Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:181017UIVZR97.15.0
bei uns veröffentlicht am18.10.2017
vorgehend
Landgericht Frankfurt am Main, 4 O 510/13, 17.04.2014
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 4 U 101/14, 17.12.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 97/15 Verkündet am:
18. Oktober 2017
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
NEhelG Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1
Der Wertersatzanspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Staat gemäß Art. 12
§ 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG in der Fassung des Gesetzes vom 12. April 2011 umfasst
keinen Nutzungsersatz in Form erwirtschafteter oder ersparter Zinsen.
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2017 - IV ZR 97/15 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
ECLI:DE:BGH:2017:181017UIVZR97.15.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Felsch, Dr. Karczewski, die Richterin Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2017

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die vor dem 1. Juli 1949 geborene Klägerin ist die nichteheliche Tochter des am 2. September 1977 verstorbenen Erblassers. Sie verlangt von dem beklagten Land (im Folgenden: Beklagter) die Zahlung von Zinsen auf den Wert der von diesem vereinnahmten Erbschaft.
2
Mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 21. April 1982 wurde das Fiskuserbrecht des Beklagten festgestellt. Der Nachlasswert betrug 169.060,72 DM. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 erkannte der Beklagte seine Verpflichtung zum Ersatz des Wertes der Erbschaft abzüg- lich angefallener Verwaltungskosten an und zahlte der Klägerin 84.415,40 € aus.
3
Mit der Klage macht die Klägerin noch einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von jährlich 4% auf 84.415,40 € über einen Zeitraum von 30 Jahren, insgesamt 101.298,48 €, geltend. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision hat keinen Erfolg.
5
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergebe sich nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG in der Fassung vom 12. April 2011. Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck dieser Bestimmung stehe der Klägerin eine Entschädigung dafür zu, dass ihr der Nachlass nicht bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls oder zum Zeitpunkt der Feststellung des Fiskuserbrechts zugefallen sei. § 2021 BGB in Verbindung mit §§ 812 ff. BGB scheide als Anspruchsgrundlage ebenfalls aus, weil der Beklagte nach wie vor Erbe und nicht Erbschaftsbesitzer sei. Schließlich komme auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über den Scheinerben nach §§ 2018 ff. BGB nicht in Betracht, weil keinerlei Anhaltspunkte für eine ungewollte Regelungslücke vorlägen.
6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf den Nachlasswert gegen den Beklagten zu.
7
1. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass sich ein solcher Anspruch nicht aus Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1243; im Folgenden: Nichtehelichengesetz) in der durch Art. 1 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12. April 2011 (BGBl. I S. 615; im Folgenden: ZwErbGleichG) geänderten Fassung (im Folgenden: Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG) ergibt.
8
Gemäß dieser Bestimmung kann ein vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind, dem vor dem 29. Mai 2009 kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater oder dessen Verwandten zustand, vom Bund oder einem Land Ersatz in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche verlangen, wenn der Bund oder das Land gemäß § 1936 BGB Erbe geworden ist.
9
Das Gesetz räumt dem Kind nicht die Stellung eines Erben ein, das einen Erbschaftsanspruch gemäß §§ 2018, 2021, 818 BGB gegen den Fiskus als Erbschaftsbesitzer geltend machen könnte. Vielmehr bleibt es dabei, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe geworden ist (vgl. BT-Drucks. 17/3305 S. 8). Dem Kind wird lediglich ein Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche eingeräumt. Nur insoweit hat der Gesetzgeber ein berechtigtes Vertrauen des Fiskus nicht für gegeben erachtet. Der Ersatzanspruch bemisst sich nach der Höhe des Wertes der dem Kind entgangenen erbrechtlichen Ansprüche. Ein Anspruch aus §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB, der unter anderem die Zahlung von Wertersatz für durch den Erbschaftsbesitzer ersparte oder erzielte Zinsen erfasst und sich auch gegen den Fiskus richten kann (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 2015 - IV ZR 438/14, ZEV 2015, 698 Rn. 6 ff.), besteht demgegenüber nicht.
10
a) Der genannte Anspruch auf Zinsen aus dem Nachlasswert wäre der Klägerin nach dem Wortlaut nur dann aufgrund des ihr nicht zustehenden gesetzlichen Erbrechts "entgangen", wenn er im Fall des Bestehens eines gesetzlichen Erbrechts zu ihren Gunsten entstanden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Wenn der Klägerin zum Zeitpunkt des Erbfalls das Erbrecht gemäß § 1924 Abs. 1 BGB zugestanden hätte, hätte das Nachlassgericht nach dem - mangels anderweitiger Anhaltspunkte der hypothetischen Betrachtung zugrunde zu legenden - gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht das Fiskuserbrecht gemäß § 1936 Satz 1 BGB festgestellt. Dass die Klägerin in diesem Fall - wie die Revision geltend macht - ab dem Eintritt des Erbfalls selbst Zinsen aus der Erbschaft hätte ziehen können, ist nach dem Wortlaut von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG unerheblich. Denn danach ist kein Wertersatz für entgangene Nutzungen , sondern nur für entgangene erbrechtliche Ansprüche zu leisten.
11
b) Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, dass der Anspruch gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG nur den Ersatz des Wertes des Nachlasses selbst betrifft. Ausweislich der Begründung des ZwErbGleichG erschien es dem Gesetzgeber angemessen, dass der Staat den betroffenen nichtehelichen Kindern den Wert des aus seiner Erbenstellung gemäß § 1936 BGB resultierenden Vermögenserwerbs herausgibt (vgl. BT-Drucks. 17/3305 S. 8: "…In solchen Fällen erscheint es angemessen, dass der Staat den Wert dieses Vermögenserwerbs an die betroffenen nichtehelichen Kinder herausgibt. Ein rückwirkendes Eintreten des nichtehelichen Kindes in die Erbenstellung sieht der Entwurf in diesen Fällen allerdings nicht vor … ."). Damit ist ausschließlich der Gegenstand , den der Staat erworben hat, in Bezug genommen worden. Dies ist der Nachlass, aber nicht das mit dem Nachlass Erwirtschaftete.
12
c) Entgegen der Ansicht der Revision verletzt dieses Ergebnis der Rechtsanwendung weder das Grundrecht der Klägerin aus Art. 6 Abs. 5 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG noch das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), so dass sich die Frage einer verfassungskonformen oder konventionsfreundlichen Auslegung und Anwendung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG im Streitfall nicht stellt.
13
aa) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach dem Wortlaut des ZwErbGleichG vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindern weder ein Erbrecht noch ein Wertersatzanspruch zusteht , wenn sich der Erbfall vor dem 29. Mai 2009 ereignet hat und eine andere Person als der Staat Erbe geworden ist (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 2011 - IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229 Rn. 19 ff.; BVerfG ZEV 2013, 326 Rn. 27 ff.). Dies gilt erst recht, wenn das nichteheliche Kind - wie die Klägerin - in den Fällen des Fiskuserbrechts gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG einen Ersatzanspruch gegen den Staat in Höhe des Wertes des Nachlasses hat.
14
bb) Anders als dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) der Fall sein kann, wenn dem nichtehelichen Kind weder ein erbrechtlicher Anspruch noch eine finanzielle Kompensation für das Nichtbestehen eines solchen Anspruchs zusteht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 - IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510 Rn. 11-13; Entscheidungen des EGMR in den Rechtssachen Wolter und Sarfert gegen Deutschland, ZEV 2017, 507 und Mitzinger gegen Deutschland, Urteil vom 9. Februar 2017 - 29762/10, juris; Zusammenfassung der Entscheidung in FamRZ 2017, 656), verletzt die Nichtgewährung eines Anspruchs auf Herausgabe des Wertes der vom Staat als gemäß § 1936 BGB berufener Erbe ersparten oder erzielten Zinsen auch nicht Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) oder in Verbindung mit Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

).


15
(1) Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es für die Frage des Vorliegens einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK darauf an, obder Betroffene ohne die gerügte Diskriminierung einen nach staatlichem Recht durchsetzbaren Anspruch auf den in Rede stehenden Vermögenswert gehabt hätte (EGMR, Urteil vom 23. März 2017 - 59752/13 und 66277/13, juris Rn. 51 in den Rechtssachen Wolter und Sarfert gegen Deutschland, insoweit in ZEV 2017, 508 nicht vollständig abgedruckt; Fabris gegen Frankreich, ZEV 2014, 491 Rn. 52; vgl. ferner Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 - IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510 Rn. 11). Dies ist im Hinblick auf den in Streit stehenden Vermögenswert zu verneinen. Wenn die Klägerin von vornherein dieselbe erbrechtliche Stellung wie ein eheliches Kind gehabt hätte, wäre sie zum Zeitpunkt des Erbfalles Erbin des Erblassers geworden. Sie - und nicht der Beklagte - hätte in diesem Fall unter gewöhnlichen Umständen den Nachlass erhalten. Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen gegen den Beklagten wäre nicht entstan- den. Aus dem Blickwinkel des Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK ist es rechtlich ohne Bedeutung, dass die Klägerin im Falle des Bestehens eines Erbrechts die Möglichkeit gehabt hätte, selbst Zinsen aus dem Nachlass zu erwirtschaften. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine faktische Möglichkeit der Nutzung des Nachlasses und nicht um einen nach deutschem Recht durchsetzbaren Anspruch.
16
(2) Es liegt auch keine Verletzung von Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 EMRK vor. Dies gilt im Streitfall bereits deswegen, weil die Klägerin keine Umstände vorgetragen hat, aus denen auf enge persönliche Verbindungen zwischen ihr und dem Erblasser und damit auf die Eröffnung des Anwendungsbereiches des Art. 8 EMRK geschlossen werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 2011 aaO Rn. 53; EGMR in den Rechtssachen Mitzinger gegen Deutschland, Urteil vom 9. Februar 2017 - 29762/10, juris Rn. 32; Brauer gegen Deutschland, ZEV 2009, 510 Rn. 30).
17
(3) Entscheidend gegen das Vorliegen einer Konventionsverletzung ist ferner in Rechnung zu stellen, dass der EGMR in den Entscheidungen Sarfert und Mitzinger gegen Deutschland im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung jeweils auch darauf abgestellt hat, dass dort dem nichtehelichen Kind durch die Rechtslage in Deutschland - anders als im Streitfall - keinerlei Ausgleichsanspruch gewährt worden war. So heißt es etwa in der Entscheidung Sarfert (gemäß deutscher Übersetzung in ZEV 2017, 507 Rn. 79): "Schließlich schließt der geänderte Art. 12 § 10 II 1 NEhelG die Bf. ohne finanzielle Entschädigung von allen erbrechtlichen Ansprüchen am Nachlass aus, wie das auch die frühere Fassung des Gesetzes getan hat, wegen der festgestellt worden ist, dass sie gegen die Konvention verstößt (EGMR ZEV 2009, 510)."
18
Entsprechend hatte der EGMR bereits in der Sache Mitzinger gegen Deutschland argumentiert (Urteil vom 9. Februar 2017 - 29762/10, juris Rn. 47; vgl. hierzu auch Magnus FamRZ 2017, 586).
19
Auf dieser Grundlage fällt hier ins Gewicht, dass dem nichtehelichen Kind ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des Wertes des Nachlasses zusteht. Lediglich Nutzungsersatzansprüche werden ihm versagt. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Fällen, in denen das nichteheliche Kind - wie in allen übrigen Konstellationen außerhalb des Fiskuserbrechts - nach der bisherigen deutschen Gesetzeslage keinerlei Kompensation erhält (vgl. hierzu auch Leipold, ZEV 2017, 489, 494). Dieser hier gerade nicht fehlende finanzielle Ausgleich für das nichteheliche Kind - die Klägerin hat den Nachlasswert in Höhe von 84.415,40 € erhalten - steht einer Konventionswidrigkeit von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG entgegen.
20
2. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB stützen. Denn Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG ändert nichts daran, dass der Beklagte weiterhin Erbe und damit nicht lediglich Erbschaftsbesitzer im Sinne des § 2018 BGB ist (vgl. BT-Drucks. 17/3305 S. 8). Dies ist der maßgebliche Unterschied zu der Sachverhaltskonstellation, die dem Senatsurteil vom 14. Oktober 2015 (IV ZR 438/14, ZEV 2015, 698) zugrunde lag. Dort hatte der Senat dem wahren Erben gegen den Staat als bloßen Erbschaftsbesitzer im Sinne von § 2018 BGB einen Zinsanspruch zugesprochen.

21
3. Entgegen der Auffassung der Revision kommt auch eine analoge Anwendung der §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung nicht vorliegen.
22
Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrunde liegenden - Regelungsplan ergeben (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2017 - IV ZR 440/14, r+s 2017, 409 Rn. 25 f., 32; BGH, Urteile vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 278/15, NVwZ-RR 2017, 372 Rn. 32; vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 unter III 2 b; jeweils m.w.N.).
23
Eine planwidrige Regelungslücke besteht hier nicht. Wie bereits ausgeführt, entsprach es dem Willen des Gesetzgebers, dass ein nichteheliches Kind in den von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG geregelten Fällen nur den Ersatz des Wertes des Nachlasses selbst erhält (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2017 aaO).
Mayen Felsch Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller Dr. Götz

Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 17.04.2014- 2-4 O 510/13 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 17.12.2014 - 4 U 101/14 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15 zitiert 15 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs


(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1924 Gesetzliche Erben erster Ordnung


(1) Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers. (2) Ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling schließt die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus. (3) An die Stelle eines zur

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1936 Gesetzliches Erbrecht des Staates


Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufe

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2018 Herausgabepflicht des Erbschaftsbesitzers


Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2021 Herausgabepflicht nach Bereicherungsgrundsätzen


Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder - NEhelG | § 10


(1) Für die erbrechtlichen Verhältnisse bleiben, wenn der Erblasser vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gestorben ist, die bisher geltenden Vorschriften maßgebend. Das gleiche gilt für den Anspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Erben des Vate

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2020 Nutzungen und Früchte


Der Erbschaftsbesitzer hat dem Erben die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auch auf Früchte, an denen er das Eigentum erworben hat.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 26. Okt. 2011 - IV ZR 150/10

bei uns veröffentlicht am 26.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 150/10 Verkündet am: 26. Oktober 2011 Heinekamp Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja GG Art.

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02

bei uns veröffentlicht am 16.07.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 274/02 Verkündet am: 16. Juli 2003 Kirchgeßner, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BG

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2017 - IV ZB 6/15

bei uns veröffentlicht am 12.07.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 6/15 vom 12. Juli 2017 in der Nachlasssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja NEhelG Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. vom 19. August 1969; ZwErbGleichG Art. 1 Nr. 2, Art. 5 Satz 2 Zum Erbrecht vor dem 1. Ju

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2017 - IV ZR 440/14

bei uns veröffentlicht am 28.06.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 440/14 Verkündet am: 28. Juni 2017 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja VVG § 7 Abs.

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Jan. 2017 - VIII ZR 278/15

bei uns veröffentlicht am 18.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 278/15 Verkündet am: 18. Januar 2017 Vorusso, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2015 - IV ZR 438/14

bei uns veröffentlicht am 14.10.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR438/14 Verkündet am: 14. Oktober 2015 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 1936, 2018
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2017 - IV ZR 97/15.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2018 - IV ZR 222/16

bei uns veröffentlicht am 27.06.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 222/16 Verkündet am: 27. Juni 2018 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja VVG § 150 Abs

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Jan. 2018 - 8 AZR 524/16

bei uns veröffentlicht am 25.01.2018

Tenor Die Revision der Beklagten zu 4. gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 19. Juli 2016 - 1 Sa 406/15 - und - 1 Sa 413/15 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Jan. 2018 - 8 AZR 309/16

bei uns veröffentlicht am 25.01.2018

Tenor Die Revision der Beklagten zu 2. gegen das Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2016 - 2 Sa 35/15 - wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Für die erbrechtlichen Verhältnisse bleiben, wenn der Erblasser vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gestorben ist, die bisher geltenden Vorschriften maßgebend. Das gleiche gilt für den Anspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Erben des Vaters auf Leistung von Unterhalt.

(2) Ein vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind, dem vor dem 29. Mai 2009 kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater oder dessen Verwandten zustand, kann vom Bund oder einem Land Ersatz in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche verlangen, wenn der Bund oder das Land gemäß § 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Erbe geworden ist. Der Bund oder das Land hat dem nichtehelichen Kind auf Verlangen Auskunft über den Wert des Nachlasses zu erteilen. Für die Verjährung des Anspruchs gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs; § 199 Absatz 3a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nicht anzuwenden.

(3) § 2079 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nicht anzuwenden, wenn ein Pflichtteilsrecht eines nichtehelichen Kindes oder seiner Abkömmlinge durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung entstanden ist.

Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund.

Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

Der Erbschaftsbesitzer hat dem Erben die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auch auf Früchte, an denen er das Eigentum erworben hat.

Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

6
1. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, erbrechtliche Herausgabeansprüche aus §§ 2018, 2021, 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB gegen den Fiskus erstreckten sich nicht auf Zinsen.

(1) Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers.

(2) Ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling schließt die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus.

(3) An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen).

(4) Kinder erben zu gleichen Teilen.

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund.

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

19
Anlass für die Annahme, diese Vorschrift oder das Absehen von einer zeitlich unbegrenzten oder zumindest weiterreichenden Rückwirkung der Aufhebung dieser Stichtagsregelung durch die gesetzliche Neuregelung verstieße gegen Art. 6 Abs. 5 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (unten
a) oder gegen Art. 14 Abs. 1 GG (unten b), besteht nicht. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht (so auch OLG Köln ZEV 2011, 129, 131; OLG Stuttgart FamRZ 2010, 674, 675; LG Karlsruhe, Beschluss vom 30. September 2010 - 1 T 10/10, juris Rn. 25 ff.; LG Saarbrücken FamRZ 2010, 2106, 2108).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 6/15
vom
12. Juli 2017
in der Nachlasssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
NEhelG Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. vom 19. August 1969; ZwErbGleichG
Art. 1 Nr. 2, Art. 5 Satz 2
Zum Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder, hier:
teleologische Erweiterung von Art. 5 Satz 2 des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes
(ZwErbGleichG).
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 - IV ZB 6/15 - KG Berlin
AG BerlinCharlottenburg
ECLI:DE:BGH:2017:120717BIVZB6.15.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Felsch, Dr. Karczewski, die Richterin Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Götz
am 12. Juli 2017

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des 6. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 16. Januar 2015 und das Verfahren aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 45.000 €

Gründe:


1
I. Die am 13. Januar 1928 nichtehelich geborene Antragstellerin begehrt die Erteilung eines sie als Alleinerbin ihres am 13. Juni 1993 verstorbenen Vaters ausweisenden Erbscheins.
2
Sie ist das einzige Kind des Erblassers, der sein Leben lang ledig war. Er wurde im Jahr 1928 von dem Amtsgericht Charlottenburg verurteilt , Unterhalt an die nicht in seinem Haushalt lebende Antragstellerin zu leisten. Die Antragstellerin hatte - nach ihrem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vortrag - vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges das letzte Mal im Alter von etwa vierzehneinhalb Jahren Kontakt zu dem Erblasser. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Antragstellerin in einem Ministerium der ehemaligen DDR tätig. Aus diesem Grund war ihr die Kontaktaufnahme zu dem auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lebenden Erblasser untersagt. Nach dem Fall der Berliner Mauer versuchte die Antragstellerin, den Erblasser wiederzufinden. Dies gelang ihr im Jahr 1991. Mit Schreiben vom 14. März 1992 erklärte der Erblasser "eidesstattlich", dass die Antragstellerin seine leibliche Tochter sei. Die Antragstellerin besuchte den Erblasser im Seniorenheim , war Ansprechpartnerin für seine Ärzte und wurde nach dem plötzlichen Tod des Erblassers um die Zustimmung zur Obduktion seines Leichnams gebeten. Sie kümmerte sich auch um das Begräbnis des Erblassers.
3
Nach dem Tod des Erblassers wurde die Antragstellerin als dessen einzige bekannte Angehörige vom Nachlassgericht benachrichtigt und um Mitteilung von Informationen zu dem Erbfall gebeten. Da sich keine weiteren als Erben in Betracht kommenden Personen bei dem Nachlassgericht meldeten, setzte dieses einen Nachlasspfleger ein, dessen Aufgabe unter anderem war, Erben zu ermitteln. Sein Versuch der Erbenermittlung blieb zunächst erfolglos. Im April 1996 stellte das Nachlassgericht fest, dass ein anderer Erbe als das Land Berlin nicht vorhanden sei.
4
Knapp vier Monate nach dem Erlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) vom 28. Mai 2009 zur Konventionswidrigkeit der erbrechtlichen Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern in der Rechtssache Brauer gegen Deutschland (ZEV 2009, 510) beantragte die Antragstellerin unter Bezugnahme auf diese Entscheidung im September 2009 die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins. Der Antrag hatte keinen Erfolg.
5
Im Dezember 2009 bzw. August 2012 beantragten der Beteiligte zu 2, ein Neffe des Erblassers, bzw. die Beteiligten zu 3 bis 5, eine Großnichte , eine Nichte und ein weiterer Neffe des Erblassers, die Erteilung von Erbscheinen. Auf diese Anträge erteilte das Nachlassgericht am 14. Februar 2012 einen ersten gemeinschaftlichen Teilerbschein zugunsten des Beteiligten zu 2 und seiner ausschließlich von ihm beerbten verstorbenen Schwester und am 30. August 2012 einen zweiten und letzten gemeinschaftlichen Teilerbschein zugunsten der Beteiligten zu 3 bis 5. Der Beschluss über die Feststellung des Fiskuserbrechts aus dem Jahr 1996 wurde aufgehoben. Die Beteiligten zu 2 bis 5 waren durch einen Erbenermittler ausfindig gemacht worden.
6
Nachdem in einem von der Antragstellerin eingeleiteten gesonderten Verfahren mit Beschluss des Kammergerichts vom 3. Juni 2014 festgestellt worden war, dass der Erblasser ihr Vater ist, hat sie am 29. August 2014 erneut und unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 7. Februar 2013 in der Rechtssache Fabris gegen Frankreich (ZEV 2014, 491) beantragt, ihr einen Alleinerbschein zu erteilen und die den übrigen Beteiligten erteilten Teilerbscheine einzuziehen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
7
II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens unter Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FamFG).
8
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in ZEV 2015, 529 veröffentlicht ist, ist der Auffassung, der Antragstellerin stehe kein gesetzliches Erbrecht nach dem Erblasser zu. Sie sei gemäß § 1589 Abs. 2 BGB in der bis zum 30. Juni 1970 geltenden Fassung (im Folgenden: § 1589 Abs. 2 BGB a.F.) nicht als mit dem Erblasser verwandt anzusehen. Die Aufhebung dieser Vorschrift durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1243; im Folgenden: Nichtehelichengesetz/NEhelG a.F.) gelte gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 dieses Gesetzes nicht für die vor dem 1. Juli 1949 geborene Antragstellerin. Die Ersetzung der letztgenannten Bestimmung gemäß Art. 1 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12. April 2011 (BGBl. I S. 615; im Folgenden: Zweites Erbrechtsgleichstellungsgesetz/ ZwErbGleichG) habe für den in Streit stehenden Erbfall, der sich vor dem 29. Mai 2009 ereignete, gemäß Art. 5 Satz 2 des Gesetzes keine Geltung. Die begrenzte Rückwirkung der Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. sei im Hinblick auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergebe sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Fabris gegen Frankreich.
9
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach dem mangels abweichender Feststellungen des Beschwerdegerichts dem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vortrag der Antragstellerin ist sie als Tochter des Erblassers gemäß § 1924 Abs. 1 BGB dessen Er- bin erster Ordnung. Dies folgt aus einer über den Wortlaut von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG hinausgehenden, konventionsrechtlich gebotenen teleologischen Erweiterung der genannten Bestimmung.
10
a) Das Beschwerdegericht hat zunächst rechtsfehlerfrei ausgeführt , dass die Antragstellerin nach dem Wortlaut von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG gemäß § 1589 Abs. 2 BGB a.F. in Verbindung mit Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. für erbrechtliche Verhältnisse nicht als mit dem Erblasser verwandt anzusehen ist. Danach tritt die durch Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG angeordnete Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F., der bestimmte, dass für die erbrechtlichen Verhältnisse eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes zu seinem Vater § 1589 Abs. 2 BGB a.F. als bisher geltende Vorschrift maßgebend bleibt, erst mit Wirkung für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 in Kraft. Hier ist der Erblasser vor diesem Stichtag verstorben. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden (Senatsurteil vom 26. Oktober 2011 - IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229 Rn. 19 ff.; BVerfG ZEV 2013, 326 Rn. 27 ff.).
11
b) Indes würde die Antragstellerin - anders als das Beschwerdegericht meint - bei diesem Ergebnis der Rechtsanwendung nach der neueren Rechtsprechung des EGMR in ihren Rechten aus Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot ) in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) verletzt werden. Hiernach kommt ein Konventionsverstoß in Betracht, wenn ohne die gerügte Diskriminierung ein nach staatlichem Recht durchsetzbarer Anspruch auf den Vermögenswert bestanden hätte (EGMR in der Rechtssache Fabris gegen Frankreich ZEV 2014, 491 Rn. 52). Dabei kann offen bleiben, welche Folgerungen sich aus der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Fabris gegen Frankreich für das deutsche Recht ergeben (vgl. hierzu BT- Drucks. 17/13579 S. 20; Lehmann/Hahn, ZEV 2013, 192; Leipold, ZEV 2014, 449; Reimann, FamRZ 2013, 851). Denn die Konventionswidrigkeit des Ergebnisses der wortlautgetreuen Anwendung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG ergibt sich nunmehr jedenfalls aus dem - nach dem Erlass des Senatsurteils vom 26. Oktober 2011 (IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229) und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2013 (ZEV 2013, 326) ergangenen - Urteil des EGMR vom 23. März 2017 in der Rechtssache Wolter und Sarfert gegen Deutschland (NJW 2017, 1805; vgl. hierzu Magnus, FamRZ 2017, 831), welches (anders als das Urteil des EGMR vom 9. Februar 2017 in der Rechtssache Mitzinger gegen Deutschland, Zusammenfassung der Entscheidung in FamRZ 2017, 656; vgl. hierzu auch Magnus FamRZ 2017, 586) die derzeit geltende und im Streitfall maßgebliche Rechtslage nach Inkrafttreten des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes betrifft.
12
aa) Nach dem Urteil des EGMR vom 23. März 2017 verletzt das Ergebnis der strikten Anwendung der in Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG bestimmten Stichtagsregelung die sich aus den genannten Bestimmungen der EMRK ergebenden Rechte nichtehelicher Kinder, wenn unter den besonderen Umständen des Falles kein gerechter Ausgleich zwischen den betroffenen widerstreitenden Interessen hergestellt würde, wobei die Kenntnis der Betroffenen, der Status der erbrechtlichen Ansprüche (Verjährung ) und die bis zur Geltendmachung des Anspruchs verstrichene Zeit ebenso zu berücksichtigen sind wie der Umstand, ob durch das nationale Recht eine finanzielle Entschädigung für den Verlust des Erbrechts gewährt wird (vgl. EGMR aaO Rn. 51, 72 ff.).
13
bb) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien würde die Antragstellerin bei einer wortlautgetreuen Anwendung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG in ihren Rechten aus Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt. Wie im Fall des Beschwerdeführers zu 1 vor dem EGMR (vgl. EGMR aaO Rn. 73), hatten die Beteiligten zu 2 bis 5 Kenntnis von der Existenz der Antragstellerin, als ihnen die Erbscheine erteilt wurden. Weiter ist die gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB dreißigjährige Verjährungsfrist für den Anspruch aus § 2018 BGB im Streitfall ebenso wenig abgelaufen, wie dies in den Fällen der Beschwerdeführer bei dem EGMR der Fall war (vgl. EGMR aaO Rn. 75). Zudem hat die Antragstellerin den Erbschein nur knapp vier Monate nach der Entscheidung in der Rechtssache Brauer gegen Deutschland beantragt; im Fall des Beschwerdeführers zu 1 beim EGMR war ein vergleichbarer Zeitraum - knapp zwei Monate (vgl. EGMR aaO Rn. 9 - insoweit in NJW 2017, 1805 nicht abgedruckt - und Rn. 76) - verstrichen. Schließlich steht der Antragstellerin für den Ausschluss des Erbrechts insbesondere auch kein Anspruch auf Zahlung einer finanziellen Entschädigung zu, weil die Voraussetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG in der gemäß Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG geänderten Fassung - das Bestehen des Fiskuserbrechts gemäß § 1936 BGB - im Streitfall nicht erfüllt ist.
14
c) Aufgrund der danach gegebenen Konventionswidrigkeit des Ausschlusses des Erbrechts der Antragstellerin ist Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG im Streitfall teleologisch dahin zu erweitern, dass die Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. gemäß Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG bereits für den in Rede stehenden Erbfall Geltung beansprucht und § 1589 Abs. 2 BGB a.F. damit nicht mehr anzuwenden ist.
15
Die EMRK und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - stehen innerhalb der deutschen Rechtsordnung zwar nur im Rang eines Bundesgesetzes (BVerfG FamRZ 2015, 1263 Rn. 47; BVerfGE 128, 326 unter C I 1 a; BVerfGE 111, 307 unter C I 1 a). Deutsche Gerichte trifft jedoch die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Konvention zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen. Die Möglichkeit einer konventionsfreundlichen Auslegung endet jedoch dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint, etwa wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verstößt (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1263 Rn. 47 f.; BVerfGE 111, 307, 329).
16
aa) Die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 18. März 2013 ausdrücklich offen gelassene Frage, ob eine teleologische Erweiterung von Art. 5 ZwErbGleichG in bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht mit dem durch den EGMR in der Rechtssache Brauer gegen Deutschland entschiedenen Fall vergleichbar sind, in Betracht kommt (BVerfG ZEV 2013, 326 Rn. 43), ist zu bejahen. Die teleologische Erweiterung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG liegt in den genannten Fällen im Rahmen geltender methodischer Standards (vgl. Lieder in Erman, BGB 14. Aufl. § 1924 Rn. 1e; MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl. Einleitung Band 10 Rn. 113; ders., ZEV 2014, 449, 455; ders., FPR 2011, 275, 279 f.; Lieder/Berneith, FamRZ 2015, 1528 f.; wohl auch BeckOGK/ Tegelkamp, BGB Stand: 1.4.2017 § 1924 Rn. 52 ff.; Magnus, FamRZ 2017, 586, 590; a.A. OLG Düsseldorf FamRZ 2015, 1526, 1527).
17
(1) Allgemein setzt die teleologische Erweiterung einer Gesetzesbestimmung eine Regelungslücke voraus. Die Bestimmung muss gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig sein. Ihre Ergänzung darf nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen. Dass eine gesetzliche Regelung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzuse- hen ist, reicht nicht aus. Ihre Unvollständigkeit erschließt sich vielmehr aus dem gesetzesimmanenten Zweck und kann auch bei einem eindeutigen Wortlaut vorliegen (BFH ZIP 2016, 463 Rn. 37; vgl. auch BVerwG NJW 2013, 2457 Rn. 22; jeweils m.w.N.).
18
(2) Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG bei Erbfällen erfüllt, die sich vor dem 29. Mai 2009 ereigneten und in tatsächlicher Hinsicht mit der Rechtssache Brauer gegen Deutschland vergleichbar sind.
19
Das ZwErbGleichG bezweckt, die vom EGMR in der genannten Rechtssache für konventionswidrig befundene Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht zu beseitigen, und zwar soweit möglich (BT-Drucks. 17/3305 S. 1; 17/4776 S. 1). Dabei hat der Gesetzgeber die Beseitigung der erbrechtlichen Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern auch für Erbfälle, die sich vor dem 29. Mai 2009 ereigneten, für wünschenswert gehalten (BT-Drucks. 17/4776 S. 7). Er hat sich jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes und aufgrund der mit einer Rückabwicklung weit in der Vergangenheit liegender Erbfälle verbundenen praktischen Schwierigkeiten dagegen entschieden, die Ungleichbehandlung auch insoweit zu beseitigen (BTDrucks. 17/3305 S. 7 f.; 17/4776 S. 7). Dabei wollte der Gesetzgeber indes nicht in Kauf nehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland in einem Fall, der dieselben Besonderheiten wie die Rechtssache Brauer gegen Deutschland aufweist, erneut durch den EGMR verurteilt wird. Das ergibt sich aus der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages. Dort heißt es (BT-Drucks. 17/4776 S. 7): "Weitere Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR sind unwahrscheinlich, selbst wenn dem nichtehelichen Kind in einer Fallkonstellation, wie sie dem vom EGMR entschiedenen Fall zu Grunde lag - der Erbfall ereignete sich schon im Zeitraum 30. Juni bis 3. Juli 1998 - auch nach dem Gesetzentwurf kein Erbrecht zustünde. Denn der EGMR entscheidet stets Einzelfälle. Der entschiedene Fall weist aber durch den DDR-Bezug, die tatsächliche Nähebeziehung zwischen Kind und nichtehelichem Vater sowie das Fehlen anderer naher gesetzlicher Erben zahlreiche Besonderheiten auf und kann daher als atypisch bezeichnet werden. Vor allem betonte der EGMR, dass dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der gesetzlichen Erben in dem konkreten Fall keine Bedeutung zukam, da es nur Erben dritter Ordnung gab, die der Erblasser nicht einmal kannte (Rdnr. 44). Dem Vertrauensschutz näherer Verwandter würde ein größeres Gewicht zukommen , so dass in einem derartigen Fall ganz andere Ausgangsbedingungen vorlägen, die der EGMR in seine Abwägung einzubeziehen hätte."
20
Die Einschätzung, dass weitere Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR deswegen unwahrscheinlich seien, weil die Rechtssache Brauer gegen Deutschland von zahlreichen Besonderheiten gekennzeichnet werde und dadurch ein "atypischer" Fall sei, macht deutlich, dass der Gesetzgeber solche aus seiner Sicht "atypischen Fälle" nicht dahingehend regeln wollte, dass es zu einer weiteren Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland kommt. Die Billigung einer erneuten Verurteilung gerade in einem Fall, der der Rechtssache Brauer gegen Deutschland im Kern entspricht, widerspräche geradezu dem Regelungsziel , die vom EGMR in dieser Rechtssache festgestellte Konventionswidrigkeit der Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht zu beseitigen.
21
bb) Der Streitfall ist in tatsächlicher Hinsicht mit der Rechtssache Brauer gegen Deutschland vergleichbar. Er weist alle Besonderheiten auf, die diese Rechtssache aus Sicht des Gesetzgebers zu einem "atypischen" Fall gemacht haben.
22
Ebenso wie die Beschwerdeführerin Brauer lebte die Antragstellerin in der ehemaligen DDR, während ihr Vater in der Bundesrepublik Deutschland wohnte. Die Antragstellerin und ihren Vater verband darüber hinaus - nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vorbringen der Antragstellerin - eine tatsächliche Nähebeziehung , die sich, wie in der Rechtssache Brauer gegen Deutschland, unter anderem in Besuchen äußerte. Schließlich liegt auch im Streitfall die - vom Gesetzgeber besonders hervorgehobene - Situation vor, dass andere nahe gesetzliche Erben fehlen und die übrigen als Erben in Betracht kommenden Personen in Ermangelung einer tatsächlichen Beziehung zum Erblasser kein Vertrauen auf den Erhalt der Erbschaft bilden konnten; die Beteiligten zu 2 bis 5 als Erben höherer Ordnungen traten im nachlassgerichtlichen Verfahren erst viele Jahre nach dem Tod des Erblassers zum ersten Mal in Erscheinung.
23
cc) Die teleologische Erweiterung des Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG verletzt nicht die sich aus den Grundrechten der Beteiligten zu 2 bis 5 ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen der konventionskonformen Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht.
24
(1) Betrifft die Feststellung des EGMR, dass das Ergebnis einer Gesetzesanwendung die EMRK verletzt, eine Bestimmung des Privatrechts , haben deutsche Gerichte bei der Anwendung der betreffenden Entscheidung auf das Privatrechtsverhältnis zu berücksichtigen, dass sie ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis auszugestalten haben und es insoweit regelmäßig auf sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen ankommt, was einer schematischen Anwendung der Entscheidung des EGMR entgegensteht (vgl. BVerfGE 128, 326 unter C I 1 f; BVerfGE 111, 307 unter C I 3 a).
25
(2) Das Grundrecht der Beteiligten zu 2 bis 5 aus Art. 14 Abs. 1 GG, welches das bis zur Änderung des Nichtehelichengesetzes durch das Zweite Erbrechtsgleichstellungsgesetz gemäß § 1925 Abs. 1 BGB bestehende Erbrecht der Beteiligten zu 2 bis 5 vom Eintritt des Erbfalles an schützt (vgl. BVerfG ZEV 2013, 326 Rn. 28), überwiegt das ebenfalls gemäß Art. 6 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Antragstellerin auf grundsätzliche Gleichbehandlung mit ehelichen Kindern (BVerfG aaO Rn. 32) nicht. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht daran gehindert, Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 durch die in Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG vorgesehene Regelung zu ersetzen, ein grundrechtlich geschütztes Erbrecht also zugunsten der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder mit - wenn auch zeitlich begrenzter - echter Rückwirkung zu entziehen (vgl. BVerfG aaO Rn. 33 ff.). Maßgebend ist insoweit der Gesichtspunkt , dass seit der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Brauer gegen Deutschland ein gefestigtes und schutzwürdiges Vertrauen der Väter nichtehelicher Kinder und deren erbberechtigter Familienangehöriger auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht mehr entstehen konnte (vgl. BVerfG aaO Rn. 36; BT-Drucks. 17/3305 S. 7; 17/4776 S. 7).
26
Die Abwägung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen kann erst recht zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn sich, wie hier in Bezug auf die Beteiligten zu 2 bis 5, auf Seiten der erbberechtigten Familienangehörigen des Vaters des nichtehelichen Kindes bereits faktisch kein - als schutzwürdig in Betracht kommendes - Vertrauen auf den Erhalt der Erbschaft gebildet hat, weil zwischen ihnen und dem Erblasser - nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt - keinerlei tatsächliche Beziehungen bestanden.
27
3. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FamFG). Da die Beteiligten zu 2 bis 5 aufgrund der Feststellungen des Nachlass- und des Beschwerdegerichts davon ausgehen konnten, dass der Antragstellerin kein Erbrecht zusteht, hatten sie keine Veranlassung, zu dem Vortrag der Antragstellerin Stellung zu nehmen. Ihnen ist Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen.
Mayen Felsch Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller Dr. Götz

Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 20.10.2014 - 60 VI 318/09 -
KG Berlin, Entscheidung vom 16.01.2015 - 6 W 162/14 -

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund.

Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

Der Erbschaftsbesitzer hat dem Erben die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auch auf Früchte, an denen er das Eigentum erworben hat.

Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

6
1. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, erbrechtliche Herausgabeansprüche aus §§ 2018, 2021, 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB gegen den Fiskus erstreckten sich nicht auf Zinsen.

Der Erbe kann von jedem, der auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen.

Der Erbschaftsbesitzer hat dem Erben die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auch auf Früchte, an denen er das Eigentum erworben hat.

Soweit der Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe außerstande ist, bestimmt sich seine Verpflichtung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

25
Nach nationalem Recht kommt ein Versicherungsvertrag - wie ausgeführt - unabhängig von einer vorherigen Information des Versicherungsnehmers zustande. Es ist nationalrechtlich nicht möglich, die vom Gesetzgeber insoweit aufgestellten Regeln dahin auszulegen oder richterrechtlich fortzubilden, dass die vor Zugang der Informationen des § 7 Abs. 1, 2 VVG abgegebene Vertragserklärung eines Versicherungsneh- mers unwirksam oder nichtig ist. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, für einen wirksamen Abschluss eines Versicherungsvertrages vom allgemeinen Zivilrecht grundlegend abweichende Regeln aufzustellen. Im Rahmen des von ihm gewählten Umsetzungskonzepts hat er eine ausdrückliche Pflicht für den Versicherer geschaffen, den Versicherungsnehmer rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung zu informieren. Im Falle der Verletzung dieser Pflicht hat er als Sanktion vorgesehen , dass die Widerrufsfrist noch nicht zu laufen beginnt. Daneben kommen nach seiner Vorstellung Schadensersatzansprüche und aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Betracht (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Während des Laufs der Widerrufsfrist soll der Vertrag hingegen schwebend wirksam sein (vgl. BT-Drucks. 15/2946 S. 31 zu § 48c VVG a.F., dessen Absätze 1 bis 4 inhaltlich in § 8 VVG übernommen wurden, BT-Drucks. 16/3945 S. 61). Diese klar zum Ausdruck gebrachte Entscheidung des Gesetzgebers ist bindend und kann auch nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung abgeändert werden. Angesichts des eindeutigen Regelungsplans fehlt es hier - anders als bei § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 21 ff.) - an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes.
32
(1) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung , bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380, 389 f.; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 23; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; vom 1. Juli 2014 - VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 Rn. 14; vom 14. Dezember 2016 – VIII ZR 232/15, juris Rn. 33, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; jeweils mwN). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, aaO S. 390; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, aaO; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, aaO; vom 14. Dezember 2016 – VIII ZR 232/15, aaO; Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, WM 2004, 1594 unter III 3 b bb (2); vom 25. August 2015 - X ZB 5/14, GRUR 2015, 1253 Rn. 19), wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ergibt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 15 mwN) und aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (BGH, Urteile vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178 Rn. 18; vom 20. Juni 2016 - AnwZ (Brfg) 56/15, juris Rn. 18; Beschluss vom 14. Juni 2016 – VIII ZR 43/15, WuM 2016, 514 Rn. 10).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 274/02 Verkündet am:
16. Juli 2003
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Hat ein Wohnungsmieter, dessen Mietvertrag vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes
am 1. September 2001 geschlossen worden ist, in entsprechender Anwendung
des § 539 BGB a.F. sein Recht zur Minderung der Miete verloren, weil er den Mangel längere
Zeit nicht gerügt und die Miete ungekürzt und vorbehaltlos weiter gezahlt hat, so
verbleibt es hinsichtlich der bis zum 1. September 2001 fällig gewordenen Mieten bei diesem
Rechtsverlust. Die Bestimmungen des Mietrechtsreformgesetzes und der hierzu ergangenen
Übergangsvorschriften führen nicht zu einem Wiederaufleben des Minderungsrechts.

b) Für nach dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes fällig gewordene Mieten scheidet
eine analoge Anwendung des § 536b BGB, der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getreten
ist, aus. Insoweit beurteilt sich die Frage, ob und in welchem Umfang ein Mieter
wegen eines Mangels der Wohnung die Miete mindern kann, ausschließlich nach § 536c
BGB. Dies gilt auch für Mietverträge, die vor dem 1. September 2001 abgeschlossen worden
sind.

c) Soweit hiernach das Minderungsrecht des Mieters nach dem 1. September 2001 nicht
entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB
a.F. erloschen ist, bleibt jedoch zu prüfen, ob der Mieter dieses Recht unter den strengeren
Voraussetzungen der Verwirkung (§ 242 BGB) oder des stillschweigenden Verzichts
verloren hat.
BGH, Urteil vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02 - LG Frankfurt am Main
AG Frankfurt am Main
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin
am Bundesgerichtshof Dr. Deppert sowie die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Beyer, Dr. Leimert, Dr. Wolst und Dr. Frellesen auf die mündliche Verhand-
lung vom 7. Mai 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. August 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Landgericht die Berufung des Beklagten auch hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der rückständigen Miete für den Monat September 2001 zurückgewiesen hat. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in F., H.-Straße gelegenen Mehrfamilienhauses. Eine im Erdgeschoß dieses Anwesens befindliche Wohnung hat sie seit 1979 an den Beklagten vermietet. Mit der vorliegenden Klage verlangt sie vom Beklagten die Zahlung rückständiger Miete für die Zeit von September 1999 bis einschließlich September 2001. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Etwa seit der Jahreswende 1994/95 fühlte sich der Beklagte nach seiner Behauptung durch Lärm gestört, der von den kurz zuvor eingezogenen Bewohnern einer benachbarten Wohnung ausgegangen sein soll. Erstmals mit Schreiben vom 22. Februar 1997 beschwerte er sich bei der Klägerin über die ständige Ruhestörung; weitere ähnliche Schreiben folgten. Nachdem der Beklagte unter dem 26. Juni 1997 angekündigt hatte, er werde wegen des Lärms die Miete um 70 DM mindern, reduzierte die Klägerin auf seine Aufforderung hin den Bankeinzug in dieser Höhe. Im Juli 1997 und erneut im März 1998 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß sie die Mieter der Nachbarwohnung angeschrieben und zur Unterlassung der Lärmbelästigungen aufgefordert habe. Anfang 1999 mahnte sie beim Beklagten die Bezahlung des bis Dezember 1998 aufgelaufenen Mietrückstandes in Höhe von insgesamt 1.450,47 DM an. Dieser Aufforderung kam der Beklagte unter Vorbehalt nach. Da nach dem Vorbringen des Beklagten Abhilfeversuche der Klägerin hinsichtlich der angeblichen Ruhestörungen erfolglos geblieben waren, machte der Beklagte mit Schreiben vom 16. September 1999 abermals eine Minderung der Miete, und zwar um 69,90 DM, geltend. Weil die Klägerin hierauf nicht reagierte , widerrief der Beklagte schließlich die Bankeinzugsermächtigung. Für den
Monat September 1999 zahlte er überhaupt keine und für die Zeit von November 1999 bis einschließlich September 2001 lediglich eine um 69,90 DM geminderte Miete. Die dadurch entstandenen Mietrückstände in Höhe von insgesamt 2.083,19 DM (1.065,12 age. Die Klägerin hat zunächst behauptet, bei einer Überprüfung hätten sich die Vorwürfe des Beklagten hinsichtlich der Lärmbelästigungen nicht bestätigt. Im weiteren Verfahren hat sie sich überdies darauf berufen, der Beklagte habe jedenfalls ein etwaiges Recht zur Mietminderung dadurch verloren, daß er trotz Kenntnis von der behaupteten Ruhestörung über zwei Jahre lang - bis Juni 1997 - die Miete vollständig und vorbehaltlos gezahlt habe. Dem hat der Beklagte entgegengehalten, die Lärmbelästigungen hätten sich im Laufe der Zeit immer mehr verstärkt; außerdem sei nach der Neuregelung des § 536c BGB die frühere Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendung des § 539 BGB a.F. nicht mehr anwendbar. Das Amtsgericht hat der Klage - von einem Teil der Zinsen abgesehen - stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob der Beklagte wegen der behaupteten Lärmbelästigung zur Minderung der Miete oder sogar - für September 1999 - zur
vollständigen Zahlungsverweigerung berechtigt gewesen sei; denn er sei in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. oder des § 536b BGB n.F. mit einer Mietminderung schon dem Grunde nach ausgeschlossen gewesen. Deshalb könne auch dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die am 1. September 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 536b BGB bereits für den Zeitraum bis zum 31. August 2001 maßgebend sei oder ob insoweit noch § 539 BGB a.F. heranzuziehen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum früheren Mietrecht sei der Mieter in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. mit der Mietminderung für die Vergangenheit und Zukunft ausgeschlossen , wenn er im Verlauf der Mietzeit Kenntnis von einem Mangel erlange und dennoch den ungeminderten Mietzins über eine gewisse Zeit vorbehaltlos weiterzahle. Dasselbe Ergebnis sei nunmehr auch aus der entsprechenden Anwendung des an die Stelle des § 539 BGB a.F. getretenen § 536b BGB n.F. herzuleiten. Diese Frage sei zwar im Schrifttum und in der jüngsten Rechtsprechung der Instanzgerichte umstritten; auch spreche gegen eine analoge Anwendung des § 536b BGB n.F., daß nach der amtlichen Begründung, die die Vorschrift als abschließende Regelung für Fälle der vorliegenden Art ansehe, eine planwidrige Regelungslücke verneint werden könne und eine Analogie damit von vornherein ausgeschlossen sei. Die der Begründung zugrundeliegende Auffassung habe jedoch im Gesetzestext keinen hinreichenden Niederschlag gefunden und betreffe überdies nur einen relativ kleinen Teil der in der Praxis vorkommenden Fälle. Im übrigen sprächen sowohl die Vorschrift des § 536c BGB n.F., der ohne inhaltliche Änderungen an die Stelle des § 545 BGB a.F. getreten sei, als auch die Übergangsregelung des Art. 229 § 3 EGBGB, die für die große Zahl der Altfälle der vorliegenden Art keine Bestimmung enthalte, gegen die Annahme, daß es sich bei § 536b BGB n.F. um eine abschließende Regelung handele, die eine analoge Anwendung ausschließe.
Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Minderungsausschlusses wegen längerer vorbehaltloser und ungeminderter Mietzahlung trotz Kenntnis von dem Mangel seien gegeben. Die angebliche Lärmbelästigung sei dem Beklagten bereits zwei Jahre lang bekannt gewesen, bevor er sich das erste Mal hierüber bei der Klägerin beschwert habe. Daß die Klägerin ab Juli 1997 nur noch die um 70 DM geminderte Miete eingezogen habe, sei unerheblich, da sie an die vom Beklagten erklärte Beschränkung der Einzugsermächtigung gebunden gewesen sei und ihrem Verhalten deshalb kein Erklärungswert zukomme. Das Minderungsrecht des Beklagten sei auch nicht aus anderen Gründen wieder aufgelebt; weder habe die Klägerin eine ausdrückliche Beseitigungszusage erteilt , noch hätten sich die den Mangel begründenden Umstände in der Folgezeit erheblich verändert.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung insoweit stand, als es um die Mietminderung für den Zeitraum bis einschließlich August 2001 geht. Für den Monat September 2001 ist der Beklagte dagegen an einer Minderung der Miete nicht gehindert, falls - was bislang offen ist - die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt sind. 1. Für Fälle der vorliegenden Art hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß der Mieter das Recht zur Mietminderung wegen eines nachträglich eingetretenen oder ihm bekannt gewordenen Mangels der Mietsache in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. verliert, wenn er die Miete ungekürzt, über einen längeren Zeitraum und ohne Vorbehalt weiterzahlt; dabei kann eine Frist von sechs Monaten im Regelfall als "längerer Zeitraum" angesehen werden. Der Verlust des Minderungsrechts gilt
analog § 539 BGB a.F. auch für die weiteren Mietraten (zuletzt BGH, Urteil vom 11. Dezember 1991- XII ZR 63/90, NJW-RR 1992, 267 = WM 1992, 583 unter III 1; Urteil vom 18. Juni 1997 - XII ZR 63/95, NJW 1997, 2674 = WM 1997, 2002 unter 2 a und b aa; Urteil vom 31. Mai 2000 - XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663 = WM 2000, 1965 unter 3, Urteil vom 26. Februar 2003 - XII ZR 66/01, jew. m.w.Nachw.; vgl. RG, JW 1936, 2706 mit Anm. Roquette). Dieser Rechtsprechung haben sich die Instanzgerichte angeschlossen (z.B. OLG Naumburg, ZMR 2001, 617; OLG Hamburg, ZMR 1999, 328; OLG Koblenz, ZMR 2002, 744; OLG Köln, ZMR 2001, 121; OLG Frankfurt, WuM 2000, 116; OLG Hamm, ZMR 2000, 93 und MDR 1988, 410; OLG Düsseldorf, ZMR 1987, 329). Auch in der Kommentarliteratur hat sie einhellige Zustimmung gefunden (z.B. Blank/Börstinghaus, Miete, § 539 Rdnr. 20, 21; Bub/Treier/Kraemer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III.B Rdnr. 1413; Emmerich /Sonnenschein, Miete, 7. Aufl., § 537 Rdnr. 36; Schmidt-Futterer/ Eisenschmid, Mietrecht, 7. Aufl., § 539 Rdnrn. 29-41, jew. m.w.Nachw.; kritisch dagegen Wichert ZMR 2000, 65). 2. Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes ist hieran festzuhalten. Von dieser Rechtsprechung geht an sich auch die Revision aus; sie meint jedoch, die bisher praktizierte analoge Anwendung des § 539 BGB a.F. sei im Hinblick auf die Neuregelung der §§ 536b, 536c BGB n.F. und das Fehlen einer Übergangsregelung jetzt auch für Altfälle nicht mehr gerechtfertigt. Insoweit komme allenfalls noch der Tatbestand der Verwirkung (§ 242 BGB) in Betracht. Das trifft nicht zu. Das Mietrechtsreformgesetz ist am 1. September 2001 in Kraft getreten (Art. 11) und ist daher, soweit es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das hier streitige Rechtsverhältnis erfaßt, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen (BGHZ 9, 101). Der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 3 EGBGB ist zu ent-
nehmen (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/4553 S. 75), daß der Gesetzgeber das neue Mietrecht - abweichend von dem in Art. 170 EGBGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken - grundsätzlich auf die vor seinem Inkrafttreten begründeten Verträge anwenden will (vgl. BGHZ 44, 192, 194; 10, 391, 394 f.). Dies kann jedoch nicht für die schon zuvor fällig gewordenen , als wiederkehrende Leistungen entstandenen einzelnen Mietzinsansprüche gelten, die durch Verlust des Minderungsrechts analog § 539 BGB a.F. der Höhe nach feststehen (vgl. BGHZ 10 aaO für geleistete Prämienraten). Auch soweit sie noch nicht erfüllt sind, leben die für diese Forderungen an sich bestehenden , analog § 539 BGB a.F. erloschenen Minderungsrechte nicht wieder auf. Auch die Übergangsvorschriften des Art. 229 § 3 EGBGB, insbesondere die in Absatz 1 genannten Tatbestände, lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die vor dem 1. September 2001 abgeschlossenen Sachverhalte von dem neuen Recht unberührt zu lassen. Das Landgericht hat daher zutreffend angenommen, der Beklagte habe für die Zeit bis einschließlich August 2001 sein Recht zur Minderung der Miete wegen der behaupteten Lärmbelästigung eingebüßt, weil er bereits seit der Jahreswende 1994/95 Kenntnis von diesem Mangel gehabt und dennoch bis Juni 1997 die Miete vorbehaltlos und ungemindert weitergezahlt habe. Die Feststellung des Berufungsgerichts, wonach die tatsächlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, die nach der bisherigen Rechtsprechung zu einem Ausschluß des Minderungsrechts führen, wird von der Revision nicht angegriffen.

III.

1. Für den Monat September 2001 hat der Beklagte jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts sein Recht zur Minderung der Miete nicht aus Rechtsgründen verloren. Insoweit kann die bisherige Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. nicht mehr herangezogen werden, weil durch die Neuregelung des Mietrechts ihre Grundlage entfallen ist.
a) Mietzinsansprüche entstehen für jeden Monat (oder sonstigen Bemessungszeitraum ) neu. Ab dem 1. September 2001 gelten deshalb, soweit nicht in Art. 229 EGBGB, insbesondere in Art. 229 § 3, etwas anderes bestimmt ist - was hier nicht der Fall ist -, die neuen Mietrechtsvorschriften auch für bestehende Mietverhältnisse (vgl. oben zu II, 2). Es stellt sich nunmehr die Frage, ob der Mieter wegen Lärmbelästigungen im Monat September 2001 - der Zeit, während der auch nach Inkrafttreten des neuen Mietrechts der Wohnwert seiner Wohnung gemindert gewesen sein soll - gemäß § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB "nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten" hat. Da § 539 BGB a.F. nicht mehr analog anzuwenden ist, könnte ein Rechtsverlust nur noch nach den Vorschriften der §§ 536b, 536c BGB stattfinden. Eine entsprechende Anwendung des § 536b BGB, der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getreten ist, auf Fälle der nachträglichen Kenntniserlangung des Mieters vom Vorliegen eines Mangels ist nach der neuen Rechtslage aber nicht (mehr) gerechtfertigt, so daß der Mieter sein Minderungsrecht nach § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB geltend machen kann.
b) Die Frage, ob und inwieweit sich die Reform des Mietrechts auf die bisherige Praxis des Ausschlusses des Rechts zur Mietminderung auswirkt, ist allerdings im Schrifttum umstritten und höchstrichterlich bisher nicht beantwor-
tet. Die bislang veröffentlichte Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich. Die obergerichtliche Rechtsprechung und ein Teil der Literatur vertritt - wie im vorliegenden Fall das Berufungsgericht - die Auffassung, daß die zu § 539 BGB a.F. entwickelten Grundsätze auch nach Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes für § 536b BGB gelten. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers sei nicht eindeutig festzustellen. Überdies seien die in den Gesetzesmaterialien angeführten Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung nicht tragfähig und in den neuen Vorschriften nicht erkennbar zum Ausdruck gekommen; sie seien daher für den Richter nicht bindend. Die Praxis sei auf die Heranziehung der Leitlinien angewiesen, die der Bundesgerichtshof zur Anwendung des § 539 BGB a.F. entwickelt habe und die sich bewährt hätten (so OLG Naumburg, Urteil vom 27. November 2001, NZM 2002, 251; OLG Dresden, Urteil vom 18. Juni 2002, NJW-RR 2002, 1163; Eckert, NZM 2001, 409; Haas, Das neue Mietrecht - Mietrechtsreformgesetz , Erl. zu § 536b BGB, Rdnrn. 3 und 4; Kossmann, Handbuch der Wohnraummiete, 6. Aufl., § 64 Rdnrn. 9 und 10; Lammel, Wohnraummietrecht , 2. Aufl., § 536b, Rdnrn. 19 ff.; Sternel, ZMR 2002, 1, 2; Timme, NZM 2002, 685, 687; offengelassen: KG ZMR 2002, 111). Nach der Gegenmeinung muß die bisherige Rechtsprechung für die neue Gesetzeslage aufgegeben werden; jedoch soll auch nach dieser Ansicht ein Verlust des Minderungsrechts künftig möglich sein, allerdings nur unter den strengeren Voraussetzungen der Verwirkung (§ 242 BGB). Einigkeit besteht darin, daß der in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 536b BGB n.F. zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers nicht ignoriert werden könne (Blank/Börstinghaus, Neues Mietrecht, § 536c Rdnrn. 8 und 9; Palandt /Weidenkaff, BGB, 62. Aufl., § 536b Rdnr. 8; Eisenschmid, WuM 2001,
215; Kinne, GE 2001, 1105; Langenberg, NZM 2001, 212, 213; Lützenkirchen, WuM 2002, 179, 187f; ders., Neue Mietrechtspraxis, Rdnr. 582 ff.; Wichert, Anm. zu KG, NZM 2002, 111/114). 2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Einer analogen Anwendung des § 536b BGB auf während der Mietzeit auftretende Mängel (§ 536c BGB) im Sinne der bisherigen Rechtsprechung steht der eindeutige Wille des Gesetzgebers des Mietrechtsreformgesetzes entgegen.
a) Ebensowenig wie bei den Vorschriften der §§ 539, 545 BGB a.F. läßt sich dem Wortlaut der Bestimmungen der §§ 536b, 536c BGB entnehmen, daß der Mieter sein Recht zur Minderung der Miete auch für die Zukunft verliere, wenn ein Mangel nach Abschluß des Mietvertrages oder Übernahme der Mietsache durch den Mieter eintritt oder wenn der Mieter von dem Mangel nachträglich Kenntnis erlangt und er dennoch über einen längeren Zeitraum die Miete ohne Vorbehalt und ungekürzt weiterzahlt. In § 536b BGB, der § 539 BGB a.F. entspricht, ist lediglich der Verlust des Minderungsrechts wegen eines anfänglich vorhandenen und bekannten - oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannten -, aber nicht gerügten Mangels geregelt. Hinsichtlich des nachträglich entstandenen oder bekannt gewordenen Mangels sieht das Gesetz in § 536c Abs. 2 Satz 2 BGB ebenso wie in § 545 BGB a.F. nur vor, daß der Mieter solange keine Minderung verlangen kann, wie er die Mangelanzeige an den Vermieter unterläßt und der Vermieter infolgedessen keine Abhilfe schaffen kann. Daraus folgt, daß der Mieter von dem in § 536c Abs. 2 Satz 2 BGB umschriebenen Zeitpunkt an zur Minderung berechtigt ist, solange der Mangel nicht beseitigt ist. Zahlt er dennoch zunächst über einen längeren Zeitraum und ohne jeden Vorbehalt die Miete ungekürzt weiter, kann er zwar - soweit ihm, wie im Regelfall beim heutigen Kenntnisstand der beteiligten Kreise anzunehmen, sein Recht zur Herabsetzung der Miete bekannt ist - die "Überzahlung" nicht
zurückfordern (§ 814 BGB). Der Gesetzestext schließt es aber nicht aus, daß er für die Zukunft immer noch mindern kann, ohne durch sein bisheriges Verhalten daran gehindert zu sein. Das ist beim anfänglichen Mangel anders, weil mit dem Unterlassen der rechtzeitigen Rüge das Minderungsrecht und alle anderen Gewährleistungsrechte des Mieters kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung endgültig verloren gehen.
b) Eine Analogie zu § 536b BGB in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu dem gleichlautenden § 539 BGB a.F. kommt nicht mehr in Betracht. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (vgl. dazu BGHZ 149, 165, 174; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 194 ff.; Canaris, Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 82 ff.) und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, daß angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlaß der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (so zuletzt BGH, Urteil vom 13. März 2003 - I ZR 290/00, ZIP 2003, 1204 unter II 2 b bb; vgl. auch BGHZ 105, 140, 143; 110, 183, 193; 120, 239, 252; 135, 298, 300). Die Lücke muß sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben. Eine derartige Regelungslücke war aus den von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes angenommenen Gründen für die frühere Gesetzeslage zu bejahen. Sie ist jedoch bei der jetzigen, durch das Mietrechtsreformgesetz geschaffenen Rechtslage nicht mehr vorhanden. In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 536b, der das Gesetzgebungsverfahren insoweit ohne Gegenäußerungen unverändert durchlaufen hat, heißt es aus-
drücklich, daß - bewußt - "davon abgesehen (wurde), im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 536b-Entwurf eine Regelung für den Fall zu treffen, daß der Mieter den Mangel erst nach Vertragsschluß erkennt und trotz Kenntnis des Mangels die Miete über einen längeren Zeitraum hinweg vorbehaltlos in voller Höhe weiterzahlt" (BT-Drucks. 14/4553 S. 41 f.). Sodann geht die Begründung auf die bisherige Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. ein, die sie als nicht gerechtfertigt bezeichnet und der sie mit dem Hinweis auf die "als ausreichend und sinnvoll" erachtete Regelung des § 545 a.F. und die "zusätzliche Handhabe" der §§ 242, 814 BGB zur rechtlich befriedigenden Lösung des Problems entgegentritt. Das Ergebnis dieser und weiterer Erwägungen wird schließlich dergestalt zusammengefaßt ("Somit gilt für Mängel Folgendes : ..."), daß damit klargestellt wird, bei § 536c BGB solle es sich um eine abschließende Regelung für nachträglich sich zeigende Mängel handeln. Wie in der Begründung des Entwurfs weiter ausgeführt wird, werde dies im Gesetz dadurch zum Ausdruck gebracht, daß "die beiden Vorschriften anders als bisher unmittelbar nacheinander angeordnet worden sind und ihr Anwendungsbereich auch durch die Überschriften deutlicher gekennzeichnet ist". Da der Gesetzgeber das Problem erkannt und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze erwogen, sich aber dennoch bewußt gegen eine derartige gesetzliche Regelung entschieden hat, bleibt für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke im Rahmen des § 536c BGB und die dadurch eröffnete Möglichkeit einer Analogie zu § 536b BGB kein Raum. 3. Da aufgrund des erklärten Willens des Gesetzgebers des Mietrechtsreformgesetzes , wie ausgeführt, eine planwidrige Regelungslücke für die hier zu entscheidende Frage nicht mehr angenommen werden kann und somit eine analoge Anwendung des § 536b BGB in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu § 539 BGB a.F. ausgeschlossen ist, kann der Mieter nunmehr
- mangels einer entgegenstehenden Übergangsvorschrift - die Miete grundsätz- lich auch wegen eines solchen Mangels (wieder) mindern, hinsichtlich dessen er nach altem Recht das Minderungsrecht für den früheren Mietzins verloren hatte (ebenso Lützenkirchen, WuM 2002, 179, 188; ähnlich insoweit wohl auch Haas aaO S. 105 Rdnr. 6). Die Minderung ist nur noch unter den Voraussetzungen des ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzichts (vgl. RG JW 1936, 2706 mit Anm. Roquette; Senatsurteil vom 19. September 1974 - VIII ZR 63/73, NJW 1974, 2233) oder des § 242 BGB, insbesondere der Verwirkung, ausgeschlossen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 62. Aufl., § 536b Rdnr. 8), wobei die Umstände des Einzelfalles sowie die Person des Mieters - Mieter von Wohnraum oder geschäftserfahrener Mieter von Gewerberaum - durchaus von Bedeutung sein können.

IV.

Eine abschließende Entscheidung der Frage, ob der Beklagte sein Minderungsrecht infolge Verzichts oder wegen Verwirkung für die Zeit ab 1. September 2001 verloren hat, und, falls dies zu verneinen ist, ob die behaupteten Lärmbelästigungen vorgelegen haben, ist dem Senat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht möglich. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das Landgericht ein Recht des Beklagten zur Mietminderung auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes am 1. September 2001 in entsprechender Anwendung des § 536b BGB verneint hat. In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im übrigen erweist sich die Revision als unbegründet. Dr. Deppert Dr. Beyer Dr. Deppert für den wegen urlaubsbedingter Abwesenheit an der Unterschriftsleistung verhinderten Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leimert Karlsruhe, den 15.07.2003
Dr. Wolst Dr. Frellesen