Bundessozialgericht Beschluss, 25. Mai 2018 - B 13 R 217/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:250518BB13R21717B0
bei uns veröffentlicht am25.05.2018

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Juni 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig. Das SG Neubrandenburg hat die Klage mit Urteil vom 12.5.2016 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das LSG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss des 7. Senats vom 19.6.2017, an dem der an das LSG abgeordnete Richter am SG G. mitgewirkt hat, zurückgewiesen.

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG. Sie rügt die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Richter am SG G. habe bei der Beschlussfassung des 7. Senats des LSG nicht mitwirken dürfen. Dieser sei mindestens seit dem 1.1.2015 an das LSG abgeordnet, was sich aus den Geschäftsverteilungsplänen dieses Gerichts ergäbe. Die Länge der Abordnung überschreite die nach der Rechtsprechung des BVerfG hierfür geltenden Grenzen erheblich. Die Abordnung möge ursprünglich zur Erprobung erfolgt sein. Dieser Rechtfertigungsgrund sei mittlerweile aber weggefallen. Jedenfalls legitimiere er keine Abordnung über mehrere Jahre. Angesichts ihrer Länge sei die Abordnung auch nicht durch eine unvorhergesehene Überlastung des LSG zu rechtfertigen.

3

Der Senat hat Stellungnahmen der Präsidentin des LSG vom 6.7.2017 und 17.10.2017 zu den Gründen und die (Fort-)Dauer der Abordnung des Richters am SG G. an das LSG aus dem Parallelverfahren B 13 R 107/17 B beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnis gegeben.

4

II. Auf die Beschwerde der Klägerin war der angefochtene Beschluss des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Klägerin hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG)und auch in der Sache zutreffend die Verletzung ihres Rechts aus Art 101 Abs 1 S 2 GG auf den gesetzlichen Richter gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Die Klägerin rügt mit ihrer Beschwerde zu Recht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG Mecklenburg-Vorpommern bei der am 19.6.2017 erfolgten Beschlussfassung in der hier streitbefangenen Sache.

7

Das LSG besteht nach § 30 Abs 1 SGG aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden Richtern, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Richtern, und jeder Senat des LSG wird nach § 33 Abs 1 S 1 SGG in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO).

8

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (zB BVerfG Beschluss vom 23.1.1996 - 1 BvR 1551/95 - Juris RdNr 3; ebenso auch BGH Urteil vom 16.3.2005 - RiZ 2/04 - BGHZ 162, 333, 340 f; BVerwG Urteil vom 23.8.1996 - 8 C 19/95 - BVerwGE 102, 7, 8; BAG Beschluss vom 18.6.2015 - 8 AZN 881/14 - Juris RdNr 5) sieht das GG im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass deren Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art 97 Abs 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art 97 Abs 2 GG institutionell gesichert. Auch Art 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 162).

9

Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 162). Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln.

10

Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 164). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG Beschluss vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - Juris RdNr 7 mwN).

11

Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen (typischweise bei Mutterschutz oder Dienstunfähigkeit) oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern aber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 164 f; ebenso BAG Beschluss vom 18.6.2015 - 8 AZN 881/14 - Juris RdNr 8).

12

b) Ausgehend von diesen Maßstäben war, wie sich aus den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.2017 und 17.10.2017 ergibt, der 7. Senat des LSG bei der Beschlussfassung am 19.6.2017 nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund im obigen Sinne für das Tätigwerden des Richters am SG G. statt eines planmäßigen Richters am LSG lag nicht vor.

13

Aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern geht hervor, dass Richter am SG G. zunächst für den Zeitraum vom 1.1.2015 bis 30.9.2015 zur "Rechtserprobung" an das LSG abgeordnet war. Sodann wurde seine Abordnung bis zum 31.12.2016 und anschließend erneut bis zum 31.12.2018 verlängert. Die Fortdauer der Abordnung des Richters am SG G."über den Zeitraum der Rechtserprobung hinaus" sei - so die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern - "mit Blick auf die Eingangsbelastung und insbesondere auf die erheblichen Bestände" des LSG erfolgt. Ende 2015 entfielen auf jeden Richter am LSG Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 208 Verfahren, während der Bundesdurchschnitt bei 114 lag. 2016 betrug in Mecklenburg-Vorpommern die Durchschnittsbelastung 135 Verfahrenszugänge pro Richter, während es im Bund 110 waren. Weiter heißt es in ihrem Schreiben vom 6.7.2017 wie folgt: "Da alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt sind, war mir in der Vergangenheit eine Verstärkung nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich. Meinen wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs ist erstmals im Herbst 2016 dadurch Rechnung getragen worden, dass eine kapitelübergreifend genutzte Stelle ausgeschrieben werden konnte." Nach ihrer Auskunft vom 17.10.2017 ist ein weiterer Richter zum 26.1.2017 am LSG alsdann im Vorgriff auf den Doppel-Haushalt 2017/2018 - kapitelübergreifend - ernannt worden. Das LSG sei trotz gestiegener Eingangszahlen seit 1993 bis heute (Anm Oktober 2017) mit zwölf Planstellen ausgestattet. Die weitere Abordnung des Richters am SG G. sei den im Einzelnen aufgefächerten Zahlen geschuldet, da die alleinige Besetzung einer weiteren Stelle den Bedarf des Gerichts nicht habe decken können.

14

Zwingende Gründe im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BVerfG für die auch noch im Juni 2017 fortbestehende Abordnung des Richters am SG G. an das LSG ergeben sich aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern nicht.

15

aa) Die eine Abordnung an das LSG rechtfertigende Eignungserprobung des Richters am SG G. war bereits zum 30.9.2015 beendet.

16

bb) Zwar weist die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern auf eine erhebliche Belastungssituation Ende 2015 und 2016 beim Berufungsgericht hin, deren Bewältigung durch Verstärkung richterlichen Personals "nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich" war, weil "alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt" waren und ihren "wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs" vom zuständigen Ministerium offenbar nur sehr zögerlich Rechnung ("erstmals im Januar 2017") getragen wurde. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BVerfG ist allerdings in Fällen eines "außergewöhnlichen Arbeitsanfalls" die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern bei dem betreffenden Gericht nur "zeitweilig" gerechtfertigt, jedoch dann nicht, wenn dessen Arbeitslast deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es strukturell unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist. Letzteres kommt in den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, die - laut Auskunft - selbst für die Abordnung zuständig und verantwortlich zeichnet. Denn sie begründet die Abordnung mit einer dauerhaften erheblichen Belastung des LSG durch entsprechende Eingänge, die nahezu zwangsläufig zu einer erhöhten Bestandsbelastung führen, sowie mit einer nicht ausreichenden Ausstattung des LSG mit Planstellen. Unabhängig davon, ob und seit wann eine Ausstattung mit weiteren Planstellen objektiv erforderlich gewesen wäre, kann von einem "zeitweilig außergewöhnlichen Arbeitsanfall", der eine weitere Abordnung rechtfertigen könnte, damit jedenfalls zum Zeitpunkt der hier fraglichen Beschlussfassung am 19.6.2017 nicht mehr die Rede sein.

17

Die in der Auskunft der Präsidentin vom 17.10.2017 angesprochene Abordnung eines Vorsitzenden Richters am LSG in das Justizministerium ist kein Ausfall eines planmäßigen Richters im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG, sondern eine gezielte Personalmaßnahme.

18

c) Bei dem hiernach vorliegenden absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO)wird das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet (vgl BSG Beschluss vom 31.3.2017 - B 12 KR 28/16 B - Juris RdNr 9).

19

Unerheblich ist, dass die Klägerin die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG nicht bereits während des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt hat. Die Besetzungsrüge ist nicht gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO ausgeschlossen, weil auf die Befolgung der für eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam iS von § 295 Abs 2 ZPO verzichtet werden kann(BSG Urteil vom 12.5.1993 - 6 RKa 25/92 - Juris RdNr 16).

20

d) Der Senat macht aus prozessökonomischen Gründen von der in § 160a Abs 5 SGG vorgesehenen Möglichkeit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des LSG wegen des benannten Verfahrensmangels und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz Gebrauch.

21

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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Tenor Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. Juni 2018 aufgehoben.

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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um eine Rente wegen Erwerbsminderung. Das SG hat mit Urteil vom 1.4.2016 die Klage unter Auferlegung von Verschuldenskosten iHv 150 Euro abgewiesen. Das LSG (7. Senat) hat nach Anhörung der Beteiligten die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 24.2.2017 zurückgewiesen. An diesem Beschluss haben der Vorsitzende Richter am LSG A., der Richter am LSG M. und der Richter am SG G. mitgewirkt.

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG. Sie rügt die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Die Mitwirkung des Richters am SG G. bei der Beschlussfassung des 7. Senats des LSG führe zu dessen ordnungswidrigen Besetzung, weil die seit Januar 2015 bereits andauernde Abordnung des Richters am SG G. an das LSG nicht den in der Rechtsprechung des BVerfG vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung möge ursprünglich zur Erprobung erfolgt sein. Dieser Rechtfertigungsgrund sei mittlerweile aber weggefallen. Jedenfalls legitimiere er keine Abordnung über mehrere Jahre. Die Dauer der Abordnung des Richters am SG G. rechtfertige sich auch nicht mit einer nicht vorhersehbaren Überlastung des LSG.

3

Der Senat hat Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.2017 und 17.10.2017 über die Gründe und die (Fort-)Dauer der Abordnung des Richters am SG G. an das LSG eingeholt.

4

II. Auf die Beschwerde der Klägerin war der angefochtene Beschluss des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Klägerin hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG)und auch in der Sache zutreffend die Verletzung ihres Rechts aus Art 101 Abs 1 S 2 GG auf den gesetzlichen Richter gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Die Klägerin rügt mit ihrer Beschwerde zu Recht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG Mecklenburg-Vorpommern bei der am 24.2.2017 erfolgten Beschlussfassung in der hier streitbefangenen Sache.

7

Das LSG besteht nach § 30 Abs 1 SGG aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden Richtern, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Richtern, und jeder Senat des LSG wird nach § 33 Abs 1 S 1 SGG in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO).

8

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (zB BVerfG Beschluss vom 23.1.1996 - 1 BvR 1551/95 - Juris RdNr 3; ebenso auch BGH Urteil vom 16.3.2005 - RiZ 2/04 - BGHZ 162, 333, 340 f; BVerwG Urteil vom 23.8.1996 - 8 C 19/95 - BVerwGE 102, 7, 8; BAG Beschluss vom 18.6.2015 - 8 AZN 881/14 - Juris RdNr 5) sieht das GG im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass deren Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art 97 Abs 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art 97 Abs 2 GG institutionell gesichert. Auch Art 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind.

9

Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 162). Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln.

10

Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 164). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG Beschluss vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - Juris RdNr 7 mwN).

11

Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen (typischerweise bei Mutterschutz oder Dienstunfähigkeit) oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern aber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (BVerfG Urteil vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156, 164 f; ebenso BAG Beschluss vom 18.6.2015 - 8 AZN 881/14 - Juris RdNr 8).

12

b) Ausgehend von diesen Maßstäben war, wie sich aus den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.2017 und 17.10.2017 ergibt, der 7. Senat des LSG bei der Beschlussfassung am 24.2.2017 nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund im obigen Sinne für das Tätigwerden des Richters am SG G. statt eines planmäßigen Richters am LSG lag nicht vor.

13

Aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern geht hervor, dass Richter am SG G. zunächst für den Zeitraum vom 1.1.2015 bis 30.9.2015 zur "Rechtserprobung" an das LSG abgeordnet war. Sodann wurde seine Abordnung bis zum 31.12.2016 und anschließend erneut bis zum 31.12.2018 verlängert. Die Fortdauer der Abordnung des Richters am SG G."über den Zeitraum der Rechtserprobung hinaus" sei - so die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern - "mit Blick auf die Eingangsbelastung und insbesondere auf die erheblichen Bestände" des LSG erfolgt. Ende 2015 entfielen auf jeden Richter am LSG Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 208 Verfahren, während der Bundesdurchschnitt bei 114 lag. 2016 betrug in Mecklenburg-Vorpommern die Durchschnittsbelastung 135 Verfahrenszugänge pro Richter, während es im Bund 110 waren. Weiter heißt es in ihrem Schreiben vom 6.7.2017 wie folgt: "Da alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt sind, war mir in der Vergangenheit eine Verstärkung nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich. Meinen wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs ist erstmals im Herbst 2016 dadurch Rechnung getragen worden, dass eine kapitelübergreifend genutzte Stelle ausgeschrieben werden konnte." Nach ihrer Auskunft vom 17.10.2017 ist ein weiterer Richter zum 26.1.2017 am LSG alsdann im Vorgriff auf den Doppel-Haushalt 2017/2018 - kapitelübergreifend - ernannt worden. Das LSG sei trotz gestiegener Eingangszahlen seit 1993 bis heute (Anm Oktober 2017) mit zwölf Planstellen ausgestattet. Die weitere Abordnung des Richters am SG G. sei den im Einzelnen aufgefächerten Zahlen geschuldet, da die alleinige Besetzung einer weiteren Stelle den Bedarf des Gerichts nicht habe decken können.

14

Zwingende Gründe im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BVerfG für die auch noch im Februar 2017 fortbestehende Abordnung des Richters am SG G. an das LSG ergeben sich aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern nicht.

15

aa) Die eine Abordnung an das LSG rechtfertigende Eignungserprobung des Richters am SG G. war bereits zum 30.9.2015 beendet.

16

bb) Zwar weist die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern auf eine erhebliche Belastungssituation Ende 2015 und 2016 beim Berufungsgericht hin, deren Bewältigung durch Verstärkung richterlichen Personals "nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich" war, weil "alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt" waren und ihren "wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs" vom zuständigen Ministerium offenbar nur sehr zögerlich Rechnung ("erstmals im Januar 2017") getragen wurde. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BVerfG ist allerdings in Fällen eines "außergewöhnlichen Arbeitsanfalls" die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern bei dem betreffenden Gericht nur "zeitweilig" gerechtfertigt, jedoch dann nicht, wenn dessen Arbeitslast deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist. Letzteres kommt in den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, die laut Auskunft selbst für die Abordnung zuständig und verantwortlich zeichnet. Denn sie begründet die Abordnung mit einer dauerhaften erheblichen Belastung des LSG durch entsprechende Eingänge, die nahezu zwangsläufig zu einer erhöhten Bestandsbelastung führen, sowie mit einer nicht ausreichenden Ausstattung des LSG mit Planstellen - zumindest in der Vergangenheit. Unabhängig davon, ob und seit wann eine Ausstattung mit weiteren Planstellen objektiv erforderlich gewesen wäre, kann von einem "zeitweilig außergewöhnlichen Arbeitsanfall", der eine weitere Abordnung rechtfertigen könnte, jedenfalls zum Zeitpunkt der hier fraglichen Beschlussfassung am 24.2.2017 nicht mehr die Rede sein.

17

Die in der Auskunft der Präsidentin vom 17.10.2017 angesprochene Abordnung eines Vorsitzenden Richters am LSG in das Justizministerium ist kein Ausfall eines planmäßigen Richters im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG, sondern eine gezielte Personalmaßnahme.

18

c) Bei dem hiernach vorliegenden absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO)wird das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet (vgl BSG Beschluss vom 31.3.2017 - B 12 KR 28/16 B - Juris RdNr 9).

19

Unerheblich ist, dass die Klägerin die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG nicht bereits während des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt hat. Die Besetzungsrüge ist nicht gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO ausgeschlossen, weil auf die Befolgung der für eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam iS von § 295 Abs 2 ZPO verzichtet werden kann(BSG Urteil vom 12.5.1993 - 6 RKa 25/92 - Juris RdNr 16).

20

d) Der Senat macht aus prozessökonomischen Gründen von der in § 160a Abs 5 SGG vorgesehenen Möglichkeit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des LSG wegen des benannten Verfahrensmangels und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz Gebrauch.

21

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Landessozialgericht besteht aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden Richtern, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Richtern.

(2) Die für die allgemeine Dienstaufsicht und die sonstigen Geschäfte der Gerichtsverwaltung zuständige Stelle wird durch Landesrecht bestimmt.

(1) Jeder Senat wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. § 12 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 5 gilt entsprechend.

(2) In Senaten, die in Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2) entscheiden, wirken die für Angelegenheiten der Sozialversicherung berufenen ehrenamtlichen Richter mit.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. August 2014 - 7 Sa 121/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 188.838,20 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. An der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom 1. August 2014 hat Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T als Vorsitzender mitgewirkt, der das anzufechtende Urteil auch unterschrieben hat. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht. Sie hat ua. gerügt, es liege der Beschwerdegrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Ihr Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG auf den gesetzlichen Richter sei verletzt. Die Mitwirkung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T in der erkennenden Kammer des Landesarbeitsgerichts führe zu deren ordnungswidriger Besetzung, da seine Abordnung nicht den in der Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung sei weder zur Erprobung erfolgt noch wegen einer nicht vorhersehbaren Überlastung des Landesarbeitsgerichts.

2

II. Die Besetzungsrüge ist begründet. Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts liegt vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

3

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig. Die Beklagte hat die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landesarbeitsgerichts, die sie bereits ohne Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht gerügt hatte, innerhalb der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerde unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß erhoben. Einer Darlegung, dass das Berufungsurteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht, bedurfte es nicht, weil das Gesetz davon ausgeht, dass in einem solchen Fall die Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend angesehen wird (§ 547 Nr. 1 ZPO).

4

2. Die Verfahrensrüge ist begründet.

5

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 13. November 1997 - 2 BvR 2269/93 -; 23. Januar 1996 - 1 BvR 1551/95 -; 8. Juli 1992 - 2 BvL 27/91, 2 BvL 31/91 - zu C III 2 a der Gründe mwN, BVerfGE 87, 68; 3. Juli 1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerGE 14, 156), des Bundesgerichtshofs (ua. BGH 16. März 2005 - RiZ (R) 2/04 - zu II 2 b der Gründe, BGHZ 162, 333; 13. Juli 1995 - V ZB 6/94 - zu III 1 b aa der Gründe, BGHZ 130, 304; 5. Juni 1985 - VIII ZR 135/84 - zu II 2 der Gründe, BGHZ 95, 22; 15. November 1956 - III ZR 84/55 - BGHZ 22, 142, 145), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 23. August 1996 - 8 C 19.95 - BVerwGE 102, 7) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG 6. Juni 2007 - 4 AZR 411/06 - Rn. 34, BAGE 123, 46; 25. März 1971 - 2 AZR 187/70 -) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind(BVerfG 3. Juli 1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).

6

Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken. Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln. Das Grundgesetz beschränkt eine solche Verwendung auf das zwingend gebotene Maß (BVerfG 3. Juli 1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).

7

Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung (BVerfG 22. Juni 2006 - 2 BvR 957/05 - Rn. 7 mwN; 3. Juli 1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG 22. Juni 2006 - 2 BvR 957/05 - Rn. 7 mwN; 13. November 1997 - 2 BvR 2269/93 -; 23. Januar 1996 - 1 BvR 1551/95 -; 9. November 1955 - 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52 - zu IV 2 b der Gründe, BVerfGE 4, 331).

8

Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (BVerfG 3. Juli 1962 - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156).

9

b) Danach war, wie sich aus der vom Revisionsgericht eingeholten dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts ergibt, die Kammer 7 des Landesarbeitsgerichts im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2014 sowie im Verkündungstermin am 29. August 2014, in dem das anzufechtende Urteil ergangen ist, nicht ordnungsgemäß besetzt.

10

aa) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht hervor, dass das Sächsische Landesarbeitsgericht grundsätzlich nach den Berechnungen des Personalbedarfsberechnungssystems (PEBB§Y) mit sieben Vorsitzenden einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten ausreichend besetzt ist. Die Geschäftsverteilungspläne 2007 bis 2014 weisen dementsprechend bei neun Kammern jeweils mindestens sieben als planmäßig mit Vorsitzenden Richtern/Richterinnen besetzte Kammern aus. Danach spricht nichts dafür, dass die Arbeitslast des Landesarbeitsgerichts im Geschäftsverteilungszeitraum 2014 wegen fehlender oder offener Planstellen nicht bewältigt werden konnte und die hier zu beurteilende Abordnung vor dem Hintergrund eines derartigen Mangels aufzufassen wäre.

11

bb) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht weiter hervor, dass Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2013 mit seiner vollen Arbeitskraft (1,0 AKA) an das Sächsische Landesarbeitsgericht abgeordnet war. Seine Abordnung wurde zum 1. Januar 2014 zunächst bis zum 31. Dezember 2014 mit seiner halben Arbeitskraft (0,5 AKA) verlängert. Im Übrigen (0,5 AKA) nimmt er seine Aufgaben als ständiger Vertreter des Direktors beim Arbeitsgericht C wahr. Aus dem Geschäftsverteilungsplan 2015 ergibt sich, dass eine weitere Verlängerung mit halber Arbeitskraft (0,5 AKA) bis zum 31. Dezember 2015 erfolgt ist.

12

Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T war nach den jährlichen Geschäftsverteilungsplänen 2013 bis 2014 und den dazu ergangenen Änderungsbeschlüssen zunächst der Kammer 7 zugeordnet, mit Wirkung vom 6. September 2013 (auch) der Kammer 8, in den Jahren 2014 und 2015 der Kammer 7.

13

In der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts heißt es: „Die Reduzierung der Arbeitsanteile des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T zum 1. Januar 2014 erfolgte, um zeitgleich auch der Richterin am Arbeitsgericht M eine Erprobungsabordnung zu ermöglichen.“ Die Abordnung der Richterin am Arbeitsgericht M zur Erprobung erfolgte laut der dienstlichen Auskunft für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2015. Weiter heißt es in der dienstlichen Auskunft: „Die Abordnung des Herrn T erfolgte ebenfalls zur Erprobung. Jedenfalls ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, so dass Herrn Ts Abordnung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht zu 0,5 AKA nochmals verlängert wurde.“ Dazu heißt es, ab April 2014 habe sich eine unvorhergesehene Überbelastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts abgezeichnet, weil zwei Vorsitzende krankheitsbedingt auszufallen drohten, was bei nur sieben Vorsitzenden Richterstellen nicht durch die Vertreter ausgeglichen werden könne. Vor diesem Hintergrund sei die „weitere Abordnung des Herrn T unabdingbar gewesen“. Allerdings hätten sich die Befürchtungen längerfristiger Ausfälle der beiden Kollegen bis zum Jahresende 2014 als unbegründet erwiesen. An anderer Stelle heißt es, Herrn T, der aufgrund seiner positiven Entwicklung für eine Stelle als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht in Betracht komme, „sollte die Möglichkeit der Erprobung, insbesondere einer weiteren Bewährung in der zweiten Instanz gegeben werden.“

14

cc) Zwingende Gründe für einen Einsatz des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T am Sächsischen Landesarbeitsgericht ab dem 1. Januar 2014 sind nicht dargelegt worden.

15

(1) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 der zuvor bereits ein Jahr in Vollzeit zur Erprobung erfolgten Abordnung nicht hervor, dass auch sie zur Erprobung erfolgt ist. Bezogen auf den Verlängerungszeitraum reicht allein ein „auch“ (jedenfalls „ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung“) nicht aus, um mit der gebotenen Eindeutigkeit von einer Eignungserprobung ausgehen zu können. Auch sind tatsächliche Umstände dafür nicht aufgezeigt worden. Eine „weitere Bewährung in der zweiten Instanz“, für die ebenfalls keine tatsächlichen Umstände angeführt worden sind, kann nicht als zwingender Grund iSd. Vorgaben angesehen werden.

16

(2) Auch ein anderer zwingender Grund ist für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 nicht erkennbar.

17

(a) Eine Erprobungsabordnung eines anderen Richters, auch wenn diese in Teilzeitbeschäftigung erfolgt, ist an sich kein zwingender Grund, der eine Besetzung in Abordnung der anderen Hälfte der Vorsitzendenstelle tragen kann.

18

(b) Allein die Befürchtung, es werde vermutlich zu einem vorübergehenden Ausfall planmäßiger Richter kommen, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern dann neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden könnte, reicht nicht aus. Abgesehen davon, dass sich eine solche Situation nach der dienstlichen Auskunft (erst) ab April 2014 abzeichnete, während der Geschäftsverteilungsplan für 2014 mit der durchgängigen Besetzung der Kammer 7 durch Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T bereits im Dezember 2013 beschlossen worden ist, ist allein die Befürchtung eines durch die regelmäßige Vertretung nicht auffangbaren Ausfalls planmäßiger Richter kein zwingender Grund, sondern erst eine solcherart eingetretene Situation.

19

(c) Ein aufzuarbeitender - also bereits tatsächlich bestehender - zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist nicht dargelegt worden.

20

dd) Auf den mit der Beschwerde gerügten Gesichtspunkt der Teilabordnung kommt es nach allem nicht mehr an.

21

III. Wegen der im Jahre 2015 fortbestehenden Abordnung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T, für die ein zwingender Abordnungsgrund nicht erkennbar ist, macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts Gebrauch.

        

    Hauck    

        

    Breinlinger    

        

    Winter    

        

        

        

    Eimer    

        

    C. Gothe    

                 

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Erhebung des kassenindividuellen Zusatz(krankenversicherungs)beitrags in Höhe von 8 Euro monatlich (§ 242 SGB V) durch die beklagte Krankenkasse im Zeitraum vom 1.3.2010 bis 28.2.2012.

2

Mit Verfügung vom 11.1.2016 wies der Vorsitzende des 4. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen die Beteiligten auf die Möglichkeit des vereinfachten Verfahrens nach § 153 Abs 4 SGG sowie dessen Voraussetzungen hin, teilte mit, dass der Senat diese Voraussetzungen für gegeben halte und gab Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu bis zum 20.2.2016. Die Anhörungsmitteilung wurde dem Kläger am 16.1.2016 zugestellt. Das LSG hat mit Beschluss vom 11.2.2016, zugestellt am 17.2.2016, die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende erstinstanzliche Urteil vom 16.5.2013 zurückgewiesen. Der Kläger hatte sich zuvor nicht geäußert.

3

Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde ua die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§§ 62, 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG vor Ablauf der von ihm (selbst) gesetzten Anhörungsfrist (20.2.2016) entschieden habe (11.2.2016).

4

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger macht zu Recht einen Verfahrensmangel geltend, auf dem der angefochtene Beschluss auch beruht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG hat gegen das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) verstoßen, weil es am 11.2.2016 gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG durch Beschluss entschieden hat, obwohl die von ihm gesetzte, erst am 20.2.2016 endende Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war und der Kläger sich auch nicht bereits abschließend in der Sache geäußert hatte.

5

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, denn sie bezeichnet substantiiert Tatsachen(grundlegend etwa BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36), aus denen sich ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG ergeben kann.

6

b) Die Beschwerde ist auch begründet, denn die gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG liegt vor.

7

Zwar hat das LSG den Kläger unter dem 11.1.2016 darauf hingewiesen, dass es in Betracht ziehe, dessen Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter) zurückzuweisen. Diese Anhörungsmitteilung hat den prozessrechtlichen Anforderungen entsprochen (vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 809; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 19 mwN). Auch war die dem Kläger bis zum 20.2.2016 gesetzte Frist zur Äußerung angemessen.

8

Vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Anhörungsfrist darf das Gericht aber grundsätzlich nicht entscheiden (BSG Beschluss vom 12.10.2016 - B 11 AL 48/16 B - Juris RdNr 7; Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 8; Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12, unter Hinweis auf BVerfG Beschluss vom 24.10.1991 - 1 BvR 604/90 - Juris; auch BSG Urteil vom 11.5.1995 - 2 RU 43/94 - HVBG-Info 1995, 2372; Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend in der Sache geäußert hat und weitere Stellungnahmen nach Lage der Dinge nicht zu erwarten sind (vgl - zu § 105 SGG - Roller in HK-SGG, 5. Aufl 2017, § 105 RdNr 8; Hauck in Hennig, SGG, Stand April 2010, § 105 RdNr 51). - Diese Maßgaben hat das LSG ersichtlich nicht beachtet.

9

Weil das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entschieden hat, liegt eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG vor. Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Denn der Verfahrensfehler führt nicht nur zu einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§§ 62, 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG), sondern auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (nur mit Berufsrichtern) und damit zu einer Verletzung des Rechts des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - Juris RdNr 7 ff; Beschluss vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - Juris RdNr 6).

10

2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen. Hiervon macht der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen Gebrauch.

11

3. Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.

(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.