Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 99/19

bei uns veröffentlicht am22.05.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 99/19
vom
22. Mai 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:220519U5STR99.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Mai 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Oktober 2018 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch der Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
- Von Rechts wegen –

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Die hiergegen gerichtete und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die bislang strafrechtlich nicht auffällig gewordene Beschuldigte seit 1995 an paranoider Schizophrenie. Seit mehreren Jahren ist die psychotische Symptomatik chronifiziert, ohne dass es hierdurch bislang zu rechtswidrigen Taten gekommen ist. Die Erkrankung führte seit 1995 zu sieben stationären Krankenhausaufenthalten und zur Einrichtung einer Betreuung für die Bereiche Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung, Gesundheits- und Vermögensfürsorge sowie Vertretung vor Behörden.
3
Die krankheitsbedingt zurückgezogen lebende Beschuldigte, die starke Raucherin ist, nahm nach der letzten Entlassung aus mehrwöchiger stationärer Behandlung Ende November 2017 ihre Medikamente nur unregelmäßig. Am 17. Dezember 2017 befand sie sich in einer akuten Phase ihrer schizophrenen Grunderkrankung. Sie verwüstete in ihrer im 2. Obergeschoss eines sechsstöckigen Mehrfamilienhauses in gelegenen Mietwohnung ihre zum Wohnzimmer hin offene Küche, indem sie alles, was sie in die Hände bekam, auf den Boden warf. Weil sie zumindest unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt mit einer nicht mehr feststellbaren Feuerquelle hantierte, fing gegen 16 Uhr die Unterseite des im Wohnzimmer stehenden Esstisches an zu brennen. Das Feuer griff anschließend auf umliegende Gegenstände und in der Nähe befindliches Mobiliar wie etwa Stühle über.
4
Als es bereits stark brannte, zog sich die gehbehinderte Beschuldigte eine Jacke über, ging mit ihrem Rollator zur Wohnungstür und öffnete diese. Ein durch Schreie alarmierter Nachbar zog die paralysiert wirkende Beschuldigte von dort ins Treppenhaus und schloss die Tür. Die bald eintreffende Feuerwehr konnte den Brand löschen, bevor er auf das Gebäude übergriff. Aufgrund des Brandes kam es zu starken Verrußungen durch Rauchgasniederschläge insbesondere in der Küche und im Wohnzimmer sowie in dieser und der darunter gelegenen Wohnung zu Beschädigungen durch die Löscharbeiten. Etwa fünf Monate lang war die Wohnung der Beschuldigten deshalb nicht bewohnbar. Der Gesamtschaden beläuft sich auf über 40.000 Euro. Gegenüber dem eintreffenden Sanitäter äußerte die Beschuldigte, sie habe versucht, ihr altes Leben zu verbrennen. Mehrmals fiel dabei auch der Name A. , dem sich die Be- schuldigte in krankheitsbedingtem Liebeswahn durch telepathischen Kontakt verbunden fühlt. Die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten war bei Tatbegehung krankheitsbedingt aufgehoben.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als fahrlässige schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1, § 306d Abs. 1 StGB gewertet und eine Unterbringung der Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt, weil keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades vorliege, dass die Beschuldigte krankheitsbedingt zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Dies gelte auch bei Annahme einer Vorsatztat.

II.


6
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.
7
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prü- fung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen , dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Dezember 2017 – 5 StR 388/17, und vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41 mwN).
8
2. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
9
Das gilt namentlich für die von der Beschwerdeführerin beanstandete Gefährlichkeitsprognose. Das Landgericht hat dabei – im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2016 – 2 StR 108/16) – auf die bisherige Zeit der Erkrankung, das Verhalten der Be- schuldigten in der einstweiligen Unterbringung und die erstmalige Auffälligkeit mit einer rechtswidrigen Tat im Alter von 52 Jahren trotz bereits 14 Jahre dauernder Krankheit abgestellt. Zudem hat es zutreffend gesehen, dass die bloße Möglichkeit der krankheitsbedingten Begehung rechtswidriger Taten, wie sie die Sachverständige formuliert hat („kommen könne“), die Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306, 307; BVerfG, Beschluss vom 22. August 2017 – 2BvR 2039/16). Die Strafkammer hat damit eine höhergradige Wahrscheinlichkeit der krankheitsbedingten Begehung erheblicher Straftaten rechtsfehlerfrei abgelehnt.
10
Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Strafkammer letztlich nur von einer fahrlässigen Begehungsweise überzeugen konnte. Sie hat ihren Überlegungen zur Gefährlichkeitsprognose alternativ auch eine vorsätzliche Begehungsweise zugrunde gelegt und die Wahrscheinlichkeit der Be- gehung weiterer rechtswidriger Taten auf fahrlässige wie vorsätzliche Brandstiftungsdelikte bezogen.

Mutzbauer Sander König
Mosbacher Köhler

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(1) Wer in den Fällen des § 306 Abs. 1 oder des § 306a Abs. 1 fahrlässig handelt oder in den Fällen des § 306a Abs. 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer in den Fälle

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(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Wer in den Fällen des § 306 Abs. 1 oder des § 306a Abs. 1 fahrlässig handelt oder in den Fällen des § 306a Abs. 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer in den Fällen des § 306a Abs. 2 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 195/18
vom
11. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:111018U4STR195.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 15. Dezember 2017 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 10. Mai 2017 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter die Bremsschläuche auf beiden Seiten vollständig durchtrennt zu haben. Damit habe er erreichen wollen, dass der Geschädigte und wahrscheinlich auch die Mutter des Angeklagten bei der Teilnahme am Straßenverkehr infolge des Versagens der Bremsen einen schweren Unfall erleiden und versterben. Zumindest habe er dieses Risiko einkalkuliert und gebilligt. Als der Geschädigte zusammen mit der Mutter des Angeklagten am Abend des 21. November 2015 seinen Pkw in Betrieb genommen habe, sei es ihm auf abschüssiger Strecke gerade noch gelungen, das Fahrzeug vor dem Erreichen der Einmündung zu einer vielbefahrenen Straße durch das Anziehen der Handbremse zum Stehen zu bringen.

II.


3
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
1. Der Angeklagte leidet seit dem Jahr 1997 an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. In der Zeit vom 30. September bis zum 30. Dezember 1997 und in der Zeit vom 18. November 2002 bis zum 4. Februar 2003 war er deshalb stationär untergebracht. Mit Hilfe eines Betreuers und bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme gelang es ihm in der Folge seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Er fasste beruflich Fuß und führte zehn Jahre ein unauffälliges Leben.
5
Im Jahr 2013 glaubte der Angeklagte ohne Medikamente leben zu können und setzte deren Einnahme ab. Auch hielt er die Betreuung nicht mehr für erforderlich. In der Folge litt er unter formalen Denkstörungen und einer Beeinträchtigung der Impulskontrolle. Er hatte Wahnideen mit akustischen und optischen Halluzinationen. Hinzu kamen affektive Symptome wie Angst, Irritabilität und Dysphorie. Im Frühjahr 2015 verschärfte sich die Situation. Als sich seine Mutter am 11. Mai 2015 weigerte, den Angeklagten weiter finanziell zu unterstützen , reagierte er hierauf krankheitsbedingt verzweifelt und gereizt. Er beschimpfte sie als "Schlampe" und drohte ihrem Lebensgefährten mit dem Tode.
6
Am 27. Mai 2015 begab sich der Angeklagte erneut zur Wohnung seiner Mutter, um Geld zu fordern. Als er nicht eingelassen wurde, trat und schlug er so lange gegen die Wohnungseingangstür, bis Nachbarn die Polizei riefen. Die Geschädigten erwirkten daraufhin am 28. Mai 2015 gegen ihn ein Kontaktverbot. Der Angeklagte konnte dies in seinem psychotischen Zustand nicht verstehen und suchte immer wieder die Wohnung der Geschädigten auf. Dabei warf er Steine gegen die Wohnungsfenster und beschimpfte den Lebensgefährten seiner Mutter. Ein gegen ihn festgesetztes Ordnungsgeld führte zu keiner Veränderung.
7
2. Zur Anlasstat hat das Landgericht das Folgende festgestellt:
8
Am Abend des 20. November 2015 fühlte sich der Angeklagte einsam und verlassen. In seinem psychotischen Erleben machte er dafür die Geschädigten verantwortlich. Von "imperativen Stimmen überwältigt" glaubte er, "ein Zeichen setzen" zu müssen. Um dies zu erreichen, durchtrennte er in der Nacht vom 20. auf den 21. November 2015 an dem auf der Straße abgestellten Pkw des Lebensgefährten seiner Mutter mit einem mitgebrachten Seitenschneider auf beiden Seiten die Bremsschläuche. Dabei war ihm die naheliegende Gefahr bewusst, dass es bei der nächsten Benutzung des Pkw im Straßenverkehr zu einem Verkehrsunfall kommen könnte, falls es nicht gelänge, das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Dem Angeklagten war auch klar, dass die Geschädigten hierbei verletzt werden könnten. Dies nahm er "zumindest billigend in Kauf". Zu einer Steuerung seines Verhaltens war er in diesem Moment krankheitsbedingt nicht in der Lage.
9
Am Abend des 21. November 2015 traten die Mutter des Angeklagten und deren Lebensgefährte eine Fahrt mit dem Pkw an. Der Geschädigte startete das Fahrzeug und fuhr in eine "leicht abschüssige Straße" ein. Als er vor der Einmündung zu einer zu diesem Zeitpunkt viel befahrenen bevorrechtigten Hauptstraße bremsen wollte, stellte er fest, dass die Bremsen nicht reagierten. In dieser "konkret bedrohlichen Situation" zog er die Handbremse an und konnte so das sich bei dieser "Notbremsung" quer zur Fahrbahn stellende Fahrzeug kurz vor der Hauptstraße anhalten. Dadurch wurde ein Unfall mit dem dortigen fließenden Verkehr gerade noch vermieden.
10
3. Nachdem der Angeklagte am 23. November 2015 eine Sachbearbeiterin der Agentur für Arbeit in D. beleidigt und bedroht hatte, wurde er am selben Tage mit der Diagnose einer psychischen Dekompensation bei bestehender paranoider Schizophrenie in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Anschließend ließ er sich dort freiwillig bis zum 24. März 2016 stationär behandeln. Außerdem wurde ihm eine Betreuerin bestellt. Seit dem 1. März 2017 befindet er sich in einer Wohngruppe und geht bereits ab 2016 einer Vollzeitbeschäftigung nach.
11
4. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und versuchte vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 23 StGB bewertet. Ein bedingter Tötungsvorsatz lasse sich nicht sicher feststellen. Denn der Angeklagte habe nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mit einem tödlichen Verlauf des von ihm für möglich gehaltenen Unfalls rechnen müssen. Ein solcher Unfall sei bei dem alsbald zu erkennenden Bremsversagen in einem Wohngebiet mit den dort gefahrenen Geschwindigkeiten nicht zu befürchten gewesen. Der Verbrechenstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB liege nicht vor, weil die bloße billigende Inkaufnahme eines für möglich gehaltenen Unfalls für die Annahme eines Handelns in der Absicht, einen Unfall herbei zu führen, nicht ausreiche.
12
Für seine Tat könne der Angeklagte nicht bestraft werden, weil er aufgrund einer krankhaften seelischen Störung (vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit durch eine wahnhafte Fixierung in der akuten Phase einer paranoiden Schizophrenie) schuldunfähig gewesen sei.
13
Eine Unterbringung nach § 63 StGB sei nicht anzuordnen, weil derzeit nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

III.


14
Die gegen das gesamte Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sowohl der Freispruch als auch die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
15
1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem angehörten Sachverständigen rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen ist und deshalb freizusprechen war. Einwände hiergegen hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
16
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Strafkammer auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB nicht vorliegen. Zwar hat der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Bremsschläuche und dem dadurch verursachten "Beinahe-Unfall" (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Beschluss vom 4. September1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begangen, deren Strafbarkeit – anders als die von der Strafkammer zugleich angenommenen versuchten Körperverletzungen (§ 223 Abs. 2 StGB), bei denen es schon an den Verfolgungsvoraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB fehlt – allein an der festgestellten Schuldunfähigkeit scheitert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.), doch kann ihm eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden.
17
a) Eine Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB kommt nur dann in Betracht , wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei muss es sich um Taten handeln, die zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 mwN). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424 mwN). Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Le- benssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. mwN).
18
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
19
aa) Dass das Landgericht zu Unrecht einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz verneint und die Anlasstat deshalb mit zu geringem Gewicht in seine Gefährlichkeitsprognose eingestellt hat, ist nicht zu besorgen. Denn die zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen auf die Sachrüge zu beachtenden Rechtsfehler auf (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215; st. Rspr.).
20
(1) Die Annahme der Strafkammer, die festgestellten tatsächlichen Verhältnisse (schnelle Bemerkbarkeit der Funktionsuntüchtigkeit der Bremsen in einem Wohngebiet bei den dort gefahrenen Geschwindigkeiten), ließen einen sicheren Schluss auf das Fürmöglichhalten eines tödlichen Unfalls und dessen billigende Inkaufnahme seitens des dies bestreitenden Angeklagten nicht zu, verstößt nicht gegen gesicherte Erfahrungssätze. Vielmehr handelt es sich um eine mögliche Schlussfolgerung, die vom Revisionsgericht hinzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2018 – 4 StR 87/18, Rn. 18; Urteil vom 9. Februar 1957 – 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 210; st. Rspr.).
21
(2) Eine auf die Sachrüge hin zu beachtende Lücke in der Beweiswürdigung liegt nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Strafkammer mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für eine naheliegende andere Ge- schehensvariante als die von ihr angenommene nicht auseinandergesetzt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2018 – 2 StR 408/17, Rn. 7 mwN). Grundlage für die revisionsgerichtliche Beurteilung ist dabei allein das tatrichterliche Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN). Danach erweisen sich die Urteilsgründe nicht als lückenhaft. Dass es naheliegender Weise zu tödlich verlaufenden Kollisionen mit Fußgängern oder Fahrradfahrern hätte kommen können, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Konkrete Feststellungen, die auf ein beachtliches Fußgänger- oder Fahrradfahreraufkommen im tatortnahen Bereich schließen lassen, fehlen. Die Annahme, dass die Strafkammer die Einmündung zu der Vorfahrtsstraße und den "leicht abschüssigen" Verlauf der auf diese zulaufenden Straße nicht im Blick gehabt haben könnte, liegt fern. Soweit eine hinreichende Aufklärung tatsächlicher Verhältnisse vermisst wird, ist dies ein Mangel, der unter den hier gegebenen Umständen mit der Aufklärungsrüge geltend zu machen gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 16 mwN).
22
bb) Ebenso ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer eine Absicht zur Herbeiführung eines Unglücksfalls gemäß § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB für nicht belegt erachtet und die Anlasstat deshalb nur als Vergehen nach § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet hat. Absicht im Sinne des § 315 Abs. 3 StGB ist zielgerichtetes Wollen. Sie ist nur dann gegeben, wenn es dem Täter darauf ankam, den in Nummer 1 Buchst. a der Vorschrift beschriebenen Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329, 330; MünchKommStGB/Pegel, 2. Aufl., § 315 Rn. 88). Dass dem Angeklagten, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt hat, die Möglichkeit eines Unfalls infolge der Manipulation an den Bremsen bewusst war, reicht für die Annahme einer solchen Absicht nicht aus.
23
cc) Auch die Annahme des Landgerichts, es bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte aufgrund der bei ihm vorliegenden psychischen Erkrankung in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begehen wird, ist rechtsfehlerfrei begründet.
24
(1) Die sachverständig beratene Strafkammer hat ihre Ablehnung einer Gefährlichkeitsprognose auf die uneingeschränkte Krankheits- und Behandlungseinsicht des Angeklagten, seine Akzeptanz der mit seiner Erkrankung verbundenen Leistungsgrenzen, die erfolgte Adaption noch vorhandener Halluzinationen und Denkstörungen, seine zuverlässige Wahrnehmung von Terminen in der gemeindepsychiatrischen Ambulanz, seinen "momentan" stabilen Gesundheitszustand bei zuverlässiger Medikamenteneinnahme, sein gefestigtes und zur Gewährung von Hilfe bereites soziales Umfeld (betreute Wohngruppe, Vollzeitbeschäftigung , gesetzliche Betreuerin), seinen respektvollen Umgang mit seiner Mutter und seine Straffreiheit seit November 2015 gestützt. Auch weise er keine Persönlichkeitsstörung auf, neige nicht zu Gewalttätigkeiten und sei nicht dissozial. Alle angeführten Aspekte werden belegt. Damit hat das Landgericht die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung bei dem Angeklagten in den Blick genommen und auch auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogene Risikofaktoren angeführt. Danach liegen mehrere prognosegünstige Umstände vor, die trotz fortbestehender Grunderkrankung für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sprechen. Dass die Strafkammer mit Rücksicht hierauf die stationären Aufenthalte des Angeklagten in psychiatrischen Einrichtungen in den Jahren 2002 bis 2004 nicht nochmals ausdrücklich angeführt hat, stellt mit Blick auf den Zeitablauf und die langjährige Straffreiheit des Angeklagten keinen Erörterungsmangel dar.
25
(2) Dabei hat die Strafkammer ihren Beurteilungszeitraum nicht unzulässig verkürzt. Zwar trifft es zu, dass bei der auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu stellenden Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371) auch abzusehende zukünftige Entwicklungen in den Blick zu nehmen und in die Erwägungen einzustellen sind. Zwischenzeitlich erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen können daher die Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht hindern, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten rechtswidrigen Taten zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 30. August 1988 – 1 StR 358/88, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6). Eine solche Fallkonstellation ist hier aber nicht gegeben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es bei dem Angeklagten in absehbarer Zukunft zu einer Destabilisierung kommen kann, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, sodass auch kein Anlass bestand , auf diese Frage näher einzugehen. Die dafür von der Revision angeführten Gesichtspunkte (Abbruch der Medikation im Jahr 2013 trotz engmaschiger Betreuung nach 2003) drängten dies mit Rücksicht auf die vielfältigen Veränderungen bei dem Angeklagten nach der Anlasstat nicht auf.
26
(3) Schließlich hat das Landgericht – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, nicht darauf ankommt , ob die von dem Täter (aktuell noch) ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung oder andere Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs abgewendet werden kann. Ein derartiges täterschonendes Mittel würde erst bei der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung Bedeutung erlangen können (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426; Urteil vom 31. Mai 2012 – 3 StR 99/12, Rn. 10; Urteil vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07, Rn. 14; Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28). Eine solche fortbestehende Gefahr hat das Landgericht nicht angenommen. Vielmehr ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Angeklagten aufgrund seiner persönlichen Entwicklung und der Veränderung seines Umfeldes schon keine eine Unterbringung nach § 63 StGB mehr rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose gestellt werden kann. Dass es dabei als einen von vielen prognosegünstigen Faktoren auch die bereits wirksame Hilfe durch die inzwischen eingesetzte Betreuerin herangezogen hat, ist nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 – 4 StR 609/99).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 108/16
vom
23. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:231116U2STR108.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Zeng, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 2. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte in den Abendstunden des 1. Juni 2013 in die Innenstadt von D. . Im Laufe des Abends nahm er eine nicht näher bestimmbare Menge alkoholischer Getränke zu sich.
3
Gegen 23.35 Uhr näherte sich der ziellos umherirrende, aufgebrachte und erheblich alkoholisierte Angeklagte (Tatzeit-BAK 2,94 Promille) dem zu diesem Zeitpunkt stark frequentierten Außenbereich eines Bistro und schrie laut herum („Ihr Schweine, ihr habt meine Kinder gefickt“). Sodann wandte er sich ohne erkennbaren Anlass dem an einem Bistrotisch sitzenden – ihm bis dato unbekannten – Gast L. zu und trat gegen die Lehne des Stuhls, auf dem der Geschädigte saß, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Nachdem L. aufgestanden war und den Angeklagten aufgefordert hatte, sich zu entfernen , schrie dieser zunächst unverständliche Sätze. Sodann ging der Angeklagte einige Meter weiter, ergriff unvermittelt einen Stuhl aus Metall und schleuderte diesen ziellos durch die Luft; er traf den ihm unbekannten und unbeteiligten Gast K. im Gesicht, der dadurch eine Augapfelprellung und weitere Verletzungen im Gesicht erlitt; diese Verletzungen nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf.
4
Als der Angeklagte bemerkte, dass er K. getroffen hatte, entfernte er sich zügigen Schrittes. Er wurde kurze Zeit später in der Nähe des Tatorts festgenommen. Hierbei zeigte er sich zunächst kooperativ und händigte seinen Personalausweis aus. Als die Polizeibeamten aufgrund der vorherigen Geschehnisse die dann durchzuführenden Standardmaßnahmen ankündigten, schlug das Verhalten des Angeklagten schlagartig um. Er warf sich zu Boden, klagte laut weinend über seine Familiensituation, sprang plötzlich auf, beschimpfte und beleidigte die Polizeibeamten. Daraufhin brachten diese den Angeklagten zu Boden und fixierten ihn unter Mithilfe von zwei weiteren zur Unterstützung angeforderten Beamten. Derweil wand sich der Angeklagte weiter unentwegt und schrie lautstark, wobei er die Beleidigungen und Beschimpfungen fortsetzte. Sodann verbrachten die Beamten den Angeklagten zum Polizeipräsidium S. , wo er sich zunächst beruhigte. Nach erfolgter Blutentnahme und Verbringung in eine Zelle erhielt das Verhalten des Angeklagten erneut einen aggressiven Schub, was sich in 15-minütigen, dabei pausenlosem und äu- ßerst impulsivem Hämmern und Stoßen mit der Schulter gegen die Zellentür äußerte.
5
Nach Überzeugung des Landgerichts war der Angeklagte zum Zeitpunkt der Geschehnisse strafrechtlich nicht verantwortlich, da seine Fähigkeit, nach seiner Unrechtseinsicht zu handeln, zu den Tatzeitpunkten aufgrund einer unbehandelten bipolaren affektiven Störung und einer akuten Alkoholintoxikation nicht ausschließbar aufgehoben gewesen sei.
6
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Angeklagten darstellt, darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Senat , Beschluss vom 26. März 2015 – 2 StR 37/15). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
8
a) Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer unbehandelten manischdepressiven Störung (bipolare Störung/Affektstörung) und einer Alkoholabhän- gigkeit leidet und die Affektstörung leitführend sei, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37). Das Landgericht beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Krankheitsgeschichte des Angeklagten und das Ergebnis der gutachterlichen Einschätzung mitzuteilen, ohne jedoch zu erörtern, worauf diese im Einzelnen beruht. Den insoweit knappen, formelhaft gefassten Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die die gutachterliche Diagnostik tragenden Befunde noch die Symptome des Störungsbildes oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Die entsprechende Darlegung war schon deshalb geboten, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen bereits seit Februar 2012 ambulant psychiatrisch behandelt wurde, die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung, einer Verhaltensstörung durch Alkohol und eines Abhängigkeitssyndroms aber erstmalig im Rahmen einer stationären Behandlung zwischen dem 18. September und 24. Oktober 2013 – also drei Monate nach den Taten – gestellt wurde und er seither nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Nicht nachvollziehbar dargelegt ist auch die Einschätzung des Sachverständigen, dass zwar von einer wechselseitigen Beeinflussung der beiden Krankheitsbilder des Angeklagten auszugehen sei, die Affektstörung gegenüber der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten aber leitführend sei.
9
b) Dass die Strafkammer darüber hinaus nach einer Gesamtschau aller Umstände davon ausgegangen ist, dass sich die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten „nicht ausschließen“ lässt (UA S. 11), be- sagt noch nicht, dass für die Anordnung der Unterbringung die Voraussetzungen zumindest des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat zweifelsfrei festgestellt sind.
10
c) Die Begründung des Landgerichts für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet auch in einem weiteren Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
Nach den in den Urteilsgründen referierten Ausführungen des Sachverständigen liegt es nahe, dass erst das Zusammenwirken der diagnostizierten Affektstörung mit der beim Angeklagten ebenfalls bestehenden akuten Alkoholintoxikation "nicht ausschließbar" zu einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Dass das Landgericht hierüber ohne Erörterung hinweggeht , lässt besorgen, dass es die besonderen Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei gleichzeitigem Vorliegen einer psychischen Störung und einer Suchterkrankung nicht bedacht und deshalb die in einem solchen Fall auch in Betracht kommende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) von der Strafkammer überhaupt nicht in den Blick genommen hat.
12
d) Schließlich ist auch die Gefahrenprognose nicht tragfähig begründet. Die Unterbringung als außerordentlich beschwerende Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (Senat, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15). Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und der Symptomtat sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307). Als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (Senat, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73). Der Umstand, dass die letzte Verurteilung des Angeklagten vom September 2011 datiert, hätte daher im Rahmen der individuellen Gefährlich- keitsprognose Berücksichtigung finden müssen; das bloße Abstellen auf das statistische Rückfallrisiko bei Unterbleiben einer Behandlung genügt nicht.
13
3. Im Hinblick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO war der Senat durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuheben. Appl Krehl Zeng Bartel Grube

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 9 3 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Januar 2014 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 15 Fällen, hiervon in elf Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

I.


2
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
3
1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Schwerhörigkeit sowie einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung (Gesamt-IQ 49). 2004 heiratete er die in Russland lebende Mutter der am 22. November 1995 geborenen Geschädigten. Während die Mutter bald nach Deutschland übersiedelte und in die Wohnung des Angeklagten einzog, konnte die Geschädigte ihrer Mutter erst im Sommer 2007 folgen. Die Geschädigte ist wie ihre Mutter gehörlos und beherrschte zunächst nur die russische Gebärdensprache.
4
Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft fragte der Angeklagte die Geschädigte mittels Gebärden, ob sie mit ihm "Sex machen" wolle. In der Folgezeit rieb er wiederholt seinen erigierten Penis zwischen den nackten Gesäßhälften der Geschädigten. Spätestens seit Herbst 2008 führte er regelmäßig, mindestens aber in 15 Fällen, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter durch; in einem Fall erfolgte zudem Oralverkehr, in einem weiteren Fall versuchter Analverkehr (Fälle II. 1. bis 15. der Urteilsgründe), wobei die Geschädigte in vier Fällen nicht ausschließbar bereits 14 Jahre alt war (Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe).
5
Der Angeklagte hat das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt, wobei er aber die Initiative hierfür der Geschädigten zugeschrieben hat, die ihn "verliebt gemacht" habe.
6
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Intelligenzminderung, die in ihrem Schweregrad das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns" erfülle, erheblich vermindert gewe- sen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen. Aufgrund der weiterhin bestehenden Intelligenzminderung seien in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten.

II.


7
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
9
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Geboten ist insbesondere eine Auseinandersetzung damit, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14 mwN).
10
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften dauerhaften Zustand leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und wie sich dieser Zustand in der konkreten Tat ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, NStZ-RR 1998, 106).
11
Das Landgericht hat insoweit "in Übereinstimmung" mit dem Sachverständigen lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund seiner Intelligenzminderung "nur schwer" in der Lage gewesen, aus seiner (erhalten gebliebenen ) Unrechtseinsicht "die Schlussfolgerung zu ziehen, keine sexuellen Handlungen mit seiner Stieftochter zu begehen". Er sei in der Fähigkeit, seinen sexuellen Trieb und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zu kontrollieren , erheblich beeinträchtigt gewesen.
12
Diese knappen Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Annahme des Sachverständigen - und ihm folgend des Tatgerichts - beruht, dass die Missbrauchstaten auf die Intelligenzminderung und nicht etwa auf andere Ursachen, wie zum Beispiel eine sexuelle Präferenz des Angeklagten, zurückgehen. Überhaupt fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen hatte. Auch im Hinblick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit fehlt jede tatbezogene Betrachtung.
13
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich daher nicht die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner Intelligenzminderung bei allen Taten jeweils sicher im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt.
14
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose wird durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen.
15
a) Die der Entscheidung der Strafkammer zugrunde gelegte Bewertung des Sachverständigen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen körperlicher sexueller Reife und sozialer Kompetenz des Angeklagten in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten seien, ist nicht im Einzelnen mit Tatsachen belegt.
16
Richten sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person oder haben sie in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89, NZV 1990, 77 mwN; Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2006 - 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29). Das Landgericht hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Angeklagten, Einfluss und Eindruck auf erwachsene Frauen als mögliche Sexualpartnerinnen auszuüben, wegen seiner Intelligenzminderung erheblich eingeschränkt seien, weshalb eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf schwächere Bezugspersonen in Gestalt von jungen Mädchen weiterhin zu befürchten sei.
17
Dabei hat das Gericht schon nicht berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 38jährige und nicht vorbestrafte Angeklagte seit 2004 verheiratet ist und mit seiner Frau eine gemeinsame, 2008 geborene Tochter hat. Worauf die Annahme der Kammer gründet, dass die Möglichkeiten des Angeklagten , erwachsene Sexualpartnerinnen zu finden, tatsächlich eingeschränkt sind, wird nicht ausgeführt.
18
Aber auch die Bewertung, dass eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf junge Mädchen weiterhin zu befürchten sei, lässt eine Erörterung tatspezifischer Umstände vermissen; denn bei der durch die Missbrauchstaten Geschädigten handelte es sich um die mit dem Angeklagten in einem Haushalt lebende Stieftochter, die zudem gehörlos ist und erst unmittelbar vor den ersten sexuellen Übergriffen nach Deutschland gekommen war. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte wieder die Gelegenheit haben könnte, entsprechend nachhaltig auf ein solchermaßen schutzbedürftiges junges Mädchen einzuwirken, hat die Strafkammer weder mitgeteilt noch sind solche ersichtlich, zumal auch die jüngere Schwester der Geschädigten schon 2011 aus der Familie genommen und den Eltern die elterliche Sorge entzogen worden ist.
19
b) Die Ausführungen der Strafkammer lassen zudem besorgen, dass sie bei der Gefährlichkeitsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten besteht. Die Kammer hat sich insoweit "nach eigener Prüfung" den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, der davon ausgegangen ist, dass "in jedem Fall" ähnlich gelagerte Straftaten zu erwarten seien. Sie ist dann mit ergänzenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass Missbrauchstaten gegen junge Mädchen weiterhin "zu befürchten" seien, ohne sich zu dem Grad der Wahrscheinlichkeit überhaupt zu verhalten und diesen tatsachengestützt zu begründen.
20
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird sich naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen erneut mit der Intelligenzminderung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen haben.
21
Schuld- und Strafausspruch können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen könnten. Denn das Landgericht hat auf breiter Tatsachengrundlage es zum einen dargestellt, dass der Angeklagte, der eingeräumt habe zu wissen, dass man seine Stieftochter "nicht anfassen" dürfe, trotz seiner Intelligenzminderung das Unrecht seiner Tat erkannt habe. Es hat zum anderen ausgeführt, dass eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen werden könne, weil den Missbrauchstaten jeweils eine nicht unerhebliche Planung der Ausführung vorausgegangen sei, der Angeklagte zielgerichtet nach Möglichkeiten der Ausführung gesucht und dabei zahlreiche Sicherungstendenzen gezeigt habe.
22
Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem jeweils gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13). Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel