Bundesgerichtshof Urteil, 19. Jan. 2017 - 4 StR 443/16

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:190117U4STR443.16.0
published on 19/01/2017 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 19. Jan. 2017 - 4 StR 443/16
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 443/16
vom
19. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:190117U4STR443.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Januar 2017, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Bender, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers , Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerinnen R. und O. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Juni 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist, im zweiten Rechtsgang eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zehn Monaten festgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten. Er wendet sich mit Einzelangriffen gegen die Strafzumessung und erstrebt die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB.
2
1. Die gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts gerichteten Beanstandungen des Beschwerdeführers dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.
3
2. Das Landgericht hat entgegen der Auffassung des Angeklagten und des Generalbundesanwalts zu Recht davon abgesehen, im zweiten Rechts- gang (erneut) die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen. Einer solchen Prüfung stand die – auch insoweit – eingetretene Teilrechtskraft des in dieser Sache im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils entgegen.
4
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
5
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 21. Mai 2015 wegen der oben genannten Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. In diesem Urteil hatte das Landgericht unter anderem geprüft, ob gegen den Angeklagten eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB zu treffen ist, und dies – sachverständig beraten – verneint. Auf die gegen dieses Urteil unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss vom 2. Dezember 2015 das Urteil im Strafausspruch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen auf, weil es das Landgericht versäumt hatte, den Vollstreckungsstand möglicherweise gemäß § 55 StGB einbeziehungsfähiger Strafen aus zwei Vorverurteilungen mitzuteilen. Im Umfang der Aufhebung verwies der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wurde verworfen. Im zweiten Rechtsgang ist das Landgericht davon ausgegangen , dass durch die Senatsentscheidung neben dem Schuldspruch u.a. auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in (Teil-) Rechtskraft erwachsen ist. Mit der Frage einer Unterbringungsanordnung hat es sich in seinem Urteil deshalb nicht mehr befasst.
6
b) Die Auffassung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
7
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen (BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137; Gericke in Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., § 353 Rn. 31). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (BGH aaO; Wohlers in Systematischer Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 354 Rn. 79; Wiedner in Beck'scher Online-Kommentar StPO, Stand: 1. Oktober 2016, § 354 Rn. 99). Das bedeutet, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Aber auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Rechtsfolgen eintreten , wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dies, wenn das Tatgericht auf weitere Rechtsfolgen erkannt hat, die von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind, was sich nach den für die Rechtsmittelbeschränkung geltenden Grundsätzen richtet (BGH aaO; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 353 Rn. 8; Wohlers aaO, § 353 Rn. 13). Dies kann etwa der Fall sein, wenn neben der Strafe Sicherungsmaßregeln nach §§ 63 ff. StGB angeordnet worden sind (BGH, Urteil vom 29. August 1984 – 4 StR 397/85, BGHSt 33, 306, 310 [Entziehung der Fahrerlaubnis ]; Beschluss vom 4. August 1982 – 3 StR 206/82, NStZ 1982, 483 [Maßregel nach § 63 StGB]; Meyer-Goßner aaO, § 353 Rn. 8 mwN). Nichts anderes gilt, wenn der Tatrichter die Frage einer Maßregelanordnung geprüft, jedoch von einer solchen Anordnung abgesehen hat (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2002 – 5 StR 573/01). Maßgebend für den Umfang einer Aufhebung ist insoweit die Formulierung im Tenor der revisionsgerichtlichen Entscheidung (BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, aaO; vgl. auch Gericke aaO, § 353 Rn. 20). Dabei umfasst die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs alle Rechtsfolgen der Tat, unabhängig davon, ob diese vom erstinstanzlichen Gericht angeordnet worden sind, während die Aufhebung des Strafausspruchs lediglich die zur Ahndung der verfahrensgegenständlichen Tat zu verhängenden Strafen betrifft (vgl. Wiedner aaO, § 353 Rn. 44).
8
c) Dies zugrunde gelegt, ist im Hinblick auf die im ersten Urteil erfolgte Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB Teilrechtskraft eingetreten.
9
Nach der Entscheidungsformel des Senatsbeschlusses vom 2. Dezember 2015 wurde das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Landgerichts – ausschließlich – im Strafausspruch aufgehoben; die Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB als weitere – vom Landgericht abgelehnte – Rechtsfolge war hiervon mithin nicht erfasst. Hätte der Senat seine aufhebende Entscheidung auch auf die Nichtanordnung der Maßregel erstrecken wollen, wäre dies in der Beschlussformel zum Ausdruck zu bringen gewesen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 4 StR 248/16; vom 13. März 2013 – 4 StR 28/13; vom 22. August 1995 – 4 StR 465/95).
10
Dem steht – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch nicht das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 1960 – 2 StR 221/60 (BGHSt 14, 381 ff.) entgegen. Zwar hat der Bundesgerichtshof in jenem Urteil unter Hinweis auf § 76 StGB aF, wonach Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung und Sicherung nur neben der Gesamtstrafe, nicht neben den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen zu verhängen und anzuordnen waren, entschieden, dass bei Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs auch die daneben angeordneten Nebenstrafen, Nebenfolgen oder Sicherungsmaßregeln bereits als gesetzliche Folge des § 76 StGB aF entfallen, und es deshalb eines diesbezüglichen gesonderten Ausspruchs in der Entscheidungsformel nicht be- durfte. Diese Rechtsprechung ist aber mit Wegfall des § 76 StGB aF überholt (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, aaO).
Sost-Scheible Roggenbuck Bender
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Annotations

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes unzureichend oder nicht ausführbar, weil nach der Anordnung eine der in den §§ 73c oder 74c bezeichneten Voraussetzungen eingetreten oder bekanntgeworden ist, so kann das Gericht die Einziehung des Wertersatzes nachträglich anordnen.