Bundesgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2015 - 4 StR 223/15

bei uns veröffentlicht am03.12.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 223/15
vom
3. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Dezember
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter – in der Verhandlung –,
die Nebenkläger in Person – in der Verhandlung –,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 15. Januar 2015 – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Neben- und Adhäsionskläger zu tragen; im Übrigen wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags zu der einheitlichen Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten , die mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge begründet ist. Die Nebenkläger wenden sich mit ihren auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen gegen die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begange- nen Totschlags und erstreben insoweit eine Verurteilung wegen Mordes. Während die Rechtsmittel der Nebenkläger durchdringen, erweist sich die Revision des Angeklagten als unbegründet.

I.


2
Nach den Feststellungen waren der zur Tatzeit 19-jährige Angeklagte und sein langjähriger, zwei Jahre jüngerer Freund, das spätere TatopferL. M. , am Abend des Tattags mit dem Fahrzeug des Angeklagtenunterwegs. Nachdem sie beim Autohof G. etwas gegessen hatten und sodann inder Umgebung herumgefahren waren, bogen sie von der Landstraße in einen Feldweg ab und hielten dort zunächst an einer Scheune an, um nachzusehen, was sich in der Scheune befand. Anschließend setzten sie ihre Fahrt über die Feldwege fort, bis sie an einer weiteren Scheune erneut anhielten. Beide stiegen aus und gingen zu der Längsseite der Scheune, an der sich ein großes, massives und verschlossenes Tor befand. Möglicherweise versuchte der Angeklagte mit einer mitgebrachten Metallstange ein Brett des Scheunentors beiseitezuschieben , während L. M. sich fortwährend mit seinem Mobiltelefon beschäftigte. Möglich ist auch, dass sich zwischen beiden eine kurze verbale Auseinandersetzung entwickelte, in deren Verlauf der Angeklagte seinem Freund vorhielt, dass es keinen Sinn mache, etwas zu schreiben, da die Mäd- chen ihn sowieso nicht wollten und ihn ständig „verarschten“, worauf L. M. entgegnete, dass der Angeklagte derjenige sei, der überhaupt nichts geregelt und für sein Alter „kein Mädchen an den Start bekomme“. Des Weiteren be- zeichnete L. M. den Angeklagten nicht ausschließbar als „armes Würst- chen“, was den Angeklagten verletzte. Zu darüber hinausgehenden Aggressivi- täten oder gar einer körperlichen Auseinandersetzung kam es aber nicht. L. M. nahm daraufhin sein Klappmesser und begann, sich damit im Bereich eines in dem Scheunentor wenige Zentimeter über dem Erdboden vorhandenen Lochs zu schaffen zu machen. Dabei kniete oder hockte er sich hin und drehte dem Angeklagten den Rücken zu.
3
Der Angeklagte entschloss sich spätestens jetzt, L. M. zu töten, wobei ihm bewusst war, dass das Tatopfer in dieser Situation mit keinem Angriff rechnete und einen Angriff von hinten nicht rechtzeitig genug bemerken würde, um sich noch wehren zu können. Der Angeklagte stellte sich hinter L. M. , holte mit der 1,11 m langen und 1.539 g schweren Metallstange aus und schlug dem Opfer in Tötungsabsicht mit voller Wucht von hinten auf den Hinterkopf. Infolge des Schlags kippte L. M. bewusstlos nach links zur Seite, sodass sein Körper mit dem Rücken und sein Kopf mit der rechten Gesichtshälfte auf dem Boden zu liegen kamen, und begann sofort stark im Kopfbereich und aus den Ohren zu bluten. Der Angeklagte schlug mindestens zwei weitere Male mit der Metallstange mit voller Wucht auf den Kopf des auf dem Boden liegenden bewusstlosen L. M. ein, um ihn sicher zu töten. Durch die Schläge auf den Kopf erlitt das Opfer u.a. ein hochgradiges Schädel-Hirn-Trauma mit umfangreichen Schädelbrüchen und Hirnverletzungen, die mit Sicherheit nach einiger Zeit zum Tod des Opfers geführt hätten.
4
In der Annahme, L. M. sei durch die Schläge bereits getötet worden oder werde in kurzer Zeit versterben, begab sich der Angeklagte nach dem letzten Schlag zu seinem Fahrzeug, legte die Metallstange in den Kofferraum und fuhr zur Landstraße zurück. Nachdem er die Metallstange am Rand eines Feldweges in den Straßengraben geworfen hatte, fuhr er wiederum zum Autohof G. , wo er sich kurze Zeit aufhielt. Da der Angeklagte den Verdacht, L. M. erschlagen zu haben, von sich weisen wollte, fasste er spätestens nach dem Verlassen des Autohofs den Entschluss, zurück zur Scheune zu fahren, die Polizei zu informieren und wahrheitswidrig anzugeben, er habe L. M. auf dessen Bitte allein an der Feldscheune absetzen sollen und ihn dann dort tot aufgefunden, als er ihn wieder habe abholen wollen. Als der Angeklagte wieder zu dem unverändert am Boden liegenden Tatopfer kam, stellte er aber fest, dass L. M. wider Erwarten noch nicht verstorben war. Er beschloss nunmehr, ihn endgültig zu töten. Mit einem aus seinem Fahrzeug herbeigeholten Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm schnitt er dem rücklings auf dem Boden liegenden Tatopfer, das wegen der durch die Schläge verursachten Schädelverletzungen zu keiner Abwehrreaktion mehr in der Lage war, mit erheblicher Kraftentfaltung den Hals über eine Länge von 11,5 cm bis zur Wirbelsäule durch, wobei er das Messer mindestens zweimal ansetzen musste. L. M. verstarb schließlich infolge der Halsschnitte an einem zentralen Hirnversagen in Kombination mit Verbluten.
5
In rechtlicher Hinsicht hat die Jugendkammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, ohne dies näher auszuführen, die Schläge mit der Metallstange als versuchten heimtückischen Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und die den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Messerschnitte als tatmehrheitlich begangenen Totschlag gewertet.

II.


6
1. a) Der Rechtsmittelangriff der Nebenkläger erfasst den gesamten Schuldspruch. Die mit Revisionseinlegung erklärte Beschränkung der Rechtsmittel auf die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangenen Totschlags erweist sich als unwirksam.
7
Zwar kann die Anfechtung eines Urteils nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs innerhalb einer prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO regelmäßig auf einzelne materiell-rechtlich selbständige Straftaten beschränkt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 318 Rn. 10 mwN). Eine wirksame Teilanfechtung setzt aber nach den allgemein für die Beschränkung von Rechtsmitteln geltenden Grundsätzen im Einzelfall voraus, dass sich die Anfechtung auf einen Beschwerdepunkt bezieht, der nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden kann, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; Beschluss vom 15. Mai 2001 – 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die abgeurteilten Angriffshandlungen des Angeklagten mit der Metallstange einerseits und dem Messer andererseits wegen der Mitursächlichkeit beider Handlungsakte für den eingetretenen Todeserfolg materiell-rechtlich nicht gesondert gewürdigt werden können (unten II. 2.).
8
b) Der Revisionsbegründung der Nebenkläger ist trotz verschiedener möglicherweise missverständlicher Ausführungen, die sich mit dem Strafausspruch des angefochtenen Urteils und der Höhe der verhängten Jugendstrafe befassen, noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Nebenkläger eine Verurteilung wegen vollendeten Mordes erstreben und damit ein zulässiges Rechtsmittelziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgen.
9
2. Die Revisionen der Nebenkläger sind begründet. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Denn auf der Grundlage der getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat sich der Angeklagte eines vollendeten Heimtückemordes schuldig gemacht, weil er bereits durch die Schläge mit der Metallstange eine Ursache für den später unmittelbar durch die Messerschnitte herbeigeführten Tod des Opfers setzte und dieser Ursachenzusammenhang von seinem ursprünglichen Vorsatz umfasst war.
10
a) Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben (BGH, Urteil vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29, 30). Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 – 3 StR 463/07 Rn. 21). Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Ob es sich bei dem mitwirkenden Verhalten um ein solches des Opfers oder um deliktisches oder undeliktisches Verhalten eines Dritten (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 2008 – 3 StR 463/07 aaO; vom 30. August2000 – 2 StR 204/00 aaO; vom 12. September 1984 – 3 StR 245/84, StV 1985, 100; vom 18. Juni 1957 – 5 StR 164/57, BGHSt 10, 291, 293 f.; vom 6. Juli 1956 – 5 StR 434/55, bei Dallinger, MDR 1956, 526) oder des Täters selbst handelt (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195, 198; vom 14. März 1989 – 1 StR 25/89, NJW 1989, 2479 f.; vom 26. April 1960 – 5 StR 77/60, BGHSt 14, 193, 194; vom 23. Oktober 1951 – 1 StR 348/51, bei Dallinger, MDR 1952, 16; RGSt 67, 258 f.), ist dabei ohne Bedeutung.
11
Danach waren die mit Tötungsabsicht geführten Schläge mit der Metallstange unbeschadet des Umstands, dass das Tatopfer unmittelbar an den Folgen der späteren Messerschnitte verstarb, für den Tod des Opfers ursächlich. Denn der Einsatz des Messers gegen das bewusstlose, bereits tödlich verletzte Opfer, um es endgültig zu töten, knüpfte an das vorausgegangene Geschehen an und wäre ohne die durch die Schläge mit der Metallstange geschaffene Lage nicht möglich gewesen.
12
b) Der Tod des Opfers als Folge der mit der Metallstange geführten Schläge ist dem Angeklagten auch subjektiv als von dem die Ausführung der Schläge tragenden Vorsatz mitumfasst zuzurechnen. Der Vorsatz des Täters muss sich auf den zum Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs führenden Geschehensablauf erstrecken (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1969 – 2 StR 376/69, BGHSt 23, 133, 135; vom 21. April 1955 – 4 StR 552/54, BGHSt 7, 325, 329). Da dieser indes kaum je in allen Einzelheiten zu erfassen ist, wird der Vorsatz durch unwesentliche Abweichungen des vorgestellten vom tatsächlichen Geschehensablauf nicht in Frage gestellt. Eine Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als unwesentlich anzusehen, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 676/10, BGHSt 56, 162, 166; Urteil vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00 aaO; Beschluss vom 11. Juli 1991 – 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 34; Vogel in LK-StPO, 12. Aufl., § 16 Rn. 56 ff. mwN). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist in Fällen, in denen bei Angriffen gegen das Leben der Tod des Opfers nicht unmittelbar durch die Angriffshandlung sondern durch vorsätzliches Handeln eines Dritten oder eine nicht mehr vom Tötungsvorsatz getragene Verdeckungshandlung des Täters herbeigeführt wurde, von der Rechtsprechung eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf verneint worden (vgl. BGH, Urteile vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00 aaO; vom 26. April 1960 – 5 StR 77/60 aaO; vom 6. Juli 1956 – 5 StR 434/55, aaO).
13
Im vorliegenden Fall ist nach den festgestellten Tatumständen eine lediglich unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf gegeben. Der Umstand, dass der Tod des durch die Schläge mit der Metallstange bereits tödlich verletzten Tatopfers unmittelbar durch die im Zuge der Bemühungen um eine Tatverschleierung mit gleicher Angriffsrichtung gegen das wider Erwarten noch nicht verstorbene Opfer geführten Messerstiche bewirkt wurde, bewegt sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertigt keine andere Bewertung der Tat.
14
c) Der Angeklagte hat sich durch die mit der Metallstange geführten Schläge gegen das Tatopfer damit eines vollendeten Mordes in der Tatbestandsalternative der heimtückischen Tötung schuldig gemacht. Der durch die Messerschnitte nach Auffassung des Landgerichts gleichfalls verwirklichte Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB tritt, da die Herbeiführung des Todeserfolgs dem Angeklagten strafrechtlich nur einmal angelastet werden kann, konkurrenzrechtlich hinter den Mord zurück (vgl. Rogall, JZ 1993, 1066, 1068).
15
d) Die Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2001 – 5 StR 432/00 – (NStZ 2002, 253) steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen, weil dem Urteil des 5. Strafsenats nicht zu entnehmen ist, ob die dort vorgenommene rechtliche Würdigung auf einer abweichenden Rechtsansicht oder einer einzelfallbezogenen Bewertung festgestellter Tatumstände beruht.
16
e) Die zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96; vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09 Rn. 27) – zur Aufhebung des Urteils. An der vom Generalbundesanwalt beantragten Schuldspruchänderung sieht sich der Senat durch die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO gehindert, da der Angeklagte, dem in der Anklage hinsichtlich der Schläge mit der Metallstange ein versuchter Mord angelastet worden ist, auf die Möglichkeit einer an die Schläge anknüpfenden Verurteilung wegen vollendeten Mordes bislang weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht hingewiesen worden ist.

III.


17
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
18
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der Verfahrensrügen ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts zu bemerken:
19
Die Verfahrensrüge, mit welcher der Beschwerdeführer ein Verwertungsverbot hinsichtlich der durch Zeugenvernehmung der jeweiligen Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei im Ermittlungsverfahren wegen des Unterbleibens einer Beschuldigtenbelehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie des Fehlens einer auf die Unverwertbarkeit früherer Angaben hinweisenden qualifizierten Beschuldigtenbelehrung geltend macht, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn dem Vortrag der Re- vision ist nicht zu entnehmen, ob die Widersprüche gegen die Verwertung rechtzeitig spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt im Anschluss an die Vernehmung der Vernehmungspersonen erfolgt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 225 f.; Diemer in KK-StPO, 7. Aufl., § 136 Rn. 28 mwN). Soweit sich die Revision unter dem Gesichtspunkt einer unterbliebenen qualifizierten Beschuldigtenbelehrung gegen die Verwertung der vom Angeklagten nach Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO gemachten Angaben wendet, wäre die Rüge aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen auch unbegründet, weil die Jugendkammer aufgrund der gebotenen Abwägung im Einzelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 170/09, NStZ 2009, 702, 703; Urteil vom 18. Dezember 2008 – 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112 Rn. 14 ff.; vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452) rechtsfehlerfrei ein Verwertungsverbot verneint hat.
20
Die Aufklärungsrüge, mit welcher der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer erneuten Befragung des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. K. beanstandet, erfüllt mangels Vortrags zu dem erwarteten Beweisergebnis (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 244 Rn. 81 mwN) nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Schließlich dringen auch die Beweisantragsrügen nicht durch, die sich auf die beantragte Einholung eines weiteren rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zur Zeitdauer des Auftretens von neutrophilen Granulozyten im Wundbereich beziehen. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf einer fehlerhaften Ablehnung dieser Beweisanträge beruht. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zum festgestellten Sachverhalt an keiner Stelle auf die für das Auftreten von neutrophilen Granulozyten erforderliche Zeitspanne abgestellt. Dies gilt entgegen dem Vorbringen der Revision auch für die Feststellung einer zeitlichen Zäsur zwischen den Schlägen mit der Metallstange und der Ausführung der Messerschnitte, die das Landgericht auf die Angaben des Angeklagten in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gestützt hat, welche die Jugendkammer als durch andere Beweisergebnisse bestätigt gesehen und als glaubhaft bewertet hat. Lediglich für die Frage, ob die rechtsmedizinischen Befunde den Angaben des Angeklagten in der Beschuldigtenvernehmung entgegenstehen , hat die Jugendkammer Überlegungen zur erforderlichen Zeitdauer für das Auftreten von neutrophilen Granulozyten angestellt, die aber für die vom Beschwerdeführer unter Beweis gestellte kürzere Zeitspanne erst recht zutreffen. Auch im Übrigen werden die vom Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung gezogenen Schlussfolgerungen durch das in den Beweisanträgen behauptete raschere Auftreten von neutrophilen Granulozyten im Wundbereich nicht in Frage gestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

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Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Nebenklägerin trägt ihre Auslagen selbst.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts planten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. einen Einbruch in ein Wohnhaus in Kronberg. Sie hatten den Tatort zuvor ausgekundschaftet und unter anderem auch in Erfahrung gebracht, dass die Bewohner tagsüber nicht zu Hause sein sollten. In Umsetzung ihres Tatplans begaben sie sich am 7. Juni 2013 gegen 14.15 Uhr zum Tatort. Sie führten eine Tasche mit Wechselkleidung mit sich; darüber hinaus zwei Strumpfmasken wegen der vor Ort vorhandenen Überwachungskameras sowie eine Rolle Klebeband, um ein Fenster vor dem Einschlagen abkleben zu können. Da sie sicher gehen wollten, dass tatsächlich niemand zu Hause war, klingelte der gesondert Verfolgte B. während sich der Angeklagte vor der Haustür postierte. Es öffnete die Zeugin St. , woraufhin der Angeklagte und B. ihren Tatplan spontan dahin erweiterten, nunmehr unter Überwältigung der Zeugin St. in das Haus einzudringen und nach Wertgegenständen Ausschau zu halten.
3
Der Angeklagte drängte die Zeugin sogleich ins Haus, fesselte sie mit einem im Flur entdeckten Strickschal an Händen und Beinen und warf ihr eine Wolldecke über den Kopf. Sodann begannen beide Täter das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Die aufgefundene Beute (Schmuck und Bargeld ) verstauten sie in einer am Tatort aufgefundenen Sporttasche. Währenddessen rief die unter Atemnot leidende Zeugin um Hilfe und bat um Wasser. Der Angeklagte reichte ihr eine Tasse Kaffee, die die Zeugin mit ihrer aus der Fesselung befreiten rechten Hand ergriff und gegen eine Fensterscheibe warf. Sie rief nun laut um Hilfe. Der Angeklagte und der hinzukommende B. fesselten die Hände der Zeugin mit am Tatort aufgefundenen Kabelbindern fest auf ihren Rücken und verklebten ihr den Mund mit dem mitgeführten Klebeband. Anschließend setzten beide Täter die Durchsuchung fort und entdeckten weiteres Bargeld, das sie an sich nahmen. Als es an der Haustür klingelte, trugen die Täter die gefesselte Zeugin in den Keller und flüchteten aus dem Haus. Unterwegs entledigten sie sich sowohl der Tasche mit Wechselkleidung als auch der Tasche mit der Beute. Der Angeklagte konnte gegen 17.00 Uhr hinter einer naheliegenden Kleingartenanlage festgenommen werden. Beide Taschen wurden alsbald aufgefunden.
4
Die Zeugin erlitt infolge der strammen Fesselung starke Hämatome und Druckstellen an den Handgelenken. Eine traumatische Affektion verschiedener Nerven riefen Taubheitsgefühle in der rechten Hand und am linken Daumen hervor, die bis heute anhalten.
5
2. Die Kammer hat die Tat wegen der strammen Fesselung der Zeugin als „schweren Raub“ gemäߧ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet und unter Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.


6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Löwe/Rosenberg-Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).
8
Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Allein der Umstand, dass die Revisionsführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge einleitend ausgeführt hat, das Landgericht habe die Tat „insbesondere“ rechtsfehlerhaft als minder schweren Fall gewertet, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12 mwN).
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
10
Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35 und 38).
11
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen wirksam.
12
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch eine rechtfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, dass die Tatplanerweiterung des Angeklagten und seines Mittäters auf einem spontanen und erst vor Ort gefassten Entschluss beruhte. Die Feststellungen, dass es sich insoweit um eine Spontantat handelte, sind jedoch nicht tatbestandsrelevant. Der Tatvorsatz liegt unabhängig davon vor, wann der Tatentschluss gefasst wurde und zu welchem Zeitpunkt er in welchem Maße vor dem Eindringen der Täter in das Haus konkretisiert war, weshalb der Schuldspruch von dem Revisionsangriff in jedem Fall unberührt bliebe.
13
Bei einer Teilaufhebung wäre hier auch nicht zu befürchten, dass die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung unter inneren Widersprüchen litte. Veränderte Feststellungen zum Zeitpunkt des konkreten Tatentschlusses des Angeklagten würden die Gesamtentscheidung lediglich modifizieren und nicht widersprüchlich erscheinen lassen.

III.


14
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
15
1. Die den strafzumessungsrelevanten Feststellungen der Strafkammer zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter Berücksichtigung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs frei von Rechtsfehlern.
16
Dies gilt auch im Hinblick auf die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nur einen Einbruchdiebstahl geplant und ihren Tatentschluss erst vor Ort auf die Ausführung eines Raubes erweitert haben, denn das Gericht hat sich auch insoweit seine Überzeugung auf einer ausreichenden objektiven Beweisgrundlage gebildet.
17
Zwar war es zur Überprüfung der Anwesenheit eines Hausbewohners nicht erforderlich, dass sich der Angeklagte beim Klingeln unmittelbar vor der Haustür postierte. Dieses Vorgehen ist aber nicht als derart ungewöhnlich risikoreich zu werten, dass es als gewichtiges Indiz für einen von vornherein geplanten Raub hätte gewertet werden müssen. Denn auch dann, wenn ein Täter nur einen Einbruch plant, kann er auf das unerwartete Öffnen der Tür durch einen Hausbewohner noch mit der unverdächtig erscheinenden Nachfrage nach einer angeblich dort wohnhaften Person reagieren. Für einen zunächst nur geplanten Einbruchdiebstahl sprach ohne Weiteres, dass der Angeklagte und sein Mittäter ausschließlich für einen Einbruch nützliche Gegenstände mit sich führten und demgegenüber keine Vorsorge für die Fesselung bzw. Ruhigstellung eines anwesenden Hausbewohners getroffen hatten. Zur Fesselung der Zeugin St. wurde ein vor Ort aufgefundener Schal verwendet. Nachdem sich diese Fesselung bereits nach kurzer Zeit als unzureichend erwiesen hatte, mussten der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nach anderen Mitteln zur Fesselung suchen. Auch auf die Idee, das mitgeführte Klebeband zur Fesselung zu nutzen , kamen sie nicht.
18
2. Der Strafausspruch hält auch im Übrigen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens zeigt auch die Revision nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände (umfassendes Geständnis, junges Alter des Angeklagten, Unbestraftheit, Erstverbüßer, spontane Tatplanerweiterung, gewisser Dilettantismus und wenig vorausschauende Planung der Tat) ist daher die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.
19
3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301 StPO).
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 204/00
vom
30. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller,
Detter,
Rothfuß,
Hebenstreit
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Juni 1999 mit den Feststellungen - ausgenommen denjenigen zum äußeren Tathergang - aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

1. Das Landgericht hat beide Angeklagten des versuchten Totschlags schuldig gesprochen; die Angeklagte S. hat es zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten W. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts; sie erstrebt die Verurteilung beider Angeklagten wegen vollendeten Mordes. Das Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg.
2. Das Landgericht hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt : Die beiden Angeklagten, die damals 17-jährige R. S. und ihr seinerzeit 20 Jahre alter Freund Sa. W. , lebten zusammen in einem kleinen Haus, das ihnen R. s Pflegemutter zur Verfügung gestellt hatte; sie selbst bewohnte mit weiteren Pflegekindern, darunter der 15-jährigen J. K. , ein größeres Haus in der Nähe. Zwischen der Angeklagten und J. traten im Laufe der Zeit Spannungen auf. Die Angeklagte nahm es J. insbesondere übel, daß diese der Pflegemutter R. s Schwangerschaft offenbart und sie einmal zu Unrecht verdächtigt hatte, der Pflegemutter 20,00 DM gestohlen zu haben; sie sann daher auf eine Gelegenheit, J. eine "gründliche Abreibung" zu verpassen. Diese Gelegenheit bot sich, als die Pflegemutter ein Sängerfest im Dorf besuchte und J. in deren Haus allein war. Die Angeklagte ging am Abend zu ihr, traf sie an und begann einen Streit. Die beiden Frauen rauften sich in den Haaren. Die Angeklagte schlug dabei J. zu Boden und brachte ihr mit einem Klappmesser insgesamt 16 Stichverletzungen bei. Anfangs stach sie ihr in den Bauch und in den Rücken. Mit weiteren Stichen fügte sie ihr Verletzungen an den Armen, der linken Hand und am Halse zu. Schließlich versetzte sie ihr "in Tötungsabsicht" mehrere wuchtige Messerstiche ins Gesicht, von denen einer das Nasenbein zertrümmerte, ein anderer den Oberkiefer durchtrennte und drei Zähne herausbrach. Beim letzten Stich blieb das Messer so fest im Gesicht stecken, daß die Angeklagte es nicht mehr herausziehen konnte. J. lebte zwar noch, war aber so zugerichtet, daß die Angeklagte sie für tot hielt. Anschließend lief die Angeklagte nach Hause und berichtete ihrem Freund, dem Angeklagten, sie habe J. erstochen. Beide kehrten dar-
aufhin zum Tatort zurück, um die Spuren der Tat zu beseitigen. Während die Angeklagte draußen blieb, drang der Angeklagte in das Haus ein und fand dort J. , die mit blutüberströmtem Kopf regungslos auf dem Rücken lag. Da sie Geräusche von sich gab, die sich wie ein Röcheln anhörten, nahm der Angeklagte zutreffend an, daß sie noch lebe. Er zog ihr das Messer aus dem Gesicht , wusch sich die Hände und suchte nach einem Gegenstand, um die - wie er annahm - bereits Sterbende zu töten. Mit einer beidhändig gehaltenen Wasserflasche schlug er auf ihren Kopf ein, so daß ihr Stirnbein zersplitterte. Das röchelähnliche Geräusch hielt jedoch an - J. war noch nicht tot. Der Angeklagte legte daraufhin eine Jeansjacke über ihr Gesicht, warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und würgte sie dann. Danach versuchte er, ihren Körper aus dem Zimmer zu schaffen, gab dies jedoch alsbald wieder auf. J. starb "entweder infolge der - möglicherweise den Sterbevorgang verkürzenden - Schläge mit der Wasserflasche oder aber nach diesen" (Schlägen) "infolge der Messerstiche durch Verbluten".

II.

Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schuldspruch weist Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf; sie betreffen bei der Angeklagten S. die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens und die Vorsatzform, außerdem bei beiden Angeklagten die Verneinung von Mordmerkmalen. 1. Was die Verurteilung der Angeklagten S. angeht, so ergibt die rechtliche Prüfung:

a) Zu Unrecht hat die Jugendkammer die Angeklagte nur eines versuchten statt eines vollendeten Tötungsverbrechens schuldig gesprochen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Zwar sei jeder der "Tatbeiträge" der Angeklagten für sich genommen geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen - doch habe sich nicht feststellen lassen, "ob der Tod durch Verbluten allein durch die von der Angeklagten S. gesetzten Messerstiche eingetreten ist oder aber die Schläge mit der Wasserflasche den von ihr in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrochen haben". Daher sei nach dem Zweifelssatz zugunsten jedes Angeklagten zu unterstellen, daß sein Tatbeitrag nicht den Tod herbeigeführt habe (UA S. 133). Dem kann nicht gefolgt werden. Die Jugendkammer hat damit den strafrechtlich maßgebenden Ursachenbegriff verkannt. Ursächlich ist jede Bedingung , die den Erfolg herbeigeführt hat; dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Anders verhält es sich allerdings , wenn ein späteres Ereignis ihre Wirkung beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe den Erfolg allein herbeiführt. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, daß ein weiteres Verhalten, sei es des Täters, sei es des Opfers, sei es auch Dritter, an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat (st. Rspr. und h.M. im Schrifttum, zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen in BGHSt 39, 195, 197 f). Ursächlich bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist. Auch dies entspricht gefestigter
Auffassung in Rechtsprechung (vgl. die Nachweise in BGH aaO) und Schrifttum (Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. vor § 13 Rdn. 11; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. vor § 13 Rdn. 18 a; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 13 ff Rdn. 77; Rudolphi in SK-StGB vor § 1 Rdn. 49; Jeschek in LK 11. Aufl. vor § 13 Rdn. 58; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT 10. Aufl. § 14 Rdn. 33 ff, 36; Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teilband 1, 7. Aufl. § 18 IV Rdn. 61 ff). Demgemäß ist wegen vollendeten Tötungsverbrechens auch zu bestrafen, wer jemanden mit Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlaßt hat, dem Verletzten den "Gnadenschuß" zu geben (OGHSt 2, 352, 354 f; BGH bei Dallinger MDR 1956, 526; Jähnke in LK 10. Aufl. § 212 Rdn. 3). Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer älteren, vereinzelt gebliebenen Entscheidung (BGH NJW 1966, 1823) zu einem Ergebnis gelangt ist, das hiermit in Widerspruch steht (Hertel NJW 1966, 2418; Kion JuS 1967, 499; Jähnke aaO Fußn. 3), kann schon zweifelhaft sein, ob in der Begründung dieses Urteils überhaupt eine abweichende Rechtsauffassung zum Ausdruck gekommen ist; Ausführungen desselben Senats in einer jüngeren Entscheidung (BGH NJW 1989, 2479 f) machen jedenfalls deutlich, daß er eine solche Rechtsauffassung nicht oder zumindest nicht mehr vertritt. Für eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG besteht daher kein Anlaß. Danach hat die Angeklagte durch die Messerstiche den Tod J. s verursacht. Daran ändert es nichts, daß der später zum Tatort gekommene Angeklagte dem Opfer durch Schläge mit der Wasserflasche weitere Verletzungen zugefügt hat, die gleichfalls geeignet waren, den Tod herbeizuführen. Es kommt nicht darauf an, ob die Messerstiche oder die Schläge mit der Wasserflasche jeweils für sich genommen den Tod des Opfers bewirkt hätten oder
J. erst infolge des Zusammenwirkens der ihr von beiden Angeklagten beigebrachten Verletzungen gestorben ist. Die Angeklagte hat mit den von ihr geführten Messerstichen jedenfalls eine Bedingung für den Tod des Opfers gesetzt; denn ohne diese, ihr von der Angeklagten beigebrachten Verletzungen wäre es nicht dazu gekommen, daß der Angeklagte eingriff und - an das Handeln seiner Freundin anknüpfend - J. mit der Wasserflasche auf den Kopf schlug, um das von der Angeklagten begonnene Tötungswerk zu vollenden. Für die Annahme, der Angeklagte habe mit seinen Schlägen die todesursächliche Wirkung der von seiner Freundin gesetzten Messerstiche beseitigt und stattdessen einen neuen, davon unabhängig zum Tod führenden Kausalverlauf in Gang gesetzt, ist hiernach kein Raum. Die strafrechtliche Haftung der Angeklagten im Sinne eines vollendeten Tötungsverbrechens entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten. Eine solche Abweichung ist zwar zu bejahen, soweit zugunsten der Angeklagten unterstellt werden muß, daß die dem Tatopfer vom Angeklagten W. zugefügten Verletzungen den Eintritt des Todes beschleunigt haben. Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf sind jedoch rechtlich bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (BGHSt 38, 32, 34 mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). So liegt es hier. Der Tod des Opfers ist nicht etwa Folge einer außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Verkettung unglücklicher Umstände, bei der eine Haftung der Angeklagten für den Erfolg ausscheiden würde. Die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist vielmehr unwesentlich und rechtfertigt auch keine andere Bewertung der Tat.

b) Rechtsfehlerhaft ist es ferner, daß die Kammer bei der rechtlichen Bewertung des Handelns der Angeklagten nur bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat; in den Urteilsgründen heißt es dazu, ihr Vorsatz sei "bei Beginn der Stiche in den Kopf zumindest in der Form des dolus eventualis - eines bewußten Inkaufnehmens des Todes - vorhanden" gewesen (UA S. 132). Dies steht in Widerspruch zu der Feststellung, daß die Angeklagte bei den letzten, in das Gesicht geführten Stichen "in Tötungsabsicht", also mit direktem Vorsatz , gehandelt hat (UA S. 32).
c) Darüber hinaus hält auch die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Jugendkammer hat hierzu ausgeführt, es habe zwar nahe gelegen, "aus der brutalen Vorgehensweise" der Angeklagten "beim Setzen der Messerstiche ins Gesicht - in ihren Augen eine besondere Demütigung - auf niedrige Beweggründe zu schließen"; hierfür spreche auch "die in der Bezeichnung der Getöteten als Fotze zum Ausdruck kommende Verachtung". Niedrige Beweggründe seien jedoch "bei Würdigung der Gesamtumstände, wie schon in der Beweiswürdigung ausgeführt", nicht sicher feststellbar (UA S. 132). Diese Ausführungen reichen nicht aus, um erkennbar zu machen, ob die tatrichterliche Beurteilung insoweit frei von Rechtsfehlern ist. Das gilt schon deshalb, weil die Kammer keine Feststellungen zum Tötungsmotiv der Angeklagten getroffen hat. Die Sachverhaltsschilderung der Urteilsgründe enthält hierzu nichts. Mitgeteilt wird darin zwar, aus welchem Grund sich die Angeklagte entschloß, J. am Tatabend aufzusuchen (UA S. 30: "... mit ihr einmal unter vier Augen über die 'verpetzte Schwangerschaft' und die Verdächtigung wegen der 20,00 DM zu sprechen", weitergehend zuvor
UA S. 27: "... J. einmal bei sich bietender Gelegenheit ... eine gründliche Abreibung ... zu geben"). Welche Tatantriebe die Angeklagte aber dazu bestimmt haben, den Entschluß zur Tötung zu fassen, ist nicht festgestellt. Die Kammer beruft sich allerdings auf eine "Würdigung der Gesamtumstände" , die sie "schon in der Beweiswürdigung" vorgenommen haben will. Doch geht diese Verweisung ins Leere. Denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe finden sich zwar einzelne Zusatzfeststellungen, denen Bedeutung für den Schluß auf das Tötungsmotiv zukommen kann (UA S. 118: "eine Art Bestrafungsaktion"; UA S. 124: "Bestrafungsaktion"; UA S. 120: "Vergeltungsaktion" ; "Verärgerung und Abneinung"; UA S. 119: "Verdruß", "Ä rger", "Haßgefühle") - diese werden aber weder dort noch an anderer Stelle unter dem Gesichtspunkt des Tötungsmotivs gewürdigt. Daß die Kammer im Rahmen der rechtlichen Wertung die Brutalität der Tötungshandlung und die im Gebrauch eines Schimpfworts zum Ausdruck gebrachte Verachtung des Opfers als mögliche Anhaltspunkte für das Vorliegen niedriger Beweggründe erwogen hat, belegt nicht, daß sie die gebotene Gesamtwürdigung angestellt hätte. Diese muß Vorgeschichte, Anlaß und Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen (BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 11, 39), sich mithin auf alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren erstrecken (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 23, 24, 31). In die Würdigung wäre hier vor allem die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Angeklagten und dem späteren Tatopfer einzubeziehen gewesen, ihre sich daraus entwickelnde innere Einstellung zu J. , für die der beweiswürdigende Teil der Urteilsgründe zahlreiche Anhaltspunkte bietet, nicht zuletzt auch die Ä ußerung der Ange-
klagten gegenüber einer Zeugin, "die", nämlich J. , "werde sie mal umbringen" (UA S. 120). Der Erörterung hätte insbesondere bedurft, ob und gegebenenfalls inwieweit die feindseligen Gefühle und Empfindungen, welche die Angeklagte gegenüber J. hegte, als Beweggründe der Tötung wirksam geworden und vor dem Hintergrund der sie auslösenden Anlässe zu werten sind. Eine solche Gesamtwürdigung fehlt. Sie war hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Angeklagte den Tötungsentschluß nach den Feststellungen erst im Laufe der heftigen körperlichen Auseinandersetzung, also spontan gefaßt hat; denn dies braucht der Bejahung niedriger Beweggründe nicht entgegenzustehen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; BGH, Urt. v. 19. Juli 2000 - 2 StR 96/00; zu den dann gesteigerten Prüfungsanforderungen vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16 und 31; BGH, Urt. v. 11. Januar 2000 - 1 StR 505/99). 2. Die Verurteilung des Angeklagten W. weist ebenfalls Rechtsfehler auf.
a) Die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens ist bei ihm allerdings rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die Beurteilung seiner Tat hat sich der Rechtsfehler, der die Bewertung der Ursächlichkeit des Handelns der Angeklagten S. betrifft, nicht ausgewirkt. Gleiches gilt für die von der Kammer offenbar vorausgesetzte, aber unrichtige Annahme, der Tod des Opfers könne - alternativ - nur entweder dem einen oder dem anderen Angeklagten als von ihm verursachter Handlungserfolg zurechenbar sein (UA S. 36, 129, 133). Denn die Kammer hat jedenfalls nicht verkannt, daß der Angeklagte den Tod J. s verursacht und mithin ein vollendetes Tötungsverbrechen begangen hätte, wenn durch sein Handeln der Eintritt des - womöglich ohnehin
schon nahenden - Todes nur noch beschleunigt worden wäre (BGHSt 7, 287 f; 21, 59, 61; BGH NStZ 1981, 218 f; 1985, 26 f; BGH StV 1986, 59, 200; BGH StGB vor § 1/Kausalität, Angriffe, mehrere 1; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 212 Rdn. 3). Den Urteilsausführungen ist zu entnehmen, daß sie eine den Todeseintritt beschleunigende Wirkung der vom Angeklagten gegen den Kopf J. s geführten Schläge nicht festzustellen vermochte. Dies kommt in der Tatschilderung des Urteils dadurch zum Ausdruck, daß dort diesen Schlägen nur eine den Sterbevorgang "möglicherweise" verkürzende Wirkung zuerkannt wird (UA S. 36), und gründet sich auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverstänigen, der - wie das Urteil ebenfalls mitteilt - erklärt hatte, durch die Schläge "könne" auch eine deutlich verkürzte Lebenserwartung bewirkt worden sein (UA S. 128 unten). Wenn die Kammer sich hiernach außerstande gesehen hat, eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der mit der Wasserflasche geführten Schläge festzustellen, so liegt darin auch kein selbständiger, der Beweiswürdigung anhaftender Rechtsfehler. Weder widerspricht das Ergebnis - wie die Revision meint - Erfahrungssätzen, noch weisen die Urteilsausführungen zu diesem Punkt - wie sie ebenfalls rügt - Lükken auf. Die Bezugnahme auf das vorbereitende schriftliche Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen ist im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge unzulässig, ganz abgesehen davon, daß der zitierte Abschnitt des Gutachtens für die Deutung, der Sachverständige habe eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der Schläge für gesichert erachtet, nichts hergibt. Konnte die Kammer aber nicht ausschließen, daß J. auch ohne das Eingreifen des Angeklagten zur selben Zeit gestorben wäre, zu der ihr Tod tatsächlich eintrat, dann mußte sie nach dem Zweifelssatz von dieser Möglichkeit ausgehen und durfte den Angeklagten - wie geschehen - nur wegen eines versuchten Tötungsverbrechens verurteilen.

b) Dagegen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht rechtsfehlerhaft; das Urteil beruht insoweit auf einem Beweiswürdigungsmangel. Die Kammer hat hierzu im Rahmen der rechtlichen Wertung lediglich ausgeführt, eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten habe "bei verständiger Würdigung des Gesamtgeschehens nicht als bestimmender Faktor seines Vorgehens festgestellt werden" können (UA S. 133). Dies entspricht der Sachverhaltsschilderung des Urteils insofern, als Feststellungen zum Tötungsmotiv fehlen. Der Beweggrund, von dem der Angeklagte sich bei seinem Vorgehen leiten ließ, bleibt offen. Soweit festgestellt ist, daß er, nachdem er J. das Messer aus dem Kopf gezogen, sich die Hände gewaschen und das Zimmer wieder betreten hatte, einen Gegenstand suchte, um das vom Opfer herrührende "Geräusch zu beenden und die in seinen Augen sterbende J. zu töten" (UA S. 34), belegt dies allein den Tötungsvorsatz, gibt aber keine Auskunft über das Tötungsmotiv. Das gilt auch für die inhaltsgleiche, im beweiswürdigenden Teil des Urteils enthaltene Feststellung, wonach der Angeklagte lediglich noch versuchte, "dem Ganzen ein Ende zu setzen" (UA S. 131), und ebenso für deren Grundlage, nämlich die Erklärung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 6. August 1998, er habe J. den Kehlkopf einzudrücken versucht, "weil er es habe beenden wollen" (UA S. 68). Weshalb die Kammer gemeint hat, das Tötungsmotiv des Angeklagten nicht feststellen zu können, ist jedoch nicht erklärt. Eine Begründung hierfür fehlt. Die Frage nach dem Beweggrund bleibt unerörtert. Die Beweiswürdigung ist insofern lückenhaft. Denn es gab erörterungsbedürftige Umstände, die dafür sprechen konnten, daß der Angeklagte das von seiner Freundin begonnene
Tötungswerk fortgeführt hat, um sie vor der Entdeckung ihrer Straftat zu schützen : Einerseits war er selbst J. nicht feindlich gesonnen und hatte dazu auch keinen eigenen, in seiner Person liegenden Grund. Andererseits stand er zu der Angeklagten, mit der er zusammenlebte, in einem engen, auf Liebe gegründeten Verhältnis, das gegenseitige Hilfe in schwierigen Situationen erwarten ließ. Als die Angeklagte ihm nach ihrer Rückkehr vom Hause der Pflegemutter erzählt hatte, sie habe J. erstochen, überlegte er demgemäß, "wie er seiner Freundin in dieser Situation helfen" könne, und ging mit ihr zum Tatort zurück, "um die Tatspuren zu vernichten" (UA S. 33). Diese in der Sachverhaltsschilderung enthaltene Feststellung kehrt im Strafzumessungsteil der Urteilsgründe wieder und ist dort in die Worte gefaßt, der Angeklagte habe "R. v or Entdeckung bewahren und für sich als seine Freundin erhalten" wollen (UA S. 142). Freilich bezieht sich dies auf einen Zeitpunkt, in dem der Angeklagte glaubte, J. s ei bereits tot; doch lag angesichts dieser seiner Motivation die Folgerung nahe, daß derselbe Beweggrund ihn dann auch dazu bestimmt hat, die Tötung des schwerverletzt aufgefundenen Opfers zu vollenden. Diesen Schluß scheint die Kammer im übrigen selbst gezogen zu haben; denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe heißt es, "im zweiten Handlungsteil" habe der Angeklagte "vorrangig eine Hilfsaktion für seine Freundin" durchgeführt (UA S. 118). "Hilfsaktion" für die Angeklagte konnte in diesem Zusammenhang aber nur ein Handeln sein, durch das sie vor der Entdeckung ihrer Tat geschützt werden würde - eine andere Deutung kommt nicht in Betracht. Ein Indiz, das in die nämliche Richtung weist, bot schließlich auch das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, das - wie das Urteil in breiter Darstellung der polizeilichen Vernehmungen deutlich macht - über weite Strecken von dem entschiedenen Bemühen geprägt war, die Al-
leinschuld am Tode J. auf sich zu nehmen, um die Überführung und Bestrafung der Angeklagten zu verhindern. Mit diesen Umständen, die für die Bejahrung der Verdeckungsabsicht sprechen konnten, hätte sich die Kammer auseinandersetzen müssen. Daß dies unterblieben ist, begründet einen Beweiswürdigungsmangel und damit einen Rechtsfehler.

III.

1. Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zum äußeren Tathergang, soweit sie die Kammer in den Urteilsgründen von UA S. 30 bis 36 (beginnend mit der Überschrift "Das engere Tatgeschehen" und endend vor der Überschift "Geschehen nach der Tat") dokumentiert hat; das erscheint angebracht, weil nach diesen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen in Verbindung mit der rechtlichen Wertung durch den Senat bereits abschließend geklärt ist, daß die Angeklagte S. eine vollendete Tötung, der Angeklagte W. dagegen nur einen Tötungsversuch zu verantworten hat. Soweit die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten W. wegen vollendeten Tötungsverbrechens erstrebt, hat ihr Rechtsmittel keinen Erfolg. 2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bei keinem der beiden Angeklagten eine Grundlage in den bisherigen Feststellungen findet; von den akut wirksamen und latent vorhandenen Störfaktoren , die nach Meinung des Sachverständigen und der ihm folgenden Kammer die Schuldfähigkeit der Angeklagten beeinträchtigt haben sollen (bei der Angeklagten S. ein "vorübergehender Impulskontrollverlust", bei
dem Angeklagten W. Unreife, geringe Konfliktverarbeitungsfähigkeit, Streß und Panik), erfüllt keiner eines der in § 20 StGB bezeichneten Eingangsmerkmale. Jähnke Niemöller Detter Rothfuß Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 676/10
vom
15. Februar 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Die Einfuhr von Betäubungsmitteln auf dem Postweg ist nicht vollendet, wenn
die Betäubungsmittel bei einer Zollkontrolle im Ausland entdeckt und aufgrund
einer Absprache der ausländischen und der deutschen Zollbehörden im Wege
eines bewachten Weitertransports nach Deutschland gebracht werden; insoweit
kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen einer versuchten Einfuhr - ggf. in Tateinheit
mit vollendetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln - in Betracht.
BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - 1 StR 676/10 - LG München II
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Februar 2011 beschlossen
:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten W. und N. wird
das Urteil des Landgerichts München II vom 25. Mai 2010, auch
soweit es den Mitangeklagten A. betrifft, im Schuldspruch
dahin geändert, dass die Angeklagten der versuchten
unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge schuldig sind.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten W. und
N. werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:

I.

1
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
Die Angeklagten W. und N. sowie der nicht revidierende Mitangeklagte A. bestellten eine zum Weiterverkauf bestimmte Menge von 567 Gramm reinem Kokain bei unbekannten Drogenhändlern in Venezuela. Das Betäubungsmittel wurde entsprechend dem gemeinsamen Tatplan dort in eine Wanduhr eingearbeitet. Anschließend wurde diese bei der Post aufgegeben und per Luftfracht nach Deutschland abgesandt. Als Empfängerin war die bei München wohnhafte Mutter des Angeklagten W. angegeben. Bei einer Kontrolle auf dem Flughafen in London wurde das in die Wanduhr eingearbeitete Betäubungsmittel von britischen Zollbeamten entdeckt. Diese kontaktierten daraufhin die zuständigen deutschen Zollbehörden und verständigten sich mit diesen auf einen bewachten Weitertransport der Wanduhr nach Deutschland. Zu diesem Zweck wurde das die Uhr enthaltende Paket versiegelt und in die persönliche Obhut des Kapitäns des am 8. Juli 2008 nach München fliegenden Flugzeugs der British Airways gegeben. Nach der Ankunft in München übergab der Flugkapitän das versiegelte Paket sofort an die darauf wartenden Zollbeamten, von denen die Wanduhr mit dem Betäubungsmittel sogleich beschlagnahmt wurde. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurde an die Mutter des Angeklagten W. lediglich eine Kopie der Uhr ausgeliefert, die kein Betäubungsmittel enthielt.
3
2. Das Landgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage dieser Feststellungen wegen (vollendeter) unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von vier (A. ), sechs (N. ) und acht Jahren (W. ) verurteilt. Die auf die Sachrüge und auf Verfahrensrügen gestützten Revisionen der Angeklagten W. und N. führen zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen bleiben sie aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


4
Soweit das Landgericht die Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verurteilt hat, lässt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die tateinheitliche Verurteilung wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) hält dagegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
5
1. Entgegen der von der Revision des Angeklagten W. vorgetragenen Auffassung ist es jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sowohl hinsichtlich des Tatbestandes des Handeltreibens als auch hinsichtlich der Einfuhr von einer Mittäterschaft der Angeklagten gemäß § 25 Abs. 2 StGB ausgegangen ist.
6
Der Tatbestand der Einfuhr von Betäubungsmitteln verlangt kein eigenhändiges Verbringen des Rauschgifts nach Deutschland. Mittäter kann daher auch derjenige sein, der sich die Betäubungsmittel aus dem Ausland mit der Post schicken lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1988 - 1 StR 614/87, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 8; Weber, BtMG, 2. Aufl., § 29 Rn. 517 mwN). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Täter nicht nur fremdes Tun fördern will. Sein Tatbeitrag muss vielmehr Teil einer gemeinschaftlichen , auf die gemeinsame Herbeiführung des Taterfolgs gerichteten Tätigkeit sein. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von seinem eigenen Erfolgsinteresse , vom Umfang seiner Tatbeteiligung, von seiner Tatherrschaft oder von seinem Willen zur Tatherrschaft ab (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 34; BGH, Urteil vom 21. März 1991 - 1 StR 19/91, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 20 mwN).
7
Gemessen an diesen Maßstäben ist das Landgericht zu Recht von einer Mittäterschaft der Angeklagten ausgegangen. Das Landgericht hat seine Bewertung als mittäterschaftliche Begehungsweise auf den gemeinsamen Tatplan der Angeklagten gestützt. Diese hatten die Bestellung des Kokains in Venezue- la, dessen Einarbeitung in eine Wanduhr und deren anschließenden Versand an die in der Nähe von München lebende Mutter des Angeklagten W. - die als pensionierte Gymnasiallehrerin und Sammlerin antiker Wanduhren in den Augen der Angeklagten nach außen hin unverdächtig erschien - zusammen abgesprochen. Nach dem gemeinsamen Tatplan sollte der Angeklagte W. die Wanduhr bei seiner Mutter in Empfang nehmen. Der Angeklagte A. hatte danach die Aufgabe, das in das Holz der Wanduhr eingearbeitete Kokain zurück zu gewinnen. Dem Angeklagten N. oblag es, die zur Finanzierung des Kokainankaufs erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Das Landgericht hat weiter darauf abgestellt, dass sich alle drei Angeklagten aus dem Erlös des Kokains erhebliche finanzielle Gewinne versprachen. Angesichts dieser Umstände lässt die Bewertung des Landgerichts, wonach die Angeklagten als Mittäter handelten, keinen Rechtsfehler erkennen.
8
2. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Landgerichts, dass die Betäubungsmitteleinfuhr gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG vorliegend vollendet gewesen sei.
9
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen nicht einheitlich verwendete Begriff der „Einfuhr“ jeweils nach seinem speziellen Sinn und Zweck ausgelegt werden. Im Betäubungsmittelstrafrecht ist dies der Schutz der inländischen Bevölkerung vor den Gefahren der Drogensucht (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 335/86, BGHSt 34, 180, 181; vgl. allgemein auch Jäger in Franzen /Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 372 AO Rn. 9 ff.). Einfuhr i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bedeutet danach das Verbringen eines Betäubungsmittels aus dem Ausland über die Grenze in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Vollendung tritt daher grundsätz- lich in dem Moment ein, in dem das Betäubungsmittel diese Grenze passiert (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 335/86, aaO; BGH, Urteil vom 22. Februar 1983 - 5 StR 877/82, BGHSt 31, 252, 254).
10
Nach den Feststellungen hat das von den Angeklagten in Venezuela bestellte Kokain, das auf ihre Veranlassung hin in eine Wanduhr eingearbeitet und anschließend mit der Post versandt wurde, zwar die deutsche Grenze passiert. Dieser „Taterfolg“ i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG kann den Angeklagten entgegen der Auffassung des Landgerichts vorliegend jedoch nicht zugerechnet werden, da die bewachte Weiterleitung des Kokains nach dessen Entdeckung in London durch die britischen Zollbehörden eine wesentliche , nicht mehr vom Vorsatz der Angeklagten umfasste Abweichung im Kausalverlauf darstellt.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine wesentliche, den Vorsatz ausschließende Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vor, wenn diese sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und aufgrund eines insoweit veränderten Unrechtsgehalts eine andere rechtliche Bewertung der Tat erfordert (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 34; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 37; jew. mwN). Eine solche wesentliche, für die rechtliche Bewertung einer Tat bedeutsame Abweichung im Kausalverlauf hat der Senat etwa in einem Fall angenommen, in dem die Betäubungsmittel einem Drogenkurier vor der geplanten Einfuhr im Ausland gestohlen und von dem Dieb selbst anschließend nach Deutschland eingeführt wurden; der unbemerkte Verlust der Herrschaft über die Betäubungsmittel durch die Wegnahme unterbrach die von dem Auftraggeber des Drogentransports und dem Kurier in Lauf gesetzte und be- gründete eine völlig neue, unabhängige Kausalkette (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, aaO).
12
b) Auch im vorliegenden Fall liegt eine wesentliche Abweichung zwischen dem von den Angeklagten bei der Tatplanung vorgestellten und dem tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf vor.
13
aa) Das Landgericht hat zwar eine solche Abweichung mit dem Argument verneint, dass das in die Wanduhr eingearbeitete Kokain auch nach der Entdeckung durch die britischen Zollbehörden auf dem von den Angeklagten vorgesehenen Weg, nämlich per Luftfracht, Deutschland erreichte. Hierbei hat es aber nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt, dass die von den Angeklagten geplante Einfuhr zu diesem Zeitpunkt schon längst gescheitert war. Der Weitertransport des Kokains nach Deutschland nach dessen Entdeckung beruhte nicht mehr auf dem Tatplan der Angeklagten, sondern auf einer einvernehmlichen Entscheidung der deutschen und britischen Zollbehörden, die allein aus ermittlungstaktischen Gründen zur Überführung der Angeklagten getroffen wurde.
14
Hierdurch wurde eine neue, von dem ursprünglichen Tatentschluss unabhängige Kausalkette in Gang gesetzt. Das Kokain wurde entsprechend der von den Zollbehörden getroffenen Verständigung im Rahmen eines bewachten Weitertransports nach Deutschland verbracht. Es befand sich in einem versiegelten Paket in der persönlichen Obhut des Flugkapitäns, der es nach der Ankunft in München sofort den deutschen Zollbehörden übergab. Damit war es, wie bei einer Übernahme des Weitertransports durch Polizeibeamte, jeglichem Einfluss der Angeklagten entzogen, und es bestand angesichts der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen - anders als bei illegalen Drogentransporten, die von der Polizei lediglich observiert werden - nicht einmal die abstrakte Gefahr, dass die Betäubungsmittel in die Hände von Unbefugten gelangen könnten und entgegen den Bestrebungen der Ermittlungsbehörden doch noch in den Verkehr gebracht werden. So wurde das Kokain bereits unmittelbar nach dessen Eintreffen in Deutschland den deutschen Zollbehörden übergeben. Die das Kokain enthaltende Wanduhr wurde gegen ein Imitat ausgetauscht und dieses wurde an die Empfangsadresse weitergeleitet.
15
Das Vorgehen der Behörden entsprach hier eindeutig nicht dem Willen der Angeklagten. Diese haben gerade nicht gewollt, dass das Betäubungsmittel nach dessen Entdeckung im Ausland auch noch nach Deutschland gebracht wird, um auf diese Weise eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen einer vollendeten Einfuhr zu begründen.
16
Die vorliegende Fallkonstellation ist damit vergleichbar mit der Übermittlung von im Ausland beschlagnahmten und asservierten Betäubungsmitteln im Wege der Rechtshilfe (vgl. hierzu Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 982 mwN und Rn. 993). Auch hierbei wäre durch die - erst im Lauf eines Strafverfahrens getroffene - Entscheidung der an der Rechtshilfe beteiligten Behörden, die Betäubungsmittel nach Deutschland zu schicken, um sie in ein hiesiges Strafverfahren einführen zu können, ein von dem Tatentschluss der Tatbeteiligten unabhängiger Geschehensablauf in Gang gesetzt worden. Ein solcher Geschehensablauf wäre den Tatbeteiligten ebenfalls nicht zurechenbar, zumal diese beim Eintreffen der Betäubungsmittel in Deutschland bereits strafprozessualen Maßnahmen, wie z.B. Untersuchungshaft, ausgesetzt sein dürften.
17
bb) Im vorliegenden Fall liegt der von dem Tatentschluss der Angeklagten unabhängige Geschehensablauf nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren. Zwar waren sich die Angeklagten bei der Tatplanung des Risikos einer Entdeckung des Drogentransports be- wusst; insoweit hatten sie Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um dieses zu minimieren , indem sie etwa die Mutter des Angeklagten W. als Empfängerin der Paketsendung einsetzten. Sie mussten aber nicht davon ausgehen, dass das Kokain nach einer Entdeckung in London noch nach Deutschland weitertransportiert wird. Die das Kokain enthaltende Wanduhr hätte vielmehr schon durch die britischen Behörden beschlagnahmt und durch ein Imitat ersetzt werden können - wie dies tatsächlich dann auch in Deutschland geschehen ist -, ohne die Überführung der Angeklagten im Empfangsland zu gefährden; die Übermittlung der auf diese Weise im Ausland gewonnenen Beweismittel hätte auch im Wege der Rechtshilfe erfolgen können (vgl. Körner aaO). Welchen Weg die zuständigen Behörden letztlich wählen, um die Beteiligten einer Betäubungsmitteleinfuhr zu überführen, obliegt im Einzelfall allein ermittlungstaktischen Erwägungen und ist jedenfalls vorliegend - auch für die Angeklagten - nicht voraussehbar gewesen.
18
cc) Nicht vergleichbar ist der vorliegende Fall mit den Konstellationen, in denen die Strafverfolgungsbehörden etwa schon im Vorfeld Kenntnis von einer geplanten Betäubungsmitteleinfuhr erlangt und diese, ohne in den Tatablauf einzugreifen, lediglich überwacht haben. Wie in den Fällen, in denen von den Tatbeteiligten unerkannt ein V-Mann der Polizei als Betäubungsmittelkurier eingesetzt wird, der das Rauschgift einführt und es anschließend seiner Polizeidienststelle übergibt, entspricht die Durchführung des Transports auch hier den Vorstellungen der Beteiligten. Die bloße Überwachung durch die Polizei stellt daher keine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Geschehensablauf dar. Insoweit mangelt es an einem Eingriff der Behörden, der eine eigenständige Kausalkette in Gang setzt.
19
dd) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 335/86 (BGHSt 34, 180), da in diesem Fall die in einem Paket aus Afrika befindlichen Betäubungsmittel erst bei einer Zollkontrolle in Deutschland entdeckt wurden und damit der Tatbestand der Einfuhr gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG unzweifelhaft bereits vollendet war.
20
3. Der Schuldspruch wegen (vollendeter) Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist daher rechtsfehlerhaft. Die Tat stellt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lediglich als ein (fehlgeschlagener) Versuch der Betäubungsmitteleinfuhr dar. Der Schuldspruch war dementsprechend abzuändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich , dass sich die Angeklagten gegenüber dem geänderten Schuldvorwurf anders als geschehen hätten verteidigen können.
21
4. Die Strafaussprüche bleiben trotz der Schuldspruchänderung bestehen. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, ob hier überhaupt eine fakultative Strafrahmenmilderung wegen Versuchs nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB in Betracht gekommen wäre, was bereits angesichts des Umstandes, dass die Tatvollendung nur durch Zufall verhindert werden konnte, eher fern liegend erscheint. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung den von den Angeklagten tateinheitlich verwirklichten Verbrechenstatbestand des (vollendeten) Handeltreibens gem. § 29a Abs. 1 BtMG berücksichtigt. Daneben hat es seine Strafzumessungserwägungen auf das Tatbild und dabei insbesondere auf die Art, Menge und Qualität des verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittels sowie auf die professionelle Vorgehensweise der Angeklagten gestützt, ohne sich an einer Strafrahmenober- oder Strafrahmenuntergrenze zu orientieren. Angesichts dieser Umstände kann der Senat sicher ausschlie- ßen, dass die Schuldspruchänderung selbst bei Zugrundelegung eines veränderten Strafrahmens (§ 29a Abs. 1 BtMG anstelle von § 30 Abs. 1 BtMG) Einfluss auf die erkannten Strafen gehabt hätte.
22
5. Gemäß § 357 StPO war die Berichtigung des Schuldspruchs auch auf den früheren Mitangeklagten A. zu erstrecken. Auch bei ihm bleibt aus den dargelegten Gründen der Strafausspruch bestehen.
23
6. Der nur geringfügige Erfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Beschwerdeführer von den durch ihre Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen auch nur teilweise freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Nack Rothfuß Graf
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 204/00
vom
30. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller,
Detter,
Rothfuß,
Hebenstreit
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Juni 1999 mit den Feststellungen - ausgenommen denjenigen zum äußeren Tathergang - aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

1. Das Landgericht hat beide Angeklagten des versuchten Totschlags schuldig gesprochen; die Angeklagte S. hat es zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten W. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts; sie erstrebt die Verurteilung beider Angeklagten wegen vollendeten Mordes. Das Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg.
2. Das Landgericht hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt : Die beiden Angeklagten, die damals 17-jährige R. S. und ihr seinerzeit 20 Jahre alter Freund Sa. W. , lebten zusammen in einem kleinen Haus, das ihnen R. s Pflegemutter zur Verfügung gestellt hatte; sie selbst bewohnte mit weiteren Pflegekindern, darunter der 15-jährigen J. K. , ein größeres Haus in der Nähe. Zwischen der Angeklagten und J. traten im Laufe der Zeit Spannungen auf. Die Angeklagte nahm es J. insbesondere übel, daß diese der Pflegemutter R. s Schwangerschaft offenbart und sie einmal zu Unrecht verdächtigt hatte, der Pflegemutter 20,00 DM gestohlen zu haben; sie sann daher auf eine Gelegenheit, J. eine "gründliche Abreibung" zu verpassen. Diese Gelegenheit bot sich, als die Pflegemutter ein Sängerfest im Dorf besuchte und J. in deren Haus allein war. Die Angeklagte ging am Abend zu ihr, traf sie an und begann einen Streit. Die beiden Frauen rauften sich in den Haaren. Die Angeklagte schlug dabei J. zu Boden und brachte ihr mit einem Klappmesser insgesamt 16 Stichverletzungen bei. Anfangs stach sie ihr in den Bauch und in den Rücken. Mit weiteren Stichen fügte sie ihr Verletzungen an den Armen, der linken Hand und am Halse zu. Schließlich versetzte sie ihr "in Tötungsabsicht" mehrere wuchtige Messerstiche ins Gesicht, von denen einer das Nasenbein zertrümmerte, ein anderer den Oberkiefer durchtrennte und drei Zähne herausbrach. Beim letzten Stich blieb das Messer so fest im Gesicht stecken, daß die Angeklagte es nicht mehr herausziehen konnte. J. lebte zwar noch, war aber so zugerichtet, daß die Angeklagte sie für tot hielt. Anschließend lief die Angeklagte nach Hause und berichtete ihrem Freund, dem Angeklagten, sie habe J. erstochen. Beide kehrten dar-
aufhin zum Tatort zurück, um die Spuren der Tat zu beseitigen. Während die Angeklagte draußen blieb, drang der Angeklagte in das Haus ein und fand dort J. , die mit blutüberströmtem Kopf regungslos auf dem Rücken lag. Da sie Geräusche von sich gab, die sich wie ein Röcheln anhörten, nahm der Angeklagte zutreffend an, daß sie noch lebe. Er zog ihr das Messer aus dem Gesicht , wusch sich die Hände und suchte nach einem Gegenstand, um die - wie er annahm - bereits Sterbende zu töten. Mit einer beidhändig gehaltenen Wasserflasche schlug er auf ihren Kopf ein, so daß ihr Stirnbein zersplitterte. Das röchelähnliche Geräusch hielt jedoch an - J. war noch nicht tot. Der Angeklagte legte daraufhin eine Jeansjacke über ihr Gesicht, warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und würgte sie dann. Danach versuchte er, ihren Körper aus dem Zimmer zu schaffen, gab dies jedoch alsbald wieder auf. J. starb "entweder infolge der - möglicherweise den Sterbevorgang verkürzenden - Schläge mit der Wasserflasche oder aber nach diesen" (Schlägen) "infolge der Messerstiche durch Verbluten".

II.

Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schuldspruch weist Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf; sie betreffen bei der Angeklagten S. die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens und die Vorsatzform, außerdem bei beiden Angeklagten die Verneinung von Mordmerkmalen. 1. Was die Verurteilung der Angeklagten S. angeht, so ergibt die rechtliche Prüfung:

a) Zu Unrecht hat die Jugendkammer die Angeklagte nur eines versuchten statt eines vollendeten Tötungsverbrechens schuldig gesprochen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Zwar sei jeder der "Tatbeiträge" der Angeklagten für sich genommen geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen - doch habe sich nicht feststellen lassen, "ob der Tod durch Verbluten allein durch die von der Angeklagten S. gesetzten Messerstiche eingetreten ist oder aber die Schläge mit der Wasserflasche den von ihr in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrochen haben". Daher sei nach dem Zweifelssatz zugunsten jedes Angeklagten zu unterstellen, daß sein Tatbeitrag nicht den Tod herbeigeführt habe (UA S. 133). Dem kann nicht gefolgt werden. Die Jugendkammer hat damit den strafrechtlich maßgebenden Ursachenbegriff verkannt. Ursächlich ist jede Bedingung , die den Erfolg herbeigeführt hat; dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Anders verhält es sich allerdings , wenn ein späteres Ereignis ihre Wirkung beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe den Erfolg allein herbeiführt. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, daß ein weiteres Verhalten, sei es des Täters, sei es des Opfers, sei es auch Dritter, an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat (st. Rspr. und h.M. im Schrifttum, zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen in BGHSt 39, 195, 197 f). Ursächlich bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist. Auch dies entspricht gefestigter
Auffassung in Rechtsprechung (vgl. die Nachweise in BGH aaO) und Schrifttum (Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. vor § 13 Rdn. 11; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. vor § 13 Rdn. 18 a; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 13 ff Rdn. 77; Rudolphi in SK-StGB vor § 1 Rdn. 49; Jeschek in LK 11. Aufl. vor § 13 Rdn. 58; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT 10. Aufl. § 14 Rdn. 33 ff, 36; Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teilband 1, 7. Aufl. § 18 IV Rdn. 61 ff). Demgemäß ist wegen vollendeten Tötungsverbrechens auch zu bestrafen, wer jemanden mit Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlaßt hat, dem Verletzten den "Gnadenschuß" zu geben (OGHSt 2, 352, 354 f; BGH bei Dallinger MDR 1956, 526; Jähnke in LK 10. Aufl. § 212 Rdn. 3). Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer älteren, vereinzelt gebliebenen Entscheidung (BGH NJW 1966, 1823) zu einem Ergebnis gelangt ist, das hiermit in Widerspruch steht (Hertel NJW 1966, 2418; Kion JuS 1967, 499; Jähnke aaO Fußn. 3), kann schon zweifelhaft sein, ob in der Begründung dieses Urteils überhaupt eine abweichende Rechtsauffassung zum Ausdruck gekommen ist; Ausführungen desselben Senats in einer jüngeren Entscheidung (BGH NJW 1989, 2479 f) machen jedenfalls deutlich, daß er eine solche Rechtsauffassung nicht oder zumindest nicht mehr vertritt. Für eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG besteht daher kein Anlaß. Danach hat die Angeklagte durch die Messerstiche den Tod J. s verursacht. Daran ändert es nichts, daß der später zum Tatort gekommene Angeklagte dem Opfer durch Schläge mit der Wasserflasche weitere Verletzungen zugefügt hat, die gleichfalls geeignet waren, den Tod herbeizuführen. Es kommt nicht darauf an, ob die Messerstiche oder die Schläge mit der Wasserflasche jeweils für sich genommen den Tod des Opfers bewirkt hätten oder
J. erst infolge des Zusammenwirkens der ihr von beiden Angeklagten beigebrachten Verletzungen gestorben ist. Die Angeklagte hat mit den von ihr geführten Messerstichen jedenfalls eine Bedingung für den Tod des Opfers gesetzt; denn ohne diese, ihr von der Angeklagten beigebrachten Verletzungen wäre es nicht dazu gekommen, daß der Angeklagte eingriff und - an das Handeln seiner Freundin anknüpfend - J. mit der Wasserflasche auf den Kopf schlug, um das von der Angeklagten begonnene Tötungswerk zu vollenden. Für die Annahme, der Angeklagte habe mit seinen Schlägen die todesursächliche Wirkung der von seiner Freundin gesetzten Messerstiche beseitigt und stattdessen einen neuen, davon unabhängig zum Tod führenden Kausalverlauf in Gang gesetzt, ist hiernach kein Raum. Die strafrechtliche Haftung der Angeklagten im Sinne eines vollendeten Tötungsverbrechens entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten. Eine solche Abweichung ist zwar zu bejahen, soweit zugunsten der Angeklagten unterstellt werden muß, daß die dem Tatopfer vom Angeklagten W. zugefügten Verletzungen den Eintritt des Todes beschleunigt haben. Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf sind jedoch rechtlich bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (BGHSt 38, 32, 34 mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). So liegt es hier. Der Tod des Opfers ist nicht etwa Folge einer außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Verkettung unglücklicher Umstände, bei der eine Haftung der Angeklagten für den Erfolg ausscheiden würde. Die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist vielmehr unwesentlich und rechtfertigt auch keine andere Bewertung der Tat.

b) Rechtsfehlerhaft ist es ferner, daß die Kammer bei der rechtlichen Bewertung des Handelns der Angeklagten nur bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat; in den Urteilsgründen heißt es dazu, ihr Vorsatz sei "bei Beginn der Stiche in den Kopf zumindest in der Form des dolus eventualis - eines bewußten Inkaufnehmens des Todes - vorhanden" gewesen (UA S. 132). Dies steht in Widerspruch zu der Feststellung, daß die Angeklagte bei den letzten, in das Gesicht geführten Stichen "in Tötungsabsicht", also mit direktem Vorsatz , gehandelt hat (UA S. 32).
c) Darüber hinaus hält auch die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Jugendkammer hat hierzu ausgeführt, es habe zwar nahe gelegen, "aus der brutalen Vorgehensweise" der Angeklagten "beim Setzen der Messerstiche ins Gesicht - in ihren Augen eine besondere Demütigung - auf niedrige Beweggründe zu schließen"; hierfür spreche auch "die in der Bezeichnung der Getöteten als Fotze zum Ausdruck kommende Verachtung". Niedrige Beweggründe seien jedoch "bei Würdigung der Gesamtumstände, wie schon in der Beweiswürdigung ausgeführt", nicht sicher feststellbar (UA S. 132). Diese Ausführungen reichen nicht aus, um erkennbar zu machen, ob die tatrichterliche Beurteilung insoweit frei von Rechtsfehlern ist. Das gilt schon deshalb, weil die Kammer keine Feststellungen zum Tötungsmotiv der Angeklagten getroffen hat. Die Sachverhaltsschilderung der Urteilsgründe enthält hierzu nichts. Mitgeteilt wird darin zwar, aus welchem Grund sich die Angeklagte entschloß, J. am Tatabend aufzusuchen (UA S. 30: "... mit ihr einmal unter vier Augen über die 'verpetzte Schwangerschaft' und die Verdächtigung wegen der 20,00 DM zu sprechen", weitergehend zuvor
UA S. 27: "... J. einmal bei sich bietender Gelegenheit ... eine gründliche Abreibung ... zu geben"). Welche Tatantriebe die Angeklagte aber dazu bestimmt haben, den Entschluß zur Tötung zu fassen, ist nicht festgestellt. Die Kammer beruft sich allerdings auf eine "Würdigung der Gesamtumstände" , die sie "schon in der Beweiswürdigung" vorgenommen haben will. Doch geht diese Verweisung ins Leere. Denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe finden sich zwar einzelne Zusatzfeststellungen, denen Bedeutung für den Schluß auf das Tötungsmotiv zukommen kann (UA S. 118: "eine Art Bestrafungsaktion"; UA S. 124: "Bestrafungsaktion"; UA S. 120: "Vergeltungsaktion" ; "Verärgerung und Abneinung"; UA S. 119: "Verdruß", "Ä rger", "Haßgefühle") - diese werden aber weder dort noch an anderer Stelle unter dem Gesichtspunkt des Tötungsmotivs gewürdigt. Daß die Kammer im Rahmen der rechtlichen Wertung die Brutalität der Tötungshandlung und die im Gebrauch eines Schimpfworts zum Ausdruck gebrachte Verachtung des Opfers als mögliche Anhaltspunkte für das Vorliegen niedriger Beweggründe erwogen hat, belegt nicht, daß sie die gebotene Gesamtwürdigung angestellt hätte. Diese muß Vorgeschichte, Anlaß und Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen (BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 11, 39), sich mithin auf alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren erstrecken (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 23, 24, 31). In die Würdigung wäre hier vor allem die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Angeklagten und dem späteren Tatopfer einzubeziehen gewesen, ihre sich daraus entwickelnde innere Einstellung zu J. , für die der beweiswürdigende Teil der Urteilsgründe zahlreiche Anhaltspunkte bietet, nicht zuletzt auch die Ä ußerung der Ange-
klagten gegenüber einer Zeugin, "die", nämlich J. , "werde sie mal umbringen" (UA S. 120). Der Erörterung hätte insbesondere bedurft, ob und gegebenenfalls inwieweit die feindseligen Gefühle und Empfindungen, welche die Angeklagte gegenüber J. hegte, als Beweggründe der Tötung wirksam geworden und vor dem Hintergrund der sie auslösenden Anlässe zu werten sind. Eine solche Gesamtwürdigung fehlt. Sie war hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Angeklagte den Tötungsentschluß nach den Feststellungen erst im Laufe der heftigen körperlichen Auseinandersetzung, also spontan gefaßt hat; denn dies braucht der Bejahung niedriger Beweggründe nicht entgegenzustehen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; BGH, Urt. v. 19. Juli 2000 - 2 StR 96/00; zu den dann gesteigerten Prüfungsanforderungen vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16 und 31; BGH, Urt. v. 11. Januar 2000 - 1 StR 505/99). 2. Die Verurteilung des Angeklagten W. weist ebenfalls Rechtsfehler auf.
a) Die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens ist bei ihm allerdings rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die Beurteilung seiner Tat hat sich der Rechtsfehler, der die Bewertung der Ursächlichkeit des Handelns der Angeklagten S. betrifft, nicht ausgewirkt. Gleiches gilt für die von der Kammer offenbar vorausgesetzte, aber unrichtige Annahme, der Tod des Opfers könne - alternativ - nur entweder dem einen oder dem anderen Angeklagten als von ihm verursachter Handlungserfolg zurechenbar sein (UA S. 36, 129, 133). Denn die Kammer hat jedenfalls nicht verkannt, daß der Angeklagte den Tod J. s verursacht und mithin ein vollendetes Tötungsverbrechen begangen hätte, wenn durch sein Handeln der Eintritt des - womöglich ohnehin
schon nahenden - Todes nur noch beschleunigt worden wäre (BGHSt 7, 287 f; 21, 59, 61; BGH NStZ 1981, 218 f; 1985, 26 f; BGH StV 1986, 59, 200; BGH StGB vor § 1/Kausalität, Angriffe, mehrere 1; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 212 Rdn. 3). Den Urteilsausführungen ist zu entnehmen, daß sie eine den Todeseintritt beschleunigende Wirkung der vom Angeklagten gegen den Kopf J. s geführten Schläge nicht festzustellen vermochte. Dies kommt in der Tatschilderung des Urteils dadurch zum Ausdruck, daß dort diesen Schlägen nur eine den Sterbevorgang "möglicherweise" verkürzende Wirkung zuerkannt wird (UA S. 36), und gründet sich auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverstänigen, der - wie das Urteil ebenfalls mitteilt - erklärt hatte, durch die Schläge "könne" auch eine deutlich verkürzte Lebenserwartung bewirkt worden sein (UA S. 128 unten). Wenn die Kammer sich hiernach außerstande gesehen hat, eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der mit der Wasserflasche geführten Schläge festzustellen, so liegt darin auch kein selbständiger, der Beweiswürdigung anhaftender Rechtsfehler. Weder widerspricht das Ergebnis - wie die Revision meint - Erfahrungssätzen, noch weisen die Urteilsausführungen zu diesem Punkt - wie sie ebenfalls rügt - Lükken auf. Die Bezugnahme auf das vorbereitende schriftliche Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen ist im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge unzulässig, ganz abgesehen davon, daß der zitierte Abschnitt des Gutachtens für die Deutung, der Sachverständige habe eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der Schläge für gesichert erachtet, nichts hergibt. Konnte die Kammer aber nicht ausschließen, daß J. auch ohne das Eingreifen des Angeklagten zur selben Zeit gestorben wäre, zu der ihr Tod tatsächlich eintrat, dann mußte sie nach dem Zweifelssatz von dieser Möglichkeit ausgehen und durfte den Angeklagten - wie geschehen - nur wegen eines versuchten Tötungsverbrechens verurteilen.

b) Dagegen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht rechtsfehlerhaft; das Urteil beruht insoweit auf einem Beweiswürdigungsmangel. Die Kammer hat hierzu im Rahmen der rechtlichen Wertung lediglich ausgeführt, eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten habe "bei verständiger Würdigung des Gesamtgeschehens nicht als bestimmender Faktor seines Vorgehens festgestellt werden" können (UA S. 133). Dies entspricht der Sachverhaltsschilderung des Urteils insofern, als Feststellungen zum Tötungsmotiv fehlen. Der Beweggrund, von dem der Angeklagte sich bei seinem Vorgehen leiten ließ, bleibt offen. Soweit festgestellt ist, daß er, nachdem er J. das Messer aus dem Kopf gezogen, sich die Hände gewaschen und das Zimmer wieder betreten hatte, einen Gegenstand suchte, um das vom Opfer herrührende "Geräusch zu beenden und die in seinen Augen sterbende J. zu töten" (UA S. 34), belegt dies allein den Tötungsvorsatz, gibt aber keine Auskunft über das Tötungsmotiv. Das gilt auch für die inhaltsgleiche, im beweiswürdigenden Teil des Urteils enthaltene Feststellung, wonach der Angeklagte lediglich noch versuchte, "dem Ganzen ein Ende zu setzen" (UA S. 131), und ebenso für deren Grundlage, nämlich die Erklärung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 6. August 1998, er habe J. den Kehlkopf einzudrücken versucht, "weil er es habe beenden wollen" (UA S. 68). Weshalb die Kammer gemeint hat, das Tötungsmotiv des Angeklagten nicht feststellen zu können, ist jedoch nicht erklärt. Eine Begründung hierfür fehlt. Die Frage nach dem Beweggrund bleibt unerörtert. Die Beweiswürdigung ist insofern lückenhaft. Denn es gab erörterungsbedürftige Umstände, die dafür sprechen konnten, daß der Angeklagte das von seiner Freundin begonnene
Tötungswerk fortgeführt hat, um sie vor der Entdeckung ihrer Straftat zu schützen : Einerseits war er selbst J. nicht feindlich gesonnen und hatte dazu auch keinen eigenen, in seiner Person liegenden Grund. Andererseits stand er zu der Angeklagten, mit der er zusammenlebte, in einem engen, auf Liebe gegründeten Verhältnis, das gegenseitige Hilfe in schwierigen Situationen erwarten ließ. Als die Angeklagte ihm nach ihrer Rückkehr vom Hause der Pflegemutter erzählt hatte, sie habe J. erstochen, überlegte er demgemäß, "wie er seiner Freundin in dieser Situation helfen" könne, und ging mit ihr zum Tatort zurück, "um die Tatspuren zu vernichten" (UA S. 33). Diese in der Sachverhaltsschilderung enthaltene Feststellung kehrt im Strafzumessungsteil der Urteilsgründe wieder und ist dort in die Worte gefaßt, der Angeklagte habe "R. v or Entdeckung bewahren und für sich als seine Freundin erhalten" wollen (UA S. 142). Freilich bezieht sich dies auf einen Zeitpunkt, in dem der Angeklagte glaubte, J. s ei bereits tot; doch lag angesichts dieser seiner Motivation die Folgerung nahe, daß derselbe Beweggrund ihn dann auch dazu bestimmt hat, die Tötung des schwerverletzt aufgefundenen Opfers zu vollenden. Diesen Schluß scheint die Kammer im übrigen selbst gezogen zu haben; denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe heißt es, "im zweiten Handlungsteil" habe der Angeklagte "vorrangig eine Hilfsaktion für seine Freundin" durchgeführt (UA S. 118). "Hilfsaktion" für die Angeklagte konnte in diesem Zusammenhang aber nur ein Handeln sein, durch das sie vor der Entdeckung ihrer Tat geschützt werden würde - eine andere Deutung kommt nicht in Betracht. Ein Indiz, das in die nämliche Richtung weist, bot schließlich auch das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, das - wie das Urteil in breiter Darstellung der polizeilichen Vernehmungen deutlich macht - über weite Strecken von dem entschiedenen Bemühen geprägt war, die Al-
leinschuld am Tode J. auf sich zu nehmen, um die Überführung und Bestrafung der Angeklagten zu verhindern. Mit diesen Umständen, die für die Bejahrung der Verdeckungsabsicht sprechen konnten, hätte sich die Kammer auseinandersetzen müssen. Daß dies unterblieben ist, begründet einen Beweiswürdigungsmangel und damit einen Rechtsfehler.

III.

1. Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zum äußeren Tathergang, soweit sie die Kammer in den Urteilsgründen von UA S. 30 bis 36 (beginnend mit der Überschrift "Das engere Tatgeschehen" und endend vor der Überschift "Geschehen nach der Tat") dokumentiert hat; das erscheint angebracht, weil nach diesen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen in Verbindung mit der rechtlichen Wertung durch den Senat bereits abschließend geklärt ist, daß die Angeklagte S. eine vollendete Tötung, der Angeklagte W. dagegen nur einen Tötungsversuch zu verantworten hat. Soweit die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten W. wegen vollendeten Tötungsverbrechens erstrebt, hat ihr Rechtsmittel keinen Erfolg. 2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bei keinem der beiden Angeklagten eine Grundlage in den bisherigen Feststellungen findet; von den akut wirksamen und latent vorhandenen Störfaktoren , die nach Meinung des Sachverständigen und der ihm folgenden Kammer die Schuldfähigkeit der Angeklagten beeinträchtigt haben sollen (bei der Angeklagten S. ein "vorübergehender Impulskontrollverlust", bei
dem Angeklagten W. Unreife, geringe Konfliktverarbeitungsfähigkeit, Streß und Panik), erfüllt keiner eines der in § 20 StGB bezeichneten Eingangsmerkmale. Jähnke Niemöller Detter Rothfuß Hebenstreit

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

27
5. Die Sache bedarf insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Die für die Annahme des Mordmerkmals Heimtücke maßgeblichen Umstände werden ganz wesentlich von der Art der Tatausführung bestimmt. Deshalb war der Senat genötigt, die Feststellungen insgesamt aufzuheben. Nach den auch hier geltenden Grundsätzen von BGHSt 52, 96 ist die Adhäsionsentscheidung von der Aufhebung auszunehmen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 406a Rdn. 8).

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, daß das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

(2) Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind.

(3) Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Die §§ 133 bis 136a und 168c Abs. 1 und 5 gelten entsprechend. Über die Rechtmäßigkeit der Vorführung entscheidet auf Antrag des Beschuldigten das nach § 162 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.

(4) Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5 und § 136a anzuwenden. § 168c Absatz 1 und 5 gilt für den Verteidiger entsprechend.

(5) Die §§ 186 und 187 Absatz 1 bis 3 sowie § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe.

(2) Auf Verlangen ist auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger nach der Vernehmung des Angeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären.

(3) Die Erklärungen dürfen den Schlußvortrag nicht vorwegnehmen.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, daß das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

(2) Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind.

(3) Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Die §§ 133 bis 136a und 168c Abs. 1 und 5 gelten entsprechend. Über die Rechtmäßigkeit der Vorführung entscheidet auf Antrag des Beschuldigten das nach § 162 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.

(4) Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5 und § 136a anzuwenden. § 168c Absatz 1 und 5 gilt für den Verteidiger entsprechend.

(5) Die §§ 186 und 187 Absatz 1 bis 3 sowie § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/09
vom
9. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Zur Belehrungspflicht bei sog. Spontanäußerungen eines Verdächtigen
BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 170/09 – LG Paderborn
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Juni 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 19. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Strafe ein Jahr und drei Monate vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, soweit die Revision mit ihr beanstandet, die Strafkammer habe Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei, insbesondere solche aus Anlass seiner Vernehmung am 22. August 2008, verwertet, ohne dass dieser gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden sei.
3
1. Die Revision trägt hierzu folgenden Verfahrensablauf vor:
4
Noch in der Tatnacht habe der Angeklagte in Begleitung seiner Ehefrau die Polizeiwache in D. aufgesucht, um sich zu stellen. Ohne vorherige Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter habe er die Tat zugegeben, woraufhin er wegen des dringenden Verdachts eines Tötungsdelikts vorläufig festgenommen worden sei. Er sei dann mit einem Polizei-Pkw zur Kreispolizeibehörde in H. gebracht worden und habe auf der Fahrt gegenüber den Polizeibeamten Einzelheiten des Tatgeschehens geschildert. Erst dort seien ihm nach ärztlicher Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit von den Kriminalbeamten L. und R. unter erneuter Eröffnung des Tatvorwurfs seine Rechte als Beschuldigter erläutert worden. Der Angeklagte habe daraufhin erklärt, den Polizeibeamten doch schon alles gesagt zu haben; er wolle jetzt keine Aussage mehr machen, sondern alles über seinen Anwalt regeln. Von dem Kriminalbeamten L. sinngemäß darauf hingewiesen, eine mögliche Aussage könne auch seiner Entlastung dienen und entlastende Angaben könnten bei der - zum damaligen Zeitpunkt noch andauernden - Spurensuche am Tatort berücksichtigt werden, habe der Angeklagte geäußert, dann könne er auch jetzt einfach alles erzählen. Die umfangreichen Angaben des Angeklagten wurden sodann von den vernehmenden Beamten in einem Vermerk niedergelegt.
5
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe den Geschädigten zu keinem Zeitpunkt lebensbedrohlich verletzen wollen, sondern sich lediglich gegen dessen Schläge und Tritte gewehrt, als widerlegt angesehen. Seine Überzeugung, der Angeklagte habe mit seinem Messer zielgerichtet und deshalb zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Oberkörper des Geschädigten eingestochen, hat es auch auf die Bekundungen der in der Hauptverhandlung vernommenen Kriminalbeamtin R. gestützt. Diese hat in der Hauptverhandlung u.a. über die in ihrem Vermerk niedergelegten Angaben des Angeklagten vom 22. August 2008 ausgesagt. Insoweit hat der Angeklagte der Vernehmung widersprochen und einen Gerichtsbeschluss herbeigeführt.
6
2. Allerdings hätte der Angeklagte, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht erst durch die Kriminalbeamten L. und R. , sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt werden müssen.
7
Gegen die Verwertung der Aussage der Kriminalbeamtin R. auch hinsichtlich der Angaben des Angeklagten in der Beschuldigtenvernehmung vom 22. August 2008 bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO soll sicherstellen, dass ein Beschuldigter nicht im Glauben an eine vermeintliche Aussagepflicht Angaben macht und sich damit unfreiwillig selbst belastet (vgl. BGHSt [GS] 42, 139, 147; BayObLG NStZ-RR 2001, 49, 51). Für den Fall der von einem Polizeibeamten durchgeführten Befragung von Auskunftspersonen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum einen die Stärke des Tatverdachts , den der Beamte gegenüber dem Befragten hegt, bedeutsam für die Entscheidung, von welchem Zeitpunkt an die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erforderlich ist (BGHSt 38, 214, 227 f.). Hierbei hat der Beamte einen Beurteilungsspielraum, den er freilich nicht mit dem Ziel missbrauchen darf, den Zeitpunkt der erforderlichen Belehrung möglichst weit hinauszuschieben (BGH aaO; vgl. auch BGH NStZ 1983, 86). Daneben ist zum anderen von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten aus Sicht des Befragten darstellt. Polizeiliche Verhaltensweisen wie die Mitnahme eines Befragten zur Polizeiwache, die Durchsuchung seiner Wohnung oder seine vorläufige Festnahme belegen dabei schon ihrem äußeren Befund nach, dass der Polizeibeamte dem Befragten als Beschuldigten begegnet, mag er dies auch nicht zum Ausdruck bringen (BGHSt 38, 214, 228; 51, 367, 370 f.).
9
Ob die vorstehend dargelegten Grundsätze ohne Einschränkung auch dann gelten, wenn der Polizeibeamte keine gezielte Befragung durchführt, sondern lediglich passiv spontane Äußerungen eines Dritten entgegennimmt, mit denen sich dieser selbst belastet, ist in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Eine Verwertbarkeit solcher Äußerungen trotz fehlender Belehrung über die Beschuldigtenrechte wird in der Regel für zulässig gehalten, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 2 Satz 2 StPO gezielt umgangen wurden, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten (BGH NStZ 1983, 86; BGH NJW 1990, 461; vgl. auch BayObLG aaO; OLG Oldenburg NStZ 1995, 412; Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 a Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 136 a Rn. 4).
10
b) Dieses erschiene jedoch zumindest dann bedenklich, wenn sich - wie hier von der Verteidigung behauptet - Polizeibeamte von einem Tatverdächtigen nach pauschalem Geständnis einer schweren Straftat und der unmittelbar darauf erfolgten Festnahme über eine beträchtliche Zeitspanne Einzelheiten der Tat berichten ließen, ohne den von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Täter auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen. Ein solches Verhalten käme einer gezielten Umgehung zumindest äußerst nahe.
11
Einer näheren Aufklärung des Verhaltens der Polizeibeamten im Freibeweisverfahren bedarf es jedoch nicht, da das Urteil auf einem etwaigen Verfahrensverstoß nicht beruht. Die Angaben des Angeklagten gegenüber den Poli- zeibeamten bis zu seiner Ankunft in der Kreispolizeibehörde H. hat das Landgericht der Urteilsfindung nicht zu Grunde gelegt.
12
3. Gegen die Verwertung der Aussage der Zeugin R. bestehen zumindest im Ergebnis keine Bedenken.
13
a) Zwar hätte der Angeklagte - den Verfahrensverstoß unterstellt - zu Beginn seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Kriminalbeamten L. und R. am 22. August 2008 zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bis dahin unterbliebenen Belehrung die zuvor gemachten Angaben unverwertbar seien (sog. qualifizierte Belehrung; vgl. BGH StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 369 nicht abgedruckt; Senatsbeschluss NStZ 2009, 281). Daraus, dass dies nicht geschehen ist, würde jedoch nicht ohne Weiteres folgen, dass auch die Angaben, die der Angeklagte nach erfolgter Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter gegenüber den beiden Vernehmungsbeamten gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot unterlagen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die in einem solchen Fall erforderliche (qualifizierte) Belehrung verhindern, dass ein Beschuldigter auf sein Aussageverweigerungsrecht nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, eine frühere, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zustande gekommene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können. Da der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hat, ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH StV 2007, 450, 452; Senatsbeschluss aaO). Die Abwägung ist unter Berücksichtigung des Interesses an der Sachaufklärung einerseits sowie des Gewichts des Verfahrensverstoßes andererseits vorzunehmen (Senatsbeschluss aaO m.w.Nachw.). Sie ergibt hier, dass das Landgericht an einer Verwertung nicht gehindert war.
14
b) Eine bewusste Umgehung der Belehrungspflichten auf der Polizeiwache in D. sowie auf dem Transport des Angeklagten nach H. ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht behauptet. Es spricht auch nichts dafür, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter annahm, er könne von seinen Angaben gegenüber den im Polizei-Pkw anwesenden Beamten nicht mehr abrücken. Die anfänglich fehlende Aussagebereitschaft des Angeklagten sowie sein Hinweis auf die von ihm gewünschte Einschaltung eines Rechtsanwalts sind für eine solche Annahme ebenso wenig tragfähig wie seine Bemerkung, "dann könne er auch alles erzählen". Vielmehr rechtfertigt das von der Revision mitgeteilte Verfahrensgeschehen die Annahme des Landgerichts, wonach die Vernehmungsbeamten dieser Äußerung des Angeklagten dessen freiwilligen Entschluss entnehmen durften, nunmehr umfassend auszusagen.
15
Zu einer solchen Aussage ist der Angeklagte auch nicht in unzulässiger Weise gedrängt worden. Weder die Strafprozessordnung noch der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz eines fairen Verfahrens verbieten es, eine Vernehmung im Anschluss an eine anfängliche Aussageverweigerung fortzusetzen, solange nicht mit verbotenen Mitteln auf die Willensfreiheit des zu Vernehmenden und die Durchsetzbarkeit seines Aussageverweigerungsrechts eingewirkt wird (BGHSt 42, 170). Solche Mittel haben die Vernehmungsbeamten nicht eingesetzt. Die Bemerkung des Kriminalbeamten L. zur möglicherweise entlastenden Wirkung einer Aussage, verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Verifikation von Einzelheiten während der noch andauernden Spurensuche am Tatort, stellte ersichtlich keine Irreführung dar. Es handelte sich vielmehr um einen neutralen, nach Lage der Dinge zumindest nicht fern liegenden Hinweis auf die möglichen Nachteile des Schweigens. Der Angeklagte, der sich einem schweren Tatvorwurf ausgesetzt sah, war so in der Lage, die möglichen Vorteile einer Verteidigung durch Einlassung zur Sache zu erfassen und zwischen Aussage und Schweigen eine informierte Entscheidung zu treffen (vgl. dazu Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 Rn. 34).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke
14
bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zur "qualifizierten" Belehrung hat allerdings nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Deshalb ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452; krit. dazu Roxin aaO S. 17; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 9 a.E.).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 3/07
vom
3. Juli 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I und II 1 bis 3)
Veröffentlichung: ja
____________________________________
Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Art und Weise einer
Vernehmung (im Anschluss an BGHSt 38, 214).
BGH, Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers T. R. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin H. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. R. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 10. Mai 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags an J. H. verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch. 3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt; von der Feststellung der besonderen Schuldschwere hat es abgesehen. Opfer der Taten waren seine Ehefrau G. H. und seine Tochter J. H. . Wegen des Totschlags an der Ehefrau hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von elf Jahren verhängt; den Totschlag an der Tochter hat es als besonders schweren Fall bewertet (§ 212 Abs. 2 StGB) und deswegen auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt.
2
Der Angeklagte wendet sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision - beschränkt - insoweit an, als der Angeklagte "bezüglich der Tötung seiner Tochter J. H. wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt" und "die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt" worden ist. Beide Rechtsmittel haben Erfolg. Allerdings führt die Revision der Staatsanwaltschaft entgegen ihrem Antrag auch zur Aufhebung der wegen der Tötung von J. H. verhängten Einzelstrafe und damit der Gesamtsstrafe.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 9. oder 10. Mai 2002 schlug der Angeklagte im gemeinsamen Wohnanwesen zunächst mehrmals mit großer Kraft einen schweren großflächigen Gegenstand gegen den Kopf seiner Ehefrau G. H. oder stieß - nach Eintritt der Bewusstlosigkeit - ihren Kopf mit großer Kraft gegen einen derartigen Gegenstand. G. H. erlitt drei Schädelbrüche, wobei eine der Frakturen auch durch den ungehemmten Aufprall des Kopfes infolge Bewusstlosigkeit verursacht worden sein kann. Anschließend tötete der Angeklagte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang seine Tochter J. H. auf eine nicht bekannte Weise. Weitere Einzelheiten des eigentlichen Tathergangs hat das Landgericht nicht feststellen können.
5
Nach den Taten versteckte er die Leichen in einem 30 Kilometer entfernt liegenden Wald, nachdem er ihre Extremitäten mit Paketklebeband fixiert und sie mit Folie und Textilien umwickelt hatte. Mehr als drei Jahre später, am 23. August 2005, wurden die beiden Leichen in skelettiertem Zustand entdeckt.

II.

6
Revision des Angeklagten:
7
Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg, die Kammer habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft die Zeugenaussagen des Angeklagten am 26. September und 13. November 2002 verwertet, obwohl er als Beschuldigter hätte vernommen und dementsprechend belehrt werden müssen (Verstoß gegen § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 StPO).
8
1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
9
Der Angeklagte zeigte am 13. Mai 2002 das Verschwinden von Ehefrau und Tochter an. Auf Grund dieser Vermisstenanzeige wurde zunächst lediglich bei der Polizei ein "Vermisstenvorgang" geführt. Der Angeklagte wurde am 13. Mai, 16. Mai, 12. August und 26. September 2002 von Polizeibeamten als Zeuge vernommen. Er wurde - nur - vor der Zeugenvernehmung am 26. September darauf hingewiesen, dass er "bei der Polizei … überhaupt nichts sagen" und jedenfalls "keine Angaben machen brauche(…), die … (ihn) belasten könnten". Bei den Vernehmungen äußerte sich der Angeklagte umfassend zur Sache. Am 4. Oktober 2002 legte die Polizei den Vorgang der Staatsanwaltschaft vor, die am 7. Oktober 2002 ein "Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts eines nichtnatürlichen Todesfalls" einleitete. Am 10. Oktober 2002 erfolgte eine Suchaktion mit Leichensuchhunden mit dem Einverständnis des Angeklagten auf seinem Grundstück einschließlich des Wohnhauses. Am 13. November 2002 sagte der Angeklagte bei der Polizei nochmals ergänzend als Zeuge zur Sache aus, ohne belehrt worden zu sein.
10
Als am 8. März 2003 ein Ledermäppchen mit Plastikkarten der Ehefrau in der Nähe des Anwesens des Angeklagten aufgefunden wurde, leitete die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. März 2003 gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes in zwei Fällen ein. Am 21. März 2003 wurde er als Beschuldigter vernommen; nach Beschuldigtenbelehrung, allerdings ohne dass auf die Nichtverwertbarkeit früherer Aussagen hingewiesen wurde (sog. qualifizierte Belehrung), machte er ergänzende Angaben zur Sache. Weil weitere Ermittlungen keine hinreichend sicheren Erkenntnisse über den Tod oder den Verbleib der beiden Frauen erbrachten, wurde das Verfahren am 3. Juni 2004 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
11
Nachdem die beiden Leichen - die der Ehefrau eingewickelt in einen aus dem gemeinsamen Haushalt stammenden Teppich - entdeckt worden waren, erging nach Wiederaufnahme der Ermittlungen am 26. August 2005 Haftbefehl gegen den Angeklagten, auf Grund dessen seit demselben Tag Untersuchungshaft gegen ihn vollzogen wird. Bei einer Beschuldigtenvernehmung am 29. August 2005 sagte der Angeklagte nach - nicht qualifizierter - Belehrung erneut ergänzend aus.
12
In der Hauptverhandlung, die am 27. Februar 2006 begann, machte der Angeklagte lediglich Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seinem Lebenslauf; zur Sache ließ er sich nicht ein. Die Verteidigung widersprach rechtzeitig der Verwertung der Aussagen des Angeklagten unter anderem vom 26. September und 13. November 2002, da der Angeklagte als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen. Die Schwurgerichtskammer wies den Widerspruch zurück.
13
2. Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte bei den Zeugenaussagen vom 26. September und 13. November 2002 aus Sicht der Vernehmungsbeamten "längst" Beschuldigter gewesen sei. Im Zentrum des Revisionsvorbringens steht dabei die Vernehmung am 26. September 2002; die Beschul- digteneigenschaft ergebe sich hier aus den zuvor bei den Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen sowie aus dieser Vernehmung selbst.
14
Zur Zeit der Vernehmung seien die Ehefrau und die Tochter des Angeklagten schon mehr als viereinhalb Monate lang verschwunden gewesen. Von der Polizei eingeleitete umfangreiche Suchmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Nach den polizeilichen Erkenntnissen hätten die Vermissten keinen Kontakt zu Verwandten oder Freunden aufgenommen; auf dem Giro- und dem Kreditkartenkonto der Ehefrau seien keine Bewegungen zu verzeichnen gewesen.
15
Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt, aus denen hervorgehe , dass der Vernehmungsbeamte "nicht nur im Sinne eines subjektiven 'Gefühls'", sondern "auf der Grundlage des aktuellen Ermittlungsstands einerseits davon überzeugt war, dass G. und J. H. tot waren, und andererseits, dass der Angeklagte mit dem Tod der beiden 'in Zusammenhang' stand". Der Vernehmungsbeamte habe auch zum Ausdruck gebracht, dass er die Angaben des Angeklagten insbesondere insoweit für nicht glaubhaft halte, als dieser Erinnerungsdefizite für die Tage nach dem Verschwinden behauptet habe.
16
3. Die Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September und 13. November 2002 durch das Landgericht ist auf Grund der fehlenden Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO rechtsfehlerhaft. Denn der Angeklagte erlangte mit der Vernehmung am 26. September 2002 und mit der anschließenden Suchmaßnahme auf seinem Anwesen den Status eines Beschuldigten.
17
a) Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive und objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv - den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv - in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 41. Lfg. vor § 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (BGHSt aaO). Dabei ist zwischen verschiedenen Ermittlungshandlungen wie folgt zu differenzieren :
18
Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen, die nur gegenüber dem Beschuldigten zulässig sind, sind Handlungen, die ohne weiteres auf den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde schließen lassen (Rogall aaO Rdn. 23). Aber auch Eingriffsmaßnahmen, die an einen Tatverdacht anknüpfen, begründen grundsätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der Maßnahme betroffenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen; so liegt die Beschuldigtenstellung des Verdächtigen auf der Hand, wenn eine Durchsuchung nach § 102 StPO dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen (vgl. BGH NJW 1997, 1591, 1592; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 136 Rdn. 4). Anders liegt es bei Vernehmungen. Bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO ergibt sich, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Hanack aaO; Rogall aaO Rdn. 11; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären ; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Be- schuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
19
Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig von der objektiven Stärke des Tatverdachts - unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei Becker]; 2004, 368; Beschl. vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03).
20
Andererseits kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zumal bei Tötungsdelikten - erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann.
21
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es zwar nicht zu beanstanden, dass Staatsanwaltschaft und Polizei die Verdachtslage dahingehend beurteil- ten, dass noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen ernsthaften Tatverdacht auf ein Tötungsdelikt des Angeklagten vorhanden waren (nachfolgend aa). Jedoch zeigten die Ermittlungsbeamten bei der Vernehmung am 26. September 2002 und danach ein Verhalten, aus welchem sich für den Angeklagten ergab, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten (nachfolgend bb).
22
aa) Nach der dienstlichen Stellungnahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 gingen Staatsanwaltschaft und Polizei bis zum Auffinden des Kartenmäppchens am 8. März 2003 - also bei sämtlichen Zeugenvernehmungen - davon aus, dass "noch keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten und ernsthaften Verdacht gegen den Angeklagten begründet hätten". Diese Beurteilung entsprach dem Stand der Ermittlungen. Denn die Erkenntnisse in dem Vermisstenfall erschöpften sich weitgehend darin, dass G. und J. H. schon längere Zeit - am 26. September 2002 seit mehr als viereinhalb Monaten - "spurlos" verschwunden waren. Dies gilt namentlich für die erfolglosen Suchaktionen, den ausbleibenden Kontakt zu Verwandten und Freunden sowie die fehlenden Kontenbewegungen. Auf der anderen Seite lagen Hinweise vor, die gegen einen Tatverdacht sprachen; so hatten sich etwa Personen bei der Polizei gemeldet, welche die Vermissten noch nach ihrem Verschwinden gesehen haben wollten.
23
Nach alledem durften die Vernehmungsbeamten zunächst davon ausgehen , dass keine gesicherten Erkenntnisse gegeben waren, die einen derart starken Tatverdacht gegen den Angeklagten begründeten, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von Rechts wegen geboten war. Den Strafverfolgungsbehörden fehlten hinreichende objektive Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt Straftaten vorlagen. Allein die Vorstellung, falls sich entsprechende Tatsachen herausstellen sollten, werde in erster Linie gegen den Angeklagten vor- gegangen, begründete nicht dessen Beschuldigtenstellung (vgl. in diesem Sinne BGHSt 49, 29, 31 f.).
24
bb) Neben der Stärke des Tatverdachts ist jedoch auch von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach außen, auch in der Wahrnehmung des Vernommenen darstellt. Hier folgt der Verfolgungswille aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Vernehmung am 26. September 2002 und der darauf folgenden Suchmaßnahme auf dem Anwesen des Angeklagten :
25
Eine - aus der Sicht des Angeklagten zu beurteilende - Gesamtschau aller relevanten Umstände ergibt, dass die Vernehmung vornehmlich dazu diente, den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Vernehmungsbeamte überzeugt zeigte, zu überführen. In der lediglich von kurzen Pausen unterbrochenen fast zehnstündigen Vernehmung ging es diesem erkennbar insbesondere darum, den Angeklagten mit Ungereimtheiten seines bisherigen Aussageverhaltens und zuletzt direkt mit dem Vorwurf von Tötungsverbrechen zu konfrontieren. Die Gestaltung der Vernehmung lässt erkennen, dass der Vernehmungsbeamte mittels kriminalistischer Taktik einen Tatnachweis ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis erleichtern wollte. Die Vernehmung war von Vorhalten und Fragen geprägt , die erkennbar auf "Schwachstellen" in den bisherigen Aussagen zielten und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hinwirkten:
26
So äußerte der Vernehmungsbeamte schon zu Beginn der Vernehmung, dass nach seiner Überzeugung G. und J. H. tot seien. Noch in einem frühen Stadium erklärte er weiterhin, dass der Angeklagte bereits aus der Belehrung, sich nicht selbst belasten zu müssen, erkennen könne, dass der Vernehmungsbeamte ihm "im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Frau und Kind … bis zu einem gewissen Grad Misstrauen entgegenbringe". Der Angeklagte bekundete beispielsweise, schon kurz nachdem Ehefrau und Tochter verschwunden gewesen seien, so "von der Rolle" gewesen zu sein, dass er nunmehr Erinnerungslücken habe, obwohl er zuvor ausgesagt hatte, die Ehe sei zerrüttet gewesen und seine Ehefrau habe schon früher unangekündigt auswärts übernachtet. Daraufhin äußerte der Vernehmungsbeamte, dass er dem Angeklagten insoweit nicht glaube ("ich glaube Ihnen kein Wort"); mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken wolle der Angeklagte "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte. Sodann stellte der Vernehmungsbeamte zwar ausdrücklich die vergleichsweise schwache Beweislage heraus, indem er sagte: "Gut, Herr H. , ich kann Ihnen natürlich nicht das Gegenteil (davon) beweisen , dass es bei Ihnen so war. Das kann ich natürlich nicht." Als der Angeklagte auf den nochmaligen Vorhalt, seine Angaben seien nicht glaubhaft, so dass sich die Frage stelle, was er "mit dem Verschwinden von der G. und der J. zu tun" habe, auf diesen Angaben beharrte, äußerte der Vernehmungsbeamte jedoch auch, dass der Angeklagte sich durch sein derzeitiges Aussageverhalten "nur noch verdächtiger" mache. Im weiteren Verlauf hielt der Vernehmungsbeamte - vor dem Hintergrund erheblicher Probleme des Angeklagten mit der Zeugungsfähigkeit - ihm vor, er könnte in einem Streitgespräch mit seiner Ehefrau erfahren haben, dass er nicht der Erzeuger seiner Tochter sei. Um diese den Angeklagten belastende Sachverhaltsvariante "in den Griff (zu) bekommen", forderte er die Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht, die der Angeklagte auch erteilte. Schließlich wurden die Vorhalte zunehmend eindringlicher (etwa: "Das Gewissen plagt Sie nicht?" oder "Dass Sie uns eventuell sagen, wo die Leichen sind!"). Zuletzt forderte der Vernehmungsbeamte noch die Zustimmung des Angeklagten zu einer Nachschau in seinem Haus und die Abgabe einer Speichelprobe für eine DNA-Analyse; mit beidem erklärte sich dieser einverstanden.
27
Wie bereits ausgeführt (vgl. oben II. 3. a), führen auf den Tatverdacht zielende Vorhalte und Fragen nicht notwendig dazu, dass der Vernommene als Beschuldigter zu belehren ist. Die Vorhalte und Fragen dienten hier jedoch für den Angeklagten erkennbar zum einen dazu, neue Ermittlungsansätze gegen ihn zu gewinnen (Schweigepflichtsentbindung; Nachschau im Haus; DNAAnalyse ) und ein Geständnis von ihm zu erlangen. Zum anderen wollte der Vernehmungsbeamte Widersprüche im Aussageverhalten des Angeklagten aufdecken. So deutet etwa der Vorhalt, der Angeklagte wolle mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte, darauf hin, dass es dem Vernehmungsbeamten zu diesem Zeitpunkt, sollte der Angeklagte - wunschgemäß - präzisere Angaben machen, insbesondere auch um die Aufdeckung derartiger Widersprüche zum Zweck eines Tatnachweises ging. Entgegen der bereits erwähnten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 erfolgte somit die Befragung erkennbar gerade nicht vor dem Hintergrund , "dass ein Angehöriger bei einem Vermisstenfall zu den Umständen des Verschwindens unwahre oder unvollständige Angaben macht, die nichts mit der Verheimlichung eines von ihm selbst begangenen Tötungsdelikt zu tun haben". Unter Berücksichtigung aller Umstände war dieses Vorgehen daher im vorliegenden Fall mit einer Vernehmung des Angeklagten als Zeugen nicht mehr zu vereinbaren.
28
Der Wille der Strafverfolgungsbehörden, gegen den Angeklagten als Beschuldigten vorzugehen, ergibt sich weiterhin aus der Suchmaßnahme kurze Zeit später, zu der der Angeklagte bei der Vernehmung sein Einverständnis erteilt hatte. Am 10. Oktober 2002, noch vor der Vernehmung am 13. November 2002, suchten Ermittlungsbeamte das Anwesen des Angeklagten einschließlich des Wohnhauses mit Leichensuchhunden ab. Der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zufolge sollte die Maßnahme "der Klärung der Frage (dienen), ob die Vermissten eventuell - auf welche Weise auch immer - in dem Anwesen selbst zu Tode gekommen sein könnten". Diese Maßnahme bezweckte daher die Überführung des Angeklagten. Hätte sie nämlich Erfolg gehabt, wären also auf dem Anwesen Leichen oder Leichenteile oder sonstige Hinweise dafür gefunden worden, dass die Vermissten dort zu Tode gekommen sein könnten, wären alle anderen Möglichkeiten als vom Angeklagten begangene Tötungsdelikte kaum ernsthaft in Betracht gekommen. Dies gilt unabhängig davon, ob und wie viele andere Suchaktionen nach dem Verschwinden von G. und J. H. erfolgten. Die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft, dass die Suchmaßnahme am 10. Oktober 2002 "im Erfolgsfall (erst) zu einem Anfangsverdacht (hätte) führen können", ist deshalb nicht vertretbar.
29
c) Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO wurde nicht dadurch geheilt, dass der Angeklagte am 21. März 2003 und 29. August 2005 nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung erneut Angaben machte. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob und inwieweit auch ohne Hinweis auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben (sog. qualifizierte Belehrung) eine Heilung der vorausgegangenen fehlerhaften Belehrung in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte die Angaben - pauschal - bestätigt (insoweit offen gelassen von BGHSt 47, 172, 175). Denn die Aussagen vom 21. März 2003 und 29. August 2005 waren nur ergänzender Natur; der Angeklagte bestätigte seine früheren Angaben indessen nicht.
30
d) Da die Verteidigung der Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September und 13. November 2002 rechtzeitig widersprochen hat, zog der Verstoß gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung das Verbot einer Verwertung dieser Aussagen zu Beweiszwecken nach sich (st. Rspr. seit BGHSt 38, 214). Allein die Belehrung des Angeklagten dahingehend, bei der Polizei überhaupt nichts sagen zu müssen, und gemäß § 55 Abs. 2, § 163a Abs. 5 StPO dahingehend, jedenfalls keine Angaben machen zu müssen, die ihn belasten könnten, kann in aller Regel die gebotene Belehrung über das vollumfängliche Aussageverweigerungsrecht nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass diese Belehrungen - anders als die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - keinen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation enthielten (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGHSt 47, 172, 174).
31
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht anders entschieden hätte, wenn es nicht sämtliche Aussagen des Angeklagten in diesem Verfahren für verwertbar gehalten hätte. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld unter anderem darauf gestützt hat, dass das Verhalten des Angeklagten nach dem Verschwinden der Opfer nicht nachvollziehbar sei und seine Angaben in dem Verfahren vage und widersprüchlich gewesen oder widerlegt worden seien, hat es nämlich maßgebend auf die Vernehmung am 26. September 2002 Bezug genommen.
32
5. Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils. Die Sachbeschwerde kann daher auf sich beruhen. Der Senat bemerkt jedoch, dass die Möglichkeit einer nur fahrlässigen Tötung von J. H. , deren ausdrückliche Erörterung die Revision des Angeklagten vermisst, nach der Gesamtschau der Urteilsgründe nicht nahe liegend erscheint.

III.

33
Revision der Staatsanwaltschaft:
34
Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Schwurgerichtskammer das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht hinsichtlich der Tötung von J. H. verneint hat.
35
1. Dass der Angeklagte seine Tochter nicht in der Absicht tötete, den vorausgegangenen Totschlag an seiner Ehefrau zu verdecken, hat das Landgericht auf zwei - teilweise ineinander greifende - Erwägungen gestützt:
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a) Zum einen geht es davon aus, die Verdeckungsabsicht hätte hier "zumindest eine gewisse Zeitspanne zwischen der Tötung beider Opfer" vorausgesetzt , "in der sich der Angeklagte unter Abwägung des Für und Wider zur Begehung der weiteren Tat" entschieden hätte. "Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten eine ausreichende Zeitspanne für derartige Überlegungen blieb", bestünden aber nicht. Vielmehr sei möglich, dass er sich "in Bruchteilen einer Sekunde" auch zur Tötung seiner Tochter entschlossen habe.
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b) Zum anderen könne - unabhängig davon - ein sogenannter "Affektübersprung" nicht ausgeschlossen werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei jedenfalls möglich, dass J. H. während einer heftigen ehelichen Auseinandersetzung anwesend und in diese involviert gewesen sein könnte. Weil sie um die Vorlieben des Angeklagten für pornographische Darstellungen im Internet wusste, sei es dann nahe liegend, dass sie in der für sie extrem belastenden Situation ihre Eltern mit diesem Wissen konfrontiert, sich erstmals in außergewöhnlicher Weise gegen den Vater aufgelehnt und für ihre Mutter Partei ergriffen habe. Möglich sei aber auch, dass sie - mit der Gewalttat des Vaters gegenüber der Mutter konfrontiert - geschrieen und geweint sowie eventuell neben ihrer Angst auch ihre Abscheu gegenüber dessen Verhalten zum Ausdruck gebracht habe. Vor diesem Hintergrund käme ein "Affektübersprung" in Betracht, obwohl der psychiatrische Sachverständige dies unter Hinweis auf den Altersunterschied des Opfers zum Angeklagten für fern liegend erachtet habe. Ein derartiger "Affektübersprung" hätte darauf beruhen können, dass dieser seine Tochter "gleichsam als eine weitere, mit seiner ihn zutiefst kränkenden Ehefrau verbündete ('ebenbürtige') 'Gegnerin' angesehen haben" könnte.
38
2. Schon für sich gesehen hält keine dieser Erwägungen sachlichrechtlicher Überprüfung stand; auf die Frage eines Zusammenspiels der Erwägungen kann es daher nicht ankommen. Die Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Verdeckungsabsicht zeigen, dass die Kammer insoweit von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist (nachfolgend a). Soweit die Kammer annimmt, ein "Affektübersprung" könne nicht ausgeschlossen werden , ist die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern (nachfolgend b).
39
a) Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kann auch bei einem in einer unvorhergesehenen Augenblickssituation spontan gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Die Absicht zur Verdeckung einer anderen Tat erfordert keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die eigenen Ziele. Vielmehr genügt es, dass er die "Verdeckungslage" gleichsam "auf einen Blick" erfasst (vgl. BGHSt 35, 116; BGH NJW 1999, 1039, 1041; Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 184 ff.; zu dem insoweit gleich zu behandelnden Ausnutzungsbewusstsein beim Mordmerkmal der Heimtücke vgl. Senat NStZ-RR 2005, 264, 265), wobei in der Regel ein vorhandenes gedankliches Mitbewusstsein ausreicht (BGH NJW aaO). Die Auffassung, der Annahme von Verdeckungsabsicht stünde entgegen, dass sich der Angeklagte angesichts der Reaktion seiner Tochter "in Bruchteilen einer Sekunde" auch zu ihrer Tö- tung entschlossen haben könnte, belegt, dass die Kammer von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
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b) Der aufgezeigte Mangel wäre im Ergebnis unerheblich, wenn infolge des - von der Kammer als nicht ausschließbar angenommenen - "Affektübersprungs" dem Angeklagten das (gedankliche Mit-)Bewusstsein gefehlt hätte, dass die Tötung seiner Tochter die Aufklärung der Tötung der Ehefrau erschwert , und er nicht in diesem Sinne zielgerichtet gehandelt hätte. Jedoch hält die dieser Annahme zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ein Urteil ist jedoch aufzuheben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt; ferner dann, wenn der Tatrichter an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. nur Senat NJW 2002, 2188, 2189; 2006, 1297, 1298; NStZ-RR 2003, 371 LS; 2005, 147 f.).
42
Gegen die Feststellungen zur Tötungsreihenfolge und zur affektbedingten Enthemmung des Angeklagten ist - im Ausgangspunkt - revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Basierend auf einer - noch - tragfähigen Tatsachengrundlage hat die Kammer insoweit namentlich aus dem Zustand der Ehe und dem Verhältnis des Angeklagten zu seiner Tochter sowie den Persönlichkeiten der Eheleute unter Berücksichtigung der hinsichtlich G. H. festgestellten Tötungshandlungen mögliche Schlüsse gezogen; zwingend brauchen diese nicht zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 21. Februar 2006 - 1 StR 456/05 m.w.N.).
43
Die Beweiswürdigung zu einem die Verdeckungsabsicht ausschließenden "Affektübersprung" ist jedoch lückenhaft (nachfolgend aa) und lässt besorgen , dass das Landgericht an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (nachfolgend bb).
44
aa) Im Zusammenhang mit dem "Affektübersprung" ist lediglich angeführt , dass dieser "in Unkenntnis des tatsächlichen Verlaufs und der (etwaigen) Heftigkeit des Ehestreits nicht sicher auszuschließen" sei; auch der "befriedigende" Geschlechtsverkehr, den der Angeklagte erstmals in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2002 mit D. hatte, spreche nicht dagegen.
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Demgegenüber bleiben die gegen eine derart starke affektive Erregung sprechenden Umstände unerörtert. Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ist die Kammer nämlich "zu der Überzeugung gelangt, dass weder die Persönlichkeit des Angeklagten noch die sich aus der Ehesituation möglicherweise ergebenden Konfliktlagen noch besondere tatnahe Umstände und Verhaltensweisen" für eine durch die affektive Belastung hervorgerufenen Bewusstseinsstörung im Sinne von § 21 StGB sprächen. Zudem fehlten sogenannte "konstellative Faktoren" wie etwa der Konsum von Alkohol. Insbesondere sei aber das Nachtatverhalten zu würdigen; neben dem Geschlechtsverkehr führt das Urteil in diesem Zusammenhang die gezielte Beseitigung von Tatspuren, das unauffällige Verhalten bei Kontakt mit Dritten im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Taten sowie die gekonnte Darstellung eines Vermisstenfalls an. Hieraus schließt die Kammer auf "eine (beim Angeklagten) zum Tatzeitpunkt vollständig vorhandene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit".
46
All diese Umstände können jedoch auch für den vom Landgericht als nicht ausschließbar erachteten "Affektübersprung" relevant sein, ohne dass sie in diesem Zusammenhang allerdings erörtert sind. Dies wäre jedoch geboten gewesen, nachdem das Landgericht dem Zustand affektiver Erregung für die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht entscheidende Bedeutung beimisst.
47
bb) Darüber hinaus lassen die Ausführungen im Urteil auch besorgen, dass die Kammer überspannte Anforderungen an die Feststellung gestellt hat, der Angeklagte habe J. H. mit Verdeckungsabsicht getötet. Insbesondere gebietet der Zweifelssatz nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten - auch hinsichtlich innerer Tatsachen - zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 11. Juli 2006 - 1 StR 188/06 m.w.N.). Das Urteil nennt weder im Zusammenhang mit der Verdeckungsabsicht noch an anderer Stelle Anhaltspunkte, die konkret darauf hinweisen könnten, der Zustand affektiver Erregung habe die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tötung von J. H. völlig dominieren können. Das Urteil führt sogar an, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen ein "Affektübersprung" auf Grund des Altersunterschieds zwischen dem Angeklagten und seiner Tochter fern liege. Die Kammer hat sich offensichtlich dieser Wertung angeschlossen; jedenfalls ist Gegenteiliges nicht angeführt. Gleichwohl hat sie sich daran gehindert gesehen, einen solchen "Affektübersprung … sicher" auszuschließen. Dies lässt besorgen , dass sie für die Überzeugungsbildung von der Notwendigkeit einer jede denktheoretische Möglichkeit ausschließenden, von niemandem mehr anzweifelbaren Gewissheit ausgegangen ist (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4 m.w.N.).
48
Hinsichtlich der Auswirkung einer affektiven Erregung auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist - zumal bei uneingeschränkter Schuldfähigkeit - auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung ohnehin bei den meisten Tötungsdelikten den Normalfall darstellt (BGH NStZ-RR 2003, 8) und für Verdeckungstötungen sogar typisch ist (vgl. BGH NJW 1999, 1039, 1041). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein solcher Erregungszustand dementsprechend im Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsabsicht (vgl. BGH NJW aaO; Urt. vom 15. Januar 2004 - 3 StR 382/03; zusammenfassend Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 187).
49
3. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags an J. H. auf die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der deswegen verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe sowie der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt zugleich die Grundlage für den Strafausspruch. Eine Aufrechterhaltung der wegen der Tötung von J. H. von der Schwurgerichtskammer gemäß § 212 Abs. 2 StGB verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe und der dementsprechenden Gesamtfreiheitsstrafe bei gleichzeitiger Aufhebung des zu Grunde liegenden Schuldspruchs ist nicht möglich (in vergleichbarem Sinne BGHR StPO § 267 Abs. 2 Schuldfähigkeit 1). Ist aber die lebenslange (Gesamt-)Freiheitsstrafe aufzuheben, so ist für die Prüfung der Frage, ob die Kammer zu Recht von der Feststellung besonderer Schuldschwere (§ 57a StGB) abgesehen hat, kein Raum mehr.

IV.

50
Der Senat macht - entsprechend auch den übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung und Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung - von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.

V.

51
Die Revision des Angeklagten hat die Frage aufgeworfen, ob für die Aussagen des Angeklagten bei den Beschuldigtenvernehmungen am 21. März 2003 und 29. August 2005 mangels qualifizierter Belehrungen ein Beweisverwertungsverbot besteht. Diese Frage hätte vor allem dann Gewicht, wenn es aus der Sicht des neuen Tatrichters wiederum auf den Inhalt der in Rede stehenden Aussagen ankommen sollte.
52
1. Eine qualifizierte Belehrung dient in erster Linie der Heilung von Verstößen gegen Belehrungspflichten. War nämlich der Vernommene rechtsfehlerhaft nicht als Beschuldigter belehrt worden und erfolgt bei einer späteren Beschuldigtenvernehmung auch ein Hinweis auf die Unverwertbarkeit seiner früheren Aussage, ist diese frühere Aussage gleichwohl verwertbar, soweit er sie nach dem Hinweis - gegebenenfalls pauschal - bestätigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 136 Rdn. 9).
53
2. Dies beantwortet für sich genommen nicht die Frage, ob die nach - allerdings nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung gemachten Aussagen verwertbar sind.
54
a) Ist ein Beschuldigter gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt, nicht jedoch über die Unverwertbarkeit früherer Aussagen, so hat der Verstoß hinsichtlich der anschließenden Aussage jedenfalls kein Gewicht, das dem Gewicht eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entspräche. Wie der Bundesgerichtshof bereits im Zusammenhang mit anderen in ihrem Gewicht hinter einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurückbleibenden Fehlern der Vernehmenden bei Beschuldigtenvernehmungen entschieden hat, ist dann die Verwertbarkeit der Aussage durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (vgl. BGHSt 42, 170, 174; NStZ 2006, 236, 237; NStZ-RR 2006, 181, 182 f.). All dies gilt hier entsprechend.
55
b) Bei einer solchen Abwägung wäre insbesondere von Bedeutung, wie gravierend der Verfahrensverstoß war, ob er also in bewusster oder willkürlicher Umgehung der Belehrungspflichten erfolgte, wofür hier nichts spricht (vgl. auch oben II. 3. b. aa). Auf der anderen Seite wäre das Interesse an der Sachaufklärung einzustellen, das von dem - hier massiven - Gewicht der Tat abhängt. Die Annahme eines Verwertungsverbots ist nach alledem - jedenfalls auf der Grundlage der bisher erkennbaren Umstände - fern liegend. VRiBGH Nack ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Wahl Wahl Boetticher Kolz Graf

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.