Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) als Grundlage für die Berechnung der Verletztenrente der Klägerin.

2

Die 1974 geborene Klägerin erlitt 1996 als Studentin der Technischen Universität K. (TU K.) beim Hochschulsport einen Unfall, bei dem sie sich eine Verletzung des rechten Kniegelenks zuzog. Die Beklagte bewilligte der Klägerin aufgrund des Arbeitsunfalls nach einem Teilanerkenntnis in einem SG-Prozess eine Verletztenrente ab dem 18.4.2005 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vH. Hierbei legte sie den Mindest-JAV als JAV zu Grunde (Bescheid vom 20.1.2006).

3

Kurz darauf bat die Beklagte die Klägerin zwecks Überprüfung des JAV nach Abschluss der Schul- bzw Berufsausbildung um eine chronologische Aufstellung des bisherigen schulischen und beruflichen Werdeganges und Übersendung von Kopien der Abschlusszeugnisse bzw Diplome sowie ggf auch des Arbeitsvertrages und holte sodann weitere Auskünfte über den Ablauf des Studiums beim Dekan des Fachbereichs Mathematik der TU K. und der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen beim Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland ein.

4

Mit Bescheid vom 10.2.2009 nahm die Beklagte den Bescheid vom 20.1.2006 teilweise zurück und berechnete die Rente rückwirkend ab 18.4.2005 nach einem JAV von 28 609,17 Euro neu. Nach § 90 Abs 2 SGB VII sei das Arbeitsentgelt maßgeblich, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort gezahlt werde. Die Berechnung des JAV erfolge nach einer Eingruppierung in die Vergütungsgruppe V b B/L des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT). Die Klägerin habe ihr Studium der Mathematik erfolgreich an der Universität St. A. in E. (St. A. E.), Schottland, abgeschlossen. Aufgrund der Auskunft der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen sei dieser Studienabschluss aber inhaltlich nicht gleichwertig mit einem deutschen universitären Abschluss, weshalb eine (fiktive) Eingruppierung in den höheren Dienst (BAT II a) nicht durchgeführt werden könne. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 10.8.2009).

5

Die Klägerin hat Klage zum SG erhoben. Auf Befragen des SG teilte die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen mit, dass bei der bisherigen Beurteilung des Falles nicht bekannt gewesen sei, dass die Klägerin im Juli 2004 eine Promotion an der Universität St. A. E. in Schottland, einer anerkannten britischen wissenschaftlichen Hochschule, abgeschlossen habe. Mit Master-Grad und Promotion werde mindestens ein Bildungsniveau nachgewiesen wie mit einem deutschen wissenschaftlichen Hochschulabschluss. Durch Urteil vom 2.12.2010 hat das SG die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide verurteilt, den JAV der Klägerin aufgrund einer Eingruppierung in den höheren Dienst neu festzusetzen.

6

Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte der Klägerin höhere Verletztenrente unter Zugrundelegung eines JAV nach BAT II a zu gewähren habe (Urteil vom 4.2.2013). Zutreffend habe die Beklagte § 90 Abs 2 SGB VII als Rechtsgrundlage für die Neufeststellung des JAV herangezogen. Der Neuberechnung des JAV der Klägerin sei vorliegend das Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, das für Personen ihres Alters und ihrer Ausbildung durch den im maßgebenden Zeitpunkt, April 1996, geltenden BAT in Vergütungsgruppe II a vorgesehen gewesen sei. Die Eingruppierung richte sich gemäß § 22 Abs 1 S 1 BAT nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlagen 1a und 1b). Bei der Klägerin sei von einer abgeschlossenen wissenschaftlichen Hochschulausbildung auszugehen. Sie habe zunächst ein Diplom-Studium an einer deutschen technischen Hochschule mit einer Regelstudienzeit von mehr als sieben Semestern aufgenommen, dessen erfolgreicher Abschluss - unabhängig von der Anzahl der tatsächlich studierten Semester - ihr die Einstellung in den höheren Dienst bzw in Vergütungsgruppe BAT II a ermöglicht hätte. Auch wenn die Klägerin keinen Abschluss als Diplom-Mathematikerin an einer deutschen Universität erlangt habe, sei ihre Ausbildung an der TU K. vom Wintersemester 1993/1994 bis einschließlich Sommersemester 1996 sowie ihr Studium an der Universität St. A. E. in Schottland im Wintersemester 1996/1997 sowie im Sommersemester 1997, das sie mit dem Master of Science abschloss, so zu bewerten, als habe sie an einer deutschen Universität ein Diplom in Mathematik erreicht. Die Klägerin habe insgesamt acht Semester vollwertig studiert. Aufgrund ihrer Aussagen und der von ihr vorgelegten Studienbelege gehe der Senat davon aus, dass sie an der TU K. sechs Semester Mathematik studiert habe, woran sich zwei Semester Mathematik-Studium in Schottland angeschlossen hätten. Das Studium an der Universität St. A. E. habe mit dem Abschluss als Master of Science geendet. Im Rahmen dieses Masterstudiums habe die Klägerin eine Abschlussarbeit ("Dissertation") angefertigt, die separat bewertet worden sei. Ein weiteres Indiz für die Gleichwertigkeit des Masterabschlusses mit dem deutschen Diplom sei die Einschätzung der TU K., wonach die Klägerin mit dem von der Universität St. A. E. zuerkannten Master of Science zur Promotion in K. hätte zugelassen werden können. Die Klägerin sei überdies mittlerweile als Gymnasiallehrerin in den Schuldienst in Bayern eingestellt und als Studienrätin in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen worden. Die in diesem Amt gewährte Besoldungsgruppe A 13 für Beamte entspreche der Vergütungsgruppe BAT II a für Angestellte, was zusätzlich für die Richtigkeit des hier gefundenen Ergebnisses spreche.

7

Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin ihr Studium ohne eine unfallbedingte Verzögerung abgeschlossen habe und ihr daher lediglich der Mindest-JAV gemäß § 85 SGB VII zustehe, sie mithin keinen Neufestsetzungsanspruch gemäß § 90 Abs 1 SGB VII habe. Das BSG habe nur zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII entschieden, dass die Zuerkennung höherer Verletztenrente nicht in Betracht komme, wenn die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet worden sei(Hinweis auf BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2). Der Anspruch der Klägerin auf höhere Verletztenrente sei jedoch an § 90 Abs 2 SGB VII, nicht an § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu messen, wie dies die Beklagte in ihrem Bescheid vom 10.2.2009 auch selbst zutreffend erkannt habe. § 90 Abs 2 SGB VII baue nicht auf der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf, so dass zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII erfüllt sein müssten, um den Anwendungsbereich des § 90 Abs 2 SGB VII zu eröffnen.

8

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 90 Abs 2 SGB VII. Das LSG sei zunächst zu Unrecht davon ausgegangen, dass bei der Klägerin eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung vorliege, die eine Einstellung in den höheren Dienst bzw eine Eingruppierung nach BAT II a rechtfertigen könne. Die Klägerin habe an der TU K. lediglich fünf und nicht sechs Semester studiert. Das LSG gehe insbesondere in seiner Argumentation fehl, das Wintersemester 1995/96 sei kein reines Prüfungssemester gewesen, denn die Einschätzungen des LSG zu diesem Prüfungssemester seien lebensfremd und gingen an der akademischen Wirklichkeit vorbei. Tatsächlich habe die Klägerin lediglich sieben Semester absolviert. Das BSG habe am 18.9.2012 - allerdings nur zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII - entschieden, dass eine höhere Verletztenrente dann nicht in Betracht komme, wenn die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet worden sei. Dies müsse auch für § 90 Abs 2 SGB VII gelten. Andernfalls würde man unterstellen, dass § 90 Abs 1 und Abs 2 SGB VII völlig unterschiedliche Regelungsinhalte hätten.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Februar 2013 und des Sozialgerichts Speyer vom 2. Dezember 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG begründete Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG in dem angefochtenen Urteil vom 4.2.2013 entschieden, dass der Klägerin gemäß § 90 Abs 2 SGB VII höhere Verletztenrente unter Berechnung des JAV auf der Basis der Vergütungsgruppe BAT II a zu gewähren ist.

12

Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass es sich bei dem Begehren der Klägerin um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG handelt, auf die hin die Bescheide vom 10.2. und 10.8.2009 zu ändern waren. Das Begehren der Klägerin war von vornherein nicht auf eine isolierte Neufestsetzung des JAV gerichtet, was - wie der Senat in einem weiteren Urteil am 18.9.2012 (B 2 U 14/11 R - Juris RdNr 18 = UV-Recht Aktuell 2013, 202) entschieden hat - unzulässig gewesen wäre, weil es sich bei dem JAV insofern lediglich um ein Berechnungselement (Wertfaktor) im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Werts des Rechts auf Verletztenrente handelt. Soweit das LSG die Beklagte zur Leistung verurteilt hat, ist dem Tenor und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Verurteilung zur Neuberechnung der Verletztenrente für den Zeitraum ab dem 18.4.2005 gilt und dass die Neuberechnung auf der Basis des BAT im Jahre des Versicherungsfalls (1996) zu erfolgen hat, was beides zutreffend ist.

13

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 90 Abs 2 SGB VII, der gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII Anwendung findet (hierzu unter 1). Die materiellen Voraussetzungen für eine Neuberechnung des JAV sind erfüllt, weil - wie das LSG zu Recht entschieden hat - die Klägerin fiktiv in die Vergütungsgruppe II a des BAT einzustufen war (hierzu unter 2). § 90 Abs 2 SGB VII stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die von den Voraussetzungen des § 90 Abs 1 SGB VII unabhängig ist (hierzu unter 3).

14

1. Nach § 90 Abs 2 Satz 1 SGB VII wird bei Versicherten, die zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn es für sie günstiger ist, der JAV jeweils nach dem Arbeitsentgelt neu festgesetzt, das zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist. Zu Recht hat das LSG aus den Regelungen des Übergangsrechts der §§ 212 ff SGB VII abgeleitet, dass § 90 Abs 2 SGB VII auf den Fall der Klägerin Anwendung findet. Nach § 212 SGB VII gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII für Versicherungsfälle, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit nicht in den nachfolgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Eine solche abweichende Regelung enthält § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII, nach dem die Vorschriften über den JAV auch für die Versicherungsfälle gelten, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Der Senat hat am 18.9.2012 (aaO, RdNr 22) entschieden, dass schon der Wortlaut der Vorschrift die Anwendbarkeit der Norm auf Versicherungsfälle verdeutlicht, die vor dem 1.1.1997 nach altem Recht eingetreten sind, auch wenn der JAV für ein damals entstandenes Recht auf Leistungen schon festgestellt worden war. Hier tritt die Besonderheit hinzu, dass der Versicherungsfall zwar 1996 - also noch unter Geltung der RVO - eingetreten ist, die - erste - Neufeststellung des JAV aber erst im Jahre 2006 - also unter Geltung des SGB VII - erfolgte. Insofern ist also eine Feststellung des JAV "erstmals" nach § 90 SGB VII erfolgt, weshalb bereits die erste Tatbestandsalternative der Übergangsnorm des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII erfüllt ist.

15

2. Zu Recht hat das LSG auch entschieden, dass bei der Klägerin nach § 90 Abs 2 SGB VII der JAV auf der Basis der Vergütungsgruppe II a des BAT festzusetzen ist. Die im Jahre 1974 geborene Klägerin hatte zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls am 17.4.1996 das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet. Nach § 90 Abs 2 SGB VII ist daher darauf abzustellen, welches Arbeitsentgelt für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist. Das LSG hat hierbei zutreffend auf den bundesweit geltenden BAT abgestellt, wie er "zur Zeit des Versicherungsfalls", also im Jahre 1996 galt. Das LSG hat dabei § 22 Abs 1 Satz 1 BAT iVm der Allgemeinen Vergütungsordnung (Anlage 1a zum BAT) und weiterhin die Protokollnotiz Nr 1 zu der Vergütungsgruppe II a herangezogen und den Sachverhalt unter die Voraussetzungen dieser Protokollnotiz subsumiert. Die durch das LSG so vorgenommene "fiktive" Eingruppierung der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin in die Vergütungsgruppe BAT II a einzuordnen war (vgl zu der sog Eingruppierungsfeststellungsklage etwa BAG vom 7.5.2008 - 4 AZR 223/07 - ZTR 2009, 25; 15.3.2006 - 4 AZR 157/05 - ZTR 2006, 590; 9.12.1998 - 10 AZR 244/98 - ZTR 1999, 464; 12.8.1998 - 10 AZR 483/97 - ZTR 1999, 80). Die entsprechende Definition in der Vergütungsordnung (Anlage 1a zum BAT) setzt dabei lediglich voraus, dass eine wissenschaftliche Hochschulausbildung abgeschlossen ist. Umfasst sind aber auch Angestellte, "die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben". Insofern hat das LSG festgestellt (§ 163 SGG), dass die Klägerin nunmehr in Bayern als Gymnasiallehrerin in der Besoldungsgruppe A 13 nach dem Bundesbesoldungsgesetz tätig ist. Schon dieser Umstand alleine dürfte bereits ausreichend dafür sein, sie bei der hier erforderlichen fiktiven Prüfung der Vergütungsgruppe II a des BAT zuzuweisen.

16

Dies kann aber dahinstehen, denn nach der Protokollnotiz Nr 1 zur Vergütungsordnung hat die Klägerin auch ein wissenschaftliches Hochschulstudium iS des BAT II a abgeschlossen. Die entsprechende Protokollnotiz Nr 1 lautet: "Wissenschaftliche Hochschulen sind Universitäten, Technische Hochschulen sowie andere Hochschulen, die nach Landesrecht als wissenschaftliche Hochschulen anerkannt sind. Abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung liegt vor, wenn das Studium mit einer ersten Staatsprüfung oder mit einer Diplomprüfung beendet worden ist. Der ersten Staatsprüfung oder der Diplomprüfung steht eine Promotion oder die Akademische Abschlussprüfung (Magisterprüfung) einer Philosophischen Fakultät nur in den Fällen gleich, in denen die Ablegung einer ersten Staatsprüfung oder einer Diplomprüfung nach den einschlägigen Ausbildungsvorschriften nicht vorgesehen ist. Eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung setzt voraus, dass die Abschlussprüfung in einem Studiengang abgelegt wird, der seinerseits mindestens das Zeugnis der Hochschulreife (allgemeine Hochschulreife oder einschlägige fachgebundene Hochschulreife) als Zugangsvoraussetzung erfordert und für den Abschluss eine Mindeststudienzeit von mehr als sechs Semestern - ohne etwaige Praxissemester, Prüfungssemester o. Ä. - vorgeschrieben ist." Hierzu hat das LSG festgestellt, dass die Klägerin insgesamt acht Semester an wissenschaftlichen Hochschulen studiert hat und aus dieser Tatsache den rechtlichen Schluss gezogen, die Voraussetzungen einer "abgeschlossenen wissenschaftlichen Hochschulausbildung" iS der Protokollnotiz Nr 1 der allgemeinen Vergütungsordnung hätten vorgelegen. Die Anwendung dieser Norm auf den Sachverhalt stellt auch die Beklagte selbst nicht in Zweifel. Auch sie geht ersichtlich davon aus, dass die Klägerin bei Absolvierung von acht Studiensemestern eine wissenschaftliche Hochschulausbildung abgeschlossen hätte. Vielmehr trägt sie in ihrer Revisionsbegründung hierzu lediglich vor, die Klägerin habe an der TU K. nur fünf und nicht sechs Semester studiert. Das LSG habe nicht davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin im Wintersemester 1995/96 studiert habe, weil dies ein reines Prüfungssemester gewesen sei. Die Einschätzungen des LSG zu diesem Prüfungssemester seien "lebensfremd" und gingen an der "akademischen Wirklichkeit" vorbei. Mit diesem Vorbringen macht die Beklagte aber keine Verfahrensmängel geltend, durch die die den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG über die Dauer des Studiums der Klägerin in Zweifel gezogen werden könnten(zu den Voraussetzungen einer Rüge des Überschreitens der Grenzen der freien Beweiswürdigung vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - Juris und vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Im Übrigen stellt die Protokollnotiz Nr 1 der Allgemeinen Vergütungsordnung (Anlage 1a zum BAT) selbst ersichtlich nur darauf ab, dass für den "Abschluss eine Mindeststudienzeit von mehr als sechs Semestern vorgeschrieben ist", so dass zweifelhaft ist, ob das vom LSG zu Grunde gelegte Kriterium des achtsemestrigen Studiums, das offensichtlich aus der für die tarifliche Einstufung nicht konstitutiven Einschätzung der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen herrührt, rechtlich überhaupt aus dem BAT bzw der einschlägigen Protokollnotiz abgeleitet werden kann. Nach dem klaren Wortlaut der Protokollnotiz Nr 1 ist jedenfalls lediglich ein Studium mit einer Mindeststudienzeit von mehr als sechs Semestern vorausgesetzt. Auch dies kann aber dahinstehen, weil eine Studiendauer der Klägerin von acht Semestern ohnehin - mangels durchgreifender Verfahrensrügen - für den Senat bindend festgestellt ist. Offenbleiben kann schließlich auch, wie zusätzlich die Tatsache zu werten ist, dass die Klägerin an einer angesehenen schottischen Universität einen Doktortitel erworben hat, was ihre Eingruppierung in BAT II a zusätzlich noch rechtfertigen dürfte.

17

3. Schließlich folgt - entgegen der Rechtsansicht der Revision - auch nichts anderes aus der von ihr angeführten Entscheidung des Senats vom 18.9.2012 (B 2 U 11/11 R = BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2). § 90 Abs 2 SGB VII kommt auch dann zur Anwendung, wenn die Ausbildung tatsächlich rechtzeitig beendet wurde. § 90 Abs 2 SGB VII setzt allein und ausschließlich voraus, dass der Versicherte zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (vgl nur Becker in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 12 f; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 11). Für die Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII kommt es hingegen - wie der Senat am 18.9.2012 (aaO) entschieden hat - maßgebend auf den Zeitpunkt an, "in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre". Hierzu hat der Senat im Einzelnen begründet, dass aus Entstehungsgeschichte, Wortlaut und systematischer Stellung der Norm des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII folge, dass im Falle einer tatsächlich rechtzeitig beendeten Ausbildung eine Neufestsetzung nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht in Betracht kommt(BSG vom 18.9.2012, aaO).

18

§ 90 Abs 2 SGB VII setzt hingegen schon von seinem Wortlaut her nicht voraus, dass der Versicherte zur Zeit des Versicherungsfalls sich überhaupt in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet(vgl Becker, aaO und Schmitt, aaO). Maßgeblich ist ausschließlich das Lebensalter zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls. Folglich stehen die Absätze 1 und 2 des § 90 SGB VII auch nicht in einem Stufenverhältnis derart, dass Abs 2 nur zur Anwendung kommen könnte, wenn die Voraussetzungen des Abs 1 vorliegen. Vielmehr ergänzen sich die Neufeststellungen nach Abs 1 und Abs 2 des § 90 SGB VII, so dass jeweils die Vorschrift anzuwenden ist, die nach Durchführung einer Vergleichsberechnung zu einem höheren JAV führt(vgl nur Rütenik in jurisPK-SGB VII, § 90 RdNr 57). Ist - wie in dem vom BSG am 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - entschiedenen Fall - eine Neuberechnung nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht möglich, weil der Versicherte seine Ausbildung innerhalb der vorgeschriebenen Zeit absolviert hatte, so schließt dies eine Neuberechnung nach § 90 Abs 2 SGB VII also grundsätzlich nicht aus, zumal der Versicherte im Regelfall auch das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfte. Eine "Sperrwirkung" für eine Neufestsetzung des JAV auch nach § 90 Abs 2 SGB VII durch eine fristgemäß abgeschlossene Ausbildung oder ein fristgemäß beendetes Studium, wie sie die Beklagte der genannten Entscheidung des BSG vom 18.9.2012 entnehmen will, ist dort nicht erwähnt und entspricht auch nicht - wie aufgezeigt - Wortlaut und System des § 90 SGB VII.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R

Referenzen - Gesetze

Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R zitiert 11 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 164


(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das an

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 212 Grundsatz


Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 90 Neufestsetzung nach Altersstufen


(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugs

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 214 Geltung auch für frühere Versicherungsfälle


(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 85 Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst


(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. (1a) Der Jahresarbeitsverdi

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 18. Sept. 2012 - B 2 U 11/11 R

bei uns veröffentlicht am 18.09.2012

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 18. Sept. 2012 - B 2 U 14/11 R

bei uns veröffentlicht am 18.09.2012

Tenor Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entschei

Bundessozialgericht Urteil, 15. Sept. 2011 - B 2 U 22/10 R

bei uns veröffentlicht am 15.09.2011

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Urteil, 19. Dez. 2013 - B 2 U 5/13 R.

Sozialgericht Augsburg Urteil, 18. März 2014 - S 8 U 336/13

bei uns veröffentlicht am 18.03.2014

Tatbestand Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Jahresarbeitsverdienst infolge des Abschlusses eines Masterstudiums neu festgesetzt werden muss. Der 1984 geborene Kläger, damals Gymnasiast, wurde am 30. Juli 2002 auf dem

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Juni 2015 - L 2 U 440/11

bei uns veröffentlicht am 18.06.2015

Tenor I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.08.2011 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2009 abgewie

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Juli 2014 - L 2 U 150/13

bei uns veröffentlicht am 08.07.2014

Tatbestand Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund eines Überprüfungsantrages einen Anspruch auf höhere Verletztenrente aufgrund Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) hat. Der 1929 geborene Kl

Bundessozialgericht Urteil, 26. Apr. 2016 - B 2 U 14/14 R

bei uns veröffentlicht am 26.04.2016

Tenor Die Revision wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Referenzen

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente auf Grund eines höheren zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

2

Der 1978 geborene Kläger wurde im Jahre 1986 auf dem Heimweg von der Schule von einem Lkw angefahren und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Rechtsvorgänger der Beklagten (der Rheinische GUV) erkannte den Unfall in einem Bescheid vom 22.7.1988 als Arbeitsunfall an und stellte in dem Bescheid vom 31.1.1994 sein Recht auf Verletztenrente nach einer MdE von 90 vH fest. Dessen Jahreswert ergab sich aus dem Produkt aus dieser MdE und dem JAV. Als JAV wurden der Rentenberechnung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers 40 vH und danach 60 vH (Bescheid vom 12.7.1996) der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße zu Grunde gelegt.

3

Am 1.7.1997 begann der damals 19jährige Kläger bei der J. GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Fachrichtung Anwendungsentwicklung, die er am 15.6.2000 erfolgreich abschloss. Nach dem Ende der Ausbildung schied er aus dem Unternehmen aus und nahm ein Informatikstudium auf.

4

In dem Bescheid vom 4.6.2004 stellte der Rheinische GUV fest, dem Kläger stehe ab 1.7.2000 höhere Verletztenrente zu. Dies ergebe sich aus einem höheren JAV, der gemäß § 90 Abs 1 SGB VII ab dem 16.6.2000, dem Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, auf 21 381,09 EUR festgesetzt werde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Neuberechnung des JAV erfolge auf Grundlage des Verdienstes eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die zur Ermittlung des JAV zu Grunde gelegte Berufsbezeichnung entspreche nicht dem von ihm erreichten Abschluss als "Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung". Mit Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Rheinischen GUV den Widerspruch des Klägers zurück.

5

Mit der Klage zum SG hat der Kläger weiterhin vorgetragen, er habe keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel, sondern eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung absolviert, weshalb von dem ortsüblichen Entgelt eines Fachinformatikers auf dem Gebiet der Anwendungsentwicklung auszugehen sei. Angesichts der mit der Note "gut" abgeschlossenen Ausbildung sei ein JAV von mindestens 30 000,00 EUR angemessen.

6

Mit Urteil vom 31.3.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen JAV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu Grunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB VII sei ein anderer JAV zu Grunde zu legen, weil dieser an dem Entgelt in dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf auszurichten sei.

7

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten am 31.3.2011 das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen. Der JAV sei hier ab dem Tag nach dem Ende der Ausbildung des Klägers und damit ab 16.6.2000 neu festzusetzen gewesen. Es sei nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII der Tarifvertrag des Ausbildungsbetriebs zu Grunde zu legen. Habe - wie hier - ein zum Ausbildungsziel führendes Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz zwischen dem Versicherten und einem Ausbildungsbetrieb bestanden, sei der für dieses Unternehmen seiner Art nach am Stichtag, dh dem Tag nach dem Ende der Ausbildung, geltende Tarifvertrag maßgeblich. Denn maßgebend sei nicht der berufsspezifische, sondern der branchenspezifische Tarifvertrag, der für das Unternehmen generell in Betracht komme. Hierauf sei auch dann abzustellen, wenn der Versicherte nach dem Ausbildungsende aus dem Unternehmen ausscheide, um ein Studium aufzunehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Versicherte im Ausbildungsunternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeit hätte aufnehmen können. Für die ausnahmslose Anknüpfung an den für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach geltenden Tarifvertrag spreche insbesondere der Sinn und Zweck des § 90 SGB VII.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 90 Abs 1 SGB VII. Der Gesetzeswortlaut stelle ausdrücklich darauf ab, dass der Tarifvertrag für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters zu Grunde zu legen sei. Es sei kein gesetzlicher Anhalt dafür ersichtlich, dass an die wirtschaftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs angeknüpft werden könne. Er habe stets unwidersprochen vorgetragen, dass er im technischen und gerade nicht im kaufmännischen Bereich ausgebildet worden sei.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2009 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und (sinngemäß) die gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässige Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage abgewiesen. Der Kläger hat ab dem 1.7.2000 keinen Anspruch auf Feststellung eines noch höheren Werts seines Rechts auf Verletztenrente, als ihm die Beklagte in dem Bescheid vom 4.6.2004 (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008) nach Aufhebung des bis dahin festgestellten niedrigeren Werts insoweit unangefochten neu zuerkannt hatte. Dem Kläger stand kein Anspruch auf höhere Rente unter "Festsetzung" eines höheren JAV nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu, weil er die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet hatte (hierzu unter 1.). Eine analoge Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die vorliegende scheidet aus, weil § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII insofern keine Lücke aufweist (vgl unter 2.).

12

Ein höherer Rentenanspruch hätte für den Kläger gemäß § 56 Abs 3 SGB VII ab dem 1.7.2000 nur bestehen können, wenn ein noch höherer JAV, der zweite Wertfaktor der Rentenhöhe neben seiner unveränderten MdE von 90 vH, rechtlich maßgeblich geworden (= "neu festzusetzen" gewesen) wäre. Obwohl der Versicherungsfall schon 1986, also vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997, eintrat, war dies hier gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII nach § 90 Abs 1 SGB VII zu beurteilen. Danach wird, wenn der Versicherungsfall ua während der Schulausbildung, wie hier, eingetreten ist, falls dies für den Versicherten günstiger ist, der nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII aus Tarifvertrag, hilfsweise aus dem am Betriebsort geltenden Arbeitsentgelt zu ermittelnde neue JAV von dem Zeitpunkt an rechtlich maßgeblich, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

13

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII waren nicht erfüllt. Zwar hatte der Kläger seine Berufsausbildung am 1.7.1997 begonnen. Er hatte sie aber am 15.6.2000 erfolgreich und ohne Verzögerung abgeschlossen.

14

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt, der JAV, wenn es für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt wird, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt einen neuen höheren JAV als den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich gewordenen Ausgangs-JAV mithin nur, wenn die Ausbildung nicht oder verzögert abgeschlossen wurde. Es heißt in der Norm ausdrücklich nicht, dass der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen ist, in dem die Ausbildung "beendet wurde oder" ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Die Vorschrift setzt damit als Zeitpunkt für die Neufestsetzung des JAV einen fiktiven Zeitpunkt fest, nämlich den, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

15

Der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII liegt wegen des hypothetisch formulierten Wortlautes ("voraussichtlich beendet worden wäre") und nicht zuletzt auch auf Grund der Überschrift der Norm ("Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen") der typisierende Gedanke zu Grunde, dass der zuvor erlittene Versicherungsfall der Grund dafür ist, dass die Ausbildung später als vorgesehen oder überhaupt nicht abgeschlossen wurde. Für eine solche Sichtweise spricht im Übrigen auch § 90 Abs 4 SGB VII, der § 90 Abs 1 SGB VII ergänzt. Danach wird für den Fall, dass sich bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Beginn der Berufsausbildung auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten, ein bestimmter näher bezeichneter Wert des JAV festgelegt. Eine solche Unmöglichkeit der Feststellung ist indes aber nur für Fälle denkbar, in denen die Berufsausbildung nicht plangemäß abgeschlossen wurde, in denen also eine fiktive Betrachtungsweise erforderlich ist.

16

Für eine strikte Begrenzung der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf die Fälle der verzögerten oder nicht beendeten Ausbildung spricht auch die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Norm. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) heißt es, die Vorschrift enthalte eine Neuregelung über eine pauschalierte, an der Bezugsgröße orientierte Neufestsetzung des JAV für bestimmte Unfälle im Kindesalter. In der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung hätten sich bei der Anwendung des § 573 RVO dann Feststellungsschwierigkeiten ergeben, wenn sich der Versicherungsfall im frühen Lebensalter ereignet habe und sich weder aus der Zeit vor dem Versicherungsfall noch aus dem weiteren Werdegang des Kindes nach dem Versicherungsfall ausreichende Anhaltspunkte über dashypothetische Ausbildungsziel (ohne den Unfall) herleiten ließen (BT-Drucks 13/2204, S 96).

17

Auch die Vorgängervorschriften des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthielten - in unterschiedlicher Ausprägung - jeweils hypothetische (typisierende) Elemente. Der Grundsatz, dass bei der Rentenberechnung von den Einkommensverhältnissen des Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall auszugehen ist, gilt seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl S 69). Als Ergänzung war geregelt, dass zugunsten des Verletzten für das letzte Jahr vor dem Arbeitsunfall ein (fiktiver) Arbeitsverdienst anzunehmen ist, wenn der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr in dem Betrieb beschäftigt war oder keinen Lohn oder weniger als das 300fache des ortsüblichen Tagelohns bezogen hatte (vgl etwa § 5 Abs 3 bis 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 10 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5.7.1900 - RGBl S 573, 585 - und §§ 563 ff RVO vom 19.7.1911 - RGBl S 509). Ein hypothetisch-typisierendes Element enthielt dann die mit Art 11 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20.12.1928 (RGBl I 405) für Versicherte, die im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt sind, neu eingefügte Sondervorschrift des § 569b RVO, dessen Abs 3 folgenden Wortlaut hatte: "War der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in seiner Berufs- oder Schulausbildung begriffen, so ist für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ein Erwerbseinkommen zu Grunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde".

18

Auch in dem mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) neu eingefügten § 565 RVO wird auf einen fiktiven Gesichtspunkt abgestellt. Dessen Abs 1 lautete wie folgt: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung, so wird von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen worden wäre, der Jahresarbeitsverdienst nach dem Entgelt berechnet, der dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach Vollendung seines dreißigsten Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen."

19

Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz ) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) geschaffene § 573 RVO ist die unmittelbare Vorgängerregelung des § 90 SGB VII und war in seinem Abs 1 wie folgt formuliert: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet". Wenngleich das hypothetische Element in dieser Vorschrift mit dem Wort "voraussichtlich" nicht mehr so deutlich in Erscheinung tritt wie in § 565 RVO, waren inhaltliche Änderungen nicht beabsichtigt. Denn in der Begründung zum Entwurf des UVNG heißt es zur Regelung des § 573 RVO(§ 574 RVO in der Entwurfsfassung, BT-Drucks IV/120, S 11, 57): "Auch für Jugendliche und in der Ausbildung befindliche Verletzte sieht bereits § 565 RVO einen Ausgleich für Mindereinnahmen vor. Diese Regelung wird in § 574 beibehalten."

20

Aus diesen Vorgängervorschriften des § 90 SGB VII(vgl zur Entwicklung seit 1884 bis zur Schaffung des § 573 RVO auch: Windelen, SGb 1970, 408) und dem der heutigen Fassung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jeweils ähnlichen bzw sogar gleich lautenden Wortlaut, sowie aus dem Umstand, dass sich Anhaltspunkte für eine andere Sichtweise aus allen angeführten Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen lassen, folgt, dass von § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht diejenigen Fallgestaltungen erfasst werden sollen, in denen die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen worden ist noch sie sich verzögert hat(vgl auch BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - Juris RdNr 20, SozR 3-2700 § 90 Nr 1; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 27).

21

In § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII wurde mithin nur die Voraussetzung in das Gesetz aufgenommen, dass die Ausbildung sich verzögert hatte oder ggf aus sonstigen Gründen nicht beendet wurde. Denn nur in solchen Fällen wurde durch den ursprünglichen Versicherungsfall in abstrakter, typisierender Wertung, also nicht als tatbestandliche Voraussetzung im Einzelfall, ein weiterer Schaden verursacht. Nur dieser (typisierend angenommene) zusätzliche Folgeschaden des Versicherungsfalls rechtfertigt ausnahmsweise eine Ersetzung des Ausgangs-JAV durch einen neuen (günstigeren) JAV. Für diesen ist das hypothetische Arbeitsentgelt bestimmend, das in einem Tarifvertrag oder hilfsweise am Beschäftigungsort üblicherweise in dem Zeitpunkt der voraussichtlichen (aber eben nicht eingetretenen) Beendigung der Ausbildung für Personen gleicher Ausbildung und Alters vorgesehen ist (und ohne den Ausfall oder die Verzögerung des Ausbildungsabschlusses bei Beendigung der Ausbildung typischerweise voraussichtlich erzielt worden wäre). Die Verletzten, die ihre Ausbildung rechtzeitig beenden, haben typischerweise zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Nachteil, weil sie entsprechend höher entlohnt werden.

22

Sachgrund für diese gesetzliche, also materiell-rechtlich direkt eintretende Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV ist, dass es unbillig wäre, solche jungen Verletzten trotz des weiteren Folgeschadens an diesem JAV festzuhalten. Damit durchbricht diese Ausnahmeregelung, wie alle in § 90 SGB VII geregelten Ausnahmen, materiell-rechtlich den gesetzlichen Grundsatz, dass der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebliche Ausgangs-JAV für die gesamte Zeit, für die das Recht besteht, maßgeblich bleibt. Dieser Sachgrund der Norm spricht im Übrigen dagegen, dass die Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) zugunsten von Verletzten mit zeitgerechtem Ausbildungsabschluss korrigiert werden müsste (vgl hierzu im Einzelnen unten 2. c).

23

2. Das Begehren des Klägers hätte daher nur Erfolg haben können, wenn § 90 Abs 1 SGB VII analog anzuwenden gewesen wäre und dies einen noch höheren neuen JAV ergeben hätte, als von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 4.6.2004/13.2.2008 zu Grunde gelegt wurde. § 90 Abs 1 SGB VII ist aber auf Verletzte, die ihre Ausbildung zeitgerecht abgeschlossen haben, nicht entsprechend anzuwenden.

24

a) Die Voraussetzungen für eine Analogie, nach der sich die Anwendung der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch auf die Fallgestaltungen erstrecken würde, in denen die Ausbildung plangemäß abgeschlossen worden ist, sind jedoch nicht gegeben. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn 1. eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, 2. der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und 3. beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl BSG, Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R, SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Verweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff).

25

b) Es fehlt hier bereits an der ersten Voraussetzung einer zulässigen Analogie, dem Vorliegen einer Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, denn die Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthält keine planwidrige Unvollständigkeit. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gesetz den Kreis derjenigen, die bei typisierender Bewertung ihrer Schutzbedürftigkeit ausnahmsweise nicht weiter der Regelberechnung des JAV unterliegen, nur unvollständig erfasst hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt bei der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung von beurlaubten Berufssoldaten BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 21, SozR 4-4100 § 169 Nr 1). Vielmehr erfasst das Gesetz im Rahmen der Neufeststellungsansprüche Fallgestaltungen, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass es unbillig ist, für die Gewährung der Verletztenrente das tatsächliche Arbeitseinkommen der jeweils erfassten Personenkreise bei der Ermittlung des JAV zu Grunde zu legen. Insofern liegt dem § 90 SGB VII(iVm den §§ 82 ff SGB VII) ein stimmiges Konzept zu Grunde.

26

aa) § 90 Abs 1 SGB VII entspricht - wie bereits oben zu 1. dargestellt - im Wesentlichen dem am 1.1.1997 außer Kraft getretenen § 573 Abs 1 RVO(vgl Begründung zu Art 1 § 90 des Entwurfs eines UVEG, BT-Drucks 13/2204 S 96), der seinerseits mit Wirkung vom 1.7.1963 durch Art 1 des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241) in die damals neugefasste RVO übernommen wurde und dem der in wesentlichen Teilen inhaltsgleiche § 565 RVO vorausging, der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) in die RVO eingefügt worden war.

27

Nach der bereits dargestellten Zweckbestimmung des § 90 Abs 1 SGB VII sollen - ebenso wie bei den genannten Vorgängervorschriften - Personen, die schon vor oder während der Zeit der Ausbildung für einen Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung - bei höherem JAV - erlitten(vgl BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R, Juris RdNr 17, SozR 3-2700 § 90 Nr 1 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90, HV-Info 1992, 598 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 RdNr 2, Stand: 01/2007; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 4). Die zum Unfall führende Tätigkeit muss bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein. Insoweit muss also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; vielmehr genügt der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung (BSGE 38, 216, 218, 219 = SozR 2200 § 573 Nr 2; BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9; BSG, Urteil vom 24.6.1981 - 2 RU 11/80 - EzS 128/79; Ricke in: Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII RdNr 4, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 4, Stand: März 2012).

28

Die in § 90 SGB VII normierten Neufestsetzungsansprüche regeln dabei im Einzelnen, weshalb eine notwendigerweise vorangehende Erstfeststellung der Höhe der Rente wegen eines nachträglich gemäß § 90 SGB VII erheblich gewordenen hypothetischen Umstandes, der zu einem günstigeren JAV zu einem späteren Zeitpunkt führte, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufgehoben und ein höherer Rentenwert neu festgesetzt werden muss, worauf der Versicherte ggf einen Anspruch hat.

29

bb) Grundsätzlich wird durch die gesetzliche Unfallversicherung mittels der (hier umstrittenen) Verletztenrente (anteilig nach dem MdE-Grad) das durch den Versicherungsfall abstrakt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im weiteren Leben (möglicherweise) nicht mehr erzielbare Gesamteinkommen ersetzt. Deshalb wird zu dessen Schätzung im Rahmen der §§ 82 ff SGB VII grundsätzlich auf das Gesamteinkommen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall abgestellt, weil dies auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zumeist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das wirtschaftliche Ergebnis bildet, das der Verletzte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich (weiterhin) erlangt hätte.

30

Dies geschieht aber schon bei der Erstfeststellung nicht schematisch, sondern mit Blick auf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung in diesem Jahr den wirtschaftlichen Standard wiedergibt, wie er ohne den Versicherungsfall fortbestanden hätte.

31

Im Rahmen der Regelberechnung regelt das Gesetz ab § 82 Abs 1 Satz 2 SGB VII bis § 86 sowie in § 88 SGB VII im Einzelnen Fallgruppen, in denen ua die Regelberechnung aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII keine gerechte oder billige Grundlage für die Schätzung des Entgangenen bildet. Soweit die Grundregelung und diese speziellen gesetzlichen Regelungen gleichwohl zu einem im Einzelfall erheblich unbilligen Ergebnis führen, sieht § 87 SGB VII subsidiär für die meisten von ihnen eine Einzelfall-Schätzung des JAV nach billigem Ermessen vor.

32

Schon bei der Erstfestsetzung der Rentenhöhe werden zur Schätzung des JAV ua nach § 82 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 82 Abs 4 SGB VII Hypothesen über den ohne den Versicherungsfall fortgesetzten oder erstmals eingetretenen Einkommensverlauf relevant. Schon hier hat das Gesetz die besondere Problematik der Regelberechnung für Berufsanfänger speziell aufgegriffen. Insbesondere § 82 Abs 2 Satz 3 SGB VII zeigt, dass die Erstschätzung des JAV vom Gesetz dann für möglicherweise "unangemessen" gehalten wird, wenn der Versicherungsfall binnen einen Jahres nach Abschluss der Berufsausbildung eintritt. Dann kann es unbillig sein, den Versicherten an einer ungünstigen Regelberechnung nach dem letzten Kalenderjahr vor dem Versicherungsfall festzuhalten, weil das keine angemessene Basis für die Schätzung ist, was er ohne den Versicherungsfall erlangt hätte.

33

cc) Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die Regelberechnung der Erstfeststellung allerdings grob unangemessen werden, wenn unberücksichtigt bleibt, dass ihr danach vermutlich fortgesetztes Gesamteinkommen (JAV der Erstfeststellung) unter Umständen nicht das wiedergibt, was sie im späteren Leben ohne den Versicherungsfall voraussichtlich als Einkommen zur Lebensführung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt hätten erlangen können. Dann würde schon abstrakt nicht hinreichend beachtet, welche Einbußen der Versicherungsfall zur Folge hatte.

34

Der Gesetzgeber hat diese Problematik in § 90 Abs 1 bis § 90 Abs 6 SGB VII typisierend geregelt. Alle Absätze der Vorschrift regeln Ansprüche auf Neufestsetzung der Höhe von Versicherungsleistungen (also Aufhebung des Höchstwerts der bisherigen Wertfestsetzung des Rechts auf Leistung und Feststellung eines höheren Werts), die von einem zuvor bereits festgestellten, dh als maßgeblich zu Grunde gelegten JAV abhängen. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass zeitlich danach ein Ereignis (in hypothetischer und typisierender Beurteilung wegen des Versicherungsfalls) nicht oder verspätet eingetreten ist, das ein höheres Gesamteinkommen/Arbeitsentgelt erbracht hätte als es bei der Erstfestsetzung des JAV zu Grunde gelegt worden ist.

35

Den einzelnen Absätzen des § 90 SGB VII liegt damit das folgende stimmige Konzept zu Grunde:

-       

§ 90 Abs 1 SGB VII regelt zunächst Folgendes: Tritt der Versicherungsfall vor oder während der Schul- oder Berufsausbildung ein und ist der Höchstwert des Rechts auf Leistung bereits wirksam festgestellt, ist dieser aufzuheben und ein höherer Wert neu festzustellen, falls der JAV für den Versicherten günstiger ist, der sich nach Maßgabe von § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII für den Tag ergibt, an dem der Versicherte seine Ausbildung voraussichtlich beendet hätte. Hat er sie an diesem Tag beendet, gibt es keinen Raum für eine hypothetische Prüfung. Auch ist ihm, der seine Ausbildung pünktlich abgeschlossen hat, in der für das Gesetz erlaubten typisierenden Betrachtung kein weiterer Nachteil aus dem Versicherungsfall entstanden, weil er typischerweise nicht durch den Versicherungsfall gehindert ist, ein dem Tarifentgelt des § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII entsprechendes Gesamteinkommen zu erzielen.

-       

Ist hingegen der Versicherungsfall vor der Berufsausbildung eingetreten und die Erstfeststellung des Höchstwerts der Versicherungsleistung wirksam festgestellt worden und vollendet der Versicherte das 21. Lebensjahr (oder später das 25. Lebensjahr) und lässt sich nicht feststellen, welches Ausbildungsziel der Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, ist der JAV ab diesem Tag mit 75 vH der Bezugsgröße (später 100 vH) anzusetzen (§ 90 Abs 1 iVm § 90 Abs 4 SGB VII).

-       

§ 90 Abs 2 SGB VII erfasst dann die Fälle, in denen nach der Erstfeststellung bei unter dreißigjährigen Versicherten diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres an tarifvertraglichen oder ortsüblichen Erhöhungen des Arbeitsentgelts nicht teilgenommen haben, die zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit für den späteren Fall vorgesehen waren, dass sie ein bestimmtes Berufsjahr erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hatten. Ihnen ist in der gesetzlichen typisierenden Betrachtung regelmäßig wegen des Versicherungsfalls die Entgelterhöhung entgangen. Wenn diese einen günstigeren JAV brächte, besteht ein Neufeststellungsanspruch.

-       

Hat in den Fällen von § 90 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII der Versicherungsfall eine Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht, entsteht gemäß § 90 Abs 3 SGB VII, falls es günstiger ist, ein Neufeststellungsanspruch jeweils und sogar über das 30. Lebensjahr hinaus, falls zur Zeit des Versicherungsfalls tarifvertraglich oder ortsüblich spätere Entgelterhöhungen nach Lebensalter, Berufsjahren oder Ablauf von Bewährungszeiten vorgesehen sind und diese Voraussetzungen erfüllt werden.

-       

Unter Berücksichtigung des § 90 Abs 5 und des § 90 Abs 6 SGB VII sowie insbesondere auch der subsidiären Billigkeitsregelung in § 91 SGB VII mit der nochmals subsidiären Neufeststellung nach billigem Ermessen ergibt sich damit ein stimmiges Konzept, das typisierend Fallgestaltungen regelt, in denen das Gesetz typische Fälle erfasst, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das eigentlich nach der Regelberechnung der §§ 82 ff SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitseinkommen als unbillig erscheint. Dementsprechend ist es auch nicht gesetzesplanwidrig, dass eine Neufeststellung dann nicht beansprucht werden kann, wenn aus dem Versicherungsfall (typisch gesehen) kein durch den Versicherungsfall bedingter weiterer Einkommensnachteil eingetreten ist, der von der Regelberechnung nicht erfasst wäre.

-       

Im Übrigen wird selbst bei denjenigen, die lediglich von der Regelberechnung erfasst werden und keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 90 SGB VII haben, im Falle eines besonders niedrigen Erwerbseinkommens im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall in jedem Fall entweder der Mindest-JAV des § 85 SGB VII oder - bei Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - ein besonders gesetzlich festgelegter JAV zu Grunde gelegt (§ 86 SGB VII).

36

Wenn danach ein stimmiges Konzept für die Fallgestaltungen vorliegt, in denen es dem Gesetz unbillig erscheint, die jeweils erfassten Personenkreise an ihrem (zu niedrigen) JAV nach Maßgabe der Regelberechnung nach den §§ 82 ff SGB VII festzuhalten, liegt für die Fallgestaltungen, in denen die Ausbildung - wie hier - plangemäß abgeschlossen worden ist, keine ausfüll-bare Gesetzeslücke vor. Dementsprechend kann § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch nicht zu Gunsten des Klägers analog angewandt werden. Das BSG ist nicht dazu befugt, eine - wie oben ausgeführt - rechtlich vollständige, sozial- oder rechtspolitisch jedoch von einzelnen Personen oder Gruppen als defizitär empfundene Regelung fortbildend zu ergänzen und sich damit unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) in die Rolle einer normsetzenden Instanz zu begeben (so auch BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 22, SozR 4-4100 § 169 Nr 1 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194; 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280; ferner BVerfGE 96, 375, 394 f; 113, 88, 103).

37

c) Die entgegenstehenden, damals nicht tragenden und nicht näher begründeten Ausführungen in der zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII ergangenen Entscheidung des Senats vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - (SozR 3-2700 § 90 Nr 1; vgl zuvor zu § 573 RVO: BSG, Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81 - SozR 2200 § 573 Nr 11) können demgemäß nicht aufrechterhalten bleiben, zumal die Voraussetzungen der Analogie dort nicht geprüft worden sind. Gleiches gilt für die eine solche Analogie befürwortenden Stimmen in der Literatur, die sich - soweit ersichtlich - nicht mit den rechtssystematischen Voraussetzungen der Analogiefähigkeit des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auseinandersetzen und lediglich die Entscheidung des BSG vom 7.11.2000 (aaO) zustimmend zitieren (vgl etwa Ricke in Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII, RdNr 5, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 9a, Stand: März 2012; Burchardt in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 90 RdNr 18a, Stand: März 2007; Rütenik in: juris-PK SGB VII, 1. Aufl 2009, § 90 RdNr 42; Dahm in: Lauterbach, UV , § 90 RdNr 18, Stand: Oktober 2006; Becker in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 5; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 90 RdNr 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 SGB VII, RdNr 8.5, Stand 01/2007; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 7; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 90 RdNr 27).

38

Die Methode der Analogie ist eine verfassungsrechtlich anerkannte Form der richterlichen Rechtsfortbildung (vgl zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN). Sie ist allerdings von der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen (BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194). Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (BVerfGE 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280). Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann eingesetzt werden, wenn das Gericht auf Grund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054). Eine derartige Lücke ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BVerfG NJW 1992, 1219; BVerfGE 65, 182, 194). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese - auch im Interesse der Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger - nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so ggf im Parlament gar nicht erreichbar war (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054; BVerfGE 82, 6, 12). So spricht die Entscheidung des BSG im zum alten Recht ergangenen Urteil vom 15.6.1983 (aaO, S 35) ohne nähere Gesetzesprüfung von einem "wenig einleuchtenden Ergebnis", das zu korrigieren sei. Eine solche Betrachtungsweise entspricht aber gerade nicht den strengen Voraussetzungen für die "Lücken"schließung durch Analogie. Eine Lücke im Gesetz liegt vielmehr nur dort vor, wo es eine Regelung weder ausdrücklich noch schlüssig getroffen hat und es deshalb nach dem Konzept des Gesetzes, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist. Keine Gesetzeslücke liegt also vor, wenn die Nichtregelung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände entspricht, seine richterliche Ergänzung also dem "Willen des Gesetzes" widerspricht. Es muss sich um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (stRspr des BSG, vgl zB Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5; Urteil des Senats vom 27.5.2008 - B 2 U 21/07 R, Juris RdNr 17, UV-Recht Aktuell 2008, 1162; Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f; BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4; BSGE 63, 120, 131 = SozR 4100 § 138 Nr 17 S 92; BSGE 25, 150, 151; BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1; vgl auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983, S 39, 197 f), die hier - wie soeben im Einzelnen unter 2 b) dargestellt - gerade nicht vorliegt.

39

Insbesondere verstößt § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Es liegt weder eine willkürliche Regelung noch eine ungerechtfertigte Nichtbeachtung, geschweige denn eine unverhältnismäßige, von sachlichen Unterschieden zwischen beiden Personengruppen vor.

40

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII soll - wie oben unter 1. ausgeführt - bei Schülern und Auszubildenden einen typisierenden zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls ausgleichen, nämlich die Tatsache, dass eine Ausbildung nach dem Versicherungsfall lediglich mit Verzögerungen oder überhaupt nicht beendet wurde. Dieser typisierte Schadensfall liegt bei dem Kläger und der von ihm repräsentierten Fallgruppe aber gerade nicht vor, weil die Ausbildung fristgerecht beendet wurde. Solche Versicherte haben daher, in der typisierenden Betrachtung des Gesetzes, keine weiteren (hypothetischen) Nachteile wegen des Versicherungsfalls erlitten. Zwischen den beiden Gruppen - privilegierte Verletzte mit verzögertem oder ausgefallenem Ausbildungsabschluss und typisiert unterstelltem Verzögerungsschaden einerseits und nicht durch § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII privilegierte Verletzte mit fristgerechtem Ausbildungsabschluss - bestehen daher gerade sachliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht(vgl BVerfGE 55, 72, 88; 84, 133, 157; 84, 197, 199; 85, 238, 244; 87, 1, 36; 95, 39, 45), dass sie vielmehr eine Ungleichbehandlung beider Gruppen im Lichte des Art 3 Abs 1 GG geradezu geboten erscheinen lassen. Denn andernfalls würde bei einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss ein (hypothetischer) "Verzögerungsschaden" ersetzt, der tatsächlich überhaupt nicht vorliegt. Dadurch käme es wohl zu einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.

41

Soweit sich der Senat in der Entscheidung vom 7.11.2000 (aaO) ergänzend auf frühere Entscheidungen des BSG zur anders formulierten Vorgängerregelung des § 573 RVO berufen hat(Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr 11; sowie Urteil vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2), kann im Übrigen dahinstehen, inwieweit § 573 RVO einer entsprechenden Analogie tatsächlich zugänglich gewesen ist. Denn erst durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ist das soeben umrissene stimmige Konzept auch deutlich formuliert worden.

42

Da der Kläger durch die angefochtene Höchstwertfestsetzung bereits mehr erhielt, als ihm nach dem Gesetz zusteht, konnte sein Begehren auf noch höhere Rente keinen Erfolg haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente ab 1.7.1991.

2

Der 1971 geborene Kläger erlitt im Jahre 1989 auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, die er am 1.8.1988 begonnen hatte und die am 31.7.1990 enden sollte. Der Kläger bezieht Rente aufgrund dieses Arbeitsunfalls. Sein Recht hierauf wurde ihm im Bescheid vom 5.12.1990 ab dem 1.10.1990 zuerkannt. Dessen Jahreswert wurde anfänglich mit 7798,90 DM (650 DM monatlich) festgestellt. Er ergab sich aus dem Produkt einer MdE von 50 vH und dem JAV von 23 396,69 DM.

3

Der JAV ergab sich aus dem zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls anzusetzenden Ausgangs-JAV von 22 680 DM (= 60 vH der Bezugsgröße von 37 800 DM), der zum 1.7.1990 im Rahmen der allgemeinen Rentenanpassung mit dem Anpassungsfaktor von 1,0316 vervielfältigt worden war. Dieser JAV wurde in der Folgezeit mehrfach gesetzlich angepasst.

4

Allerdings hatte sich der Abschluss der Ausbildung des Klägers aufgrund des Versicherungsfalls über den vorgesehenen 31.7.1990 hinaus verzögert. Deshalb hatte die Beklagte zuvor nach § 573 Abs 1 Satz 1 und 2 RVO auch die tariflichen und ortsüblichen Entgelte für einen Verkäufer, der am 31.7.1990 seine Berufsausbildung beendet hatte und zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt war, mit dem Ergebnis geprüft, dass diese Entgelte für den Kläger ungünstiger waren.

5

Mit Schreiben vom 9.10.2008 beantragte der Kläger eine Neuberechnung seiner "Rente rückwirkend ab 1991" unter Berücksichtigung des Tarifvertrages für den Einzelhandel, weil sie "bereits seit 1991" zu niedrig berechnet worden sei.

6

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 17.10.2008 eine Überprüfung mit der Begründung ab, dass der JAV korrekt festgestellt worden sei. Eine erneute Überprüfung gemäß § 573 RVO(heute § 90 SGB VII) aufgrund einer neuen Ausbildung oder Umschulung sehe der Gesetzgeber nicht vor. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt. Am 24.12.2008 wandte sich der Kläger in einem weiteren Schreiben an die Beklagte und verwies auf § 214 SGB VII. Er reichte eine Bescheinigung seines (früheren) Arbeitgebers vom 4.12.2008 über die Lohnentwicklung bei Weiterbeschäftigung nach dem Ausscheiden im Jahr 1992 sowie den Tarifvertrag für den niedersächsischen Einzelhandel von 1988/1989 ein; dieser sehe eine Steigerung nach Berufsjahren vor, die für ihn ab dem 1.7.1991 greife.

7

Mit Schreiben vom 28.1.2009 erklärte die Beklagte, die erstmalige Festsetzung des JAV sei mit dem Bescheid vom 5.12.1990 erfolgt. Hierin sei bereits die Überprüfung des JAV gemäß § 573 RVO enthalten. Eine erneute JAV-Überprüfung aufgrund einer erneuten Ausbildung oder Umschulung sei weder im SGB VII noch in der RVO vorgesehen. Die Übergangsvorschrift des § 214 SGB VII sei nicht anwendbar. Das SGB VII sei am 1.1.1997 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt sei der JAV bereits rechtswirksam festgestellt gewesen.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2009 wies die Beklagte einen nicht benannten Widerspruch des Klägers "gegen den Verwaltungsakt vom 17.10.2008" zurück, der sich gegen die Ablehnung der Neufestsetzung des JAV richte. Es sei 1989 bei Vollendung des 18. Lebensjahres nach § 573 Abs 2 RVO geprüft worden, ob ein höherer JAV maßgeblich geworden sei. Der einschlägige Tarifvertrag habe aber keine Erhöhung des Entgelts nach Lebensalter vorgesehen. § 90 SGB VII sei nach der Übergangsvorschrift des § 214 Abs 2 SGB VII nicht anwendbar, weil der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII zum 1.1.1997 eingetreten und der JAV zu diesem Zeitpunkt bereits einschließlich der Überprüfung zum Ausbildungsende rechtswirksam festgestellt gewesen sei.

9

Das SG hat die Klagen, mit denen der Kläger eine Abänderung des Bescheides vom 5.12.1990 und eine Neuberechnung seiner Rente ab 1.1.1991 begehrt hatte, mit Gerichtsbescheid vom 26.5.2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich für eine Neufeststellung der Jahresarbeitsverdienste ab 1991 wegen der fiktiven Lohnerhöhungen im Rahmen einer Beschäftigung bei der seinerzeitigen Ausbildungsfirma weder in der zunächst maßgeblichen RVO noch in dem später geltenden SGB VII eine Anspruchsgrundlage finde.

10

Der Kläger hat mit seiner Berufung beantragt, den Gerichtsbescheid und den Bescheid der Beklagten vom 17.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2009 "aufzuheben" und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente unter Neufestsetzung des JAV nach Maßgabe des § 90 Abs 2 SGB VII seit dem 1.7.1991 zu gewähren.

11

Das LSG hat durch Urteil vom 17.6.2011 den Gerichtsbescheid des SG und den Bescheid der Beklagten vom 17.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2009 "aufgehoben" und die Beklagte "dem Grunde nach verurteilt", dem Kläger ab 1.1.2004 Verletztenrente unter Neufestsetzung des JAV "auf der Grundlage der Regelungen der §§ 90 Abs. 2, 212, 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII" zu gewähren. Es hat die Berufung "im Übrigen" zurückgewiesen. Der Kläger habe einen "Anspruch auf Neufestsetzung des JAV" ab dem 1.1.1997 nach § 90 Abs 2 SGB VII sowie "auf Gewährung von Verletztenrente" ab dem 1.1.2004. Soweit sein Berufungsbegehren auf Gewährung von Leistungen bereits ab dem 1.7.1991 gerichtet sei, sei die Berufung unbegründet. Über § 214 Abs 2 SGB VII sei hier § 90 Abs 2 SGB VII anwendbar, weil der Kläger erst nach Inkrafttreten des SGB VII in den Anwendungsbereich der neuen Altershöchstgrenze von 30 Jahren gelangt sei und der Tarifvertrag für den niedersächsischen Einzelhandel von 1988/1989 auch für Zeiten ab dem 1.1.1997 Entgelterhöhungen nach Berufsjahren vorsehe. Ob dies zu einem dem Kläger günstigeren JAV führe, müsse die Beklagte nun ermitteln. Hingegen sei eine Leistungserbringung für Zeiten vor dem 1.1.2004 ausgeschlossen, weil es einen allgemeinen Rechtsgedanken gebe, der dies entsprechend § 44 Abs 4 SGB X für Zeiten vor dem vierten Jahr vor dem Jahr der Antragstellung (hier 2008) schlechthin ausschließe.

12

Hiergegen wenden sich der Kläger und die Beklagte mit ihren Revisionen.

13

Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 90 Abs 2, 214 Abs 2 SGB VII, 44 SGB X. Die Rechtsansicht des LSG, dass der Neufestsetzungsanspruch auf die Zeit ab dem 1.1.2004 beschränkt sei, sei unzutreffend, weil es hier nicht darum gehe, ob der Erstbescheid aus dem Jahre 1990 rechtswidrig gewesen sei. Vielmehr habe die Beklagte die erforderliche Neufestsetzung einfach unterlassen. Der Anspruch auf eine Neufestsetzung ab dem Jahre 1991 folge ohne jede Einschränkung aus § 573 Abs 2 RVO. § 44 Abs 4 SGB X komme nicht zur Anwendung. Zum 1.7.1991 wäre die Beklagte von Amts wegen verpflichtet gewesen, den JAV neu festzusetzen. Für die Zeit ab 1.1.1997 folge der Anspruch auf Neufestsetzung aus §§ 90 Abs 2, 212, 214 Abs 2 SGB VII.

14

Der Kläger beantragt,

1.    

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen vom 17. Juni 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Mai 2010 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der einen höheren Rentenwert ablehnenden Entscheidung im Bescheid vom 17. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2009 die Festsetzung des Höchstwerts des Rechts auf Rente im Bescheid vom 5. Dezember 1990 aufzuheben, ab 1. Juli 1991 einen höheren Wert dieses Rechts unter Zugrundelegung der Angaben der Firma K. GmbH & Co. KG über Jahresarbeitsentgelte seit 1991, zumindest aber der Vergütungsgruppe III des Tarifvertrags für den niedersächsischen Einzelhandel festzusetzen, und ihm seitdem entsprechend höhere Rente zu zahlen,

2.    

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

15

Die Beklagte beantragt,

1.    

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Juni 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2010 abzuweisen,

2.    

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

16

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII. Der Kläger habe 1989 einen Unfall erlitten und 1996 das 25. Lebensjahr vollendet. Nach dem Regelungskonzept der §§ 212 ff SGB VII habe vermieden werden sollen, dass solche vor Inkrafttreten des SGB VII bereits abgeschlossenen Versicherungsfälle erneut wieder aufgegriffen werden müssten. Die Ausnahmevorschrift des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII komme nur zur Anwendung, wenn der JAV ab dem 1.1.1997 erstmals festzusetzen sei oder ausnahmsweise eine Neufestsetzung erforderlich werde. Ein solcher Ausnahmefall sei beim Kläger nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

17

Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob und ab welchem Zeitpunkt dem Kläger ein Anspruch auf höhere Verletztenrente aufgrund der Feststellung eines höheren JAV zustand. Zu Recht hat das LSG allerdings rechtsgutachtlich ausgeführt, dass der am 1.1.1997 in Kraft getretene § 90 Abs 2 SGB VII(über § 214 Abs 2 SGB VII) auf den Kläger Anwendung findet (hierzu unter 2.). Ebenfalls im Grundsatz zu Recht hat das LSG ausgeführt, dass ein möglicher Zahlungsanspruch lediglich für die Zeit ab dem 1.1.2004 bestand, weil der Kläger seinen Antrag erst im Jahre 2008 gestellt hatte. Dies folgt bereits aus § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 44 Abs 4 SGB X (hierzu unter 3.). Letztlich konnte der Senat aber nicht entscheiden, welcher der Beteiligten im Übrigen Recht hatte, und musste den Rechtsstreit an das Tatsachengericht zur Nachholung der tatsächlichen Feststellungen zurückgeben (vgl unter 4.).

18

1. Das LSG ist schon fehlerhaft und unter Verkürzung des Klägerbegehrens, das stets letztlich auf eine höhere Verletztenrente ab dem 1.7.1991 gerichtet war, davon ausgegangen, Streitgegenstand der Klagen sei nur ein Anspruch auf Neufeststellung des JAV nach § 90 Abs 2 SGB VII. Nach Bundesrecht ist aber jedenfalls seit Inkrafttreten des SGB VII eine Feststellung sowie eine Neufeststellung eines JAV ua schon mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen kein mit der Anfechtungsklage anfechtbarer oder mit der Verpflichtungsklage einklagbarer Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X. Die (Neu-)Feststellung eines JAV ist jeweils nur die verwaltungsinterne Klärung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Werts des Rechts auf Verletztenrente als solches oder eines anderen Rechts. Erst diese Wertfeststellung ist der Verwaltungsakt. § 90 SGB VII regelt nur bestimmte typisierte Fälle, in denen ein anderer JAV als der Ausgangs-JAV nachträglich materiell-rechtlich maßgeblich wird und, sofern kein anderer wertbildender Faktor sich gegenteilig geändert hat, zu einer iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X erheblichen wesentlichen rechtlichen Veränderung des Wertes des jeweiligen Rechts führt.

19

Der Kläger hatte am 9.10.2008 von der Beklagten begehrt, die im Bescheid vom 5.12.1990 getroffene Feststellung des Höchstwerts seines ihm in demselben Bescheid zuerkannten Rechts auf Verletztenrente ab dem 1.7.1991 wegen einer Erhöhung dieses Wertes aufgrund einer materiell-rechtlichen Änderung des JAV nach § 573 Abs 2 RVO, ab 1997 nach § 90 Abs 2 SGB VII, gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben. Ferner sollte die Beklagte den neuen gesetzlichen Rentenwert feststellen und entsprechend höhere Rente zahlen. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 17.10.2008 die vom Kläger begehrte Aufhebung des am 5.12.1990 festgesetzten Höchstwerts (und damit auch die davon abhängigen weiteren Ansprüche des Klägers) jedenfalls auch mangels einer nachträglichen wesentlichen Änderung der Verhältnisse beim JAV abgelehnt, also das Nichtbestehen dieses Aufhebungsanspruchs iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X festgestellt und den diesbezüglichen Widerspruch am 27.10.2009 zurückgewiesen. Es ging also im Rechtsstreit um eine gegen diese Ablehnung einer Aufhebung bzw Änderung des ursprünglichen Verwaltungsakts vom 5.12.1990 gerichtete zulässige Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG. Die gemäß § 78 SGG statthafte Anfechtungsklage war zulässig mit einer Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung dieser Höchstwertfestsetzung vom 5.12.1990 für Rentenbezugszeiten ab dem 1.7.1991 und ferner entsprechend § 54 Abs 4 SGG mit einer unechten Leistungsklage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung höherer Verletztenrente ab dem 1.7.1991 verbunden, welche die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung des Rentenwerts ab diesem Zeitpunkt in Gesetzeskonkurrenz konsumierte.

20

Der Urteilsausspruch des LSG genügte bereits nicht den bundesrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Urteilsausspruchs. Das LSG hat tenoriert, die Beklagte werde "dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 2004 Verletztenrente unter Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes auf der Grundlage der Regelungen der §§ 90 Abs. 2, 212, 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu gewähren". Damit hat es die Beklagte lediglich zur Neubescheidung verpflichtet und sie zur Durchführung ausschließlich auf abstrakte gesetzliche Vorschriften verwiesen, ohne dass Tatsachen dazu benannt worden wären, dass und ab wann sich für den Kläger ein höherer JAV als Basis einer höheren Verletztenrente ergeben hätte.

21

2. Das LSG hat allerdings zu Recht gleichsam "rechtsgutachtlich" ausgeführt, dass auf den Fall des Klägers § 90 Abs 2 SGB VII grundsätzlich Anwendung finden kann. Insoweit scheitert die Beklagte mit dem für sie im Vordergrund ihrer Argumentation stehenden Revisionsvorbringen, dass das LSG insofern Bundesrecht verkannt hätte. Das LSG hat vielmehr im Ergebnis richtig ausgeführt, dass § 90 Abs 2 SGB VII, wie der gesamte § 90 SGB VII, nach seinem zeitlichen Anwendungsbereich seit dem 1.1.1997, dem Inkrafttreten des SGB VII, gilt.

22

Nach § 90 Abs 2 Satz 1 SGB VII wird bei Versicherten, die zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn es für sie günstiger ist, der JAV jeweils nach dem Arbeitsentgelt neu festgesetzt, das zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist. Der im Jahre 1971 geborene Kläger hatte zur Zeit des Inkrafttretens des SGB VII am 1.1.1997 zwar das 25. Lebensjahr (§ 573 Abs 2 RVO), nicht jedoch das 30. Lebensjahr vollendet (§ 90 Abs 2 SGB VII). Zu Recht hat das LSG aus den Regelungen des Übergangsrechts gemäß §§ 212 ff SGB VII abgeleitet, dass § 90 Abs 2 SGB VII auf den Fall des Klägers Anwendung findet. Nach § 212 SGB VII gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII für Versicherungsfälle, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit nicht in den nachfolgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Eine solche abweichende Regelung enthält § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII, nach dem die Vorschriften über den JAV auch für die Versicherungsfälle gelten, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Das BSG hat bereits entschieden (Urteil vom 4.6.2002 - B 2 U 28/01 R - SozR 3-2700 § 214 Nr 2), dass § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht zu einer Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII in den "Altfällen" führt, bei denen die Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des JAV bereits vor dem 1.1.1997 eingetreten waren. Dies war in dem vom BSG seinerzeit entschiedenen Sachverhalt der Fall, denn der dortige Kläger hatte das 30. Lebensjahr bereits im Jahre 1994 vollendet gehabt. Bei einer Vollendung des 30. Lebensjahres nach Inkrafttreten des SGB VII tritt die tatsächliche Gegebenheit, an die die Norm des § 90 Abs 2 SGB VII eine Rechtsfolge knüpft, aber erst zu einem Zeitpunkt ein, zu dem das neue Recht bereits in Kraft getreten ist. Zudem spricht § 214 Abs 2 Satz 1 am Ende SGB VII ausdrücklich von einer Neufestsetzung nach § 90 SGB VII, so dass schon der Wortlaut der Vorschrift die Anwendbarkeit der Norm auf Versicherungsfälle verdeutlicht, die vor dem 1.1.1997 nach altem Recht eingetreten sind, auch wenn der JAV für ein damals entstandenes Recht auf Leistungen schon festgestellt worden war. Die Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII auf solche "Altfälle" setzt aber voraus, dass dessen Tatbestand in vollem Umfang erst nach dem 31.12.1996 erfüllt wurde. Daher ist ggf der Wert eines Rechts auf eine Geldleistung, der nach einem gemäß § 573 Abs 2 RVO maßgeblichen JAV festgesetzt worden war, auch bei am 1.1.1997 bereits 25-Jährigen, aufgrund eines nach neuem Recht ab dem 1.1.1997 maßgeblich gewordenen JAV erneut festzusetzen. Andernfalls wäre - und dies hat das BSG in seinem Urteil vom 4.6.2002 (aaO, RdNr 26) gemeint - § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII widersprüchlich, weil er seine Anwendbarkeit und zugleich seine Unanwendbarkeit anordnen würde. Auch die von der Beklagten angeführten verwaltungspraktischen Konsequenzen erfordern keine andere Auslegung dieser Übergangsvorschrift. Sie greifen bei Erstfeststellung nach dem 31.12.1996 ohnehin nicht. Bei der Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die Vorliegende ist nach Maßgabe des § 48 SGB X auf Antrag oder bei amtlicher Kenntnis von Umständen, die eine wesentliche Änderung des JAV als möglich erscheinen lassen, von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, ob die bisherige Festsetzung des Werts des Leistungsrechts wegen eines neu maßgeblich gewordenen JAV aufzuheben und der Wert neu festzustellen ist. Damit ist ggf lediglich der nach § 573 Abs 2 RVO maßgeblich gewesene JAV jener verunfallten Versicherten zu überprüfen, die vor Inkrafttreten des SGB VII das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, was eine überschaubare Anzahl von Fällen darstellen dürfte. Mithin war auf den im Jahre 1971 geborenen Kläger der neue § 90 Abs 2 SGB VII ab 1.1.1997 anwendbar, weil er zu diesem Zeitpunkt die neue Altersgrenze von 30 Jahren nicht erreicht hatte. Ob deshalb ein höherer JAV für den Rentenwert materiell-rechtlich maßgeblich geworden ist, hängt davon ab, ob nach dem 31.12.1996 der Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt wurde. Dazu fehlen Tatsachenfeststellungen.

23

3. Weiterhin hat das LSG im Ergebnis richtig gesehen, dass die unechte Leistungsklage (sofern über sie in der Sache nach einem Erfolg der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage zu entscheiden wäre) des Klägers höchstens für Rentenbezugszeiten ab dem 1.1.2004 zu höheren Rentenzahlungen führen kann. Dies folgt aber nicht aus dem vom LSG behaupteten, rechtlich fragwürdigen richterrechtlichen "allgemeinen Rechtsgedanken des § 44 Abs 4 SGB X"(so das LSG unter Hinweis auf etwa BSG vom 9.9.1986 - 11a RA 28/85 - RdNr 13), der als bloßes Richterrecht gemäß dem Vorrang des Gesetzes aus Art 20 Abs 3 GG Regelungen nicht verdrängen kann, die der Deutsche Bundestag selbst in seinen Gesetzen ausgesprochen hat. Das Ergebnis der Rechtsbetrachtungen des LSG war aber schon deshalb richtig, weil das Gesetz selbst, begrenzt auf den Anwendungsbereich des § 48 Abs 1 SGB X, die entsprechende Geltung des § 44 Abs 4 SGB X angeordnet hat. Sollte nämlich der auf § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X gestützte Aufhebungsanspruch Erfolg haben und wäre ein höherer Rentenwert schon für Zeiten vor dem 1.1.2004 entstanden, so wäre die höhere Rente gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 Regelung 2 SGB X entsprechend § 44 Abs 4 SGB X höchstens für vier Jahre vor dem Jahr der 2008 erfolgten Antragstellung zu zahlen.

24

4. Ob nach dem Bescheid vom 5.12.1990 und vor oder nach dem 1.7.1991 ein für den Rentenwert des Klägers günstigerer JAV bis Ende 1996 nach § 573 Abs 2 RVO oder seit dem 1.1.1997 nach § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII iVm § 90 Abs 2 SGB VII materiell-rechtlich maßgeblich geworden ist, kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. War der Verletzte - wie hier der Kläger - zur Zeit des Arbeitsunfalls noch nicht 25 Jahre alt, so wurde nach § 573 Abs 2 RVO der JAV dem Arbeitsentgelt angepasst, das zur Zeit seines Arbeitsunfalls von der Vollendung eines bestimmten Lebensalters ab, höchstens aber des 25. Lebensjahres, für Personen mit gleichartiger Tätigkeit durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist, wenn es für den Berechtigten günstiger ist. Der Kläger meint, dass nach § 573 Abs 2 RVO bereits ab 1.7.1991 ein höherer als der am 5.12.1990 festgestellte JAV rechtlich maßgeblich geworden sei und zu einem höheren Rentenwert geführt habe. Mithin sei bereits zu diesem Zeitpunkt (ggf) eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt vom 5.12.1990 eingetreten. Hierzu liegen keine Feststellungen des LSG vor.

25

Gleiches gilt für die Voraussetzungen des § 90 Abs 2 SGB VII (30-Jahres-Grenze) seit dem 1.1.1997. Dieser setzt ua voraus, dass die Festsetzung des JAV für den Versicherten zum jeweils maßgebenden Zeitpunkt "günstiger" ist. Ob dies hier der Fall ist, kann der Senat aufgrund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.

26

Hinzu kommt, dass der Kläger möglicherweise erstens einen Rechtsanspruch auf höhere Verletztenrente wegen eines zum oder nach dem 1.7.1991 gemäß § 573 Abs 2 RVO maßgeblich gewordenen JAV hatte. Zweitens könnte der Wert des Rechts auf Rente seit dem 1.1.1997 noch höher geworden sein, wenn seither die Voraussetzungen des § 90 Abs 2 SGB VII erfüllt wurden und danach ein noch günstigerer JAV maßgeblich wurde.

27

Daher ist der Tenor der Entscheidung des LSG - ungeachtet seiner Nichtvollstreckbarkeit - auch insofern unzutreffend, als es die Beklagte verurteilt hat, den JAV ab 1.1.2004 nach den §§ 90 Abs 2 iVm § 214 Abs 2 SGB VII neu festzusetzen. Wäre ein anderer JAV nach § 573 Abs 2 RVO zwischen 1991 und 1996 (Vollendung des 25. Lebensjahres) derjenige, der zu einem Anspruch des Klägers auf höchstmögliche Verletztenrente führt, so würde die vom LSG ausgesprochene abstrakte Verpflichtung der Beklagten zur Neuermittlung des JAV ausschließlich nach § 90 Abs 2 SGB VII(iVm § 214 Abs 2 SGB VII) dem materiellen Begehren des Klägers sogar widersprechen.

28

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind; dies gilt nicht für die Vorschrift über Leistungen an Berechtigte im Ausland.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Die Vorschrift des § 93 über den Jahresarbeitsverdienst für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und ihre Hinterbliebenen gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind; die Geldleistungen sind von dem auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden 1. Juli an neu festzustellen; die generelle Bestandsschutzregelung bleibt unberührt.

(3) Die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind. § 73 gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(4) Soweit sich die Vorschriften über das Verfahren, den Datenschutz sowie die Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und zu Dritten auf bestimmte Versicherungsfälle beziehen, gelten sie auch hinsichtlich der Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Infektion der Klägerin mit dem Hepatitis C-Virus (HCV) als Berufskrankheit (BK) nach Nr 3101 der Anlage (seit 1.7.2009 Anlage 1) der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im Folgenden: BK 3101) streitig.

2

Die 1940 geborene Klägerin war seit Oktober 1995 als Altenpflegehelferin im Altenzentrum B. beschäftigt. Sie wurde im Wesentlichen im Bereich "Betreutes Wohnen" eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörte das Waschen, Baden und Rasieren der Pflegebedürftigen. Sie hatte Katheterbeutel zu wechseln sowie Wundbehandlungen und Bluttests durchzuführen. Außerdem gab sie einer Heimbewohnerin in den Monaten April und Mai 1999 87 Insulinspritzen, ohne zum Spritzen berechtigt zu sein. Eine überdurchschnittliche Durchseuchung der Heimbewohner mit dem HCV ließ sich nicht feststellen.

3

Im August 1999 wurde bei der Klägerin eine HCV-Infektion diagnostiziert. Auf eine ärztliche Anzeige wegen des Verdachts des Vorliegens einer BK 3101 lehnte die Beklagte es ab, diese BK anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Bei der Klägerin habe kein besonders erhöhtes Verletzungsrisiko bestanden (Bescheid vom 4.12.2000; Widerspruchsbescheid vom 27.6.2001).

4

Das SG Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.10.2002). Das Hessische LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13.7.2010). Die Klägerin sei einem gesteigerten, nicht aber einem besonders erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen. Entgegen den gutachtlichen Ausführungen von Prof. Dr. C. könne nicht von einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung erhöhten Durchseuchung des Altenzentrums ausgegangen werden. HCV-Infektionen von Bewohnern des Altenheims seien nicht bekannt. Wegen sich widersprechender Studien existiere auch kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass in Pflegestationen von Altenheimen eine besondere Infektionsgefahr bestehe. Aktuelle Zahlen zum Durchseuchungsrisiko in Pflegeheimen gebe es nach der vom Gericht eingeholten Auskunft des Instituts der F. vom 3.8.2009 ebenfalls nicht. Eine besondere Ansteckungsgefahr sei auch nicht mit den von der Klägerin konkret ausgeübten Tätigkeiten verbunden gewesen. Zwar habe wegen des nahezu täglichen Umgangs mit Insulinspritzen zweifellos ein Infektionsrisiko bestanden. Risikomindernd wirke sich aber aus, dass die Einwegspritzen durch die Klägerin ordnungsgemäß entsorgt worden seien, ohne die Schutzkappe wieder aufzustecken. Insulinspritzen würden auch nur subkutan und nicht intravenös verabreicht. Wegen der von Prof. Dr. C. bestätigten geringeren Kanülendicke der Insulinspritzen im Vergleich zu "normalen" Hohlnadeln komme es schließlich zu einer geringeren Blutübertragung.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung gemäß § 103 SGG und die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Das LSG hätte in Erfahrung bringen müssen, wie viele der von ihr betreuten Personen mit dem HCV infiziert gewesen seien. Auch hätte es wegen der von Prof. Dr. C. bestätigten deutlich erhöhten Infektionsgefahr des Ärzte- und Pflegepersonals aktuelle Informationen über die Seroprävalenz in Alten- und Pflegeheimen einholen müssen. Der vom Berufungsgericht berücksichtigte Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung beruhe auf einer Stichprobenerhebung unter Ausschluss von besonders gefährdeten Personen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Justizvollzugsanstalten. Abgesehen davon hätte das Fehlen einer virologischen Untersuchung der Heimbewohner zu einer Beweiserleichterung führen müssen. Bei der Würdigung der Übertragungsgefahr sei nicht berücksichtigt worden, dass Gummihandschuhe nur "in der Regel" benutzt worden seien und auch von kontaminierten Gegenständen ein Infektionsrisiko ausgehe. Die Gefahr von Mikroläsionen sowie die Umstände des Verabreichens und der Entsorgung der Einwegspritzen seien nicht ermittelt worden. Weshalb bei 87 Inokulationsereignissen nicht von einer "häufig" aufgetretenen Gefahr gesprochen werden könne und eine Vergleichbarkeit mit Tätowierungen ausscheide, sei nicht dargelegt worden.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 2010 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr vorliegende Hepatitis C-Erkrankung eine Berufskrankheit nach Nr 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision, mit der nur noch die Feststellung der BK 3101 begehrt wird, ist nicht begründet.

10

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG), mit der unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Beklagten die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass die Hepatitis C-Infektion der Klägerin eine BK 3101 ist. Ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Anspruch auf Feststellung einer bestimmten BK nicht gegeben ist, kann deren Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungs- oder Feststellungsklage klären lassen (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, jeweils RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Zwar hat die Klägerin vor dem SG und LSG die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung der BK 3101 beantragt. Dieser Übergang von der Verpflichtungs- zur Feststellungsklage beruht aber auf einer nach § 99 Abs 3 SGG uneingeschränkt zulässigen Antragsänderung (BSG vom 25.2.1997 - 12 RK 4/96 - BSGE 80, 102, 103 = SozR 3-2500 § 5 Nr 33 S 129 mwN).

11

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Hepatitis C-Infektion als BK 3101. Insoweit ist die Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 4.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.6.2001 rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

12

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII sowie des auf seiner Grundlage erlassenen Rechts, weil ihre HCV-Infektion im August 1999 festgestellt worden ist und der geltend gemachte Versicherungsfall damit nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten sein soll (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

13

Nach § 9 Abs 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen (Satz 2).

14

Für die Feststellung einer Listen-BK ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei gilt für die Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts hinsichtlich der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" der Beweisgrad des Vollbeweises, also der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge und der rechtlich zu bewertenden Wesentlichkeit einer notwendigen Bedingung genügt indes der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, jeweils RdNr 16 mwN und - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14 BKV, jeweils RdNr 9 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

15

Die BKV umschreibt den Tatbestand der BK 3101 wie folgt: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes iVm § 9 Abs 1 SGB VII sind nach den für den Senat bindenden(§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erfüllt. Die Klägerin war zwar seit Oktober 1995 als Altenpflegehelferin eines Altenzentrums beschäftigt und damit im Gesundheitsdienst tätig sowie nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert. Hepatitis C ist auch eine Infektionskrankheit. Die Klägerin war aber keinen "Einwirkungen" iS einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt. Diese beurteilt sich nach dem Grad der Durchseuchung des versicherten Tätigkeitsbereichs und dem Übertragungsrisiko der im Gefahrenbereich vorgenommenen Verrichtungen (dazu 1.). Anhand beider Kriterien hat das LSG das Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr verneint (dazu 2.). Die Rüge der Klägerin, dabei habe das Berufungsgericht gegen die Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen und die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten, greift nicht durch (dazu 3.).

16

1. Eine besondere Ansteckungsgefahr kann sich im Einzelfall aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit oder der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben. Der Grad der Durchseuchung ist sowohl hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das weitere Kriterium der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen.

17

Eine schlichte Infektionsgefahr genügt nicht. Vielmehr wird eine (zT typisierend nach Tätigkeitsbereichen) besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt (§ 9 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB VII). Deshalb kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind. Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander (dazu kritisch Kunze, VSSR 4/2010, S 283, 298 ff). An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr erlangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Erscheint eine Infektion nicht ausgeschlossen, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig gegenüber der Allgemeingefahr erhöht ist (BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, jeweils RdNr 22 f). Damit bedarf es der tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen einer konkret erhöhten Infektionsgefahr. Dies beinhaltet Feststellungen zu der Frage, ob die Verrichtungen der Klägerin sie mit einer infizierten Person oder einem durchseuchten Objektbereich in Berührung gebracht haben oder ob die Verrichtungen im Hinblick auf den Übertragungsmodus der Hepatitis C-Infektion sowie ihrer Art, Häufigkeit und Dauer nach besonders infektionsgefährdend waren (BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5 BKV, jeweils RdNr 19).

18

2. Einem solchen besonders erhöhten Infektionsrisiko war die Klägerin nicht ausgesetzt. Das Berufungsgericht hat zwar nicht die Möglichkeit der Infektion mit dem HCV, aber eine erhöhte Durchseuchung im Altenzentrum ausgeschlossen. Damit ist der Grad der Durchseuchung bezüglich HCV-Antikörper in der Gesamtbevölkerung maßgebend, der mindestens ca 0,4 bis 0,7 vH beträgt (vgl Potthoff/Schüler/Wedemeyer/Manns, Epidemiologie der Virushepatitis A, B und C, in Selmair/Manns, Virushepatitis als Berufskrankheit, 2. Aufl, S 18; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 717; Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin 29/2011 S 267). Auf der Grundlage einer Arbeitgeberauskunft hat das LSG festgestellt, dass HCV-Infektionen von Heimbewohnern nicht bekannt geworden sind. Die Stellungnahme der F. vom 3.8.2009 hat ergeben, dass aktuelle Zahlen zum Durchseuchungsrisiko in Pflegeheimen nicht existieren. Daher ist nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für die Annahme eines deutlich überdurchschnittlichen Durchseuchungsgrades im Altenzentrum B. kein Raum.

19

Die erforderliche besondere Infektionsgefahr lässt sich auch nicht auf die Übertragungsgefahr der ausgeübten Tätigkeiten zurückführen, wie das LSG aufgrund der von ihm festgestellten Arbeitsvorgänge der Klägerin sowie des Gutachtens von Prof. Dr. C. und der Zeugenvernehmung angenommen hat. Die Klägerin war im Wesentlichen im Bereich "Betreutes Wohnen" eingesetzt und trug bei den Verrichtungen der Grundpflege, der Wundbehandlung und den Bluttests regelmäßig Gummihandschuhe. Eine Nadelstichverletzung ist nicht festgestellt. Bei maximal 87 Inokulationsvorgängen wurden Insulinspritzen mit einer im Vergleich zu anderen Hohlnadelspritzen dünneren Injektionskanüle verwendet, die mit einem geringeren Blutaustausch einhergehen. Sie sind ordnungsgemäß entsorgt worden, ohne die Schutzkappe wieder aufzustecken. Die Klägerin ist danach weder aufgrund einer erhöhten Durchseuchung noch infolge ihrer Arbeitsverrichtungen besonders infektionsgefährdet tätig gewesen.

20

3. Diese Feststellungen des LSG binden den Senat (§ 163 SGG), weil sie nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

21

a) Die Rüge der Klägerin, das LSG habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte insoweit aufzeigen müssen, dass sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Dabei ist darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind. Außerdem ist anzugeben, wann und in welcher Form die zu ermittelnden Tatsachen in der Berufungsinstanz vorgebracht wurden (BSG vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 69 f).

22

Das Vorbringen der Klägerin, das LSG hätte die Anzahl der von ihr betreuten, mit dem HCV infizierten Personen in Erfahrung bringen und die Gefahr von Mikroläsionen sowie die Umstände des Verabreichens und der Entsorgung der Einwegspritzen ermitteln müssen, genügt diesen Anforderungen nicht. Es hätte nicht nur der Bezeichnung der zu ermittelnden Tatsachen bedurft, sondern vor allem auch der weiteren Darlegung, inwieweit diese Tatsachen bereits in der Berufungsinstanz so vorgebracht wurden, dass sich das LSG auf Grund des Berufungsvorbringens trotz der eingeholten Auskünfte zur Durchseuchung und den Arbeitsbedingungen im Altenzentrum zu einer weiteren Tatsachenermittlung hätte gedrängt fühlen müssen.

23

b) Auch die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten, ist unzulässig. Die Beweiswürdigung des LSG ist nur eingeschränkt überprüfbar. Da das Tatsachengericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, ist diese Vorschrift nur dann verletzt, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss im Einzelnen dargelegt werden (BSG vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Daran fehlt es hier.

24

Die Klägerin hat kein Denkgesetz benannt, gegen das das LSG verstoßen haben soll. Es hätte aufgezeigt werden müssen, dass das Berufungsgericht zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13 mwN). Dass und weshalb die Feststellung der BK 3101 die einzig denkbare Folgerung gewesen sein soll, legt die Revision indes nicht dar.

25

Mit ihrem Vorbringen, das LSG habe Pflegestationen in Altenheimen als nicht besonders hepatitisgefährdend angesehen und daher einen Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung von 0,5 bis 0,7 vH angenommen, ist auch ein fehlerhaft angewendeter Erfahrungssatz nicht aufgezeigt worden. Es trifft zwar zu, dass der vom Robert Koch Institut 1998 durchgeführte "BundesGesundheitssurvey" Personen aus Heil- und Pflegeanstalten, Krankenhäusern sowie Justizvollzugsanstalten nicht umfasst (vgl Schreier/Höhne, Hepatitis C - Epidemiologie und Prävention, Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6/2001 S 554, 555). Aus einer durch diese Personengruppen bedingten höheren Durchseuchungsrate in der Gesamtbevölkerung folgt aber noch nicht zwingend eine deutlich höhere Durchseuchung gerade in den genannten Einrichtungen. Anhaltspunkte dafür, dass der vom LSG herangezogene Erfahrungssatz, dass Pflegeeinrichtungen in Altenheimen nicht als besonders hepatitisgefährdend angesehen werden können, nach Verfahren oder Inhalt falsch festgestellt worden wäre, sind nicht ersichtlich (vgl Schreier/Höhne aaO S 558, wonach in mehreren internationalen Studien eine signifikant höhere Durchseuchung bei Ärzten, Zahnärzten und sonstigen Beschäftigten im Gesundheitswesen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht festzustellen war). In einem solchen Fall besteht für das Revisionsgericht keine rechtliche Veranlassung, das Bestehen und den Inhalt des vom LSG festgestellten Erfahrungssatzes ohne eine zulässig erhobene Verfahrens- oder Inhaltsrüge selbst von Amts wegen zu prüfen (vgl BSG vom 5.7.2011- B 2 U 17/10 R - Juris RdNr 31 mwN). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte "ins Blaue hinein" besteht auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen keine Verpflichtung (vgl BVerfG vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03 , Juris RdNr 19).

26

Aus dem Vortrag der Klägerin, bei der Würdigung der Übertragungsgefahr habe Beachtung finden müssen, dass Gummihandschuhe nur "in der Regel" benutzt worden seien und von kontaminierten Gegenständen ein Infektionsrisiko ausgehe, wird nicht deutlich, dass hierdurch das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Die weitere zitierte Begründung des LSG, dass Umstände teils risikosteigernd teils risikomindernd gewertet worden seien, macht gerade die durchgeführte Gesamtwürdigung deutlich. Inwieweit Gegenstände kontaminiert gewesen seien und dass das Tatsachengericht dem Sachverständigengutachten nicht gefolgt wäre, ohne die Abweichung ausreichend begründet zu haben, ist nicht dargetan. Im Kern zieht die Klägerin für sich trotz der vom LSG festgestellten Tatsachen den Schluss, dass sich ein erhöhtes Infektionsrisiko begründen lasse. Eine formgerechte Rüge der Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung liegt indes nicht vor, wenn die Revision ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 33).

27

Unabhängig davon ist beiläufig anzumerken, dass unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Übertragungsformen des HCV auch kein Überschreiten der Grenzen der freien Beweiswürdigung durch das LSG festzustellen ist. Das HCV wird parenteral durch direkten Blut- oder Schleimhautkontakt übertragen (vgl Böhm/Jilg, Die Stabilität und Dauer der Infektiosität von Hepatitis A-Viren, Hepatitis B-Viren und Hepatitis C-Viren außerhalb des menschlichen Organismus als wichtige Kriterien für die Beurteilung des berufsbedingten Infektionsrisikos, in Selmair/Manns aaO, S 120). Im Gesundheitswesen ist die Nadelstichverletzung insbesondere mit einer Hohlnadel daher ein geeigneter Übertragungsweg, der ein besonders hohes Übertragungsrisiko beinhaltet, weil hier regelmäßig der Transfer relativ großer Mengen frischen Blutes möglich ist (vgl Trautwein/Manns, Vorgehen nach Nadelstichverletzung bei Hepatitis B- und C-Infektion in der Klinik, in Selmair/Manns aaO, S 145; Remé, Arbeitsmedizinische Grundlagen für die Konkretisierung von Beweiserleichterungen im Berufskrankheitenfeststellungsverfahren - Fallgruppen und Einzelfallermittlungen, in Selmair/Manns aaO, S 190; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 718; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 3101 RdNr 13.2). Die Injektionskanülen von Insulinspritzen sind aber dünner als andere Hohlnadeln. Das Beweisergebnis des LSG, dass gerade unter Berücksichtigung der geringeren Kanülendicke keine besondere Infektionsgefahr bestehe, ist daher in sich schlüssig und widerspruchsfrei.

28

Dabei hat das LSG zutreffend den von der Klägerin zu führenden Vollbeweis der "Einwirkungen" iS einer besonders erhöhten Infektionsgefahr gefordert. Die geltend gemachten Beweisschwierigkeiten rechtfertigen weder eine Beweislastumkehr noch die Annahme eines Beweisnotstandes und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen. Typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, sind im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Eine allgemeingültige Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würde dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) widersprechen (BSG Urteil vom 7.9.2004 - B 2 U 25/03 R - Juris RdNr 17 mwN).

29

Der Einwand der Klägerin, dass nach dem Urteil des Senats vom 2.4.2009 (B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV) selbst bei zehn Nadelstichverletzungen und einem Infektionsrisiko von 0,13 vH eine erhöhte Infektionsgefahr in Betracht komme, sofern die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Allgemeinbevölkerung noch geringer sei, das LSG aber mindestens 87 Inokulationsereignisse festgestellt habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass dort nicht der Senat, sondern der beteiligte Unfallversicherungsträger ein Infektionsrisiko von 0,13 vH errechnet hatte, wird dabei übersehen, dass sich die erhöhte Infektionsgefahr auf die konkreten Arbeitsverrichtungen zurückführen lassen muss. Als Spritzen hat die Klägerin aber keine dickeren Hohlnadeln, sondern dünne Insulinnadeln verwendet.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente auf Grund eines höheren zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

2

Der 1978 geborene Kläger wurde im Jahre 1986 auf dem Heimweg von der Schule von einem Lkw angefahren und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Rechtsvorgänger der Beklagten (der Rheinische GUV) erkannte den Unfall in einem Bescheid vom 22.7.1988 als Arbeitsunfall an und stellte in dem Bescheid vom 31.1.1994 sein Recht auf Verletztenrente nach einer MdE von 90 vH fest. Dessen Jahreswert ergab sich aus dem Produkt aus dieser MdE und dem JAV. Als JAV wurden der Rentenberechnung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers 40 vH und danach 60 vH (Bescheid vom 12.7.1996) der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße zu Grunde gelegt.

3

Am 1.7.1997 begann der damals 19jährige Kläger bei der J. GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Fachrichtung Anwendungsentwicklung, die er am 15.6.2000 erfolgreich abschloss. Nach dem Ende der Ausbildung schied er aus dem Unternehmen aus und nahm ein Informatikstudium auf.

4

In dem Bescheid vom 4.6.2004 stellte der Rheinische GUV fest, dem Kläger stehe ab 1.7.2000 höhere Verletztenrente zu. Dies ergebe sich aus einem höheren JAV, der gemäß § 90 Abs 1 SGB VII ab dem 16.6.2000, dem Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, auf 21 381,09 EUR festgesetzt werde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Neuberechnung des JAV erfolge auf Grundlage des Verdienstes eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die zur Ermittlung des JAV zu Grunde gelegte Berufsbezeichnung entspreche nicht dem von ihm erreichten Abschluss als "Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung". Mit Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Rheinischen GUV den Widerspruch des Klägers zurück.

5

Mit der Klage zum SG hat der Kläger weiterhin vorgetragen, er habe keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel, sondern eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung absolviert, weshalb von dem ortsüblichen Entgelt eines Fachinformatikers auf dem Gebiet der Anwendungsentwicklung auszugehen sei. Angesichts der mit der Note "gut" abgeschlossenen Ausbildung sei ein JAV von mindestens 30 000,00 EUR angemessen.

6

Mit Urteil vom 31.3.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen JAV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu Grunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB VII sei ein anderer JAV zu Grunde zu legen, weil dieser an dem Entgelt in dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf auszurichten sei.

7

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten am 31.3.2011 das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen. Der JAV sei hier ab dem Tag nach dem Ende der Ausbildung des Klägers und damit ab 16.6.2000 neu festzusetzen gewesen. Es sei nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII der Tarifvertrag des Ausbildungsbetriebs zu Grunde zu legen. Habe - wie hier - ein zum Ausbildungsziel führendes Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz zwischen dem Versicherten und einem Ausbildungsbetrieb bestanden, sei der für dieses Unternehmen seiner Art nach am Stichtag, dh dem Tag nach dem Ende der Ausbildung, geltende Tarifvertrag maßgeblich. Denn maßgebend sei nicht der berufsspezifische, sondern der branchenspezifische Tarifvertrag, der für das Unternehmen generell in Betracht komme. Hierauf sei auch dann abzustellen, wenn der Versicherte nach dem Ausbildungsende aus dem Unternehmen ausscheide, um ein Studium aufzunehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Versicherte im Ausbildungsunternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeit hätte aufnehmen können. Für die ausnahmslose Anknüpfung an den für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach geltenden Tarifvertrag spreche insbesondere der Sinn und Zweck des § 90 SGB VII.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 90 Abs 1 SGB VII. Der Gesetzeswortlaut stelle ausdrücklich darauf ab, dass der Tarifvertrag für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters zu Grunde zu legen sei. Es sei kein gesetzlicher Anhalt dafür ersichtlich, dass an die wirtschaftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs angeknüpft werden könne. Er habe stets unwidersprochen vorgetragen, dass er im technischen und gerade nicht im kaufmännischen Bereich ausgebildet worden sei.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2009 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und (sinngemäß) die gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässige Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage abgewiesen. Der Kläger hat ab dem 1.7.2000 keinen Anspruch auf Feststellung eines noch höheren Werts seines Rechts auf Verletztenrente, als ihm die Beklagte in dem Bescheid vom 4.6.2004 (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008) nach Aufhebung des bis dahin festgestellten niedrigeren Werts insoweit unangefochten neu zuerkannt hatte. Dem Kläger stand kein Anspruch auf höhere Rente unter "Festsetzung" eines höheren JAV nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu, weil er die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet hatte (hierzu unter 1.). Eine analoge Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die vorliegende scheidet aus, weil § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII insofern keine Lücke aufweist (vgl unter 2.).

12

Ein höherer Rentenanspruch hätte für den Kläger gemäß § 56 Abs 3 SGB VII ab dem 1.7.2000 nur bestehen können, wenn ein noch höherer JAV, der zweite Wertfaktor der Rentenhöhe neben seiner unveränderten MdE von 90 vH, rechtlich maßgeblich geworden (= "neu festzusetzen" gewesen) wäre. Obwohl der Versicherungsfall schon 1986, also vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997, eintrat, war dies hier gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII nach § 90 Abs 1 SGB VII zu beurteilen. Danach wird, wenn der Versicherungsfall ua während der Schulausbildung, wie hier, eingetreten ist, falls dies für den Versicherten günstiger ist, der nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII aus Tarifvertrag, hilfsweise aus dem am Betriebsort geltenden Arbeitsentgelt zu ermittelnde neue JAV von dem Zeitpunkt an rechtlich maßgeblich, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

13

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII waren nicht erfüllt. Zwar hatte der Kläger seine Berufsausbildung am 1.7.1997 begonnen. Er hatte sie aber am 15.6.2000 erfolgreich und ohne Verzögerung abgeschlossen.

14

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt, der JAV, wenn es für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt wird, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt einen neuen höheren JAV als den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich gewordenen Ausgangs-JAV mithin nur, wenn die Ausbildung nicht oder verzögert abgeschlossen wurde. Es heißt in der Norm ausdrücklich nicht, dass der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen ist, in dem die Ausbildung "beendet wurde oder" ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Die Vorschrift setzt damit als Zeitpunkt für die Neufestsetzung des JAV einen fiktiven Zeitpunkt fest, nämlich den, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

15

Der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII liegt wegen des hypothetisch formulierten Wortlautes ("voraussichtlich beendet worden wäre") und nicht zuletzt auch auf Grund der Überschrift der Norm ("Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen") der typisierende Gedanke zu Grunde, dass der zuvor erlittene Versicherungsfall der Grund dafür ist, dass die Ausbildung später als vorgesehen oder überhaupt nicht abgeschlossen wurde. Für eine solche Sichtweise spricht im Übrigen auch § 90 Abs 4 SGB VII, der § 90 Abs 1 SGB VII ergänzt. Danach wird für den Fall, dass sich bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Beginn der Berufsausbildung auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten, ein bestimmter näher bezeichneter Wert des JAV festgelegt. Eine solche Unmöglichkeit der Feststellung ist indes aber nur für Fälle denkbar, in denen die Berufsausbildung nicht plangemäß abgeschlossen wurde, in denen also eine fiktive Betrachtungsweise erforderlich ist.

16

Für eine strikte Begrenzung der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf die Fälle der verzögerten oder nicht beendeten Ausbildung spricht auch die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Norm. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) heißt es, die Vorschrift enthalte eine Neuregelung über eine pauschalierte, an der Bezugsgröße orientierte Neufestsetzung des JAV für bestimmte Unfälle im Kindesalter. In der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung hätten sich bei der Anwendung des § 573 RVO dann Feststellungsschwierigkeiten ergeben, wenn sich der Versicherungsfall im frühen Lebensalter ereignet habe und sich weder aus der Zeit vor dem Versicherungsfall noch aus dem weiteren Werdegang des Kindes nach dem Versicherungsfall ausreichende Anhaltspunkte über dashypothetische Ausbildungsziel (ohne den Unfall) herleiten ließen (BT-Drucks 13/2204, S 96).

17

Auch die Vorgängervorschriften des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthielten - in unterschiedlicher Ausprägung - jeweils hypothetische (typisierende) Elemente. Der Grundsatz, dass bei der Rentenberechnung von den Einkommensverhältnissen des Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall auszugehen ist, gilt seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl S 69). Als Ergänzung war geregelt, dass zugunsten des Verletzten für das letzte Jahr vor dem Arbeitsunfall ein (fiktiver) Arbeitsverdienst anzunehmen ist, wenn der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr in dem Betrieb beschäftigt war oder keinen Lohn oder weniger als das 300fache des ortsüblichen Tagelohns bezogen hatte (vgl etwa § 5 Abs 3 bis 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 10 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5.7.1900 - RGBl S 573, 585 - und §§ 563 ff RVO vom 19.7.1911 - RGBl S 509). Ein hypothetisch-typisierendes Element enthielt dann die mit Art 11 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20.12.1928 (RGBl I 405) für Versicherte, die im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt sind, neu eingefügte Sondervorschrift des § 569b RVO, dessen Abs 3 folgenden Wortlaut hatte: "War der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in seiner Berufs- oder Schulausbildung begriffen, so ist für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ein Erwerbseinkommen zu Grunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde".

18

Auch in dem mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) neu eingefügten § 565 RVO wird auf einen fiktiven Gesichtspunkt abgestellt. Dessen Abs 1 lautete wie folgt: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung, so wird von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen worden wäre, der Jahresarbeitsverdienst nach dem Entgelt berechnet, der dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach Vollendung seines dreißigsten Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen."

19

Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz ) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) geschaffene § 573 RVO ist die unmittelbare Vorgängerregelung des § 90 SGB VII und war in seinem Abs 1 wie folgt formuliert: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet". Wenngleich das hypothetische Element in dieser Vorschrift mit dem Wort "voraussichtlich" nicht mehr so deutlich in Erscheinung tritt wie in § 565 RVO, waren inhaltliche Änderungen nicht beabsichtigt. Denn in der Begründung zum Entwurf des UVNG heißt es zur Regelung des § 573 RVO(§ 574 RVO in der Entwurfsfassung, BT-Drucks IV/120, S 11, 57): "Auch für Jugendliche und in der Ausbildung befindliche Verletzte sieht bereits § 565 RVO einen Ausgleich für Mindereinnahmen vor. Diese Regelung wird in § 574 beibehalten."

20

Aus diesen Vorgängervorschriften des § 90 SGB VII(vgl zur Entwicklung seit 1884 bis zur Schaffung des § 573 RVO auch: Windelen, SGb 1970, 408) und dem der heutigen Fassung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jeweils ähnlichen bzw sogar gleich lautenden Wortlaut, sowie aus dem Umstand, dass sich Anhaltspunkte für eine andere Sichtweise aus allen angeführten Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen lassen, folgt, dass von § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht diejenigen Fallgestaltungen erfasst werden sollen, in denen die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen worden ist noch sie sich verzögert hat(vgl auch BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - Juris RdNr 20, SozR 3-2700 § 90 Nr 1; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 27).

21

In § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII wurde mithin nur die Voraussetzung in das Gesetz aufgenommen, dass die Ausbildung sich verzögert hatte oder ggf aus sonstigen Gründen nicht beendet wurde. Denn nur in solchen Fällen wurde durch den ursprünglichen Versicherungsfall in abstrakter, typisierender Wertung, also nicht als tatbestandliche Voraussetzung im Einzelfall, ein weiterer Schaden verursacht. Nur dieser (typisierend angenommene) zusätzliche Folgeschaden des Versicherungsfalls rechtfertigt ausnahmsweise eine Ersetzung des Ausgangs-JAV durch einen neuen (günstigeren) JAV. Für diesen ist das hypothetische Arbeitsentgelt bestimmend, das in einem Tarifvertrag oder hilfsweise am Beschäftigungsort üblicherweise in dem Zeitpunkt der voraussichtlichen (aber eben nicht eingetretenen) Beendigung der Ausbildung für Personen gleicher Ausbildung und Alters vorgesehen ist (und ohne den Ausfall oder die Verzögerung des Ausbildungsabschlusses bei Beendigung der Ausbildung typischerweise voraussichtlich erzielt worden wäre). Die Verletzten, die ihre Ausbildung rechtzeitig beenden, haben typischerweise zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Nachteil, weil sie entsprechend höher entlohnt werden.

22

Sachgrund für diese gesetzliche, also materiell-rechtlich direkt eintretende Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV ist, dass es unbillig wäre, solche jungen Verletzten trotz des weiteren Folgeschadens an diesem JAV festzuhalten. Damit durchbricht diese Ausnahmeregelung, wie alle in § 90 SGB VII geregelten Ausnahmen, materiell-rechtlich den gesetzlichen Grundsatz, dass der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebliche Ausgangs-JAV für die gesamte Zeit, für die das Recht besteht, maßgeblich bleibt. Dieser Sachgrund der Norm spricht im Übrigen dagegen, dass die Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) zugunsten von Verletzten mit zeitgerechtem Ausbildungsabschluss korrigiert werden müsste (vgl hierzu im Einzelnen unten 2. c).

23

2. Das Begehren des Klägers hätte daher nur Erfolg haben können, wenn § 90 Abs 1 SGB VII analog anzuwenden gewesen wäre und dies einen noch höheren neuen JAV ergeben hätte, als von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 4.6.2004/13.2.2008 zu Grunde gelegt wurde. § 90 Abs 1 SGB VII ist aber auf Verletzte, die ihre Ausbildung zeitgerecht abgeschlossen haben, nicht entsprechend anzuwenden.

24

a) Die Voraussetzungen für eine Analogie, nach der sich die Anwendung der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch auf die Fallgestaltungen erstrecken würde, in denen die Ausbildung plangemäß abgeschlossen worden ist, sind jedoch nicht gegeben. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn 1. eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, 2. der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und 3. beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl BSG, Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R, SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Verweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff).

25

b) Es fehlt hier bereits an der ersten Voraussetzung einer zulässigen Analogie, dem Vorliegen einer Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, denn die Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthält keine planwidrige Unvollständigkeit. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gesetz den Kreis derjenigen, die bei typisierender Bewertung ihrer Schutzbedürftigkeit ausnahmsweise nicht weiter der Regelberechnung des JAV unterliegen, nur unvollständig erfasst hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt bei der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung von beurlaubten Berufssoldaten BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 21, SozR 4-4100 § 169 Nr 1). Vielmehr erfasst das Gesetz im Rahmen der Neufeststellungsansprüche Fallgestaltungen, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass es unbillig ist, für die Gewährung der Verletztenrente das tatsächliche Arbeitseinkommen der jeweils erfassten Personenkreise bei der Ermittlung des JAV zu Grunde zu legen. Insofern liegt dem § 90 SGB VII(iVm den §§ 82 ff SGB VII) ein stimmiges Konzept zu Grunde.

26

aa) § 90 Abs 1 SGB VII entspricht - wie bereits oben zu 1. dargestellt - im Wesentlichen dem am 1.1.1997 außer Kraft getretenen § 573 Abs 1 RVO(vgl Begründung zu Art 1 § 90 des Entwurfs eines UVEG, BT-Drucks 13/2204 S 96), der seinerseits mit Wirkung vom 1.7.1963 durch Art 1 des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241) in die damals neugefasste RVO übernommen wurde und dem der in wesentlichen Teilen inhaltsgleiche § 565 RVO vorausging, der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) in die RVO eingefügt worden war.

27

Nach der bereits dargestellten Zweckbestimmung des § 90 Abs 1 SGB VII sollen - ebenso wie bei den genannten Vorgängervorschriften - Personen, die schon vor oder während der Zeit der Ausbildung für einen Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung - bei höherem JAV - erlitten(vgl BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R, Juris RdNr 17, SozR 3-2700 § 90 Nr 1 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90, HV-Info 1992, 598 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 RdNr 2, Stand: 01/2007; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 4). Die zum Unfall führende Tätigkeit muss bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein. Insoweit muss also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; vielmehr genügt der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung (BSGE 38, 216, 218, 219 = SozR 2200 § 573 Nr 2; BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9; BSG, Urteil vom 24.6.1981 - 2 RU 11/80 - EzS 128/79; Ricke in: Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII RdNr 4, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 4, Stand: März 2012).

28

Die in § 90 SGB VII normierten Neufestsetzungsansprüche regeln dabei im Einzelnen, weshalb eine notwendigerweise vorangehende Erstfeststellung der Höhe der Rente wegen eines nachträglich gemäß § 90 SGB VII erheblich gewordenen hypothetischen Umstandes, der zu einem günstigeren JAV zu einem späteren Zeitpunkt führte, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufgehoben und ein höherer Rentenwert neu festgesetzt werden muss, worauf der Versicherte ggf einen Anspruch hat.

29

bb) Grundsätzlich wird durch die gesetzliche Unfallversicherung mittels der (hier umstrittenen) Verletztenrente (anteilig nach dem MdE-Grad) das durch den Versicherungsfall abstrakt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im weiteren Leben (möglicherweise) nicht mehr erzielbare Gesamteinkommen ersetzt. Deshalb wird zu dessen Schätzung im Rahmen der §§ 82 ff SGB VII grundsätzlich auf das Gesamteinkommen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall abgestellt, weil dies auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zumeist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das wirtschaftliche Ergebnis bildet, das der Verletzte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich (weiterhin) erlangt hätte.

30

Dies geschieht aber schon bei der Erstfeststellung nicht schematisch, sondern mit Blick auf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung in diesem Jahr den wirtschaftlichen Standard wiedergibt, wie er ohne den Versicherungsfall fortbestanden hätte.

31

Im Rahmen der Regelberechnung regelt das Gesetz ab § 82 Abs 1 Satz 2 SGB VII bis § 86 sowie in § 88 SGB VII im Einzelnen Fallgruppen, in denen ua die Regelberechnung aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII keine gerechte oder billige Grundlage für die Schätzung des Entgangenen bildet. Soweit die Grundregelung und diese speziellen gesetzlichen Regelungen gleichwohl zu einem im Einzelfall erheblich unbilligen Ergebnis führen, sieht § 87 SGB VII subsidiär für die meisten von ihnen eine Einzelfall-Schätzung des JAV nach billigem Ermessen vor.

32

Schon bei der Erstfestsetzung der Rentenhöhe werden zur Schätzung des JAV ua nach § 82 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 82 Abs 4 SGB VII Hypothesen über den ohne den Versicherungsfall fortgesetzten oder erstmals eingetretenen Einkommensverlauf relevant. Schon hier hat das Gesetz die besondere Problematik der Regelberechnung für Berufsanfänger speziell aufgegriffen. Insbesondere § 82 Abs 2 Satz 3 SGB VII zeigt, dass die Erstschätzung des JAV vom Gesetz dann für möglicherweise "unangemessen" gehalten wird, wenn der Versicherungsfall binnen einen Jahres nach Abschluss der Berufsausbildung eintritt. Dann kann es unbillig sein, den Versicherten an einer ungünstigen Regelberechnung nach dem letzten Kalenderjahr vor dem Versicherungsfall festzuhalten, weil das keine angemessene Basis für die Schätzung ist, was er ohne den Versicherungsfall erlangt hätte.

33

cc) Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die Regelberechnung der Erstfeststellung allerdings grob unangemessen werden, wenn unberücksichtigt bleibt, dass ihr danach vermutlich fortgesetztes Gesamteinkommen (JAV der Erstfeststellung) unter Umständen nicht das wiedergibt, was sie im späteren Leben ohne den Versicherungsfall voraussichtlich als Einkommen zur Lebensführung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt hätten erlangen können. Dann würde schon abstrakt nicht hinreichend beachtet, welche Einbußen der Versicherungsfall zur Folge hatte.

34

Der Gesetzgeber hat diese Problematik in § 90 Abs 1 bis § 90 Abs 6 SGB VII typisierend geregelt. Alle Absätze der Vorschrift regeln Ansprüche auf Neufestsetzung der Höhe von Versicherungsleistungen (also Aufhebung des Höchstwerts der bisherigen Wertfestsetzung des Rechts auf Leistung und Feststellung eines höheren Werts), die von einem zuvor bereits festgestellten, dh als maßgeblich zu Grunde gelegten JAV abhängen. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass zeitlich danach ein Ereignis (in hypothetischer und typisierender Beurteilung wegen des Versicherungsfalls) nicht oder verspätet eingetreten ist, das ein höheres Gesamteinkommen/Arbeitsentgelt erbracht hätte als es bei der Erstfestsetzung des JAV zu Grunde gelegt worden ist.

35

Den einzelnen Absätzen des § 90 SGB VII liegt damit das folgende stimmige Konzept zu Grunde:

-       

§ 90 Abs 1 SGB VII regelt zunächst Folgendes: Tritt der Versicherungsfall vor oder während der Schul- oder Berufsausbildung ein und ist der Höchstwert des Rechts auf Leistung bereits wirksam festgestellt, ist dieser aufzuheben und ein höherer Wert neu festzustellen, falls der JAV für den Versicherten günstiger ist, der sich nach Maßgabe von § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII für den Tag ergibt, an dem der Versicherte seine Ausbildung voraussichtlich beendet hätte. Hat er sie an diesem Tag beendet, gibt es keinen Raum für eine hypothetische Prüfung. Auch ist ihm, der seine Ausbildung pünktlich abgeschlossen hat, in der für das Gesetz erlaubten typisierenden Betrachtung kein weiterer Nachteil aus dem Versicherungsfall entstanden, weil er typischerweise nicht durch den Versicherungsfall gehindert ist, ein dem Tarifentgelt des § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII entsprechendes Gesamteinkommen zu erzielen.

-       

Ist hingegen der Versicherungsfall vor der Berufsausbildung eingetreten und die Erstfeststellung des Höchstwerts der Versicherungsleistung wirksam festgestellt worden und vollendet der Versicherte das 21. Lebensjahr (oder später das 25. Lebensjahr) und lässt sich nicht feststellen, welches Ausbildungsziel der Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, ist der JAV ab diesem Tag mit 75 vH der Bezugsgröße (später 100 vH) anzusetzen (§ 90 Abs 1 iVm § 90 Abs 4 SGB VII).

-       

§ 90 Abs 2 SGB VII erfasst dann die Fälle, in denen nach der Erstfeststellung bei unter dreißigjährigen Versicherten diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres an tarifvertraglichen oder ortsüblichen Erhöhungen des Arbeitsentgelts nicht teilgenommen haben, die zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit für den späteren Fall vorgesehen waren, dass sie ein bestimmtes Berufsjahr erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hatten. Ihnen ist in der gesetzlichen typisierenden Betrachtung regelmäßig wegen des Versicherungsfalls die Entgelterhöhung entgangen. Wenn diese einen günstigeren JAV brächte, besteht ein Neufeststellungsanspruch.

-       

Hat in den Fällen von § 90 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII der Versicherungsfall eine Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht, entsteht gemäß § 90 Abs 3 SGB VII, falls es günstiger ist, ein Neufeststellungsanspruch jeweils und sogar über das 30. Lebensjahr hinaus, falls zur Zeit des Versicherungsfalls tarifvertraglich oder ortsüblich spätere Entgelterhöhungen nach Lebensalter, Berufsjahren oder Ablauf von Bewährungszeiten vorgesehen sind und diese Voraussetzungen erfüllt werden.

-       

Unter Berücksichtigung des § 90 Abs 5 und des § 90 Abs 6 SGB VII sowie insbesondere auch der subsidiären Billigkeitsregelung in § 91 SGB VII mit der nochmals subsidiären Neufeststellung nach billigem Ermessen ergibt sich damit ein stimmiges Konzept, das typisierend Fallgestaltungen regelt, in denen das Gesetz typische Fälle erfasst, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das eigentlich nach der Regelberechnung der §§ 82 ff SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitseinkommen als unbillig erscheint. Dementsprechend ist es auch nicht gesetzesplanwidrig, dass eine Neufeststellung dann nicht beansprucht werden kann, wenn aus dem Versicherungsfall (typisch gesehen) kein durch den Versicherungsfall bedingter weiterer Einkommensnachteil eingetreten ist, der von der Regelberechnung nicht erfasst wäre.

-       

Im Übrigen wird selbst bei denjenigen, die lediglich von der Regelberechnung erfasst werden und keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 90 SGB VII haben, im Falle eines besonders niedrigen Erwerbseinkommens im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall in jedem Fall entweder der Mindest-JAV des § 85 SGB VII oder - bei Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - ein besonders gesetzlich festgelegter JAV zu Grunde gelegt (§ 86 SGB VII).

36

Wenn danach ein stimmiges Konzept für die Fallgestaltungen vorliegt, in denen es dem Gesetz unbillig erscheint, die jeweils erfassten Personenkreise an ihrem (zu niedrigen) JAV nach Maßgabe der Regelberechnung nach den §§ 82 ff SGB VII festzuhalten, liegt für die Fallgestaltungen, in denen die Ausbildung - wie hier - plangemäß abgeschlossen worden ist, keine ausfüll-bare Gesetzeslücke vor. Dementsprechend kann § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch nicht zu Gunsten des Klägers analog angewandt werden. Das BSG ist nicht dazu befugt, eine - wie oben ausgeführt - rechtlich vollständige, sozial- oder rechtspolitisch jedoch von einzelnen Personen oder Gruppen als defizitär empfundene Regelung fortbildend zu ergänzen und sich damit unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) in die Rolle einer normsetzenden Instanz zu begeben (so auch BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 22, SozR 4-4100 § 169 Nr 1 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194; 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280; ferner BVerfGE 96, 375, 394 f; 113, 88, 103).

37

c) Die entgegenstehenden, damals nicht tragenden und nicht näher begründeten Ausführungen in der zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII ergangenen Entscheidung des Senats vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - (SozR 3-2700 § 90 Nr 1; vgl zuvor zu § 573 RVO: BSG, Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81 - SozR 2200 § 573 Nr 11) können demgemäß nicht aufrechterhalten bleiben, zumal die Voraussetzungen der Analogie dort nicht geprüft worden sind. Gleiches gilt für die eine solche Analogie befürwortenden Stimmen in der Literatur, die sich - soweit ersichtlich - nicht mit den rechtssystematischen Voraussetzungen der Analogiefähigkeit des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auseinandersetzen und lediglich die Entscheidung des BSG vom 7.11.2000 (aaO) zustimmend zitieren (vgl etwa Ricke in Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII, RdNr 5, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 9a, Stand: März 2012; Burchardt in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 90 RdNr 18a, Stand: März 2007; Rütenik in: juris-PK SGB VII, 1. Aufl 2009, § 90 RdNr 42; Dahm in: Lauterbach, UV , § 90 RdNr 18, Stand: Oktober 2006; Becker in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 5; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 90 RdNr 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 SGB VII, RdNr 8.5, Stand 01/2007; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 7; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 90 RdNr 27).

38

Die Methode der Analogie ist eine verfassungsrechtlich anerkannte Form der richterlichen Rechtsfortbildung (vgl zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN). Sie ist allerdings von der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen (BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194). Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (BVerfGE 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280). Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann eingesetzt werden, wenn das Gericht auf Grund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054). Eine derartige Lücke ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BVerfG NJW 1992, 1219; BVerfGE 65, 182, 194). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese - auch im Interesse der Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger - nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so ggf im Parlament gar nicht erreichbar war (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054; BVerfGE 82, 6, 12). So spricht die Entscheidung des BSG im zum alten Recht ergangenen Urteil vom 15.6.1983 (aaO, S 35) ohne nähere Gesetzesprüfung von einem "wenig einleuchtenden Ergebnis", das zu korrigieren sei. Eine solche Betrachtungsweise entspricht aber gerade nicht den strengen Voraussetzungen für die "Lücken"schließung durch Analogie. Eine Lücke im Gesetz liegt vielmehr nur dort vor, wo es eine Regelung weder ausdrücklich noch schlüssig getroffen hat und es deshalb nach dem Konzept des Gesetzes, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist. Keine Gesetzeslücke liegt also vor, wenn die Nichtregelung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände entspricht, seine richterliche Ergänzung also dem "Willen des Gesetzes" widerspricht. Es muss sich um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (stRspr des BSG, vgl zB Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5; Urteil des Senats vom 27.5.2008 - B 2 U 21/07 R, Juris RdNr 17, UV-Recht Aktuell 2008, 1162; Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f; BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4; BSGE 63, 120, 131 = SozR 4100 § 138 Nr 17 S 92; BSGE 25, 150, 151; BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1; vgl auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983, S 39, 197 f), die hier - wie soeben im Einzelnen unter 2 b) dargestellt - gerade nicht vorliegt.

39

Insbesondere verstößt § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Es liegt weder eine willkürliche Regelung noch eine ungerechtfertigte Nichtbeachtung, geschweige denn eine unverhältnismäßige, von sachlichen Unterschieden zwischen beiden Personengruppen vor.

40

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII soll - wie oben unter 1. ausgeführt - bei Schülern und Auszubildenden einen typisierenden zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls ausgleichen, nämlich die Tatsache, dass eine Ausbildung nach dem Versicherungsfall lediglich mit Verzögerungen oder überhaupt nicht beendet wurde. Dieser typisierte Schadensfall liegt bei dem Kläger und der von ihm repräsentierten Fallgruppe aber gerade nicht vor, weil die Ausbildung fristgerecht beendet wurde. Solche Versicherte haben daher, in der typisierenden Betrachtung des Gesetzes, keine weiteren (hypothetischen) Nachteile wegen des Versicherungsfalls erlitten. Zwischen den beiden Gruppen - privilegierte Verletzte mit verzögertem oder ausgefallenem Ausbildungsabschluss und typisiert unterstelltem Verzögerungsschaden einerseits und nicht durch § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII privilegierte Verletzte mit fristgerechtem Ausbildungsabschluss - bestehen daher gerade sachliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht(vgl BVerfGE 55, 72, 88; 84, 133, 157; 84, 197, 199; 85, 238, 244; 87, 1, 36; 95, 39, 45), dass sie vielmehr eine Ungleichbehandlung beider Gruppen im Lichte des Art 3 Abs 1 GG geradezu geboten erscheinen lassen. Denn andernfalls würde bei einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss ein (hypothetischer) "Verzögerungsschaden" ersetzt, der tatsächlich überhaupt nicht vorliegt. Dadurch käme es wohl zu einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.

41

Soweit sich der Senat in der Entscheidung vom 7.11.2000 (aaO) ergänzend auf frühere Entscheidungen des BSG zur anders formulierten Vorgängerregelung des § 573 RVO berufen hat(Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr 11; sowie Urteil vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2), kann im Übrigen dahinstehen, inwieweit § 573 RVO einer entsprechenden Analogie tatsächlich zugänglich gewesen ist. Denn erst durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ist das soeben umrissene stimmige Konzept auch deutlich formuliert worden.

42

Da der Kläger durch die angefochtene Höchstwertfestsetzung bereits mehr erhielt, als ihm nach dem Gesetz zusteht, konnte sein Begehren auf noch höhere Rente keinen Erfolg haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Ist der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten, wird, wenn es für die Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 30. Lebensjahres auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst wird mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.

(3) In den Fällen des § 82 Absatz 2 Satz 2 sind die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.