Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Okt. 2018 - 1 StR 257/18

published on 11/10/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Okt. 2018 - 1 StR 257/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 257/18
vom
11. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:111018B1STR257.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 11. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er in den Fällen C.II.1. bis 7. der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeln ohne Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und hiervon acht Monate als vollstreckt erklärt. Hiergegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und auf Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Revision zeigt keinen durchgreifenden Verfahrensfehler auf.
3
1. Hinsichtlich der Inbegriffsrüge wird auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründe verwiesen.
4
2. Auch die Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg.
5
Die Rüge ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt neben der Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, die Angabe eines bestimmten zu erwartenden Beweisergebnisses sowie der Umstände voraus, aufgrund derer sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1998 – 4 StR 618/97 Rn. 2, bei Kusch NStZ-RR 1999, 33, 38 mwN).
6
Ob dem letztgenannten Erfordernis hinreichend Genüge getan wurde, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls mangelt es an Vortrag zu einem bestimmten Beweisergebnis (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 29. August 2018 – 1 StR 489/17 und Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721, 723); dieses wurde nicht hinreichend konkret bezeichnet (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2010 – 1 StR 259/10, NStZ-RR 2010, 316, 317). Beweisergebnis ist das, was das Beweismittel an tatsächlichem Beurteilungsstoff für die Entscheidung der Beweisfrage ergibt (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., Einl. Rn. 48). Insofern auf den Inhalt der fraglichen Urkunden zu verweisen, genügt hier nach den Gesamtumständen nicht. Es hätte vielmehr konkret dargelegt werden müssen, dass der beratende Rechtsanwalt gegenüber dem Angeklagten eine bestimmte Vertragsversion als rechtlich unbedenklich darstellte und dieser seinem Rechtsrat vertraute.
7
Ob der Angeklagte darüber hinaus – entsprechend der Auffassung des Generalbundesanwalts – von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO hätte Gebrauch machen müssen, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.

II.


8
Die Sachrüge des Angeklagten führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in sieben Fällen. Insoweit tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht, weil das Landgericht die Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht geprüft hat.
9
1. Das Landgericht hat keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten als Arbeitgeber der Zeugen Z. , E. und S. getroffen. Es hat allein auf die fehlende Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge abgehoben. Dies reicht nicht aus, weil der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nur dann gegeben ist, wenn der verpflichtete Arbeitgeber auch die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur Erfüllung dieser sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte. Insoweit gelten für das echte Unterlassungsdelikt des § 266a StGB die allgemeinen Grundsätze, wonach als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung hinzutreten muss, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 319 f.). Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Eine Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (BGH aaO 318, 320).
10
Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Zahlungsfähigkeit des Angeklagten wäre hier schon deshalb erforderlich gewesen, weil das Landgericht für einen tatnahen Zeitraum festgestellt hat, dass der Angeklagte gezwungen war, auf Betreiben seiner Zwangsvollstreckungsgläubiger das Vermögensverzeichnis abzugeben und Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seiner Firma sowie über sein Privatvermögen zu stellen, dem entsprochen wurde. Auch wenn die jeweilige monatliche Zahllast mit ca. 640 Euro, 1.460 Euro bzw. 1.840 Euro gering war, enthebt dies angesichts der im Rahmen der Betrugstaten geschilderten desolaten finanziellen Verhältnisse den Tatrichter nicht von der Verpflichtung, die tatsächliche Möglichkeit der Zahlung nachvollziehbar darzulegen.
11
2. Allerdings kann der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zwar zum Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch praktisch vorverlagert ist (sog. omissio libera in causa – vgl. im Einzelnen BGH aaO 318, 320 ff.). Vorsätzlich pflichtwidrig handelt der Arbeitgeber insoweit aber nur, wenn sich für ihn erkennbar ein Liquiditätsengpass abzeichnet, aus dem eine Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge resultiert, und er es dennoch unterlässt, die Abführung der Sozialbeiträge seiner Arbeitnehmer sicherzustellen, obwohl ihm dies im Zeitpunkt des Offenbarwerdens der Liquiditätsprobleme durch angemessene , rechtlich zulässige finanztechnische Maßnahmen möglich gewesen wäre (BGH aaO 318, 322 ff.).
12
Das Landgericht hat vorliegend aber weder geprüft, ob zum Zeitpunkt der Fälligkeit eine entsprechende Leistungsfähigkeit vorhanden war, noch – wenn diese Voraussetzung zu verneinen ist – ob hilfsweise zu einem früheren Zeitpunkt die Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hätte veranlasst werden müssen und ob der Angeklagte dies auch erkannt hat.
13
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt hinsichtlich der Fälle C.II.1. bis 7. die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

III.


14
Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen C.II.1. bis 7. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der für diese Taten verhängten Einzelstrafen sowie des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.