Bundesgerichtshof Urteil, 15. Dez. 2010 - XII ZR 27/09

bei uns veröffentlicht am15.12.2010
vorgehend
Amtsgericht Aachen, 20 F 266/04, 08.04.2008
Oberlandesgericht Köln, 12 UF 39/08, 29.01.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
XII ZR 27/09 Verkündet am:
15. Dezember 2010
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 Fb, 234 C, 338, 85; EuVTVO Art. 18
a) Veranlasst die Geschäftsstelle des Gerichts die nochmalige Zustellung eines
Versäumnisurteils, weil sie irrig davon ausgeht, die bereits erfolgte Zustellung
sei wegen fehlender Belehrung über den Einspruch unwirksam, so wird der
bereits mit der ersten Zustellung ausgelöste Lauf der Einspruchsfrist davon
nicht berührt.
b) Etwas anderes folgt auch nicht aus den europarechtlichen Vorgaben für eine
Bestätigung des Versäumnisurteils als Europäischer Vollstreckungstitel.
c) Den Rechtsanwalt, der sich wegen der wiederholten Zustellung beim Gericht
nach dem Grund erkundigt und von der Geschäftsstelle die nicht näher erläuterte
Auskunft erhält, die erste Zustellung sei unwirksam und könne als gegenstandslos
betrachtet werden, trifft jedenfalls dann kein Verschulden, wenn
die Auskunft nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Pflicht zu einer weiteren
Nachfrage nach dem konkreten Grund der Unwirksamkeit trifft ihn nicht.
d) Hat das erstinstanzliche Gericht den Einspruch als zulässig behandelt und in
der Sache entschieden und wird die Versäumung der Einspruchsfrist erst
vom Berufungsgericht aufgedeckt, so ist die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist
nach § 234 Abs. 3 ZPO allein dem Gericht zuzurechnen und steht
einer Wiedereinsetzung nicht entgegen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse
vom 20. Februar 2008 - XII ZB 179/07 - FamRZ 2008, 978 und vom
7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1478).
BGH, Versäumnisurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 - OLG Köln
AG Aachen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Dezember 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter
Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr.
Klinkhammer

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Januar 2009 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien sind Eheleute und streiten um Trennungsunterhalt.
2
Die Parteien heirateten im August 1999. Aus der Ehe ist ein 2001 geborenes Kind hervorgegangen. Das Kind ist schwer behindert und lebt seit seiner Geburt in einer Pflegefamilie. Seit Ende März 2004 leben die Parteien getrennt. Der Beklagte ist Unternehmensberater. Die Klägerin ist ausgebildete Bankkauf- frau. Sie ist als selbständige Promoterin tätig, erzielt aus dieser Tätigkeit aber keinen Gewinn.
3
Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht - Familiengericht - am 12. Oktober 2006 ein Versäumnisurteil erlassen, durch das der Beklagte zur Zahlung von Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 1.894 € ab Juli 2004 verurteilt worden ist.
4
Das Versäumnisurteil ist dem damaligen Rechtsanwalt des Beklagten am 25. Oktober 2006 zugestellt worden. Die Zustellungsurkunde trägt den vom 9. November 2006 datierenden Vermerk des mit der Verwaltung der Geschäftsstelle betrauten Justizamtsinspektors: "Zustellung unwirksam! Es fehlt ZP 18". Das Versäumnisurteil ist am 3. November 2006 erneut zugestellt worden, diesmal mit dem Formular ZP 18, das die in § 338 Satz 2 ZPO vorgeschriebene Belehrung enthält. Mit dem am 17. November 2006 eingegangenen Schriftsatz seines Rechtsanwalts hat der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.
5
Der Beklagte hat sodann die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Abweisung der Klage beantragt. Ferner hat er Widerklage auf Rückzahlung von ihm geleisteter Unterhaltsbeträge erhoben. Das Amtsgericht hat auf den Einspruch in der Sache entschieden. Es hat den Unterhalt unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils herabgesetzt und die Klägerin zur teilweisen Rückzahlung der vom Kläger geleisteten Unterhaltszahlungen verurteilt.
6
Auf die Berufung beider Parteien hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen , dass der Beklagte die Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts versäumt habe. Es hat sodann den Einspruch des Beklagten im Umfang des von der Klägerin in der Berufungsinstanz gestellten Antrags verworfen und die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt. Die Widerklage hat es vollständig abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

7
Auf das Verfahren findet nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht Anwendung (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - zur Veröffentlichung bestimmt).
8
Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Bekanntgabe des Termins nicht vertreten war, ist über die Revision des Beklagten antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).
9
Die Revision hat Erfolg.

I.

10
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen. Die Wahrung der Einspruchsfrist sei auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Die Frist habe aufgrund der (ersten) Zustellung am 25. Oktober 2006 zu laufen begonnen. Die Zustellung sei ungeachtet der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung nach §§ 338 Satz 2, 340 Abs. 3 Satz 4 ZPO (ZP 18) wirksam gewesen. Denn diese hindere lediglich die Ingangsetzung der Einspruchsbe- gründungsfrist, nicht aber der Einspruchsfrist. Durch die spätere erneute Zustellung werde keine neue Einspruchsfrist in Gang gesetzt.
11
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil die Frist nicht ohne Verschulden versäumt worden sei. Dem Beklagten sei das Verschulden seines Rechtsanwalts zuzurechnen. Diesem habe es oblegen, die Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil genau zu ermitteln. Nachdem die Einspruchsfrist aufgrund der ersten Zustellung zunächst richtig eingetragen worden sei, habe er nach der zweiten Zustellung sorgfältig prüfen müssen, ob eine fehlerhafte erste Zustellung des Versäumnisurteils vorgelegen habe. Er habe wissen müssen, dass durch die Wiederholung einer wirksamen Zustellung keine erneute Einspruchsfrist zu laufen beginne. Demgemäß habe er sich auch veranlasst gesehen, Nachforschungen beim Amtsgericht hinsichtlich der Wirksamkeit der ersten Zustellung anzustellen. Diese seien jedoch nicht ausreichend gewesen.
12
Der Rechtsanwalt habe seinen Bürovorsteher damit beauftragt, beim Amtsgericht in Erfahrung zu bringen, was es mit den beiden Zustellungen auf sich gehabt habe. Dieser habe daraufhin zwei Telefonate geführt und beim zweiten Gespräch die Auskunft erhalten, das erste zugestellte Versäumnisurteil sei wegen fehlerhafter Zustellung als gegenstandslos zu betrachten, maßgeblich sei das am 3. November 2006 zugestellte Versäumnisurteil. Daraufhin habe der Rechtsanwalt verfügt, den nach der ersten Zustellung notierten Fristablauf im Fristenkalender zu streichen.
13
Dem Rechtsanwalt sei vorzuwerfen, dass er sich mit der lapidaren Auskunft zur Unwirksamkeit der ersten Zustellung des Versäumnisurteils wegen Fehlerhaftigkeit zufrieden gegeben habe. Als Zustellungsempfänger habe er keinen Anlass gehabt, die Wirksamkeit der ersten Zustellung zu bezweifeln. Er habe vielmehr die genauen Gründe der vom Amtsgericht angenommenen Unwirksamkeit der Zustellung erfragen und überprüfen müssen. Der Umstand, dass die falsche Information aus dem Bereich des Gerichts stammte, stehe dem Verschulden des Rechtsanwalts nicht entgegen. Er habe nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, dass es sich bei der zweiten Zustellung um eine sinnvolle Maßnahme gehandelt habe und dass erst diese Zustellung den Lauf der Einspruchsfrist in Gang gesetzt habe. Soweit der Bundesgerichtshof dies in einzelnen Fällen angenommen habe, seien diese mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar. Ein Rechtsirrtum könne den Rechtsanwalt nicht entlasten , weil er bei den zu stellenden hohen Anforderungen nicht unvermeidbar gewesen sei. Auch wenn er vom Amtsgericht den konkreten Grund der erneuten Zustellung erfahren habe, habe er anhand von Rechtsprechung und Literatur sorgfältig prüfen müssen, wie sich die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung auf die Wirksamkeit der Zustellung auswirke.

II.

14
Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
15
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch im Berufungsverfahren die Zulässigkeit des Einspruchs gegen das in erster Instanz ergangene Versäumnisurteil überprüft. Dem Berufungsgericht ist ferner darin zu folgen, dass das Fehlen der nach §§ 338 Satz 2, 340 Abs. 3 Satz 4 ZPO vorgeschriebenen Rechtsbehelfsbelehrung für die Wirksamkeit der Zustellung und den Lauf der Einspruchsfrist ohne Bedeutung ist.
16
a) Die zweiwöchige Einspruchsfrist beginnt nach § 339 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO mit der Zustellung des Versäumnisurteils.
17
aa) Die Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der nach §§ 166 ff. ZPO vorgesehenen Form (§ 166 Abs. 1 ZPO), die hier eingehalten worden ist. Das zuzustellende Dokument ist das Versäumnisurteil, nicht auch die Belehrung über den Einspruch. Nach § 317 Abs. 1 ZPO werden verkündete Versäumnisurteile der unterliegenden Partei zugestellt. Sowohl aus § 339 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO als auch aus § 317 Abs. 1 ZPO ergibt sich somit, dass das zuzustellende Dokument - nur - das Versäumnisurteil ist. Auch aus § 338 Satz 2 ZPO ist zu ersehen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung nicht Bestandteil des Versäumnisurteils oder seiner Zustellung ist, weil auf den Einspruch nur "zugleich mit der Zustellung" hinzuweisen ist. Abgesehen davon stünde aber auch eine als vorgeschriebener Bestandteil der Entscheidung fehlende Rechtsbehelfsbelehrung der Wirksamkeit der Zustellung nicht ohne weiteres entgegen (vgl. etwa §§ 39, 17 Abs. 2 FamFG).
18
Die Revision meint, bei fehlender Belehrung beginne die Einspruchsbegründungsfrist nicht zu laufen, was bei fehlender Belehrung über die Einspruchsfrist ebenfalls gelten müsse. Dem ist nicht zu folgen.
19
Die Revision vernachlässigt, dass zwischen den beiden Fristen ein grundlegender Unterschied besteht. Dass die Einspruchsbegründung mit dem Einspruch zu erfolgen hat und die beiden Fristen demnach im Ausgangspunkt übereinstimmen, kann deren grundsätzliche Verschiedenheit nicht verdecken. Das zeigt sich daran, dass die Einspruchsbegründungsfrist verlängert werden kann (§ 340 Abs. 3 Satz 2 ZPO), die Einspruchsfrist dagegen nicht (§ 224 Abs. 2 ZPO). Die Einspruchsbegründungsfrist betrifft die Frage, ob das Vorbringen einer Partei noch zu berücksichtigen oder als verspätet zurückzuweisen ist. Dagegen regelt die Einspruchsfrist die Frage, ob der Rechtsstreit nach Erlass eines Versäumnisurteils fortzusetzen ist und das Gericht überhaupt noch in der Sache entscheidet oder aber der Einspruch - bei verspäteter Einlegung - als unzulässig verworfen werden muss. Während bei fehlender Belehrung über die Einspruchsbegründungsfrist spätestens nach der abschließenden mündlichen Verhandlung eine das Verfahren beendende Entscheidung ergeht, bliebe das Verfahren bei nicht anlaufender Einspruchsfrist in der Schwebe, denn der Einspruch könnte jederzeit nachgeholt werden. Demgemäß besteht schon im Interesse der Rechtssicherheit kein Anlass für eine einschränkende Interpretation der in § 339 Abs. 1 ZPO getroffenen - eindeutigen - gesetzlichen Anordnung, dass die Einspruchsfrist mit der Zustellung des Versäumnisurteils beginnt.
20
bb) Durch die Veranlassung einer nochmaligen Zustellung konnte die Geschäftsstelle die Rechtswirkungen der bereits erfolgten Zustellung nicht mehr rückgängig machen. Denn jedenfalls nach der erfolgreichen Zustellung liegt es nicht mehr in der Hand der Geschäftsstelle, die Wirkungen der Zustellung zu beseitigen und diese durch eine erneute Zustellung zu ersetzen.
21
b) Etwas anderes folgt nicht aus den europarechtlichen Vorgaben, auf denen die Belehrungspflicht nach § 338 Satz 2 ZPO beruht. Diese erfordern es nicht, dass die Einspruchsfrist erst nach einer Belehrung über den Einspruch zu laufen beginnt.
22
Die gesetzliche Belehrungspflicht nach § 338 Satz 2 ZPO ist durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz) vom 18. August 2005 (BGBl. I S. 2477) eingeführt worden. Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 (ABl. EU L 143 S. 15 - EuVTVO) verfolgt das Ziel, den Zugang zur Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 2 Abs. 3 EuVTVO) als dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung ergangen ist, ohne erforderliche Zwischenmaßnahmen zu beschleu- nigen und zu vereinfachen (Erwägungsgrund 8 der Verordnung). Demgemäß soll - nur der Mitgliedstaat der Ausgangsentscheidung (Ursprungsmitgliedstaat) die für die Vollstreckung im anderen Staat (Vollstreckungsmitgliedstaat) erforderliche Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel (Art. 6 EuVTVO) ausstellen und die Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat vollstreckbar sein, ohne dass es eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens bedarf (Art. 5 EuVTVO; vgl. Erwägungsgrund 18 der Verordnung).
23
Zur Sicherung des fairen Verfahrens nach Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. EG C 364) enthalten Art. 12 - 19 EuVTVO Mindestvorschriften für das Verfahren, deren Einhaltung Voraussetzung für die Erteilung einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist (Art. 12 Abs. 1 EuVTVO; vgl. Erwägungsgrund 11 der Verordnung). Zu den Mindestvorschriften gehören neben der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (Art. 13 - 15 EuVTVO) die Unterrichtung des Schuldners über die Forderung (Art. 16 EuVTVO) und über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung (Art. 17 EuVTVO), wozu auch der Hinweis auf die Konsequenzen des Nichterscheinens gehört (Art. 17 lit. b EuVTVO; vgl. BGH Urteil vom 22. September 2010 - VIII ZR 182/09 - MDR 2010, 1340).
24
Die Belehrung über den Einspruch zugleich mit der Versäumnisentscheidung ist dagegen nach der EuVTVO nicht als Mindestvorschrift für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel vorgesehen. Diese hat vielmehr eine andere Funktion. Denn die Belehrung führt nach Art. 18 Abs. 1 lit. b EuVTVO zur Heilung, wenn die Verfahrensvorschriften nach Art. 13 - 17 EuVTVO nicht eingehalten worden sind. Dementsprechend ist die Erfüllung der Belehrungspflicht nach § 338 Satz 2 ZPO zur Erteilung der Bestätigung gemäß Art. 6, 12 Abs. 1 EuVTVO nicht erforderlich.
25
Dem Gebot des fairen Verfahrens ist im Übrigen durch die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Genüge getan (vgl. BVerfG NJW 2000, 1633).
26
c) Demnach war die Zustellung des Versäumnisurteils am 25. Oktober 2006 wirksam und hat die Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 1 ZPO in Lauf gesetzt. Die nochmalige Zustellung des Versäumnisurteils am 3. November 2006 konnte den Lauf der Frist nicht mehr beeinflussen (vgl. BGH Beschluss vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01 - NJW-RR 2006, 563 für den Fall einer bereits abgelaufenen Rechtsmittelfrist). Die Einspruchsfrist lief demzufolge mit dem 8. November 2006 ab. Durch den am 17. November 2006 beim Amtsgericht eingegangenen Einspruchsschriftsatz konnte die Frist somit nicht mehr gewahrt werden.
27
2. Das Berufungsgericht hat eine Wiedereinsetzung versagt, weil der Rechtsanwalt des Beklagten sich nicht mit der Auskunft des Amtsgerichts hätte zufrieden geben dürfen und statt dessen weitere Nachfragen hätte anstellen müssen. Auf eine Nachfrage hätte er sodann erkennen müssen, dass der Geschäftsstellenbeamte des Amtsgerichts sich im Irrtum befunden habe und schon die erste Zustellung wirksam gewesen sei.
28
Dem kann nicht beigetreten werden.
29
a) Ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung auch der anwaltlich vertretenen Partei zu gewähren ist, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Zum einen ist die Rechtsmittelbelehrung nachgeholt worden, zum anderen war die Einspruchsfrist dem Rechtsanwalt des Beklagten ohnedies bekannt (zur fehlenden Ursächlichkeit einer unzureichenden Rechtsmittelbelehrung Senatsbeschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425). Die verspätete Einlegung des Einspruchs ist vielmehr auf dessen Irrtum über die die Frist auslösende Zustellung zurückzuführen.
30
b) Richtig ist ferner der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass der Rechtsanwalt sich auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts nicht ohne weiteres verlassen darf, sondern verpflichtet ist, die sich bei der Prozessführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (vgl. für die Anwaltshaftung BGHZ 174, 205, 209 und BGH Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 179/07 - NJW 2009, 987).
31
Ob sich ein Rechtsanwalt auf eine unzutreffende gerichtliche Auskunft verlassen darf und aus diesem Grund eine Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist versäumt wird, ist in mehreren Zusammenhängen Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewesen. In einem Fall der irreführenden Belehrung über den statthaften Rechtsbehelf nach einem zweiten Versäumnisurteil hat der Bundesgerichtshof ein Verschulden des Rechtsanwalts bejaht, weil die unrichtige Rechtsmittelbelehrung offenkundig falsch gewesen sei und nicht zu einem unvermeidbaren oder entschuldbaren Rechtsirrtum geführt habe (BGH Beschluss vom 11. Juni 1996 - VI ZB 10/96 - VersR 1996, 1522). In anderen Entscheidungen ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt sich auf eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen darf (BGH Beschluss vom 23. September 1993 - LwZR 10/92 - NJW 1993, 3206: unrichtige Rechtsmittelbelehrung durch einen Fachsenat beim Oberlandesgericht ; BGH Beschluss vom 16. Oktober 2003 - IX ZB 36/03 - ZIP 2003, 2382 mwN).
32
Im Fall einer unzutreffenden Auskunft über die Zustellung und eines durch sie ausgelösten Rechtsirrtums über den Lauf einer Frist hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden, dass der Rechtsanwalt sich auf die Auskunft verlassen und die Frist entsprechend der ihm erteilten Auskunft berechnen darf (BGH Beschluss vom 7. Oktober 1986 - VI ZB 8/86 - VersR 1987, 258: Erneute Zustellung, nachdem bereits die für den Prozessgegner vorgesehene Ausfertigung zugestellt worden war; Beschluss vom 26. Oktober 1994 - IV ZB 12/94 - VersR 1995, 680: Erneute Zustellung wegen falscher Aktenzeichen auf den Empfangsbekenntnissen; Beschluss vom 4. Mai 2005 - I ZB 38/04 - NJW-RR 2005, 1658: Erneute Zustellung nach Rückforderung der zunächst zugestellten, aber mangelhaften Ausfertigung).
33
Ob die vorgenannten Entscheidungen in Anbetracht des Umstands, dass die letztgenannten Entscheidungen jeweils für den Rechtsanwalt erkennbar falsche Auskünfte des Gerichts betrafen, in vollem Umfang miteinander vereinbar sind, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Denn im vorliegenden Fall war die Auskunft der Geschäftsstelle für den Rechtsanwalt des Beklagten weder offenkundig fehlerhaft, noch traf diesen - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - eine Pflicht zu weiteren Erkundigungen, die den Fehler des Amtsgerichts hätte offenbaren können.
34
Dem Rechtsanwalt des Beklagten wurde die Auskunft erteilt, das erste zugestellte Versäumnisurteil sei wegen fehlerhafter Zustellung als gegenstandslos zu betrachten. Maßgeblich sei das am 3. November 2006 zugestellte Versäumnisurteil. Aufgrund dieser Auskunft war für den Rechtsanwalt nicht offenkundig , dass die erste Zustellung entgegen der Meinung des zuständigen Geschäftsstellenbeamten wirksam war. Denn für eine Unwirksamkeit der Zustellung kamen neben der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung weitere Ursachen in Betracht. So hätte das Versäumnisurteil etwa noch nicht vom Richter unter- schrieben und versehentlich ein Entwurf zugestellt worden sein können. Dass die zweite Zustellung nunmehr mit der Rechtsbehelfsbelehrung verbunden war, musste den Rechtsanwalt nicht darauf schließen lassen, dass die erneute Zustellung - nur - deswegen durchgeführt worden war.
35
Dementsprechend hat das Berufungsgericht dem Rechtsanwalt auch nicht vorgeworfen, dass die Wirksamkeit der ersten Zustellung für ihn offensichtlich gewesen sei, und auch nicht, dass er die Auskunft durch seinen Bürovorsteher einholen ließ. Vielmehr hat es ihm vorgehalten, dass er sich mit der "lapidaren" Auskunft zufrieden gegeben habe und statt dessen nach den genauen Gründen der vom Amtsgericht angenommenen Unwirksamkeit habe fragen müssen. Dann habe er erkennen müssen, dass die erste Zustellung nicht unwirksam gewesen sei.
36
Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht sich mit dieser Auffassung entgegen seiner Begründung nicht im Einklang mit der oben aufgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wiedereinsetzung bei doppelter Zustellung befindet, traf den Rechtsanwalt jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falls keine Verpflichtung zu weiteren Nachfragen. Da er von der Geschäftsstelle die Auskunft erhalten hatte, die erste Zustellung sei unwirksam und gegenstandslos, konnte er sich ohne gegenteilige Anhaltspunkte darauf verlassen. Die von der Geschäftsstelle erteilte Auskunft war jedenfalls nicht offenkundig falsch, denn sie konnte auch auf anderen Unwirksamkeitsgründen beruhen als der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung. Den Rechtsanwalt traf überdies keine Pflicht, durch weitere Nachfrage danach zu forschen, ob die erste Zustellung womöglich dennoch wirksam war. Denn die Nachfrage hätte sich auf gerichtsinterne Vorgänge beziehen müssen, die der Rechtsanwalt jedenfalls in dem vorliegenden Zusammenhang von sich aus nicht aufklären muss. Das gilt umso mehr, als die Geschäftsstelle gemäß §§ 168 Abs. 1, 176 Abs. 1 ZPO die Zustellung in eigener Verantwortung veranlasst. Bei dieser Sachlage kann sich der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der ihm erteilten Auskunft verlassen und würde eine Pflicht zu weiterer Nachforschung die an ihn gestellten Sorgfaltsanforderungen überspannen.
37
c) Dass der Beklagte seinen Wiedereinsetzungsantrag erst nach Ablauf der Jahresfrist gemäß § 234 Abs. 3 ZPO gestellt hat, hindert eine Wiedereinsetzung nicht. Denn abgesehen von der möglichen Gewährung von Amts wegen nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO beruht die Fristüberschreitung darauf, dass der Beklagte im weiteren Verfahren vor dem Amtsgericht davon ausgehen durfte , dass sein Einspruch rechtzeitig war. Damit ist die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO jedenfalls allein dem Gericht zuzurechnen und steht einer Wiedereinsetzung nicht entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Februar 2008 - XII ZB 179/07 - FamRZ 2008, 978, 979 und vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 FamRZ 2004, 1478, 1479 f.).

III.

38
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, schon weil das Berufungsgericht noch nicht in der Sache entschieden hat.
Hahne Wagenitz Vézina Dose Klinkhammer
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 08.04.2008 - 20 F 266/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 29.01.2009 - 12 UF 39/08 -

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

FGG-Reformgesetz - FGG-RG | Art 111 Übergangsvorschrift


(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Ref

Zivilprozessordnung - ZPO | § 236 Wiedereinsetzungsantrag


(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste

Zivilprozessordnung - ZPO | § 166 Zustellung


(1) Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form. (2) Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ist, sind von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht anderes bestim

Zivilprozessordnung - ZPO | § 339 Einspruchsfrist


(1) Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils. (2) Muss die Zustellung im Ausland erfolgen, so beträgt die Einspruchsfrist einen Monat. Das Gericht kann im Versäumnisurteil

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 317 Urteilszustellung und -ausfertigung


(1) Die Urteile werden den Parteien, verkündete Versäumnisurteile nur der unterliegenden Partei in Abschrift zugestellt. Eine Zustellung nach § 310 Abs. 3 genügt. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann der Vorsitzende die Zustellung verkündet

Zivilprozessordnung - ZPO | § 168 Aufgaben der Geschäftsstelle


(1) Die Geschäftsstelle führt die Zustellung nach §§ 173 bis 176 Absatz 1 aus. Sie kann einen nach § 33 Abs. 1 des Postgesetzes beliehenen Unternehmer (Post) oder einen Justizbediensteten mit der Ausführung der Zustellung beauftragen. Den Auftrag an

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 179/07 vom 20. Februar 2008 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 234 Abs. 3 C a) Die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hat als Höchstfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juli 2004 - XII ZB 12/03

bei uns veröffentlicht am 07.07.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 12/03 vom 7. Juli 2004 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 B, Fb, 234 Abs. 3 C, 517 2. Halbs. (= § 516 2. Halbs. ZPO a.F.) a) Auch wenn einer Prozeßparte

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10

bei uns veröffentlicht am 23.06.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 82/10 vom 23. Juni 2010 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG §§ 10 Abs. 4, 17 Abs. 2, 39, 114 Abs. 2 a) Auch die Rechtsbeschwerde in Verfahrenskostenhilfesachen kann nach § 114

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2008 - IX ZR 179/07

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 179/07 Verkündet am: 18. Dezember 2008 Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 249 Bb, 675

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Sept. 2010 - VIII ZR 182/09

bei uns veröffentlicht am 22.09.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 182/09 Verkündet am: 22. September 2010 Ring, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein
18 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 15. Dez. 2010 - XII ZR 27/09.

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2012 - VI ZR 226/11

bei uns veröffentlicht am 17.07.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 226/11 Verkündet am: 17. Juli 2012 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2012 - VI ZR 288/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 288/11 Verkündet am: 17. Juli 2012 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2012 - VI ZR 222/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 222/11 Verkündet am: 17. Juli 2012 Böhringer-Mangold Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der VI. Zivilsenat des Bundesgeric

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Sept. 2012 - VI ZR 223/11

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Referenzen

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, steht gegen das Urteil der Einspruch zu.

(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde, sind weiter die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Auf Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren finden die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften Anwendung, wenn die Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde.

(2) Jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ist ein selbständiges Verfahren im Sinne des Absatzes 1 Satz 1.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren in Familiensachen, die am 1. September 2009 ausgesetzt sind oder nach dem 1. September 2009 ausgesetzt werden oder deren Ruhen am 1. September 2009 angeordnet ist oder nach dem 1. September 2009 angeordnet wird, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.

(4) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, die am 1. September 2009 vom Verbund abgetrennt sind oder nach dem 1. September 2009 abgetrennt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen werden im Fall des Satzes 1 als selbständige Familiensachen fortgeführt.

(5) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen am 31. August 2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen wurde, sowie auf die mit solchen Verfahren im Verbund stehenden Scheidungs- und Folgesachen ab dem 1. September 2010 die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 197/10
vom
3. November 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist nicht nur das Verfahren
bis zum Abschluss einer Instanz, sondern bei Einlegung eines
Rechtsmittels auch die mehrere Instanzen umfassende gerichtliche Tätigkeit
in einer Sache (im Anschluss an BGH Beschluss vom 1. März 2010
- II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 sowie Senatsurteil vom 25. November 2009
- XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192).

b) Auch bei einer in zulässiger Weise erhobenen Widerklage richtet sich das
nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG anwendbare Verfahrensrecht einheitlich nach
dem durch die Klage eingeleiteten Verfahren.

c) Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über das nach dem FGGReformgesetz
in Übergangsfällen anwendbare Verfahrensrecht ist jedenfalls
dann nicht unverschuldet, wenn er entgegen einer von der Mehrheit in der Literatur
und einer ersten veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts
vertretenen Rechtsansicht von der Anwendbarkeit des neuen Rechts
ausgeht.
BGH, Beschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - OLG Nürnberg
AG Nürnberg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. November 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke,
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11. Januar 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Wert: 6.918 €

Gründe:


I.

1
Die Parteien sind getrenntlebende Eheleute. Der Kläger hat vor dem Amtsgericht Klage auf Abänderung (Herabsetzung) von Jugendamtsurkunden erhoben, die für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder in Höhe von monatlich 61,2 % des Mindestunterhalts errichtet wurden. Die Beklagte hat als Prozessstandschafterin der Kinder Widerklage auf Zahlung von 100 % des Mindestunterhalts monatlich erhoben.
2
Das Amtsgericht hat durch das dem Kläger am 19. Oktober 2009 zugestellte Urteil die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Dagegen hat der Kläger "Beschwerde" eingelegt, die er beim Amtsgericht eingereicht hat. Das Rechtsmittel ist am 19. November 2009 (16.41 Uhr) beim Amtsgericht per Fax eingegangen und von diesem durch Verfügung vom 20. November 2009 an das Oberlandesgericht zuständigkeitshalber weitergeleitet worden, wo es am 24. November 2009 eingegangen ist.
3
Mit Verfügung vom 1. Dezember 2009 hat das Oberlandesgericht die Rechtsanwältin des Klägers auf die Statthaftigkeit der Berufung (statt der Beschwerde ) und die Versäumung der Berufungsfrist hingewiesen. Die auf den Hinweis zunächst gewährte Stellungnahmefrist hat es später bis zum 30. Dezember 2009 verlängert. Der Kläger hat sodann die Auffassung vertreten, dass das Rechtsmittelverfahren ein eigenständiges Verfahren sei und darauf das seit dem 1. September 2009 geltende neue Verfahrensrecht Anwendung finde. Das statthafte Rechtsmittel sei daher die Beschwerde, die rechtzeitig beim Amtsgericht eingelegt worden sei.
4
Das Oberlandesgericht hat das als Berufung umgedeutete Rechtsmittel des Klägers als unzulässig verworfen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde.

II.

5
Die statthafte und wegen Grundsätzlichkeit zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
6
1. Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, auf das Rechtsmittel sei nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Das richtige Rechtsmittel sei die Berufung gewesen und habe beim Oberlandesgericht eingelegt werden müssen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht bewilligt werden, weil die sie begrün- denden Tatsachen weder akten- oder offenkundig noch innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO dargelegt worden seien. Allein die Tatsache, dass das Rechtsmittel falsch bezeichnet und beim falschen Gericht eingereicht worden sei, reiche hierfür noch nicht aus.
7
2. Das hält hinsichtlich der Verwerfung der Berufung in vollem Umfang und im Hinblick auf die abgelehnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
8
a) Das Rechtsmittel war nur als Berufung statthaft und ist beim Oberlandesgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO eingegangen.
9
Auf das Rechtsmittel findet das bis zum 31. August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, was die Rechtsbeschwerde nicht verkennt. Für ein vor Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 eingeleitetes Verfahren ist nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG auf das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss das seinerzeit geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Aus der Sondervorschrift des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG ergibt sich nichts Abweichendes (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 8 mwN; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 25. November 2009 - XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192 Rn. 5 mwN).
10
aa) Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist nicht nur das Verfahren bis zum Abschluss einer Instanz. Vielmehr bezeichnet der Begriff die gesamte, bei Einlegung entsprechender Rechtsmittel auch mehrere Instanzen umfassende gerichtliche Tätigkeit in einer Sache (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 8). Zwar könnte der Wortlaut des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG, der auf das Vorhandensein einer Endentscheidung verweist, zu der Fehldeutung verleiten, gerichtliches Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG sei das Verfahren innerhalb eines Rechts- zugs, nicht das gerichtliche Verfahren über den Instanzenzug hinweg, weil nach der Legaldefinition in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Endentscheidung als instanzbeendende Entscheidung konzipiert sei. Dass der Gesetzgeber das Verfahren jedoch instanzübergreifend verstanden hat, ergibt sich eindeutig sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Gesetzesvorschrift als auch aus deren Sinn und Zweck, während die Regelung in Art. 111 Abs. 2 FGG-RG nur der Klarstellung in Bestandsverfahren wie Betreuung oder Vormundschaft dienen sollte (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 9 ff. mwN).
11
bb) Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Umstand, dass die Widerklage erst nach dem 31. August 2009 rechtshängig geworden ist, steht dem nicht entgegen. Denn durch die Widerklage ist zwar der Streitgegenstand des Verfahrens geändert worden. Dadurch ändert sich die Rechtsnatur des bereits durch die Klage eingeleiteten Verfahrens aber nicht. Das Verfahren ist einheitlich zu behandeln und kann insbesondere im Hinblick auf Rechtsmittel nicht sinnvoll in Klage- und Widerklage-Verfahren aufgeteilt werden (ebenso OLG Frankfurt - 4. Zivilsenat - FamRZ 2010, 1581; aA für den Fall der Klageerweiterung OLG Frankfurt - 19. Zivilsenat - FamRZ 2010, 481). Entsprechend hat das Familiengericht die Widerklage auch als solche bezeichnet, nicht etwa als Widerantrag (vgl. § 113 Abs. 5 FamFG), und seine Entscheidung als - einheitliches - Urteil erlassen. Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob für die Verfahrenseinleitung auf die Einreichung des Prozesskostenhilfe -Antrags oder auf die Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit des Hauptsacheantrags abzustellen ist, kommt es demnach hier nicht an.
12
b) Das Oberlandesgericht hat über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zutreffend von Amts wegen entschieden und diese im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
13
aa) Allerdings kann dem Oberlandesgericht nicht darin gefolgt werden, dass die Wiedereinsetzung bereits aus formellen Gründen scheitere, weil die die Fristversäumung begründenden Tatsachen nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden seien. Denn das Oberlandesgericht war gehalten, ihm bereits bekannte und offenkundige Tatsachen in die Würdigung einzubeziehen und dem Kläger bei einer lückenhaften und ersichtlich ergänzungsbedürftigen Glaubhaftmachung Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag zu geben (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212).
14
Dass die Verspätung auf einem Rechtsirrtum der Rechtsanwältin des Klägers beruhte, war bereits bei Einlegung der Beschwerde offenkundig. Es kommt demnach darauf an, ob es sich um einen verschuldeten oder - ausnahmsweise - unverschuldeten Rechtsirrtum handelt. Zwar ist es richtig, dass hierfür konkrete Umstände dargelegt werden müssen, weil der Rechtsirrtum für einen Rechtsanwalt nur in Ausnahmefällen unverschuldet ist. Es ist zunächst auch nicht ohne weiteres klar geworden, worauf der Rechtsirrtum beruhte und wie die Rechtsanwältin zu der Ansicht gekommen war, das richtige Rechtsmittel sei die beim Amtsgericht einzulegende Beschwerde. Hinzu kommt allerdings der wiederum offenkundige Umstand, dass zum 1. September 2009 mit dem FamFG neues Verfahrensrecht in Kraft getreten ist und bei Anwendung des neuen Rechts (§§ 58, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 FamFG) das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel das richtige gewesen wäre. Daher liegt es nahe, dass die Rechtsanwältin sich auf die Geltung des neuen Verfahrensrechts verlassen und die Übergangsregelung des Art. 111 Abs. 1, Abs. 2 FGG-RG missverstanden hatte.
15
Unter diesen besonderen Umständen war dem Kläger im Hinblick auf die bei Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen zu prüfende Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Gelegenheit zur Ergänzung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen zu geben. Dem hat die vom Oberlandesgericht gewährte und verlängerte Stellungnahmefrist auch Rechnung getragen. Die Fristverlängerung hatte vorwiegend im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Bedeutung, weil zur Einlegung des Rechtsmittels und Wahrung der Rechtsmittelfrist die wesentlichen Umstände offenkundig waren. Die Fristverlängerung war aber jedenfalls geboten, um dem Kläger zur Begründung einer unverschuldeten Fristversäumung infolge des Rechtsirrtums eine ergänzende Stellungnahme zu ermöglichen.
16
Der Kläger hat sich zwar auch in seiner innerhalb der verlängerten Frist abgegebenen Stellungnahme nicht auf eine Wiedereinsetzung berufen, sondern die Ansicht vertreten, die Frist gewahrt und mit der Beschwerde das richtige Rechtsmittel eingelegt zu haben. Die für seine Rechtsansicht vom Kläger gegebene Begründung hätte das Oberlandesgericht aber im Hinblick auf die von Amts wegen zu prüfende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls berücksichtigen müssen, soweit sich daraus eine unverschuldete Fristversäumung ergeben konnte.
17
bb) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die Beurteilung, ob die Fristversäumung unverschuldet ist, kann wegen des insoweit erschöpfend aufgeklärten Sachverhalts vom Senat nachgeholt werden. Sie führt zu dem Ergebnis, dass der Rechtsirrtum nicht unverschuldet war. Der Kläger muss sich ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
18
Der Kläger hat sich für seine Rechtsansicht auf die Regelung in Art. 111 Abs. 2 FGG-RG berufen, wonach jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist. Seine Rechtsanwältin hat das Rechtsmittelverfahren als eigenständiges Verfahren angesehen, nachdem das erstinstanzliche Verfahren durch Endurteil abgeschlossen worden sei. Wie oben (II.2.a) ausgeführt worden ist, ist diese Auffassung rechtsirrig.
19
Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist (BGH Beschluss vom 9. Juli 1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993, 2538, 2539). Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen (BGH Beschluss vom 9. Juli 1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993, 2538, 2539 mwN). Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur (vor allem Fachzeitschriften und Kommentare) über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung , wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt.
20
Nach diesen Maßstäben hätte die Rechtsanwältin des Klägers bei sorgfältiger Auswertung der vorliegenden Rechtsprechung und Literatur - zumindest auch - eine fristwahrende Berufung beim Oberlandesgericht einlegen müssen.
21
Allerdings haben einzelne Autoren die Auffassung vertreten, dass auf ein nach dem 1. September 2009 eingeleitetes Rechtsmittelverfahren das neue Verfahrensrecht Anwendung finde (Prütting in Prütting/Helms FamFG Art. 111 FGG-RG Rn. 5; Geimer in Zöller ZPO 28. Aufl. FamFG Einl. Rn. 54; ders. FamRB 2009, 386). Hierbei handelte es sich aber selbst in der früh veröffentlichten Literatur zum neuen Verfahrensrecht um eine Minderheit. Die weit überwiegende Auffassung der Literatur zum Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und zum FGG-Reformgesetz (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. vor § 606 Rn. 3; Bork/Jacoby/Schwab/Zorn FamFG vor § 151 Rn. 19; Schlünder/ Nickel Das familiengerichtliche Verfahren Rn. 840; Horndasch in Horndasch/ Viefhues FamFG Art. 111 FGG-RG Rn. 3) hat zutreffend herausgestellt, dass es auf die Einleitung des Verfahrens in erster Instanz ankommt und das alte Verfahrensrecht auch in den weiteren Instanzen fortgilt.
22
Die Rechtsanwältin des Klägers hatte überdies schon im Hinblick auf die von ihr zur Begründung ihrer Auffassung angeführte Kommentarstelle (Geimer in Zöller aaO) Anlass zu einer näheren rechtlichen Nachprüfung. Denn dort befindet sich nicht nur ein Hinweis darauf, dass die Frage streitig sei, sondern ist insbesondere auch eine - bei Kommentierung noch nicht veröffentlichte - Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 21. September 2009 zitiert, die von der Fortgeltung des alten Verfahrensrechts ausgegangen ist. Abgesehen davon, dass jedenfalls dieser Hinweis die Rechtsanwältin hätte veranlassen müssen, nähere Informationen zu der Entscheidung einzuholen, ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln im Heft 21 der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) veröffentlicht worden (FamRZ 2009, 1852). Dieses Heft erschien Anfang November 2009 und somit rund zwei Wochen vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist. In den Entscheidungsgründen ist nicht nur auf die weitaus überwiegende Literaturansicht hingewiesen, sondern auch auf eine übereinstimmende weitere Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln. Außerdem sind der Entscheidung ergänzende Hinweise der Zeitschriftenredaktion angefügt, mit denen auf weitere Literaturstimmen aufmerksam gemacht worden ist, die ebenfalls mit der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln übereinstimmen. Demnach konnte die Rechtsanwältin sich nicht darauf verlassen, dass das richtige Rechtsmittel die beim Amtsgericht einzulegende Beschwerde sei.
23
Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts zwar in einem Ausnahmefall als unverschuldet angesehen, wenn dessen fehlerhafte Rechtsansicht (zur Berechnung der Berufungsbegründungsfrist) mit der veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts übereinstimmte, der sich die gängigen Handkommentare zur Zivilprozessordnung angeschlossen hatten (BGH Beschluss vom 18. Oktober 1984 - III ZB 22/84 - NJW 1985, 495, 496). Damit ist der vorliegende Fall indessen nicht vergleichbar, weil sowohl die Mehrheit der veröffentlichten Literatur als auch erste obergerichtliche Entscheidungen der vereinzelt gebliebenen Rechtsauffassung der genannten Autoren - mit überzeugenden Gründen - widersprachen. Schließlich bedarf die anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLGR 2009, 872) keiner Erörterung, weil diese für einen Fall ergangen ist, in dem noch keine veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung vorlag.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 15.10.2009 - 105 F 1568/09 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 11.01.2010 - 7 UF 1471/09 -

Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, steht gegen das Urteil der Einspruch zu.

(1) Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form.

(2) Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ist, sind von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht anderes bestimmt ist.

(1) Die Urteile werden den Parteien, verkündete Versäumnisurteile nur der unterliegenden Partei in Abschrift zugestellt. Eine Zustellung nach § 310 Abs. 3 genügt. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann der Vorsitzende die Zustellung verkündeter Urteile bis zum Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung hinausschieben.

(2) Ausfertigungen werden nur auf Antrag und nur in Papierform erteilt. Solange das Urteil nicht verkündet und nicht unterschrieben ist, dürfen von ihm Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften nicht erteilt werden. Die von einer Partei beantragte Ausfertigung eines Urteils erfolgt ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe; dies gilt nicht, wenn die Partei eine vollständige Ausfertigung beantragt.

(3) Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines als elektronisches Dokument (§ 130b) vorliegenden Urteils können von einem Urteilsausdruck erteilt werden.

(4) Die Ausfertigung und Auszüge der Urteile sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.

(5) Ist das Urteil nach § 313b Abs. 2 in abgekürzter Form hergestellt, so erfolgt die Ausfertigung in gleicher Weise unter Benutzung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift oder in der Weise, dass das Urteil durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Angaben vervollständigt wird. Die Abschrift der Klageschrift kann durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder durch den Rechtsanwalt des Klägers beglaubigt werden.

Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, steht gegen das Urteil der Einspruch zu.

Jeder Beschluss hat eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel, den Einspruch, den Widerspruch oder die Erinnerung sowie das Gericht, bei dem diese Rechtsbehelfe einzulegen sind, dessen Sitz und die einzuhaltende Form und Frist zu enthalten. Über die Sprungrechtsbeschwerde muss nicht belehrt werden.

(1) War jemand ohne sein Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Der Einspruch wird durch Einreichung der Einspruchsschrift bei dem Prozessgericht eingelegt.

(2) Die Einspruchsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.
Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

(3) In der Einspruchsschrift hat die Partei ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, soweit es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht, sowie Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann der Vorsitzende für die Begründung die Frist verlängern, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt. § 296 Abs. 1, 3, 4 ist entsprechend anzuwenden. Auf die Folgen einer Fristversäumung ist bei der Zustellung des Versäumnisurteils hinzuweisen.

(1) Durch Vereinbarung der Parteien können Fristen, mit Ausnahme der Notfristen, abgekürzt werden. Notfristen sind nur diejenigen Fristen, die in diesem Gesetz als solche bezeichnet sind.

(2) Auf Antrag können richterliche und gesetzliche Fristen abgekürzt oder verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind, gesetzliche Fristen jedoch nur in den besonders bestimmten Fällen.

(3) Im Falle der Verlängerung wird die neue Frist von dem Ablauf der vorigen Frist an berechnet, wenn nicht im einzelnen Fall ein anderes bestimmt ist.

(1) Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils.

(2) Muss die Zustellung im Ausland erfolgen, so beträgt die Einspruchsfrist einen Monat. Das Gericht kann im Versäumnisurteil auch eine längere Frist bestimmen.

(3) Muss die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, so hat das Gericht die Einspruchsfrist im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen.

Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, steht gegen das Urteil der Einspruch zu.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 182/09 Verkündet am:
22. September 2010
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Eine ordnungsgemäße Ladung im Sinne des § 215 ZPO setzt nicht voraus, dass eine
Partei, gegen die ein Vollstreckungsbescheid erwirkt worden ist, in der Terminsladung
zusätzlich zu den in § 215 Abs. 1 ZPO aufgeführten Hinweisen darüber belehrt
worden ist, dass ein im Falle ihrer Säumnis gegen sie ergehendes (zweites) Versäumnisurteil
(§§ 345, 700 Abs. 6 ZPO) nur im Wege der Berufung angefochten werden
kann.
BGH, Urteil vom 22. September 2010 - VIII ZR 182/09 - LG Memmingen
AG Neu-Ulm
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im
schriftlichen Verfahren auf die bis zum 30. Juli 2010 gewechselten Schriftsätze
durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger und
Dr. Hessel, den Richter Dr. Achilles sowie die Richterin Dr. Fetzer

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen - 1. Zivilkammer - vom 17. Juni 2009 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin erwirkte gegen die damals noch unter anderem Namen firmierende Beklagte zunächst einen Mahnbescheid und auf dessen Grundlage am 9. September 2008 einen Vollstreckungsbescheid über 1.201,87 € nebst Zinsen und Kosten. Den gegen den Mahnbescheid verspätet erhobenen Widerspruch der Beklagten wertete das Mahngericht als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid. Nach Abgabe der Sache an das Amtsgericht als zuständiges Prozessgericht und Eingang der Anspruchsbegründung hat das Amtsgericht das schriftliche Verfahren angeordnet und nach Ausbleiben einer Erwiderung der Beklagten Verhandlungstermin auf den 2. Dezember 2008 bestimmt. In der gleichzeitig erfolgten Ladung hat es die Beklagte über die Möglichkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils für den Fall eines unentschuldigten Nichterscheinens belehrt.
2
Die Terminsladung ist der Beklagten am 5. November 2008 zugestellt worden. Am 1. Dezember 2008 hat der am 28. November 2008 mandatierte Beklagtenvertreter seine Bestellung als Prozessvertreter angezeigt und die Verlegung des Termins beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Dezember 2008 zurückgewiesen. In der anschließenden mündlichen Verhandlung hat das Amtsgericht den Einspruch der nicht vertretenen Beklagten auf Antrag der Klägerin durch zweites Versäumnisurteil verworfen. Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung hat die Beklagte unter anderem geltend gemacht, sie sei nicht ordnungsgemäß zu dem anberaumten Termin geladen worden, da sie in der Terminsladung nicht auf die Möglichkeit des Erlasses eines zweiten Versäumnisurteils hingewiesen worden sei, gegen welches nur noch das Rechtsmittel der Berufung eröffnet sei. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
5
Das Amtsgericht habe verfahrensfehlerfrei auf Antrag der Klägerin gegen die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte ein zweites Versäumnisurteil (§ 345 ZPO) erlassen. Die Beklagte sei - wie in § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vorausgesetzt - ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin vom 2. Dezem- ber 2008 geladen worden. Der Ladung sei die nach § 215 Abs. 1 ZPO erforderliche Belehrung über die Folgen der Versäumung des Termins beigefügt gewesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten genüge insoweit ein allgemeiner Hinweis darüber, dass im Falle der Säumnis zum Nachteil der säumigen Partei durch Versäumnisurteil entschieden werden könne.
6
Eine weitergehende Belehrung hinsichtlich aller Einzelheiten einer Versäumnisentscheidung sehe § 215 Abs. 1 ZPO nicht vor; insbesondere fordere die vom Prinzip der Parteiherrschaft geprägte Zivilprozessordnung keine Belehrung darüber, dass gegen ein zweites Versäumnisurteil nur noch das Rechtsmittel der Berufung und nicht - wie beim Erlass eines ersten Versäumnisurteils - ein Einspruch eröffnet sei. Die in § 215 Abs. 1 ZPO gestellten Anforderungen an die Belehrungspflicht des Gerichts über mögliche Säumnisfolgen erstrecke sich nur auf die dort ausdrücklich genannten Fälle eines ersten Versäumnisurteils oder einer Entscheidung nach Lage der Akten (§§ 330, 331, 331a ZPO), nicht dagegen auf das in § 345 ZPO geregelte zweite Versäumnisurteil. Der in § 215 Abs. 1 ZPO geforderten Warnfunktion werde bereits mit einer - im Streitfall erfolgten - einfachen Belehrung über die Möglichkeit eines Versäumnisurteils genügt. Zudem sei der besseren Verständlichkeit wegen von zu weitschweifigen , übervorsichtigen und (nur scheinbar) alle Eventualitäten erfassenden Belehrungen Abstand zu nehmen. Auch Art. 17 der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels stelle keine weitergehenden Anforderungen.
7
Dem Erlass eines zweiten Versäumnisurteils habe auch nicht entgegen gestanden, dass erst im Termin Antrag auf Verwerfung des Einspruchs gestellt und die mit der Anspruchsbegründung zunächst verfolgte Erweitung der Klage um 5,90 € in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten worden sei. Denn die Bestimmung des § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, wonach ein Versäum- nisurteil nur ergehen dürfe, wenn der nicht erschienenen Partei ein Antrag mittels Schriftsatzes rechtzeitig mitgeteilt worden ist, gelte weder für Anträge, die ausschließlich den Gang des Verfahrens beträfen, noch für eine teilweise Klagerücknahme.

II.

8
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten rechtsfehlerfrei nach § 514 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, weil sämtliche Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils am 2. Dezember 2008 erfüllt waren. Diesem standen insbesondere keine Hinderungsgründe im Sinne des § 335 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO entgegen.
9
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das Amtsgericht nicht nach § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO daran gehindert war, in dem auf den 2. Dezember 2008 anberaumten Verhandlungstermin ein zweites Versäumnisurteil (§ 345 ZPO) gegen die Beklagte zu erlassen. Die Beklagte ist zu diesem Termin nach § 215 Abs. 1 ZPO ordnungsgemäß geladen worden. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Beklagte zusammen mit der Ladung alle erforderlichen Hinweise über die Folgen einer Terminsversäumung erhalten. Sie ist unstreitig darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass im Säumnisfalle ein vollstreckbares Versäumnisurteil mit entsprechenden Kostenfolgen gegen sie erlassen werden kann. Weitergehende gerichtliche Hinweise waren nicht geboten.
10
a) § 215 Abs. 1 ZPO schreibt vor, dass eine Partei in der Ladung zur mündlichen Verhandlung über Folgen einer Versäumung des Termins (§§ 330 bis 331a ZPO) einschließlich der daraus resultierenden Kostentragungspflicht (§ 91 ZPO) und der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines aufgrund der Säumnis ergehenden Urteils (§ 708 Nr. 2 ZPO) zu belehren ist. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass die der Beklagten vom Amtsgericht mit der Ladung übermittelte Belehrung die erforderlichen Hinweise über die Möglichkeit des Erlasses eines (ersten) Versäumnisurteils nach §§ 330, 331 ZPO oder einer Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 331a ZPO einschließlich der kosten- und vollstreckungsrechtlichen Folgen enthielt. Sie macht jedoch geltend, das Berufungsgericht habe den Umfang der Belehrungspflicht nach § 215 Abs. 1 ZPO rechtsfehlerhaft zu eng gefasst. Der in § 215 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltene Verweis auf die Bestimmungen der §§ 330 bis 331a ZPO sei ersichtlich auf den Fall eines gewöhnlichen Klageverfahrens zugeschnitten und entbinde das Gericht nicht von der Notwendigkeit, eine Partei, gegen die bereits ein Vollstreckungsbescheid erwirkt worden sei, in der Ladung darauf hinzuweisen, dass ein Fernbleiben vom Termin zum Erlass eines zweiten Versäumnisurteils (§ 700 Abs. 6, § 345 ZPO) führen könne, gegen das nur das Rechtsmittel der Berufung (§ 514 Abs. 2 ZPO) eröffnet ist.
11
b) Ein solches Belehrungserfordernis ist jedoch der Regelung des § 215 Abs. 1 ZPO nicht zu entnehmen. Die Bestimmung des § 215 Abs. 1 ZPO wurde - neben weiteren Vorschriften - durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen vom 18. August 2005 (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz - BGBl I S. 2477) neu in die Zivilprozessordnung eingefügt. Der deutsche Gesetzgeber war bestrebt zu gewährleisten, dass möglichst viele deutsche Titel als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden können (BT-Drucks. 15/5222, S. 9 f.). Mit der nunmehr in § 215 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Belehrungspflicht sollen diejenigen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Unterrichtung eines Schuldners über die Folgen eines Fernbleibens vom Verhandlungstermin geschaffen werden, die Art. 17 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. EG Nr. L 143 S. 15 - im Folgenden : VO (EG) Nr. 805/2004) für einen europäischen Vollstreckungstitel verlangt (vgl. BT-Drucks., aaO, S. 10, 11; vgl. ferner Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 215 Rn. 1; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., § 215 Rn. 1; MünchKomm-ZPO/ Gehrlein, 3. Aufl., § 215 Rn. 1). Art. 17 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 legt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, einen Schuldner bei der Ladung zu einer Gerichtsverhandlung auf die Konsequenzen des Nichterscheinens in der mündlichen Verhandlung, insbesondere über die etwaige Möglichkeit einer Entscheidung oder ihrer Vollstreckung gegen den Schuldner und der Verpflichtung zum Kostenersatz hinzuweisen. Um diesen europarechtlichen Vorgaben zu genügen , hielt der Gesetzgeber eine inhaltlich begrenzte Erweiterung der bisherigen Belehrungspflichten im Zivilprozess für geboten (vgl. BT-Drucks., aaO).
12
aa) § 215 Abs. 1 ZPO normiert entgegen der Auffassung der Revision keine umfassende Belehrungspflicht. Insbesondere verlangt diese Vorschrift keine Unterrichtung der Parteien über besondere Fallgestaltungen der Säumnis , etwa eines zweiten Versäumnisurteils nach §§ 345, 700 Abs. 6 ZPO. Dies erschließt sich bereits aus dem Wortlaut des § 215 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der die gerichtliche Hinweispflicht ausdrücklich auf die in §§ 330 bis 331a ZPO geregelten Folgen einer Versäumung des anberaumten Termins beschränkt. Auch die Entstehungsgeschichte und die mit der genannten Bestimmung verfolgte Zielsetzung des Gesetzgebers lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass von den Gerichten bei einer Terminsladung keine über die Rechtsfolgen der §§ 330 bis 331a ZPO (und der damit verbundenen kosten- und vollstreckungsrechtlichen Konsequenzen) hinausgehende Unterrichtung der Parteien verlangt wird. Schon im Gesetzentwurf der Bundesregierung war lediglich ein Hinweis auf "die Möglichkeit einer Entscheidung nach §§ 330 bis 331a ZPO einschließlich den kosten- und vollstreckungsrechtlichen Folgen" gefordert worden (vgl. BT- Drucks. 15/5222, S. 11). Hiermit sollte es sein Bewenden haben, wie der in der Entwurfsbegründung aufgeführte Formulierungsvorschlag für die zu erteilende Belehrung unmissverständlich zeigt. Danach sollte folgende Belehrung den im Gesetzesentwurf verlangten Erfordernissen genügen (BT-Drucks., aaO): "Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass das Nichterscheinen im Termin zu einem Verlust des Prozesses führen kann. Gegen die nicht erschienene Partei kann auf Antrag des Gegners ein Versäumnisurteil erlassen oder eine Entscheidung nach Lage der Akten getroffen werden (§§ 330 bis 331a ZPO); in diesem Fall hat die säumige Partei auch die Gerichtskosten und die notwendigen Kosten der Gegenseite zu tragen (§ 91 ZPO). Aus dem Versäumnisurteil oder dem Urteil nach Lage der Akten kann der Gegner der säumigen Partei gegen diese die Zwangsvollstreckung betreiben (§ 708 Nr. 2 ZPO)." Die in den Gesetzesmaterialien belegte Zielsetzung und inhaltliche Reichweite der betreffenden Regelung ist im Gesetzgebungsverfahren unverändert geblieben. Der Gesetzgeber hat den von der Bundesregierung unterbreiteten Entwurf in der vorgeschlagenen Fassung verabschiedet.
13
bb) In Anbetracht der geschilderten Zielsetzung ist das mit § 215 Abs. 1 ZPO verfolgte Anliegen des Gesetzgebers - anders als die Revision meint - nicht darauf gerichtet, eine allgemeine Fürsorgepflicht des Gerichts zu begründen und zu gewährleisten, dass eine Partei schon mit der Ladung zu einer Gerichtsverhandlung umfassend und zutreffend über alle Rechtsnachteile unterrichtet wird, die mit einer Terminsversäumung verbunden sein können. Die genannte Bestimmung schreibt angesichts ihres klar definierten Regelungsgehalts nicht den von der Revision geforderten Hinweis vor, dass eine Partei, gegen die ein Vollstreckungsbescheid ergangen ist, ein im Falle ihrer Säumnis möglicherweise zu ihren Lasten ergehendes zweites Versäumnisurteil (§§ 345, 700 Abs. 6 ZPO) nur eingeschränkt im Wege der Berufung (§ 514 Abs. 2 ZPO) anfechten kann (ebenso Musielak/Stadler, aaO Rn. 2; Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 215 Rn. 5). Der mit § 215 Abs. 1 ZPO und Art. 17 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 verfolgte Zweck besteht darin, eine Partei hinreichend darüber zu unterrichten, dass ihre Säumnis eine für sie nachteilige vollstreckbare und kostenpflichtige Entscheidung zur Folge haben kann. Für den Inhalt der in § 215 Abs. 1 ZPO und in Art. 17 Buchst. 6 VO (EG) Nr. 805/2004 geforderten Belehrung macht es keinen Unterschied , ob gegen die beklagte Partei im Falle ihres Ausbleibens ein erstes (§ 331 ZPO) oder ein zweites Versäumnisurteil (§§ 345, 700 Abs. 6 ZPO) ergeht. Denn ein zweites Versäumnisurteil unterscheidet sich in den von den genannten Vorschriften erfassten Gesichtspunkten (auf Säumnis basierende Entscheidung , Kostentragungspflicht der säumigen Partei, vorläufige Vollstreckbarkeit ) nicht von einem ersten Versäumnisurteil nach § 331 ZPO. Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Urteilsarten liegt letztlich in den hiergegen eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten. Während ein erstes Versäumnisurteil nach § 331 ZPO mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angegriffen werden kann, kann ein zweites Versäumnisurteil nach § 345 ZPO nur mit dem Rechtsmittel der Berufung (§§ 345, 514 Abs. 2 ZPO) angefochten werden. Dieser Umstand erfordert aber keine zusätzlichen Belehrungen. Weder nach europarechtlichen Vorgaben noch nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung besteht ein schutzwürdiges Interesse der Parteien daran, schon im Vorfeld einer mündlichen Verhandlung über sämtliche Verfahrensabschnitte unterrichtet zu werden, die ein Rechtsstreit bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss durchlaufen kann.
14
(1) Dass eine Terminsladung keine Belehrung über die im Falle einer Säumnisentscheidung eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten zu enthalten braucht, ergibt sich für den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 805/2004 bereits aus dem Zusammenspiel der Regelungen in Art. 17 Buchst. b und Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004. Die erstgenannte Bestimmung begnügt sich - wie bereits ausgeführt - mit einem in der Terminsladung erteilten Hinweis auf die Möglichkeit einer Säumnisentscheidung, deren Vollstreckbarkeit und der Kostentragungspflicht des Schuldners. Dagegen ist eine Rechtsbehelfsbelehrung - wie der Heilungsvorschrift in Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 zu entnehmen ist - erst bei Erlass oder Zustellung der Säumnisentscheidung notwendig. Dieses zweistufige Belehrungsmodell hat der Gesetzgeber bei der Neufassung der § 215 Abs. 1, § 338 ZPO in die Zivilprozessordnung übertragen. § 215 Abs. 1 ZPO setzt die in Art. 17 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 aufgestellten verfahrensrechtlichen Erfordernisse bei der Terminsladung um, während § 338 Satz 2 ZPO die Voraussetzungen für eine in Art. 18 Buchst. b Abs. 1 VO (EG) Nr. 805/2004 vorgesehene Heilung von Verfahrensmängeln schaffen soll (vgl. BT-Drucks. 15/5222, S. 11 f.). Zu diesem Zweck sieht § 338 Satz 2 ZPO nun vor, dass die unterlegene Partei bei Zustellung eines (ersten) Versäumnisurteils über die Möglichkeit eines Einspruches zu unterrichten ist. Folglich hängt eine ordnungsgemäße Ladung zu einem Gerichtstermin (§ 215 Abs. 1, § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) nicht davon ab, dass bereits in der Terminsladung über die in Art. 17 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 und in § 215 Abs. 1 ZPO verlangten Angaben hinaus ein Hinweis auf einen im Falle einer Säumnisentscheidung möglichen Rechtsbehelf erteilt wird.
15
(2) Kann sonach in der Terminsladung auf eine Unterrichtung der Parteien über mögliche Rechtsbehelfe gegen ein erstes Versäumnisurteil verzichtet werden, gilt dies erst recht für das gegen ein zweites Versäumnisurteil eröffnete (allgemeine) Rechtsmittel der Berufung. Dabei kann dahinstehen, ob Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO (EG) Nr. 805/2004 eine bei Zustellung einer Entscheidung zu erteilende Belehrung nicht nur für Rechtsbehelfe (so der deutsche Wortlaut der Verordnung), sondern auch für Rechtsmittel vorschreibt (im englischen und französischen Text werden die Begriffe "review" und "recours" verwendet). Denn abgesehen davon, dass der deutsche Gesetzgeber keinen Anlass gese- hen hat, auch § 345 ZPO um die in § 338 Satz 2 ZPO aufgenommenen Hinweispflichten zu ergänzen, wäre auch nach den europarechtlichen Bestimmungen eine Belehrung allenfalls im Stadium der Zustellung einer Säumnisentscheidung erforderlich. Weder den europarechtlichen Vorgaben noch den Bestimmungen der Zivilprozessordnung kann daher entnommen werden, dass eine Partei, gegen die ein Vollstreckungsbescheid erwirkt worden ist, nur dann ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin geladen worden ist, wenn sie in der Ladung darüber belehrt worden ist, dass ein im Falle ihrer Säumnis gegen sie ergehendes (zweites) Versäumnisurteil (§§ 345, 700 Abs. 6 ZPO) nur im Wege der Berufung angefochten werden kann.
16
c) Die von der Revision geforderte umfassende Belehrung einer beklagten Partei in der Terminsladung ist auch nicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 EMRK; Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - vgl. hierzu BVerfGE 110, 339, 342) geboten. Zwar folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens unter anderem , dass das Gericht aus eigenen oder ihm zurechenbaren Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten darf (BVerfGE, aaO, mwN). Eine solche Unklarheit wird aber nicht dadurch hervorgerufen, dass in der Ladung lediglich auf die Möglichkeit des Erlasses eines (ersten) Versäumnisurteils nach §§ 330, 331 ZPO oder einer Entscheidung nach Lage der Akten (§ 331a ZPO) hingewiesen wird. Denn auch ohne Hinweis auf §§ 345, 700 Abs. 6 ZPO wird für eine beklagte Partei hinreichend deutlich, dass gegen sie im Falle ihrer Säumnis ein vollstreckbares Versäumnisurteil ergehen kann. Dies stellt letztlich auch die Revision nicht in Frage. Sie meint aber, ein solches Vorgehen beschwöre die Gefahr einer Irreführung der Partei über die hiergegen eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten herauf. Dies trifft nicht zu. Die Bezeichnung "Versäumnisurteil" ruft bei vernünftiger Betrachtung nicht die Fehlvorstellung hervor, dass die im Falle der Säumnis ergehende Entscheidung stets mit einem Rechtsbehelf anfechtbar ist, der eine Fortsetzung des Verfahrens in der ersten Instanz ermöglicht. Denn damit wird erkennbar nur die Aussage getroffen , dass bereits das unentschuldigte Ausbleiben im Termin zu einer Verurteilung führen kann. Missverständnisse über die bei Erlass eines Versäumnisurteils bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten könnten allenfalls dann entstehen , wenn in der Ladung - über die gesetzlichen Erfordernisse hinausgehende, aber nicht alle Eventualitäten abdeckende - Hinweise auf mögliche Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel erteilt werden. So liegen die Dinge im Streitfall jedoch nicht, denn das Amtsgericht hat bei seiner Belehrung auf solche Hinweise verzichtet.
17
2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht das Vorliegen eines Hinderungsgrundes nach § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verneint. Nach § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO darf ein Versäumnisurteil nicht ergehen, wenn ein Antrag nicht rechtzeitig mittels Schriftsatz angekündigt war.
18
Dieses Erfordernis gilt jedoch - was auch die Revision nicht in Zweifel zieht - nur für Sachanträge, nicht dagegen für Anträge, die ausschließlich den weiteren Gang des Verfahrens betreffen (so genannte Prozessanträge; allgemeine Meinung, vgl. etwa OLG Karlsruhe, OLGR 2006, 565, 566; Zöller/Herget, aaO, § 335 Rn. 4 i.V.m. Zöller/Greger, § 297 Rn. 3; Musielak/Stadler, aaO, § 325 Rn. 4; MünchKommZPO/Prütting, aaO, § 335 Rn. 11; Hartmann in Baumbach /Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 335 Rn. 7; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 335 Rn. 10; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 335 Rn. 4). Zu den von § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht erfassten Prozessanträgen zählen auch Anträge auf Erlass eines Versäumnisurteils nach §§ 330, 331, 345 ZPO (OLG Karlsruhe, aaO; Reichold, aaO; Hartmann, aaO; Grunsky, aaO; MünchKommZPO/Prütting, aaO). Denn ein Antrag auf Erlass eines ersten oder zweiten Versäumnisurteils dient lediglich dazu, die verfahrensrechtlichen Vor- aussetzungen für den Erlass eines nicht kontradiktorischen Sachurteils zu schaffen.
19
Auch die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärte teilweise Klagerücknahme um 5,90 € Auskunftskosten bedurfte entgegen der Auffassung der Revision keiner vorherigen schriftsätzlichen Ankündigung. § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO schützt einen säumigen Beklagten vor einer Verurteilung, die in ihrem Umfang über das ihm rechtzeitig mitgeteilte Klagebegehren hinausgeht. Der Schutzzweck des § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist daher nicht tangiert, wenn die klagende Partei - wie hier - ihren Klagantrag ohne rechtzeitige Unterrichtung der Gegenseite erstmals in der mündlichen Verhandlung beschränkt. Eine solche, für die beklagte Partei vorteilhafte teilweise Klagebeschränkung (§ 264 Nr. 2, § 269 ZPO) muss ihr vor Erlass eines Versäumnisurteils nicht mitgeteilt werden (vgl. etwa OLG Karlsruhe, aaO; Grunsky, aaO; Zöller/Herget, aaO; MünchKommZPO/Prütting, aaO). Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
AG Neu-Ulm, Entscheidung vom 02.12.2008 - 2 C 1105/08 -
LG Memmingen, Entscheidung vom 17.06.2009 - 12 S 41/09 -

Der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, steht gegen das Urteil der Einspruch zu.

(1) Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils.

(2) Muss die Zustellung im Ausland erfolgen, so beträgt die Einspruchsfrist einen Monat. Das Gericht kann im Versäumnisurteil auch eine längere Frist bestimmen.

(3) Muss die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, so hat das Gericht die Einspruchsfrist im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 82/10
vom
23. Juni 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Auch die Rechtsbeschwerde in Verfahrenskostenhilfesachen kann nach
§ 114 Abs. 2 FamFG wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt eingelegt werden.

b) Eine Rechtsbehelfsbelehrung nach § 39 FamFG muss neben der Bezeichnung
des statthaften Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs das für die Entgegennahme
zuständige Gericht und dessen vollständige Anschrift sowie die
bei der Einlegung einzuhaltende Form und Frist angeben. Dazu gehört auch
die Information über einen bestehenden Anwaltszwang. Sie muss mit diesem
zwingenden Inhalt aus sich heraus verständlich sein.

c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen fehlender oder unzureichender
Rechtsbehelfsbelehrung nach § 17 Abs. 2 FamFG setzt eine Kausalität
zwischen dem Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung und der Fristversäumung
voraus. Sie kann entfallen, wenn der Beteiligte wegen vorhandener
Kenntnis über seine Rechtsmittel, etwa bei anwaltlicher Vertretung, keiner
Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung bedarf.

d) Auch wenn die Fristversäumung auf einem Rechtsirrtum beruht, kann Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand nur bewilligt werden, wenn der Irrtum
unverschuldet ist.
BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - OLG Düsseldorf
AGOberhausen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2010 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dose, Dr. Klinkhammer und Dr. Günter

beschlossen:
1. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde wird abgewiesen. 2. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Januar 2010 wird auf Kosten des Antragstellers verworfen. Streitwert: 3.000 €

Gründe:

I.

1
Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Vater) und die Beteiligte zu 2 (im Folgenden : Mutter) sind getrennt lebende Eheleute. Sie streiten um das Umgangsrecht des Vaters mit ihrem gemeinsamen Sohn. Mit Beschlüssen vom 22. Dezember 2009 hat das Amtsgericht dem Vater und der Mutter Verfahrenskostenhilfe bewilligt; die weiteren Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters gegen die Abweisung seines Antrags auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
2
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wurde dem Vater am 28. Januar 2010 zugestellt. Mit einem am 25. Februar 2010 eingegangenen Schriftsatz seines zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten hat er dagegen Rechtsbeschwerde eingelegt. Auf einen Hinweis des Gerichts vom 1. März 2010, der dem Vater am 3. März 2010 zugegangen ist, hat er mit einem am 17. März 2010 eingegangenen Schriftsatz seiner am Bundesgerichtshof zugelassenen Verfahrensbevollmächtigten erneut Rechtsbeschwerde eingelegt, diese begründet sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft, weil das Beschwerdegericht sie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Daran ist der Senat gemäß § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG gebunden. Sie ist aber unzulässig, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt worden ist und dem Antragsteller auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden kann.
4
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht bereits wirksam innerhalb der Monatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG eingelegt worden.
5
a) Nach § 114 Abs. 2 FamFG, der den Anwaltszwang in Familiensachen regelt und insoweit eine Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 10 Abs. 4 FamFG enthält (vgl. Prütting/Helms FamFG § 114 Rdn. 22), müssen sich die Beteiligten vor dem Bundesgerichtshof grundsätzlich durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Soweit § 114 Abs. 4 Nr. 5 FamFG im Einklang mit der allgemeinen Regelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG davon eine Ausnahme für das Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe vorsieht, gilt dies zunächst nur für das Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe innerhalb der jeweiligen Instanz. Entsprechend der Regelung zur Prozesskostenhilfe kann auch die Verfahrenskostenhilfe für die jeweilige Instanz von der Partei persönlich beantragt werden, ohne dass sie sich durch einen an dem jeweiligen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen muss.
6
b) Darüber hinaus unterfällt auch die Beschwerde gegen einen Beschluss , der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergangen ist, nicht dem Anwaltszwang. Nach § 76 Abs. 2 FamFG sind insoweit die Vorschriften über die sofortige Beschwerde nach den §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 ZPO entsprechend anwendbar. Gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 ZPO kann die Beschwerde - wie nach § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Prozesskostenhilfeantrag - zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Nach § 78 Abs. 3 ZPO gilt für Prozesshandlungen , die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, der Anwaltszwang nicht. Von dieser Regelung im Zivilprozess wollte der Gesetzgeber mit dem FGG-Reformgesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. 2008 I 2586) nicht abweichen, was die ausdrückliche Verweisung in § 76 Abs. 2 FamFG verdeutlicht.
7
c) Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof kann auch in Prozesskostenhilfesachen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung allerdings wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - FamRZ 2005, 1164 Tz. 7). Daran hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des familiengerichtlichen Verfahrens durch das FamFG nichts ändern wollen (vgl.
BT-Drucks. 16/9733 S. 291). § 76 FamFG sieht deswegen für das Verfahren der Rechtsbeschwerde keine Ausnahme von der allgemeinen Regelung für Familiensachen vor. Soweit die Rechtsbeschwerde zu Fragen der Verfahrenskostenhilfe überhaupt wirksam zugelassen werden kann (vgl. zur Prozesskostenhilfe Senatsbeschluss vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633 f.), richtet sich die Zulässigkeit also nach den Vorschriften der §§ 70 ff. FamFG. Die notwendige Vertretung durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt ergibt sich ebenfalls aus der für alle Familiensachen geltenden Vorschrift des § 114 Abs. 2 FamFG.
8
Der rechtzeitig am 25. Februar 2010 beim Bundesgerichtshof eingegangene Schriftsatz des Vaters erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil er nur von seinem zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten unterzeichnet ist. Die von seinem am Bundesgerichtshof zugelassenen Verfahrensbevollmächtigten eingereichte Rechtsbeschwerde ist erst am 17. März 2010 eingegangen und hat die Monatsfrist des § 71 Abs. 1 FamFG nicht gewahrt.
9
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ist abzuweisen, weil der Antragsteller diese Fristen nicht schuldlos versäumt hat.
10
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen in Familiensachen kommt nach § 17 Abs. 1 FamFG nur dann in Betracht, wenn der Verfahrensbeteiligte die Frist ohne sein Verschulden versäumt hat. Auch wenn die Fristversäumung auf einem Rechtsirrtum beruht, kann Wiedereinsetzung nur bewilligt werden, wenn der Irrtum unverschuldet ist. Das gilt auch für einen Irrtum über die Form eines zulässigen Rechtsbehelfs.
11
Bei einem rechtsunkundigen Beteiligten kann ein Verschulden insbesondere dann entfallen, wenn ihm keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist (vgl. Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 17 Rdn. 24 ff.; Prütting/Helms/Ahn-Roth aaO § 17 Rdn. 24 jeweils m.w.N.). Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird deswegen ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Wenn der Beteiligte allerdings anwaltlich vertreten ist, ist der Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet und verhindert eine Wiedereinsetzung (Prütting/Helms/Ahn-Roth FamFG § 17 Rdn. 25). Mit der Neuregelung des § 39 FamFG hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verfassungsgebot einer Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen aufgegriffen (BGHZ 150, 390, 396 = NJW 2002, 2171, 2173). Zugleich hat der Gesetzgeber aber auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 44 Satz 2 StPO hingewiesen, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristsäumnis fordert (BGH Beschluss vom 16. August 2000 - 3 StR 339/00 - NStZ 2001, 45 und BGHZ 150, 390, 399 = NJW 2002, 2171, 2174). Daraus folgt, dass eine Wiedereinsetzung in denjenigen Fällen ausgeschlossen ist, in denen der Beteiligte wegen vorhandener Kenntnis über seine Rechtsmittel keiner Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung bedarf. Auf diese Weise wird vor allem der geringeren Schutzbedürftigkeit anwaltlich vertretener Beteiligter Rechnung getragen (BT-Drucks. 16/6308 S. 183; Keidel/Sternal aaO § 17 Rdn. 37; Dose Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen 3. Aufl. Rdn. 370).
12
Danach scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im vorliegenden Fall aus. Der Antragsteller war bereits in den Vorinstanzen anwaltlich vertreten, und die angefochtene Entscheidung ist auch seinem verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt zugestellt worden. Im Hinblick darauf, dass eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zulässig ist (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - FamRZ 2005, 1164, 1165) und auf den Umstand, dass die Neuregelung durch das FamFG daran nichts geändert hat, hätte der Rechtsanwalt wissen müssen, dass er selbst keine zulässige Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen kann.
13
b) Hinzu kommt, dass der angefochtene Beschluss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, in der auf die zulässige Rechtsbeschwerde "gemäß §§ 71 und 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG" hingewiesen ist.
14
Allerdings muss die nach § 39 FamFG zwingend vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung neben der Bezeichnung des statthaften Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs das für die Entgegennahme zuständige Gericht und dessen vollständige Anschrift sowie die bei der Einlegung einzuhaltende Form und Frist angeben. Dazu gehört auch die Information über einen bestehenden Anwaltszwang (Keidel/Meyer-Holz aaO § 39 Rdn. 13 und Bahrenfuss/Rüntz FamFG § 39 Rdn. 7). Die Rechtsbehelfsbelehrung muss mit diesem zwingenden Inhalt aus sich heraus verständlich sein. Ein nicht anwaltlich vertretener Beteiligter muss also in den Stand gesetzt werden, allein anhand der Rechtsbehelfsbelehrung ohne Mandatierung eines Rechtsanwalts eine formrichtige Beschwerde einzulegen (BT-Drucks. 16/6308 S. 196; Prütting/Helms/Abramenko aaO § 39 Rdn. 8; Keidel/Meyer-Holz aaO § 39 Rdn. 12 f.; Bahrenfuss/Rüntz aaO § 39 Rdn. 5 ff.; FamVerf/Gutjahr § 1 Rdn. 426 f.).
15
Diesen Anforderungen an eine aus sich heraus verständliche Rechtsbehelfsbelehrung genügt die Belehrung in dem angefochtenen Beschluss nicht, weil sie auf die §§ 71 und 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG verweist und nur bei Kenntnis dieser Vorschriften verständlich ist. Gegenüber einem rechtsunkundigen Beteiligten wäre deswegen nach § 17 Abs. 2 FamFG ein Fehlen des Verschuldens zu vermuten. Dies gilt aber nicht, wenn der Beteiligte - wie hier - anwaltlich vertreten ist. Dann ist die Vermutung widerlegt, dass dieser Belehrungsmangel kausal für den Rechtsirrtum geworden ist. Denn wegen der vorhandenen Kenntnisse des Rechtsanwalts ist ihm gegenüber ein vollständiger und zutreffender Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen des zulässigen Rechtsmittels ausreichend (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 183). Dem Rechtsanwalt ist das Gesetz bekannt und er kann anhand der mitgeteilten Vorschriften unschwer Frist und Form des zulässigen Rechtsbehelfs ermitteln.
16
Selbst wenn das Oberlandesgericht hier zu Unrecht auf die allgemeine Vorschrift zum Anwaltszwang nach § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG und nicht auf die spezielle Regelung in § 114 Abs. 2 FamFG hingewiesen hat, scheidet ein unverschuldeter kausaler Irrtum für die Fristversäumung aus. Denn die spezielle Regelung für Familiensachen in § 114 Abs. 2 FamFG und die allgemeine Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG unterscheiden sich insoweit nicht. Auf der Grundlage der Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Beschluss musste der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers also wissen, dass die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nur durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden kann.
17
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist dem Antragsteller das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten auch zuzurechnen.
18
Nach § 9 Abs. 4 FamFG steht das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters dem Verschulden eines Beteiligten gleich. Für Verfahrensbevollmächtigte sieht § 11 Satz 5 FamFG eine entsprechende Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO vor, der auch das Verschulden eines Bevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleichstellt. Die Neuregelung durch das FamFG hat den Grundsatz der Zurechnung anwaltlichen Verschuldens also nicht aufgegeben (Bahrenfuss aaO § 17 Rdn. 7; Prütting/Helms/Ahn-Roth aaO § 17 Rdn. 15 f.; Keidel/Sternal aaO 16. Aufl. § 17 Rdn. 30; Bork/Jacoby/Schwab/Löhnig FamFG § 17 Rdn. 8; Horndasch/Viefhues/Reinken FamFG § 17 Rdn. 5 ff.).
19
Weil dem Antragsteller das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten somit zuzurechnen ist, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Hahne Dose Weber-Monecke Klinkhammer Günter
Vorinstanzen:
AG Oberhausen, Entscheidung vom 21.12.2009 - 55 F 1415/09 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.01.2010 - II-8 WF 11/10 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 179/07
Verkündet am:
18. Dezember 2008
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 249 Bb, 675
Unterlässt es der Berufungsanwalt, auf ein die Rechtsauffassung seines
Mandanten stützendes Urteil des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, und verliert
der Mandant deshalb den Prozess, wird der Zurechnungszusammenhang
zwischen dem Anwaltsfehler und dem dadurch entstandenen Schaden
nicht deshalb unterbrochen, weil auch das Gericht die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs übersehen hat.
BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 179/07 - LG Darmstadt
AG Rüsselsheim
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Fischer

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 26. September 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Klägerin Die verlangt Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung eines Anwaltsvertrages. Die Klägerin, Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses , nahm die Mieter einer ihrer Wohnungen auf Zahlung von Nebenkosten für die Jahre 1998 bis 2000 in Anspruch. Streitig war u.a., ob die Mieter zur anteiligen Zahlung von Versicherung und Grundsteuer verpflichtet waren. Vor dem Amtsgericht vertrat die Klägerin sich selbst. Das Amtsgericht gab ihrer Klage in den genannten Punkten mit der Begründung statt, die Mieter hätten durch jahrelanges widerspruchsloses Zahlen der Umlage einer entsprechenden Ände- rung des schriftlichen Vertrages zustimmt. Nachdem die Mieter Berufung eingelegt hatten, beauftragte die Klägerin die beklagte Anwaltssozietät mit ihrer Vertretung. Durch Urteil vom 11. Februar 2003 wies das Berufungsgericht die Klage in den fraglichen Punkten ab, weil vorbehaltslose Zahlungen von Mietern, die auch auf Rechtsirrtum beruhen könnten, nicht zu einer Vertragsänderung führten.
2
Die Beklagte nahm die Klägerin sodann auf Zahlung von Anwaltshonorar in Anspruch. Die Klage wurde in zwei Instanzen mit der Begründung abgewiesen , die Beklagte habe die Klägerin unzureichend vertreten, insbesondere vor dem Berufungsgericht nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463) über den stillschweigenden Abschluss einer Vereinbarung über zu tragende Nebenkosten durch jahrelange Übung hingewiesen.
3
vorliegenden Im Rechtsstreit verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 3.647,53 € (1.969,56 € entgangene Nebenkosten sowie Gerichtsund Anwaltskosten). In den Vorinstanzen ist ihre Klage erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


5
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der für die beklagte Sozietät handelnde Rechtsanwalt M. (fortan auch: die Beklagte) habe die ihm aufgrund des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt, indem er im Prozess der Klägerin gegen ihre Mieter weder in der schriftlichen Berufungserwiderung noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur stillschweigenden Vereinbarung über die Umlegbarkeit von Nebenkosten hingewiesen habe. Zu dem Hinweis sei er verpflichtet gewesen, um entweder das Gericht von der Richtigkeit der Rechtsauffassung der Klägerin zu überzeugen oder es dazu zu bringen, die Revision zuzulassen. Weil das Berufungsgericht die Entscheidung vom 29. Mai 2000 jedoch ebenfalls übersehen habe, bestehe kein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehler und dem eingetretenen Schaden, der in der Aberkennung des Anspruchs auf Nebenkosten und der Verpflichtung zur Zahlung der anteiligen Gerichts - und Anwaltskosten bestehe.

II.


6
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
7
1. Die Beklagte hat die ihr aufgrund des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt.
8
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet , dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden (BGH, Urt. v. 24. März 1988 - IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3016; v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2650; v. 24. Mai 2007 - IX ZR 142/05, WM 2007, 1425, 1426 f Rn. 14; Beschl. v. 19. Juni 2008 - IX ZR 111/05, ZMR 2008, 602; Zugehör NJW 2003, 3225, 3226 unter 2a). Zwar weist die Zivilprozessordnung die Entscheidung und damit die rechtliche Beurteilung des Streitfalles dem Gericht zu; dieses trägt für sein Urteil die volle Verantwortung. Es widerspräche jedoch der rechtlichen und tatsächlichen Stellung der Prozessbevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen, würde man ihre Aufgabe allein in der Beibringung des Tatsachenmaterials sehen. Der Möglichkeit, auf die rechtliche Beurteilung des Gerichts Einfluss zu nehmen, entspricht im Verhältnis zum Mandanten die Pflicht, diese Möglichkeit zu nutzen (BGH, Urt. v. 4. Juni 1996, aaO). Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken (BGHZ 174, 205, 210 Rn. 15; BGH, Urt. v. 25. Juni 1974 - VI ZR 18/73, NJW 1974, 1865, 1866). Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Anwaltschaft (§ 1 Abs. 3 BORA).
9
b) Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem sie weder in der schriftlichen Berufungserwiderung noch in der mündlichen Verhandlung noch in einem auf ihren Antrag nachzulassenden Schriftsatz auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463) zur konkludenten Vereinbarung über die Umlegung von Nebenkosten durch jahrelange Übung hingewiesen hat.
10
aa) Im Ausgangsprozess hatte die Klägerin von ihren Mietern die Zahlung anteiliger Versicherungskosten und anteiliger Grundsteuer verlangt. Im schriftlichen Mietvertrag war nicht vorgesehen, dass diese Kosten auf die Mieter umgelegt wurden. Die Klage konnte deshalb nicht auf den schriftlichen Vertrag gestützt werden, sondern nur darauf, dass der Vertrag nachträglich konkludent - durch vorbehaltsloses Zahlen der Umlage seit dem Jahre 1988 - geändert worden war. In dem zitierten Beschluss vom 29. Mai 2000 hatte der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eine Vertragsänderung durch jahrelange Übung für möglich gehalten. Ein entsprechendes Urteil des für das Recht der Wohnungsmiete zuständigen VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs erging kurz nach Abschluss des Ausgangsprozesses, nämlich am 7. April 2004 (VIII ZR 146/03, NJW-RR 2004, 877).
11
bb) Die Beklagte hätte in der Berufungserwiderung auf den genannten Beschluss vom 29. Mai 2000 hinweisen müssen. Der Senat hat bereits entschieden , dass der Rechtsanwalt, der die Vertretung der beklagten Partei in einem Zivilprozess übernimmt, zu prüfen hat, ob die gegnerische Klage eventuell schon an der fehlenden Schlüssigkeit scheitert. Sind bei verkehrsüblicher Sorgfalt solche Mängel erkennbar, so hat der Prozessbevollmächtigte sie grundsätzlich im Rechtsstreit geltend zu machen (BGH, Urt. v. 24. Mai 2007, aaO). Übernimmt der Anwalt die Vertretung eines Berufungsbeklagten, hat er ebenso zu prüfen, ob die mit der Berufung verfolgte Rechtsverteidigung schon aus Rechtsgründen aussichtslos ist (oder umgekehrt ohne weiteres Erfolg hat, so dass eine Klagerücknahme angezeigt ist). Der Hinweis auf eine die Rechtsauffassung der Klägerin stützende Entscheidung des Bundesgerichtshofs war geeignet, der gegnerischen Berufung den Boden zu entziehen. Die Mieter hätten durch sie veranlasst werden können, ihre Berufung zurückzunehmen. Das Gericht hätte sich ihr anschließen können. Hätte es abweichen wollen, hätte es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) die Revision zulassen müssen; hätte es die Entscheidung deshalb, weil der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall das gewerbliche Mietrecht und nicht das Wohnraummietrecht betraf, für nicht einschlägig gehalten, wäre der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfüllt gewesen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Eine unterbliebene Zulassung hätte wegen des Entzugs des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) und wegen Verletzung des Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 Rn. 16) mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können.
12
Ein mit verkehrsüblicher Sorgfalt arbeitender Anwalt hätte die fragliche Entscheidung im Zuge der Bearbeitung des Mandats auch ohne sonderliche Mühe auffinden und verarbeiten können. Sie war in dem Zeitpunkt, als die Beklagte die Vertretung der Klägerin übernahm, bereits in mehreren juristischen Zeitschriften veröffentlicht worden (NJW-RR 2000, 1463; NZM 2000, 961; Grundeigentum 2000, 1614) und wurde zudem in einem gängigen Kommentar zum BGB nachgewiesen (Palandt/Weidenkaff, BGB 63. Aufl. § 535 Rn. 87).
13
Unabhängig cc) von den an eine sorgfältige Berufungserwiderung zu stellenden Anforderungen war die Beklagte außerdem verpflichtet, auf den Hinweis des Berufungsgerichts im Ausgangsprozess zu reagieren und dabei die der Rechtsauffassung des Gerichts entgegenstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu zitieren. In der mündlichen Verhandlung über die Berufung der Mieter wies das Berufungsgericht darauf hin, dass seiner Ansicht nach eine stillschweigende Abänderung der im schriftlichen Mietvertrag getroffenen Vereinbarungen über die Nebenkosten nicht in Betracht komme. Es bezog sich dabei auf eine „herrschende Meinung“ und zitierte zwei landgerichtliche Urteile aus den Jahren 1982 und 1989 sowie eine Kommentierung aus dem Jahre 1979 (Sternel, Mietrecht 2. Aufl. 1979 II 72; LG Darmstadt WuM 1989, 582; LG Wuppertal WuM 1982 Heft 11). Bei ordnungsgemäßer Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wäre die Beklagte in der Lage gewesen, auf anderslautende jüngere Rechtsprechung und Literatur hinzuweisen. Konnte sie dies nicht, hätte sie Schriftsatznachlass beantragen, sich in das Problem einarbeiten (vgl. BGH, Urt. v. 22. September 2005 - IX ZR 23/04, WM 2005, 2197, 2198 m.w.N.) und im nachgelassenen Schriftsatz auf den aktuellen Meinungsstand sowie insbesondere die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 hinweisen können. Gemäß § 139 Abs. 5 ZPO soll das Gericht dann, wenn einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist, eine Frist bestimmen, in der die Partei die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann. Einen Antrag auf Schriftsatznachlass hat die Beklagte jedoch nicht gestellt.
14
dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten entfielen die genannten Pflichten nicht deshalb, weil das Gericht seinerseits zur umfassenden rechtlichen Prüfung des Falles unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur verpflichtet war. Schon nach der Zivilprozessordnung ist Aufgabe des Anwalts nicht nur die Beibringung der Tatsachengrundlage für die vom Richter zu treffende Entscheidung. Das zeigt etwa die Vorschrift des § 137 Abs. 2 ZPO, die gemäß § 525 ZPO auch im Berufungsrechtszug gilt. Nach § 137 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO haben die Vorträge der Parteien das Streitverhältnis auch in rechtlicher Beziehung zu umfassen. Der in diesem Zusammenhang oft zitierte Satz "iura novit curia" betrifft das Verhältnis der juristisch nicht gebildeten Naturalpartei zum Gericht (vgl. Medicus AnwBl. 2004, 257, 260). Der Anwalt hat dagegen - ebenso wie der Richter - die Befähigung zum Richteramt oder eine gleichwertige Qualifikation (§ 4 Abs. 1 BRAO). Der Anwaltszwang (§ 78 ZPO), der die Prozessparteien mit zusätzlichen Kosten belastet und ihren Zugang zu den staatlichen Gerichten einschränkt, wäre nicht zu erklären, wenn Aufgabe des Anwalts allein die Beibringung des Tatsachenmaterials wäre und nicht auch die rechtliche Durchdringung des Falles. Vor allem aber richten sich die Pflichten des Anwalts nicht nur nach der Zivilprozessordnung, sondern auch und sogar in erster Linie nach dem zwischen ihm und dem Mandanten geschlossenen Vertrag. Ein Vertrag über die Vertretung in einem Berufungsverfahren umfasst das nach der Zivilprozessordnung für die Wahrung der Rechte des Mandanten notwendige Minimum, also insbesondere die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung und die Antragstellung, erschöpft sich hierin jedoch nicht. Nach der Verkehrsauffassung (§§ 133, 157 BGB) kann der Mandant, der einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte im Berufungsverfahren beauftragt hat, mehr als nur die schlichte Antragstellung verlangen. Der Mandant erwartet und darf erwarten, dass der Anwalt auch die rechtlichen Grundlagen des Falles durchdenkt. Dass jahrelange vorbehaltslose Zahlungen als konkludente Abänderung eines schriftlichen Mietvertrages verstanden werden konnten, war andererseits nicht so selbstverständlich, dass ein Hinweis aus diesem Grund hätte unterbleiben können (vgl. etwa die kritische Kommentierung von SchmidtFutterer /Langenberg, Mietrecht 8. Aufl. § 556 BGB Rn. 60). Dies galt umso mehr, nachdem das Gericht des Ausgangsprozesses in der mündlichen Verhandlung hatte erkennen lassen, dass es neuere Rechtsprechung und Literatur nicht berücksichtigt hatte.
15
2. Durch die genannten Fehler der Beklagten ist der Klägerin der geltend gemachte Schaden - der Verlust des Anspruchs auf die Nebenkosten sowie die anteiligen Kosten des Erstprozesses - entstanden.
16
a) Um die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts für den geltend gemachten Schaden festzustellen, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Ist im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGHZ 133, 110, 111; 145, 256, 261; 163, 223, 227; 174, 205, 209 Rn. 9; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf /Terbille, Anwaltshaftung 7. Aufl. Rn. 801; Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/ Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1062 ff). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang. Vielmehr ist die Sicht des Regressgerichts maßgeblich. Dies gilt selbst dann, wenn feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts genommen hätte (BGHZ 174, 205, 209 Rn. 9).
17
b) Die Klägerin hatte gegen ihre Mieter Anspruch auf Zahlung anteiliger Versicherungskosten und anteiliger Grundsteuer. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Umlegung einzelner sonstiger Betriebskosten auch aufgrund jahrelanger Zahlung durch stillschweigende Vereinbarung erfolgen (BGH, Urt. v. 7. April 2004 - VIII ZR 146/03, NJW-RR 2004, 877). Die Mieter der Klägerin hatten seit dem Jahre 1988 anteilige Versicherungskosten und anteilige Grundsteuer gezahlt. Der Anspruch wurde jedoch aberkannt, weil das seinerzeit zur Entscheidung berufene Gericht den bereits mehrfach zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) übersehen hatte. Hätte die Beklagte auf den Beschluss hingewiesen, hätte das nicht geschehen dürfen. Das Gericht hätte sich mit ihm auseinandersetzen müssen. Es hätte entweder die Berufung der Mieter zurückweisen oder aber die Abweisung der Klage mit der Zulassung der Revision verbinden müssen; die Revision der Kläger hätte Erfolg haben müssen.
18
Entgegen c) der Ansicht der Beklagten ist eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Gericht "eigenverantwortlich" und "autonom" entschieden hat. Von einem fehlenden Kausalzusammenhang könnte man ausgehen, wenn das Gericht den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) gesehen, aber bewusst unberücksichtigt gelassen hätte oder bewusst von ihm abgewichen wäre (BGHZ 174, 205, 211 f Rn. 19 ff). Das hat die Beklagte in den Tatsacheninstanzen jedoch nicht behauptet. Die Revisionserwiderung selbst spricht von einer "auf unzureichender Rechtsrecherche zurückgehenden Entschließung des Berufungsgerichts" im Ausgangsverfahren.
19
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nicht durch den in der unzulänglichen rechtlichen Aufarbeitung des Ausgangsprozesses liegenden gerichtlichen Fehler unterbrochen worden.
20
a) Beruht ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen, die von verschiedenen Personen gesetzt worden sind, so haften diese grundsätzlich als Gesamtschuldner. Zivilrechtlich wird in diesen Fällen nicht danach unterschieden , ob einzelne Ursachen wesentlicher sind als andere. Das gilt grundsätzlich auch, wenn eine Ursache für sich allein den Schaden nicht herbeigeführt hat, es dazu vielmehr des Hinzutretens weiterer Ursachen im Sinne einer kumulativen Gesamtkausalität bedurfte. Demgemäß ist der Schaden ebenfalls zu ersetzen, der letztlich erst durch das Eingreifen eines Dritten, hier des Gerichts des Vorprozesses , eintritt (vgl. BGHZ 174, 205, 209 Rn. 11 m.w.N.).

21
Die Zurechenbarkeit fehlt in derartigen Fällen dann, wenn das Eingreifen des Dritten den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der vom Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht. Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem eingetretenen Schaden kann insbesondere dann unterbrochen sein, wenn dem Gericht des Vorprozesses ein Fehler unterläuft. Das Gericht ist für die Beachtung der ihm im öffentlichen Interesse obliegenden Verpflichtung, nach den Regeln der Verfahrensvorschriften möglichst zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, unabhängig von der Leistung des Anwalts verantwortlich. Der gerichtliche Aufgabenbereich der Rechtsfindung muss in die im Rahmen der Zurechnung gebotene wertende Betrachtungsweise einbezogen werden (BGHZ 174, 205, 210 Rn. 12 f). Auf der anderen Seite ist der Anwalt allerdings verpflichtet, seinen Mandanten vor Fehlentscheidungen der Gerichte zu bewahren. Soweit sich deshalb in der gerichtlichen Fehlentscheidung das allgemeine Prozessrisiko verwirklicht, das darin liegt, dass das Gericht bei ordnungsgemäßem Vorgehen trotz des Anwaltsfehlers richtig hätte entscheiden können und müssen, ist dem Anwalt der Urteilsschaden haftungsrechtlich zuzurechnen (BGHZ 174, 205, 210 Rn. 15; Fahrendorf , aaO Rn. 795; Fischer, aaO Rn. 1024, 1029).
22
b) Im vorliegenden Fall haben die Fehler der Beklagten die Rechtsfindung nicht erschwert. Das Gericht war eigenständig zur Prüfung der Sach- und Rechtslage verpflichtet. Es hätte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt selbst den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) finden und sich mit ihm auseinandersetzen müssen. Der Schadensbeitrag des Gerichts überwiegt denjenigen der Beklagten jedoch nicht so weit, dass letzterer dahinter ganz zurücktritt. Dem Gericht ist ein ähnlicher Fehler unterlaufen wie der Be- klagten. Das Gericht hat auch nicht unter völlig ungewöhnlicher, sachwidriger und daher grober, schlechthin unvertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadensursache gesetzt, welche die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung mit Rücksicht auf Art, Gewicht und wechselseitige Abhängigkeit der Schadensbeiträge so sehr in den Hintergrund rückt, dass bei wertender Betrachtung gleichsam nur der Gerichtsfehler als einzige, endgültige Schadensursache erscheint und der Anwaltsfehler nach dem Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht keine ins Gewicht fallende Bedeutung gegenüber der vom Gericht zu verantwortenden Schadensursache hat (vgl. BGHZ 174, 205, 211 Rn. 18). Die Pflicht des Anwalts zur Rechtsprüfung und zu Rechtsausführungen im Prozess dient auch und gerade dazu, den Mandanten vor Fehlentscheidungen infolge nachlässiger Arbeit des zur Entscheidung berufenen Richters zu bewahren; genau dieses Risiko hat sich verwirklicht. Die Frage, ob ein Anwalt Vorsorge dagegen treffen muss, dass ein Gericht zur Begründung seiner Entscheidung nur 15 bis 20 Jahre alte Rechtsprechung und Literatur heranzieht , stellt sich hier nicht. Es geht nicht darum, welche Entscheidungsgrundlagen das Gericht verwandt hat, sondern darum, dass es eine einschlägige höchstrichterliche Entscheidung aus neuerer Zeit übersehen hat. Spätestens nachdem das Gericht den Hinweis erteilt hatte, aus dem sich ergab, dass die von ihm herangezogene Rechtsprechung und Literatur deutlich veraltet war, hätte die Beklagte eingreifen müssen.

III.


23
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen worden sind, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
AG Rüsselsheim, Entscheidung vom 01.09.2006 - 3 C 441/06 (31) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 26.09.2007 - 21 S 214/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 38/04
vom
4. Mai 2005
in der Rechtsbeschwerdesache
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2005 durch die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und
Dr. Bergmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 2. Zivilsenats des Kammergerichts vom 10. Dezember 2004 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 12.219,63 € festgesetzt.

Gründe:


I. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juli 2004 abgewiesen. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 18. August 2004 in einer Ausfertigung zugestellt worden, bei der am rechten Seitenrand einzelne Buchstaben und teilweise auch ganze Wörter fehlten. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, denen eine in gleicher Weise mängelbehaftete Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, haben diese unter Hinweis auf den Mangel an das Landgericht zurückgereicht. Dessen Geschäftsstelle hat daraufhin beiden Par-
teien eine berichtigte Ausfertigung des Urteils vom 28. Juli 2004 zugestellt. Das beigefügte Begleitschreiben vom 26. August 2004 endete mit dem Hinweis, daß die zuerst erteilte fehlerhafte Ausfertigung als gegenstandslos betrachtet werden könne.
Die Klägerin, der die berichtigte Ausfertigung am 31. August 2004 förmlich zugestellt worden ist, hat gegen das Urteil am Montag, den 20. September 2004 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2004, der an diesem Tag als Faxschreiben beim Berufungsgericht eingegangen ist, begründet. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Klägerin darauf hingewiesen , daß hinsichtlich der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist Bedenken bestünden. Die Klägerin hat daraufhin mit am 15. November 2004 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Mit Beschluß vom 10. Dezember 2004 hat das Berufungsgericht der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung versagt und deren Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II. Das Berufungsgericht hat die Berufung für unzulässig erachtet, weil sie nicht innerhalb der schon durch die erste Zustellung des angefochtenen Urteils am 18. August 2004 in Lauf gesetzten Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten begründet worden sei und auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg habe. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Zustellung einer berichtigungsbedürftigen Urteilsausfertigung setze die an sie geknüpften Notfristen im Fall der späteren Zustellung einer berichtigten Ausfertigung nur dann nicht in Lauf, wenn erst die Berichtigung eine Be-
schwer erkennbar mache oder die Mängel insgesamt so schwerwiegend oder essentiell seien, daß die unberichtigte Fassung der Partei keine taugliche Grundlage für die Entschließung biete, ob ein Rechtsmittel einzulegen sei. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die für die Beurteilung, ob überhaupt ein rechtsmittelfähiges Urteil vorliege, erforderlichen Formalien des Urteils seien völlig beanstandungsfrei. Der Tenor sei trotz des Fehlens von Buchstaben leicht, zweifelsfrei und vollständig verständlich. Das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe sei zwar stellenweise wegen der fehlenden Buchstaben erschwert, aber selbst an diesen Stellen keineswegs vereitelt. Der Umstand, daß die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die fehlerhafte Ausfertigung in ihrem Entschuldigungsschreiben als gegenstandslos bezeichnet habe, habe die wirksame und den Fristenlauf auslösende Zustellung nicht ungeschehen machen können. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist schuldhaft gehandelt habe. Diesem hätte es oblegen, beim Verfassen der Berufungsschrift die Berechnung der in der Akte von der Kanzleiangestellten vermerkten Fristen zu überprüfen. Eine solche Prüfung hätte entweder zur Klärung der Rechtslage oder zumindest zu Zweifeln an der (fehlerhaften) Fristberechnung geführt. Bei der dann gebotenen Wahl des sichersten Weges wäre entweder die Berufungsbegründungsfrist eingehalten oder rechtzeitig ein Antrag auf Verlängerung der Frist gestellt worden.
III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO).
IV. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt.
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht und von der Rechtsbeschwerde unangegriffen angenommen, daß das Fehlen von Buchstaben und (kurzen) Wörtern das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils zwar stellenweise erschwert, aber nicht vereitelt und daher die Wirksamkeit der am 18. August 2004 erfolgten ersten Zustellung unberührt gelassen habe (vgl. BGH, Beschl. v. 13.4.2000 - V ZB 48/99, NJW-RR 2000, 1665, 1666; Beschl. v. 24.1.2001 - XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654, jeweils m.w.N.).
2. Der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein der Klägerin zurechenbares Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) ihres Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen.
Mit seiner gegenteiligen Ansicht überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Dessen irrige Annahme, erst die zweite Zustellung habe die Berufungsbegründungsfrist in Lauf gesetzt, weil die erste Zustellung unwirksam gewesen sei, ist in erster Linie durch die vom Gericht veranlaßte erneute Zustellung des Urteils ausgelöst worden. Ein solcher Irrtum gereicht ihm nicht zum Verschulden. Die erneute Zustellung des Urteils mußte den Eindruck erwecken, das Gericht habe die erste Zustellung als unwirksam angesehen, da nur in diesem Fall Veranlassung bestand, das Urteil nochmals zuzustellen. Wenn aber das Gericht eine zweite Zustellung als notwendig ansah, durfte der Anwalt darauf vertrauen, daß es sich bei der erneuten Zustellung um eine sinnvolle Maßnahme handelte, und davon ausgehen, daß erst diese Zustellung die Berufungsbegründungsfrist
in Lauf gesetzt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.1994 - IV ZB 12/94, VersR 1995, 680, 681).
Dies gilt hier um so mehr, als die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei der zweiten Zustellung in einem Begleitschreiben ausdrücklich bat, die Mängel der ersten Ausfertigung zu entschuldigen, und dazu erklärte, die zuerst erteilte Ausfertigung könne als gegenstandslos betrachtet werden. Mit Rücksicht auf die Zuständigkeit eines Urkundsbeamten im Bereich der Zustellung konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf diese Erklärung in gleicher Weise vertrauen wie auf eine durch einen Richter veranlaßte Erklärung über die Wirksamkeit einer Zustellung (vgl. BGH VersR 1995, 680, 681).
Die erneute Zustellung des landgerichtlichen Urteils ist nicht durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin veranlaßt worden, sondern durch den Prozeßbevollmächtigten der Gegenpartei. Es ist nicht einmal ersichtlich, daß
dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin das Schreiben des Beklagtenvertreters mitgeteilt worden ist, mit dem dieser die ihm zuerst zugestellte Urteilsausfertigung zurückgereicht und um die Übersendung eines vollständigen Urteils gebeten hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt der vorliegende Fall deshalb anders als der Sachverhalt, über den der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 13. April 2000 (V ZB 48/99, NJW-RR 2000, 1665 f.) entschieden hat.
v. Ungern-Sternberg Pokrant Büscher
Schaffert Bergmann

(1) Die Geschäftsstelle führt die Zustellung nach §§ 173 bis 176 Absatz 1 aus. Sie kann einen nach § 33 Abs. 1 des Postgesetzes beliehenen Unternehmer (Post) oder einen Justizbediensteten mit der Ausführung der Zustellung beauftragen. Den Auftrag an die Post erteilt die Geschäftsstelle auf dem dafür vorgesehenen Vordruck.

(2) Der Vorsitzende des Prozessgerichts oder ein von ihm bestimmtes Mitglied können einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit der Ausführung der Zustellung beauftragen, wenn eine Zustellung nach Absatz 1 keinen Erfolg verspricht.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 179/07
vom
20. Februar 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hat als Höchstfrist für den Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand absoluten Charakter und verfolgt den
Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und
den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten.

b) Im Hinblick darauf ist die Vorschrift allerdings nicht anwendbar, wenn die Ursache
der Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der Partei liegt, sondern allein
dem Gericht zuzurechnen ist (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - XII ZB
12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479). Das ist auch dann der Fall, wenn das
Rechtsmittelgericht zwar innerhalb der Jahresfrist über einen Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe entschieden, dies dem Antragsteller aber
nicht mitgeteilt hatte und der Antragsteller auch sonst keine Kenntnis von der
Entscheidung erlangt hat.
BGH, Beschluss vom 20. Februar 2008 - XII ZB 179/07 - LG Hamburg
AG Hamburg-Altona
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2008 durch die
Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dose

beschlossen:
Dem Beklagten wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. A. beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 27. August 2007 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 15. November 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Wert: 635 €.

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach gescheiterter Ehe. Mit Urteil vom 15. November 2005 hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 635,02 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil wurde dem Beklagten am 15. Dezember 2005 zugestellt. Mit einem am (Montag) 16. Januar 2006 eingegangenen Schriftsatz begehrte der Beklagte Prozesskostenhilfe "für die beabsichtigte Berufung" und kündigte an, das "Gesuch" weiter zu begründen. Beigefügt war ein weiterer Schriftsatz vom 16. Januar 2006, der als "Berufung" bezeichnet, vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten aber nicht unterschrieben war. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2006 beantragte der Beklagte, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs vom 16.01.2006 um 1 Monat bis zum 16.03.2006 zu verlängern". Nach antragsgemäßer Verlängerung der "Frist zur Begründung des PKH-Antrages" begründete der Beklagte "das Prozesskostenhilfegesuch" mit einem am 16. März 2006 eingegangenen Schriftsatz vom 15. März 2006.
2
Mit Beschluss vom 25. August 2006 wies das Landgericht den Antrag des Beklagten auf Prozesskostenhilfe zurück, weil die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Beschluss wurde am 31. August 2006 an die Klägerin, nicht aber an den Beklagten zugestellt. In der Folgezeit wurden die Akten weggelegt. Auf einen Schriftsatz des Beklagten vom 20. Juni 2007 wurde ihm am 10. Juli 2007 antragsgemäß Akteneinsicht gewährt. Dabei stellte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten fest, dass das Landgericht bereits über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hatte. Mit einem am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom 13. Juli 2007 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist. Er versicherte anwaltlich, erst durch die Akteneinsicht am 10. Juli 2007 Kenntnis von der Entscheidung des Landgerichts erhalten zu haben, und legte eine eidesstattliche Versicherung des Beklagten vor, derzufolge auch dieser bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 23. Juli 2007, eingegangen am selben Tag, legte er Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ein. Mit Schriftsatz vom 10. August 2007 - ebenfalls eingegangen am selben Tag - begründete er seine Berufung.
3
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht eingehalten sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
5
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 88, 118, 123 ff., BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
7
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hatte der Beklagte die Berufung allerdings nicht bereits rechtzeitig eingelegt und begründet. Weder ist dem Schriftsatz vom 16. Januar 2006, der dem Prozesskostenhilfegesuch beigefügt war, eine wirksame Berufung zu entnehmen, noch enthält der am 16. März 2006 eingegangene Schriftsatz vom 15. März 2006 eine wirksame Berufungsbegründung.
8
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein mit einem Schriftsatz auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbundener weiterer Antrag als zulässiges unbedingtes Rechtsmittel oder als bedingt eingelegtes und somit unzulässiges Rechtsmittel zu werten ist. Erfüllt der weitere Schriftsatz die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nur als - durch die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe - bedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 und BGHZ 165, 318, 320 f. = FamRZ 2006, 400). Erfüllt der eingegangene Schriftsatz die gesetzlichen Anforderungen an ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung hingegen nicht, spricht dies im Rahmen der Auslegung eher dagegen, dass damit ein unbedingtes wegen des Formverstoßes unzulässiges Rechtsmittel eingelegt werden sollte. In solchen Fällen ist der Schriftsatz nur dann als unbedingtes Rechtsmittel oder unbedingte Rechtsmittelbegründung auszulegen, wenn sich dies aus den übrigen Umständen ergibt.
9
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung des Beklagten weder rechtzeitig eingelegt noch begründet worden.
10
Gegen ein rechtzeitig eingelegtes unbedingtes Rechtsmittel spricht schon der Zusammenhang der beiden Schriftsätze vom 16. Januar 2006. Der als "Berufung" bezeichnete Schriftsatz ist nicht unterschrieben und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Berufung (BGHZ 92, 251, 255 = NJW 1985, 328, 329). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Unterschrift hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. insoweit BGH Beschluss vom 7. Juni 2006 - VIII ZB 96/05 - FamRZ 2006, 1269 f.), weil das gleichzeitig eingegangene und unterschriebene Prozesskostenhilfegesuch vom 16. Januar 2006 eindeutig dagegen spricht, dass die mit demselben Telefax übermittelte und ausdrücklich als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnete Anlage trotz fehlender Unterschrift mit dem Willen beigefügt war, sie als unbedingte Berufungseinlegung an das Gericht zu übermitteln. Auch wurde lediglich Prozesskostenhilfe für eine "beabsichtigte Berufung" begehrt. Im Einklang damit hat der Beklagte in der Folgezeit lediglich beantragt, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs" zu verlängern. Entsprechend hat das Landgericht auch nur diese Frist bis zum 16. März 2006 verlängert. Deswegen enthält der am 16. März 2006 eingegangene Schriftsatz vom 15. März 2006 entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine rechtzeitige Berufungsbegründung. Denn weil die Begründungsfrist nicht zugleich verlängert worden war, war sie schon am 15. Februar 2006 abgelaufen.
11
3. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten allerdings zu Unrecht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt.
12
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Rechtsmittel- oder -begründungsfrist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Rechtsmittelkläger innerhalb der Frist Prozesskostenhilfe beantragt hatte und auf deren Bewilligung vertrauen durfte (Senatsbeschlüsse vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 f. und vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548). Dann ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn er dies innerhalb der mit Kenntnis der Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch beginnenden Wiedereinsetzungsfrist beantragt und innerhalb der Frist auch die versäumte Prozesshandlung nachholt (Senatsbeschlüsse vom 22. Juni 2005 - XII ZB 34/04 - NJW-RR 2005, 1586 und vom 31. Januar 2007 - XII ZB 207/06 - FamRZ 2007, 801, 802).
13
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn der Kläger, der innerhalb der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hatte, hat erst infolge seines Akteneinsichtsgesuchs am 10. Juli 2007 Kenntnis von der Entscheidung über dieses Gesuch erhalten. Bereits am 13. Juli 2007 hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und jeweils fristgerecht am 23. Juli 2007 die Berufung eingelegt und sie am 10. August 2007 begründet (vgl. §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
14
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht entgegen.
15
Nach ständiger Rechtsprechung hat diese Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte zwar absoluten Charakter und verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Im Hinblick auf diesen Zweck ist die Vorschrift aber ausnahmsweise dann nicht anwendbar, wenn die Überschreitung der Frist nicht in der Sphäre der Partei lag, sondern allein dem Gericht zuzurechnen ist, z.B. wenn das Berufungsgericht innerhalb der Jahresfrist nicht über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden hat (BGH Beschluss vom 12. Juni 1973 - VI ZR 121/73 - ZMR 1978, 152; vgl. auch BAG NJW 1982, 1664). Liegt also die für die Versäumung der Jahresfrist ausschlaggebende Ursache allein beim Gericht, steht der Ablauf der Jahresfrist einer Wiedereinsetzung nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479).
16
So liegt der Fall auch hier. Weil das Berufungsgericht die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe zwar der Klägerin, nicht aber dem Beklagten als Antragsteller mitgeteilt hatte, hatte dieser keine Kenntnis hiervon und durfte weiter auf eine Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. Denn insoweit macht es keinen Unterschied, ob das Rechtsmittelgericht einen bereits ergangenen Beschluss nicht mitgeteilt oder über den Antrag auf Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden hat (vgl. insoweit BGH Beschluss vom 12. Juni 1973 - VI ZR 121/73 - ZMR 1978, 152). Auch wenn eine Entscheidung ergangen , diese dem Antragsteller aber nicht bekannt ist, kann es kein Mitverschulden des Antragstellers begründen, dass er sich innerhalb der Jahresfrist nicht erkundigt hat, ob inzwischen eine Entscheidung ergangen sei. Denn mangels entgegenstehender Anhaltspunkte durfte er davon ausgehen, dass über seinen Antrag noch nicht entschieden sei.
17
4. Weil dem Beklagten schon wegen der schuldlosen Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, kommt es nicht darauf an, ob der angefochtene Beschluss, der sich auch im Rahmen der Anwendbarkeit des § 234 Abs. 3 ZPO nicht mit der beantragten Prozesskostenhilfe auseinandersetzt, überhaupt hinreichend begründet war und schon deshalb keinen Bestand haben kann.
Sprick Weber-Monecke Wagenitz Ahlt Dose

Vorinstanzen:
AG Hamburg-Altona, Entscheidung vom 15.11.2005 - 315a C 156/05 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 27.08.2007 - 309 S 43/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 12/03
vom
7. Juli 2004
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 B, Fb, 234 Abs. 3 C, 517 2. Halbs. (= § 516 2. Halbs. ZPO
a.F.)

a) Auch wenn einer Prozeßpartei eine vom verkündeten Originalurteil abweichende
Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, läuft die fünfmonatige Berufungsfrist des
§ 517 2. Halbs. ZPO (= § 516 2. Halbs. ZPO a.F.).

b) Eine Prozeßpartei hat die Berufungsfrist schuldlos versäumt, wenn ihr eine fehlerhafte
, für sie günstigere Urteilsausfertigung zugestellt worden ist und sie gegen
das erst später bekannt gewordene, für sie ungünstigere Originalurteil vorgehen
will. Dann steht auch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO einer Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand nicht entgegen.
BGH, Beschluß vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 - OLG Frankfurt/Main
AG Frankfurt am Main /Höchst
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 3. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Dezember 2002 aufgehoben. Das Verfahren wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:


I.

Die Parteien streiten um nachehelichen Ehegattenunterhalt. Mit Verbundurteil vom 31. Oktober 1996 wurde die Ehe der Parteien geschieden und der Antragsteller verurteilt, an die Antragsgegnerin nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich insgesamt 5.977 DM (4.500 DM Elementarunterhalt und 1.477 DM Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen. Im Tenor der den Parteien zugestellten Urteilsausfertigungen war der vom Antragsteller geschuldete nacheheliche Ehegattenunterhalt allerdings fehlerhaft mit insgesamt monatlich 4.700 DM (3.700 DM Elementarunterhalt und 1.000 DM Altersvorsorgeunterhalt ) angegeben. Seine gegen die Verpflichtung zum nachehelichen Ehegatten-
unterhalt eingelegte Berufung nahm der Antragsteller - in Unkenntnis der tatsächlich höheren Verurteilung - zurück. Mit Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2001 (402 F 2331/99) wurde das Verbundurteil dahingehend abgeändert, daß der Antragsteller der Antragsgegnerin ab dem 1. Juni 1999 lediglich noch nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von insgesamt monatlich 3.834 DM (3.018,25 DM Elementarunterhalt und 815,75 DM Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen hat. Die Berufung gegen dieses Urteil hat die Antragsgegnerin zurückgenommen. Zuvor wurden die Parteien im Verhandlungstermin vom 19. Juni 2002 vor dem Oberlandesgericht darauf hingewiesen, daß der Tenor des verkündeten Verbundurteils zum nachehelichen Ehegattenunterhalt von dem Tenor der im Abänderungsverfahren eingereichten Urteilsausfertigung abweicht. Darauf hat der Antragsteller am 3. Juli 2002 Berufung gegen das Verbundurteil eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Nach Zustellung der Berufungsbegründung hat sich die Antragsgegnerin der Berufung angeschlossen und begehrt einen höheren nachehelichen Ehegattenunterhalt. Das Berufungsgericht hat dem Antragsteller die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), auch sonst zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sowohl in Fällen einer Divergenz als auch dann geboten, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. Das ist vor allem dann anzunehmen, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundsätze verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Daher gebieten es die Verfahrensgrundsätze auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör, den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Demgemäß dürfen bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlaßt haben muß, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden (BGHZ 151, 221, 226 f.). Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht verstoßen. 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Entgegen der Rechtsbeschwerde erweist sich der angefochtene Beschluß des Oberlandesgerichts allerdings nicht schon deshalb als fehlerhaft, weil er dem Antragsteller nicht wirksam am 8. Januar 2003 zugestellt worden sei. Dabei kommt es nicht auf die Rechtsfrage an, ob ein verkündeter Beschluß zu seiner Wirksamkeit die Unterschriften aller beteiligten Richter enthalten muß
(vgl. insoweit BGH Beschluß vom 10. Mai 1994 - X ZB 7/93 - NJW-RR 1994, 1406). Denn der angefochtene Beschluß ist ausweislich eines Vermerks des Vorsitzenden Richters vom 23. Januar 2003 am 17. Dezember 2002 durch den Senat als Kollegialgericht gefaßt und entsprechend von allen Richtern unterzeichnet worden. Die Zustellung eines allein vom Berichterstatter unterschriebenen Beschlusses „vom 20. Dezember 2002“ ist lediglich auf ein Kanzleiversehen zurückzuführen, das mit der (erneuten) Zustellung des Senatsbeschlusses vom 17. Dezember 2002 geheilt worden ist.
b) Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, daß der Antragsteller die Berufungsfrist des § 516 2. Alt. ZPO a.F. versäumt hat, weil das angefochtene Verbundurteil am 31. Oktober 1996 verkündet und die Berufung nicht innerhalb von fünf Monaten eingegangen ist. Nach § 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Zu diesen Förmlichkeiten gehört gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO auch die Verkündung des Urteils. Diese erfolgt nach § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die Verlesung der Urteilsformel , die - bei der Verkündung in einem besonderen Verkündungstermin in Abwesenheit der Parteien - gemäß § 311 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch eine Bezugnahme auf die Urteilsformel ersetzt werden kann. Diesen Anforderungen genügt das Verkündungsprotokoll vom 31. Oktober 1996. Danach wurde in Anwesenheit der persönlich erschienenen Antragsgegnerin das aus der Anlage ersichtliche Urteil durch "Verlesen des entscheidenden Teils" verkündet. Damit ist dem Erfordernis des § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO genügt, auch wenn die Formulierung des Verkündungsprotokolls zu Zweifeln veranlassen könnte, ob der gesamte Urteilstenor verlesen worden ist (BGHZ 10, 327, 329; BGH Urteil vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 205/83 - NJW 1985, 1782). Somit ist gemäß § 165 Satz 1 ZPO die Verkündung des in Bezug genommenen Verbundurteils vom 31. Oktober 1996 bewiesen. Da der Bezug zwischen dem Verkündungsproto-
koll und dem verkündeten Urteil eindeutig ist, muss das Verkündungsprotokoll nicht fest mit dem verkündeten Urteil verbunden sein. Aus dem Verkündungsprotokoll vom 31. Oktober 1996 geht hervor, daß an diesem Tag und in dieser Sache das anliegende Urteil, also das Urteil vom 31. Oktober 1996, verkündet worden ist. Entsprechend ist das in den Akten befindliche Verbundurteil ausweislich der darauf angebrachten Vermerke der Geschäftsstelle am 31. Oktober 1996 zur Geschäftsstelle gelangt und auch an diesem Tag verkündet worden. Damit ist eine zweifelsfreie Zuordnung zwischen Verkündungsprotokoll und verkündetem Urteil möglich, ohne daß es auf eine körperliche Verbindung dieser Schriftstücke ankäme.
c) Trotz der späteren Zustellung einer von der Originalfassung abweichenden Urteilsausfertigung hatte die fünfmonatige Ausschlußfrist des § 516 2. Alt. ZPO a.F. schon mit der Verkündung des angefochtenen Urteils begonnen. Die Vorschrift des § 516 2. Alt. ZPO a.F. beruht im wesentlichen auf Gründen der Rechtssicherheit. Nach Ablauf dieser Frist soll sich auch der Prozeßgegner auf die Rechtskraft des Urteils verlassen dürfen. Dabei liegt der Vorschrift der Gedanke zugrunde, daß eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlaß einer Entscheidung rechnen muß und daß es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen ist. Nur wenn dieser Grundgedanke im Einzelfall nicht zutrifft, beginnt ausnahmsweise die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen, was etwa dann der Fall ist, wenn die Beschwerdepartei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war (BGH Beschluß vom 29. September 1998 - KZB 11/98 - NJW 1999, 143, 144 m.w.N.). Die Zustellung einer fehlerhaften Ausfertigung hat demnach keine Auswirkung auf den Beginn der Frist des § 516 2. Alt. ZPO a.F., sondern ist im Rahmen der Verschuldensprüfung bei einer beantragten Wiedereinsetzung zu berücksichtigen.
Wegen der abgelaufenen Fünfmonatsfrist kommt es letztlich nicht darauf an, ob die Zustellung der fehlerhaften Urteilsausfertigung die Berufungsfrist schon nach § 516 1. Alt. ZPO a.F. in Gang gesetzt hatte (vgl. insoweit Senatsbeschluß vom 30. September 1981 - IVb ZB 805/81 - VersR 1982, 70).
d) Das Berufungsgericht hat dem Antragsteller aber zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung versagt. Allerdings geht es auch insoweit zu Recht davon aus, daß sich die Partei ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß und es diesem grundsätzlich obliegt, ein zugestelltes Urteil innerhalb der Berufungsfrist inhaltlich zu überprüfen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Antragsteller nach Überprüfung der ihm zugestellten Urteilsausfertigung allerdings nicht gehalten, eine Diskrepanz zwischen Urteilstenor und Entscheidungsgründen durch Einsicht in das bei den Akten befindliche Originalurteil aufzuklären. Dabei kann dahin stehen, ob den Prozessbevollmächtigten auch dann eine solche Prüfungspflicht trifft, wenn der zugestellte Urteilstenor im Gegensatz zu den Entscheidungsgründen für seinen Mandanten günstiger ist und sich ein Rechtsmittel sogar zu dessen Lasten auswirken würde. Denn aus der Erkenntnis , daß der Tenor und die Gründe der zugestellten Urteilsausfertigung nicht eindeutig aufeinander abgestimmt waren, musste er hier nicht den Schluß auf eine von dem in den Akten befindlichen Originalurteil abweichende, fehlerhafte Urteilsausfertigung ziehen. Positive Kenntnis von dem abweichenden Originalurteil hat der Antragsteller erst im Rahmen des Abänderungsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2002 erhalten. Der Antragsteller hat deswegen die Berufungsfrist in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der tatsäch-
lich höheren Verurteilung und somit schuldlos versäumt. Mit dem am 3. Juli 2002 eingegangen Wiedereinsetzungsantrag hat er auch die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gewahrt. Eine Wiedereinsetzung ist auch nicht wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen, obwohl diese Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte absoluten Charakter hat. Sie verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Demgemäß hat die Rechtsprechung Ausnahmen davon in Fällen abgelehnt, in denen ein die Prozeßkostenhilfe verweigernder Beschluß vor Ablauf der Frist eingegangen ist, der Partei von ihrem Anwalt jedoch erst nach Ablauf dieser Frist bekannt gegeben werden konnte (BGH Beschluß vom 19. Februar 1976 - VII ZR 16/76 - VersR 1976, 728) oder in denen die Ursache für die Verspätung und die weitere Behandlung durch das Gericht entscheidend in der Sphäre der Partei lag, welche die Frist versäumt hatte (BGH Beschluß vom 18. Mai 1971 - IX ZR 206/68 - RzW 1971, 564; Urteil vom 20. Januar 1983 - IX ZR 19/82 - VersR 1983, 376, 377). Hingegen ist die Anwendung der Vorschrift dann ausgeschlossen worden, wenn bei Ablauf der Ausschlußfrist über ein innerhalb der Rechtsmittelfrist gestelltes Gesuch um Gewährung von Prozeßkostenhilfe noch nicht entschieden war (BGH Beschluß vom 12. Juni 1973 - VI ZR 121/73 - VersR 1973, 851) oder das Gericht sonst aus allein in seiner Sphäre liegenden Gründen nicht innerhalb eines Jahres von dem Ende der versäumten Frist an darüber entschieden hat, ob eine Revision form- und fristgerecht eingelegt worden ist und beide Parteien aufgrund gerichtlicher Verfügung der Auffassung sein konnten, der Rechtsstreit werde demnächst materiell-rechtlich entschieden (BAG NJW 1982, 1664). Entsprechendes muß auch hier gelten, weil es allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen ist, daß der Antragsteller erst Jahre später von einer höheren Verurteilung erfahren hat, als es aus der ihm zugestellten Urteilsausfertigung hervorgeht. Der An-
tragsteller war deswegen ohne eigenes Verschulden gehindert, einen sicheren Weg zu gehen und Wiedereinsetzung innerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO zu beantragen. 3. Weil das Berufungsgericht dem Antragsteller zu Unrecht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat, wird es erneut auch über die Zulässigkeit der Berufung zu befinden haben.
Hahne Sprick Weber-Monecke
Wagenitz Dose