Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2001 - VI ZR 356/00

published on 02/10/2001 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2001 - VI ZR 356/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 356/00 Verkündet am:
2. Oktober 2001
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe eines Mindestbetrages
begehrt hat, ist nicht beschwert, wenn das Gericht ihm diesen
Betrag zugesprochen, aber abweichend von seiner Auffassung ein Mitverschulden
bejaht hat.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - OLG München
LG Kempten
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Oktober 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter
Dr. Dressler und Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 27. Juli 2000 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Die im Unfallzeitpunkt nicht ganz neun Jahre alte Klägerin wurde am 2. November 1996 als Fußgängerin auf einem Zebrastreifen von einem von dem Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw erfaßt und am linken Bein verletzt. Die Klägerin hat in erster Instanz ein angemessenes Schmerzensgeld beantragt und als Mindestbetrag 10.000 DM angegeben. Ihren materiellen Schaden hat sie mit 656,44 DM beziffert. Das Landgericht hat ihr ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zugesprochen und dem bezifferten Klageantrag in Höhe von 525,15 DM stattgegeben. Die auf Verurteilung zur Zahlung weiterer 5.131,29 DM (davon 5.000 DM Schmerzensgeld) gerichtete Berufung der Klä-
gerin hat das Oberlandesgericht verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 1.500 DM, denn die Klägerin sei durch das angefochtene Urteil nur in Höhe der vom Landgericht nicht zugesprochenen 131,29 DM beschwert. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes fehle eine Beschwer, weil das Landgericht der Klägerin den Betrag zuerkannt habe, den diese in erster Instanz als Mindestbetrag angegeben habe.

II.

Die gemäû § 547 ZPO zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 ZPO). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO). 1. Hinsichtlich der geltend gemachten immateriellen Schäden ist eine Beschwer der Klägerin durch das Urteil des Landgerichts nicht gegeben.
a) Eine klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann beschwert, wenn diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen wor-
den ist (BGH, Urteil vom 2. März 1994 - XII ZR 207/92 - NJW 1994, 2697). Das ist hier nicht der Fall. Der Klägerin ist vom Landgericht das zugesprochen worden , was sie begehrt hat, nämlich ein Schmerzensgeld in Höhe der von ihr selbst angegebenen Gröûenordnung von 10.000 DM. Die Klägerin hat in erster Instanz zwar keinen bezifferten Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gestellt, sondern ein Schmerzensgeld verlangt, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, wobei sie dieses Begehren in zulässiger Weise in die Form eines unbezifferten Klageantrages gekleidet und einen Mindestbetrag von 10.000 DM genannt hat. Genau diesen Betrag hat das Landgericht ihr aber als Schmerzensgeld zugesprochen. Hat die klagende Partei ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt und hat das Gericht ihr ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist sie durch das Urteil nicht beschwert (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 340 m.w.N.).
b) Entgegen der Auffassung der Revision läût sich eine Beschwer der Klägerin nicht daraus herleiten, daû sie selbst bei der Angabe des Mindestbetrages von einer Alleinhaftung des Unfallgegners ausgegangen ist, während das Landgericht ihr ein Mitverschulden von 20 % angelastet hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Landgericht angenommene Haftungsquote von 80 % nur zu einer Kürzung der geltend gemachten materiellen Schäden geführt oder, wie die Revision meint, auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Berücksichtigung gefunden hat. Selbst wenn letzteres der Fall wäre, hätte die Klägerin mit den ihr zuerkannten 10.000 DM das erhalten, was sie wollte. Ob eine klagende Partei beschwert ist, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur grundsätzlich danach, ob die gerichtliche Entscheidung nachteilig von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag abweicht (sog. formelle Beschwer, vgl. Senatsurteil vom 9. Oktober
1990 - VI ZR 89/90 - VersR 1991, 359, 360 und Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einl. V vor § 511, Rdn. 78, jeweils m.w.N.). Wird dem Klageantrag mit einer anderen rechtlichen Begründung stattgegeben als von der klagenden Partei gewünscht, ist diese nicht beschwert (BGH, Urteil vom 10. März 1993 - VIII ZR 85/92 - NJW 1993, 2052, 2053; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., vor § 511, Rdn. 29). Nichts anderes gilt, wenn sich im Falle eines unbezifferten Klageantrages die Höhe des vom Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes mit der von der klagenden Partei angegebenen Betragsvorstellung deckt. Die klagende Partei ist daher nicht beschwert, wenn das Gericht zwar den angestrebten Mindestbetrag zugesprochen, aber dabei z.B. ein Mitverschulden berücksichtigt hat (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 511 a, Rdn. 33; vgl. auch Stein/Jonas/Grunsky, aaO, Rdn. 80 f.). Der abweichenden Auffassung des Oberlandesgerichts Köln (VersR 1993, 616) vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB nicht quotenmäûig zu berücksichtigen ist, sondern sich als ein Bewertungsfaktor neben anderen darstellt (Senatsurteil vom 12. März 1991 - VI ZR 173/90 - NZV 1991, 305; OLG Karlsruhe, VersR 1988, 59, 60). Die Bejahung eines Mitverschuldens begründet für sich allein keine Beschwer. Auf die Frage, ob das Landgericht, wenn es hier entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin ein Mitverschulden verneint hätte, ein den angegebenen Mindestbetrag übersteigendes Schmerzensgeld zugesprochen hätte (zur Zulässigkeit vgl. Senatsurteil BGHZ 132, 341, 350), kommt es deswegen nicht an. Da die Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldbegehrens der Klägerin in vollem Umfang Erfolg hatte, löst die Annahme eines Mitverschuldens entgegen der Auffassung der Revision auch nicht den - u.U. beachtlichen - Anschein einer Beschwer aus.
2. Für die mit der Berufung erstrebte Erhöhung des Schmerzensgeldes auf insgesamt 15.000 DM fehlt es an der dafür erforderlichen Zulässigkeit des Rechtsmittels. Zwar kann eine Partei eine Klage auch noch im Berufungsrechtszug erweitern (§§ 523, 264 Nr. 2 ZPO), doch darf die Klageerweiterung nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Erweiterung der Klage in zweiter Instanz eine zulässige Berufung voraus. Diese ist nur gegeben, wenn die klagende Partei mit dem Rechtsmittel zumindest auch die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 338; BGHZ 85, 140, 143; Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91 - VersR 1992, 1110; BGH, Urteil vom 30. November 1995 - III ZR 240/94 - NJW 1996, 527, jeweils m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Hinsichtlich der in erster Instanz geltend gemachten immateriellen Schäden ist die Berufung - wie dargelegt - mangels Beschwer der Klägerin unzulässig. Soweit das Landgericht den bezifferten Klageantrag auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe eines Teilbetrages von 131,29 DM abgewiesen hat, ist die Berufung unzulässig, weil die Beschwer der Klägerin die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO) nicht übersteigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Müller Dr. Dressler Dr. Greiner
Diederichsen Pauge
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. (2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn1.der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder2.das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zu
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Annotations

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Wird die Berufung nicht nach § 522 durch Beschluss verworfen oder zurückgewiesen, so entscheidet das Berufungsgericht über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter. Sodann ist unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.

(2) Auf die Frist, die zwischen dem Zeitpunkt der Bekanntmachung des Termins und der mündlichen Verhandlung liegen muss, ist § 274 Abs. 3 entsprechend anzuwenden.

Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Anführungen ergänzt oder berichtigt werden;
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird;
3.
statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)