Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - VI ZR 78/03

bei uns veröffentlicht am30.09.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 78/03
vom
30. September 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§§ 2, 3 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO
Bei Abweisung einer Schmerzensgeldklage besteht die vom Kläger mit der Revision
geltend zu machende Beschwer im Sinne des § 26 Nr. 8 EGZPO äußerstenfalls in
Höhe des in der Berufungsinstanz verlangten Mindestbetrages. Die Beschwerde gegen
die Nichtzulassung der Revision ist deshalb unzulässig, wenn der Wert der Klageforderung
unter Einschluß des Mindestbetrages 20.000 bsicht
, erstmals mit der Revision eine die Wertgrenze übersteigende Größenordnung
des Schmerzensgeldes geltend zu machen, führt nicht zur Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.
BGH, Beschluß vom 30. September 2003 - VI ZR 78/03 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2003 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. Februar 2003 wird auf seine Kosten verworfen. Streitwert: 13.795,35

Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Kläger hat den ! #"$ % '&( *) materiellen Schaden in erster Instanz auf 6.662,33 auf +,+- . * / 1032 !4 657 89 : : ; < 4 6 =) 94 . ?>@< A B ( C4 ) 6.125,97 Ermessen des Gerichts gestellt; jedoch hat er einen Betrag von mindestens +E F) . 89 ; ; G : ) < * H I) KJ ). 4 : ; 9 ) F4% 15.000 DM (= 7.669,38 D Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zu- 8PO rückgewiesen. Der Streitwert ist vom Landgericht auf 14.331,71 LNM u- + . . ; Q %" 4 R S I) 'OT VU;+EU ; E 3 ) @4 fungsgericht auf 13.795,35 M Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der von dem Kläger mit einer Revision geltend zu machenden Beschwer zwanzigtausend Euro nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO, § 544 ZPO). Der Kläger hat in erster und zweiter Instanz den Mindestbetrag des von ihm verlangten Schmerzensgeldes auf 15.000 DM beziffert. Bei dieser Sachlage kann mit der Revision betreffend das Schmerzensgeld äußerstenfalls eine %< : 4W 89) Beschwer in Höhe des aberkannten Anspruchs von 7.669,38 werden. Die mit der Beschwerde geäußerte Schmerzensgeldvorstellung von + . * UYXZ ( . 7[S E 2: U. Y4 20.000 r geltend zu machenden Beschwer. § 26 Nr. 8 EGZPO stellt nicht darauf ab, in welcher Höhe der Beschwerdeführer die Klageforderung in der Revisionsinstanz (erstmals) beziffern will, sondern darauf, welche Beschwer aus dem Berufungsurteil er geltend machen kann und will (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 27. Juni 2002 - V ZR 148/02 - NJW 2002, 2720 f.). Eine klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur insoweit beschwert, als diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zum Nachteil der Partei abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 140, 335, 338 und vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - VersR 2001, 1578 f. m.w.N.). Verlangt der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, so ist für seine Beschwer als Rechtsmittelkläger nicht der angemessene Schmerzensgeldbetrag, sondern die vom Kläger geäußerte Größenvorstellung maßgebend (vgl. Senatsurteil BGHZ 140, 335, 340 f. m.w.N.). Gibt der Kläger - wie hier - einen Mindestbetrag an, so ist die Beschwer danach zu bestimmen, inwieweit der Urteilsausspruch der Vorinstanz dahinter zurückbleibt (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 341, 351 f.; 140,
335, 340 f. sowie vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - aaO; so auch Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 2 Rn. 107; MünchKommZPO/Schwerdtfeger, 2. Aufl., § 3 Rn. 121; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 11. Aufl., Rn. 4401). Wird der Mindestbetrag zuerkannt, ist der Kläger nicht beschwert. Wird ihm ein unter dem geäußerten Mindestbetrag liegendes Schmerzensgeld zugesprochen, ergibt sich die Beschwer aus der Differenz zwischen dem Mindestbetrag und dem Zugesprochenen (so zuletzt auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - VersR 2002, 1521, 1522, sub I 1). Wird die Klage - wie hier - insgesamt abgewiesen, ist der Kläger in voller Höhe des geäußerten Mindestbetrages beschwert. Die in der Beschwerdebegründung geäußerte Ansicht, auf die Betragsvorstellung des Geschädigten komme es nur an, wenn der Mindestbetrag zugesprochen , der Klage also stattgegeben werde, ist nicht zutreffend. Erhält der Kläger das zugesprochen, was er (mindestens) verlangt hat, besteht kein Anlaß , den Zugang zur Rechtsmittelinstanz mit dem Ziel der Durchsetzung einer höheren Klageforderung zu eröffnen (vgl. Senatsurteile BGHZ 140, 335, 338 und vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - aaO, S. 1579 m.w.N.). Entsprechendes gilt aber auch für den Fall der - vollen oder teilweisen - Abweisung der Klage. Ungeachtet der Frage, wie die Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes rechtlich zu qualifizieren ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - aaO, S. 1522), und ungeachtet der Tatsache, daß eine möglicherweise darin liegende Klageerweiterung im Rechtsmittelverfahren nur in eingeschränktem Umfang (im Berufungsverfahren) oder überhaupt nicht (im Revisionsverfahren) möglich ist, setzt eine Erweiterung des Anspruchsumfangs jedenfalls voraus, daß das Rechtsmittel als solches zulässig eingelegt werden kann. Dies erfordert aber, daß - zumindest auch - die Beseitigung einer Beschwer verlangt werden kann (Senatsurteile aaO). Soweit die Revision nur auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassen werden kann, ist dies nur der
Fall, wenn die gesetzlich bestimmte Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO überschritten ist. Die Beschwerde ist demnach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 2 Bedeutung des Wertes


Kommt es nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder des Gerichtsverfassungsgesetzes auf den Wert des Streitgegenstandes, des Beschwerdegegenstandes, der Beschwer oder der Verurteilung an, so gelten die nachfolgenden Vorschriften.

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Kommt es nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder des Gerichtsverfassungsgesetzes auf den Wert des Streitgegenstandes, des Beschwerdegegenstandes, der Beschwer oder der Verurteilung an, so gelten die nachfolgenden Vorschriften.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 148/02
vom
27. Juni 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EGZPO § 26 Nr. 8; ZPO § 544

a) Für die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO ist
nicht die Beschwer aus dem Berufungsurteil, sondern der Wert des Beschwerdegegenstands
aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend.

b) Um dem Revisionsgericht die Prüfung dieser Zulässigkeitsvoraussetzung zu ermöglichen
, muß der Beschwerdeführer innerhalb laufender Begründungsfrist darlegen
, daß er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils
in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, erstreben will.

c) Sind Teile des Prozeßstoffs abtrennbar und einer beschränkten Revisionszulassung
zugänglich, so muß die Wertgrenze hinsichtlich des Teils überschritten sein,
für den in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2
Satz 3 ZPO ein Zulassungsgrund für die Revision hinreichend dargelegt wird.
BGH, Beschl. v. 27. Juni 2002 - V ZR 148/02 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. Juni 2002 durch den Vizepräsidenten
des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf,
Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

beschlossen:
Der Antrag auf Erhöhung des Wertes der Beschwer wird zurückgewiesen.

Gründe:


I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Beseitigung einer Windkraftanlage in Anspruch. Nach vollständiger Klageabweisung in erster Instanz hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Beseitigung eines zur Anlage gehörenden Transformatorengebäudes verurteilt, hinsichtlich des Mastes der Windkraftanlage ist die Berufung der Klägerin jedoch ohne Erfolg geblieben. Im Berufungsurteil ist die Revision ausdrücklich nicht zugelassen worden. Ferner hat das Oberlandesgericht in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwer der Klägerin betrage 17.895,22 €, weil nach einer vorliegenden Kostenschätzung für das Versetzen des Mastes mit diesem Aufwand zu rechnen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin rechtzeitig Beschwerde eingelegt, jedoch noch nicht begründet. Mit dem vorliegenden Antrag erstrebt sie, während des Laufs der - verlängerten - Frist zur Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde die Erhöhung des Wertes ihrer Beschwer aus dem Berufungsurteil auf über 20.000 €.

II.


Der Antrag ist unzulässig.
Für eine Erhöhung des Wertes der Beschwer aus dem Berufungsurteil fehlt der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Klägerin mißachtet mit ihrem Antrag den allgemeinen Grundsatz, daß Gerichte nicht unnütz in Anspruch genommen werden dürfen (vgl. BGHZ 54, 181, 184). Nach der - hier anzuwendenden - Neuregelung des Revisionsverfahrens durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses hat die Höhe der Beschwer des Rechtsmittelführers aus dem Berufungsurteil für die Zulässigkeit der Revision jede Bedeutung verloren und diese auch für die Zulässigkeit der neugeschaffenen Nichtzulassungsbeschwerde nicht wiedererlangt.
1. Im Zuge der Reform ist die Zulassungsrevision an die Stelle des bis dahin geltenden Mischsystems von Zulassungs- und Wertrevision getreten (vgl. Musielak, NJW 2000, 2769, 2777). Die zuvor für vermögensrechtliche Streitigkeiten geltende Regelung des § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F., nach der der Wert der Beschwer für das Erfordernis einer Zulassung der Revision maßgeblich war, ist nicht in das neue Recht übernommen worden. Nunmehr entscheidet das Berufungsgericht unabhängig vom Wert der Beschwer nach § 543 ZPO von Amts wegen über die Zulassung der Revision (vgl. Büttner, MDR 2001, 1201, 1202). Damit fehlt jetzt auch eine Grundlage für eine Festsetzung des Wertes der Beschwer im Berufungsurteil, wie sie für Entscheidungen der Oberlandes-
gerichte in dem - ebenfalls nicht in das neue Recht übernommenen - § 546 Abs. 2 ZPO a.F. vorgesehen war.
2. Der Wert der Beschwer aus dem Berufungsurteil erlangt auch nicht wegen der Wertgrenze aus § 26 Nr. 8 EGZPO Bedeutung. Zwar ist nach dieser Vorschrift die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht (§ 544 ZPO) bis zum 31. Dezember 2006 davon abhängig, daß "der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer" 20.000 € übersteigt. Maßgeblich für die damit beschriebene Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht die Beschwer des Beschwerdeführers aus dem Berufungsurteil (so aber Baumbach/Lauterbach/Albers /Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 544 Rdn. 4; Hannich in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 544 ZPO Rdn. 4; Pukall/Kießling, WM Beilage 1/2002, S. 34; Ullmann, WRP 2002, 593, 595), sondern der Wert des Beschwerdegegenstandes für das beabsichtigte Revisionsverfahren (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 544 Rdn. 6; Büttner, aaO, 1206; wohl auch Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 26 EGZPO Rdn. 14).
Allerdings war bis zum 31. Dezember 2001 für die Zulässigkeit der Wertrevision nach § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. der Wert der Beschwer entscheidend. Angesprochen war damit der Umfang des Unterliegens in der Vorinstanz, so daß sich für den Kläger die Beschwer aus der Wertdifferenz zwischen seinem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag und dem Tenor des Berufungsurteils ergab (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1983, III ZR 87/83, NJW 1984, 371; Urt. v. 17. Oktober 1985, III ZR 105/84, WM 1986, 331). Hiervon zu unterscheiden ist der Wert des Beschwerdegegenstandes, für den der Umfang der nach dem Rechtsmittelantrag erstrebten Abänderung des angefochtenen Urteils maßgeblich ist (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 511 a
Rdn. 8; MünchKomm-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., § 546 Rdn. 2). Beide Werte sind nur dann identisch, wenn die unterlegene Partei mit der Revision das Berufungsurteil in vollem Umfang angreift (vgl. BGH, Beschl. v. 28. September 1981, II ZR 88/81, WM 1981, 1344). Die Maßgeblichkeit des Wertes der Beschwer wurde bei der Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in das neue Recht übernommen. Vielmehr ist das Gesetz zu dem bis 1975 auch für das Revisionsverfahren geltenden Grundsatz zurückgekehrt, nach dem für die Wertgrenze eines Rechtsmittels der Wert des Beschwerdegegenstandes entscheidend ist. Das ergibt sich sowohl (a) aus dem Gesetzeswortlaut als auch (b) aus dem - anhand der Materialien zu erschließenden - Gesetzeszweck.

a) Bereits aus der Formulierung des § 26 Nr. 8 EGZPO folgt, daß maßgebend für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde der Wert des Beschwerdegegenstandes aus dem angestrebten Revisionsverfahren ist. Sollte der Wert der Beschwer entscheidend sein, so hätte es genügt, diesen Begriff - wie bei § 546 ZPO a.F. geschehen - in die Gesetzesvorschrift aufzunehmen. Auch wenn es nur um eine Zulässigkeitsregelung für die Nichtzulassungsbeschwerde und nicht für die Revision selbst geht, hätte es eines Hinweises auf die "mit der Revision geltend zu machende Beschwer" nicht bedurft, weil der Wert der Beschwer bereits mit dem Erlaß des Berufungsurteils feststeht. Dagegen ist ohne Belang, daß der Gesetzeswortlaut nicht in gleicher Weise wie etwa in § 511 Abs. 2 Nr. 1 oder § 567 Abs. 2 ZPO unmittelbar auf die Maßgeblichkeit des Beschwerdegegenstandes hinweist. Im Unterschied zu den dort geregelten Fällen der Berufung oder der Beschwerde fehlt es nämlich bei Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde an Rechtsmittelanträgen hinsichtlich der Hauptsache und damit an der Möglichkeit, den Wert des Beschwerdegegenstandes endgültig zu bestimmen. Mithin konnte nur die Gesetz gewordene Formulierung gewählt werden, die auf das Ziel abstellt, das der Beschwerde-
führer bei einem Erfolg seiner Nichtzulassungsbeschwerde in dem anschließenden Revisionsverfahren (§ 544 Abs. 6 Satz 1 ZPO) verfolgen will.

b) Bestätigt wird die Maßgeblichkeit des Beschwerdegegenstandes für die Bestimmung der Wertgrenze aus § 26 Nr. 8 EGZPO durch den Zweck dieser Vorschrift, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien erschließt (vgl. BGHZ 46, 74, 80 f). Danach soll durch die Wertgrenze der Zugang zur Nichtzulassungsbeschwerde während einer Übergangszeit beschränkt werden, um einer möglichen Belastung des Bundesgerichtshofes vorzubeugen, solange sich die Anzahl solcher Beschwerden noch nicht hinreichend sicher einschätzen läßt (Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses zu § 26 Nr. 8 EGZPO, BT-Drucks. 14/4722, S. 126). In dem Ziel der Begrenzung des Anfalls von Rechtsmitteln stimmt § 26 Nr. 8 EGZPO mit anderen Regelungen überein, die auch im reformierten Zivilprozeß eine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen von dem Überschreiten bestimmter Wertgrenzen abhängig machen. Nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschriften entscheidet aber stets der Wert des Beschwerdegegenstandes über die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Das gilt sowohl für die Berufungssumme gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (krit. deshalb Jauernig, NJW 2001, 3027 f), als auch für die sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidungen gemäß § 567 Abs. 2 ZPO. Die Maßgeblichkeit des Wertes des Beschwerdegegenstandes entspricht nicht nur dem früheren Berufungs- und Beschwerderecht (§ 511a Abs. 1 Satz 1, § 567 Abs. 2 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung), sondern ist insbesondere für das Ziel einer Begrenzung der Rechtsmittel auch zweckmäßiger als der Wert der Beschwer. Das auf diese Weise umschriebene Rechtsschutzziel kennzeichnet nämlich das Interesse einer Partei an dem jeweiligen Rechtsmittel, während in den Wert der Beschwer auch solche Belastungen aus der Instanzentscheidung einfließen, die die Partei hinzunehmen bereit ist und
daher nicht zum Gegenstand ihres Rechtsmittels macht. Es erscheint bereits wenig folgerichtig, daß auch nicht zur Überprüfung gestellte Belastungen über den Zugang zur Rechtsmittelinstanz entscheiden sollen. Vor allem aber läßt es sich mit dem auf Restriktion angelegten Gesetzeszweck nicht vereinbaren, daß selbst solche Rechtsmittel zulässig sein sollen, bei denen das jeweils verfolgte eigene Interesse des Rechtsmittelführers hinter der maßgeblichen Wertgrenze zurückbleibt.
Demgemäß hatte die Zivilprozeßordnung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen am 15. September 1975 (BGBl. I S. 1863) für die Zulässigkeit der damals im Vordergrund stehenden Streitwertrevision auf den Wert des Beschwerdegegenstandes abgestellt (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, aaO, § 546 Rdn. 1; Krämer, Festschrift für Hollerbach , 2001, S. 267, 268). Von diesem Grundsatz wich der durch die Revisionsnovelle neugefaßte § 546 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung nur deshalb ab, weil für vermögensrechtliche Streitigkeiten bereits bei Erlaß des Berufungsurteils feststehen mußte, ob gleichzeitig über die Zulassung der Revision nach § 546 Abs. 1 ZPO a.F. zu entscheiden war, oder ob ein Anwendungsfall des § 554 b ZPO a.F. vorlag, bei dem eine Revisionszulassung durch das Oberlandesgericht nicht in Betracht kam (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Revision, BT-Drucks. 7/3596, S. 5; Vogel, NJW 1975, 1297, 1301). Damit schied aber der zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststellbare, erst durch die Revisionsanträge bestimmte Wert des Beschwerdegegenstandes als Maßstab der Wertgrenze zwischen Zulassungs- und Wert- bzw. Annahmerevision aus. Es blieb als Ausweg nur der Rückgriff auf den Wert der Beschwer, der schon aus der Wertdifferenz zwischen dem Berufungsantrag und dem Tenor des Berufungsurteils abzulesen ist. Nachdem der Reformgesetzgeber das durch die Revisionsnovelle
geschaffene Mischsystem aufgegeben hat, fehlt es auch an der Notwendigkeit einer Abgrenzung zweier Zugangsmöglichkeiten zur Revision bereits bei Abschluß der Berufungsinstanz. Demgemäß schreibt § 26 Nr. 8 EGZPO im Unterschied zu § 546 Abs. 2 ZPO a.F. keine Festsetzung des Wertes der Beschwer durch das Berufungsgericht vor. Es ist nunmehr ausschließlich Aufgabe des Revisionsgerichts, im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Nichtzulassungsbeschwerde auch darüber zu befinden, ob die maßgebliche Wertgrenze überschritten ist (vgl. Musielak/Ball, aaO, § 544 Rdn. 7).
3. Diese Zulässigkeitsregelung bleibt nicht ohne Folgen für den Inhalt der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.

a) Damit das Revisionsgericht bei Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde feststellen kann, ob die Wertgrenze von 20.000 € überschritten ist, muß der Beschwerdeführer während der Geltungszeit der Übergangsregelung aus § 26 Nr. 8 EGZPO nicht nur die Zulassungsgründe (§§ 544 Abs. 2 Satz 3, 543 Abs. 2 ZPO) innerhalb laufender Begründungsfrist vortragen, sondern auch darlegen, daß er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, erstreben will.

b) Zu beachten ist außerdem der bereits für das bisherige Recht geltende Grundsatz, daß der Teil des Rechtsstreits, hinsichtlich dessen die Revision unstatthaft wäre, bei Prüfung des Überschreitens der Wertgrenze unberücksichtigt bleibt (vgl. BGH, Beschl. v. 19. Oktober 2000, I ZR 176/00, NJW 2001, 230, 231). Nachdem nun die Revisionsinstanz nur nach Zulassung dieses Rechtsmittels unter den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO eröffnet ist, und diese Zulassung auch weiterhin auf selbständige Teile des Streitstoffs beschränkt
werden kann (Hannich in Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 543 ZPO Rdn. 11), ist es gerechtfertigt, für die Bestimmung "der geltend zu machenden Beschwer" bei § 26 Nr. 8 EGZPO solche Teile des Streitstoffs außer Betracht zu lassen, die auch von der Zulassung der Revision hätten ausgenommen werden können.
Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Partei durch das Berufungsurteil zwar insgesamt in einem Maße beschwert ist, das einen Beschwerdegegenstand von mehr als 20.000 € ermöglicht, im Rahmen der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO ein Zulassungsgrund für die Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) jedoch nur hinsichtlich eines in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht selbständigen und abtrennbaren, mithin einer beschränkten Revisionszulassung zugänglichen (vgl. Musielak/Ball, aaO, § 543 Rdn. 11 f; Zöller/Gummer, aaO, § 543 Rdn. 19 ff) Teils des gesamten Prozeßstoffs geltend gemacht werden kann, der für sich genommen die Wertgrenze aus § 26 Nr. 8 EGZPO nicht übersteigt. So reicht es etwa für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht aus, wenn der Beschwerdeführer im Fall der Anspruchshäufung nur hinsichtlich eines der mehreren selbständigen Ansprüche einen Zulassungsgrund gemäß § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO darlegt, dieser Anspruch jedoch für das Revisionsverfahren keinen Beschwerdegegenstand im Wert von mehr als 20.000 € eröffnet. Dagegen ist es für das Überschreiten der Wertgrenze als einer Zulässigkeitsvoraussetzung nur der Nichtzulassungsbeschwerde - nicht aber auch der Revision - unerheblich, ob der in der Beschwerdebegründung hinreichend dargelegte Zulassungsgrund für die Revision auch tatsächlich gegeben ist.

c) Dieses Erfordernis der Darlegung eines zulässigen Rechtsschutzziels in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht im Sinne einer
Festlegung der Revisionsanträge zu verstehen. Es geht hierbei allein um die Prüfung der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Ist die Revision zugelassen , so ist der Revisionskläger grundsätzlich nicht gehindert, sein Rechtsmittel auf einen Betrag zu beschränken, der die Wertgrenze nicht mehr überschreitet (vgl. Musielak/Ball, aaO, § 544 Rdn. 6). Eine solche Beschränkung des Revisionsantrags kann allerdings im Einzelfall wegen Rechtsmißbräuchlichkeit unbeachtlich sein.
4. Der Senat wird nach alledem bei Vorliegen der Beschwerdebegründung im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgrund der Darlegungen der Klägerin darüber zu befinden haben, ob sie mit dem angestrebten Revisionsverfahren eine Abänderung des Berufungsurteils in einem Umfang erstreben will und erstreben kann, die einen Wert des Beschwerdegegenstandes über der Wertgrenze von 20.000 € ergibt.
Wenzel Tropf Krüger Gaier Klein

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 356/00 Verkündet am:
2. Oktober 2001
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe eines Mindestbetrages
begehrt hat, ist nicht beschwert, wenn das Gericht ihm diesen
Betrag zugesprochen, aber abweichend von seiner Auffassung ein Mitverschulden
bejaht hat.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - OLG München
LG Kempten
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Oktober 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter
Dr. Dressler und Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 27. Juli 2000 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Die im Unfallzeitpunkt nicht ganz neun Jahre alte Klägerin wurde am 2. November 1996 als Fußgängerin auf einem Zebrastreifen von einem von dem Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw erfaßt und am linken Bein verletzt. Die Klägerin hat in erster Instanz ein angemessenes Schmerzensgeld beantragt und als Mindestbetrag 10.000 DM angegeben. Ihren materiellen Schaden hat sie mit 656,44 DM beziffert. Das Landgericht hat ihr ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zugesprochen und dem bezifferten Klageantrag in Höhe von 525,15 DM stattgegeben. Die auf Verurteilung zur Zahlung weiterer 5.131,29 DM (davon 5.000 DM Schmerzensgeld) gerichtete Berufung der Klä-
gerin hat das Oberlandesgericht verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 1.500 DM, denn die Klägerin sei durch das angefochtene Urteil nur in Höhe der vom Landgericht nicht zugesprochenen 131,29 DM beschwert. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes fehle eine Beschwer, weil das Landgericht der Klägerin den Betrag zuerkannt habe, den diese in erster Instanz als Mindestbetrag angegeben habe.

II.

Die gemäû § 547 ZPO zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 ZPO). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO). 1. Hinsichtlich der geltend gemachten immateriellen Schäden ist eine Beschwer der Klägerin durch das Urteil des Landgerichts nicht gegeben.
a) Eine klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann beschwert, wenn diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen wor-
den ist (BGH, Urteil vom 2. März 1994 - XII ZR 207/92 - NJW 1994, 2697). Das ist hier nicht der Fall. Der Klägerin ist vom Landgericht das zugesprochen worden , was sie begehrt hat, nämlich ein Schmerzensgeld in Höhe der von ihr selbst angegebenen Gröûenordnung von 10.000 DM. Die Klägerin hat in erster Instanz zwar keinen bezifferten Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gestellt, sondern ein Schmerzensgeld verlangt, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, wobei sie dieses Begehren in zulässiger Weise in die Form eines unbezifferten Klageantrages gekleidet und einen Mindestbetrag von 10.000 DM genannt hat. Genau diesen Betrag hat das Landgericht ihr aber als Schmerzensgeld zugesprochen. Hat die klagende Partei ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt und hat das Gericht ihr ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist sie durch das Urteil nicht beschwert (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 340 m.w.N.).
b) Entgegen der Auffassung der Revision läût sich eine Beschwer der Klägerin nicht daraus herleiten, daû sie selbst bei der Angabe des Mindestbetrages von einer Alleinhaftung des Unfallgegners ausgegangen ist, während das Landgericht ihr ein Mitverschulden von 20 % angelastet hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Landgericht angenommene Haftungsquote von 80 % nur zu einer Kürzung der geltend gemachten materiellen Schäden geführt oder, wie die Revision meint, auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Berücksichtigung gefunden hat. Selbst wenn letzteres der Fall wäre, hätte die Klägerin mit den ihr zuerkannten 10.000 DM das erhalten, was sie wollte. Ob eine klagende Partei beschwert ist, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur grundsätzlich danach, ob die gerichtliche Entscheidung nachteilig von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag abweicht (sog. formelle Beschwer, vgl. Senatsurteil vom 9. Oktober
1990 - VI ZR 89/90 - VersR 1991, 359, 360 und Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einl. V vor § 511, Rdn. 78, jeweils m.w.N.). Wird dem Klageantrag mit einer anderen rechtlichen Begründung stattgegeben als von der klagenden Partei gewünscht, ist diese nicht beschwert (BGH, Urteil vom 10. März 1993 - VIII ZR 85/92 - NJW 1993, 2052, 2053; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., vor § 511, Rdn. 29). Nichts anderes gilt, wenn sich im Falle eines unbezifferten Klageantrages die Höhe des vom Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes mit der von der klagenden Partei angegebenen Betragsvorstellung deckt. Die klagende Partei ist daher nicht beschwert, wenn das Gericht zwar den angestrebten Mindestbetrag zugesprochen, aber dabei z.B. ein Mitverschulden berücksichtigt hat (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 511 a, Rdn. 33; vgl. auch Stein/Jonas/Grunsky, aaO, Rdn. 80 f.). Der abweichenden Auffassung des Oberlandesgerichts Köln (VersR 1993, 616) vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB nicht quotenmäûig zu berücksichtigen ist, sondern sich als ein Bewertungsfaktor neben anderen darstellt (Senatsurteil vom 12. März 1991 - VI ZR 173/90 - NZV 1991, 305; OLG Karlsruhe, VersR 1988, 59, 60). Die Bejahung eines Mitverschuldens begründet für sich allein keine Beschwer. Auf die Frage, ob das Landgericht, wenn es hier entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin ein Mitverschulden verneint hätte, ein den angegebenen Mindestbetrag übersteigendes Schmerzensgeld zugesprochen hätte (zur Zulässigkeit vgl. Senatsurteil BGHZ 132, 341, 350), kommt es deswegen nicht an. Da die Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldbegehrens der Klägerin in vollem Umfang Erfolg hatte, löst die Annahme eines Mitverschuldens entgegen der Auffassung der Revision auch nicht den - u.U. beachtlichen - Anschein einer Beschwer aus.
2. Für die mit der Berufung erstrebte Erhöhung des Schmerzensgeldes auf insgesamt 15.000 DM fehlt es an der dafür erforderlichen Zulässigkeit des Rechtsmittels. Zwar kann eine Partei eine Klage auch noch im Berufungsrechtszug erweitern (§§ 523, 264 Nr. 2 ZPO), doch darf die Klageerweiterung nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Erweiterung der Klage in zweiter Instanz eine zulässige Berufung voraus. Diese ist nur gegeben, wenn die klagende Partei mit dem Rechtsmittel zumindest auch die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 338; BGHZ 85, 140, 143; Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91 - VersR 1992, 1110; BGH, Urteil vom 30. November 1995 - III ZR 240/94 - NJW 1996, 527, jeweils m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Hinsichtlich der in erster Instanz geltend gemachten immateriellen Schäden ist die Berufung - wie dargelegt - mangels Beschwer der Klägerin unzulässig. Soweit das Landgericht den bezifferten Klageantrag auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe eines Teilbetrages von 131,29 DM abgewiesen hat, ist die Berufung unzulässig, weil die Beschwer der Klägerin die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO) nicht übersteigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Müller Dr. Dressler Dr. Greiner
Diederichsen Pauge

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
III ZR 205/01
Verkündet am:
10. Oktober 2002
F i t t e r e r
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Stellt der Geschädigte in erster Instanz unter Angabe einer Größenordnung,
die nicht zugleich eine Obergrenze enthält, einen unbezifferten Antrag zum
Schmerzensgeld und ergibt sich aufgrund der angegebenen Größenordnung
eine die Berufung rechtfertigende Beschwer, ist die Angabe einer höheren
Größenordnung in der Berufungsinstanz nicht als eine Änderung des Streitgegenstands
anzusehen, an die selbständige verjährungsrechtliche Folgen
geknüpft werden könnten.
BGB § 843 Abs. 1 erste Alt.; SGB X § 116 Abs. 1; BSHG § 2
Zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Ersatz des Erwerbsschadens
durch einen Sozialhilfeempfänger.
BGH, Versäumnisurteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die
Richter Dr. Wurm, Schlick, Dörr und Galke

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Der Kläger erlitt während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe einen Schlaganfall, der von den Ärzten des beklagten Landes unsachgemäß behandelt worden ist. Die Haftung des Landes für die hierdurch eingetretenen Schä-
den des Klägers nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) ist in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit gewesen.
Der Kläger ging vor Antritt seiner Haft unregelmäßig sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten nach und war vorwiegend als Kellner tätig. Diese Tätigkeit kann er wegen der nach dem Schlaganfall verbliebenen Beeinträchtigungen nicht mehr ausüben. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt seitdem von Leistungen der Sozialhilfe.
Der Kläger hat erstinstanzlich Zahlung eines Schmerzensgeldes in der Größenordnung von 15.000 DM, Zahlung entgangener Einkünfte bis einschließlich April 1995 in Höhe von 44.044 DM sowie die Feststellung begeht, daß ihm das Land den aus der Fehlbehandlung ab Mai 1995 entstandenen und noch entstehenden materiellen und den zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen habe. Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 10.000 DM und Verdienstausfall (bis April 1995) von 8.084 DM zugesprochen sowie die begehrte Feststellung getroffen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger Schmerzensgeld von mindestens 60.000 DM und unter teilweisem Übergang zur Leistungsklage für die Zeit ab Mai 1995 bis zum Eintritt in das Rentenalter Ersatz eines monatlichen Verdienstausfalls von 480 DM verlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 DM zugesprochen und einen weitergehenden Schmerzensgeldanspruch für verjährt gehalten. Die Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls für die Zeit von Mai 1995 bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung hat es abgewiesen, während der Ausspruch zur Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Landes im übrigen unangetastet blieb. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe


Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dies ist, da das beklagte Land im Verhandlungstermin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil auszusprechen, das inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (BGHZ 37, 79, 81).
I. Schmerzensgeld
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Berufung des Klägers ausgegangen. Denn der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Größenordnung von 15.000 DM begehrt hat, wurde durch das Urteil des Landgerichts, das ihm insoweit nur 10.000 DM zugesprochen hat, um 5.000 DM beschwert (vgl. BGHZ 132, 341, 352; 140, 335, 340 f).
2. a) Das Berufungsgericht hat sich aus Rechtsgründen gehindert gesehen , dem Kläger "ein wesentlich höheres Schmerzensgeld" als 15.000 DM zuzusprechen. Die Angabe der Größenordnung bestimme im Sinn des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Streitgegenstand des unbezifferten Begehrens. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Forderung nach weiteren 45.000 DM in der Berufungsinstanz bei gleichgebliebenem Sachverhalt als Klageerweiterung dar. In welchem Umfang eine Klage die Verjährung unterbreche, richte sich nach dem den prozessualen Anspruch bildenden Streitgegenstand der Klage. Bei einer - offenen oder verdeckten - Klage über einen Teilbetrag des Anspruchs werde die Verjährung nur bezüglich des geltend gemachten Teils unterbrochen. So-
weit der Kläger erst mit der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Klageerweiterung einen über 15.000 DM hinausgehenden Betrag begehre, sei ein möglicher Anspruch - auf die begründete Einrede des beklagten Landes - verjährt.

b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Richtig sind allerdings die Überlegungen des Berufungsgerichts zur verjährungsunterbrechenden Wirkung einer Teilklage nach § 209 Abs. 1 BGB in der für die Beurteilung des Streitfalls maßgebenden Fassung bis zum 31. Dezember 2001. Danach sind die Grenzen der Verjährungsunterbrechung mit denen der Rechtskraft kongruent. Dem entspricht es, daß auch bei einer "verdeckten Teilklage", bei der es weder für den Beklagten noch für das Gericht erkennbar ist, daß die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt , die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift (BGHZ 135, 178) und eine nachträgliche Mehrforderung verjährungsrechtlich selbständig beurteilt wird (vgl. BGHZ 66, 142, 147 f; Senatsurteil vom 2. Mai 2002 - III ZR 135/01 - NJW 2002, 2167 f, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
bb) Das Berufungsgericht trägt jedoch den Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung, die für die Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs bestehen. Seiner Auffassung, die Angabe einer höheren Größenordnung in zweiter Instanz sei im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als eine Änderung des Streitgegenstands anzusehen, ist nicht zu folgen.
(1) § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag verlangt, steht der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags nicht entgegen , wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Die Frage, ob das Bestimmtheitsgebot darüber hinaus die Angabe einer Größenordnung verlangt, ist in der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden (vgl. zum Ganzen v. Gerlach, VersR 2000, 525 ff). Ließ der Bundesgerichtshof diese Frage in seinem Urteil vom 1. Februar 1966 noch offen (BGHZ 45, 91, 93), verlangte er mit Urteil vom 9. Juli 1974, auch wenn es in ihm entscheidend nur auf das Vorliegen einer Beschwer ankam, die Angabe einer Größenordnung, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben solle (VI ZR 263/73 - VersR 1974, 1182, 1183). Deutlicher wird im Urteil vom 28. Februar 1984 formuliert, es fehle an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes mache; dann sei der Klageantrag unzulässig (VI ZR 70/82 - NJW 1984, 1807, 1809).
(2) Diese Rechtsprechung hat für die hier vorliegende Fallgestaltung durch das Urteil des VI. Zivilsenats vom 30. April 1996 eine rechtliche Präzisierung erfahren. Danach wird zwar daran festgehalten, der Kläger müsse, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, auch bei unbezifferten Leistungsanträgen nicht nur die tatsächlichen Grundlagen, sondern auch die Größenordnung des geltend gemachten Betrages so genau wie möglich angeben; zugleich wird jedoch befunden, die Ausübung des richterlichen Ermessens werde durch die Angabe eines Mindestbetrages nach oben
nicht begrenzt; die Überschreitung einer angegebenen Größenordnung sei mit § 308 Abs. 1 ZPO vereinbar, solange der Kläger für sein Begehren keine Obergrenze angebe (vgl. BGHZ 132, 341, 350, 351). Dem tritt der erkennende Senat bei.
(3) Ist der Richter ohne Verstoß gegen das allgemein geltende Verbot, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist, befugt, über eine von der Partei geäußerte Größenordnungsvorstellung hinauszugehen, die nicht als Angabe einer Obergrenze aufzufassen ist, kann der Umfang des den prozessualen Anspruch bildenden Streitgegenstands nicht - wie das Berufungsgericht meint - durch die Angabe der Größenordnung begrenzt sein. Es fehlt damit auch die Grundlage für die Annahme einer in erster Instanz verfolgten (verdeckten ) Teilklage. Hätte der durch das erstinstanzliche Urteil beschwerte Kläger in der Berufung seinen früheren Antrag unverändert weiterverfolgt, hätten keine Rechtsgründe entgegengestanden, ihm einen Anspruch zuzuerkennen, der über die angegebene Größenordnung hinausging. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn der Kläger - wie hier - in zweiter Instanz eine höhere Größenordnungsvorstellung äußert. Daß der Kläger in einer nach § 308 Abs. 1 ZPO beachtlichen Weise seinen Anspruch nach oben begrenzt hätte, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch nichts, daß ein Prozeßkostenhilfeantrag des Klägers auf Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 DM zurückgewiesen worden ist und daß der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1998 einen Antrag auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 DM angekündigt, in der mündlichen Verhandlung dann aber nicht gestellt hat. Entscheidend ist, daß er in der mündlichen Verhandlung die Größenordnung von 15.000 DM angegeben hat, ohne insoweit die Formulierung in dem Beschluß des Landgerichts vom 13. Januar 1995 zu übernehmen, wonach Prozeßkostenhilfe für Schmerzens-
geld in der Größenordnung "von nicht mehr als" 15.000 DM bewilligt worden ist. Läßt sich demnach der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag nicht als eine Änderung des Streitgegenstands ansehen, weil auch der erstinstanzlich gestellte Antrag die rechtliche Möglichkeit bot, dem Kläger bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen ein Schmerzensgeld von 60.000 DM zuzusprechen , ist für eine selbständige verjährungsrechtliche Betrachtung kein Raum.
(4) Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des VI. Zivilsenats vom 2. Februar 1999 (BGHZ 140, 335). In dieser Entscheidung wird zwar - auch unter Bezug auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Auffassung geäußert, der Angabe der Größenordnung komme auch nach der Entscheidung BGHZ 132, 341 Bedeutung zu. Dem näheren Zusammenhang der Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, daß es in dem angeführten Urteil nicht im eigentlichen Sinn um Fragen des Streitgegenstandes geht, sondern um die Verdeutlichung von Grundsätzen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Feststellung einer durch das Rechtsmittelverfahren zu beseitigenden Beschwer seit jeher geprägt haben (vgl. nur BGHZ 45, 91, 93; Urteil vom 9. Juli 1974 - VI ZR 263/73 - VersR 1974, 1182, 1183; BGHZ 140, 335, 341).
3. Was die Bemessung des Schmerzensgeldes angeht, rügt die Revision mit Recht, daß sich das Berufungsgericht mit der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Dr. B. zu dem gerichtlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D. nicht verfahrensfehlerfrei auseinandergesetzt hat. Das Berufungsgericht stellt zwar fest, daß der Sachverständige Dr. B. in zwei Punkten der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. D. nicht beitritt und insoweit von schwereren Folgen der Fehlbehandlung für den Kläger
ausgeht, insbesondere ihn für im höheren Maße behindert hält. Diesen Einwänden begegnet das Berufungsgericht nicht in der erforderlichen Weise, wenn es ausführt, der Sachverständige Dr. B. habe den Kläger nicht untersucht und der Sachverständige Prof. Dr. D. sei ihm als fachlich kompetenter, zuverlässiger und gründlicher Gutachter bekannt. Da es bei der unterschiedlichen Beurteilung der beiden Sachverständigen um medizinische Fachfragen geht, kann sich das Berufungsgericht hierüber nicht aus eigener Sachkunde hinwegsetzen, sondern ist gehalten, mit sachverständiger Hilfe auf eine weitere Aufklärung hinzuwirken (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - NJW 1997, 794, 795; vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - NJW 2001, 2796, 2797).
Das weitere Verfahren gibt dem Kläger auch Gelegenheit, in bezug auf seine Neigung zu epileptischen Anfällen als Folge der Narbe im Bereich des Schläfenlappens die - wohl erstmals in der Revisionsinstanz in dieser Weise aufgeworfene - Frage klären zu lassen, ob die Narbe auch bei sachgerechter medizinischer Behandlung und richtiger Diagnose entstanden wäre.
II. Verdienstausfall
1. Das Landgericht ist bei seiner Bemessung des Verdienstausfallschadens bis April 1995 davon ausgegangen, der Kläger sei vor seiner Schädigung in der Lage gewesen, als Kellner unter Einschluß des Trinkgeldes ein monatliches Einkommen von 1.100 DM zu erzielen. Auch nach seiner Schädigung sei ihm eine Tätigkeit möglich und zumutbar, die ihm ein Entgelt in der Größen-
ordnung eines "620 DM-Jobs" vermittle. Es verbleibe ihm daher ein monatlicher Erwerbsschaden von 480 DM.
Das Berufungsgericht verneint für die Zeit ab Mai 1995 einen Erwerbsschaden. Es übernimmt zwar aus dem landgerichtlichen Urteil, ohne im einzelnen Feststellungen zu treffen, im wesentlichen die Grundlagen für eine Schadensschätzung. Dem Kläger stehe jedoch gleichwohl ein Anspruch nicht zu, da er unstreitig Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt beziehe. Diese Sozialleistungen seien mit dem Schaden wegen Verminderung bzw. Aufhebung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 843 BGB kongruent, so daß der Anspruch auf Schadensrente in Höhe der geleisteten Sozialhilfe nach § 116 SGB X auf den Träger der Sozialhilfe übergehe. Unter diesen Umständen stehe dem Kläger ein Anspruch nur zu, wenn sein Verdienstausfall um 480 DM mehr betrage, als er an Sozialhilfe erhalte. Dazu fehle indes jeder Vortrag. Anderes sei auch für die Zeit nach Schluß der mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten. Denn die Sozialhilfeleistungen hätten schon 1994 deutlich über dem gelegen, was der Kläger jemals verdient habe.
2. Mit dieser Begründung läßt sich ein Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Erwerbsschadens nach § 843 Abs. 1 erste Alternative BGB nicht verneinen.

a) Unbegründet ist allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei an die vom beklagten Land in der Berufungsinstanz nicht angefochtene Beurteilung des Landgerichts gebunden gewesen. Auch wenn man davon ausgeht, daß das beklagte Land die Feststellung seiner Ersatzpflicht nicht an-
gegriffen hat, folgt hieraus für die Höhe eines möglichen Leistungsanspruchs nichts.

b) Das Berufungsgericht, das zutreffend die Kongruenz zwischen dem Erwerbsschaden und der gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt bejaht, hat jedoch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) nicht hinreichend beachtet. Ebenso wie durch ein ausreichendes Erwerbseinkommen vermieden werden kann, daß Hilfebedürftigkeit im Sinn des Sozialhilferechts entsteht, kann auch derjenige Sozialhilfe nicht beanspruchen, dem wegen eines eingetretenen Erwerbsschadens gegen den Schädiger ein Schadensersatzanspruch zusteht, der laufend erfüllt wird. Der Schädiger kann sich nicht damit entlasten, daß er den Geschädigten auf den Bezug von Sozialhilfe verweist. Darauf läuft aber die Beurteilung des Berufungsgerichts hinaus.
Der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger nach § 116 SGB X schließt nicht aus, daß der Kläger seinen Erwerbsschadensersatzanspruch selbst verfolgt. Denn der Bundesgerichtshof hat aus dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe und dem Zusammenspiel des § 116 SGB X mit § 2 BSHG eine Ermächtigung des Geschädigten entnommen, die Ersatzleistung nach dem Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit im eigenen Namen vom Schädiger einzufordern (vgl. BGHZ 131, 274, 282 ff; 133, 129, 135). Danach könnte der Geschädigte mit seiner Leistungsklage erreichen, daß ihm in Höhe des Erwerbsschadens Sozialhilfe nicht mehr gewährt werden müßte. Für die Vergangenheit, in der seine Bedürftigkeit durch Sozialhilfe behoben wurde, kann er Zahlung seines Ersatzanspruchs an den Sozialhilfeträger begehren.
Im weiteren Verfahren wird daher zu klären sein, in welcher Höhe dem Kläger ein Erwerbsschadensersatzanspruch zusteht. Dabei wird der Kläger, soweit es um einen Zeitraum geht, für den er bereits Sozialhilfe erhalten hat, allerdings nicht beantragen können, daß der zu ersetzende Betrag im Hinblick auf eine Abtretung an seinen Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz gezahlt wird. Nach Aktenlage erscheint eine Zahlung an den Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz hinsichtlich des Verdienstausfallschadens auch deshalb als nicht erforderlich, da dessen Ansprüche bereits durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Tenorierung zum Schmerzensgeld, das gleichfalls an diesen ausgezahlt werden soll, mehr als ausgeschöpft sind. Der Kläger hat im weiteren Verfahren Gelegenheit, seine Anträge entsprechend anzupassen.
Rinne Wurm Schlick Dörr Galke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 356/00 Verkündet am:
2. Oktober 2001
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe eines Mindestbetrages
begehrt hat, ist nicht beschwert, wenn das Gericht ihm diesen
Betrag zugesprochen, aber abweichend von seiner Auffassung ein Mitverschulden
bejaht hat.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - OLG München
LG Kempten
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Oktober 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter
Dr. Dressler und Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 27. Juli 2000 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Die im Unfallzeitpunkt nicht ganz neun Jahre alte Klägerin wurde am 2. November 1996 als Fußgängerin auf einem Zebrastreifen von einem von dem Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw erfaßt und am linken Bein verletzt. Die Klägerin hat in erster Instanz ein angemessenes Schmerzensgeld beantragt und als Mindestbetrag 10.000 DM angegeben. Ihren materiellen Schaden hat sie mit 656,44 DM beziffert. Das Landgericht hat ihr ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zugesprochen und dem bezifferten Klageantrag in Höhe von 525,15 DM stattgegeben. Die auf Verurteilung zur Zahlung weiterer 5.131,29 DM (davon 5.000 DM Schmerzensgeld) gerichtete Berufung der Klä-
gerin hat das Oberlandesgericht verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 1.500 DM, denn die Klägerin sei durch das angefochtene Urteil nur in Höhe der vom Landgericht nicht zugesprochenen 131,29 DM beschwert. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes fehle eine Beschwer, weil das Landgericht der Klägerin den Betrag zuerkannt habe, den diese in erster Instanz als Mindestbetrag angegeben habe.

II.

Die gemäû § 547 ZPO zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 ZPO). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO). 1. Hinsichtlich der geltend gemachten immateriellen Schäden ist eine Beschwer der Klägerin durch das Urteil des Landgerichts nicht gegeben.
a) Eine klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann beschwert, wenn diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen wor-
den ist (BGH, Urteil vom 2. März 1994 - XII ZR 207/92 - NJW 1994, 2697). Das ist hier nicht der Fall. Der Klägerin ist vom Landgericht das zugesprochen worden , was sie begehrt hat, nämlich ein Schmerzensgeld in Höhe der von ihr selbst angegebenen Gröûenordnung von 10.000 DM. Die Klägerin hat in erster Instanz zwar keinen bezifferten Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gestellt, sondern ein Schmerzensgeld verlangt, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, wobei sie dieses Begehren in zulässiger Weise in die Form eines unbezifferten Klageantrages gekleidet und einen Mindestbetrag von 10.000 DM genannt hat. Genau diesen Betrag hat das Landgericht ihr aber als Schmerzensgeld zugesprochen. Hat die klagende Partei ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt und hat das Gericht ihr ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist sie durch das Urteil nicht beschwert (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 340 m.w.N.).
b) Entgegen der Auffassung der Revision läût sich eine Beschwer der Klägerin nicht daraus herleiten, daû sie selbst bei der Angabe des Mindestbetrages von einer Alleinhaftung des Unfallgegners ausgegangen ist, während das Landgericht ihr ein Mitverschulden von 20 % angelastet hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Landgericht angenommene Haftungsquote von 80 % nur zu einer Kürzung der geltend gemachten materiellen Schäden geführt oder, wie die Revision meint, auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Berücksichtigung gefunden hat. Selbst wenn letzteres der Fall wäre, hätte die Klägerin mit den ihr zuerkannten 10.000 DM das erhalten, was sie wollte. Ob eine klagende Partei beschwert ist, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur grundsätzlich danach, ob die gerichtliche Entscheidung nachteilig von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag abweicht (sog. formelle Beschwer, vgl. Senatsurteil vom 9. Oktober
1990 - VI ZR 89/90 - VersR 1991, 359, 360 und Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einl. V vor § 511, Rdn. 78, jeweils m.w.N.). Wird dem Klageantrag mit einer anderen rechtlichen Begründung stattgegeben als von der klagenden Partei gewünscht, ist diese nicht beschwert (BGH, Urteil vom 10. März 1993 - VIII ZR 85/92 - NJW 1993, 2052, 2053; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., vor § 511, Rdn. 29). Nichts anderes gilt, wenn sich im Falle eines unbezifferten Klageantrages die Höhe des vom Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes mit der von der klagenden Partei angegebenen Betragsvorstellung deckt. Die klagende Partei ist daher nicht beschwert, wenn das Gericht zwar den angestrebten Mindestbetrag zugesprochen, aber dabei z.B. ein Mitverschulden berücksichtigt hat (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 511 a, Rdn. 33; vgl. auch Stein/Jonas/Grunsky, aaO, Rdn. 80 f.). Der abweichenden Auffassung des Oberlandesgerichts Köln (VersR 1993, 616) vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB nicht quotenmäûig zu berücksichtigen ist, sondern sich als ein Bewertungsfaktor neben anderen darstellt (Senatsurteil vom 12. März 1991 - VI ZR 173/90 - NZV 1991, 305; OLG Karlsruhe, VersR 1988, 59, 60). Die Bejahung eines Mitverschuldens begründet für sich allein keine Beschwer. Auf die Frage, ob das Landgericht, wenn es hier entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin ein Mitverschulden verneint hätte, ein den angegebenen Mindestbetrag übersteigendes Schmerzensgeld zugesprochen hätte (zur Zulässigkeit vgl. Senatsurteil BGHZ 132, 341, 350), kommt es deswegen nicht an. Da die Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldbegehrens der Klägerin in vollem Umfang Erfolg hatte, löst die Annahme eines Mitverschuldens entgegen der Auffassung der Revision auch nicht den - u.U. beachtlichen - Anschein einer Beschwer aus.
2. Für die mit der Berufung erstrebte Erhöhung des Schmerzensgeldes auf insgesamt 15.000 DM fehlt es an der dafür erforderlichen Zulässigkeit des Rechtsmittels. Zwar kann eine Partei eine Klage auch noch im Berufungsrechtszug erweitern (§§ 523, 264 Nr. 2 ZPO), doch darf die Klageerweiterung nicht das alleinige Ziel des Rechtsmittels sein. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Erweiterung der Klage in zweiter Instanz eine zulässige Berufung voraus. Diese ist nur gegeben, wenn die klagende Partei mit dem Rechtsmittel zumindest auch die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt (Senatsurteil BGHZ 140, 335, 338; BGHZ 85, 140, 143; Senatsurteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91 - VersR 1992, 1110; BGH, Urteil vom 30. November 1995 - III ZR 240/94 - NJW 1996, 527, jeweils m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Hinsichtlich der in erster Instanz geltend gemachten immateriellen Schäden ist die Berufung - wie dargelegt - mangels Beschwer der Klägerin unzulässig. Soweit das Landgericht den bezifferten Klageantrag auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe eines Teilbetrages von 131,29 DM abgewiesen hat, ist die Berufung unzulässig, weil die Beschwer der Klägerin die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a ZPO) nicht übersteigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Müller Dr. Dressler Dr. Greiner
Diederichsen Pauge

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
III ZR 205/01
Verkündet am:
10. Oktober 2002
F i t t e r e r
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Stellt der Geschädigte in erster Instanz unter Angabe einer Größenordnung,
die nicht zugleich eine Obergrenze enthält, einen unbezifferten Antrag zum
Schmerzensgeld und ergibt sich aufgrund der angegebenen Größenordnung
eine die Berufung rechtfertigende Beschwer, ist die Angabe einer höheren
Größenordnung in der Berufungsinstanz nicht als eine Änderung des Streitgegenstands
anzusehen, an die selbständige verjährungsrechtliche Folgen
geknüpft werden könnten.
BGB § 843 Abs. 1 erste Alt.; SGB X § 116 Abs. 1; BSHG § 2
Zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Ersatz des Erwerbsschadens
durch einen Sozialhilfeempfänger.
BGH, Versäumnisurteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die
Richter Dr. Wurm, Schlick, Dörr und Galke

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Der Kläger erlitt während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe einen Schlaganfall, der von den Ärzten des beklagten Landes unsachgemäß behandelt worden ist. Die Haftung des Landes für die hierdurch eingetretenen Schä-
den des Klägers nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) ist in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit gewesen.
Der Kläger ging vor Antritt seiner Haft unregelmäßig sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten nach und war vorwiegend als Kellner tätig. Diese Tätigkeit kann er wegen der nach dem Schlaganfall verbliebenen Beeinträchtigungen nicht mehr ausüben. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt seitdem von Leistungen der Sozialhilfe.
Der Kläger hat erstinstanzlich Zahlung eines Schmerzensgeldes in der Größenordnung von 15.000 DM, Zahlung entgangener Einkünfte bis einschließlich April 1995 in Höhe von 44.044 DM sowie die Feststellung begeht, daß ihm das Land den aus der Fehlbehandlung ab Mai 1995 entstandenen und noch entstehenden materiellen und den zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen habe. Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 10.000 DM und Verdienstausfall (bis April 1995) von 8.084 DM zugesprochen sowie die begehrte Feststellung getroffen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger Schmerzensgeld von mindestens 60.000 DM und unter teilweisem Übergang zur Leistungsklage für die Zeit ab Mai 1995 bis zum Eintritt in das Rentenalter Ersatz eines monatlichen Verdienstausfalls von 480 DM verlangt. Das Berufungsgericht hat dem Kläger Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 DM zugesprochen und einen weitergehenden Schmerzensgeldanspruch für verjährt gehalten. Die Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls für die Zeit von Mai 1995 bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung hat es abgewiesen, während der Ausspruch zur Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Landes im übrigen unangetastet blieb. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe


Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dies ist, da das beklagte Land im Verhandlungstermin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil auszusprechen, das inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (BGHZ 37, 79, 81).
I. Schmerzensgeld
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Berufung des Klägers ausgegangen. Denn der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Größenordnung von 15.000 DM begehrt hat, wurde durch das Urteil des Landgerichts, das ihm insoweit nur 10.000 DM zugesprochen hat, um 5.000 DM beschwert (vgl. BGHZ 132, 341, 352; 140, 335, 340 f).
2. a) Das Berufungsgericht hat sich aus Rechtsgründen gehindert gesehen , dem Kläger "ein wesentlich höheres Schmerzensgeld" als 15.000 DM zuzusprechen. Die Angabe der Größenordnung bestimme im Sinn des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Streitgegenstand des unbezifferten Begehrens. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Forderung nach weiteren 45.000 DM in der Berufungsinstanz bei gleichgebliebenem Sachverhalt als Klageerweiterung dar. In welchem Umfang eine Klage die Verjährung unterbreche, richte sich nach dem den prozessualen Anspruch bildenden Streitgegenstand der Klage. Bei einer - offenen oder verdeckten - Klage über einen Teilbetrag des Anspruchs werde die Verjährung nur bezüglich des geltend gemachten Teils unterbrochen. So-
weit der Kläger erst mit der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Klageerweiterung einen über 15.000 DM hinausgehenden Betrag begehre, sei ein möglicher Anspruch - auf die begründete Einrede des beklagten Landes - verjährt.

b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Richtig sind allerdings die Überlegungen des Berufungsgerichts zur verjährungsunterbrechenden Wirkung einer Teilklage nach § 209 Abs. 1 BGB in der für die Beurteilung des Streitfalls maßgebenden Fassung bis zum 31. Dezember 2001. Danach sind die Grenzen der Verjährungsunterbrechung mit denen der Rechtskraft kongruent. Dem entspricht es, daß auch bei einer "verdeckten Teilklage", bei der es weder für den Beklagten noch für das Gericht erkennbar ist, daß die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt , die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift (BGHZ 135, 178) und eine nachträgliche Mehrforderung verjährungsrechtlich selbständig beurteilt wird (vgl. BGHZ 66, 142, 147 f; Senatsurteil vom 2. Mai 2002 - III ZR 135/01 - NJW 2002, 2167 f, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
bb) Das Berufungsgericht trägt jedoch den Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung, die für die Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs bestehen. Seiner Auffassung, die Angabe einer höheren Größenordnung in zweiter Instanz sei im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als eine Änderung des Streitgegenstands anzusehen, ist nicht zu folgen.
(1) § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag verlangt, steht der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags nicht entgegen , wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Die Frage, ob das Bestimmtheitsgebot darüber hinaus die Angabe einer Größenordnung verlangt, ist in der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden (vgl. zum Ganzen v. Gerlach, VersR 2000, 525 ff). Ließ der Bundesgerichtshof diese Frage in seinem Urteil vom 1. Februar 1966 noch offen (BGHZ 45, 91, 93), verlangte er mit Urteil vom 9. Juli 1974, auch wenn es in ihm entscheidend nur auf das Vorliegen einer Beschwer ankam, die Angabe einer Größenordnung, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben solle (VI ZR 263/73 - VersR 1974, 1182, 1183). Deutlicher wird im Urteil vom 28. Februar 1984 formuliert, es fehle an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes mache; dann sei der Klageantrag unzulässig (VI ZR 70/82 - NJW 1984, 1807, 1809).
(2) Diese Rechtsprechung hat für die hier vorliegende Fallgestaltung durch das Urteil des VI. Zivilsenats vom 30. April 1996 eine rechtliche Präzisierung erfahren. Danach wird zwar daran festgehalten, der Kläger müsse, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, auch bei unbezifferten Leistungsanträgen nicht nur die tatsächlichen Grundlagen, sondern auch die Größenordnung des geltend gemachten Betrages so genau wie möglich angeben; zugleich wird jedoch befunden, die Ausübung des richterlichen Ermessens werde durch die Angabe eines Mindestbetrages nach oben
nicht begrenzt; die Überschreitung einer angegebenen Größenordnung sei mit § 308 Abs. 1 ZPO vereinbar, solange der Kläger für sein Begehren keine Obergrenze angebe (vgl. BGHZ 132, 341, 350, 351). Dem tritt der erkennende Senat bei.
(3) Ist der Richter ohne Verstoß gegen das allgemein geltende Verbot, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist, befugt, über eine von der Partei geäußerte Größenordnungsvorstellung hinauszugehen, die nicht als Angabe einer Obergrenze aufzufassen ist, kann der Umfang des den prozessualen Anspruch bildenden Streitgegenstands nicht - wie das Berufungsgericht meint - durch die Angabe der Größenordnung begrenzt sein. Es fehlt damit auch die Grundlage für die Annahme einer in erster Instanz verfolgten (verdeckten ) Teilklage. Hätte der durch das erstinstanzliche Urteil beschwerte Kläger in der Berufung seinen früheren Antrag unverändert weiterverfolgt, hätten keine Rechtsgründe entgegengestanden, ihm einen Anspruch zuzuerkennen, der über die angegebene Größenordnung hinausging. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn der Kläger - wie hier - in zweiter Instanz eine höhere Größenordnungsvorstellung äußert. Daß der Kläger in einer nach § 308 Abs. 1 ZPO beachtlichen Weise seinen Anspruch nach oben begrenzt hätte, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch nichts, daß ein Prozeßkostenhilfeantrag des Klägers auf Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 DM zurückgewiesen worden ist und daß der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1998 einen Antrag auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 DM angekündigt, in der mündlichen Verhandlung dann aber nicht gestellt hat. Entscheidend ist, daß er in der mündlichen Verhandlung die Größenordnung von 15.000 DM angegeben hat, ohne insoweit die Formulierung in dem Beschluß des Landgerichts vom 13. Januar 1995 zu übernehmen, wonach Prozeßkostenhilfe für Schmerzens-
geld in der Größenordnung "von nicht mehr als" 15.000 DM bewilligt worden ist. Läßt sich demnach der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag nicht als eine Änderung des Streitgegenstands ansehen, weil auch der erstinstanzlich gestellte Antrag die rechtliche Möglichkeit bot, dem Kläger bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen ein Schmerzensgeld von 60.000 DM zuzusprechen , ist für eine selbständige verjährungsrechtliche Betrachtung kein Raum.
(4) Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des VI. Zivilsenats vom 2. Februar 1999 (BGHZ 140, 335). In dieser Entscheidung wird zwar - auch unter Bezug auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Auffassung geäußert, der Angabe der Größenordnung komme auch nach der Entscheidung BGHZ 132, 341 Bedeutung zu. Dem näheren Zusammenhang der Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, daß es in dem angeführten Urteil nicht im eigentlichen Sinn um Fragen des Streitgegenstandes geht, sondern um die Verdeutlichung von Grundsätzen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Feststellung einer durch das Rechtsmittelverfahren zu beseitigenden Beschwer seit jeher geprägt haben (vgl. nur BGHZ 45, 91, 93; Urteil vom 9. Juli 1974 - VI ZR 263/73 - VersR 1974, 1182, 1183; BGHZ 140, 335, 341).
3. Was die Bemessung des Schmerzensgeldes angeht, rügt die Revision mit Recht, daß sich das Berufungsgericht mit der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Dr. B. zu dem gerichtlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D. nicht verfahrensfehlerfrei auseinandergesetzt hat. Das Berufungsgericht stellt zwar fest, daß der Sachverständige Dr. B. in zwei Punkten der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. D. nicht beitritt und insoweit von schwereren Folgen der Fehlbehandlung für den Kläger
ausgeht, insbesondere ihn für im höheren Maße behindert hält. Diesen Einwänden begegnet das Berufungsgericht nicht in der erforderlichen Weise, wenn es ausführt, der Sachverständige Dr. B. habe den Kläger nicht untersucht und der Sachverständige Prof. Dr. D. sei ihm als fachlich kompetenter, zuverlässiger und gründlicher Gutachter bekannt. Da es bei der unterschiedlichen Beurteilung der beiden Sachverständigen um medizinische Fachfragen geht, kann sich das Berufungsgericht hierüber nicht aus eigener Sachkunde hinwegsetzen, sondern ist gehalten, mit sachverständiger Hilfe auf eine weitere Aufklärung hinzuwirken (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - NJW 1997, 794, 795; vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - NJW 2001, 2796, 2797).
Das weitere Verfahren gibt dem Kläger auch Gelegenheit, in bezug auf seine Neigung zu epileptischen Anfällen als Folge der Narbe im Bereich des Schläfenlappens die - wohl erstmals in der Revisionsinstanz in dieser Weise aufgeworfene - Frage klären zu lassen, ob die Narbe auch bei sachgerechter medizinischer Behandlung und richtiger Diagnose entstanden wäre.
II. Verdienstausfall
1. Das Landgericht ist bei seiner Bemessung des Verdienstausfallschadens bis April 1995 davon ausgegangen, der Kläger sei vor seiner Schädigung in der Lage gewesen, als Kellner unter Einschluß des Trinkgeldes ein monatliches Einkommen von 1.100 DM zu erzielen. Auch nach seiner Schädigung sei ihm eine Tätigkeit möglich und zumutbar, die ihm ein Entgelt in der Größen-
ordnung eines "620 DM-Jobs" vermittle. Es verbleibe ihm daher ein monatlicher Erwerbsschaden von 480 DM.
Das Berufungsgericht verneint für die Zeit ab Mai 1995 einen Erwerbsschaden. Es übernimmt zwar aus dem landgerichtlichen Urteil, ohne im einzelnen Feststellungen zu treffen, im wesentlichen die Grundlagen für eine Schadensschätzung. Dem Kläger stehe jedoch gleichwohl ein Anspruch nicht zu, da er unstreitig Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt beziehe. Diese Sozialleistungen seien mit dem Schaden wegen Verminderung bzw. Aufhebung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 843 BGB kongruent, so daß der Anspruch auf Schadensrente in Höhe der geleisteten Sozialhilfe nach § 116 SGB X auf den Träger der Sozialhilfe übergehe. Unter diesen Umständen stehe dem Kläger ein Anspruch nur zu, wenn sein Verdienstausfall um 480 DM mehr betrage, als er an Sozialhilfe erhalte. Dazu fehle indes jeder Vortrag. Anderes sei auch für die Zeit nach Schluß der mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten. Denn die Sozialhilfeleistungen hätten schon 1994 deutlich über dem gelegen, was der Kläger jemals verdient habe.
2. Mit dieser Begründung läßt sich ein Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Erwerbsschadens nach § 843 Abs. 1 erste Alternative BGB nicht verneinen.

a) Unbegründet ist allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei an die vom beklagten Land in der Berufungsinstanz nicht angefochtene Beurteilung des Landgerichts gebunden gewesen. Auch wenn man davon ausgeht, daß das beklagte Land die Feststellung seiner Ersatzpflicht nicht an-
gegriffen hat, folgt hieraus für die Höhe eines möglichen Leistungsanspruchs nichts.

b) Das Berufungsgericht, das zutreffend die Kongruenz zwischen dem Erwerbsschaden und der gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt bejaht, hat jedoch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) nicht hinreichend beachtet. Ebenso wie durch ein ausreichendes Erwerbseinkommen vermieden werden kann, daß Hilfebedürftigkeit im Sinn des Sozialhilferechts entsteht, kann auch derjenige Sozialhilfe nicht beanspruchen, dem wegen eines eingetretenen Erwerbsschadens gegen den Schädiger ein Schadensersatzanspruch zusteht, der laufend erfüllt wird. Der Schädiger kann sich nicht damit entlasten, daß er den Geschädigten auf den Bezug von Sozialhilfe verweist. Darauf läuft aber die Beurteilung des Berufungsgerichts hinaus.
Der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger nach § 116 SGB X schließt nicht aus, daß der Kläger seinen Erwerbsschadensersatzanspruch selbst verfolgt. Denn der Bundesgerichtshof hat aus dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe und dem Zusammenspiel des § 116 SGB X mit § 2 BSHG eine Ermächtigung des Geschädigten entnommen, die Ersatzleistung nach dem Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit im eigenen Namen vom Schädiger einzufordern (vgl. BGHZ 131, 274, 282 ff; 133, 129, 135). Danach könnte der Geschädigte mit seiner Leistungsklage erreichen, daß ihm in Höhe des Erwerbsschadens Sozialhilfe nicht mehr gewährt werden müßte. Für die Vergangenheit, in der seine Bedürftigkeit durch Sozialhilfe behoben wurde, kann er Zahlung seines Ersatzanspruchs an den Sozialhilfeträger begehren.
Im weiteren Verfahren wird daher zu klären sein, in welcher Höhe dem Kläger ein Erwerbsschadensersatzanspruch zusteht. Dabei wird der Kläger, soweit es um einen Zeitraum geht, für den er bereits Sozialhilfe erhalten hat, allerdings nicht beantragen können, daß der zu ersetzende Betrag im Hinblick auf eine Abtretung an seinen Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz gezahlt wird. Nach Aktenlage erscheint eine Zahlung an den Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz hinsichtlich des Verdienstausfallschadens auch deshalb als nicht erforderlich, da dessen Ansprüche bereits durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Tenorierung zum Schmerzensgeld, das gleichfalls an diesen ausgezahlt werden soll, mehr als ausgeschöpft sind. Der Kläger hat im weiteren Verfahren Gelegenheit, seine Anträge entsprechend anzupassen.
Rinne Wurm Schlick Dörr Galke

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)