikörper wären im Liquor zu vermuten, wenn man unterstellt, dass die ersten Symptome der vermeintlich stattgefundenen CMV Virus Infektion bereits 2 Wochen nach der Impfung (Halsschmerzen) bzw. dann am 20.12.2017 (Beginn der Erkrankung) mithin fast 4 Wochen vor der Untersuchung aufgetreten sind?
Müsste nicht 3-4 Wochen nach der Infektion die Anwesenheit von CMV-IgG Antikörpern positiv festgestellt werden können?

        

4. In der Annahme, dass beim Kläger tatsächlich eine primäre Infektion im Januar 2008 stattgefunden hat, wäre dieses Erkrankungsbild überhaupt geeignet, die festgestellte ADEM beim Kläger zu verursachen?
Wie häufig tritt eine ADEM nach stattgefundener CMV Virusinfektion auf?
Handelt es sich dabei um eine allgemein in der Medizin anerkannte Krankheitsfolge?"

17

Diese Fragen waren auch sachdienlich. Sie hielten sich im Rahmen des Beweisthemas, waren nicht abwegig und auch nicht bereits ausnahmslos durch das Gutachten eindeutig beantwortet.

18

Im vorliegenden Rechtsstreit sind die Gesundheitsstörungen des Klägers entscheidungserheblich, die mit Wahrscheinlichkeit durch die Hepatitis-A-Impfung hervorgerufen oder verschlimmert worden sind und hier insbesondere, ob die ADEM-Erkrankung des Klägers wahrscheinlich durch die Impfung verursacht worden ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob beim Kläger eine CMV-Infektion vorgelegen hat (zum Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit s Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 38).

19

Aus diesem Grund kann die Sachdienlichkeit der an den Sachverständigen Dr. W. gerichteten, nach Ansicht des Klägers erläuterungsbedürftigen Punkte nicht verneint werden, insbesondere wenn es darum geht, dass Dr. W. dem Kläger die Grundlagen und Feststellungen seines Gutachtens erläutert. Denn Dr. W. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass eine CMV-Infektion als gleichberechtigter Auslöser einer ADEM angesehen werden müsse. Die im Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2017 formulierten Fragen dienen aus Sicht des Klägers der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens sowie der Vergleichbarkeit insbesondere mit den Ergebnissen aus dem Gutachten des erstinstanzlich als Sachverständigen gehörten Arztes Dr. H. vom 2.1.2013, der die "Frage nach der Möglichkeit einer Infektion als rein spekulativ" bezeichnet hat, und des Gutachtens des Prof. Dr. P., der - ebenso wie Dr. W. der Auffassung ist, dass Dr. H. die CMV-Infektion nicht in der erforderlichen Form mit berücksichtigt habe.

20

c) Der Kläger hat den Antrag auf ergänzende Befragung des Sachverständigen Dr. W. auch noch rechtzeitig gestellt (vgl zu diesem Erfordernis: Senatsbeschluss vom 12.7.2018 - B 9 SB 13/18 B - Juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 16; Senatsbeschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 347/16 B - Juris RdNr 17). Dem steht nicht entgegen, dass das LSG dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme bis zum 13.10.2017 gesetzt und bei Eingang des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2017 am 24.11.2017 bereits mit Verfügung vom 9.11.2017 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.1.2018 bestimmt hatte. Denn das Berufungsgericht hatte nach Eingang des Schriftsatzes vom 30.10.2017 bis zur anberaumten mündlichen Verhandlung noch genug Zeit, dem Sachverständigen Dr. W. den Fragenkatalog zur schriftlichen Stellungnahme - ggf unter Fristsetzung - zu übersenden oder ihn zur mündlichen Erläuterung zum Termin nachzuladen.

21

d) Durch die unterlassene Befragung hat das LSG das Recht des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Dr. W. und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Das Berufungsgericht hätte auf seinen Antrag entweder den Sachverständigen durch Übersendung des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2017 schriftlich anhören oder zur mündlichen Verhandlung zwecks Beantwortung des Fragenkatalogs laden müssen. Hieran fehlt es. Stattdessen hat sich das LSG lediglich selbst mit den Fragen auseinandergesetzt und sie - aus seiner Sicht - im Ergebnis für unerheblich bzw unzulässig gehalten. Dies reicht aber als Ablehnungsgrund nicht aus. Vielmehr hat der Kläger Anspruch auf Beantwortung der sachdienlichen Fragen durch den Sachverständigen.

22

Auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel kann die Entscheidung des LSG beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. im Fall seiner Anhörung zu den vom Kläger gestellten sachdienlichen Fragen bei seiner Entscheidungsfindung anders gewürdigt und/oder weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten hätte.

23

3. Da die Beschwerde bereits aus den oben dargelegten Gründen erfolgreich ist, bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob die Grundsatz- und Divergenzrügen des Klägers ebenfalls zulässig und begründet sind (vgl BSG Beschluss vom 14.12.2016 - B 13 R 204/16 B - Juris RdNr 18; BSG Beschluss vom 27.8.2009 - B 13 R 185/09 B - Juris RdNr 24).

24

4. Das BSG kann in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a Abs 5 SGG die angefochtene Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen. Zur Vermeidung von weiteren Verfahrensverzögerungen macht der Senat von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.

25

5. Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 62


Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 411 Schriftliches Gutachten


(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 116


Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. März 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das Hessische LSG hat im Urteil vom 31.3.2015 einen Anspruch des im 1967 geborenen Klägers auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab Januar 2009 verneint, weil dieser nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Ermittlungen noch in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten zu verrichten.

2

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ausschließlich einen Verfahrensmangel geltend.

3

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 29.6.2015 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat einen Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 202 ff). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann(§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG)und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist(§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG).

5

Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er rügt, das LSG habe die Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) missachtet, weil es seinen Beweisanträgen aus dem Schriftsatz vom 23.2.2015, die er in der mündlichen Verhandlung am 31.3.2015 ausdrücklich aufrechterhalten habe, und den dort hilfsweise neu gestellten Beweisanträgen nicht nachgegangen sei. Zur Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung des § 103 SGG muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können(zum Ganzen s Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5).

6

Der Kläger hat zwar Beweisanträge benannt, die er auch noch in der mündlichen Verhandlung am 31.3.2015 gestellt habe. Ob und ggf in welcher Fassung er sie zu Protokoll aufrechterhalten hat oder ob diese im Urteil des LSG wiedergegeben sind, zeigt er jedoch nicht auf (zu diesem Erfordernis s BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 23.7.2015 - B 5 R 196/15 B - Juris RdNr 11 ff). Überdies fehlt jeglicher Vortrag dazu, welches Ergebnis die unterlassene Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und weshalb die Entscheidung des LSG hierauf beruhen könne. Insbesondere teilt der Kläger nicht mit, ob das Berufungsgericht nach seinem - insoweit maßgeblichen - Rechtsstandpunkt überhaupt die Benennung konkreter Verweisungstätigkeiten, auf deren Zumutbarkeit seine Beweisanträge zielten, für rechtlich geboten erachtet hat (vgl LSG-Urteil Umdruck S 12 oben).

7

Soweit der Kläger mit seiner Verfahrensrüge zugleich beanstandet, das Berufungsgericht habe ihm das Recht auf Befragung des Sachverständigen K. versagt, macht er in der Sache auch eine Verletzung des jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO zustehenden Rechts geltend, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Eine Verletzung dieses Fragerechts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden, selbst wenn der betreffende Sachverständige - wie hier - ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt hat(Senatsbeschlüsse vom 20.7.2005 - B 13 RJ 58/05 B - Juris RdNr 11 f, und vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9 mwN; anders für Zusatz- und ergänzende Fragen, die in untrennbarem Zusammenhang zur Beweiserhebung nach § 109 SGG selbst stehen: BSG Beschluss vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 14). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, muss eine entsprechende Rüge aufzeigen, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Hierzu muss er darstellen, dass er einen hierauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zum Schluss aufrechterhalten hat (BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7; Senatsbeschluss vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9).

8

Die Beschwerdebegründung genügt diesen Erfordernissen ebenfalls nicht. Ihr kann weder entnommen werden, dass der Kläger Einwendungen gegen das Gutachten des Herrn K. im Schriftsatz vom 23.2.2015 rechtzeitig nach dessen Kenntnis vorgebracht hat, noch zeigt sie auf, welche Fragen an den Sachverständigen zur weiteren Aufklärung hätten gerichtet werden sollen. Im Übrigen lässt der Vortrag des Klägers auch insoweit nicht erkennen, inwiefern die Entscheidung des LSG bei Zugrundelegung von dessen materieller Rechtsansicht auf der unterlassenen Befragung des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen zu einzelnen Verweisungsberufen beruhen kann.

9

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

10

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2014 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J. aus H. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 27.11.2014 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, verneint. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente lägen beim Kläger erstmals wieder ab 2.12.2007 vor. Er sei jedoch noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten unter bestimmten qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Darin seien sich alle gehörten Sachverständigen einig. Den vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten sei nicht zu folgen. Ebenso wenig bestehe weiterer Ermittlungsbedarf in Form einer erneuten Anhörung der Sachverständigen. Zugunsten des Klägers sei davon auszugehen, dass dieser die Tätigkeit als Kraftfahrer/Schweißer in seinem Herkunftsland aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Hiervon ausgehend habe er Berufsschutz als gehobener Angelernter. Als solcher sei er zumutbar verweisbar auf die Tätigkeit eines Parkhauswärters.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt J. aus H. gestellt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel.

3

II. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen.

4

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt hier nicht vor. Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

5

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 16.3.2015 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

6

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels(§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

7

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht:

8

1. Der Kläger beanstandet, das LSG sei zu Unrecht seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, "die im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen zu hören, um die von ihm (dem Kläger) aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Erkrankung des Klägers zu klären", nicht nachgekommen.

9

a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet(BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, Nr 2 RdNr 5; Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13, jeweils mwN; s auch BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/04 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11 f). Dies gilt auch dann, wenn der Sachverständige ein Gutachten auf Antrag des Beteiligten gemäß § 109 SGG erstellt hat(BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5 f; Senatsbeschluss aaO). Sachdienliche Fragen iS von § 116 S 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind(BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl Senatsbeschluss aaO RdNr 15; BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Hingegen fehlt es an der Sachdienlichkeit, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl BVerfG vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 = Juris RdNr 29, mwN zur Rspr des BGH). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).

10

b) Zur schlüssigen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) einer Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen muss sich hiernach aus der Beschwerdebegründung ergeben, (1) dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Befragung des Sachverständigen gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten hat; (2) welche einer Erläuterung durch den Sachverständigen bedürftigen Punkte der Beschwerdeführer gegenüber dem LSG benannt hat; (3) aufgrund welcher Umstände die benannten Punkte sachdienlich waren, insbesondere ist bei einem Antrag auf wiederholte Befragung desselben Sachverständigen zu erläutern, weshalb die Punkte noch nicht durch bereits vorliegende Stellungnahmen des Sachverständigen geklärt waren; (4) aufgrund welcher Umstände der Antrag als rechtzeitig zu werten ist; (5) aufgrund welcher Umstände die angefochtene Entscheidung auf der unterlassenen Befragung des Sachverständigen beruhen kann (Senatsbeschluss vom 25.4.2013 - B 13 R 29/12 B - Juris RdNr 13).

11

c) Der Vortrag des Klägers entspricht diesen Anforderungen nicht. Zwar trägt er vor, er habe in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich den Antrag gestellt, "die im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen zu hören, um die vom ihm aufgeworfenen Fragen hinsichtlich seiner Erkrankung zu klären". Er zeigt jedoch in seiner Beschwerdebegründung nicht in der gebotenen Weise auf, welche konkreten Punkte er im Hinblick auf die Feststellungen der im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen zu den Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet und dem daraus resultierenden sozialmedizinischen Leistungsvermögen in diesen Fachgebieten er im Einzelnen noch für erläuterungsbedürftig erachtet habe. Auch ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, welche Feststellungen das LSG (ausgehend von den vorliegenden Sachverständigengutachten) zum Gesundheitszustand und Leistungsvermögen des Klägers seiner Entscheidung (sowohl quantitativ als auch qualitativ) zugrunde gelegt habe. Schon von daher ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob und inwieweit die in der Beschwerdebegründung nicht näher konkretisierten "Einwendungen gegen die Ergebnisse und die Methodik" der vom LSG eingeholten Sachverständigengutachten bezogen auf welches Beweisthema überhaupt sachdienlich im vorgenannten Sinne sein könnten.

12

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, es fehle weiterhin eine qualifizierte Auseinandersetzung mit abweichenden diagnostischen Feststellungen aus einer psychosomatischen Klinik vom Juli 2012 und es treffe objektiv nicht zu, dass die neueren ärztlichen Diagnosen in diesem Klinikbericht mit denjenigen im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom April 2013 übereinstimmen würden, versäumt er es bereits, sich mit der vom LSG eingeholten ergänzenden Stellungnahme des gehörten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen vom August 2013 auseinanderzusetzen. Infolgedessen zeigt er - anders als erforderlich - weder auf, ob der gehörte Sachverständige zu diesen Punkten bereits im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme erläuternde Ausführungen gemacht habe, noch legt er dar, ob und ggf inwieweit das LSG diese ergänzende Stellungnahme bei seiner Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens berücksichtigt habe. Entsprechendes gilt im Übrigen auch hinsichtlich seines Vortrags zur von der im vorgenannten Klinikbericht abweichenden Beurteilung der Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Gutachten des Sachverständigen vom 16.4.2013.

13

Dass der Kläger im Kern seines Vorbringens mit der vom LSG vorgenommenen Auswertung und Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten sowie der sonstigen aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht einverstanden ist und er sich insoweit gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in seinem Einzelfall wendet, ist - wie oben bereits erwähnt - nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.

14

2. Der Kläger macht weiter geltend, das LSG habe gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen, indem es im Rahmen der Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht der Frage nachgegangen sei, "welche spezifische Qualifikation er als Kraftfahrer in seinem Herkunftsland eigentlich erworben" habe und wie diese "ausgestaltet" gewesen sei.

15

Auch für die Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG), wie sie hier gerügt wird, gelten besondere Anforderungen. Insoweit muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhaltenen und für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

16

Die Beschwerdebegründung des Klägers erfüllt diese Erfordernisse nicht. Denn seinen Ausführungen kann schon nicht entnommen werden, dass er einen (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag zu dem vorgenannten berufskundlichen Beweisthema bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu Protokoll aufrechterhalten habe oder ein solcher im Urteil des LSG wiedergegeben sei (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5 f). Aus seinem Vortrag ergibt sich lediglich, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll nur einen Antrag auf ergänzende Anhörung der im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen gestellt habe, um die vom ihm aufgeworfenen Fragen "hinsichtlich der Erkrankung des Klägers zu klären". Durch berufskundliche Gutachten ggf zu klärende berufskundliche Aspekte werden hiervon aber ersichtlich nicht erfasst.

17

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

18

4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

19

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. November 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist ein Anspruch des klagenden Versicherten gegen die beklagte Pflegekasse auf Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für die Zeit ab 14.1.2009.

2

Der im Jahre 1943 geborene Kläger leidet an verschiedenen degenerativen und unfallbedingten Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates sowie an psychischen Beeinträchtigungen in Form eines chronifizierten Schmerzsyndroms und einer Depression mit wechselnder, mitunter schwerer Ausprägung sowie an Antriebsstörungen. Seinen Antrag vom 14.1.2009 auf Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung lehnte die Beklagte nach Einholung eines Pflegebedürftigkeitsgutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 31.7.2009 ab, weil der durchschnittliche tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) mit nur 19 Minuten nicht den Mindestzeitwert der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB XI) erreiche (Bescheid vom 22.10.2009, Widerspruchsbescheid vom 17.3.2010).

3

Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 12.12.2014). Es hat sich dabei auf zwei nach § 109 SGG eingeholte Gutachten der Ärzte Dr. Bl. vom 1.3.2012 (Grundpflegebedarf 52 Minuten) und Frau Dr. G. vom 9.10.2014 (Grundpflegebedarf 50 Minuten) gestützt. Nicht gefolgt ist das SG dem von Amts wegen eingeholten Gutachten des Arztes Dr. D. vom 7.4.2011 (Grundpflegebedarf 17 Minuten) sowie den von der Beklagten vorgelegten weiteren MDK-Gutachten vom 15.8.2012 und 19.11.2014 (Grundpflegebedarf 36 Minuten). Nach Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. B. vom 13.8.2015 (Grundpflegebedarf 29 Minuten), gegen das der Kläger Einwände erhoben hatte (Schriftsatz vom 31.8.2015), hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.11.2015), weil sich der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege nur auf "knapp 30 Minuten" belaufe. Den die Pflegestufe I befürwortenden Gutachten von Dr. Bl. vom 1.3.2013 und Frau Dr. G. vom 9.10.2014 sei nicht zu folgen, weil insbesondere der Zeitaufwand für die Hilfe bei den mobilitätsbezogenen Verrichtungen zu hoch veranschlagt worden sei. Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei kein Zeitwert in Ansatz zu bringen, weil die Ärzte ausweislich der Leistungsdatei der Beklagten für die Jahre 2010 bis 2014 nicht mindestens einmal wöchentlich aufgesucht worden seien. Den Antrag des Klägers auf "ergänzende Befragung" des Sachverständigen Dr. B. (Schriftsatz vom 31.8.2015), der in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2015 aufrechterhalten worden ist ("ergänzende Anhörung des Sachverständigen zu den im Schriftsatz vom 31.8.2015 aufgeworfenen Fragen"), hat das LSG in den Entscheidungsgründen abgelehnt: "Einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen Dr. B., wie vom Kläger hilfsweise beantragt, bedurfte es nicht. Dass der Sachverständige Wechselwirkungen zwischen dem Schmerzsyndrom des Klägers und seiner psychischen Erkrankung nicht berücksichtigt hat, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Sachverständige hat bei seiner Beurteilung des für die einzelnen Verrichtungen bestehenden Hilfebedarfs sowohl die schmerzhaften Bewegungseinschränkungen als auch die psychische Beeinträchtigung des Klägers und die durch den Medikamentenabusus bewirkte Bewusstseinseinschränkung berücksichtigt und im Einzelnen nachvollziehbar den resultierenden Hilfebedarf beschrieben, wobei er insbesondere auch die eigenen Angaben nicht nur des Klägers sondern auch von dessen Pflegeperson jeweils berücksichtigt hat. Durch die eingeholten Gutachten ist der Pflegebedarf des Klägers zur Überzeugung des Senats geklärt. Weiterer Ermittlungen bedurfte es daher nicht."

4

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, weil die Entscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er rügt die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), weil das LSG dem Antrag auf ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. B. hätte stattgeben müssen. Die Ablehnung dieses Antrages verletze sein Fragerecht (§ 116 Satz 2 SGG; § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 402 und 397 ZPO).

5

II. Die Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Der Kläger hat eine Verletzung seines Fragerechts nach § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO und damit seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs(§ 62 SGG) hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Das LSG hat zu Unrecht den Sachverständigen Dr. B. nicht angehört. Insoweit liegt ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

6

Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere, steht jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung des Sachverhalts für dienlich erachtet(BVerfG NJW 1998, 2273; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 und Nr 2 RdNr 5; BGH NJW 1998, 162). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, zB auf Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche hinzuweisen (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12f). Einwendungen in diesem Sinne sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§ 411 Abs 4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich (§ 411 Abs 3 ZPO) als auch schriftlich erfolgen kann (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl 2015, § 411 RdNr 5). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftliche Fragen im oben dargestellten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Das gilt auch dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und aus seiner Sicht keiner Erläuterung bedarf (BVerfG NJW 1998, 2273; BGH NJW 1997, 802; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 und Nr 2 RdNr 5) Diesen Anforderungen an die Bemühungen eines Beteiligten um rechtliches Gehör ist hier genügt.

7

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31.8.2015 zu dem Gutachten von Dr. B. vom 13.8.2015 Stellung genommen, dabei mehrere seiner Ansicht nach erläuterungsbedürftige Punkte aufgezeigt und beantragt, diese dem Sachverständigen zur ergänzenden Befragung vorzulegen. Damit hat er die - mündliche oder schriftliche - Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt. Der Antrag war auch rechtzeitig, da er innerhalb der - bis zum 31.8.2015 reichenden - Frist erfolgt ist, die das LSG den Beteiligten zwecks Stellungnahme zu diesem Gutachten gewährt hatte (Verfügung des Vorsitzenden vom 14.8.2015). Das Anhörungsbegehren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2015 - als Hilfsantrag - erneuert und damit bis zuletzt aufrechterhalten.

8

Die vom Kläger als aufklärungs- und erläuterungsbedürftig angesprochenen Punkte sind auch sachdienlich.

9

Sachdienlichkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich die Einwände und Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10; Keller, aaO, § 116 RdNr 5); anderenfalls kann das Begehren rechtsmissbräuchlich sein (BGH NJW 1998, 162). Weitergehende Anforderungen an die Sachdienlichkeit der Einwände und Fragen sind nicht zu stellen. Unabhängig davon, ob das Gericht ein Gutachten für erläuterungsbedürftig hält (vgl nochmals BVerfG NJW 1998, 2273), soll das Fragerecht dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können. Das gilt erst recht, wenn - wie hier - um nicht unerhebliche finanzielle Dauerleistungen (Pflegegeld) gestritten wird. Nur dieses Verständnis trägt der Bedeutung des Fragerechts im Rahmen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung, der als Folgerung des Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren verhindern soll, dass die Beteiligten nur Objekt des Verfahrens sind (vgl BVerfG NJW 1996, 3202; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10).

10

Anhaltspunkte für die Rechtsmissbräuchlichkeit des Anhörungsbegehrens sind nicht ersichtlich; zu Recht ist auch das LSG von der Sachbezogenheit der Einwände des Klägers ausgegangen. Der Sachverständige Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 13.8.2015, dem das LSG in weiten Teilen, aber nicht uneingeschränkt gefolgt ist (vgl die Abweichungen beim Treppensteigen und beim Stehen), den durchschnittlichen täglichen Grundpflegebedarf auf 29 Minuten veranschlagt, sodass eine Differenz von 17 Minuten zu dem Mindestzeitwert der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten" (also praktisch 46 Minuten) verblieb. Der Kläger sieht dagegen die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I als erfüllt an. Er beanstandet, der Sachverständige habe die pflegebegründenden Gesundheitsstörungen nur unvollständig berücksichtigt und die sich verstärkenden Wechselwirkungen zwischen dem chronifizierten Schmerzsyndrom und den psychischen Beeinträchtigungen unzureichend erfasst. Insgesamt seien die angesetzten Zeitwerte für die Hilfeleistungen zu niedrig bemessen. Die Hilfen in Form der verrichtungsbezogenen Beaufsichtigung und Kontrolle, die wegen der Antriebsstörung erforderlich seien, habe der Sachverständige nicht hinreichend berücksichtigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Ausübung des Fragerechts zu einer Korrektur der Einschätzung des Sachverständigen und eventuell zu einer Erhöhung des Zeitbedarfs für die Grundpflege, evtl sogar auf 46 Minuten, führen könnte. Immerhin spricht für die Rechtsauffassung des Klägers, dass die erstinstanzlich nach § 109 SGG eingeholten Gutachten von Dr. Bl. und Frau Dr. G. Zeitwerte von 52 bzw 50 Minuten ergeben haben und das SG diesen Gutachten gefolgt ist. Ferner kann nicht außer Betracht bleiben, dass die MDK-Gutachten der Pflegefachkraft S. vom 15.8.2012 und 19.11.2014 bereits zu einem Grundpflegebedarf von 36 Minuten gekommen sind, also 7 Minuten mehr als von Dr. B. veranschlagt; dies ist insofern bemerkenswert, als die Pflegebedürftigkeitsgutachten des MDK in der Regel von einer eher zurückhaltenden Bemessung des für die Grundpflege erforderlichen Zeitaufwands gekennzeichnet sind.

11

Das LSG hat das Recht des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Dr. B.
verletzt. Es hätte auf den Antrag des Klägers entweder mit einer Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung (§ 411 Abs 3 ZPO) oder seiner schriftlichen Anhörung eingehen müssen (zur Möglichkeit der Aufforderung an den Kläger, die Einwände zuvor noch näher zu konkretisieren und dazu entsprechende Fragen zu formulieren, vgl BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 ZPO). Daran fehlt es. Das LSG hat sich lediglich selbst mit den Einwänden des Klägers gegen das Gutachten auseinandergesetzt. Daraus mag sich ergeben, dass es die Einwände für unerheblich hält. Das reicht jedoch als Ablehnungsgrund nicht aus (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 13). Der Kläger hat vielmehr Anspruch auf Beantwortung seiner Fragen durch den Sachverständigen, der das schriftliche Gutachten erstellt hat. Auf diesem Verfahrensmangel kann die Entscheidung des LSG auch beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das LSG nach Anhörung des Sachverständigen zu den Einwänden und Fragen des Klägers zu einer anderen - für den Kläger günstigeren - Beweiswürdigung und damit letztlich auch zu einer Zurückweisung der Berufung der Beklagten gekommen wäre.

12

Angesichts dieses Verfahrensfehlers kann die Frage offenbleiben, ob auch die Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) in zulässiger Weise erhoben worden und in der Sache begründet ist.

13

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird das LSG im Zuge des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. November 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist ein Anspruch des klagenden Versicherten gegen die beklagte Pflegekasse auf Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für die Zeit ab 14.1.2009.

2

Der im Jahre 1943 geborene Kläger leidet an verschiedenen degenerativen und unfallbedingten Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates sowie an psychischen Beeinträchtigungen in Form eines chronifizierten Schmerzsyndroms und einer Depression mit wechselnder, mitunter schwerer Ausprägung sowie an Antriebsstörungen. Seinen Antrag vom 14.1.2009 auf Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung lehnte die Beklagte nach Einholung eines Pflegebedürftigkeitsgutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 31.7.2009 ab, weil der durchschnittliche tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) mit nur 19 Minuten nicht den Mindestzeitwert der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB XI) erreiche (Bescheid vom 22.10.2009, Widerspruchsbescheid vom 17.3.2010).

3

Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 12.12.2014). Es hat sich dabei auf zwei nach § 109 SGG eingeholte Gutachten der Ärzte Dr. Bl. vom 1.3.2012 (Grundpflegebedarf 52 Minuten) und Frau Dr. G. vom 9.10.2014 (Grundpflegebedarf 50 Minuten) gestützt. Nicht gefolgt ist das SG dem von Amts wegen eingeholten Gutachten des Arztes Dr. D. vom 7.4.2011 (Grundpflegebedarf 17 Minuten) sowie den von der Beklagten vorgelegten weiteren MDK-Gutachten vom 15.8.2012 und 19.11.2014 (Grundpflegebedarf 36 Minuten). Nach Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. B. vom 13.8.2015 (Grundpflegebedarf 29 Minuten), gegen das der Kläger Einwände erhoben hatte (Schriftsatz vom 31.8.2015), hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.11.2015), weil sich der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege nur auf "knapp 30 Minuten" belaufe. Den die Pflegestufe I befürwortenden Gutachten von Dr. Bl. vom 1.3.2013 und Frau Dr. G. vom 9.10.2014 sei nicht zu folgen, weil insbesondere der Zeitaufwand für die Hilfe bei den mobilitätsbezogenen Verrichtungen zu hoch veranschlagt worden sei. Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei kein Zeitwert in Ansatz zu bringen, weil die Ärzte ausweislich der Leistungsdatei der Beklagten für die Jahre 2010 bis 2014 nicht mindestens einmal wöchentlich aufgesucht worden seien. Den Antrag des Klägers auf "ergänzende Befragung" des Sachverständigen Dr. B. (Schriftsatz vom 31.8.2015), der in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2015 aufrechterhalten worden ist ("ergänzende Anhörung des Sachverständigen zu den im Schriftsatz vom 31.8.2015 aufgeworfenen Fragen"), hat das LSG in den Entscheidungsgründen abgelehnt: "Einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen Dr. B., wie vom Kläger hilfsweise beantragt, bedurfte es nicht. Dass der Sachverständige Wechselwirkungen zwischen dem Schmerzsyndrom des Klägers und seiner psychischen Erkrankung nicht berücksichtigt hat, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Sachverständige hat bei seiner Beurteilung des für die einzelnen Verrichtungen bestehenden Hilfebedarfs sowohl die schmerzhaften Bewegungseinschränkungen als auch die psychische Beeinträchtigung des Klägers und die durch den Medikamentenabusus bewirkte Bewusstseinseinschränkung berücksichtigt und im Einzelnen nachvollziehbar den resultierenden Hilfebedarf beschrieben, wobei er insbesondere auch die eigenen Angaben nicht nur des Klägers sondern auch von dessen Pflegeperson jeweils berücksichtigt hat. Durch die eingeholten Gutachten ist der Pflegebedarf des Klägers zur Überzeugung des Senats geklärt. Weiterer Ermittlungen bedurfte es daher nicht."

4

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, weil die Entscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er rügt die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), weil das LSG dem Antrag auf ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. B. hätte stattgeben müssen. Die Ablehnung dieses Antrages verletze sein Fragerecht (§ 116 Satz 2 SGG; § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 402 und 397 ZPO).

5

II. Die Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Der Kläger hat eine Verletzung seines Fragerechts nach § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO und damit seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs(§ 62 SGG) hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Das LSG hat zu Unrecht den Sachverständigen Dr. B. nicht angehört. Insoweit liegt ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

6

Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere, steht jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung des Sachverhalts für dienlich erachtet(BVerfG NJW 1998, 2273; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 und Nr 2 RdNr 5; BGH NJW 1998, 162). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, zB auf Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche hinzuweisen (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12f). Einwendungen in diesem Sinne sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§ 411 Abs 4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich (§ 411 Abs 3 ZPO) als auch schriftlich erfolgen kann (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl 2015, § 411 RdNr 5). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftliche Fragen im oben dargestellten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Das gilt auch dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und aus seiner Sicht keiner Erläuterung bedarf (BVerfG NJW 1998, 2273; BGH NJW 1997, 802; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 und Nr 2 RdNr 5) Diesen Anforderungen an die Bemühungen eines Beteiligten um rechtliches Gehör ist hier genügt.

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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31.8.2015 zu dem Gutachten von Dr. B. vom 13.8.2015 Stellung genommen, dabei mehrere seiner Ansicht nach erläuterungsbedürftige Punkte aufgezeigt und beantragt, diese dem Sachverständigen zur ergänzenden Befragung vorzulegen. Damit hat er die - mündliche oder schriftliche - Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt. Der Antrag war auch rechtzeitig, da er innerhalb der - bis zum 31.8.2015 reichenden - Frist erfolgt ist, die das LSG den Beteiligten zwecks Stellungnahme zu diesem Gutachten gewährt hatte (Verfügung des Vorsitzenden vom 14.8.2015). Das Anhörungsbegehren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2015 - als Hilfsantrag - erneuert und damit bis zuletzt aufrechterhalten.

8

Die vom Kläger als aufklärungs- und erläuterungsbedürftig angesprochenen Punkte sind auch sachdienlich.

9

Sachdienlichkeit ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich die Einwände und Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10; Keller, aaO, § 116 RdNr 5); anderenfalls kann das Begehren rechtsmissbräuchlich sein (BGH NJW 1998, 162). Weitergehende Anforderungen an die Sachdienlichkeit der Einwände und Fragen sind nicht zu stellen. Unabhängig davon, ob das Gericht ein Gutachten für erläuterungsbedürftig hält (vgl nochmals BVerfG NJW 1998, 2273), soll das Fragerecht dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können. Das gilt erst recht, wenn - wie hier - um nicht unerhebliche finanzielle Dauerleistungen (Pflegegeld) gestritten wird. Nur dieses Verständnis trägt der Bedeutung des Fragerechts im Rahmen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung, der als Folgerung des Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren verhindern soll, dass die Beteiligten nur Objekt des Verfahrens sind (vgl BVerfG NJW 1996, 3202; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10).

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Anhaltspunkte für die Rechtsmissbräuchlichkeit des Anhörungsbegehrens sind nicht ersichtlich; zu Recht ist auch das LSG von der Sachbezogenheit der Einwände des Klägers ausgegangen. Der Sachverständige Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 13.8.2015, dem das LSG in weiten Teilen, aber nicht uneingeschränkt gefolgt ist (vgl die Abweichungen beim Treppensteigen und beim Stehen), den durchschnittlichen täglichen Grundpflegebedarf auf 29 Minuten veranschlagt, sodass eine Differenz von 17 Minuten zu dem Mindestzeitwert der Pflegestufe I von "mehr als 45 Minuten" (also praktisch 46 Minuten) verblieb. Der Kläger sieht dagegen die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I als erfüllt an. Er beanstandet, der Sachverständige habe die pflegebegründenden Gesundheitsstörungen nur unvollständig berücksichtigt und die sich verstärkenden Wechselwirkungen zwischen dem chronifizierten Schmerzsyndrom und den psychischen Beeinträchtigungen unzureichend erfasst. Insgesamt seien die angesetzten Zeitwerte für die Hilfeleistungen zu niedrig bemessen. Die Hilfen in Form der verrichtungsbezogenen Beaufsichtigung und Kontrolle, die wegen der Antriebsstörung erforderlich seien, habe der Sachverständige nicht hinreichend berücksichtigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Ausübung des Fragerechts zu einer Korrektur der Einschätzung des Sachverständigen und eventuell zu einer Erhöhung des Zeitbedarfs für die Grundpflege, evtl sogar auf 46 Minuten, führen könnte. Immerhin spricht für die Rechtsauffassung des Klägers, dass die erstinstanzlich nach § 109 SGG eingeholten Gutachten von Dr. Bl. und Frau Dr. G. Zeitwerte von 52 bzw 50 Minuten ergeben haben und das SG diesen Gutachten gefolgt ist. Ferner kann nicht außer Betracht bleiben, dass die MDK-Gutachten der Pflegefachkraft S. vom 15.8.2012 und 19.11.2014 bereits zu einem Grundpflegebedarf von 36 Minuten gekommen sind, also 7 Minuten mehr als von Dr. B. veranschlagt; dies ist insofern bemerkenswert, als die Pflegebedürftigkeitsgutachten des MDK in der Regel von einer eher zurückhaltenden Bemessung des für die Grundpflege erforderlichen Zeitaufwands gekennzeichnet sind.

11

Das LSG hat das Recht des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Dr. B.
verletzt. Es hätte auf den Antrag des Klägers entweder mit einer Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung (§ 411 Abs 3 ZPO) oder seiner schriftlichen Anhörung eingehen müssen (zur Möglichkeit der Aufforderung an den Kläger, die Einwände zuvor noch näher zu konkretisieren und dazu entsprechende Fragen zu formulieren, vgl BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 ZPO). Daran fehlt es. Das LSG hat sich lediglich selbst mit den Einwänden des Klägers gegen das Gutachten auseinandergesetzt. Daraus mag sich ergeben, dass es die Einwände für unerheblich hält. Das reicht jedoch als Ablehnungsgrund nicht aus (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 13). Der Kläger hat vielmehr Anspruch auf Beantwortung seiner Fragen durch den Sachverständigen, der das schriftliche Gutachten erstellt hat. Auf diesem Verfahrensmangel kann die Entscheidung des LSG auch beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das LSG nach Anhörung des Sachverständigen zu den Einwänden und Fragen des Klägers zu einer anderen - für den Kläger günstigeren - Beweiswürdigung und damit letztlich auch zu einer Zurückweisung der Berufung der Beklagten gekommen wäre.

12

Angesichts dieses Verfahrensfehlers kann die Frage offenbleiben, ob auch die Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) in zulässiger Weise erhoben worden und in der Sache begründet ist.

13

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird das LSG im Zuge des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

2

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24.10.1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und einer Säureüberladung (perinatale Asphyxie). Am 17.4.1986 erhielt der Kläger die im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Kombination) sowie gegen Poliomyelitis (oral). Zwei Wochen nach dieser Impfung sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen; nach einigen Minuten setzte eine Erholung ein; Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Nach Angaben seiner Mutter hat sich das Kind nicht mehr vollständig erholt. Ende 1986 wurde beim Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30.4.1987.

3

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von nunmehr 100 anerkannt.

4

Im März 2001 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Leistungen wegen eines Impfschadens. Daraufhin holte dieses ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5.9.2002 ab. Auf der Grundlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. M. wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2003 zurück, weil ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich aber nicht wahrscheinlich sei. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass für die Erkrankung andere Faktoren, wie die Frühgeburt und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, ausschlaggebend gewesen seien.

5

Der Kläger hat daraufhin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Dieses hat verschiedene ärztliche Unterlagen sowie von Amts wegen ein pädiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.1.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.6.2005 eingeholt. Dieser ist - vorbehaltlich der Richtigkeit der Schilderung der Mutter des Klägers betreffend das Ereignis zwei Wochen nach der Impfung - zu dem Ergebnis gelangt, dass die perinatale Asphyxie (lediglich) zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe. Die ab Mai 1986 ersichtlichen schweren neurologischen Störungen (Cerebralparese) seien überwiegend als Impfschadensfolge einzuordnen.

6

Der Beklagte hat demgegenüber ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. S. Facharzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin - vom 21.2.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.2.2006 vorgelegt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückzuführen sei und eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung höchst unwahrscheinlich sei. Im Anschluss daran hat das SG die Mutter des Klägers als Zeugin über den Zwischenfall zwei Wochen nach dem 17.4.1986 vernommen und danach ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und zwar von Prof. Dr. D. Unter dem 27.11.2006 ist dieser Sachverständige ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende Cerebralparese mit bestimmten Störungen bzw Behinderungen überwiegend wahrscheinlich durch die perinatale Asphyxie verursacht worden sei, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung bestehe.

7

Durch Urteil vom 10.5.2007 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17.4.1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 65 vH zu gewähren. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger sei am 13. oder 14. Tag nach der Impfung auf dem Arm der Mutter plötzlich schlaff geworden und mit halb geschlossenen Augen im Gesicht bleich gewesen, er habe sich danach zwar erholt, aber nicht mehr wie zuvor bewegt. Zur Frage der Verursachung sei der Auffassung von Prof. Dr. K. zu folgen. Die anders lautenden Beurteilungen der übrigen Sachverständigen seien nicht überzeugend. Die MdE von 65 vH ergebe sich daraus, dass der mit 100 vH zu bewertende dauerhafte Gesundheitsschaden des Klägers nach der Beurteilung von Prof. Dr. K. zu zwei Dritteln durch die Impfung am 17.4.1986 verursacht worden sei.

8

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise beantragt, durch Anfrage bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Tatsache zu erweisen, dass die heute verwendeten Impfstoffe gegen Polio, Diphtherie und Tetanus nicht identisch sind mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen, sowie zum Beweis der Tatsache, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können, ein medizinisches Sachverständigengutachten eines erfahrenen klinisch tätigen Arztes einzuholen, der über Erfahrungen auch zu Impfungen in den achtziger Jahren verfügt.

9

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen nach den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des bis zum 31.12.2000 geltenden § 51 Abs 1 Satz 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und des am 1.1.2001 in Kraft getretenen § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) seien nicht erfüllt. Danach sei der Nachweis einer schädigenden Einwirkung (der Impfung), einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und der Schädigungsfolgen (Dauerleiden) erforderlich. Für die jeweiligen Kausalzusammenhänge reiche eine Wahrscheinlichkeit aus.

10

Der dauerhafte Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese sei hier nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen, weil sich ein Impfschaden als Primärschädigung nicht habe nachweisen lassen. Welche Impfreaktionen als Impfschäden anzusehen seien, lasse sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Bezogen auf den Anspruchszeitraum ab Antragstellung im April 2001 sei grundsätzlich die Nr 57 AHP in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 heranzuziehen, die für die einzelnen Schutzimpfungen die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden abgrenze. Eine Änderung sei mit den AHP 2008 eingetreten, in welchen von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen worden sei. Vielmehr habe Nr 57 Satz 1 AHP 2008 auf die im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten STIKO verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelten. Nach Nr 57 Satz 2 AHP 2008 stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Hieran habe sich auch mit Inkrafttreten der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zum 1.1.2009 nichts geändert, denn die Nr 53 bis 143 AHP 2008 behielten auch nach Inkrafttreten der VersmedV weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (BR-Drucks 767/07, S 4 zu § 2 VersMedV).

11

Die aktuellen Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 (EB Nr 25/2007, 209 ff), die zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen von Schutzimpfungen enthielten, seien gleichwohl zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Bei den einzelnen Impfstoffen würden jeweils in dem mit "Komplikationen" bezeichneten Abschnitt in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei.

12

Im Streit stehe der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers im Sinne einer Verschlimmerung, nicht im Sinne der Entstehung. Nach Nr 42 Abs 1 Satz 3 AHP 2008 bzw nach Teil C Nr 7 Buchst a Satz 3 Anlage zur VersMedV komme, sofern zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch unbemerkt, vorhanden gewesen sei, eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung den Zeitpunkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schädigungsbedingt in schwererer Form aufgetreten sei, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.

13

Bei dem Kläger liege nach Einschätzung aller Gutachter ein durch die Geburtsasphyxie hervorgerufener Hirnschaden vor. Einigkeit bestehe auch darüber, dass derartige frühkindliche Schäden sich oft verspätet in Gestalt einer Spastik manifestierten. Kern des Rechtsstreits sei die Frage, ob ein bestimmter Anteil der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese auf die Impfung zurückzuführen sei. Ein derartiger Zusammenhang sei indessen nicht hinreichend wahrscheinlich, weil es am Nachweis eines Impfschadens (atypische Impfreaktion als Primärschädigung) fehle.

14

In den Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 seien für die Verwendung des Diphtherie-Impfstoffs sowie für die Verwendung des Kombinationsimpfstoffs gegen Diphtherie und Tetanus spezifische Komplikationen aufgezählt, die sämtlich beim Kläger nicht aufgetreten seien. Insbesondere habe keiner der Sachverständigen eine Erkrankung des peripheren Nervensystems diagnostiziert.

15

Soweit der Kläger die Mitteilungen der STIKO für nicht maßgebend halte, weil sie sich auf die heute verwendeten Impfstoffe gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus bezögen, die nicht identisch mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen seien, komme es auf seinen entsprechenden Beweisantrag nicht an. Selbst wenn man unterstelle, dass die Empfehlungen der STIKO Impfungen mit anderen als den damals bei dem Kläger verwendeten Impfstoffen beträfen, sei der ursächliche Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung weiterhin nicht hinreichend wahrscheinlich.

16

In diesem Fall wären die AHP 2005 heranzuziehen, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nr 57 Abs 12 und 13 AHP 2005 nenne für Diphtherie- und Tetanusschutzimpfungen spezifische Erscheinungen als Impfschäden, die bei dem Kläger nach Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht aufgetreten seien. Der von diesem als zentralnervöser Zwischenfall bezeichnete Vorgang zwei Wochen nach der Impfung sei keine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) gewesen. Die von Prof. Dr. S. genannten typischen Merkmale einer schweren ZNS-Erkrankung fehlten beim Kläger. Selbst wenn man die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten könnten, als wahr unterstellte, ändere dies nichts daran, das vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems gerade nicht positiv festgestellt werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge aber für die Anerkennung eines Impfschadens nicht. Der nach den AHP 2005 erforderliche Nachweis einer Antikörperbildung möge heute noch möglich sein, sei aber nicht zielführend, weil hierdurch lediglich eine durchgeführte Impfung bestätigt würde und nicht mehr geklärt werden könne, welche der drei Impfungen des Klägers diesen Zustand herbeigeführt habe. Im Übrigen schieden andere Ursachen der Erkrankung nicht aus. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass die Cerebralparese allein auf die Geburtsasphyxie zurückzuführen sei.

17

Hinsichtlich der Erkrankungen, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang mit der Poliomyelitisschutzimpfung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei, sei - wovon auch die Beteiligten ausgingen - auf die AHP 2005 abzustellen. Die Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 enthielten offensichtlich lediglich Angaben zu Kombinationsimpfungen, die neben Diphtherie-, Tetanus- und Poliomyelitisimpfstoffen weitere Impfstoffe insbesondere gegen Pertussis, Influenza und Hepatitis B, enthielten. Als Impfschäden nach einer Poliomyelitisschutzimpfung seien in Nr 57 Abs 2 AHP 2005 verschiedene Erkrankungen genannt, insbesondere poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens sechs Wochen Dauer. In keinem der vorliegenden Gutachten sei erwähnt, dass der Kläger an einer derartigen Impfpoliomyelitis erkrankt gewesen sei. Ebenso wenig seien Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom vorhanden. Schließlich seien beim Kläger auch weder eine Meningoenzephalitis noch die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens diagnostiziert worden. Die von Prof. Dr. K. angenommene Encephalopathie sei nach den AHP 2005 nur nach Pertussis- und Pockenschutzimpfungen als Impfschaden genannt, die beim Kläger nicht vorgenommen worden seien.

18

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe materielles und formelles Recht verletzt.

19

Verletzt sei § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG. Das LSG habe bei ihm das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung durch die Dreifachschutzimpfung, dh eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung und damit einen dauerhaften Impfschaden, zu Unrecht verneint, weil es verkannt habe, dass es für die Anerkennung einer unüblichen Impfreaktion und eines Impfschadens nach einer Dreifachimpfung im Jahre 1986 weiterhin auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu unüblichen Impfreaktionen auf die 1986 verwendeten Impfstoffe ankomme. Stattdessen sei das LSG von den Hinweisen der STIKO von 2007 ausgegangen, die über unübliche Impfreaktionen auf die aktuell verwendeten Impfstoffe informierten, ohne aufgeklärt zu haben, ob es sich bei diesen Impfstoffen um die gleichen handele, die bei seiner Dreifachimpfung 1986 verwendet worden seien, oder ob sie sich unterschieden. Außerdem sei das LSG von einem unzutreffenden Verständnis der medizinischen Voraussetzungen, dh der Krankheitsbilder, ausgegangen.

20

Damit habe das LSG die Rechtstatsachen "aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand" sowie die ebenfalls als Rechtstatsachen anzusehenden Krankheitsbegriffe "akut entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems" sowie "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Hinweis auf das Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R -) würden wissenschaftliche Erkenntnisse über medizinische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge nicht mehr als Tatsachenfeststellungen iS von § 163 SGG gewertet, weil sie keine Tatsachen des Einzelfalles seien, sondern allgemeine (generelle) Tatsachen, die für alle einschlägigen (dort Berufskrankheiten-) Fälle von Bedeutung seien. Es gehe nicht nur um die Anwendung allgemeiner oder spezieller Erfahrungssätze auf einen konkreten Sachverhalt, sondern um sog Rechtstatsachen, die für die Auslegung dh für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm benötigt würden.

21

Aus den tatsächlichen Feststellungen zu seinem Zusammenbruch Ende April 1986 und zu seiner Entwicklung vor und nach der Impfung folge jedoch, dass es bei ihm zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen sei, nämlich zu einer Enzephalopathie (möglicher Diphtherieimpfschaden gemäß den AHP 1983) bzw zu einer nicht poliomyelitischen Erkrankung am ZNS (möglicher Impfschaden nach der Polio-Schluckimpfung gemäß den AHP 1983) bzw zu einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS (möglicher Impfschaden nach der Diphtherieschutzimpfung gemäß AHP 2005).

22

Das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Bei den Rechtstatsachen "aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand", "akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems" und "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" handele es sich um allgemeine Erfahrungssätze, deren Verkennung eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung beinhalte.

23

Verstoßen habe das LSG gegen den Erfahrungssatz, dass die Impffolgen abhängig von den verwendeten Impfstoffen seien. Zudem habe das LSG bei der Deutung der Krankheitsbilder gegen medizinische Erfahrungssätze verstoßen. Das LSG habe weiter seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, insbesondere den Sachverhalt nicht vollständig erfasst bzw ermittelt. So habe es sich nicht veranlasst gesehen, seinem - des Klägers - Beweisantrag zum Fehlen einer Identität der 1986 und heute verwendeten Impfstoffe zu folgen. Diesen und den weiteren Beweisantrag zur Möglichkeit einer Erkrankung des ZNS bei immunologisch unreifen Kindern ohne Fieberausbrüche habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, dass eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. Dr. K. durchaus eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS bejaht. Schließlich habe das LSG seine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (sich) widersprechenden Gutachten dadurch verletzt, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. hinsichtlich des Nichtvorliegens einer akut entzündlichen ZNS-Erkrankung gefolgt sei, ohne sich mit den gegenteiligen Ausführungen des Prof. Dr. K. auseinander zu setzen und ohne darzulegen, aufgrund welcher Sachkunde es dem Gutachten von Prof. Dr. S. folge und worauf diese Sachkunde beruhe.

24

Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Entscheidung des LSG, dass ein Zusammenhang des Leidens der Tetraplegie mit der Dreifachimpfung nicht wahrscheinlich sei, weil es am Nachweis eines Impfschadens fehle und im Übrigen andere Ursachen der Erkrankung nicht ausschieden.

25

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 zurückzuweisen.

26

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

27

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

28

Der Senat hat eine Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 mit einer Auflistung der seit 1979 zugelassenen Polio Oral-Impfstoffe sowie der Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus eingeholt und den Beteiligten ausgehändigt.

Entscheidungsgründe

29

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

30

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, wenn er geltend macht, das LSG habe generelle "Rechtstatsachen" verkannt. Es spricht zunächst nichts dagegen, die in den AHP 1983 bis 2005 unter Nr 57 für Schutzimpfungen ausgeführten Erkenntnisse zu üblichen Impfreaktionen und "Impfschäden" als generelle Tatsachen anzusehen. Zutreffend hat der Kläger insoweit auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 27.6.2006 (BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) zum Berufskrankheitenrecht hingewiesen. Auch der erkennende Senat ist bereits im Bereich des Schwerbehindertenrechts davon ausgegangen, dass generelle Tatsachen vorliegen, soweit es um allgemeine medizinische Erkenntnisse geht (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG führt die Annahme, dass ein bestimmter Umstand nicht (nur) einzelfallbezogene Tatsache ist, sondern eine generelle Tatsache darstellt, indes nur zur Durchbrechung der nach § 163 SGG angeordneten strikten Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des LSG verbunden mit der Befugnis bzw der Aufgabe für das Revisionsgericht, entsprechende generelle Tatsachen selbst zu ermitteln und festzustellen(BSG aaO). Die Nichtberücksichtigung genereller Tatsachen durch das Berufungsgericht bewirkt damit nicht unmittelbar eine Verletzung materiellen Rechts.

31

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn es um die unterlassene oder die fehlerhafte Berücksichtigung von generellen Rechtstatsachen geht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar mag eine im og Sinne generelle Tatsache dann als Rechtstatsache anzusehen sein, wenn sie Gegenstand einer Rechtsnorm ist (vgl BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 7; noch nicht differenziert in BSG SozR 3-2500 § 34 Nr 4). Das BSG ist aber auch im Fall der Annahme einer generellen "Rechtstatsache" bisher ausdrücklich allein von der Durchbrechung der Bindung des § 163 SGG ausgegangen(BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 24; BSGE 94, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 6; s dazu Dreher, Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsprechung des BSG, Festschrift 50 Jahre BSG, 791, 796). Ob eine Erweiterung dieser Rechtsprechung in einem Fall angezeigt ist, in dem es um Inhalt und Reichweite der AHP geht, deren Änderung in der Rechtsprechung des BSG wegen der "rechtsnormähnlichen Qualität" der AHP als Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X angesehen worden ist(BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 6), kann ebenfalls auf sich beruhen.

32

b) Jedenfalls reicht es zur Zulässigkeit einer Revision aus, wenn der Revisionsführer die berufungsgerichtliche Feststellung genereller Tatsachen mit zulässigen Verfahrensrügen angreift (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das ist hier geschehen. Der Kläger hat insbesondere schlüssig dargetan, das LSG habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen aufzuklären, ob sich die vom LSG herangezogenen, in den Hinweisen der STIKO von 2007 und den AHP 2005 niedergelegten medizinischen Erkenntnisse auf die Impfstoffe beziehen, die im Jahre 1986 bei ihm (dem Kläger) verwendet worden sind. Dazu hat der Kläger auch hinreichend vorgetragen, dass es - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des LSG - auf diese Feststellungen ankam, weil nach den AHP 1983 andere Krankheitserscheinungen zur Bejahung eines über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (dort als "Impfschaden" bezeichnet) ausreichten als nach den - insoweit gleichlautenden - AHP 1996 bis 2005. Sollten im vorliegenden Fall die AHP 1983 maßgebend sein, so wäre danach eine für den Kläger günstigere Entscheidung des LSG möglich gewesen. Diese Rüge erfasst den gesamten Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie führt mithin zur unbeschränkten Zulässigkeit der Revision.

33

2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend zu entscheiden.

34

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens nach einer MdE um 65 vH ab April 2001 (ab 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 65). Mit Urteil vom 10.5.2007 hat das SG - entsprechend dem Klageantrag - den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der am 17.4.1986 erfolgten Impfung unter Anerkennung der Impfschadensfolge "Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung, leichte Sprachstörung" ab April 2001 Versorgung nach dem IfSG iVm dem BVG nach einer MdE von 65 vH zu gewähren. Dieses Urteil hatte der Kläger vor dem LSG erfolglos gegen die Berufung des Beklagten verteidigt. Im Revisionsverfahren erstrebt er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der - in der Revisionsverhandlung klargestellten - Maßgabe, dass er nicht allgemein Versorgung, sondern Beschädigtenrente begehrt (vgl dazu BSGE 89, 199, 200 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 92 f).

35

           

b) Der Anspruch des Klägers, der für die Zeit ab März 2001 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs 1 IfSG, der am 1.1.2001 in Kraft getreten ist und den bis dahin und auch schon zur Zeit der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden - weitgehend wortlautgleichen (BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, RdNr 6; SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 12) - § 51 Abs 1 BSeuchG abgelöst hat. § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 

4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,

eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens iS des § 2 Nr 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

        

Nach § 2 Nr 11 Halbs 1 IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

        
36

aa) Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG - ua zB öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgteSchutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (s zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG Urteile vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr 9 S 46 und - 9a RVi 4/84 - SozR 3850 § 51 Nr 10 S 49; ebenso auch Nr 57 AHP 1983 bis 2005).

37

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. (s Rohr/Sträßer/Dahm, BVG-Kommentar, Stand 1/11, § 1 Anm 10 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/11, § 8 SGB VII RdNr 8 mwN).

38

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

39

bb) Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten (s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

40

           

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl auch Nr 57 AHP 2008):

        

Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr 11 IfSG und Nr 56 Abs 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.

41

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s BMAS , Einleitung zur VersMedV, S 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

42

cc) Zutreffend hat das LSG die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 - SozR 3-3850 § 52 Nr 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 SGB X) zu belassen sind (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 V 1/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

43

Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist allerdings jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, ggf lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben.

44

c) Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Berufungsurteil nicht in vollem Umfang.

45

aa) Zunächst hat das LSG unangegriffen festgestellt, dass der Kläger am 17.4.1986 im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfungen, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis, erhalten hat. Sodann ist allerdings unklar, das Auftreten welcher genauen Gesundheitsstörungen das LSG in der Zeit nach diesen Impfungen als bewiesen angesehen hat. Das LSG hat sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines "Impfschadens" im Sinne einer primären Schädigung (also einer Impfkomplikation) zu verneinen. Bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung hat es sich in erster Linie auf die Hinweise der STIKO von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, EB vom 22.6.2007/Nr 25 ) und hilfsweise auch auf die Nr 57 AHP 2005 gestützt, ohne - wie der Kläger zutreffend geltend macht - Feststellungen dazu getroffen zu haben, ob sich die darin zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die beim Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen.

46

Das LSG hat es bereits unterlassen, ausdrücklich festzustellen, welche Impfstoffe dem Kläger am 17.4.1986 verabreicht worden sind. Auch aus den vom LSG allgemein in Bezug genommenen Akten ergibt sich insofern nichts. Der in Kopie vorliegende Impfpass des Klägers enthält für den 17.4.1986 nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem 17.4.1986 die Angabe "DT-Polio".

47

Ermittlungen zu dem im Jahre 1986 beim Kläger verwendeten Impfstoff sowie zu dessen Einbeziehung in die Hinweise der STIKO (EB Nr 25/2007) und - hinsichtlich des oral verabreichten Poliolebendimpfstoffes - in die Nr 57 Abs 2 AHP 2005 hat das LSG offenbar für entbehrlich gehalten. Es hat den Umstand, dass die Impfstoffe im Laufe der Jahre verändert worden sind, hypothetisch als wahr unterstellt und anhand der AHP 2005 unter Auswertung der Sachverständigengutachten den Eintritt von Impfkomplikationen beim Kläger verneint. Dabei hat es jedoch nicht geklärt, ob die AHP 2005 für die Beurteilung von Komplikationen infolge der im Jahre 1986 vorgenommenen Impfungen auch wirklich uneingeschränkt maßgebend sind.

48

bb) Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert haben. Ebenso könnte auf nähere Feststellungen zu diesem Punkt verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den STIKO-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in Nr 57 AHP 2005 Berücksichtigung gefunden haben, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden Impfkomplikationen) im gesamten Zeitraum im Wesentlichen unverändert geblieben sind, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden sind. Von alledem kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgegangen werden.

49

           

aaa) Zunächst lassen sich Unterschiede in den Ausführungen der Nr 57 AHP 1983 und 1996 (letztere sind in die AHP 2004 und 2005 übernommen worden) sowie in den STIKO-Hinweisen von 2007 feststellen:

So enthält die Nr 57 Abs 2 AHP (Poliomyelitis-Schutzimpfung) für die Impfung mit Lebendimpfstoff zwar hinsichtlich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 (2004/2005) im Wesentlichen die gleichen Formulierungen, der Text betreffend "Impfschäden" (im Sinne von Impfkomplikationen) weicht jedoch in beiden Fassungen voneinander ab. In den AHP 1983 heißt es insoweit:

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen; Inkubationszeit 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (21 bis 158 Tage beobachtet). Nicht poliomyelitisähnliche Erkrankungen am Zentralnervensystem nach der Impfung, wie die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens oder - sehr selten - eine Meningoenzephalitis, Polyradikulitis, Polyneuritis oder Fazialisparese, bedürfen stets einer besonders sorgfältigen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren im Darm oder Rachen und eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Dieselben Voraussetzungen gelten für das selten als Impfschaden in Betracht kommende Erythema nodosum.

50

           

Die Fassung der AHP 1996 nennt dagegen als "Impfschäden" (Komplikationen):

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens 6 Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim Impfling 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten). Beim Guillain-Barré-Syndrom ist ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 10 Wochen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.

51

In den EB 25/2007 finden sich zu einem Poliomyelitisimpfstoff mit Lebendviren, wie er dem Kläger (oral) verabreicht worden ist, keine Angaben. Dies beruht darauf, dass dieser Impfstoff seit 1998 nicht mehr zur Schutzimpfung bei Kleinkindern öffentlich empfohlen ist (vgl dazu BSG SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 16).

52

Für die Diphtherie-Schutzimpfung ist die Nr 57 Abs 12 AHP bezüglich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 im Wesentlichen wortlautgleich.

53

           

Die "Impfschäden" (im Sinne von Komplikationen) sind in der Fassung der AHP 1983 beschrieben mit:

        

Sterile Abszesse mit Narbenbildung. Selten in den ersten Wochen Enzephalopathie, Enzephalomyelitis oder Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit). Selten Thrombose, Nephritis.

54

           

Demgegenüber ist Abs 12 der Nr 57 AHP 1996 hinsichtlich der "Impfschäden" (Komplikationen) wie folgt gefasst:

        

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des ZNS; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

55

           

Hinsichtlich der Tetanus-Schutzimpfung sind in Abs 13 der Nr 57 der hier relevanten Fassungen der AHP die "Impfschäden" wie folgt übereinstimmend umschrieben:

        

Sehr selten Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom.

56

           

Demgegenüber differiert hier die Beschreibung der "üblichen Impfreaktionen" zwischen den Fassungen 1983 und 1996. Während 1983 als "übliche Impfreaktionen" beschrieben sind:

        

Geringe Lokalreaktion,

57

           

enthält die Fassung der AHP 1996 die Formulierung:

        

Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung.

58

           

In den STIKO-Hinweisen von 2007 (EB 25/2007, 211) heißt es zum Diphtherie-Tetanus-Impfstoff (DT-Impfstoff):

        

Lokal- und Allgemeinreaktion
Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von einem bis drei Tagen, selten länger anhaltend, sehr häufig (bei bis zu 20 % der Impflinge) an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Sehr selten bildet sich ein kleines Knötchen an der Injektionsstelle, ausnahmsweise im Einzelfall mit Neigung zu steriler Abszedierung.

Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik (Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden) oder Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) treten gelegentlich (1 % der Impflinge) und häufiger (bis 10 %) bei hyperimmunisierten (häufiger gegen Diphtherie und/oder Tetanus geimpften) Impflingen auf.

In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen
Im Zusammenhang mit einer Fieberreaktion kann es beim Säugling und jungen Kleinkind gelegentlich zu einem Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) kommen. Komplikationen der Impfung in Form allergischer Reaktionen an der Haut oder an den Atemwegen treten selten auf. Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- oder Polyneuritiden, Neuropathie) kommen, auch Einzelfälle allergischer Sofortreaktionen (anaphylaktischer Schock) wurden in der medizinischen Fachliteratur beschrieben.

59

           

bb) Der erkennende Senat hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus (DT-Impfstoffe) von den STIKO-Hinweisen von 2007 erfasst worden sind. Dafür dass sich diese nur auf im Jahre 2007 gebräuchliche Impfstoffe beziehen, spricht schon der vom LSG selbst erkannte Umstand, dass es sich dabei ausdrücklich um "Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen Stand: 2007" handelt. Zudem wird in diesen Hinweisen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die nachfolgende Textfassung sowie das zugehörige Literaturverzeichnis auf alle gegenwärtig (Stand: Juni 2007) in Deutschland zugelassenen Impfstoffe beziehen (s EB Nr 25/2007 S 210 rechte Spalte). Weiter heißt es dort:

        

Auf dem deutschen Markt stehen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller mit zum Teil abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen zur Verfügung, die zur gleichen Anwendung zugelassen sind. Die Umsetzung von STIKO-Empfehlungen kann in der Regel mit allen verfügbaren und zugelassenen Impfstoffen erfolgen. Zu Unterschieden im Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist ggf auf die jeweiligen Fachinformationen zu verweisen. Die Aktualisierung der Fachinformationen erfolgt nach Maßgabe der Zulassungsbehörden entsprechend den Änderungsanträgen zur Zulassung. Diese aktualisierten Fachinformationen sind ggf ergänzend zu den Ausführungen in diesen Hinweisen zu beachten.

60

Nach der vom erkennenden Senat eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 waren im Juni 2007 noch drei DT-Impfstoffe zugelassen, deren Zulassung vor 1986 lag. Daneben waren im Juni 2007 und bis heute weitere neun DT-Impfstoffe zugelassen, deren zeitlich früheste Zulassung im Jahr 1997 datiert. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts nach Einführung der Zulassungspflicht im Jahre 1978 eine Übergangszeit von mehreren Jahren gab. In dieser Zeit erhielten Impfstoffe nach und nach eine Zulassung im heutigen Sinne. So können Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in Deutschland gebräuchlich gewesen sein.

61

Diese Gegebenheiten schließen nach Auffassung des erkennenden Senats - jedenfalls auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse - eine undifferenzierte Anwendung der STIKO-Hinweise auf die 1986 beim Kläger erfolgten Impfungen aus. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört haben, auf die sich diese Hinweise nach ihrem Inhalt beziehen. Darüber hinaus werden darin ausdrücklich Unterschiede im Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen angesprochen, die sich aus abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen ergeben können. Ohne nähere Feststellungen zu den Zusammensetzungen der 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe, insbesondere der beim Kläger verwendeten, lässt sich mithin nicht beurteilen, ob und inwieweit die STIKO-Hinweise von 2007 bei der hier erforderlichen Kausalitätsprüfung zugrunde gelegt werden können.

62

Entsprechend verhält es sich mit den AHP 2005, die das LSG in erster Linie bei der Poliomyelitisimpfung und hilfsweise auch bei der DT-Impfung zur Kausalitätsbeurteilung herangezogen hat. In Nr 56 und 57 AHP 2005, die insoweit mit den AHP 1996 und 2004 übereinstimmen, wird nicht genau angegeben, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben beziehen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob diese Angaben auch für die 1986 gebräuchlichen Impfstoffe Geltung beanspruchen. Da das LSG auch nicht festgestellt hat, dass die in Frage kommenden Impfstoffe in ihren Auswirkungen von 1986 bis 1996 gleich geblieben sind, können die AHP 1996/2004/2005 hier nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die AHP 1983 maßgebend sind, ggf ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

63

d) Zwar könnte der erkennende Senat die danach erforderlichen Feststellungen, soweit sie sich auf allgemeine Tatsachen beziehen, nach entsprechenden Ermittlungen selbst treffen. Eine derartige Vorgehensweise hält er hier jedoch nicht für tunlich.

64

aa) Zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 müsste - ohne vorherige Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe, die der Senat nicht selbst durchführen darf (vgl § 163 SGG) - allgemein, dh voraussichtlich mit erheblichem Aufwand, geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen war, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt werden. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, könnte auf die Feststellung der tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden.

65

bb) Soweit sich feststellen ließe, dass die AHP 1996/2004/2005 - ggf mit allgemeinen Modifikationen - ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich sind, könnte das Berufungsurteil jedenfalls nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Zumindest hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten Impfkomplikation beruht die Entscheidung des LSG nämlich sowohl auf einer teilweise unzutreffenden Rechtsauffassung als auch auf Tatsachenfeststellungen, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind.

66

Nach der vom LSG (hilfsweise) als einschlägig angesehenen Nr 57 Abs 12 AHP 2005 kommt bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (Komplikation) ua eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.

67

aaa) Dementsprechend ist zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS im maßgeblichen Zeitraum nach der Impfung eingetreten ist. Soweit das LSG bezogen auf den vorliegenden Fall angenommen hat, eine entsprechende Erkrankung des ZNS lasse sich nicht feststellen, beruht dies - wie der Kläger hinreichend dargetan hat - auf einem Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG.

68

Zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. bestand darüber Streit, ob beim Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" aufgetreten ist. Das LSG hat sich für die Verneinung einer derartigen Erkrankung in erster Linie auf die Auffassung von Prof. Dr. S. gestützt, der als typische Merkmale einer "schweren" ZNS-Erkrankung Fieber, Krämpfe, Erbrechen und längere Bewusstseinstrübung genannt habe. Dagegen hatte der Kläger unter Beweis gestellt, dass Erkrankungen des ZNS gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können. Diese Behauptung hat das LSG hypothetisch als wahr unterstellt und dazu die Ansicht vertreten, dies ändere "nichts daran, dass vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS gerade nicht positiv festgestellt werden kann". Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge nicht.

69

Zwar trifft es zu, dass der Eintritt einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS beim Kläger für den relevanten Zeitraum von 28 Tagen nach Impfung bewiesen sein muss. Den Ausführungen des LSG lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche medizinische Sachkunde es sich bei der Beurteilung gestützt hat, eine positive Feststellung sei im vorliegenden Fall unmöglich. Auf die Ausführungen von Prof. Dr. S. konnte sich das LSG dabei nicht beziehen, da es in diesem Zusammenhang gerade - abweichend von dessen Auffassung - die Möglichkeit einer ohne Fieberausbrüche auftretenden akut entzündlichen Erkrankung des ZNS unterstellt hat. Mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K., auf die sich der Kläger berufen hatte, hat sich das LSG nicht auseinandergesetzt. Folglich hätte das LSG entweder zunächst dem auf allgemeine medizinische Erkenntnisse gerichteten Beweisantrag des Klägers nachkommen oder sogleich mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K. als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen ist, als akut entzündliche Erkrankung des ZNS anzusehen ist.

70

bbb) Auch (allein) mit dem (bislang) fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung hätte das LSG eine Impfkomplikation nicht verneinen dürfen. Seine Begründung, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie - wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen - nicht mit Sicherheit der am 17.4.1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, ist aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der erkennende Senat hält es für unzulässig, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (vgl dazu Thüringer LSG Urteil vom 20.3.2003 - L 5 VJ 624/01 - juris RdNr 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2006 - L 8 VJ 847/04 - juris RdNr 40). Der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des ZNS durch die Impfung ist erstmals in der Nr 57 Abs 12 AHP 1996 enthalten. Die AHP 1983 nannten an entsprechender Stelle als "Impfschäden" (Komplikationen) noch nicht einmal die akut entzündliche Erkrankung des ZNS, sondern andere Erkrankungen, wie zB die Enzephalopathie, ohne einen Antikörpernachweis zu fordern. Nach der am 17.4.1986 erfolgten Impfung bestand somit grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Wenn die Zuordnung von jetzt noch feststellbaren Antikörpern nach den weiteren Impfungen von 1987 aus heutiger Sicht medizinisch nicht möglich sein sollte, verlangte man rechtlich etwas Unmögliches vom Kläger. Demzufolge muss es zur Erfüllung der Merkmale der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen.

71

ccc) Soweit das LSG schließlich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 festgestellt hat, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom 17.4.1986 aufgetreten sind, nicht ausscheiden, ist auch diese Feststellung - wie vom Kläger zutreffend gerügt - verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG hat insoweit nicht das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigt. Denn es hat sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Neben dem vom LSG erörterten verringerten Schädelwachstum des Klägers hat Prof. Dr. K. in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom LSG - gestützt auf Prof. Dr. S. angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lässt.

72

e) Nach alledem ist es geboten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

73

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In einem vorangegangenen Berufungsverfahren hat das LSG mit Urteil vom 10.4.2013 einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen geltend gemachter Folgen von am 12.7.1995 und 15.10.1996 durchgeführter Schutzimpfungen verneint. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei den Impfungen eine gesundheitliche Schädigung im Sinne einer unüblichen Impfreaktion erlitten habe, die zu einem globalen Entwicklungsrückstand als Impfschaden geführt habe. Auf die Beschwerde des Klägers hat das BSG mit Beschluss vom 14.11.2013 (B 9 V 33/13 B) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, weil das LSG das Paul-Ehrlich-Institut (Prof. Dr. C.) nicht zu Einwänden des Klägers ergänzend befragt hat. Dementsprechend hat das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren Auskünfte bei Prof. Dr. C. und Prof. Dr. V. eingeholt und Prof. Dr. D., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Prof. Dr. D. hat eine vorläufige Stellungnahme erstattet und eine Fachinformation für Ärzte und Apotheker 1995 zu den Impfstoffen sowie einen Gutachtenentwurf übersandt.

2

Mit Urteil vom 26.4.2017 hat das LSG erneut einen Anspruch des Klägers verneint, weil nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass bei dem Kläger nach einer der Impfungen vom 12.7.1995 bis zum 3.11.1997 eine Primärschädigung im Sinne einer Impfkomplikation aufgetreten sei. Es fehle am Nachweis einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung. Sei eine solche das übliche Ausmaß übersteigende gesundheitliche Schädigung im Nachgang einer Impfung nicht erwiesen, so stelle sich vorliegend die Frage nach einem Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Primärschädigung nicht. Weiterer Ermittlungen zum Vorliegen einer Impfkomplikation im Gegensatz zu einer bloßen üblichen Impfreaktion habe es daher nicht bedurft. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26.4.2017 zuletzt noch gestellten Beweisanträge seien daher abzulehnen.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG erneut Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung sowie von Verfahrensmängeln begründet.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden(§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

5

1. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

6

Der Kläger hält folgende Frage für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:

        

"Gebietet die Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG zu ermitteln

        

a)    

welche dauerhafte Gesundheitsschädigung vorliegt,

        

b)    

wie wahrscheinlich die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsschädigung durch die Impfung ist,

        

c)    

ob Alternativursachen für die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsschädigung ersichtlich sind,

        

wenn eine Primärschädigung nicht erkennbar zutage getreten ist?"

7

Ob der Kläger damit eine Rechtsfrage hinreichend bezeichnet hat, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielt (vgl Becker, SGb 2007, 261, 265 zu Fn 42 mwN), kann hier dahinstehen. Er hat bereits die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit dieser von ihm aufgestellten Frage nicht dargetan. Es fehlt insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Vorschriften des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) und des IfSG (hier insbesondere § 2 Nr 11 IfSG), nach denen eine Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen (Primär-)Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche (Sekundär-)Schädigung vorliegen müssen, wobei letztere nach § 2 Nr 11 IfSG als Impfschaden definiert wird, während Impfschaden nach der abweichenden Terminologie des BSeuchG die Primärschädigung bezeichnet(vgl hierzu auch BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 35 ff). Zudem hätte es einer Darlegung der Beweisanforderungen bedurft (vgl hierzu insgesamt BSG, aaO; BSG Urteil vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9), wie diese in der angefochtenen Entscheidung des LSG (S 21 des Urteils) bereits ausgeführt worden sind, um eine Sachaufklärungsrüge nach § 103 SGG im Rahmen einer grundsätzlichen Bedeutung als Rechtsfrage zu formulieren. Aber auch insoweit hat sich die Beschwerde weder mit den tatbestandlichen Voraussetzungen noch mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt, nach der der Nachweis einer Primärschädigung im Vollbeweis geführt werden muss und deshalb Ermittlungen zur Kausalität auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßstabs der Wahrscheinlichkeit für einen Nachweis "nicht erkennbar zutage getretener Primärschädigungen" nicht ausreichen.

8

Unabhängig davon hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit seiner vermeintlichen Rechtsfrage nicht dargelegt, da nach Auffassung des LSG unter Würdigung des gesamten Sach- und Streitstandes aufgrund des schriftlichen Gutachtens nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von Vo. sowie des Ergebnisses von dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 10.4.2013 eine Primärschädigung im Sinne des Gesetzes nicht vorliege. Durchgreifende Verfahrensrügen gegen die zugrunde liegenden Feststellungen sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen (dazu sogleich).

9

2. Der Kläger bezeichnet auch einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 4 mwN). Geltend gemacht werden kann nur ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und - entgegen der Vorstellung des Klägers - 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

10

a) Die Beschwerdebegründung befasst sich umfangreich mit der Darlegung vermeintlicher Aufklärungsmängel (§ 103 SGG) durch das LSG ohne zuvor den Sachverhalt und den gesamten Verfahrensgang darzustellen. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG ist ein Verfahrensmangel allerdings nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird(BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus der Beschwerdebegründung unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (BSG, aaO). Sofern der Kläger eine erneute Anhörung von Dr. H. begehrt, scheitert dieses Vorhaben im Rahmen der Beschwerde bereits an dem Umstand, dass nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG gestützt werden kann. Unabhängig davon beschäftigt sich die Beschwerdebegründung auch nicht mit dem Umstand, dass Dr. H. sein Gutachten bereits vor dem SG erstattet hat und schon deshalb eine weitere Anhörung ohnehin nur unter den Voraussetzungen einer notwendigen Anhörung nach Maßgabe des § 411 Abs 3 ZPO verlangt werden konnte(vgl BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B; BSG Beschluss vom 25.10.2012 - B 9 SB 18/12 B - Juris RdNr 7; dazu sogleich).

11

b) Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 26.4.2017 gestellt zu haben. Die von ihm wiedergegebenen Anträge zu Ziff 1 b, c, 2 c, d, 4, 5 und 6 bezeichnen zwar einzelne Punkte hinsichtlich derer weiterer Beweis erhoben werden soll. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das LSG hinreichend genau zu bezeichnen, hätte der Kläger aber zusätzlich angeben müssen, warum gerade diese Punkte weiter klärungsbedürftig sein sollten. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen oder (sachverständigen) Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 11 mwN). Angesichts dessen reicht es nicht aus, auf weitere Ermittlungserfordernisse hinsichtlich der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen sowie deren Verursachung durch die Impfungen zu verweisen, da zu diesen Themenkomplexen bereits mehrere Sachverständigengutachten vorlagen. Die erneuten Anträge des Klägers hinsichtlich der streitgegenständlichen Impfstoffe und deren Verursachung der Entwicklungsretardierung beim Kläger sowie zu der unzureichenden Gewichtszunahme des Klägers nach allen Impfungen, die Einholung einer Stellungnahme eines impfschadensrechtlich erfahrenen Gutachters, eines toxikologischen Gutachtens und immunologischen Gutachtens waren insgesamt nicht dazu geeignet, dem Berufungsgericht noch klärungsbedürftige Punkte aufzuzeigen und es damit zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen.

12

Die Beschwerde legt nicht schlüssig dar, warum die Anträge des Klägers das LSG hätten zu weiterer Beweiserhebung drängen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen war, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - Juris). Daran fehlt es hier. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Diese ist von dem LSG als letztes Tatsachengericht durchzuführen (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 13 mwN). Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben(vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN). Derartige Gründe hat die Beschwerde nicht dargelegt.

13

Die Beschwerde hat nicht substantiiert dargelegt, warum die Gewichtung der unterschiedlichen Befunde dem LSG misslungen sein sollte. Das Tatsachengericht braucht jedenfalls dann kein weiteres Gutachten einzuholen, wenn der Kläger bereits nicht darlegt, dass sich die Tatsachengrundlagen der Gutachten widersprechen. Selbst widersprüchliche Tatsachenfeststellungen verschiedener Gutachten erzwingen nicht bereits ein weiteres Gutachten, um den Widerspruch aufzulösen. Beruhen vielmehr die Differenzen zwischen den Auffassungen von Sachverständigen darauf, dass diese von verschiedenen tatsächlichen Annahmen ausgehen, dann muss der Tatrichter, ggf nach weiterer Aufklärung, die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Tatsachen feststellen oder begründen, weshalb und zu wessen Lasten sie beweislos geblieben sind (vgl BGH Urteil vom 23.9.1986 - VI ZR 261/85). Diese letztgültige Feststellung der maßgeblichen Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen muss nicht zwingend durch ein weiteres Gutachten, sondern kann in freier Beweiswürdigung der von den Sachverständigen (oder sonst) festgestellten Tatsachen erfolgen. Haben die Sachverständigen unterschiedliche Befunde erhoben, so obliegt es grundsätzlich dem Tatsachengericht, die Aussagekraft der erhobenen Befunde anhand nachvollziehbarer Kriterien zu gewichten, soweit es dazu nicht auf medizinische Sachkunde zurückgreifen muss, die ihm die Sachverständigen im zu entscheidenden Fall nicht vermittelt haben und über die es auch sonst nicht verfügt. Insoweit hätte es im Rahmen der Beschwerde vorrangig der Darlegung bedurft, weshalb hinsichtlich der Beweisanträge die dort postulierten Anknüpfungstatsachen in Form des schwallartigen Erbrechens nach sämtlichen Impfungen entgegen der auf den Zeugenaussagen basierenden Wertung des LSG als erwiesen zu erachten sind. Der bloße Hinweis darauf, dass es für den Nachweis eines Primärschadens ausreichend sei, wenn die Primärschädigung im Verborgenen eintrete und nicht erkennbar zutage trete, reicht insoweit nicht aus. Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG ist ein Primärschaden unter diesen Umständen gerade nicht nachgewiesen, sodass mangels Feststellung der Anknüpfungstatsachen die genannten Beweisanträge unerheblich sind. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum die nachvollziehbare Argumentation des LSG, die den Kernbereich der grundsätzlich der Tatsacheninstanz vorbehaltenen Tatsachenwürdigung betrifft, offensichtlich fehlsam gewesen sein könnte.

14

Nichts anderes gilt hinsichtlich der übrigen Beweisanträge. Das LSG hat sich auf die schriftlichen und mündlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von Vo. gestützt, dessen Gutachten auch im Rahmen der Beschwerde nicht als "ungenügend" iS von § 412 Abs 1 ZPO gerügt wird. Soweit das LSG die gutachterlichen Ausführungen deshalb für überzeugend halten durfte, musste es sich nicht gedrängt sehen, weitere sachverständige Stellungnahmen oder Gutachten einzuholen. Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG zum Primärschaden und mangels durchgreifender Rügen zu den festgestellten Anknüpfungstatsachen fehlt eine plausible Darlegung, wieso es auf die weiter unter Beweis gestellten Umstände noch hätte ankommen können. Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

15

c) Auch die Verletzung rechtlichen Gehörs hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen miteinzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 21 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

16

Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, warum die unterbliebene Anhörung der von ihm benannten Sachverständigen Prof. Dr. D. sowie Dr. H. eine Gehörsverletzung darstellt. Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO grundsätzlich das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten(BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11; vgl auch BSG Beschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BGH Urteil vom 7.10.1997 - VI ZR 252/96 - NJW 1998, 162, 163 - Juris RdNr 10 - alle mwN). Dabei reicht es aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BVerwG Beschluss vom 19.3.1996 - 11 B 9/96 - NJW 1996, 2318), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Einwendungen in diesem Sinne sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl § 411 Abs 4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Die Beschwerde thematisiert schon nicht, ob das Fragerecht gegenüber dem erstinstanzlichen Sachverständigen vor dem LSG überhaupt noch bestanden habe (vgl BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - aaO) bzw gegenüber Prof. Dr. D. mangels eines schriftlichen Gutachtens überhaupt entstanden sein könnte.

17

Jedenfalls hat die Beschwerde auch nicht ausreichend dargelegt, warum die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 26.4.2017 formulierten Fragen an die Sachverständigen Prof. Dr. D. und Dr. H. überhaupt noch erläuterungsbedürftig waren, nachdem die Sachverständigen zu diesen Punkten bereits Stellungnahmen abgegeben hatten und Stellungnahmen von anderen Sachverständigen vorgelegen haben. Darüber hinaus wäre es erforderlich gewesen darzulegen, weshalb es auf die Klärung dieser Fragen ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG zum Primärschaden und mangels durchgreifender Rügen zu den festgestellten Anknüpfungstatsachen noch ankommen konnte (aaO). Tatsächlich zielt der Antrag des Klägers ersichtlich darauf ab, das LSG nochmals von seiner abweichenden Rechtsauffassung und Tatsachenwürdigung zu überzeugen. Damit wendet sich der Kläger, wie oben bereits angeführt, tatsächlich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, welche sich der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzieht (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG), und rügt Fehler in der Rechtsanwendung, auf die es im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ankommt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

18

3. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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4. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 28.11.2006 anstelle eines bei ihm festgestellten GdB von 20. Einen solchen Anspruch hatte das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 6.10.2011 erstmals verneint. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat das BSG mit Beschluss vom 25.10.2012 (B 9 SB 18/12 B) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, weil das LSG den Sachverständigen Dr. B. auf Antrag des Klägers zumindest schriftlich hätte ergänzend befragen müssen. Im Anschluss hat das LSG Dr. B. im Erörterungstermin vom 15.3.2013 sowie durch zwei weitere schriftliche Stellungnahmen vom 18.4. und 22.7.2013 ergänzend angehört. Anschließend hat das LSG weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens von Dr. Y. vom 30.4.2014 nebst neuropsychologischem Zusatzgutachten der Dipl.-Psychologin Dr. B. Eine Stellungnahme hierzu hat das LSG am 12.5., 10. sowie 24.7.2014 erbeten. Mit Urteil vom 28.11.2014 hat das LSG sodann den Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von 50 abermals verneint. Zudem sei weder eine Vertagung noch eine weitere Beweiserhebung geboten.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG habe den Anspruch des Klägers auf das rechtliche Gehör (Art 103 GG) und die Gewährung eines fairen Prozesses verletzt. Er habe sich nicht in der Lage gesehen, bis zum Verhandlungstermin vom 28.11.2014 zu den letzten Gutachten inhaltlich umfassend Stellung zu nehmen und deshalb nach schriftsätzlicher Vorbereitung am 25. und 26.11.2014 beantragt, die mündliche Verhandlung zu vertagen und die vollständigen Arbeitsgrundlagen und die protokollierten Äußerungen des Klägers bei der Begutachtung durch Frau Dr. B. beizuziehen und diese sowie den Sachverständigen Dr. Y. ergänzend dazu zu hören, auf welche konkrete wissenschaftliche Auffassung sie ihre Bearbeitungen stützen, ob diese Auffassung der herrschenden wissenschaftlichen Lehrauffassung entspreche und aus welchen Werken ihrer Literaturliste und welchen Stellen genau sich diese ergäbe. Dem hätte das LSG nachgehen müssen. Es habe dem Kläger zumindest eine Frist zur abschließenden Stellungnahme einräumen müssen, für die er zunächst eine solche von zwei Monaten angeregt habe (Schriftsatz vom 26.11.2014). Schließlich habe das LSG das Vorbringen des Klägers mit Schriftsatz vom 25.11.2014 übergangen, worin dieser dargelegt habe, dass er am 27.10.2014 aus einer ganztägigen ambulanten Reha als weiterhin arbeitsunfähig entlassen worden sei unter Darlegung seiner orthopädischen Störungen.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist(vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

1. Soweit nach dem Vorbringen des Klägers Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

6

a) Der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger hat es unterlassen darzulegen, welche konkreten Punkte des Beweisthemas einer persönlichen Befragung durch welchen konkreten Sachverständigen hätten unterzogen werden müssen, denen das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus - ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sein soll und welches Ergebnis im Falle einer konkreten Befragung bestimmter Sachverständiger zu erwarten gewesen wäre (sog Entscheidungserheblichkeit). Zwar hat der Kläger geltend gemacht, mit Schriftsätzen vom 25. und 26.11.2014 neben einem Vertagungsantrag die ergänzende Befragung von Dr. Y. und Dr. B. beantragt zu haben nebst Beiziehung weiterer Unterlagen zur Überprüfung der wissenschaftlichen Auffassung der Sachverständigen und dass das LSG zu Unrecht diese Anträge als nicht sachdienlich bewertet habe. Aber selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass dieser auch die Aufrechterhaltung dieser Anträge im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.11.2014 dargelegt hat, wie sich aus der Protokollniederschrift ergibt, so enthalten diese Ausführungen des Klägers keine ausreichenden Angaben zu den zu begutachtenden Punkten iS von § 403 ZPO bzw eines konkreten Beweisthemas in dem Beweisantrag, die grundsätzlich nicht entbehrlich sind(vgl BSG Beschluss vom 9.3.2001 - B 2 U 404/00 B; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Vor allem in Verfahren - wie vorliegend - in denen bereits mehrere medizinische Gutachten und ergänzende Stellungnahmen mit abweichenden Beurteilungen vorliegen, ist eine Konkretisierung des Beweisthemas unabdingbar, da eine pauschale Wiederholung bisher gestellter Beweisfragen nicht erkennen lässt, inwieweit überhaupt noch Aufklärungsbedarf vorliegt. Insoweit hätte der Kläger das von seinen Beweisanträgen in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 28.11.2014 umfasste Beweisthema konkretisieren und zumindest darlegen müssen, weshalb die von ihm benannten Sachverständigen der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung widersprochen haben. Denn das LSG ist als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Insoweit hätte es zudem des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG , SGb 2007, 328, 332 zu RdNr 188 unter Hinweis auf BSG Beschluss vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - mwN). Dies gilt ebenso hinsichtlich der vom Kläger geforderten Beiziehung weiterer Unterlagen von den Sachverständigen. Zwar kann das LSG diese nach § 407a Abs 4 ZPO anfordern, aber auch insoweit ist darzulegen, weshalb sich das LSG - aus seiner Rechtsansicht - hierzu hätte gedrängt sehen müssen. Dies hat der Kläger versäumt.

7

Wie bereits das LSG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat (S 8 des Urteils), hat der Kläger keinen weiteren Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf aufgezeigt. Hinsichtlich der Anhörung der Sachverständigen Dr. G., Dr. Be., Dr. T., Dr. V., Dr. K. und Dr. B. wiederholt der Kläger lediglich seinen Antrag vom 6.12.2011, ohne deutlich zu machen, welche klärungsbedürftigen Punkte noch gesehen werden, obgleich er hierzu fünf Monate nach Erhalt des letzten Gutachtens Zeit gehabt hat. Insbesondere macht der Kläger keine Angaben darüber, dass Dr. B. in dem Erörterungstermin vom 15.3.2013 ergänzend angehört und zudem schriftlich ergänzend mit Stellungnahmen vom 18.4. und 22.7.2013 befragt worden ist. Dass weiterer sachdienlicher Klärungsbedarf besteht, ist weder ersichtlich noch vom Kläger rechtzeitig dargelegt (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris). Die bloße Darlegung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, entspricht dem oben dargelegten Erfordernis nicht (vgl BSG Beschluss vom 4.12.2006 - B 2 U 227/06 B - RdNr 3). Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

8

b) Ferner hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit der Nichtberücksichtigung seiner Anträge auf Durchführung weiterer Beweiserhebung nicht ordnungsgemäß dargelegt. Denn dafür ist darzulegen, welches Ergebnis die verlangte Beweiserhebung erbracht hätte (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 24), und dass dieses Beweisergebnis - ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG - eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers hätte möglich machen können (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Denn nur diese Darlegungen lassen erkennen, weshalb das LSG sich zu dieser weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen und weshalb die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensmangel beruhen soll (vgl Becker, aaO, S 333).

9

2. Soweit der Kläger eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) sowie seines Rechts auf Durchführung eines fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 S 1 Europäische Menschenrechtskonvention ) durch das LSG darin sieht, dass dieses seinen Antrag auf Befragung der zuletzt vom Gericht gehörten Sachverständigen (a) sowie seine Beweisanträge (b) übergangen und seinen Vertagungsantrag nebst Gewährung einer Frist zur abschließenden Stellungnahme von zwei Monaten abgelehnt hat, genügt sein Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274) oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).

10

a) Eine Verletzung des Fragerechts nach § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO und damit des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs(§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) hat die Beschwerde nicht hinreichend bezeichnet.

11

Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten(BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 = Juris RdNr 11; vgl auch BSG Beschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BGH Urteil vom 7.10.1997 - VI ZR 252/96 - NJW 1998, 162, 163 = Juris RdNr 10 - alle mwN). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 mwN).

12

Insofern kann offenbleiben, ob die vom Kläger im Schriftsatz vom 26.11.2014 und damit erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung dem Gericht übermittelten Fragen überhaupt objektiv sachdienlich gewesen sind (vgl zu diesem Erfordernis BSG aaO RdNr 10). Denn jedenfalls legt die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dar, dass der Kläger alles Erforderliche und Zumutbare getan hat, um die gewünschte Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Ein Antrag auf Befragung eines Sachverständigen ist regelmäßig nicht mehr als rechtzeitig gestellt anzusehen, wenn er erst so kurz vor der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung beim Gericht eingeht, dass diesem ohne Vertagung weder genug Zeit bleibt, den Sachverständigen zum Termin zu laden, noch von ihm eine schriftliche Antwort auf die kurzfristig gestellten Fragen zu erhalten. Die von der Beschwerde aufgeworfenen weitreichenden Fragen nach den wissenschaftlichen Grundlagen der Sachverständigengutachten des Dr. Y. und des Zusatzgutachtens der Dr. B., der Bedeutung der darin verarbeiteten Literatur sowie die nach den Arbeitsgrundlagen bzw den bei der Begutachtung protokollierten Äußerungen des Klägers stellten sich aus seiner Sicht nicht erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung. Selbst wenn dem Prozessbevollmächtigten eine gewisse längere Frist zur Lektüre der vom LSG übersandten Gutachten bzw Zusatzgutachten zuzubilligen ist, so hätte es doch der näheren und stichhaltigen Darlegung bedurft, warum diese Lektüre nicht schon deutlich vor dem Ablauf von über fünf Monaten in die tatsächlich erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen münden konnte. Daran fehlt es.

13

b) Mit der vom Kläger insgesamt angebrachten Behauptung, das LSG habe sich mit den von ihm gestellten Beweisanträgen nicht auseinandergesetzt und sei diesen zu Unrecht nicht nachgekommen unter Ablehnung seines Vertagungsantrags, stellt er eine Verletzung des § 62 SGG nicht ausreichend dar. Hierin liegt keine Gehörsrüge, sondern allenfalls eine Sachaufklärungsrüge. Deren Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung - wie oben aufgezeigt - nicht. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (BSG Beschlüsse vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - Juris RdNr 15 und vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - Juris RdNr 12). Der Antrag auf Terminverlegung erst kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung enthält gleichfalls keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Wie oben ausgeführt, fehlt es bereits an der Darlegung, dass die nach Durchführung der Beweisaufnahme bis zum Termin der mündlichen Verhandlung gegebene Frist von ca fünf Monaten nicht ausgereicht habe, sich sachgemäß zum Ergebnis der Beweisaufnahme äußern zu können (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 8.9.1970 -9 RV 158/70). Die bloße Behauptung zwei bis drei Tage vor dem angesetzten Verhandlungstermin reicht insoweit nicht aus (vgl zur Terminverlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung: BSG Beschluss vom 27.5.2014 - B 4 AS 459/13 B). Zudem hat sich das LSG mit dem Terminverlegungsantrag und dem Erfordernis weiterer Beweiserhebungen auch nach dem eigenen Vorbringen des Klägers in der Beschwerde im angefochtenen Urteil auseinandergesetzt (s dort S 8), sodass auch aus diesem Grunde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gegeben ist.

14

c) Gleiches gilt auch hinsichtlich der Behauptung des Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt insbesondere Art 6 Abs 1 S 1 EMRK in Betracht, wonach in Streitigkeiten "von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Ein Verstoß hiergegen ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt.

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3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

16

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Mai 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In der Hauptsache streiten die Beteiligten über einen zeitlich bis zum 31.12.2014 befristeten Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der im Januar 1957 geborene Kläger hat den Beruf des Mechanikers erlernt und war nach langjähriger Tätigkeit als Betriebsrat zuletzt als Qualifizierungsberater beschäftigt. Seit März 2013 ist er arbeitslos gemeldet. Er hat seit Mai 2012 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50. Auf psychiatrischem Fachgebiet wurden die Gesundheitsstörungen mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet und als Schmerzsyndrom, Somatisationen, depressive Verstimmung, Vermeidung und Antriebsschwäche beschrieben.

3

Auf seinen Antrag vom 9.4.2013 wegen der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung holte die Beklagte ua ein Gutachten des Psychiaters Dr. M. ein. Dieser diagnostizierte beim Kläger am 4.7.2013 eine somatoforme Schmerzstörung und eine überdauernde depressive Symptomatik. Dem Kläger seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten ohne erhöhte psychische Belastung von sechs Stunden und mehr möglich und zumutbar.

4

Gestützt ua auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab (Bescheid vom 10.7.2013, Widerspruchsbescheid vom 26.9.2013).

5

Im Klageverfahren hat das SG Würzburg ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 7.2.2014 eingeholt. Dieser hat als Gesundheitsstörungen ua eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt. Beim Kläger komme nur noch ein Einsatz von weniger als sechs Stunden mit weiteren qualitativen Einschränkungen für eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts in Betracht. Die geminderte Erwerbsfähigkeit bestehe seit der gescheiterten stufenweisen Wiedereingliederung im Jahr 2012. Es sei nicht sicher, ob die geminderte Erwerbsfähigkeit vorübergehend oder auf Dauer bestehe. Insbesondere bestehe die Hoffnung, dass nach Abbau (Entzug) des opiathaltigen Schmerzmittels eine Verbesserung des Leistungsvermögens, der Ausdauerbelastbarkeit, der Konzentrationsfähigkeit, der Alltagsmobilität und der Sozialkontaktfähigkeit des Klägers erreicht werden könne. Die Behandlungsbedürftigkeit bestehe mindestens für ein weiteres Jahr. Eine stationäre Heilbehandlung in einer Fachklinik werde empfohlen.

6

Im Wesentlichen gestützt auf dieses Gutachten hat das SG mit Urteil vom 8.5.2014 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung des Versicherungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung am 9.4.2013 die "entsprechenden gesetzlichen Leistungen" ab 1.11.2013 bis einschließlich Dezember 2014 zu gewähren. Daraufhin hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 8.10.2014 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.11.2013 bis 31.12.2014 bewilligt. Den Weitergewährungsantrag des Klägers über Dezember 2014 hinaus hat sie abgelehnt (Bescheid vom 13.1.2015, Widerspruchsbescheid vom 3.3.2015). Hiergegen ist ein Klageverfahren beim SG Würzburg unter dem Az S 10 R 293/15 anhängig.

7

Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Diplom-Psychologen Dr. W. eingeholt. Dieser kommt in seinem Gutachten vom 2.9.2015 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger im Zeitraum von August 2012 bis Februar 2015 auf Dauer eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome bei anhaltender somatoformer Störung vorgelegen habe. Im Vergleich zu den zuvor eingeholten Gutachten liege eine Verschlechterung des Leistungsvermögens bzw der dafür erforderlichen Ressourcen vor, was psychologisch im Sinne einer posttraumatischen Verbitterungsstörung zum Ausdruck komme und ein therapeutisch nur eingeschränkt zugängliches klinisches Bild umschreibe. Das in der Untersuchung vorgefundene Bild einer mittelgradigen depressiven Störung und einer chronisch somatoformen Schmerzstörung mit Hinweis auf eine organische Grundlage habe testpsychologisch gestützt werden können. Bezüglich des zeitlichen Umfangs, in dem der Kläger im Zeitraum von August 2012 bis Februar 2015 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch täglich habe erwerbstätig sein können, sei in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. S. von drei bis unter sechs Stunden auszugehen. Eine höhere zeitliche Arbeitsbelastung sei kaum vorstellbar und aus damaliger Sicht die Wahrscheinlichkeit einer Besserung nicht als gegeben anzusehen. Die Leistungseinschätzung des Dr. M. lasse sich bei der Entwicklung des Krankheitsbildes im Zeitverlauf nicht mehr aufrechterhalten, und es deute sich bereits eine Chronifizierung an, die therapeutisch wohl kaum mehr umkehrbar sein dürfte. Zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Klägers würden derzeit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht empfohlen.

8

Mit Urteil vom 4.5.2016 hat das Bayerische LSG die SG-Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das SG habe zu Unrecht das Vorliegen eines Versicherungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung als nachgewiesen angesehen. Zwar hätten sowohl der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. S. als auch der im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige Dr. W. angenommen, dass durch die depressive Erkrankung in Verbindung mit den übrigen Gesundheitsstörungen die Leistungsfähigkeit des Klägers auch quantitativ eingeschränkt sei. Zugleich hätten sie aber weitere Behandlungsoptionen als gegeben erachtet, insbesondere sei jeweils eine nochmalige stationäre Rehabilitationsmaßnahme angesprochen worden. Das Leistungsvermögen des Klägers stelle sich wie folgt dar: Er könne nur noch leichte Arbeiten verrichten. Häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten größer als 5 bis 10 kg und häufiges Bücken, Klettern, Steigen, Knien oder Hocken sowie dauerhaftes Stehen seien dem Kläger nicht zumutbar. Ebenfalls seien Dauerbelastung der Schultern und Zwangshaltungen, Tätigkeiten mit Absturzgefahr sowie häufiges Überkopfarbeiten ausgeschlossen. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkord- und Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschichtarbeit und die Arbeit an laufenden, dh nicht selbstbedienten Maschinen. Bei Arbeiten mit Publikumsverkehr sollten möglichst konfliktbehaftete Situationen und beim Arbeiten als Lehrer, Dozent oder Berater das häufige freie Sprechen vor größeren Gruppen vermieden werden.

9

Bei Beachtung dieser Arbeitsbedingungen sei eine Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf drei bis unter sechs Stunden nicht nachgewiesen. Weitere Ermittlungen seien für den abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit nicht möglich. Die von den Gutachtern Dr. S. und Dr. W. angenommene quantitative Leistungseinschränkung würde von diesen im Wesentlichen auf das Vorliegen einer psychischen Minderbelastbarkeit zurückgeführt. Dabei sei die sozialmedizinische Beurteilung des Dr. S. schon deshalb übersteigernd verzerrt, weil er eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostiziert habe, die anderweitig ärztlich nicht in dieser Form bestätigt worden sei und die auch mit den von Dr. S. selbst angegebenen Therapieoptionen kaum zur Harmonisierung gebracht werden könnte. Es spreche zwar durchaus viel dafür, dass beim Kläger im Zuge von Belastungssituationen psychische Störungen und psychovegetative Begleiterscheinungen in deutlichem Umfang zu beobachten gewesen seien und beim Wiederausgesetztsein gegenüber diesen Geschehnissen solche psychischen Überforderungen erneut aufträten. Dies sei aber dann nicht der Fall, wenn eine Arbeitstätigkeit außerhalb des erlebten Belastungsumfelds verrichtet werden soll.

10

Soweit vom Kläger auf die Durchführung erfolgloser stationärer Rehabilitationsmaßnahmen in der Vergangenheit verwiesen werde, sei zu berücksichtigen, dass diese Maßnahmen kurz vor der Rentenantragstellung durchgeführt worden seien und - noch - keine ausreichende Distanz zu den äußeren Faktoren für die Belastungsreaktionen aufgewiesen hätten. Stationäre Rehabilitationen, die im nächsten Schritt nicht mehr die Rückkehr an den - hier besonders problembelasteten - Arbeitsplatz anstrebten, sondern auf ein deutlich weiteres Einsatzfeld ausgerichtet seien, seien aber in ihren Erfolgschancen nicht mehr durch die früheren Maßnahmen mit anderer Zielrichtung, die wenig erfolgreich gewesen seien, prädisponiert.

11

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel geltend. Als verfahrensfehlerhaft rügt er, das LSG habe eigene medizinische Erwägungen angestellt, ohne seine diesbezügliche Sachkunde darzulegen. Es habe ausgeführt, dass bei der Durchführung vergangener Rehabilitationsmaßnahmen noch keine ausreichende Distanz zu den Einflussfaktoren der Belastungsreaktion bestanden habe. Eine solche Distanz werde vom LSG für das von ihm festgestellte vollschichtige Leistungsvermögen als medizinisch relevant unterstellt, ohne dass auf sachkundige Ausführungen eines Gutachters Bezug genommen werde.

12

II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Es ist daher aufzuheben und die Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG zurückzuverweisen.

13

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua dann begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergangen ist.

14

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG Beschluss vom 15.9.2011 - B 2 U 157/11 B - Juris RdNr 8 mwN). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (vgl BSG Beschluss vom 15.9.2011 aaO).

15

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, weil es seine von den Gutachten des Dr. S. vom 7.2.2014 und des Dr. W. vom 2.9.2015 abweichende Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens des Klägers auf eigene Sachkunde gestützt hat, ohne vor der Entscheidung die Beteiligten auf das Bestehen dieser eigenen sozialmedizinischen Sachkunde hingewiesen und ihnen erläutert zu haben, welche Schlussfolgerungen es daraus ziehen wolle. Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass eine Reduzierung der psychischen und körperlichen Belastbarkeit des Klägers - über die beschriebenen qualitativen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen hinaus - dann nicht bestehe, wenn eine Arbeitstätigkeit "außerhalb des erlebten Belastungsumfeldes" verrichtet werde. Für seine Feststellung zum quantitativen Leistungsvermögen des Klägers hat es eine "Distanz zu den äußeren Einflussfaktoren der Belastungsreaktion" als sozialmedizinisch relevant unterstellt, ohne aber auf sachkundige Ausführungen eines medizinischen Sachverständigen oder sonstige qualifizierte sozialmedizinische Erkenntnisquellen Bezug zu nehmen. Nähere Ausführungen hierzu wären aber schon deshalb geboten gewesen, weil der im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige Dr. W. in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass im hier relevanten Zeitraum eine "therapeutisch wohl kaum mehr umkehrbare" Chronifizierung sich andeute, eine höhere zeitliche Arbeitsbelastung des Klägers als von drei bis unter sechs Stunden "kaum vorstellbar" und die Wahrscheinlichkeit einer Besserung "nicht als gegeben" anzusehen sei.

16

Damit liegt der von dem Kläger gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auch auf dem Verfahrensfehler beruhen, weil - wie der Kläger noch hinreichend vorgetragen hat - nicht auszuschließen ist, dass das LSG im hier streitgegenständlichen Zeitraum auf die von ihm dann vorgebrachten Einwendungen im Hinblick auf das von den Sachverständigen Dr. S. und Dr. W. festgestellte untervollschichtige Leistungsvermögen des Klägers zu einer anderen Entscheidung bzw zu weiterer Beweiserhebung hätte kommen können.

17

Da die Beschwerde bereits aus den dargelegten Gründen erfolgreich ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rechtssache auch - die vom Kläger zusätzlich geltend gemachte - grundsätzliche Bedeutung hat.

18

Das BSG kann in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a Abs 5 SGG die angefochtene Entscheidung auch dann wegen eines Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen, wenn die Beschwerde zusätzlich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird. Denn selbst bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung und Zulassung der Revision wäre voraussichtlich mit einer Zurückverweisung zu rechnen (vgl BSG Beschluss vom 30.4.2003 - B 11 AL 203/02 B - Juris RdNr 10; Senatsbeschlüsse vom 20.10.2010 - B 13 R 511/09 B - Juris RdNr 22 und vom 9.12.2010 - B 13 R 170/10 B - Juris RdNr 21, jeweils mwN). Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.

19

Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.