Bundesgerichtshof Urteil, 05. Nov. 2015 - 4 StR 124/14

bei uns veröffentlicht am05.11.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 124/14
vom
5. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –
als Verteidiger,
Prof. Dr. rer. nat. A. – in der Verhandlung –
als Sachverständiger ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 1. August 2013 aufgehoben
a) im Strafausspruch mit den Feststellungen,
b) soweit gegen den Beschwerdeführer der Verfall von Wertersatz in Höhe von mehr als 616 € angeordnet worden ist; die weiter gehende Verfallsanordnung entfällt.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass 50 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ und zwei Tütchen „VIP“ eingezogen wer- den.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung zu Ziffer 1. a) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Amtsgericht – Strafrichter – Iserlohn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 190 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat ferner den Verfall von Wertersatz in Höhe von 1.452 € und die Einzie- hung von zwölf Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ und zwei Tütchen „VIP“ an- geordnet. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sind jeweils auf die Sachrüge gestützt. Während der Angeklagte seinen Freispruch auch in den Verurteilungsfällen anstrebt, begehrt die Staatsanwaltschaft diesbezüglich eine Verurteilung u.a. wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Insoweit wird das Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Die Revisionen erzielen jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

I.


2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte betreibt in I. ein Ladengeschäft, in dem er unter anderem Zubehör für den Konsum von Cannabis vertreibt.Spätestens im Jahr 2010 beschloss der Angeklagte, der nicht über eine Erlaubnis zum Umgang mit Betäubungsmitteln verfügt, gewinnbringend Kräutermischungen anzubieten, die synthetische Cannabinoide enthielten. Wegen der cannabisähnlichen Wirkung werden diese Kräutermischungen in Szenekreisen als Rauschmittel konsumiert, hauptsächlich geraucht. Die Kräutermischungen enthalten getrocknetes Pflanzenmaterial , auf das synthetische Cannabinoide wie JWH-018, JWH-019 und JWH-073 aufgesprüht werden. Die Wirkstoffe sind üblicherweise in den Kräutermischungen nicht gleichmäßig verteilt. Der Konsument kann weder erkennen , welches der in der Wirkungsweise unterschiedlich starken synthetischen Cannabinoide aufgesprüht wurde, noch dessen Menge.
4
Dem Angeklagten war bekannt, dass die Kräutermischungen zum Konsum durch Rauchen verwendet wurden und dass diese eine bewusstseinsverändernde Wirkung hatten, sofern sie synthetische Cannabinoide enthielten. Mit den jeweiligen Lieferungen wurden ihm von seinem Lieferanten Analysenbefunde übersandt, die auswiesen, dass weder synthetische noch pflanzliche Cannabinoide in dem untersuchten Probematerial gefunden werden konnten. Die von den Herstellern dem Labor übersandten Proben enthielten nämlich – wasder Angeklagte nicht wusste – im Gegensatz zu den tatsächlich vertriebenen Produkten keine synthetischen Cannabinoide.
5
Am 5. Oktober 2011 erwarb der Angeklagte bei einer belgischen Firma 30 Tütchen der Kräutermischung „VIP“ zu jeweils drei Gramm (Fall 1). Die Tütchen enthielten das zum Tatzeitpunkt noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende JWH-210 und 10,2 % des dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden JWH-019, mithin bezogen auf die Gesamtmenge 9,18 Gramm JWH-019. Am 17. Oktober 2011 erwarb der Angeklagte bei demselben Lieferanten 50 Tütchen der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ zu jeweils drei Gramm (Fall 2). Auch diese Kräutermischung enthielt JWH-210 und JWH-019. Bei einem Wirkstoffgehalt von 9,9 % JWH-019 betrug die reine Wirkstoffmenge der Gesamtlieferung 14,85 Gramm JWH-019. Der Angeklagte hielt es zum Zeitpunkt der Bestellungen für möglich, dass die Kräutermischungen „Jamaican Gold Extreme“ und „VIP“ Stoffe enthielten, die dem Betäubungsmit- telgesetz unterfallen, nahm dies aber nicht billigend in Kauf. Von der Kräuter- mischung „VIP“ verkaufte der Angeklagte mit Gewinn 28 Tütchen für jeweils 22 €, so dass er 616 € einnahm. Zu Verkäufen der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ kam es nicht. Bei einer Durchsuchung am 20. Oktober 2011 wurden aus den vorgenannten Lieferungen im Ladengeschäft des Angeklagten zwei Tütchen „VIP“ und zwölf Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ sichergestellt. Weitere 38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ aus dem Geschäft vom 17. Oktober 2011 wurden in der Privatwohnung des Angeklagten gefunden.
6
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt wie folgt bewertet:
7
Der Angeklagte habe bewusst fahrlässig gehandelt. Er habe es für möglich gehalten, dass die am 5. und 17. Oktober 2011 erworbenen Kräuter- mischungen „VIP“ und „Jamaican Gold Extreme“ dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Stoffe enthielten und es pflichtwidrig unterlassen, eigene tragfähige Erkundungen über die vorgenannten Produkte einzuholen. Eine am 11. Oktober 2010 wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erfolgte Durchsuchung des Ladengeschäfts und der Privaträume des Angeklagten, die Kenntnis von der Nutzung der Kräutermischungen als Rauschmittel und der Hinweis in den Analysebefunden, dass diese sich jeweils nur auf die eingesandten Proben bezögen, hätten das Vertrauen in die Redlichkeit der Hersteller erschüttert und ihm Anlass für eigene Nachforschungen gegeben.
8
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – den Grenzwert der nicht geringen Menge von JWH-019 mit 2,62 Gramm (350 Konsumeinheiten zu je 7,5 Milligramm) angesetzt. Die Gefährlichkeit von JWH-019 sei höher als die von Cannabis, aber geringer als jene von Amphetamin. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht maßgeblich berücksichtigt, dass die nicht geringe Menge in beiden Fällen in erheblicher Weise überschritten sei und hat für das fahrlässige Handeltreiben mit der Kräutermischung „VIP“ eine Einzelgeldstrafe von 90 Ta- gessätzen und für das fahrlässige Handeltreiben mit „Jamaican Gold Extreme“ eine solche von 150 Tagessätzen verhängt. Bei der Anordnung des Wertersatzverfalls ist die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe versehentlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht nur 28 Tütchen „VIP“ zu je 22 €, sondern auch 38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ zum Preis von je 22 € verkauft habe.

II.


9
Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
10
1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Wirkstoff JWH-019 wurde durch die 24. BtMÄndV vom 18. Dezember 2009 (BGBl. I 2009, 3944) mit Wirkung vom 22. Januar 2010 in die Liste der Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen und war deshalb zum jeweiligen Tatzeitpunkt Betäubungsmittel.
11
Das Landgericht hat zu Recht einen Sorgfaltspflichtverstoß des Angeklagten angenommen. Derjenige, der am Handel teilnimmt, muss sich darum kümmern, ob seine Stoffe Betäubungsmittel sind (Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 2043). Die dem Angeklagten vom Lieferanten überlassenen Laborbefunde bezogen sich ausweislich der Urteilsgründe für den Angeklagten erkennbar jeweils nur auf die vom Lieferanten eingereichte und untersuchte Einzelprobe. Dass die zum Verkauf angebotenen Kräutermischungen „weder synthetische noch pflanzliche Cannabinoide“ (UA 7) enthielten, war angesichts ihrer dem Angeklagten bekannten und bezweckten Verwendung in der Konsumentenszene als Cannabis ersetzendes Rauschmittel fernliegend. Besondere Umstände , warum der Angeklagte auf ein redliches Verhalten seines Lieferanten bei der Einsendung der Proben an das Labor vertrauen konnte, hat das Landgericht nicht festgestellt, insbesondere hat er in keinem Fall eine eigene Kontrolluntersuchung der erworbenen Stoffe veranlasst.
12
2. Hingegen hält der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
13
a) Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass in den abgeurteilten Fällen der in den Kräutermischungen „VIP“ und „Jamaican Gold Extreme“ enthaltene Wirkstoff JWH-019 jeweils die Grenze der nicht geringen Menge i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erreicht hat. Der Senat setzt jedoch – insoweit abweichend vom Landgericht – den Grenzwert der nicht geringen Menge für JWH-019 auf eine Wirkstoffmenge von 6 Gramm fest.
14
Hierbei bezieht sich der Senat auf die in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte Methode (vgl. nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, und vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). Danach ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche , gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere sei- nes Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 322, und vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60, 64).
15
aa) Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von JWH-019 hat der Senat ein Gutachten des Prof. Dr. rer. nat. A. eingeholt. Danach ergibt sich Folgendes:
16
(1) Die Wirkstoffe JWH-018 und CP 47,497-C8 waren als Hauptwirkstoffe in den sog. „Spice“-Produkten der ersten Generation enthalten. Nach deren Aufnahme in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz wurden sie in den Nachfolgeprodukten sehr schnell durch JWH-073 ersetzt. Im weiteren Verlauf wurde eine Vielzahl teils geringfügig, teils stärker modifizierter Substanzen in entsprechenden Produkten gefunden. JWH-019 [chemische Bezeichnung: (Naphthalin1 -yl)(1-hexyl-1H-indol-3-yl)methanon] wurde erstmals im Oktober 2010 in einer Kräutermischung nachgewiesen. Es handelt sich wie bei JWH-018 um ein nach dem amerikanischen Chemiker H. benanntes vollsynthetisches Aminoalkylindol, das bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet wurde. Die Erkenntnismöglichkeiten zur pharmakologischen Wirkung der synthetischen Cannabinoide beschränken sich auf einzelne wissenschaftliche Selbstversuche und Fallberichte, in denen neben einer ausführlichen klinischen Beschreibung auch eine umfassende toxikologische Analytik durchgeführt wurde , die einen kausalen Zusammenhang zwischen Wirkstoffaufnahme und Symptomatik belegen. Zudem stehen Daten aus Rezeptorbindungsstudien sowie Ergebnissen aus in vivo-Studien (vor allem am Mausmodell) zur Verfügung, wobei eine Übertragung der daraus gezogenen Schlüsse auf den Menschen nur eingeschränkt möglich ist.
17
(2) Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze über das Endocannabinoidsystem vermittelt. Diese vergleichbare Wirkungsweise hat trotz unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung zur Sammel- bezeichnung als synthetische „Cannabinoide“ geführt. Das Endocannabinoid- system ist nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Der Wirkstoff bindet an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1, der in hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und CB2, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübermittlung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung („intrinsische Aktivität“) kann zwischen einem vollen Agonisten und einem nur partiellen Agonisten unterschieden werden.
18
Anders als der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, der am CB1-Rezeptor nur als partieller Agonist bindet, wirkt JWH-018 dort als voller Agonist. Dies führt dazu, dass dieser Wirkstoff wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen kann. Es tritt – anders als bei Tetrahydrocannabinol – keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen durch eine höhere Dosierung verstärkt. JWH-073 hat nicht so starke Wirkungen und ist deshalb ein Teilagonist. Für JWH-019 liegen keine gesicherten Daten vor, der Wirkstoff scheint sich tendenziell ähnlich wie JWH-073 zu verhalten.
19
(3) Ein weiterer Unterschied zwischen synthetischen Cannabinoiden einerseits und Tetrahydrocannabinol andererseits liegt in der Potenz, d.h. im Maß der für die zum Erzielen einer Wirkung erforderlichen Dosis. JWH-018 weist gegenüber Tetrahydrocannabinol eine deutlich – etwa drei- bis vierfach – höhere Potenz auf, d.h., dass das Maß der Wirkstärke etwa drei- bis viermal so hoch anzusiedeln ist. Demgegenüber weist der Wirkstoff JWH-073, der sich von JWH-018 chemisch-strukturell nur geringfügig unterscheidet, nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere aufgrund einer Studie an Rhesusaffen , eine eher dem Tetrahydrocannabinol vergleichbare Potenz auf. Mit Blick auf die identische Rezeptoraffinität sowie angesichts des strukturell vergleichbaren Molekülaufbaus von JWH-073 und JWH-019 und des Umstands, dass beide Teilagonisten sind, dürfte JWH-019 eine ähnliche oder gleiche Potenz wie JWH-073 haben.
20
bb) Der 1. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, zur Veröffentlichung in BGHSt 60, 134 vorgesehen – die nicht geringe Menge für das synthetische Cannabinoid JWH-073 auf eine Wirkstoffmenge von sechs Gramm festgesetzt. Dabei hat der 1. Strafsenat die Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge weder an einer äußerst gefährlichen Dosis noch an einer durchschnittlichen Konsumeinheit ausgerichtet, weil zu beiden Mengeneinheiten derzeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Er hat die nicht geringe Menge vielmehr aus den in jenem Urteil näher dargelegten Gründen durch den Vergleich mit Tetrahydrocannabinol bestimmt (Urteil vom 14. Januar 2015 aaO Rn. 47 ff.).
21
Maßgeblich waren hierfür im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol, für das der Grenzwert der nicht geringen Menge bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol – entsprechend 500 Konsumeinheiten à 15 Milligramm – angenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8), die höhere bzw. vergleichbare Potenz des jeweiligen Wirkstoffs, die gesteigerte Gefährlichkeit aufgrund weiter gehender unerwünschter Nebenwirkungen und deren wesentlich höhere Auftretenswahrscheinlichkeit (Urteil vom 14. Januar 2015 aaO Rn. 56 ff., 92 ff.).
22
cc) Der Senat hat sich bei der Bestimmung der nicht geringen Menge des Wirkstoffs JWH-019 der Vorgehensweise des 1. Strafsenats angeschlossen und den Grenzwert der nicht geringen Menge durch einen Vergleich mit JWH-073 auf dieselbe Menge wie bei dieser Substanz festgelegt.
23
b) Der Strafausspruch unterliegt danach der Aufhebung. Das Landgericht hat ausdrücklich strafschärfend gewertet, dass im Fall der Kräutermischung „VIP“ die nicht geringe Menge um das 3,5-fache und im Fall der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ um das 5,5-fache überschritten ist. Dies trifft bei einem Grenzwert von 6 Gramm nicht zu.
24
3. Auch die über den Betrag von 616 € hinausgehende Anordnung von Wertersatzverfall hat keinen Bestand.
25
Die Höhe des nach § 73a Satz 1 StGB für verfallen zu erklärenden Geldbetrages bestimmt sich nach dem Wert des nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aus der Tat Erlangten, dessen Verfall aus den in § 73a Satz 1 StGB genannten Gründen nicht mehr angeordnet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2002 – 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198, 199; MüKo-StGB/Joecks, 2. Aufl., § 73a Rn. 14 mwN). Die Wertbestimmung erfolgt nach dem Bruttoprinzip , sodass bei Rauschgiftgeschäften, wie sie hier in Rede stehen, der tatsächlich erzielte Verkaufserlös – ohne Abzug von Einkaufspreis, Transportkos- ten etc. – anzusetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 – 4 StR 135/99, NStZ-RR 2000, 57, 58 mwN).
26
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte von der von ihm zu Han- delszwecken angekauften Kräutermischung „VIP“ lediglich 28 Tütchen zu je 22 € veräußert, so dass ihm 616 € zugeflossen sind. Der vom Landgericht angeordnete Wertersatzverfall von 1.452 € beruhte, wie die Strafkammer in den Urteilsgründen ausgeführt hat, auf der irrigen Annahme, der Angeklagte habe auch 38 Tütchen der Kräutermischung „Jamaican Gold Extreme“ zu je 22 € verkauft. Der Senat ändert den Rechtsfolgenausspruch entsprechend ab.

III.


27
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt lediglich zur Abänderung der Einziehungsentscheidung. Darauf, dass Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten wirken (§ 301 StPO), kommt es nach dem Erfolg der Revision des Angeklagten nicht mehr an (BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Im Übrigen ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet.
28
1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wegen fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
29
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (u.a. BGH, Urteile vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, und vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.). Vertraut der Täter darauf, die für möglich gehaltene Folge werde nicht eintreten, so kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, ob er das ernsthaft konnte. Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 mwN); sowohl das Wissens- als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
30
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet und eine entsprechende Gesamtwürdigung vorgenommen. Ihre Bewertung, bedingter Vorsatz sei insbesondere aufgrund der offenen Vertriebsstruktur nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin erschöpft sich demgegenüber in einer eigenen Bewertung der festgestellten Tatsachen.
31
2. Die Anordnung der Einziehung hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Anordnung der Einziehung ersichtlich – wie bei der Anordnung des Wertersatzverfalls – übersehen, dass der Angeklagte 38 Tütchen „Jamaican Gold Extreme“ nicht verkauft, sondern in seiner Privatwohnung aufbewahrt hat. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer, wenn sie sich dieses Umstandes bewusst gewesen wäre, nach ihrem Ermessen von der Einziehung abgesehen hätte, denn eine Freigabe der Betäubungsmittel wäre rechtsfehlerhaft gewesen. Er hat deshalb die Einziehungsanordnung entsprechend geändert.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

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Strafgesetzbuch - StGB | § 73a Erweiterte Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern


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vom
17. November 2011
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Für Methamphetaminracemat - (RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan - beginnt die
nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei
10 g der wirkungsbestimmenden Base.
BGH, Urteil vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10 - LG Verden
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 18. März 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der an der Chemie interessierte Angeklagte betrieb ab 1995 ein häusliches Labor und forschte dort unter anderem an (legalen) Amphetaminderivaten. In einem später eingestellten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz stellte die Staatsanwaltschaft im November 1999 die Laboreinrichtung kurzzeitig sicher. Nach anschließender Pfändung durch einen privaten Gläubiger nahm der Angeklagte sie 2001 wieder in Besitz und lagerte sie zunächst im Hause seiner Eltern ein.
5
Nach einem Umzug im Jahre 2009 beschloss der Angeklagte, der sich zwischenzeitlich einer operativen Behandlung wegen eines Prostatakarzinoms unterzogen und als Dauerfolge u.a. eine erektile Dysfunktion davongetragen hatte, sein Labor wieder aufzubauen. Beim Sichten der eingelagerten Bestände fiel ihm ein Glaskolben mit einer kristallinen Substanz auf, deren Herkunft das Landgericht nicht hat klären können. Nach seinen früheren Forschungen hielt es der Angeklagte zumindest für möglich, dass es sich dabei um Methamphetamin -Hydrochlorid handelte. Er erwärmte eine Probe, inhalierte diese und empfand die Wirkung wie erhofft als "angenehm, blutdruck- und sinnsteigernd und vor allem … erektionsfördernd". Für den beabsichtigten weiteren Konsum verpackte er die Substanz in Klemmtüten, die er - nebst der Erwärmung dienender Folienstreifen - versteckt in seinem Schlafzimmer verwahrte. Bei einer Durchsuchung am 13. Mai 2009 fanden sich dort neun Klemmtüten, die insgesamt 915,8 g Methamphetamin-Hydrochlorid-Gemisch mit einem Reinheitsgrad von 99,5 % enthielten. Die Base bestand stereochemisch aus Methamphetaminracemat - (RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan - mit gleichen Anteilen der Enantiomere des Methamphetamins, also des "rechtsdrehenden" (2S)-N- Methyl-1-phenylpropan-2-amin (auch d-Methamphetamin; gemäß Anl. II zu § 1 BtMG: Methamphetamin), und des "linksdrehenden" (R)-(methyl)(1phenylpropan -2-yl)azan (auch l-Methamphetamin; gemäß Anl. II zu § 1 BtMG: Levmethamphetamin).
6
b) Das Landgericht hat das Gewicht des in dem Gemisch enthaltenen Hydrochlorid-Salzes mit 911 g und die Menge der Base hiernach mit 731,96 g errechnet (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 90). Den Grenzwert der nicht geringen Menge der Base im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat es, beraten durch den Sachverständigen Dr. D. , Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim Bundeskriminalamt Wiesbaden, wie bei (2S)-Methamphetamin (vgl. hierzu BGH aaO) mit 5 g angenommen. Im Hinblick auf das besondere Gefährdungspotential aller drei der in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig aufgeführten stereochemischen Erscheinungsformen sei es nicht angezeigt, das Methamphetamin-Racemat wegen seines Levmethamphetamin -Anteils insoweit anders zu behandeln, zumal die Stoffe nicht auf getrennten Märkten gehandelt würden. Zwar liege die Wirksamkeit von Levmethamphetamin unter der von (2S)-Methamphetamin, was damit zu erklären sei, dass letzteres in höherem Maße geeignet sei, an die maßgeblichen Rezeptoren im Gehirn anzudocken und damit das Zentralnervensystem zu beeinflussen. Jedoch könne Levmethamphetamin leichter über Rezeptoren etwa in Herz und Nieren aufgenommen werden und wirke damit stärker auf das periphersympathische Nervensystem. Im Vergleich zum (2S)-Methamphetamin liege der Wirkungsgrad des Racemats damit jedenfalls bei "deutlich mehr als 50 %". Letztlich sei dieser Unterschied zu vernachlässigen, denn bei rechtsmissbräuchlichem Konsum werde in allen Fällen die therapeutisch wirksame Dosis um ein Vielfaches und die Grenze zur Risikodosis bei weitem überschritten.
7
c) Davon ausgehend hat das Landgericht bei der Bemessung der Strafe zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass das in seinem Besitz befindliche Gemisch den Grenzwert der nicht geringen Menge "um das 146,329fache" überschritten habe.
8
2. Der Senat ermittelt den Grenzwert der nicht geringen Menge von Methamphetamin-Racemat - anders als das Landgericht - mit 10 g der wirkungsbestimmenden Base. Nach Anhörung der Sachverständigen Dr. D. und Prof. Dr. Da. , Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Düsseldorf, kann der Senat keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse feststellen, die es rechtfertigen, den Grenzwert für dieses Amphetaminderivat zu Lasten des Angeklagten anders zu beurteilen als für den Grundstoff Amphetamin. Im Einzelnen:
9
a) Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen gegen den methodischen Ansatz des Landgerichts, den Grenzwert der nicht geringen Menge von Methamphetamin-Racemat ungeachtet im Raum stehender Unterschiede im Wirkungsgrad deshalb an den für (2S)-Methamphetamin anzugleichen, weil bei rechtsmissbräuchlichem Konsum ohnehin stets die Grenze zur Risikodosis überschritten werde. Zu Ende gedacht würde dies die Bedeutung des Wirkstoffgehalts für die Bemessung des Unrechtsgehalts der Tat relativieren, denn die präzise Ermittlung eines Vielfachen der nicht geringen Menge hätte vor einem Hintergrund möglicher nicht unerheblicher Unterschiede im Wirkungsgrad der einzelnen Substanzen nur noch eine begrenzte Aussagekraft.
10
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 2. November 2010 - 1 StR 581/09, NJW 2011, 1462, 1464 f.) ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels vielmehr stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, das zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (BGH, Urteil vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 321 ff.). Nicht zu verkennen ist, dass sich - etwa wegen des Fehlens getrennter Märkte - ein praktisches Bedürfnis ergeben kann, zwei oder mehrere Substanzen mit gleicher Wirkungsweise, aber unterschiedlicher Wirkungsintensität einheitlich zu behandeln. Dem müsste indes dadurch Rechnung getragen werden, dass insgesamt der Wert für diejenige Erscheinungsform zugrunde gelegt wird, welche die geringste Wirkungsintensität aufweist (vgl. zu den Amphetaminderivaten MDA, MDMA und MDE BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 267 f.).
11
b) Nach diesen Maßstäben hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge für Amphetamin mit 10 g Amphetamin-Base bestimmt (Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169; vgl. auch Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 48). Amphetamin ist nach Anl. III zu § 1 Abs. 1 BtMG das Racemat (RS)-1-phenylpropan-2-ylazan, bestehend aus dem "rechtsdrehenden" Dexamphetamin [(S)-1-phenylpropan-2ylazan; Anl. III zu § 1 Abs. 1 BtMG] und dem "linksdrehenden" Levamphetamin [(R)-1-phenylpropan-2-ylazan; Anl. II zu § 1 Abs. 1 BtMG]. Im Einzelnen hat sich der Bundesgerichtshof davon leiten lassen, dass die hohe Dosis für den nicht Amphetamingewohnten bei 50 mg anzunehmen sei, indes Toleranzent- wicklung und der Wunsch, stärkere Effekte zu erleben, zu immer stärkeren Dosen führten. Bei intravenöser Verabreichung könnten so Einzeldosen von 160 mg bis zu zehnmal täglich oder von 1.000 mg in Abständen von wenigen Stunden erreicht werden. Bei oraler Einnahme könne es zu Einzeldosen von 200 mg Amphetamin und mehr kommen. Der Missbrauch führe zu psychischer, wenn auch nicht zu körperlicher Abhängigkeit. Er könne indes nicht nur psychische , sondern auch schwerwiegende physische Folgeschäden nach sich ziehen. Zu beobachten seien überwache Zustände, ängstliche Getriebenheit, Aggressivität , Depressionen, illusionäre Verkennungen, Störungen des Urteilsvermögens , Depersonalisationserscheinungen, Hyperthermie, Kreislaufkollaps oder Herzversagen sowie Gehirnschädigungen. Persönlichkeitsveränderungen gingen mit beruflichem und sozialem Abstieg einher. "Amphetamin-Psychosen" träten nicht nur als Folge eines chronischen Missbrauchs, sondern auch als akutes Vergiftungssymptom auf. Als psychisches Stimulans erweise sich Amphetamin häufig als Schrittmacher für eine Polytoxikomanie. Die Gefahr einer Wiederaufnahme der Missbrauchsgewohnheiten nach einer Entzugsperiode sei hoch. Todesfälle seien andererseits eher selten. In Abwägung dieser Umstände hat der Bundesgerichtshof die nicht geringe Menge schließlich beim 200-fachen der Einzeldosis von 50 mg als erreicht angesehen (vgl. Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 48).
12
c) Für (2S)-Methamphetamin hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge mit 5 g Methamphetamin-Base festgelegt (Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Ausgehend von einer Wirkungsweise sowie von physischen und psychischen Missbrauchsfolgen, die denen des Amphetamins ähneln, hat er für ausschlaggebend erachtet, dass die pharmakodynamische Wirkung von (2S)-Methamphetamin bei oraler Aufnahme etwa eineinhalb- bis zweimal so stark sei wie die von Amphetamin; in der Kon- sumform des Rauchens - die bei Amphetamin nicht möglich sei - wirke es mindestens doppelt so stark und vor allem erheblich schneller, weil aufgrund höherer Lipophilie die Blut-Hirn-Schranke schneller überwunden werde. Auch gelange beim Rauchen das gesamte aufgenommene Rauschgift unmittelbar zum Gehirn, während beim oralen Konsum mehrere Stunden bis zur vollständigen Resorption im Körper vergehen könnten. Für diese gefährlichste und heute gängigste Konsumform sei daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit "Crack" (Kokain-Base) gerechtfertigt; sie falle für die Festlegung des Grenzwerts erheblich ins Gewicht. Zu demselben Ergebnis führe es, wenn man die nicht geringe Menge - wie bei Amphetamin - beim 200-fachen einer Konsumeinheit als erreicht annehme, denn für den an Methamphetamin nicht Gewohnten sei eine Einzeldosis von 25 mg bereits sehr hoch.
13
d) Der Senat gelangt jedenfalls für das hier in Frage stehende Methamphetamin-Racemat wie beim Amphetamin-Racemat (Amphetamin) zu einem Grenzwert der nicht geringen Menge von 10 g Base. Nach gegenwärtigem Forschungsstand finden sich keine Belege dafür, dass die Wirkungsintensität und die Gefährlichkeit dieser Substanz signifikant höher liegen als beim Ausgangsstoff Amphetamin.
14
aa) Wie schon in den oben genannten Urteilen des Bundesgerichtshofs beschrieben, sind sich Amphetamin und dessen methyliertes Derivat in ihrer Wirkung weitestgehend ähnlich. Unter anderem in den USA werden beide Stoffe medizinisch zur Behandlung von Narkolepsie, Aufmerksamkeitsdefiziten, Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Adipositas eingesetzt. Wegen ihrer stimmungsanhebenden, das Selbstvertrauen, die Konzentrationsfähigkeit, die Energie und die Wachheit steigernden Wirkung werden sie nicht selten missbräuchlich verwendet. Dauerkonsum und Überdosierung können dabei zu Ver- wirrung, Aggressivität, paranoiden Halluzinationen und Panikzuständen führen. In unmittelbarem Zusammenhang mit der durch eine Dauerstimulation hervorgerufenen körperlichen Erschöpfung ist auch mit Herzkreislaufbeschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen zu rechnen. Namentlich Methamphetamin gilt - bei einer geschätzten Jahresproduktion von 290 Tonnen - als die weltweit zweitpopulärste illegale Droge nach Cannabis, wenngleich es in Deutschland neben Amphetamin bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Trotz der hohen Zahl der Konsumenten dieser Droge sind indes Todesfälle weltweit eher selten zu beobachten.
15
bb) Zu folgen ist dem Landgericht insoweit, als unterschiedliche Grenzwerte für (2S)- und (RS)-Methamphetamin auch bei Betrachtung der konkreten Wirkintensität nicht gerechtfertigt erscheinen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Da. dargelegt hat, erbrachten Tierversuche den Nachweis, dass Methamphetamin nach der körperlichen Aufnahme größtenteils zu Amphetamin metabolisiert, welches dann insbesondere im frontalen Cortex kumuliert. Danach ist zu vermuten, dass bei chronischem Missbrauch von Methamphetamin die Gesamtwirkung ohnehin wesentlich von der zentralen Wirkung des im Zentralnervensystem angereicherten Amphetamins bestimmt wird. Zwar dürfte, wie ebenfalls aus Tierversuchen abzuleiten ist, die Toxizität des (RS)- Methamphetamins nur etwa 30 bis 50 % derjenigen des (2S)- Methamphetamins betragen. Eine Studie an Konsumenten (Mendelson J. et al., Human Pharmacology of the Methamphetamine Stereoisomers, Clin Pharmacol Ther 80:403-420; 2006) zeigt jedoch auf, dass gleiche Dosen des Racemats und des (2S)-Methamphetamins insbesondere in Bezug auf das Herzkreislaufsystem vergleichbare pharmakodynamische Wirkungen hervorrufen; die entsprechende Dosis des (R)-Methamphetamins blieb demgegenüber wirkungslos. Als Ursache wird vermutet, dass das im Racemat vorhandene (R)- Methamphetamin die beschriebene Metabolisierung des Anteils an (2S)- Methamphetamin in (S)-Amphetamin fördert.
16
cc) Indes sieht der Senat nach Anhörung der Sachverständigen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die es rechtfertigen könnten, den Grenzwert der nicht geringen Menge jedenfalls bei (RS)-Methamphetamin niedriger anzusetzen als bei (RS)-Amphetamin.
17
(1) Für die Gleichbehandlung von Amphetamin und Methamphetamin spricht zunächst die in den USA zu beobachtende weitgehend unterschiedslose medizinische Applikation beider Wirkstoffe. Unabhängig davon, ob Amphetamin oder Methamphetamin zur Anwendung kommt, beträgt die übliche Dosis 5 mg alle 4 bis 6 Stunden. Die Dosierung für die Langzeitbehandlung von Kindern mit ® ADHS ab 6 Jahren wird für Methamphetamin (Desoxyn ) mit 20 bis 25 mg pro ® Tag und für Amphetamin (ADDERALL XR ) mit maximal 30 mg pro Tag empfohlen.
18
(2) Unter Berücksichtigung des meist erheblich geringeren Körpergewichts von Kindern ergeben sich hieraus zugleich Bedenken dagegen, 20 bis 30 mg Methamphetamin im Falle missbräuchlicher Einnahme der Substanz bereits als eine die Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge maßgeblich beeinflussende hohe Dosis anzusehen. Der Wirkstoffgehalt der in Deutschland bislang sichergestellten illegalen Methamphetamin-Tabletten beträgt demgegenüber durchschnittlich 25 bis 60 mg; in dieser Bandbreite bewegen sich nach bisherigen Erkenntnissen auch die Dosen, die schon Erstkonsumenten zum Erreichen des gewünschten Rauschzustandes einnehmen. In der medizinischen Fachliteratur werden Mengen zwischen 5 und 30 mg als niedrige , auch für die klinische Erprobung der Substanz am Menschen verwendete Dosen bezeichnet (Cruickshank et Dyer, A Review of the Clinical Pharmacology of Methamphetamine, Addiction 104:1085-1099, 1088; 2009). Hart et al. (Acute Physiological and Behavioral Effects of Intranasal Methamphetamine in Humans , Neuropsychopharmacology 33, 1847-1855, 1848 f; 2008) berichten über eine klinische Untersuchung der Wirkung von Methamphetamin auf den Menschen , bei der Einzeldosen von bis zu 50 mg/70 kg Körpergewicht verabreicht wurden; die aus Sicherheitsgründen festgelegte Höchstdosis betrug 60 mg.
19
(3) Auch sonst finden sich in der Fachliteratur keine Belege dafür, dass Methamphetamin im Vergleich zu Amphetamin einen höheren Wirkungsgrad und eine erhöhte Gefährlichkeit aufweist.
20
Die Überlegung, Methamphetamin verfüge auf Grund der veränderten chemischen Strukturen über eine verbesserte Lipophilie mit der Folge gesteigerter Bioverfügbarkeit und Wirkung, erweist sich letztlich nicht als tragfähig. Zwar stimmten beide vom Senat angehörten Sachverständigen darin überein, dass die weitere Methylgruppe des Methamphetamins dessen gegenüber Amphetamin gesteigerte Lipophilie aus organisch-chemischer Sicht geradezu aufdrängt. Die Aussagekraft der von Prof. Dr. Da. benannten experimentellen Studien, welche diese auf theoretischen Grundannahmen beruhende Erwartung nicht bestätigten, sondern für beide Substanzen ein annähernd gleiches Verteilungsvolumen - ca. 3,7 bis 4 l/kg - ergaben (Cook et al., Pharmacokinetiks of Methamphetamine self-administered to human subjects by smoking S-(+)- methamphetamine hydrochloride, Drug Metabolism Disposition 21:717-723; 1993; de la Torre et al., Clinical Pharmacokinetics of amfetamine and related substances, Clinical Pharmacokinetics 43:157-185; 2004), hat indes auch der Sachverständige Dr. D. , der den Wirkungsgrad von Methamphetamin bis zu zweimal höher einschätzt, nicht in Frage gestellt.
21
Ebenso wenig lässt sich eine erhöhte Gefährlichkeit von Methamphetamin überzeugend mit der bei dieser Substanz verbreiteten Konsumform des Rauchens begründen. Im Vergleich zur oralen Aufnahme kommt es hier - wie bei der intravenösen Applikation - zwar zu einem bis zu zehnfach schnelleren Wirkungseintritt, jedoch liegt die dadurch erreichbare maximale Wirkstoffkonzentration im Körper durchschnittlich um etwa die Hälfte niedriger (Cruickshank et Dyer aaO 1087). Gleichermaßen kann die Bioverfügbarkeit von Methamphetamin beim Rauchen belastbar lediglich mit 67 % der vom Konsumenten verwendeten Dosis angenommen werden; dieser Wert entspricht im Wesentlichen dem bei der oralen Aufnahme erzielten und liegt deutlich unter dem bei intranasaler Anwendung erreichbaren Wert (Cruickshank et Dyer aaO; Hart et al., Acute Physiological and Behavioral Effects of Intranasal Methamphetamine in Humans , Neuropsychopharmacology 33, 1847-1855, 1848; 2008). Im Übrigen dürfte auch die Annahme, bei Amphetamin scheide eine solche die Anflutung beschleunigende - und damit möglicherweise das Suchtverhalten beeinflussende - Konsumform mangels genügender Flüchtigkeit des Stoffes aus, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen. Jedenfalls bei Amphetaminhydrochlorid steht die Höhe des Siedepunkts dem Rauchen nicht entgegen (vgl. http://www.suchtmittel.de/info/amphetamin/000292.php). Aber auch beim Rauchen von Gemischen des Sulfatsalzes wurden im Kondensat teils nicht unerhebliche Wirkstoffkonzentrationen nachgewiesen (Pawlik et Mahler, Smoke analysis of adulterated illicit drug preparations, Toxichem Krimtech 78:200-210;

2011).


22
Schließlich ergeben sich auch Bedenken, die durch die einzelnen Konsumformen von Methamphetamin einerseits und Kokain andererseits erzielbaren Anflutungseffekte gleichzusetzen. Nach der Untersuchung von Hart et al. (aaO 1847, 1850 f.) erreichen bei intranasaler Aufnahme (der jedenfalls in den USA weitaus häufigsten Konsumform), intravenöser Verabreichung und Inhalieren (Rauchen) von Methamphetamin gleichermaßen sowohl die kardiovaskulären Wirkungen als auch das subjektive Rauschempfinden durchschnittlich innerhalb von 15 Minuten ihren Höhepunkt. Dies entspricht im Wesentlichen auch den Werten, welche die Studie von Fowler et al. (J Nucl Med 48:17241732 , 1729; 2007) zur Auswirkung intravenös verabreichten d- und l- Methamphetamins auf das Verhalten von Primaten ermittelt hat. Die von Fowler et al. darüber hinaus angestellten vergleichenden Untersuchungen mit Kokain ergaben demgegenüber einen Durchschnittswert von 4 Minuten (aaO 1729 f.).
23
(4) Der Senat sieht sich bei seinem Ergebnis im Einklang auch mit der Rechtslage in der Republik Österreich. Die Untergrenze der die einzelnen Begehungsweisen des unerlaubten Umgangs mit Suchtstoffen jeweils qualifizierenden tatbezogenen Menge, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen (§§ 28b, 31b ÖstSMG), wird dort für Amphetamin und seine Derivate ohne weitere Differenzierung ebenfalls einheitlich bestimmt und bei 10 g der Reinsubstanz angesetzt (Anhang 3 zur ÖStSuchtgift-Grenzmengenverordnung; vgl. auch Oberster Gerichtshof , Urteil vom 20. Dezember 1995 - 13 Os 126/95 unter Verweis auf das Gutachten des Beirats zur Bekämpfung des Missbrauchs von Alkohol und anderen Suchtmitteln vom 10. Mai 1985 [abgedruckt in Foregger/Litzka, Suchtgiftgesetz , 2. Aufl., S. 105 ff.]).
24
In der Schweiz wird zwar bei der Bestimmung der Menge, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (Art. 19 Ziff. 2 Buchst. a SchwBetmG), nunmehr für Methamphetamin mit 12 g MethamphetaminHydrochlorid (= 9,68 g Base) ein noch schärferer Grenzwert vorgeschlagen als für Kokain (18 g; Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Rechts- medizin vom Juni 2010 zur Gefährlichkeit von Methamphetamin). Dieser Vorschlag orientiert sich aber im Wesentlichen nur am Urteil des (deutschen) Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 2008 (2 StR 86/08, BGHSt 53, 89) und an der darin mitgeteilten Auffassung der angehörten Gutachter. Weiterreichende Forschungsergebnisse liegen ihm nicht zugrunde.
25
(5) Die vom Sachverständigen Dr. D. im Weiteren als Beleg für eine bessere Bioverfügbarkeit von Methamphetamin herangezogenen Veröffentlichungen sind für die zu treffende Entscheidung nicht ergiebig. Nichols (in: Cho et Segal, Amphetamine and its Analogs, 1994, S. 6) greift zwar die These auf, Methamphetamin weise fast die zweifache Potenz von Amphetamin auf, lässt aber wiederum nicht erkennen, worauf diese Annahme beruht. Die Abhandlung von Li et al. (Br J Clin Pharmacol 69: 187-192; 2010) enthält keine aussagekräftigen Hinweise auf eine höhere Bioverfügbarkeit von Methamphetamin im Vergleich zu Amphetamin, sondern befasst sich in erster Linie mit den Metaboliten, die in Abhängigkeit von der jeweiligen stereochemischen Beschaffenheit des verabreichten Methamphetamins beim Abbau typischerweise entstehen. Im Übrigen haben weder Hart et al. noch Fowler et al. in ihren oben angesprochenen Studien Vergleiche zwischen Methamphetamin und Amphetamin angestellt.
26
3. Ob danach für (2S)-Methamphetamin weiterhin der Auffassung gefolgt werden kann, es wirke bis zu zweimal stärker als Amphetamin (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89), kann offen bleiben, denn der Senat hat nur über den Grenzwert bei (RS)-Methamphetamin zu entscheiden.
Becker Pfister von Lienen Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 52/07
vom
24. April 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Für Buprenorphin beginnt die "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29a Abs. 1
Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid.
BGH, Urteil vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07 - Landgericht München I
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. April
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29. August 2006 wird verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seinen Pkw eingezogen. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision an. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Festgestellt ist, dass der Angeklagte als Rauschgiftkurier in Paris 3801 Subutex-8 mg-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 32,8 g BuprenorphinHydrochlorid bzw. 30,4 g Buprenorphin übernahm, um sie auftragsgemäß nach Georgien zu verbringen. In München wurde er am 21. Oktober 2005 einer poli- zeilichen Kontrolle unterzogen, anlässlich der das Rauschgift in seinem Pkw sichergestellt wurde.
3
Der rechtlichen Würdigung und der Strafzumessung hat das Landgericht die Annahme zugrunde gelegt, die nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG beginne für Buprenorphin und Buprenorphin-Hydrochlorid jeweils bei 450 mg (0,45 g).

II.

4
1. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Landgericht von einem zu hohen Grenzwert für die nicht geringe Menge ausgegangen sei; denn diese sei bereits bei 50 mg Buprenorphin (250 Konsumeinheiten zu 0,2 mg) erreicht.
5
Bei der Strafzumessung habe das Landgericht zwar zu Lasten des Angeklagten die vielfache Überschreitung des Grenzwerts für die nicht geringe Menge gewertet. Der Grenzwert sei allerdings nicht nur, wie das Landgericht angenommen habe, um das 67,55-fache (bezogen auf Buprenorphin) bzw. 72,88-fache (bezogen auf Buprenorphin-Hydrochlorid), sondern um das 608fache überschritten.
6
2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten - oder, was der Senat gemäß § 301 StPO zu beachten hat, zu Ungunsten - des Angeklagten. Das Landgericht hat den Grenzwert für die nicht geringe Menge zutreffend mittels eines Vergleichs zwischen Buprenorphin und Morphin ermittelt. Die Annahme, die nicht geringe Menge beginne für Buprenorphin und Buprenorphin-Hydrochlorid gleichermaßen bei jeweils 450 mg, trifft allerdings nicht zu. Der Grenzwert ist vielmehr bei 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid anzusetzen.
7
a) Buprenorphin - chemische Bezeichnung: (5R,6R,7R,14S)-17-Cyclopropylmethyl -4,5-epoxy-7-[(S)-2-hydroxy-3,3-dimethylbutan-2-yl]-6-methoxy6 ,14-ethanomorphinan-3-ol - wurde durch die 1. BtMÄndV vom 6. August 1984 (BGBl I 1081) als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG unterstellt. § 2 Abs. 1 Nr. 2 BtMVV legt nach der letzten Änderung durch die 19. BtMÄndV vom 10. März 2005 (BGBl I 757) die Höchstmenge für Buprenorphin, die ein Arzt für seinen Praxisbedarf pro Patient innerhalb von 30 Tagen verschreiben darf, auf 800 mg fest. Hinsichtlich Beschaffenheit , Wirkung und Gefährlichkeit von Buprenorphin kann der Senat auf die vom Landgericht eingeholten schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. S. , öffentlich bestellter und beeidigter Sachverständiger für Forensische Toxikologie, Dr. U. , stellvertretender Sachgebietsleiter Chemie am Bayerischen Landeskriminalamt, sowie Dr. G. , Chemieoberrat am Bayerischen Landeskriminalamt, zurückgreifen. Unter Berücksichtigung weiterer Literatur (Benos Der Nervenarzt 1983, 259 ff.; Geschwinde, Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2922 ff.; Groß/Soyka Suchtmed 1999, 5 ff.; Körner, BtMG 5. Aufl. Teil C 1 Rdn. 126 f.; Pallenbach DAZ 2000, 4838 ff.) ergibt sich folgendes:
8
Buprenorphin ist ein halbsynthetisches Opioid, das aus dem Opiumalkaloid Thebain gewonnen werden kann. Es ist anders als etwa Morphin, Heroin und Methadon kein voller, sondern nur ein partieller Opioid-Agonist. Buprenorphin wurde zunächst als Analgetikum entwickelt; seine Zulassung in Deutschland erfolgte erstmals im Jahr 1980. Im Jahr 2000 wurde es auch zur Substitutionstherapie bei Opiatabhängigkeit zugelassen. Der Wirkstoff ist unter den Handelsnamen Subutex, Temgesic und Transtec erhältlich. Temgesic und Transtec werden in der Schmerztherapie bei akuten und chronischen Schmer- zen (bei postoperativen Schmerzen, zur Krebsbehandlung) verabreicht. Subutex wird hingegen in der Substitutionstherapie verwendet. Seine Einnahme erfolgt sublingual; das heißt, eine Tablette wird unter der Zunge belassen, bis sie sich allmählich auflöst.
9
Obwohl bei der Einnahme von Buprenorphin der für volle Opioid-Agonisten typische Rauschzustand ("Kick") ausbleibt, hat es gewisse von Süchtigen gewünschte euphorisierende Effekte. Es unterdrückt zudem das Opioid-Entzugssyndrom. Die häufige Einnahme von Buprenorphin führt jedoch auch zur Toleranzentwicklung und seinerseits zur Suchtentwicklung. Als Nebenwirkungen werden unter anderem Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen , Tränen- und Nasenfluss, Benommenheit, Frösteln, körperliche Schwäche sowie Atemdepression beschrieben.
10
Das therapeutische Spektrum von Buprenorphin ist breit. In der Schmerztherapie werden gewöhnlich Einzeldosen zwischen 0,2 und 0,4 mg verabreicht; die Einzeldosen in der Substitutionstherapie reichen von 0,8 mg als Einstiegsdosis bei leichter Opiatabhängigkeit bis hin zu 8 mg. 8 mg Buprenorphin stellen dementsprechend den höchsten in einer Tablette derzeit auf dem Arzneimarkt erhältlichen Wirkstoffgehalt dar; hierbei handelt es sich um - auch in diesem Verfahren sichergestellte - Subutex-8 mg-Tabletten. Erhebliche Überdosierungen werden regelmäßig ohne wesentliche Nebenwirkungen vertragen. Akzidentielle Überdosierungen durch Verschlucken sind unwahrscheinlich , da die orale - anstelle der sublingualen - Einnahme weitgehend wirkungslos ist.
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Die Angaben zum Verhältnis der analgetischen Wirkungsstärke von Morphin zu Buprenorphin reichen von 1:10 bis zu 1:40 (nach Geschwinde aaO Rdn. 2924 und Körner aaO Rdn. 126 sogar bis maximal 1:50). In den Richtli- nien zur Substitutionstherapie wird angenommen, dass Buprenorphin gegenüber Methadon eine etwa zehnmal stärkere Wirkung hat; 8 mg Buprenorphin entsprechen damit einer Dosis von etwa 80 mg Methadon (nach Pallenbach aaO 4846 von "ungefähr" 45 mg; nach Groß/Soyka aaO 8 von 40 bis 60 mg). Im Vergleich zu Methadon weist Buprenorphin ein geringeres Risiko von Nebenwirkungen und auch ein kleineres Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential auf.
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b) Aufgrund der Eigenheiten des Betäubungsmittels Buprenorphin scheidet die nach ständiger Rechtsprechung vorrangig anzuwendende Methode zur Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge, nämlich diesen mittels einer äußerst gefährlichen Dosis oder durchschnittlichen Konsumeinheit und einer an der Gefährlichkeit orientierten Maßzahl zu bestimmen (vgl. BGHSt 32, 162, 164; 33, 8, 14; 35, 43, 49; 42, 1, 3 ff.; 42, 255, 265; 49, 306, 312), hier aus.
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aa) Zur äußerst gefährlichen Dosis liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Zwar scheinen schwere Intoxikationen selbst mit tödlichem Ausgang möglich (Geschwinde, Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2932). Nach den dem Senat vorliegenden Sachverständigengutachten ist die Gefahr von Überdosierungen jedoch gering. Auch hat sich in Frankreich, wo bei der Behandlung Opiatabhängiger mit Buprenorphin langjährige Erfahrungen bestehen, gezeigt, dass bei der Obduktion sämtlicher Drogentoter, deren Tod in Zusammenhang mit der Einnahme von Buprenorphin stand, ein Beikonsum von illegal erworbenen Betäubungsmitteln und/oder stark wirksamen Psychopharmaka festgestellt wurde (vgl. auch Pallenbach DAZ 2000, 4838, 4844).
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bb) Eine Festlegung des Grenzwerts auf der Grundlage einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Drogenunerfahrenen, welche die Beschwerdeführerin mit der in der Schmerztherapie üblichen Mindestdosis von 0,2 mg gleichsetzt, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Unter der durchschnittlichen Konsumeinheit versteht die Rechtsprechung grundsätzlich die adäquate Dosis zur Erzielung einer stofftypischen Rauschwirkung (BGHSt 33, 169, 170; 35, 43, 49; 49, 306, 312), wobei prinzipiell, um nicht die mit dem regelmäßigen Konsum vieler Betäubungsmittel einhergehende Toleranzentwicklung zu prämieren , auf den Konsumanfänger abzustellen ist (Cassardt NStZ 1995, 257, 261; Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäubungsmittelrecht 8. Aufl. 4. Lfg. § 29a BtMG Rdn. 4.3.5). Eine derartige Bestimmung der Konsumeinheit kommt hier aus mehreren Gründen nicht in Betracht:
15
Zum einen bleibt bei der Einnahme von Buprenorphin, obwohl es gewisse euphorisierende Effekte hat, der etwa für Heroin, Morphin und Methadon typische Rauschzustand ("Kick") aus. Zum anderen fehlen praktische Erkenntnisse über den illegalen Markt; es liegt nicht nahe, dass Buprenorphin überhaupt von einer nennenswerten Anzahl Drogenunerfahrener konsumiert wird. Im Hinblick darauf, dass die Rauschwirkung eher gering ist, jedoch das Opioid-Entzugssyndrom unterdrückt wird, kommt vielmehr der illegale Erwerb insbesondere durch Opiatabhängige in Betracht. Schließlich ist es verfehlt, die Konsumeinheit bei verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln allein an einer möglichen legalen Anwendung auszurichten (Hügel/Junge/Lander/Winkler aaO Rdn. 4.3.4, 4.3.6 a.E.).
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cc) Die Konsumeinheit kann auch nicht dadurch hinreichend sicher bestimmt werden, dass - unter Zugrundelegung der in der Substitutionstherapie verabreichten Einzeldosen - auf durchschnittliche Konsumgewohnheiten abgestellt wird (vgl. BGHSt 49, 306, 313). Jedenfalls die große Bandbreite medizinisch indizierter Einzeldosen ermöglicht ein derartiges Vorgehen nicht (ähnlich für Kokain BGHSt 33, 133, 136 ff.; hierzu Cassardt NStZ 1995, 257, 258); denn die Höhe dieser Dosen schwankt je nach Einzelfall - insbesondere dem Grad der Abhängigkeit - stark, wie oben ausgeführt zwischen 0,8 und 8 mg. Nach Geschwinde (Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2932) stellt die Verabreichung von 2 mg-Einheiten bei der Suchtbehandlung eine niedrige Dosierung dar. Das breite Spektrum wird zudem daraus ersichtlich, dass die in der Substitutionstherapie verwendeten Subutex-Tabletten derzeit mit einem sehr unterschiedlichen Wirkstoffgehalt von 0,4 mg bis hin zu 8 mg Buprenorphin auf dem Arzneimarkt angeboten werden.
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c) Der Grenzwert für die nicht geringe Menge an Buprenorphin ist daher - wovon auch das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - mittels eines Vergleichs mit verwandten Wirkstoffen festzulegen. Der Bundesgerichtshof hat bereits in der Vergangenheit bei der Grenzwertbestimmung einen solchen Wirkstoffvergleich herangezogen (vgl. BGHSt 35, 179, 182; 49, 306, 312 ff.; BGH NJW 2001, 3641, 3642). Neben Methadon, für das - soweit ersichtlich - eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur nicht geringen Menge noch aussteht, kommt hier insbesondere Morphin in Betracht. Für Zubereitungen von Morphin hat der Senat entschieden, dass die nicht geringe Menge bei 4,5 g MorphinHydrochlorid beginnt (BGHSt 35, 179).
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Da die Wirkung von Buprenorphin mindestens zehnmal so stark ist wie von Morphin, ist der Grenzwert der nicht geringen Menge zugunsten des Angeklagten (vgl. BGHSt 33, 8, 14; 49, 306, 313; Cassardt NStZ 1995, 257, 259) auf den zehnten Teil der nicht geringen Menge für Morphin, die bei 4,5 g MorphinHydrochlorid beginnt, anzusetzen; er ist damit auf 450 mg BuprenorphinHydrochlorid festzulegen. Auch wenn es im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung sein mag, kommt für Buprenorphin und Buprenorphin-Hydrochlorid entgegen der Ansicht des Landgerichts kein einheitlicher Grenzwert in Betracht. Nach den vorliegenden Gutachten übersteigt nämlich das Gewicht von BuprenorphinHydrochlorid (Salz) dasjenige der Grundform Buprenorphin (Base) um acht Prozentpunkte. Dieser - wenngleich nur - "äußerst geringe Unterschied" hinsichtlich Wirkung und Gefährlichkeit (UA S. 15) kann nicht vernachlässigt werden. Denn der - der Rechtsprechung obliegenden - zahlenmäßigen Festlegung des Grenzwerts für die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ist immanent, dass auch marginale pharmakologische und toxikologische Unterschiede in Grenzfällen die Strafrahmenwahl bestimmen und damit das Strafmaß beeinflussen können (vgl. BGHSt 42, 1, 11).
19
Als Vergleichsmaßstab dient hier der Wirkstoff Morphin, bei dem sich der Grenzwert an einer bestimmten Menge des Salzes Morphin-Hydrochlorid - und nicht der Base - bemisst. Daher ist bei der Umrechnung ebenfalls das Salz Buprenorphin-Hydrochlorid zugrunde zu legen. 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid entsprechen dabei 416,67 mg Buprenorphin.
20
d) Da für die Kammer "die genannten geringen Unterschiede auch für das Strafmaß ohne Bedeutung" (UA S. 16) waren, kann der Senat ausschließen , dass sie eine höhere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 315/10
vom
17. November 2011
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Für Methamphetaminracemat - (RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan - beginnt die
nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei
10 g der wirkungsbestimmenden Base.
BGH, Urteil vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10 - LG Verden
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 18. März 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der an der Chemie interessierte Angeklagte betrieb ab 1995 ein häusliches Labor und forschte dort unter anderem an (legalen) Amphetaminderivaten. In einem später eingestellten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz stellte die Staatsanwaltschaft im November 1999 die Laboreinrichtung kurzzeitig sicher. Nach anschließender Pfändung durch einen privaten Gläubiger nahm der Angeklagte sie 2001 wieder in Besitz und lagerte sie zunächst im Hause seiner Eltern ein.
5
Nach einem Umzug im Jahre 2009 beschloss der Angeklagte, der sich zwischenzeitlich einer operativen Behandlung wegen eines Prostatakarzinoms unterzogen und als Dauerfolge u.a. eine erektile Dysfunktion davongetragen hatte, sein Labor wieder aufzubauen. Beim Sichten der eingelagerten Bestände fiel ihm ein Glaskolben mit einer kristallinen Substanz auf, deren Herkunft das Landgericht nicht hat klären können. Nach seinen früheren Forschungen hielt es der Angeklagte zumindest für möglich, dass es sich dabei um Methamphetamin -Hydrochlorid handelte. Er erwärmte eine Probe, inhalierte diese und empfand die Wirkung wie erhofft als "angenehm, blutdruck- und sinnsteigernd und vor allem … erektionsfördernd". Für den beabsichtigten weiteren Konsum verpackte er die Substanz in Klemmtüten, die er - nebst der Erwärmung dienender Folienstreifen - versteckt in seinem Schlafzimmer verwahrte. Bei einer Durchsuchung am 13. Mai 2009 fanden sich dort neun Klemmtüten, die insgesamt 915,8 g Methamphetamin-Hydrochlorid-Gemisch mit einem Reinheitsgrad von 99,5 % enthielten. Die Base bestand stereochemisch aus Methamphetaminracemat - (RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan - mit gleichen Anteilen der Enantiomere des Methamphetamins, also des "rechtsdrehenden" (2S)-N- Methyl-1-phenylpropan-2-amin (auch d-Methamphetamin; gemäß Anl. II zu § 1 BtMG: Methamphetamin), und des "linksdrehenden" (R)-(methyl)(1phenylpropan -2-yl)azan (auch l-Methamphetamin; gemäß Anl. II zu § 1 BtMG: Levmethamphetamin).
6
b) Das Landgericht hat das Gewicht des in dem Gemisch enthaltenen Hydrochlorid-Salzes mit 911 g und die Menge der Base hiernach mit 731,96 g errechnet (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 90). Den Grenzwert der nicht geringen Menge der Base im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat es, beraten durch den Sachverständigen Dr. D. , Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim Bundeskriminalamt Wiesbaden, wie bei (2S)-Methamphetamin (vgl. hierzu BGH aaO) mit 5 g angenommen. Im Hinblick auf das besondere Gefährdungspotential aller drei der in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig aufgeführten stereochemischen Erscheinungsformen sei es nicht angezeigt, das Methamphetamin-Racemat wegen seines Levmethamphetamin -Anteils insoweit anders zu behandeln, zumal die Stoffe nicht auf getrennten Märkten gehandelt würden. Zwar liege die Wirksamkeit von Levmethamphetamin unter der von (2S)-Methamphetamin, was damit zu erklären sei, dass letzteres in höherem Maße geeignet sei, an die maßgeblichen Rezeptoren im Gehirn anzudocken und damit das Zentralnervensystem zu beeinflussen. Jedoch könne Levmethamphetamin leichter über Rezeptoren etwa in Herz und Nieren aufgenommen werden und wirke damit stärker auf das periphersympathische Nervensystem. Im Vergleich zum (2S)-Methamphetamin liege der Wirkungsgrad des Racemats damit jedenfalls bei "deutlich mehr als 50 %". Letztlich sei dieser Unterschied zu vernachlässigen, denn bei rechtsmissbräuchlichem Konsum werde in allen Fällen die therapeutisch wirksame Dosis um ein Vielfaches und die Grenze zur Risikodosis bei weitem überschritten.
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c) Davon ausgehend hat das Landgericht bei der Bemessung der Strafe zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass das in seinem Besitz befindliche Gemisch den Grenzwert der nicht geringen Menge "um das 146,329fache" überschritten habe.
8
2. Der Senat ermittelt den Grenzwert der nicht geringen Menge von Methamphetamin-Racemat - anders als das Landgericht - mit 10 g der wirkungsbestimmenden Base. Nach Anhörung der Sachverständigen Dr. D. und Prof. Dr. Da. , Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Düsseldorf, kann der Senat keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse feststellen, die es rechtfertigen, den Grenzwert für dieses Amphetaminderivat zu Lasten des Angeklagten anders zu beurteilen als für den Grundstoff Amphetamin. Im Einzelnen:
9
a) Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen gegen den methodischen Ansatz des Landgerichts, den Grenzwert der nicht geringen Menge von Methamphetamin-Racemat ungeachtet im Raum stehender Unterschiede im Wirkungsgrad deshalb an den für (2S)-Methamphetamin anzugleichen, weil bei rechtsmissbräuchlichem Konsum ohnehin stets die Grenze zur Risikodosis überschritten werde. Zu Ende gedacht würde dies die Bedeutung des Wirkstoffgehalts für die Bemessung des Unrechtsgehalts der Tat relativieren, denn die präzise Ermittlung eines Vielfachen der nicht geringen Menge hätte vor einem Hintergrund möglicher nicht unerheblicher Unterschiede im Wirkungsgrad der einzelnen Substanzen nur noch eine begrenzte Aussagekraft.
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Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 2. November 2010 - 1 StR 581/09, NJW 2011, 1462, 1464 f.) ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels vielmehr stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, das zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (BGH, Urteil vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 321 ff.). Nicht zu verkennen ist, dass sich - etwa wegen des Fehlens getrennter Märkte - ein praktisches Bedürfnis ergeben kann, zwei oder mehrere Substanzen mit gleicher Wirkungsweise, aber unterschiedlicher Wirkungsintensität einheitlich zu behandeln. Dem müsste indes dadurch Rechnung getragen werden, dass insgesamt der Wert für diejenige Erscheinungsform zugrunde gelegt wird, welche die geringste Wirkungsintensität aufweist (vgl. zu den Amphetaminderivaten MDA, MDMA und MDE BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 267 f.).
11
b) Nach diesen Maßstäben hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge für Amphetamin mit 10 g Amphetamin-Base bestimmt (Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169; vgl. auch Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 48). Amphetamin ist nach Anl. III zu § 1 Abs. 1 BtMG das Racemat (RS)-1-phenylpropan-2-ylazan, bestehend aus dem "rechtsdrehenden" Dexamphetamin [(S)-1-phenylpropan-2ylazan; Anl. III zu § 1 Abs. 1 BtMG] und dem "linksdrehenden" Levamphetamin [(R)-1-phenylpropan-2-ylazan; Anl. II zu § 1 Abs. 1 BtMG]. Im Einzelnen hat sich der Bundesgerichtshof davon leiten lassen, dass die hohe Dosis für den nicht Amphetamingewohnten bei 50 mg anzunehmen sei, indes Toleranzent- wicklung und der Wunsch, stärkere Effekte zu erleben, zu immer stärkeren Dosen führten. Bei intravenöser Verabreichung könnten so Einzeldosen von 160 mg bis zu zehnmal täglich oder von 1.000 mg in Abständen von wenigen Stunden erreicht werden. Bei oraler Einnahme könne es zu Einzeldosen von 200 mg Amphetamin und mehr kommen. Der Missbrauch führe zu psychischer, wenn auch nicht zu körperlicher Abhängigkeit. Er könne indes nicht nur psychische , sondern auch schwerwiegende physische Folgeschäden nach sich ziehen. Zu beobachten seien überwache Zustände, ängstliche Getriebenheit, Aggressivität , Depressionen, illusionäre Verkennungen, Störungen des Urteilsvermögens , Depersonalisationserscheinungen, Hyperthermie, Kreislaufkollaps oder Herzversagen sowie Gehirnschädigungen. Persönlichkeitsveränderungen gingen mit beruflichem und sozialem Abstieg einher. "Amphetamin-Psychosen" träten nicht nur als Folge eines chronischen Missbrauchs, sondern auch als akutes Vergiftungssymptom auf. Als psychisches Stimulans erweise sich Amphetamin häufig als Schrittmacher für eine Polytoxikomanie. Die Gefahr einer Wiederaufnahme der Missbrauchsgewohnheiten nach einer Entzugsperiode sei hoch. Todesfälle seien andererseits eher selten. In Abwägung dieser Umstände hat der Bundesgerichtshof die nicht geringe Menge schließlich beim 200-fachen der Einzeldosis von 50 mg als erreicht angesehen (vgl. Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 48).
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c) Für (2S)-Methamphetamin hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge mit 5 g Methamphetamin-Base festgelegt (Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Ausgehend von einer Wirkungsweise sowie von physischen und psychischen Missbrauchsfolgen, die denen des Amphetamins ähneln, hat er für ausschlaggebend erachtet, dass die pharmakodynamische Wirkung von (2S)-Methamphetamin bei oraler Aufnahme etwa eineinhalb- bis zweimal so stark sei wie die von Amphetamin; in der Kon- sumform des Rauchens - die bei Amphetamin nicht möglich sei - wirke es mindestens doppelt so stark und vor allem erheblich schneller, weil aufgrund höherer Lipophilie die Blut-Hirn-Schranke schneller überwunden werde. Auch gelange beim Rauchen das gesamte aufgenommene Rauschgift unmittelbar zum Gehirn, während beim oralen Konsum mehrere Stunden bis zur vollständigen Resorption im Körper vergehen könnten. Für diese gefährlichste und heute gängigste Konsumform sei daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit "Crack" (Kokain-Base) gerechtfertigt; sie falle für die Festlegung des Grenzwerts erheblich ins Gewicht. Zu demselben Ergebnis führe es, wenn man die nicht geringe Menge - wie bei Amphetamin - beim 200-fachen einer Konsumeinheit als erreicht annehme, denn für den an Methamphetamin nicht Gewohnten sei eine Einzeldosis von 25 mg bereits sehr hoch.
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d) Der Senat gelangt jedenfalls für das hier in Frage stehende Methamphetamin-Racemat wie beim Amphetamin-Racemat (Amphetamin) zu einem Grenzwert der nicht geringen Menge von 10 g Base. Nach gegenwärtigem Forschungsstand finden sich keine Belege dafür, dass die Wirkungsintensität und die Gefährlichkeit dieser Substanz signifikant höher liegen als beim Ausgangsstoff Amphetamin.
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aa) Wie schon in den oben genannten Urteilen des Bundesgerichtshofs beschrieben, sind sich Amphetamin und dessen methyliertes Derivat in ihrer Wirkung weitestgehend ähnlich. Unter anderem in den USA werden beide Stoffe medizinisch zur Behandlung von Narkolepsie, Aufmerksamkeitsdefiziten, Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Adipositas eingesetzt. Wegen ihrer stimmungsanhebenden, das Selbstvertrauen, die Konzentrationsfähigkeit, die Energie und die Wachheit steigernden Wirkung werden sie nicht selten missbräuchlich verwendet. Dauerkonsum und Überdosierung können dabei zu Ver- wirrung, Aggressivität, paranoiden Halluzinationen und Panikzuständen führen. In unmittelbarem Zusammenhang mit der durch eine Dauerstimulation hervorgerufenen körperlichen Erschöpfung ist auch mit Herzkreislaufbeschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen zu rechnen. Namentlich Methamphetamin gilt - bei einer geschätzten Jahresproduktion von 290 Tonnen - als die weltweit zweitpopulärste illegale Droge nach Cannabis, wenngleich es in Deutschland neben Amphetamin bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Trotz der hohen Zahl der Konsumenten dieser Droge sind indes Todesfälle weltweit eher selten zu beobachten.
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bb) Zu folgen ist dem Landgericht insoweit, als unterschiedliche Grenzwerte für (2S)- und (RS)-Methamphetamin auch bei Betrachtung der konkreten Wirkintensität nicht gerechtfertigt erscheinen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Da. dargelegt hat, erbrachten Tierversuche den Nachweis, dass Methamphetamin nach der körperlichen Aufnahme größtenteils zu Amphetamin metabolisiert, welches dann insbesondere im frontalen Cortex kumuliert. Danach ist zu vermuten, dass bei chronischem Missbrauch von Methamphetamin die Gesamtwirkung ohnehin wesentlich von der zentralen Wirkung des im Zentralnervensystem angereicherten Amphetamins bestimmt wird. Zwar dürfte, wie ebenfalls aus Tierversuchen abzuleiten ist, die Toxizität des (RS)- Methamphetamins nur etwa 30 bis 50 % derjenigen des (2S)- Methamphetamins betragen. Eine Studie an Konsumenten (Mendelson J. et al., Human Pharmacology of the Methamphetamine Stereoisomers, Clin Pharmacol Ther 80:403-420; 2006) zeigt jedoch auf, dass gleiche Dosen des Racemats und des (2S)-Methamphetamins insbesondere in Bezug auf das Herzkreislaufsystem vergleichbare pharmakodynamische Wirkungen hervorrufen; die entsprechende Dosis des (R)-Methamphetamins blieb demgegenüber wirkungslos. Als Ursache wird vermutet, dass das im Racemat vorhandene (R)- Methamphetamin die beschriebene Metabolisierung des Anteils an (2S)- Methamphetamin in (S)-Amphetamin fördert.
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cc) Indes sieht der Senat nach Anhörung der Sachverständigen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die es rechtfertigen könnten, den Grenzwert der nicht geringen Menge jedenfalls bei (RS)-Methamphetamin niedriger anzusetzen als bei (RS)-Amphetamin.
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(1) Für die Gleichbehandlung von Amphetamin und Methamphetamin spricht zunächst die in den USA zu beobachtende weitgehend unterschiedslose medizinische Applikation beider Wirkstoffe. Unabhängig davon, ob Amphetamin oder Methamphetamin zur Anwendung kommt, beträgt die übliche Dosis 5 mg alle 4 bis 6 Stunden. Die Dosierung für die Langzeitbehandlung von Kindern mit ® ADHS ab 6 Jahren wird für Methamphetamin (Desoxyn ) mit 20 bis 25 mg pro ® Tag und für Amphetamin (ADDERALL XR ) mit maximal 30 mg pro Tag empfohlen.
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(2) Unter Berücksichtigung des meist erheblich geringeren Körpergewichts von Kindern ergeben sich hieraus zugleich Bedenken dagegen, 20 bis 30 mg Methamphetamin im Falle missbräuchlicher Einnahme der Substanz bereits als eine die Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge maßgeblich beeinflussende hohe Dosis anzusehen. Der Wirkstoffgehalt der in Deutschland bislang sichergestellten illegalen Methamphetamin-Tabletten beträgt demgegenüber durchschnittlich 25 bis 60 mg; in dieser Bandbreite bewegen sich nach bisherigen Erkenntnissen auch die Dosen, die schon Erstkonsumenten zum Erreichen des gewünschten Rauschzustandes einnehmen. In der medizinischen Fachliteratur werden Mengen zwischen 5 und 30 mg als niedrige , auch für die klinische Erprobung der Substanz am Menschen verwendete Dosen bezeichnet (Cruickshank et Dyer, A Review of the Clinical Pharmacology of Methamphetamine, Addiction 104:1085-1099, 1088; 2009). Hart et al. (Acute Physiological and Behavioral Effects of Intranasal Methamphetamine in Humans , Neuropsychopharmacology 33, 1847-1855, 1848 f; 2008) berichten über eine klinische Untersuchung der Wirkung von Methamphetamin auf den Menschen , bei der Einzeldosen von bis zu 50 mg/70 kg Körpergewicht verabreicht wurden; die aus Sicherheitsgründen festgelegte Höchstdosis betrug 60 mg.
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(3) Auch sonst finden sich in der Fachliteratur keine Belege dafür, dass Methamphetamin im Vergleich zu Amphetamin einen höheren Wirkungsgrad und eine erhöhte Gefährlichkeit aufweist.
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Die Überlegung, Methamphetamin verfüge auf Grund der veränderten chemischen Strukturen über eine verbesserte Lipophilie mit der Folge gesteigerter Bioverfügbarkeit und Wirkung, erweist sich letztlich nicht als tragfähig. Zwar stimmten beide vom Senat angehörten Sachverständigen darin überein, dass die weitere Methylgruppe des Methamphetamins dessen gegenüber Amphetamin gesteigerte Lipophilie aus organisch-chemischer Sicht geradezu aufdrängt. Die Aussagekraft der von Prof. Dr. Da. benannten experimentellen Studien, welche diese auf theoretischen Grundannahmen beruhende Erwartung nicht bestätigten, sondern für beide Substanzen ein annähernd gleiches Verteilungsvolumen - ca. 3,7 bis 4 l/kg - ergaben (Cook et al., Pharmacokinetiks of Methamphetamine self-administered to human subjects by smoking S-(+)- methamphetamine hydrochloride, Drug Metabolism Disposition 21:717-723; 1993; de la Torre et al., Clinical Pharmacokinetics of amfetamine and related substances, Clinical Pharmacokinetics 43:157-185; 2004), hat indes auch der Sachverständige Dr. D. , der den Wirkungsgrad von Methamphetamin bis zu zweimal höher einschätzt, nicht in Frage gestellt.
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Ebenso wenig lässt sich eine erhöhte Gefährlichkeit von Methamphetamin überzeugend mit der bei dieser Substanz verbreiteten Konsumform des Rauchens begründen. Im Vergleich zur oralen Aufnahme kommt es hier - wie bei der intravenösen Applikation - zwar zu einem bis zu zehnfach schnelleren Wirkungseintritt, jedoch liegt die dadurch erreichbare maximale Wirkstoffkonzentration im Körper durchschnittlich um etwa die Hälfte niedriger (Cruickshank et Dyer aaO 1087). Gleichermaßen kann die Bioverfügbarkeit von Methamphetamin beim Rauchen belastbar lediglich mit 67 % der vom Konsumenten verwendeten Dosis angenommen werden; dieser Wert entspricht im Wesentlichen dem bei der oralen Aufnahme erzielten und liegt deutlich unter dem bei intranasaler Anwendung erreichbaren Wert (Cruickshank et Dyer aaO; Hart et al., Acute Physiological and Behavioral Effects of Intranasal Methamphetamine in Humans , Neuropsychopharmacology 33, 1847-1855, 1848; 2008). Im Übrigen dürfte auch die Annahme, bei Amphetamin scheide eine solche die Anflutung beschleunigende - und damit möglicherweise das Suchtverhalten beeinflussende - Konsumform mangels genügender Flüchtigkeit des Stoffes aus, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen. Jedenfalls bei Amphetaminhydrochlorid steht die Höhe des Siedepunkts dem Rauchen nicht entgegen (vgl. http://www.suchtmittel.de/info/amphetamin/000292.php). Aber auch beim Rauchen von Gemischen des Sulfatsalzes wurden im Kondensat teils nicht unerhebliche Wirkstoffkonzentrationen nachgewiesen (Pawlik et Mahler, Smoke analysis of adulterated illicit drug preparations, Toxichem Krimtech 78:200-210;

2011).


22
Schließlich ergeben sich auch Bedenken, die durch die einzelnen Konsumformen von Methamphetamin einerseits und Kokain andererseits erzielbaren Anflutungseffekte gleichzusetzen. Nach der Untersuchung von Hart et al. (aaO 1847, 1850 f.) erreichen bei intranasaler Aufnahme (der jedenfalls in den USA weitaus häufigsten Konsumform), intravenöser Verabreichung und Inhalieren (Rauchen) von Methamphetamin gleichermaßen sowohl die kardiovaskulären Wirkungen als auch das subjektive Rauschempfinden durchschnittlich innerhalb von 15 Minuten ihren Höhepunkt. Dies entspricht im Wesentlichen auch den Werten, welche die Studie von Fowler et al. (J Nucl Med 48:17241732 , 1729; 2007) zur Auswirkung intravenös verabreichten d- und l- Methamphetamins auf das Verhalten von Primaten ermittelt hat. Die von Fowler et al. darüber hinaus angestellten vergleichenden Untersuchungen mit Kokain ergaben demgegenüber einen Durchschnittswert von 4 Minuten (aaO 1729 f.).
23
(4) Der Senat sieht sich bei seinem Ergebnis im Einklang auch mit der Rechtslage in der Republik Österreich. Die Untergrenze der die einzelnen Begehungsweisen des unerlaubten Umgangs mit Suchtstoffen jeweils qualifizierenden tatbezogenen Menge, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen (§§ 28b, 31b ÖstSMG), wird dort für Amphetamin und seine Derivate ohne weitere Differenzierung ebenfalls einheitlich bestimmt und bei 10 g der Reinsubstanz angesetzt (Anhang 3 zur ÖStSuchtgift-Grenzmengenverordnung; vgl. auch Oberster Gerichtshof , Urteil vom 20. Dezember 1995 - 13 Os 126/95 unter Verweis auf das Gutachten des Beirats zur Bekämpfung des Missbrauchs von Alkohol und anderen Suchtmitteln vom 10. Mai 1985 [abgedruckt in Foregger/Litzka, Suchtgiftgesetz , 2. Aufl., S. 105 ff.]).
24
In der Schweiz wird zwar bei der Bestimmung der Menge, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (Art. 19 Ziff. 2 Buchst. a SchwBetmG), nunmehr für Methamphetamin mit 12 g MethamphetaminHydrochlorid (= 9,68 g Base) ein noch schärferer Grenzwert vorgeschlagen als für Kokain (18 g; Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Rechts- medizin vom Juni 2010 zur Gefährlichkeit von Methamphetamin). Dieser Vorschlag orientiert sich aber im Wesentlichen nur am Urteil des (deutschen) Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 2008 (2 StR 86/08, BGHSt 53, 89) und an der darin mitgeteilten Auffassung der angehörten Gutachter. Weiterreichende Forschungsergebnisse liegen ihm nicht zugrunde.
25
(5) Die vom Sachverständigen Dr. D. im Weiteren als Beleg für eine bessere Bioverfügbarkeit von Methamphetamin herangezogenen Veröffentlichungen sind für die zu treffende Entscheidung nicht ergiebig. Nichols (in: Cho et Segal, Amphetamine and its Analogs, 1994, S. 6) greift zwar die These auf, Methamphetamin weise fast die zweifache Potenz von Amphetamin auf, lässt aber wiederum nicht erkennen, worauf diese Annahme beruht. Die Abhandlung von Li et al. (Br J Clin Pharmacol 69: 187-192; 2010) enthält keine aussagekräftigen Hinweise auf eine höhere Bioverfügbarkeit von Methamphetamin im Vergleich zu Amphetamin, sondern befasst sich in erster Linie mit den Metaboliten, die in Abhängigkeit von der jeweiligen stereochemischen Beschaffenheit des verabreichten Methamphetamins beim Abbau typischerweise entstehen. Im Übrigen haben weder Hart et al. noch Fowler et al. in ihren oben angesprochenen Studien Vergleiche zwischen Methamphetamin und Amphetamin angestellt.
26
3. Ob danach für (2S)-Methamphetamin weiterhin der Auffassung gefolgt werden kann, es wirke bis zu zweimal stärker als Amphetamin (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89), kann offen bleiben, denn der Senat hat nur über den Grenzwert bei (RS)-Methamphetamin zu entscheiden.
Becker Pfister von Lienen Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 3 0 2 / 1 3
vom
14. Januar 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide JWH-018 und CP
47,497-C8-Homologes beginnt bei zwei Gramm.
2. Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide JWH-073 und CP
47,497 beginnt bei sechs Gramm.
BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
3. Dezember 2014, in der Sitzung am 14. Januar 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Januar 2013, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Komplex C.III.1. der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch,
c) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch,
c) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz.
3. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
2
Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln minderer Qualität (Komplex C.II.),
3
versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln minderer Qualität (Komplexe C.III.1. und C.III.5.),
4
unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Komplex C.III.2.),
5
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen (Komplexe C.III.3. und C.III.4.)
6
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 193.300,87 Euro angeordnet.
7
Hiergegen wenden sich sowohl der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision als auch die Staatsanwaltschaft , die mit ihrem Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts rügt.
8
Der Senat hat das Verfahren, soweit es den Angeklagten betrifft, auf Antrag des Generalbundesanwalts hinsichtlich der Komplexe C.II. und C.III.5. der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO i.V.m. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt und es im Übrigen mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes beschränkt.
9
Die Revisionen erzielen jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet und waren daher zu verwerfen.

A.

10
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
11
Der Angeklagte betrieb in D. einen Handel mit Gewürz- und Kräutermischungen und vertrieb die Produkte über den Internetshop „www.b. .de“. Er erwarb von Händlern aus dem Inland und dem europäi- schen Ausland Kräutermischungen, die synthetische Cannabinoide - namentlich die Wirkstoffe JWH-018, JWH-073, CP 47,497 bzw. CP 47,497-C8Homologes - enthielten, um diese gewinnbringend weiterzuverkaufen und sich dadurch eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu eröffnen.
12
Dem Angeklagten war bekannt, dass die Kräutermischungen zum Konsum durch Rauchen verwendet wurden und dass diese eine bewusstseinsverändernde Wirkung hatten, sofern sie synthetische Cannabinoide enthielten. Er rechnete damit, dass derartige Wirkstoffe in den Mischungen enthalten waren und nahm dies zumindest billigend in Kauf. Auf den Verpackungen der Kräutermischungen war weder angegeben, dass diese synthetische Cannabinoide enthielten, noch war eine Dosierungsanleitung beigefügt. Die Wirkstoffe waren in den Kräutermischungen nicht gleichmäßig verteilt.
13
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Fälle, soweit sie nach Teileinstellung des Verfahrens noch Gegenstand des Revisionsverfahrens sind:
14
1. Der Angeklagte erwarb im April 2009 aus Österreich jeweils 300 Päckchen mit je 3 Gramm der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“, die entweder den Wirkstoff JHW-073oder den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten, und verkaufte diese an zahlreiche Abnehmer weiter (Komplex C.III.1.).
15
2. Im Mai und Juni 2009 kaufte der Angeklagte aus Belgien in fünf Fällen die Kräutermischungen „Dream“ bzw. „69“ an, die jeweils den Wirkstoff JWH- 018 enthielten. Ausgehend von einem Gewicht pro Päckchen von mindestens 2 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1,1 Prozent für „Dream“ bzw. von einem Gewicht pro Päckchen von mindestens 1,2 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1,8 Prozent für „69“ belief sich die Gesamtmenge JWH-018 bei den Einfuhren am 20. Mai 2009 (Fall 1: 1.000 Päckchen „Dream“) auf 22 Gramm, am 25. Mai 2009 (Fall 2: 1.500 Päckchen „Dream“) auf 33 Gramm, am 12. Juni 2009 (Fall 3: 800 Päckchen „Dream“) auf 17,6 Gramm, am 19. Juni 2009 (Fall 4: 150 Päckchen „69“ sowie 800 Päckchen „Dream“) auf 20,84 Gramm und am 22. Juni 2009 (Fall 5: 1.000 Päckchen „69“) auf 21,6 Gramm. Auch diese Kräutermischungen verkaufte der Angeklagte in der Folgezeit an zahlreiche Abnehmer weiter (Komplex C.III.2.).
16
3. Am 1. März 2009 verkaufte der Angeklagte 25 Päckchen der Kräuter- mischung „Chill X“, die den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten (Komplex C.III.3.).
17
4. Am 10. März 2009 verkaufte der Angeklagte 25 Päckchen der Kräu- termischung „Dream“, die den Wirkstoff JWH-018 enthielten (Komplex C.III.4.).
18
II. Das Landgericht hat folgende Wertungen vorgenommen:
19
1. a) Im Komplex C.III.1. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten neben Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Es hat sich nicht davon überzeugen können, dass die vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „Sen- Cation Blackberry“ tatsächlich den im Tatzeitraum in Anlage II zum Betäu- bungsmittelgesetz aufgeführten Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten, da bei Untersuchungen von bei dem Angeklagten aufgefundenen gleichnamigen Kräutermischungen teils dieser Wirkstoff, teils der erst nach dem Tatzeitraum in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommene Wirkstoff JWH073 festgestellt worden sei. Der Angeklagte habe aber jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass die Kräutermischungen Wirkstoffe enthalten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Kräutermischungen bzw. zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten davon hat das Landgericht nicht getroffen.
20
b) Im Komplex C.III.2. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nach Auffassung des Landgerichts durch den Ankauf der Kräutermischungen „Dream“ bzw. „69“ im Mai und Juni 2009 aus Belgien wegen unerlaubter Ein- fuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Den Grenzwert für die nicht geringe Menge des Wirkstoffs JWH-018 hat das Landgericht sachverständig beraten auf 1,75 Gramm Wirkstoffmenge - entsprechend 350 Konsumeinheiten zu je 5 Milligramm - festgesetzt. Eine äußerst gefährliche oder tödliche Dosis vermochte es mangels Datengrundlage nicht zu bestimmen. Bei der Festlegung der Maßzahl auf 350 Konsumeinheiten hat es insbesondere berücksichtigt, dass JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol eine deutlich stärkere Wirkung und eine höhere akute Toxizität aufweise, MDE/MDA/MDMA bzw. Amphetamin/ Methamphetamin andererseits aber eine noch stärkere akute Toxizität innewohne. Entsprechend dieser Einordnung sei die Maßzahl für JWH-018 als Mittelwert zwischen den für Amphetamin/Methamphetamin und THC von der Rechtsprechung angenommenen Maßzahlen von 200 bzw. 500 Konsumeinheiten festzulegen.
21
c) Die Komplexe C.III.3. und C.III.4. der Urteilsgründe hat das Landgericht jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gewertet. Es hat lediglich festgestellt, dass sechs von 29 bei dem Angeklagten aufgefundenen Päckchen „Chill X“ im Durchschnitt 2,9 Gramm der Kräutermischung enthielten. Weitergehende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der im Fall C.III.3. gehandelten Kräutermischung bzw. zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten davon hat es nicht getroffen.
22
2. a) Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht im Komplex C.III.1. den Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zur Anwendung gebracht. Die Indizwirkung des angenommenen Regelbeispiels des gewerbsmäßigen Handelns (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) hat es mit der Begründung als entkräftet angesehen, dem Angeklagten sei nicht bekannt gewesen, ob in den von ihm gehandelten Kräutermischungen tatsächlich betäubungsmittelrechtlich relevante Wirkstoffe enthalten gewesen seien. Zudem stehe nicht fest, ob überhaupt und ggfs. in welcher Quantität in den Kräutermischungen tatsächlich der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthalten gewesen sei. Den so gefundenen Strafrahmen hat das Landgericht gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert und auf eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt.
23
b) Hinsichtlich des Komplexes C.III.2. der Urteilsgründe hat das Landgericht jeweils minder schwere Fälle i.S.v. § 30 Abs. 2 BtMG angenommen. Eine positive Kenntnis des Angeklagten, dass die von ihm eingeführten Kräutermi- schungen „Dream“ und „69“ unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Wirk- stoffe enthielten, habe nicht nachgewiesen werden können. Vielmehr habe er lediglich mit Eventualvorsatz gehandelt. Strafmildernd hat es zudem gewertet, dass die synthetischen Cannabinoide den „weichen Drogen“ zuzuordnen und im Tatzeitraum das Problembewusstsein hinsichtlich der Strafbarkeit im Zu- sammenhang mit Kräutermischungen „noch nicht allzu ausgeprägt“ gewesen sei. Auch sei der Grenzwert für die nicht geringe Menge an JWH-018 noch nicht bekannt gewesen. Daher sei trotz des Umstands, dass der Angeklagte erheblich einschlägig vorbestraft und die nicht geringe Menge in jedem Fall um ein Vielfaches überschritten sei, die Anwendung des Strafrahmens des § 30 Abs. 2 BtMG geboten. Es hat unter nochmaliger Berücksichtigung des nur bedingten Vorsatzes auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten, dreimal je einem Jahr sowie von zehn Monaten erkannt.
24
c) In den Komplexen C.III.3. und C.III.4. ist das Landgericht vom Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ausgegangen, nachdem es die durch das gewerbsmäßige Handeln (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) ausgelöste Indizwirkung für einen besonders schweren Fall wegen des nur bedingten Vorsatzes des Angeklagten und der Einstufung von synthetischen Cannabinoiden als „weiche Droge“ als entkräftet angesehen hat. Es hat auf Geldstrafen von jeweils 60 Tagessätzen erkannt, die Tagessatzhöhe hat es auf 30 € festgesetzt.
25
3. Bei der Entscheidung über die Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist das Landgericht bei der Bestimmung des aus der Tat Erlangten von den aus dem Verkauf der Kräutermischungen erzielten Erlösen ausgegangen. Die in den Urteilsgründen mit dem Zusatz „mit MWSt“ bzw. „ohne MWSt“ mitgeteilten Verkaufspreise hat es den Verkaufsrechnungen entnommen. Sofern in den Rechnungen die Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) nicht gesondert ausgewiesen war, hat es diese von den Verkaufspreisen in Abzug gebracht.

B.

26
Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
27
I. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts aufgrund der rechtfehlerhaften Entbindung eines Schöffen von der Dienstleistung geltend macht (§ 338 Nr. 1 StPO), bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
28
II. Die Sachrüge hat teilweise Erfolg.
29
Das Landgericht hat rechtlich zutreffend seiner Wertung zugrunde gelegt , dass die Wirkstoffe JWH-018 und CP 47,497 bzw. CP 47,497-C8Homologes ab dem 22. Januar 2009, der Wirkstoff JWH-073 erst ab dem 22. Januar 2010 den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterfielen.
30
1. Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.2. (a.), C.III.3. und C.III.4. (b.) weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dagegen kann der Schuldspruch im Komplex C.III.1. (c.) keinen Bestand haben.
31
a) Die Verurteilung im Komplex C.III.2. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand (vgl. zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung BGH, Urteile vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, NStZ 2007, 338 und vom 19. Juli 2006 - 2 StR 162/06, NStZ 2007, 101; BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2006 - 2 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 277 und vom 5. März2013 - 1 StR 35/13, NStZ 2013, 662).
32
Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass in den abgeurteilten Fällen der in den Kräutermischungen „Dream“ und „69“ ent- haltene Wirkstoff JWH-018 jeweils die Grenze der nicht geringen Menge i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG erreicht hat.
33
Die Berechnung der Mengen und des Wirkstoffgehalts der betroffenen Kräutermischungen „Dream“ und „69“ ist revisionsrechtlich nicht zu beanstan- den.
34
Der Senat setzt jedoch - insoweit abweichend vom Landgericht - den Grenzwert der nicht geringen Menge an JWH-018 auf eine Wirkstoffmenge von 2 Gramm fest.
35
Hierbei bezieht sich der Senat auf die in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte Methode (vgl. nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). Danach ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60).
36
Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von JWH-018 hat der Senat Gutachten des Laborleiters Forensische Toxikologie der Universität Freiburg A. sowie des Apothekers für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie Da. vom Bundeskriminalamt eingeholt. Danach ergibt sich Folgendes:
37
aa) Seit etwa dem Jahr 2005 entwickelte sich ein Markt für mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Kräutermischungen, Räuchermischungen, Ba- desalze u.ä. (sog. „Legal Highs“ oder auch „Neue psychoaktive Substanzen“), die zur Herbeiführung eines Rauschzustandes - häufig als Ersatz für Cannabis - mit dem Ziel der Entspannung, der Stimmungsregulation oder der Intensivierung von Sinneseindrücken konsumiert wurden. Diese Stoffe zeichnen sich dadurch aus, dass sie in chemischen Syntheselaboren ohne großen technischen Aufwand mit Hilfe leicht zu beschaffender Bestandteile kostengünstig hergestellt werden können und zum Verkauf mit Pflanzenmaterial vermischt werden. Charakteristisch für solche Produkte ist die ungleichmäßige Verteilung der synthetischen Cannabinoide innerhalb der pflanzlichen Trägermasse. Auch die Wirkstoffkonzentration ist großen Schwankungen unterworfen. Waren in den ersten Jahren noch Produkte mit Wirkstoffkonzentrationen im einstelligen Prozentbereich auf dem Markt, so sind heute Wirkstoffanteile von bis zu 30 Prozent zu finden. Der Wirkstoffgehalt ist dem Produkt nicht anzusehen. Der Wirkstoff JWH-018 war - neben dem Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes - als Hauptwirkstoff in den sog. „Spice“-Produktender ersten Generation enthalten, bis er nach seiner Aufnahme in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz durch andere synthetische Cannabinoide, so z.B. JWH-073, aber auch weitere, teilweise hochpotente Wirkstoffe, ersetzt wurde.
38
bb) Bei JWH-018 [chemische Bezeichnung: (Naphthalin-1-yl)(1-pentyl1H -indol-3-yl)methanon] handelt es sich um ein nach dem amerikanischen Chemiker John W. Huffman benanntes vollsynthetisches Aminoalkylindol, das bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet wurde. Die Erkenntnismöglichkeiten zur pharmakologischen Wirkung der Substanz beschränken sich auf einzelne wissenschaftliche Selbstversuche und Fallberichte, in denen neben einer ausführlichen klinischen Beschreibung auch eine umfassende toxikologische Analytik durchgeführt wurde, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Wirkstoffaufnahme und Symptomatik belegen. Zudem stehen Daten aus Rezeptorbindungsstudien sowie Ergebnissen aus in vivo-Studien (vor allem am Mausmodell) zur Verfügung, wobei eine Übertragung der daraus gezogenen Schlüsse auf den Menschen nur eingeschränkt möglich ist.
39
cc) Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze über das Endocannabinoidsystem vermittelt. Diese vergleichbare Wirkungsweise hat trotz unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung zur Sammelbe- zeichnung als synthetische „Cannabinoide“ geführt. DasEndocannabinoidsys- tem ist nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Der Wirkstoff bindet an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1, der in hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und CB2, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübermittlung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung kann zwischen einem vollen Agonisten und einem nur partiellen Agonisten unterschieden werden.
40
Anders als der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, der am CB1-Rezeptor nur als partieller Agonist bindet, wirken JWH-018 und CP 47,497-C8Homologes dort als volle Agonisten. Dies führt dazu, dass sie wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen können. Es tritt - anders als bei Tetrahydrocannabinol - keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen durch eine höhere Dosierung verstärkt. JWH-073 ist hingegen eher wie Tetrahydrocannabinol als partieller Agonist anzusehen.
41
Im Zusammenhang mit diesen Unterschieden der Substanzen JWH-018 einerseits und Tetrahydrocannabinol andererseits bei der sog. intrinsischen Aktivität ist auch zu sehen, dass JWH-018 gegenüber Tetrahydrocannabinol eine höhere Potenz aufweist. Das heißt, dass das Maß der Wirkstärke in Abhängigkeit von der Dosis oder Konzentration deutlich höher anzusiedeln ist. Entsprechend ist bei JWH-018 zur Erzielung einer Wirkung eine gegenüber Tetrahydrocannabinol wesentlich geringere Dosis erforderlich. Dies steht auch in Übereinstimmung mit Berichten von Konsumenten, die ebenfalls für JWH018 bei gleicher Dosierung eine deutlich stärkere Wirkung im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol beschreiben. An Tieren durchgeführte Studien, im Rahmen derer Potenz und Rezeptoraffinität verschiedener synthetischer Cannabinoide im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol getestet wurden, lassen den wissenschaftlich belegten Schluss zu, dass der Wirkstoff JWH-018 mindestens um den Faktor 3 potenter als Tetrahydrocannabinol ist. Die insoweit erhobenen pharmakodynamischen Parameter ließen auch die Annahme eines höheren Faktors zu. Um aber dem Umstand, dass es sich um die Übertragung von am Tiermodell gewonnenen Daten auf den Menschen handelt und anderen möglichen Messunsicherheiten ausreichend Rechnung zu tragen, ist nicht auf diesen höheren Faktor, sondern auf die jedenfalls gesicherte Abschätzung der Potenz, nämlich dem Faktor 3 zurückzugreifen.
42
Die möglichen Unterschiede in der sog. intrinsischen Aktivität der synthetischen Cannabinoide, aber auch ihre damit zusammenhängende unterschiedliche Potenz führen dazu, dass man Feststellungen zur Gefährlichkeit eines dieser synthetischen Cannabinoide nicht ohne weiteres auf andere Stoffe übertragen kann. So gibt es innerhalb der Gruppe der synthetischen Cannabinoide deutliche Potenzunterscheide.
43
Betäubungsmittel wie Heroin, Kokain oder Amphetamin weisen hingegen einen komplett anderen Wirkungsmechanismus auf.
44
dd) Neben potentiell therapeutisch nutzbaren Effekten - wie Schmerzlinderung , Neuroprotektion, Hemmung gastrointestinaler Motilität, Linderung von Spastizität, antiemetische Wirkung, Senkung des Augeninnendrucks, Erleichterung des Schlafes und appetitanregende Wirkung - zeigt sich nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden eine berauschende Wirkung, gekennzeichnet durch Stimmungssteigerung, Euphorie, Redseligkeit, veränderter Wahrnehmung (z.B. in Bezug auf Farben, Musik, Geschmack und Zeitgefühl) oder Gefühle erhöhter Einsicht und Bedeutung. Zu den häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide gehören solche, die auch nach Cannabiskonsum häufig auftreten, wie Beeinträchtigung des Denk-, Lern-, Erinnerungs- und Konzentrationsvermögens und der psychomotorischen Leistung, Gefühle von Unwirklichkeit, Depersonalisation und Distanziertheit, Unterbrechung von Gedankengängen, Angstzustände, Paranoia , erhöhte Herzfrequenz, Pupillenweitung, Bindehautrötung, verminderter Tränenfluss, Mundtrockenheit sowie Wirkungen auf endokrine und reproduktive Funktionen und die Thermoregulation. Daneben zeigen sich aber auch Symptome , die untypisch für Cannabisintoxikationen sind, wie lange anhaltendes Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Wirkung auf die Atmung und Krampfanfälle. Das Erbrechen kann im Zusammenhang mit der Bewusstseinstrübung und der damit verbundenen Aspirationsgefahr genauso eine lebensgefährliche Situation begründen wie Krampfanfälle. Gerade diese Effekte führen zur Annahme einer gegenüber Tetrahydrocannabinol gesteigerten Gefährlichkeit für die Gesundheit des Konsumenten.
45
Die berauschende Wirkung von JWH-018 hält etwa ein bis zwei Stunden an, wobei die tatsächliche Wirkungsdauer, die davon abhängt, wie schnell die Substanzen metabolisiert und ausgeschieden werden, immer auch von der Dosis und der Art der Aufnahme, aber maßgeblich auch von der aktuellen Verfassung des Konsumenten und den Umgebungsbedingungen beeinflusst wird.
46
ee) Auch wenn die Wirkungen synthetischer Cannabinoide in erster Linie über das Endocannabinoidsystem vermittelt werden, gibt es Hinweise darauf, dass die Substanzen auf weitere physiologischen Systeme einwirken. So zeigt das Wirkungsprofil dieser Substanzen im Vergleich zu dem von Cannabis ähnliche Symptome, aber auch markante Unterschiede. Derartige Systeme konnten aber bisher nicht identifiziert werden, weshalb diese nur möglichen, derzeit nicht belegbaren Effekte nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht Grundlage der rechtlich relevanten Beurteilung der Wirkung und Gefährlichkeit der Substanz sein können. Auch die Frage von Langzeittoxizität, krebserzeugenden Wirkungen, Beeinträchtigungen des Erbguts oder der Fertilität durch synthetische Cannabinoide - auf deren mögliches Vorliegen als Risiko insbesondere der Sachverständige Da. hingewiesen hat - kann anhand der mangelhaften Datenlage derzeit nicht beurteilt werden.
47
ff) Zur äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis des Wirkstoffs JWH-018 liegen derzeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Zwar können Vergiftungen mit synthetischen Cannabinoiden zu lebensbedrohlichen Zuständen führen, wobei Erbrechen mit der Gefahr der Aspiration bei Bewusstseinseintrübungen , negative Wirkungen auf die Atmung und Krampfanfälle im Vordergrund stehen. Die begrenzte Anzahl klinisch und analytisch dokumentierter Vergiftungsfälle bieten aber für eine Festlegung einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis keine valide Grundlage, da zuverlässige Daten zu Konsumzeitpunkt und -menge fehlen und neben den synthetischen Cannabinoiden zumeist weitere Betäubungsmittel konsumiert wurden.
48
gg) Die Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge auf Grundlage der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten kommt ebenfalls nicht in Betracht. Auch zum Konsumverhalten fehlt es an wissenschaftlich gesicherten Daten.
49
(1) Zwar lässt sich allgemein feststellen, dass die Dosierung des Wirkstoffs maßgeblich von der Konsumform sowie von der Anwendungsart abhängt.
50
Die gebräuchlichste Konsumform für synthetische Cannabinoide sind sog. Räuchermischungen, wobei das mit dem Wirkstoff versetzte pflanzliche Material als Tabakmischung in einem Joint oder in einer Wasserpfeife („Bong“) geraucht wird. Die Wirkung setzt bei dieser Konsumart aufgrund der Aufnahme des Wirkstoffs über die Lunge innerhalb weniger Minuten ein. Anders als bei Cannabis muss der Wirkstoff nicht erst aus der pflanzlichen Matrix freigesetzt werden, sondern steht sofort zur Verfügung. Da der Konsument in der Regel nicht wissen kann, wieviel Wirkstoff enthalten ist, wird er so lange rauchen, bis die gewünschte Wirkung eingetreten ist, er „titriert“. Dies beinhaltet das Risiko einer Überdosierung, da schon mit den ersten Zügen so viel aufgenommen worden sein kann, dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Derzeit weniger verbreitet ist noch das Verdampfen der Wirksubstanz - meist unter Einsatz des reinen Wirkstoffes - in einem „Vaporizer“ oder unter Einsatz des Wirk- stoffs in gelöster Form als „E-Liquid“ in einer E-Zigarette. Dies erfordert im Ver- gleich zum Rauchen niedrigere Temperaturen, was mit einer höheren Bioverfügbarkeit aufgrund geringerer Verluste durch Verbrennung einhergeht. Da bei den Verdampfungstechniken im Unterschied zum Rauchen in der Regel auch keine Verluste durch Seitenstromrauch auftreten, reichen geringere Substanzmengen aus, um eine Wirkung zu erzielen. Sowohl für das Rauchen als auch für das Verdampfen gilt, dass sich der Anteil des über die Lunge aufgenomme- nen Wirkstoffs je nach konkreter Durchführung (z.B. „paffen“ oder inhalieren) stark unterscheiden kann. Ein geringer Teil der Konsumenten nimmt die Substanzen oral - z.B. nach Herstellung eines Aufgusses - zu sich. Die Wirkung tritt bei oraler Aufnahme mit einer erheblichen Verzögerung von einer halben bis zu mehreren Stunde(n) ein, was dem Konsumenten die Dosierung erschwert. Aufgrund des sog. First-Pass-Effekts (Metabolisierung der Substanz bei der ersten Leberpassage) und der langsameren Resorption werden bei dieser Art der Applikation bei gleicher Dosierung im Vergleich zum Rauchen bzw. Verdampfen wesentlich geringere Blutkonzentrationen erreicht, so dass bei oraler Aufnahme der Substanz eine wesentlich höhere Dosierung zur Erzielung gleicher Wirkung erforderlich ist.
51
(2) Zur konkreten Dosierung von JWH-018 stehen jedoch neben Daten aus vereinzelten wissenschaftlichen Selbstversuchen, die eine zu schmale Tatsachenbasis bieten, lediglich Angaben von Konsumenten in einschlägigen Internetforen zur Verfügung. Zwar finden sich dort Dosierungsempfehlungen, die - bezogen auf den reinen Wirkstoff in Pulverform - von 1 Milligramm bis maximal 5 Milligramm reichen. Diese Angaben erweisen sich aber für die Bestimmung der durchschnittlichen Konsumeinheit, die zur Erreichung eines Rausch- zustands bei einem nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten erforderlich ist, als nicht geeignet. Zum einen gehen diese Angaben häufig auf erfahrene Konsumenten zurück, bei denen bereits mit einer Toleranzentwicklung zu rechnen ist. Zum anderen ist angesichts der fehlenden Angabe, welches synthetische Cannabinoid in welcher Konzentration in den Räuchermischungen enthalten ist, nicht gesichert, dass die Angaben sich tatsächlich auf den genannten Wirkstoff beziehen und die Substanzmengen zutreffend bezeichnet sind.
52
(3) Hinzu tritt, dass insbesondere die synthetischen Cannabinoide aus der Gruppe der Aminoalkylindole, wie JWH-018 und JWH-073, extensiv metabolisiert werden und viele der Abbauprodukte ebenfalls pharmakologische Aktivität zeigen. Dies lässt erhebliche interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf den Wirkstoff erwarten.
53
hh) Nachdem eine Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge weder an einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis, noch an einer valide abgesicherten Konsumeinheit ausgerichtet werden konnte, war entscheidend ein Vergleich mit anderen, vergleichbar wirkenden Substanzen. Im Hinblick auf die dargelegten verwandten chemisch-toxikologischen Wirkungen erscheint es dem Senat angebracht, den Grenzwert für JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol zu bestimmen. Beide Substanzen wirken auf das Endocannabinoidsystem , weisen ähnliche Wirkungsbilder auf und werden mit dem Ziel der Entspannung, der Stimmungsregulation oder der Intensivierung von Sinneseindrücken konsumiert.
54
Ein Vergleich mit den Grenzwerten der nicht geringen Menge anderer Betäubungsmittel - wie Heroin (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1983 - 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162), Kokain (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1985 - 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133), Amphetamin (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169), Methamphetamin (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89), MDE/MDMA/MDA (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255) oder LSD (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43) - kam dagegen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Grundstrukturen, der abweichenden Konsummotivation, vor allem aber des vollkommen abweichenden Wirkungsmechanismus nicht in Betracht. Zwar ist zu konstatieren, dass u.a. Heroin oder Kokain noch gefährlichere Wirkungen entfalten als synthetische Cannabinoide. Aufgrund der ganz unterschiedlichen Wirkungsweise, die erst bei vergleichsweise hohen Dosen einsetzt, kann dies aber nicht im losgelösten Vergleich der Grenzwerte zum Ausdruck gebracht werden.
55
ii) Der Senat hat im Anschluss an den Sachverständigen A. den Grenzwert der nicht geringen Menge für JWH-018 aufgrund eines Vergleichs mit Tetrahydrocannabinol auf zwei Gramm Wirkstoffmenge festgesetzt. Dies erscheint angebracht, um dem auf der Grundlage heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse feststehenden Gefährdungspotential dieses Wirkstoffs im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln gerecht zu werden.
56
Maßgeblich ist hierfür die im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol, für das der Grenzwert der nicht geringen Menge bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol - entsprechend 500 Konsumeinheiten à 15 Milligramm - angenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8), höhere Potenz des Wirkstoffs, seine gesteigerte Gefährlichkeit aufgrund weitergehender unerwünschter Nebenwirkungen, die sogar lebensbedrohlich wirken können, und die wesentlich höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von starken unerwünschten Nebenwirkungen. Bei dieser Einordnung ist stets von den für den Angeklagten günstigsten relevanten Parametern ausgegangen worden; nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht valide belegte Hinweise auf ein noch erheblicheres Gefährlichkeitsniveau, insbesondere im Hinblick auf die chronische Toxizität, also solchen Folgen, die erst nach wiederholtem Konsum auftreten , sind dabei nicht eingestellt worden.
57
(1) Zum einen weist JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol eine um mindestens den Faktor 3 erhöhte Potenz auf (vgl. unter cc).
58
(2) Auch in Bezug auf die akute Toxizität, also solcher Folgen, die bereits nach einem einmaligen Konsum auftreten können, erweist sich JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol als gefährlicher für die Gesundheit der Konsumenten. Beim Konsum von JWH-018 treten neben den auch beim Konsum von Cannabis bekannten unerwünschten Nebenwirkungen die beschriebenen erheblichen weiteren Nebenwirkungen auf. Die Wirkungen auf das HerzKreislauf -System, wie Herzrasen und erhöhter Blutdruck, stellen insbesondere für Konsumenten mit Vorschädigungen ein Risiko dar. Während Todesfälle durch den Konsum von Cannabis nicht bekannt sind, kann es bei Vergiftungen mit synthetischen Cannabinoiden zu lebensbedrohlichen Zuständen, wie Erbrechen verbunden mit der Gefahr der Aspiration bei Bewusstseinseintrübungen, Wirkungen auf die Atmung und Krampfanfällen, kommen.
59
(3) Ähnlich wie bei Cannabis wurde bei einigen Konsumenten die Auslösung psychotischer Symptome bzw. die Verschlechterung einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung beschrieben, wobei jedoch meist keine klare Zuordnung zu einer bestimmten Wirksubstanz möglich war.
60
(4) Das Abhängigkeitspotential von JWH-018 ist dem von Cannabis jedenfalls gleichzusetzen. Die in der Kasuistik dokumentierten Entzugszeichen und die von Konsumenten beschriebene, mit einer Steigerung der Dosis verbundene vergleichsweise schnelle Toleranzentwicklung, die anhand von Zell- modellen nachzuvollziehen ist, deuten sogar darauf hin, dass synthetische Cannabinoide schneller abhängig machen können als Cannabis. Mangels valider Datengrundlage kann dies allerdings nicht zugrunde gelegt werden. Für die Frage der suchterzeugenden Wirkung kommt auch der im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol , welches zwei bis drei Stunden wirkt, kürzeren Dauer der berauschenden Wirkung von lediglich ein bis zwei Stunden Bedeutung zu, die eine erhöhte Gefahr des zeitnahen wiederholten Konsums („Nachlegen“) birgt.
61
(5) Bei der Konsumform des Rauchens haben synthetische Cannabinoide eine vergleichbare karzinogene Wirkung wie Cannabisprodukte.
62
(6) Die Gefahr einer Überdosierung ist bei JWH-018 höher einzustufen als bei Cannabis, was die Gefährlichkeit steigert. Während bei dem Konsum von Cannabis eine Sättigung dergestalt eintritt, dass eine Erhöhung der Dosis nicht mehr zu einer Steigerung der Wirksamkeit führt, ist eine derartige Wirkungsdeckelung bei als Vollagonisten an den Rezeptor bindenden JWH-018 nicht vorhanden. Zudem führt die ungleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs innerhalb der Trägermasse bei gleichbleibender Dosierung der Kräutermischung zu einer variierenden Wirkstoffdosis, die die Gefahr einer Überdosierung in stärkerem Maße erhöht, als dies bei Cannabisprodukten aufgrund schwankender Wirkstoffgehalte der Fall ist. Hinzu kommt, dass der Wirkstoffgehalt in den Kräutermischungen insgesamt sehr großen Schwankungen unterliegt. Während die Wirkstoffgehalte in den frühen Produkten meist - wie hier - im unteren Prozentbereich lagen, werden inzwischen nicht selten Wirkstoffgehalte von zehn bis 20 Prozent festgestellt. All dies birgt die gegenüber dem Konsum von Cannabisprodukten erhöhte Gefahr einer starken Ausprägung der unerwünschten Nebenwirkungen, was sich z.B. bei der Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf-Systems, aber auch bei den Nebenwirkungen, die bei Can- nabiskonsum nicht auftreten, sehr belastend, sogar lebensbedrohlich auswirken kann.
63
jj) Eine die praktische Handhabung erleichternde Festlegung des Grenzwerts nach der Menge der Päckchen mit Kräutermischungen, ähnlich wie sie ergänzend zum Wirkstoffmengenwert bei LSD vorgenommen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43), ist nicht möglich. Die Schwankungen im Wirkstoffgehalt der unterschiedlichen Kräutermischungen sowie selbst zwischen einzelnen Päckchen von unter derselben Bezeichnung vertriebenen Kräutermischungen lassen eine ausreichend sichere Feststellung einer Mindestkonzentration des Wirkstoffs nicht zu.
64
kk) Soweit der Sachverständige Da. darauf hingewiesen hat, dass die für die Gefährlichkeit des Wirkstoffs maßgeblichen Aspekte wie Langzeittoxizität , Teratogenität, Zytotoxizität oder Kazerogenität derzeit noch nicht hinreichend beurteilt werden können und aus präventiven Erwägungen die Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge auf 0,75 Gramm - entsprechend 150 Konsumeinheiten à 5 Milligramm - angeregt hat, sieht der Senat jedenfalls derzeit mangels gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse keine Basis, die eine für den Angeklagten nachteilige niedrigere Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechtfertigen würde.
65
ll) Auch bei Zugrundlegung eines Grenzwerts der nicht geringen Menge von 2 Gramm statt 1,75 Gramm ist in allen fünf Fällen des Komplexes C.III.2. die nicht geringe Menge deutlich überschritten, so dass der Schuldspruch Bestand hat.
66
b) Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.3. und C.III.4. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Landgericht hat jeweils keine nicht geringe Menge angenommen.
67
c) Dagegen hält der nach Beschränkung des Verfahrens gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes allein maßgebliche Schuldspruch wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.1. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
68
Das Landgericht konnte sich angesichts der Untersuchungsergebnisse betreffend der beim Angeklagten aufgefundenen Kräutermischungen, wonach in den Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ teils der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes, teils der Wirkstoff JWH-073 festgestellt wurde, nicht davon überzeugen, dass in den vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen ein unter das Betäubungsmittelgesetz fallender Wirkstoff enthalten war. Jedoch fehlt es an Feststellungen dazu, welche Vorstellungen sich der Angeklagte vom Wirkstoffgehalt im Zeitpunkt des Ankaufs und der Einfuhr der insgesamt 600 Päckchen Kräutermischungen gemacht hat.
69
Auf konkrete Feststellungen zum (vorgestellten) Wirkstoffgehalt kann bei Verurteilung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz regelmäßig nicht verzichtet werden. Denn der Wirkstoffgehalt wirkt sich entscheidend auf die rechtliche Beurteilung der begangenen Betäubungsmitteldelikte, auf deren konkurrenzrechtliches Verhältnis und auf den Schuldumfang der Taten aus (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 60/08, NStZ 2008, 471; Weber, BtMG, 4. Aufl., Vor § 29ff. Rn. 915 ff. mwN).
70
Da Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezogen auf den Zeitpunkt des Ankaufs und der Einfuhr der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ fehlen, kann der Schuldspruch auf die Revision des Angeklagten keinen Bestand haben.
71
2. Der Strafausspruch unterliegt insgesamt der Aufhebung.
72
Im Komplex C.III.1. erfasst die Aufhebung des Schuldspruchs den zugehörigen Strafausspruch. Auch in den Komplexen C.III.2. bis C.III.4. hat der Ausspruch über die jeweiligen Einzelstrafen keinen Bestand.
73
a) In den Komplexen C.III.2. und C.III.4. ergibt sich dies daraus, dass das Landgericht der Strafzumessung durch Annahme des Grenzwerts der nicht geringen Menge von JWH-018 von 1,75 Gramm statt 2 Gramm einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Auch im Komplex C.III.3. hebt der Senat die Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatrichter eine an der Festlegung der nicht geringen Menge des betroffenen Wirkstoffs (vgl. hierzu C.I.1.a.) orientierte , in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
74
b) Der Wegfall bzw. die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.
75
3. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz hat insgesamt keinen Bestand.
76
Bereits die Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich der Komplexe C.II. und C.III.5. sowie die Aufhebung der Verurteilung im Komplex C.III.1. führen zur Aufhebung des angeordneten Wertersatzverfalls.
77
Eine Aufrechterhaltung hinsichtlich des aus den Taten der Komplexe C.III.2. bis C.III.4. Erlangten kommt hier nicht in Betracht. Dem Senat ist es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht möglich, zu bestimmen, in welcher Höhe der Verfall von Wertersatz zu Recht angeordnet ist.
78
Das Landgericht ist bei der Bestimmung des aus den Taten Erlangten zutreffend von den Erlösen aus dem Verkauf der Kräutermischungen ausgegangen. Jedoch begegnet die Kürzung der Beträge um die Umsatzsteuer durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar können steuerliche Belastungen zur Vermeidung einer Doppelbelastung bei der Anwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 21. März2002 - 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260). Das Landgericht übersieht jedoch, dass bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaates keine Umsatzsteuerschuld entsteht. Zwar verbietet der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität bei der Erhebung der Umsatzsteuer grundsätzlich eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften. Dies gilt jedoch nicht für die unerlaubte Lieferung von Erzeugnissen wie Betäubungsmitteln , die schon ihrem Wesen nach - mit engen Ausnahmen - einem vollständigen Verkehrsverbot unterliegen. In einer derartigen besonderen Situation , in der jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist, kann die Freistellung von der Mehrwertbesteuerung den Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität nicht berühren (EuGH, Urteil vom 5. Juli 1988 - Rechtssache C-289/86, Slg. 1988, 3655; vgl. zur Einfuhrumsatzsteuer EuGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - Rechtssache C-294/82, EuGRZ 1984, 261). Der Angeklagte würde allerdings nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG für dennoch unrichtig in Rechnungen offen ausgewiesene Umsatzsteuerbeträge haften. Aber auch insoweit käme eine Berücksichtigung dieser Haftung nur in Betracht, wenn die Steuern tatsächlich gezahlt oder jedenfalls bestandskräftig festgesetzt worden wären (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2002 - 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260 und vom 27. Oktober 2011 - 5 StR 14/11, NJW 2012, 92; BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2004 - 1 StR 296/03, wistra 2004, 227 und vom 25. März 2014 - 3 StR 314/13).
79
Eine Prüfung, inwieweit der für das aus den Taten der Komplexe C.III.2. bis C.III.4. Erlangte anzuordnende Wertersatzverfall hinter dem vom Landgericht dem Verfall von Wertersatz zugrunde gelegten Betrag von 193.300,87 Euro zurückbleibt oder diesen übersteigt, ist dem Senat nicht möglich. Zum einen hat das Landgericht keine Feststellungen zum Stand des Besteuerungsverfahrens getroffen. Zum anderen hat es die Berechnungsgrundlagen nicht nachvollziehbar dargelegt. Soweit das Landgericht die Verkaufspreise jeweils mit dem Zusatz „mit MwSt“ bzw. „ohne MwSt“ mitteilt, fehlt es an einer Klarstellung, ob es sich insoweit um die bereits um die Umsatzsteuer gekürzten Beträge handelt oder ob von den genannten Beträgen noch eine Korrektur um die Umsatzsteuer durchgeführt wurde.

C.

80
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
81
I. Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Dagegen weisen die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.2. und C.III.4. keine Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
82
1. Der nach Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes allein maßgebliche Schuldspruch wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.1. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
83
a) Wie bereits unter B.II.c. dargelegt, fehlt es an konkreten Feststellungen dazu, welche Vorstellungen sich der Angeklagte bei Ankauf und Einfuhr über den Wirkstoffgehalt der insgesamt 600 Päckchen der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ gemacht hat. Dem Senat ist aufgrund der fehlenden Feststellungen die Prüfung nicht möglich, ob nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten der Grenzwert der nicht geringen Menge erreicht ist und damit eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG möglich wäre.
84
Nach Auffassung des Senats ist der Grenzwert der nicht geringen Menge für den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes ebenfalls bei 2 Gramm anzusetzen.
85
Den Ausführungen der Sachverständigen A. und Da. entnimmt der Senat, dass sich die für einen Wirkstoff gewonnenen Erkenntnisse nicht auf alle synthetischen Cannabinoide übertragen lassen. Allein der Umstand, dass andere Wirkstoffe ebenfalls über das Endocannabinoidsystem wirken und an die CB-Rezeptoren binden, sagt nichts über deren Potenz und Wirkungsintensität aus. Diese Werte sind vielmehr für jeden Wirkstoff experimentell zu ermitteln. Entsprechend ist der Grenzwert der nicht geringen Menge für jeden Wirkstoff gesondert festzusetzen.
86
Soweit der Sachverständige Da. angeregt hat, dennoch den Grenzwert der nicht geringen Menge für alle synthetischen Cannabinoide einheitlich zu bestimmen und diesen im Hinblick darauf, dass deren Gefährlichkeit noch nicht hinreichend beurteilt werden könne, aus präventiven Erwägungen auf 0,75 Gramm - entsprechend 150 Konsumeinheiten à 5 Milligramm - festzulegen , sieht der Senat hierfür jedenfalls derzeit keine wissenschaftlich hinreichend gesicherte Grundlage.
87
Der Senat hat die Sachverständigen auch zur Wirkung und zur Gefährlichkeit der in den vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen enthaltenen Wirkstoffe CP 47,497, CP 47,497-C8-Homologes und JWH-073 befragt. Hierzu ergibt sich Folgendes:
88
(1) Bei dem Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes - 5-(1,1-Dimethyloctyl)- 2-[(1RS,3SR)-3-hydroxycyclohexyl]-phenol - handelt es sich um einen Vertreter der sog. Cyclohexylphenole, eine Gruppe stickstofffreier Verbindungen, die in den 80er Jahren von Pharmaunternehmen erforscht wurde. Auch dieser Wirkstoff wurde bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet, so dass für die Beurteilung seiner Gefährlichkeit ebenfalls nur die für den Wirkstoff JWH-018 beschriebenen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen.
89
Auf Basis dieser eingeschränkten Datengrundlage weist der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes, der als voller Agonist am CB1-Rezeptor anzusehen ist, eine vergleichbare Potenz wie JWH-018 auf, wobei die berauschende Wirkung mit vier bis sechs Stunden wesentlich länger andauert (zum Vergleich JWH-018: ein bis zwei Stunden; Tetrahydrocannabinol: zwei bis drei Stunden). Auch beim Konsum von CP 47,497-C8-Homologes treten neben den auch vom Konsum von Cannabis bekannten Nebenwirkungen weitere für Cannabisintoxikationen untypische Symptome auf, die denen nach dem Konsum von JWH018 entsprechen.
90
Die vergleichbare Potenz und Wirkungsintensität der beiden Wirkstoffe sowie die im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol weitergehenden unerwünschten , auch potentiell lebensgefährlichen Nebenwirkungen und die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit von starken Nebenwirkungen rechtfertigen es nach Auffassung des Senats, den Grenzwert der nicht geringen Menge auch für den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes auf der Basis der derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisgrundlagen auf 2 Gramm festzusetzen.
91
(2) Demgegenüber weisen die Wirkstoffe JWH-073 - (Naphtalin-1-yl) (1-butyl-1H-indol-3-yl)methanon - und CP 47,497 - (5-(1,1-Dimethylheptyl)-2 [(1RS,3SR)-3-hydroxycyclohexyl]-phenol) -, die sich von JWH-018 bzw. CP 47,497-C8-Homologes chemisch-strukturell nur geringfügig unterscheiden, nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine eher dem Tetrahydrocannabinol vergleichbare Potenz auf. Aber auch beim Konsum dieser Wirkstoffe treten neben den auch vom Konsum von Cannabis bekannten Nebenwirkungen weitere unerwünschte Effekte auf.
92
Auf dieser Grundlage hält der Senat den Grenzwert der nicht geringen Menge für den in den gehandelten Kräutermischungen enthaltenen, aber im Tatzeitraum noch nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Wirkstoff JWH-073 sowie für den Wirkstoff CP 47,497 aufgrund seiner mit Tetrahydrocannabinol vergleichbaren Potenz, aber den im Vergleich zum Konsum von Cannabis schwerwiegenderen unerwünschten Nebenwirkungen und der demgegenüber erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit solcher Nebenwirkungen bei einer Wirkstoffmenge von jedenfalls 6 Gramm für erreicht.
93
b) Schon auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen erweist sich aber die Wertung als nur versuchtes Handeltreiben als fehlerhaft. Die Tathandlung des Handeltreibens umfasst jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252). Daher liegt bereits im Ankauf von Betäubungsmitteln zum gewinnbringenden Weiterverkauf ein vollendetes Handeltreiben. Sollten die tatsächlich gehandelten Kräutermischungen entgegen der Vorstellung des Täters keine unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Wirkstoffe enthalten haben - wie es das Landgericht nach den bisherigen Feststellungen nicht ausschließen konnte -, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn es kommt nicht darauf an, dass der Umsatz durch die Tathandlung tatsächlich gefördert wird oder dazu überhaupt geeignet war (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2013 - 1 StR 75/13). Maßgeblich ist die Vorstellung des Täters von Art und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel im Zeitpunkt der Abrede über den Ankauf; auf nachträgliche Abweichungen bei der Lieferung kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 1 StR 297/06, NStZ-RR 2006, 350 [Ls.]).
94
2. Der Schuldspruch wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.3. hat gleichfalls keinen Bestand. Das Landgericht hat keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des in der Kräutermischung „Chill X“ enthaltenen Wirkstoffs CP 47,497-C8-Homologes bzw. den Vorstellun- gen des Angeklagten davon getroffen. Auch wenn es sich lediglich um 25 Päckchen der Kräutermischung handelt, kann der Senat nicht sicher ausschließen , dass der Grenzwert der nicht geringen Menge von 2 Gramm erreicht ist und eine Verurteilung wegen § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Betracht kommt.
95
3. Die Schuldsprüche im Komplex C.III.2. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und im Komplex C.III.4. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln weisen keine Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Insbesondere erreicht im Komplex C.III.4. die in den veräußerten 25 Päckchen der Kräutermischung „Dream“ enthaltene Wirkstoffmenge JWH-018 bei Zugrundelegung der im Komplex C.III.2. rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Gewicht der Päckchen (2 Gramm) und Wirkstoffgehalt (1,1 Prozent) mit 0,55 Gramm nicht den Grenzwert der nicht geringen Menge von 2 Gramm.
96
II. Der Strafausspruch unterliegt insgesamt der Aufhebung.
97
1. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. erfasst die jeweils zugehörigen Strafaussprüche.
98
2. Auch in den Komplexen C.III.2. und C.III.4. hat der Ausspruch über die jeweiligen Einzelstrafen keinen Bestand. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind - auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123) - nicht frei von Rechtsfehlern zu Gunsten des Angeklagten.
99
Im Komplex C.III.2. wird hinsichtlich der Einfuhr am 19. Juni 2009 die Annahme bedingten Vorsatzes schon nicht von den Feststellungen getragen. Danach hatte der Angeklagte spätestens seit dem 16. Juni 2009 aufgrund eines positiven Untersuchungsbefunds Kenntnis davon, dass in der Kräutermi- schung „Dream“ der Wirkstoff JWH-018 enthalten war.
100
Zudem hat das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Festsetzung der Strafhöhe maßgeblich zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser lediglich mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Es bestehen bereits Bedenken, dass das Landgericht bei der Strafrahmenwahl schematisch allein an die Vorsatzform angeknüpft hat, ohne die erforderliche Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - 1 StR 708/91; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618 mwN). Jedenfalls aber führt die maßgebliche Berücksichtigung des bedingten Vorsatzes zu Gunsten des Angeklagten bei der Strafrahmenwahl dazu, dass dieser Umstand bei der konkreten Strafbestimmung nur noch mit eingeschränktem Gewicht erneut berücksichtigt werden durfte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. April 1987 - 2 StR 91/87, BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 2 und vom 18. September 2013 - 5 StR 375/13, NStZ 2014, 41). Das Urteil lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht dessen bewusst war.
101
3. Der Wegfall bzw. die Aufhebung der Einzelstrafen ziehen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
102
III. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz hält revisionsgerichtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.
103
Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung des dem Verfall von Wertersatz zugrunde zu legenden Betrags begegnet - wie bereits unter B.II.4. dargelegt - durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Senat kann mangels Feststellungen zum Besteuerungsverfahren und aufgrund fehlender nachvollziehbarer Darlegung der Berechnungsgrundlagen nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.

D.

104
I. Die jeweilige Aufhebung erfasst hier auch die zugrunde liegenden Feststellungen. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen , da dem Senat insoweit eine abschließende Prüfung nicht möglich ist.
105
II. Der neue Tatrichter hat auch über die Kosten der Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, soweit diese nicht die eingestellten Verfahrensteile betreffen. Raum Rothfuß Jäger Cirener Radtke

(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden, so ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind.

(2) Hat sich der Täter oder Teilnehmer vor der Anordnung der Einziehung nach Absatz 1 an einer anderen rechtswidrigen Tat beteiligt und ist erneut über die Einziehung seiner Gegenstände zu entscheiden, berücksichtigt das Gericht hierbei die bereits ergangene Anordnung.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden, so ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind.

(2) Hat sich der Täter oder Teilnehmer vor der Anordnung der Einziehung nach Absatz 1 an einer anderen rechtswidrigen Tat beteiligt und ist erneut über die Einziehung seiner Gegenstände zu entscheiden, berücksichtigt das Gericht hierbei die bereits ergangene Anordnung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 281/02
vom
10. September 2002
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2002 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 19. März 2002 im Ausspruch über den Verfall und den Verfall von Wertersatz mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Überdies hat es den Verfall eines Betrages in Höhe von 3.000 DM sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 6.000 DM angeordnet. Die Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat hinsichtlich der Verfallsanordnungen Erfolg, ist im übrigen jedoch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Ausspruch über den Verfall eines Betrages von 3.000 DM sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 6.000 DM kann von Rechts wegen keinen Bestand haben. 1. Soweit das Landgericht den Verfall eines Betrages in Höhe von 3.000 DM angeordnet hat, betrifft dies die an den Angeklagten gezahlten Kaufpreise für die Heroinlieferungen. Der Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erfordert bei den hier gegebenen Fallgestaltungen, daß die aus den Betäubungsmittelgeschäften erlangten Geldbeträge als solche bei dem Angeklagten noch vorhanden waren, typischerweise bei ihm sichergestellt worden sind. Daß es sich so verhält, ist dem Urteil nicht zu entnehmen, liegt angesichts der übrigen festgestellten Umstände auch fern. In Betracht kommt insoweit allerdings die Anordnung des Verfalls von Wertersatz nach § 73a StGB (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 73a Rdn. 4). Auch dieser setzt voraus, daß der Angeklagte unmittelbar aus der Tat wirtschaftlich etwas erlangt hat, also wenigstens die wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über den Verkaufserlös hatte. Nach den Grundsätzen der Mittäterschaft wäre eine Zurechnung gegenüber dem Angeklagten selbst dann möglich, wenn der Angeklagte die Geldbeträge lediglich für seinen Mittäter H. I. in Empfang genommen und in voller Höhe an diesen weitergeleitet hätte, sich die Beteiligten aber darüber einig waren - was sich hier aus den Umständen ergeben kann -, daß zunächst der Angeklagte die wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über die Beträge erlangen sollte. In einem solchen Fall kann der Verfall von Wertersatz in voller Höhe gegenüber dem Angeklagten ausgesprochen werden, da von Gesamtschuldnerschaft auszugehen wäre (vgl. dazu auch BGH, Beschluß vom 13. November 1996 - 3 StR 482/96). Schließlich hätte die Strafkammer auch darzulegen gehabt, ob der Wert des Erlangten
zum Zeitpunkt der Anordnung noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden war; anderenfalls hätte neben der Verneinung einer verfallsbedingten unbilligen Härte (§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB) auch ein Unterbleiben der Anordnung nach der Fakultativklausel des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ins Auge gefaßt werden müssen. 2. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 6.000 DM wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Diesen zufolge hat der Angeklagte insoweit gerade nichts erlangt. Die Strafkammer hat vielmehr dargelegt , daß der Zeuge C. nach dem Ankauf des Heroins dem Angeklagten und H. I. restliche Kaufpreiszahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 DM schuldig blieb. Die Forderungen aus den Drogengeschäften waren nicht werthaltig. Sie waren rechtlich nicht wirksam entstanden (vgl. § 134 BGB) und wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit des Abnehmers ersichtlich auch wirtschaftlich nicht von Wert. Soweit die Strafkammer festgestellt hat, Unbekannte hätten von der Ehefrau des C. die Restforderung aus den Drogenlieferungen (6.000 DM) einzutreiben versucht und statt dessen Schmuck mitgenommen, belegen die Urteilsgründe nicht, daß diese Werte im Ergebnis dem Angeklagten zugeflossen wären. Nach allem muß über die Frage des Verfalls neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, daß seit dem 1. Januar 2002 der Euro die gültige Währung ist. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Kolz

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 163/14
vom
14. August 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. August
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten A. G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten B. G. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 17. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von sechs Jahren und sechs Monaten (A. G. ) und vier Jahren (B. G. ) verurteilt. Außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts und wenden sich insbesondere gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und der Sachrüge begründeten Revisionen vor allem, dass diese nicht auch wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurden und ihnen verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt wurde. Soweit die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung anstrebt, wird ihr Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Die Revisionen haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Im Sommer 2011 ging die älteste Tochter der Angeklagten, die Zeugin M. G. , eine freundschaftliche Beziehung zu dem drei Jahre älteren Nebenkläger und späteren Tatopfer St. ein, aus der sich ein intimes Verhältnis entwickelte. Als die Angeklagten spätestens im Januar 2013 hiervon erfuhren, drängten sie auf ein Ende der Verbindung und erwirkten im März 2013 in Vertretung ihrer noch minderjährigen Tochter gegen St. eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz. Als St. Ende April 2013 davon Kenntnis erlangte, dass gegen ihn nun auch ein Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen eines Verstoßes gegen die Gewaltschutzanordnung gestellt worden war, gab er die zunächst fortgesetzte Beziehung zu M. G. auf und mied weiteren Kontakt.
4
Anfang Juni 2013 wurden im Internet intime und teilweise pornographische Fotos von M. G. veröffentlicht. Die Angeklagten waren deswegen zutiefst beschämt und sahen darin eine Bloßstellung ihrer gesamten Familie. Sie schliefen wenig, nahmen kaum Nahrung zu sich und zogen sich von ihren Mitmenschen zurück. Sie wollten den Urheber der Bilder zur Verantwortung ziehen und hatten dabei - zu Unrecht - St. in Verdacht. Als die Angeklagten das Gerücht erreichte, dass auch noch die Veröffentlichung eines Sex-Videos bevorstünde, begannen sie intensiv nach Indizien zu suchen, die ihren Verdacht zu stützen vermochten. Am 13. Juni 2013 berichtete die Zeugin J. Br. der Angeklagten B. G. , sie habe gehört, St. habe die Bilder aus Enttäuschung in Umlauf gebracht. Für die Angeklagten stand danach außer Zweifel, dass St. für die Bildveröffentlichungen verantwortlich war.
5
Am 14. Juni 2013 bat der Angeklagte A. G. den Zeugen A. Br. ein vermeintlich zufälliges Treffen mit St. herbeizuführen. A. Br. veranlasste daraufhin den gutgläubigen St. dazu, um 15.45 Uhr zum Taxistand vor dem Bahnhof von H. zu kommen und setzte den Angeklagten A. G. hiervon in Kenntnis. Die Angeklagten hatten die Absicht, St. als vermeintlichen Urheber der Bilder zur Rede zu stellen. Dabei waren sie auch zur Anwendung von Gewalt bereit. Einen gemeinschaftlichen Plan ihn zu töten gab es jedoch nicht.
6
Am vereinbarten Treffpunkt kam es zunächst zu einem Gespräch zwischen St. und A. Br. . Währenddessen näherten sich die Angeklagten von der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Angeklagte B. G. verlor beim Anblick von St. „die Kontrolle über ihre Wut“. Sie rannte über die Straße auf St. zu und begann ihn laut schreiend mit ihren Fäusten zu misshandeln. St. schlug daraufhin zu seiner Verteidigung mit einer Glasflasche um sich, wobei er B. G. wenigstens einmal mit der bloßen Hand oder der Flasche im Gesicht traf. Als der noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückgebliebene A. G. sah, dass sich St. zu verteidigen begann, stürmte er „außer sich vor Wut“ seiner Ehefrau hinterher und zog ein schweres Taschenmesser mit Cutterklinge aus seiner Hosentasche. Als er den Nebenkläger und die Mitangeklagte erreichte , begann er sofort auf St. einzustechen und ihn mit schneidenden Bewegungen zu verletzen, wobei er in seinem Wunsch nach Vergel- tung „sogar dessen Tod billigte“. Vorzugsweise richtete A. G. das Messer gegen den Oberkörper, den Hals und den Kopf des Nebenklägers, wobei er ihm mehrere tiefe Schnittverletzungen beibrachte. Als B. G. sah, wie A. G. mit dem Messer auf St. einstach, war ihr klar, „dass es nun um Leben und Tod ging“. Sie billigte das Handeln ihres Ehemannes und er- kannte, dass die tiefen und kraftvollen Schnitte ernsthafte Verletzungen verursachten. Dabei fand auch sie sich mit einem möglichen Tod von St. ab und schlug weiter mit den Händen auf ihn ein. Einen Versuch des Zeugen A. Br. , A. G. am Arm zu packen, kommentierte B. G. mit dem Hinweis, er solle sich nicht einmischen, damit ihm nicht dasselbe passiere.
7
Als der Angeklagte A. G. realisierte, dass er in seiner Wut viel zu weit gegangen war und er St. möglicherweise tödlich verwundet hatte , ließ er von dem Geschädigten ab. Die Angeklagte B. G. unternahm noch kurzzeitig den Versuch, dem sich in Richtung eines Supermarkts davon schleppenden St. zu folgen, ehe ihr bewusst wurde, „dass der Kampf nun augenscheinlich zu Ende war“. Dabei ging auch sie davon aus, dass St. durch die Schnitte mit dem Messer möglicherweise bereits tödlich verletzt war. Der Zeuge A. Br. setzte sich in sein Fahrzeug und fuhr hinter St. her. Nachdem beide den Ort des Geschehens verlassen hatten, rief der Angeklagte A. G. mit seinem Mobiltelefon die Leitstelle der Polizei an und teilte mit, dass er gerade „jemanden zusammengeschlagen“ ha- be und dieser sterben werde. Die Polizei solle kommen und ihn festnehmen. Wo das Opfer sei, wisse er nicht. Auch solle man einen Krankenwagen vorbeischicken , weil auch er sich verletzt habe.
8
Als St. den mehrere Hundert Meter vom Tatort entfernten Supermarkt erreichte, brach er zusammen und verlor aufgrund des hohen Blutverlustes kurze Zeit später das Bewusstsein. Nachdem auch von dritter Seite mehrere Notrufe abgesetzt worden waren, trafen schon wenig später Rettungs- kräfte ein, die die Notfallversorgung des Nebenklägers einleiteten. St. überlebte, weil A. G. seine Hauptschlagader nur knapp verfehlt hatte. Er erlitt unter anderem eine 12 cm lange horizontal über die linke Wange bis auf die Ohrmuschel verlaufende Schnittverletzung, die eine deutlich sichtbare wenige Millimeter breite Narbe hinterlassen hat. Inwieweit eine kosmetischchirurgische Behandlung möglich ist, konnte nicht geklärt werden.
9
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt bei beiden Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB bewertet.
10
Es ist der Auffassung, dass der Angeklagte A. G. nicht nach § 24 Abs. 2 StGB strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten sei, weil er mit dem Tod von St. gerechnet habe und sein Notruf nicht als ernsthaftes Bemühen um eine Verhinderung der Tatvollendung anerkannt werden könne.
11
Eine schwere Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB liege nicht vor, weil die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Entstellung nicht gegeben seien. Die Narbe auf der linken Wange sei zwar deutlich sichtbar und springe sofort ins Auge, doch fehle es an einer Beeinträchtigung des Gesamterscheinungsbildes. Auch habe die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung nicht abschließend geklärt werden können.
12
Im Anschluss an den Sachverständigen Dr. S. ist das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten A. G. davon ausgegangen, dass bei ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung eine schwere andere seelische Abartigkeit in Form einer „Anpassungsstörung“ vorgelegen haben könne und deshalb zu seinen Gunsten von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB auszugehen sei. Bei der Angeklagten B. G. sei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ebenfalls nicht auszuschließen, da auch sie im Tatzeitpunkt an einer „hinreichend schweren Anpassungsstörung“ gelitten habe.

II.


13
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben Erfolg.
14
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht bei beiden Angeklagten einen (bedingten) Tötungsvorsatz begründet hat, weisen durchgreifende Erörterungsmängel auf. Ihre Verurteilung wegen versuchten Totschlags hat daher keinen Bestand.
15
a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche , nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, Rn. 7; Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 Rn. 34 f. mwN). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, Rn. 7; Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582 mwN).
16
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Darlegungen des Landgerichts zur inneren Tatseite bei beiden Angeklagten nicht gerecht.
17
aa) Das Landgericht hat seine Annahme, der Angeklagte A. G. habe um die objektive Lebensgefährlichkeit seines Tuns auch schon bei der Tatbegehung gewusst, aus den gezielt gegen Kopf, Hals und Nacken des Nebenklägers geführten Messerangriffen und seinen im Rahmen des Notrufes gemachten Äußerungen hergeleitet (UA 18). Damit ist jedoch nur das Wissenselement belegt. Dass bei ihm auch das voluntative Vorsatzelement gegeben ist, hat die Strafkammer dagegen nicht in ausreichender Weise begründet.
18
(1) Wird eine lebensgefährliche Gewalttat - wie hier - spontan, unüberlegt und in affektiver Erregung ausgeführt, kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf eine billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts geschlossen werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 16. August 2012 - 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369, 370; Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 f.; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 61. Aufl., § 212 Rn. 11).
19
(2) Danach hätte das Landgericht erkennbar in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte von weiteren Tathandlungen absah, als er realisierte, „dass er in seiner Wut viel zu weit gegangen war und den Nebenklä- ger möglicherweise tödlich verwundet hatte“ (UA 11). Auch wäre an dieser Stelle der alsbald danach abgesetzte Notruf zu erörtern gewesen (zur Indizwirkung von Rettungsversuchen bei der Vorsatzfrage vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, NStZ 2007, 331 f. mwN). Schließlich durfte das Landgericht in diesem Zusammenhang auch die dem Angeklagten zugebilligte „Anpassungsstörung“ - unabhängig von deren Bewertung unter dem Gesichtspunkt des § 21 StGB - und seine affektive Erregung nicht unerwähnt lassen. Psychische Ausnahmesituationen oder Störungen können neben einer - hier fernliegenden - Beeinträchtigung der Erkenntnisfähigkeit dazu führen, dass der Täter die von seinem Handeln ausgehende Lebensgefahr für das Opfer unzutreffend beurteilt (zu den möglichen Schlüssen vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343 mwN). Dies ist in den schriftlichen Urteilsgründen zu erörtern (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2005 - 3 StR 324/05, NStZ 2006, 169; Beschluss vom 6. März 2002 - 4 StR 30/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54; Beschluss vom 15. Januar 1987 - 1 StR 704/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 7).
20
bb) Bei der Angeklagten B. G. hat das Landgericht dieAnnahme eines bedingten Tötungsvorsatzes allein mit der Erwägung begründet, dass sie das Vorgehen ihres Mannes gegen den Nebenkläger sah und durch ihre weitere „Unterstützung“ billigte (UA 11 und 19). Dass auch sie an einer „Anpas- sungsstörung“ litt und schon vor dem Eingreifenihres Ehemannes unter einer so hohen affektiven Anspannung stand, dass sie „die Kontrolle über ihre Wut verlor“, hat es nicht berücksichtigt. Beides hätte aus den bereits dargelegten Gründen auch bei ihr ausdrücklicher Erörterung bedurft.
21
2. Die Sache bedarf daher bei beiden Angeklagten neuer Verhandlung und Entscheidung. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, wenngleich die tateinheitliche Verurteilung beider Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 - 4 StR 465/11, NStZ-RR 2012, 51, 52 mwN).

III.


22
Auch die zu Ungunsten beider Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Darauf, dass Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten wirken (§ 301 StPO), kommt es nach dem Erfolg der Revisionen der Angeklagten nicht mehr an (BGH, Urteil vom 28. September 2011 - 2 StR 93/11, Rn. 29; Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 144/08, Rn. 3).
23
1. Das Urteil hat bei beiden Angeklagten keinen Bestand, weil anhand der Urteilsgründe nicht überprüft werden kann, ob die Qualifikation des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB vom Landgericht zu Recht abgelehnt worden ist.
24
a) Ein Verletzter ist im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt, wenn es durch die Tat zu einer Verunstaltung seiner Gesamterscheinung gekommen ist, die in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 20. April 2011 - 2 StR 29/11, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 3; Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2 mwN). Dies kann grundsätzlich auch bei einzelnen besonders großen oder markanten Narben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso wie bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion der Fall sein. Allein der Umstand, dass eine Narbe deutlich sichtbar ist, reicht dabei aber für die Annahme einer erheblichen Entstellung noch nicht aus.
Erst wenn im Einzelfall - etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts - ein Grad an Verunstaltung erreicht ist, der in einer Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht, kommt die Annahme einer erheblichen Entstellung in Betracht (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2; Beschluss vom 2. Mai 2007 - 3 StR 126/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung

1).


25
b) Ob das äußere Erscheinungsbild des Nebenklägers durch die verbliebenen Narben eine Verunstaltung erfahren hat, die diesen Vorgaben entspricht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das Landgericht teilt zwar ausführlich mit, welche Schnittverletzungen der Nebenkläger erlitten hat. Eine revisionsgerichtlicher Überprüfung zugängliche Beschreibung des verbliebenen Narbenbildes und seiner Auswirkungen auf die äußere Erscheinung des Nebenklägers fehlt jedoch. Den Urteilsgründen kann dazu lediglich entnommen werden, dass die Narbe auf der linken Wange lang ist und „sofort ins Auge springt“ (UA 25). Zu den anderen Narben und dem durch sie hervorgerufenen optischen Gesamteindruck verhält sich die Strafkammer dagegen nicht. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich ein Tatrichter die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder erleichtern kann.
26
2. Darüber hinaus begegnet auch die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB bei beiden Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass bei ihnen zur Tatzeit eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat. Auch fehlt es an der erforderlichen tatbezogenen Beurteilung der Verminderung der Schuldfähigkeit.
27
a) Bei einer nicht pathologisch bedingten Persönlichkeitsstörung liegt eine andere schwere seelische Abartigkeit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327 mwN). Auch müssen sich die defekten Muster im Denken, Fühlen oder Verhalten des Betroffenen als zeitstabil erwiesen haben (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.).
28
Dass die von dem Sachverständigen bei beiden Angeklagten diagnostizierte Anpassungsstörung nach diesen Maßstäben zu einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat, hat das Landgericht nicht dargetan. Bei den sog. Anpassungsstörungen (vgl. ICD-10 F 43.2) handelt es sich um eine Mischbzw. Sammelkategorie mit einer vielgestaltigen und unspezifischen Symptomatik , die zumeist nicht mit stärkeren psychopathologischen Auffälligkeiten einhergehen (Lau/Kröber in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 510). Ein die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit rechtfertigender Beeinträchtigungsgrad wird dabei nur in Ausnahmefällen erreicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 4. November 2003 - 1 StR 384/03, NStZ-RR 2004, 70, 71). Dass die für beide Angeklagten beschriebenen - offenkundig passageren - Auffälligkeiten (gedankliche Einengung auf die Bilder im Internet, Schlaf- losigkeit, eingeschränkte Nahrungsaufnahme, sozialer Rückzug) ihr Leben ähnlich schwer belastet haben, wie die Folgen von anerkannten krankhaften seelischen Störungen, lässt sich den Gründen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen und liegt eher fern. Die in diesem Zusammenhang gebrauchte Wendung , wonach die Angeklagten ihren Alltag nur noch „mehr schlecht als recht“ bewältigen konnten (UA 7), ist ohne Aussagekraft und kann die an dieser Stelle erforderliche umfassende wertende Betrachtung des Schweregrades der Störung und ihrer Tatrelevanz nicht ersetzen. Stattdessen ist zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB. Ob eine Störung den erforderlichen Schweregrad aufweist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 5 StR 168/14, NStZ-RR 2014, 244, 245; Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310).
29
b) Auch die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei der Tat infolge einer festgestellten schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310; Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 2 StR 383/09, NStZ-RR 2010, 73, 74; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 7b). Angesichts des zielgerichteten Handelns der Angeklagten bei der Herbeiführung des Zusammentreffens mit St. hätte das Landgericht im Einzelnen darlegen müssen, in welcher Weise und in welchem Umfang das als Anpassungsstörung bezeichnete Zustandsbild die Steuerungs- fähigkeit der Angeklagten in dem von § 21 StGB vorausgesetzten erheblichen Maß beeinträchtigt haben kann. Das angefochtene Urteil enthält hierzu keinerlei Ausführungen.
30
3. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass in den Urteilsgründen die für erwiesen erachteten Tatsachen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) in sachlicher Form und mit möglichst eindeutigen Formulierungen dargestellt werden sollten. Der Umgangssprache entnommene Wendungen und Redensarten („mehr schlecht als recht“, „mit Vorwürfen bombardierend“, „kochte in ihr alles hoch“, „sodann war ihr alles egal“, „vergaß sich der Angeklagte komplett“) sind dabei - sofern nicht als Zitate unerlässlich - grundsätzlich zu vermeiden. Ihre Verwendung kann den Bestand des Urteils gefährden, wenn sie mehrdeutig sind oder Wertungen enthalten, die nicht durch Tatsachen belegt sind.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 502/10
vom
27. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 1
wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 2
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten A. ,
Rechtsanwälte
als Nebenkläger-Vertreter für Roswitha und Gerhard O. ,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreterin für Ronja A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 4. Mai 2010 bezüglich des Angeklagten A. dahin abgeändert, dass die von diesem in Portugal erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen ist. 2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten A. , ihr Rechtsmittel bezüglich des Angeklagten S. sowie die Revisionen der Nebenkläger und der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. 3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch und durch die Rechtsmittel der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Nötigung und mit Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten S. hat es wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und bestimmt, dass die vom Angeklagten A. in dieser Sache in Portugal erlittene Freiheitsentziehung auf die verhängte Freiheitsstrafe in der Weise angerechnet wird, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht.
2
Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger beanstanden das Verfahren und erheben die Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft wendet sich insbesondere gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite; zudem bemängelt sie die fehlende Prüfung der Unterbringung des Angeklagten A. in der Sicherungsverwahrung. Die Nebenkläger begehren unter anderem eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge. Die Angeklagten rügen ebenfalls die Anwendung des sachlichen Rechts. Der Angeklagte A. beanstandet insbesondere den Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Bewertung der Nötigung als besonders schweren Fall. Der Angeklagte S. meint, der Tatbestand des § 231 StGB sei nicht gegeben, weil es sich nicht um eine Schlägerei im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe; ferner beanstandet auch er die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung.
3
Erfolg hat in geringem - aus dem Tenor ersichtlichem - Umfang lediglich das zum Nachteil des Angeklagten A. eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.


4
Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
5
Die beiden Angeklagten waren Mitglieder der "Hells Angels", der Angeklagte A. als Vollmitglied ("full member"), der Angeklagte S. als Unterstützer ("supporter"). Dirk O. - das Tatopfer - war Vollmitglied der "Outlaws" und Präsident des "Chapters" Donnersbergkreis.
6
Am 24. Juni 2009 hatte der Angeklagte S. in Bad Kreuznach aus ungeklärten Gründen eine körperliche Auseinandersetzung mit Tobias L. , einem Mitglied des dortigen neu gegründeten Outlaws-Chapters, an deren Ende er von Tobias L. darauf hingewiesen wurde, dass Bad Kreuznach "OutlawGebiet" sei.
7
Am Nachmittag des 26. Juni 2009 trafen sich die Angeklagten in Landstuhl unter anderem mit Björn Sch. , der ebenfalls - als Anwärter ("prospect") - den Hells Angels angehörte. Sie beschlossen, nach Bad Kreuznach zu fahren, um dort "Präsenz zu zeigen"; gegebenenfalls wollten sie auch einem Mitglied der Outlaws wegen des Vorfalls vom 24. Juni 2009 eine "Abreibung verpassen". Gegen 20.00 Uhr brachen die Angeklagten und Björn Sch. in einem angemieteten Pkw nach Bad Kreuznach auf. Dort sahen sie zwar einen Motorradfahrer in "Rockerkluft", konnten ihm aber nicht folgen. Sie beschlossen daher, nach Marnheim zur Gaststätte "I. " zu fahren, dem Treffpunkt der Outlaws in deren neu gegründetem Chapter im Donnersbergkreis , um diese auszukundschaften und - so das Vorhaben des Angeklagten A. und von Björn Sch. - eine nicht näher bestimmte "Aktion" gegen dieses Chapter durchzuführen.
8
Etwa um 23.00 Uhr verließen mehrere Mitglieder der Outlaws, unter anderem Dirk O. , das "I. " und fuhren nach Kirchheimbolanden. Die Angeklagten und Björn Sch. folgten ihnen. Während sich die Mitglieder der Outlaws in einer Gaststätte aufhielten, fassten der Angeklagte A. und Björn Sch. den Entschluss, dem - von ihnen als solchem erkannten - Vollmitglied der Outlaws bei sich bietender Gelegenheit die "Kutte", also die mit Aufnähern versehene Lederweste, abzunehmen, um hierdurch "ein Zeichen gegen die Outlaws zu setzen" sowie "Präsenz zu zeigen" und den Outlaws deutlich zu machen, dass deren Gebietsanspruch nicht akzeptiert werde. Den Angeklagten und Björn Sch. war dabei klar, dass es zu einer "harten körperlichen Auseinandersetzung" auch mit Waffen und Werkzeugen kommen kann. Ihnen war bewusst, dass ihr Handeln "auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte", sie vertrauten aber darauf, dass insbesondere wegen ihrer körperlichen und zahlenmäßigen Überlegenheit "ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde". Ein solcher tödlicher Ausgang war den Angeklagten unerwünscht; der Angeklagte A. fürchtete bei einem "tödlichen Zwischenfall" clubinterne Sanktionen, der Angeklagte S. , der als einziges Mitglied der Hells Angels im Donnersbergkreis wohnte, befürchtete eine "Retourkutsche" der Outlaws.
9
Nachdem die Outlaws die Gaststätte verlassen hatten, folgten die Angeklagten - der Angeklagte S. als Fahrer - und Björn Sch. mit ihrem Pkw zwei Motorrädern der Outlaws, wobei sie die Stellung deren Fahrer als "full member" bzw. "prospect" erkannten, das Vollmitglied aber nicht als Dirk O. und den dortigen Chapter-Präsidenten identifizierten. Nachdem der zweite Motorradfahrer abgebogen war, fuhren Dirk O. und hinter ihm die Angeklagten und Björn Sch. gegen 23.50 Uhr auf der Landstraße 386 in Richtung Stetten. Der Angeklagte A. und Björn Sch. beschlossen nunmehr, Dirk O. zu überholen und zum Anhalten zu bringen, um ihm die Kutte abnehmen zu können. Auf Weisung des Angeklagten A. überholte der Angeklagte S. das Motorrad und bremste den Pkw anschließend bis zum Stillstand stark ab, wobei er darauf achtete und darauf vertraute, dass es nicht zu einer Kollision kam und Dirk O. nicht stürzte. Dirk O. gelang es wenige Meter hinter dem Pkw anzuhalten, wobei die Strafkammer ungeachtet einer Blockierspur von 13,3 Metern Länge nicht festzustellen vermochte, dass dabei tatsächlich die Gefahr bestand, er werde mit dem Pkw kollidieren oder stürzen.
10
Während der Angeklagte S. - auch in der Folgezeit - in dem Pkw verblieb, sprangen der Angeklagte A. und Björn Sch. aus dem Fahrzeug , liefen auf Dirk O. zu und zogen diesen von seinem Motorrad herunter. Sodann schnitten sie mit einem Messer die rechte Hosentasche des Dirk O. auf, in der er - erkennbar - ein Messer mitführte, und warfen dieses Messer weg. Nachdem ein entgegenkommender Pkw vorbeigefahren war und Dirk O. das umgefallene Motorrad aufgerichtet hatte, um mit diesem zu fliehen, versetzte Björn Sch. Dirk O. sechs Stiche kurz unterhalb des Arms in die rechte Seite. Er handelte dabei aus Verärgerung darüber, dass "das gesamte Vorhaben" durch das zufällige Erscheinen des Pkws zu scheitern gedroht hatte, und wollte der "Aktion" endgültig und sicher zum Erfolg verhelfen. "Dass der Dirk O. dabei sterben könnte, war ihm klar, jedoch auch egal". Der Angeklagte A. sah diese nicht abgesprochene Messerattacke, konnte allerdings nicht mehr eingreifen; er ging - wie auch der Angeklagte S. - davon aus, dass das Opfer bereits tödlich verletzt sei und jede, auch eine sofort herbeigerufene Hilfe zu spät kommen werde. Er und Björn Sch. zogen Dirk O. die Kutte aus, um diese mitzunehmen. Welche Motivation dieser Wegnahme zugrunde lag, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen, insbesondere konnte sie nicht ausschließen, dass der Tatplan von vorneherein vorsah, die Kutte "zu vernichten" bzw. "verschwinden" zu lassen, damit sie nicht in die Hände der Outlaws gelangt. Sodann versetzte Björn Sch. ebenfalls ohne Absprache mit dem Angeklagten A. Dirk O. einen weiteren Messerstich in den Rücken, der zu einer Querschnittlähmung führte.
11
Infolge der Stiche in die Seite und des dadurch eingetretenen Blutverlustes verstarb Dirk O. am 27. Juni 2009 um 2.17 Uhr.

II.


12
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben keinen (Rechtsmittel der Nebenkläger) bzw. nur in geringem Umfang Erfolg (Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft).
13
1. Die von Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
14
Die Rügen, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt , dass es keinen "in so genannten Motorradclubs … szenekundigen, erfahrenen Ermittlungsbeamten eines Landeskriminalamts oder einer sonst überörtlich zuständigen Polizeidienststelle oder einen Kriminalwissenschaftler" zu deren "Herrschaftsgefüge, Befehlsstrukturen, Riten und Verhaltenskodizes" ange- hört hat, sind unzulässig. Denn die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger teilen nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise mit, warum sich eine solche Beweiserhebung entgegen und trotz der Ausführungen des Schwurgerichts zu einem nicht zu erwartenden weiteren Erkenntnisgewinn durch eine solche Beweisaufnahme (UA 80) aufgedrängt haben soll, nachdem das Gericht - neben einer Vielzahl weiterer Polizeibeamter sowie mehrerer Zeugen aus "Rockerkreisen" - auch die dem Polizeipräsidium Mainz angehörende Sachbearbeiterin vernommen und diese über die Informationen berichtet hat, die ihr "im Bereich der organisierten Kriminalität erfahrene Kollegen" unter anderem zum "Trophäenkult mit Kutten" gegeben hatten. So wird insbesondere die in den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger angesprochene polizeiliche Vernehmung des Angeklagten S. nicht vollständig mitgeteilt; die Staatsanwaltschaft hat es zudem unterlassen , den von ihr zitierten polizeilichen Abschlussbericht vollständig vorzutragen.
15
Soweit die Staatsanwaltschaft ferner einen Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet und geltend macht, das Gericht habe in Zusammenhang mit dem Fluchtversuch des Dirk O. Feststellungen zu "inneren Vorgängen (Überlegungen )" beim Tatopfer getroffen, ohne hierfür über eine "äußere Grundlage" zu verfügen, fehlt es jedenfalls am Beruhen des Urteils auf einer etwaigen Gesetzesverletzung.
16
Erfolglos ist auch die von zwei Nebenklägern in Zusammenhang mit der Zurückweisung einer Frage an den Zeugen G. erhobene Aufklärungsrüge. Insofern verweist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf, dass dem Zeugen G. das von ihm geltend gemachte Auskunftsverweigerungsrecht zustand.
17
2. Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat - abgesehen von der Entscheidung bezüglich des Angeklagten A. nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB aufgrund des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft - keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben.
18
a) Das Schwurgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht nicht wegen besonders schweren Raubes (mit Todesfolge) oder besonders schwerer räuberischer Erpressung (mit Todesfolge) verurteilt.
19
aa) Ein besonders schwerer Raub (mit Todesfolge) liegt - wie ersichtlich auch der Generalbundesanwalt meint - nicht vor.
20
(1) Täter - auch Mittäter - kann beim Raub nur sein, wer bei der Wegnahme die Absicht hat, sich oder einem Dritten die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. Hierfür genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten “einverleiben” oder zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 mwN).
21
An der Voraussetzung, dass der Wille des Täters auf eine Änderung des Bestandes seines Vermögens oder das des Dritten gerichtet sein muss, fehlt es in Fällen, in denen er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseitezuschaffen” oder „zu beschädigen” (BGH, Urteile vom 10. Mai 1977 - 1 StR 167/77, NJW 1977, 1460; vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 jeweils mwN). Der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruhende Schädigungswille ist zur Begründung der Zueignungsabsicht ebenso wenig geeignet wie der Wille, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812, 813 mwN; Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10). In solchen Fällen genügt es auch nicht, dass der Täter - was grundsätzlich ausreichen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1980 - 2 StR 224/80, NStZ 1981, 63) - für eine kurze Zeit den Besitz an der Sache erlangt.
22
(2) Hiervon ausgehend handelten die Angeklagten und Björn Sch. nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen in Bezug sowohl auf die Kutte von Dirk O. als auch dessen Messer ohne die für eine Verurteilung wegen Raubes erforderliche Zueignungsabsicht.
23
Zwar diente die Wegnahme der Kutte nach dem Tatplan "dem Ziel, diesem Outlaw im speziellen und den sich neuangesiedelten Outlaws im Allgemeinen gegenüber 'Präsenz zu zeigen' und ihnen klarzumachen, dass mit den in der Nähe angesiedelten Hells Angels stets zu rechnen ist". Eine über die Enteignung hinausgehende Zueignungsabsicht konnte die Strafkammer jedoch nicht feststellen (UA 17: "Ein weiteres Interesse an der zu erlangenden Kutte, etwa als Tauschobjekt, Arbeitsnachweis oder zum 'Angeben', war nicht feststellbar" ). Vielmehr vermochte sie nicht auszuschließen, "dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten." (UA 79). Entsprechendes gilt für das Dirk O. abgenommene Messer, das der Angeklagte A. und Björn Sch. sofort nach der Entwaffnung ihres Opfers wegwarfen (UA 20, 55).
24
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist - wie auch im Übrigen - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 161/07). Nach der durch § 261 und § 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen (BGH, Urteile vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10; vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10 mwN). Denn der vom Gesetz verwendete "Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, dass sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Es ist also die für die Schuldfrage entscheidende , ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“ (so bereits BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209; zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2010 - 5 StR 297/10). Ist das Tatgericht – wie vorliegend – ausgehend von einer lückenlosen Tatsachengrundlage im Rahmen einer Bewertung der erhobenen Beweise im Einzelnen (UA 79 ff.) sowie in einer Gesamtschau (UA 82) zu der möglichen - hier sogar plausiblen - Schlussfolgerung gelangt, die erhobenen Beweise seien mangels nachgewiesener Zueignungsabsicht nicht geeignet, eine Verurteilung der Angeklagten wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge zu tragen, hat dies – nicht anders als in gegenteiligen Verurteilungsfällen – als möglicher Schluss des Tatgerichts in der Revisionsinstanz Bestand. Die vom Revisionsgericht nicht mehr hinzunehmende, einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründende Grenze der Denkfehlerhaftigkeit wird vom Schwurgericht nirgendwo überschritten (zu diesen Maßstäben: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10).
25
bb) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen aber auch eine besonders schwere räuberische Erpressung (mit Todesfolge) nicht vor.
26
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine (besonders schwere) räuberische Erpressung zwar auch derjenige begehen, der das Opfer mit Gewalt dazu zwingt, die Wegnahme einer Sache zu dulden (BGH, Urteil vom 30. August 1973 - 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 228 mwN), eine Verurteilung wegen Raubes aber daran scheitert, dass die dafür erforderliche Zueignungsabsicht nicht vorliegt bzw. nicht nachweisbar ist (BGH, Urteile vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388, 390 f.; vom 6. August 1991 - 1 StR 430/91, BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 2; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103).
27
Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung erfordert jedoch die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Diese Tatbestandsvoraussetzung des § 253 StGB deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug vorausgesetzten Bereicherungsabsicht (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9). Sie setzt nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen wirtschaftlichen Vermögensbegriff deshalb voraus, dass der erstrebte Vorteil zu einer objektiv günstigeren Gestaltung der Vermögenslage für den Täter oder den Dritten führen soll (BGH, Urteil vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN; ähnlich: BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 2. Mai 2001 - 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), also eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens angestrebt wird (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN).
28
Als ein solcher Vermögenszuwachs kann auch die Erlangung des Besitzes an einer Sache bewertet werden und zwar selbst bei einem nur vorübergehenden Besitzwechsel (BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.). Jedoch ist der bloße Besitz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in den Fällen als Vermögensvorteil anerkannt, in denen ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (BGH, Urteil vom 17. August 2001 - 2 StR 159/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 2), was regelmäßig lediglich dann zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter oder der Dritte nutzen will (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 - 2 StR 303/95, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 1 mwN; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rdn. 98; zum Besitz an einem Kraftfahrzeug: BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.; Beschluss vom 24. April 1990 - 5 StR 111/90, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 7; Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103; ähnlich für den Betrug: BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 StR 58/08, NStZ 2008, 627).
29
Dagegen genügt - wie beim Raub - nicht, wenn der Täter zwar kurzzeitigen Besitz begründen will, die Sache aber unmittelbar nach der Erlangung vernichtet werden soll (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 mwN; Vogel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 253 Rn. 29; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 253 Rn. 17). Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; ähnlich BGH, Beschluss vom 19. August 1987 - 2 StR 394/87, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 1) und allein einen anderen als einen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1971 - 4 StR 397/71).
30
Auf dieser Grundlage fehlt es an einer Bereicherungsabsicht der Angeklagten bzw. des Björn Sch. in Bezug auf die Kutte des Dirk O. und dessen Messer. Denn das Landgericht vermochte - wie oben ausgeführt - nicht auszuschließen, dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten und das Messer sofort wegzuwerfen.
31
b) Da die Angeklagten sowie Björn Sch. weder einen Raub noch eine räuberische Erpressung beabsichtigt haben, kommt auch eine Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB nicht in Betracht.
32
c) Das Schwurgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Angeklagten zu Recht nicht wegen Täterschaft oder Teilnahme an der vorsätzlichen Tötung des Dirk O. verurteilt.
33
aa) Einen Tötungsvorsatz der Angeklagten hat es rechtsfehlerfrei als nicht erwiesen erachtet.
34
(1) Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN). Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN), mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373; ähnlich zum unerwünschten Erfolg bereits BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369). Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451).
35
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN); sowohl das Wissens - als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 jeweils mwN). Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZRR 2009, 372 jeweils mwN). Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jeweils mwN). Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 mwN).
36
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Ab- grenzung des bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet. Ihre Bewertung, Tötungsvorsatz bei den Angeklagten sei nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf.
37
Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wussten die Angeklagten, "dass es zur Erlangung der symbolträchtigen Kutte zu einer möglicherweise auch harten körperlichen Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Rocker" und "auch zum Einsatz von Waffen und Werkzeugen - wie etwa Schlaghölzern, Reizgas, Schlagstöcken, Motocrosshandschuhen und evtl. auch Messern - kommen könnte". Ihnen war "bewusst …, dass derartige Aktionen … ein hohes, unter Umständen auch tödliches, Gewaltpotential in sich tragen" und ihr Handeln "aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Gleichwohl vermochte sich das Landgericht - rechtsfehlerfrei - nicht davon zu überzeugen, dass das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes gegeben ist. Denn die Angeklagten vertrauten - wie das Schwurgericht ausführlich belegt - "im Hinblick auf ihre körperliche und auch zahlenmäßige Überlegenheit … darauf, dass ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde"; auch war ihnen aus unterschiedlichen Gründen ein tödlicher Ausgang unerwünscht.
38
bb) Der Generalbundesanwalt meint auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als besonders schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge unter Hinweis auf das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2007 (1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281 und Walter, NStZ 2008, 548), der Angeklagte A. sei Gehilfe des vorsätzlichen Tötungsdelikts, weil sich "durch das gemeinsame Ausziehen und Ansichnehmen der Kutte des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten … sein Vorsatz sukzessive auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters Sch. erstreckt" habe. Der Senat lässt offen, ob dem bei Vorliegen einer räuberischen Erpressung zu folgen wäre. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da weder der Angeklagte A. noch Björn Sch. den Tatbestand des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung (mit Todesfolge) verwirklicht haben. Kann bei mehreren nacheinander aktiv werdenden Tätern der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Allein eine nachträgliche Billigung der tödlichen Gewalt kann deshalb jedenfalls im vorliegenden Fall eine strafbare Verantwortlichkeit des Angeklagten A. für die bereits abgeschlossene Tötungshandlung nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1984 - 4 StR 526/84 mwN). Dies gilt auch für die vom Generalbundesanwalt bejahte Beihilfe zum Mord und bezieht sich in gleicher Weise auf den Angeklagten S. .
39
d) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist den Angeklagten auch der zur Querschnittlähmung des Opfers führende (letzte) Messerstich des Björn Sch. nicht zuzurechnen.
40
Eine solche Zurechnung scheidet aus, wenn der unmittelbare Täter dem Opfer den weiteren Stich nicht mehr im Rahmen verabredeter Gewaltanwendung beibrachte, der Dritte die (weitere) Gewaltanwendung weder gebilligt noch zu ihr gefahrerhöhend beigetragen hat und er deren Folgen auch nicht dazu ausnutzen wollte, den Besitz von durch die Tat erlangten Vermögenswerten zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33, 34). So verhält es sich hier. Der Messerstich erfolgte nach der Wegnahme der Kutte, er entsprach nicht dem Tatplan, sondern wurde "ohne weitere Absprache" mit dem Angeklagten A. von Björn Sch. ausgeführt, um (nicht ausschließbar) "ganz sicher zu gehen, dass dieser [also Dirk O. ] versterbe" (UA 63).
41
e) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts haben sich die Angeklagten auch nicht der Täterschaft oder Teilnahme an einem versuchten vorsätzlichen Tötungsverbrechen durch Unterlassen schuldig gemacht.
42
Denn eine Handlungspflicht des Garanten für das Leben eines anderen entfällt, wenn die gebotenen Rettungsbemühungen sicher erfolglos geblieben wären (BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rdn. 63). Das ist nach den von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen und tragfähig begründeten Feststellungen der Fall. Danach ging der Angeklagte A. - der objektiven Lage entsprechend (UA 78 f.) - nach der ersten Messerattacke des Björn Sch. davon aus, "dass der Outlaw durch die Messerstiche bereits tödlich verletzt sei" und selbst "bei sofort herbeigerufener Hilfe sterben" werde. Dasselbe hat das Landgericht bezüglich des Angeklagten S. festgestellt.
43
Da es durch das Sichentfernen der Angeklagten nicht zu einer Steigerung der für Dirk O. bestehenden Gefahr kam, haben sich die Angeklagten auch nicht nach § 221 StGB strafbar gemacht (vgl. SSW-StGB/Momsen, § 221 Rn. 10, 11).
44
f) Nach den getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht die Angeklagten zu Recht auch nicht des (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB schuldig gesprochen.
45
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und er dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 82/10 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Ernemann, § 315b StGB Rn. 18). Einen solchen, mit dem Eingriff in den Straßenverkehr verbundenen Schädigungsvorsatz vermochte das Landgericht jedoch nicht festzustellen. Es kam vielmehr - rechtsfehlerfrei - zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte S. darauf vertraute, dass Dirk O. weder zu Fall kommt, noch auf den Pkw auffährt und dass eine solche Gefahr auch objektiv nicht bestand. Eine versuchte Anstiftung durch den Angeklagten A. (§ 30 Abs. 1, § 315b Abs. 1, 3, § 315 Abs. 3 StGB) liegt nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.
46
g) Soweit eine Verurteilung der Angeklagten nach § 323c StGB in Betracht kam (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 323c Rn. 18), hat der Senat das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
47
h) Auch die Rechtsfolgenaussprüche weisen - abgesehen von der den Angeklagten A. betreffenden Entscheidung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB - keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
48
aa) Dies gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt und die revisionsführende Staatsanwaltschaft beim Angeklagten A. die Prüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vermissen.
49
Denn es fehlt nach der vom Senat gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB, § 354a StPO zu beachtenden, am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Neufassung des § 66 StGB an Vorstrafen, die die dort geforderten Voraussetzungen erfüllen (vgl. BT-Drucks. 17/3403 S. 50). Insbesondere die im Jahr 2005 erfolgte Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und anderem ist nicht mehr geeignet, die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.
50
bb) Die Revision der Staatsanwaltschaft führt jedoch zur Abänderung des Maßstabs für die Anrechung der in Portugal beim Angeklagten A. vollzogenen Auslieferungshaft, den das Landgericht mit 2:1 bestimmt hat.
51
Besondere Erschwernisse, die diesen Anrechnungsmaßstab rechtfertigen könnten, hat die Strafkammer - ersichtlich aufgrund des Schweigens des Angeklagten A. zur Person und zur Sache (UA 25) - nicht festgestellt. Im Hinblick darauf, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union - auch in Portugal (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 251/10) - grundsätzlich Anhaltspunkte für eine andere Anrechnung als im Verhältnis 1:1 nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen sind, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst entsprechend bestimmt (BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3; vom 4. Juli 2007 - 1 StR 298/07; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2005 - 2 BvR 1593/03).

III.


52
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
53
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. ist unbegründet.
54
a) Seine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
55
Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, grundsätzlich nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 Rn. 15 mwN). Handelt ein Mittäter aber mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz, ein anderer dagegen nur mit Verletzungsvorsatz, so ist letzterer - wenn er den tödlichen Ausgang für das Opfer vorhersehen konnte - zwar nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts , aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar (BGH, Urteil vom 19. August 2004 - 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich). Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, mithin auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dem Mittäter das Wissenselement des Tötungsvorsatzes vorlag und dieser allein deshalb fehlte, weil es am Willenselement mangelte (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261, 262; vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 mwN).
56
So verhält es sich hier. Beide Angeklagten rechneten - wie ausgeführt - mit Körperverletzungen unter Einsatz von Waffen und Werkzeugen, auch eines Messers, und billigten diese. Ihnen war ferner bewusst, dass "die Aktion aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Die damit gegebene Vorhersehbarkeit des Todes von Dirk O. reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente des § 227 StGB aus; einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN).
57
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten A. wegen mit der Körperverletzung mit Todesfolge und der Nötigung in Tateinheit stehenden Beteiligung an einer Schlägerei begegnet keinen Bedenken. Sie entspricht sowohl hinsichtlich der Bejahung des Tatbestandes des § 231 StGB als auch bezüglich der Konkurrenzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 3 StR 236/08; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN)
58
c) Entsprechendes gilt für den Schuldspruch wegen Nötigung. Diese wird hinsichtlich des Ausbremsens vom Verteidiger des Angeklagten A. nicht in Frage gestellt. Sie liegt aber auch hinsichtlich der Wegnahme der Kutte vor, bezüglich derer der Einsatz des Messers von Anfang an vom Vorsatz des Angeklagten A. umfasst war (vgl. auch UA 79).
59
d) Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Schwurgerichts, bei der vom Angeklagten A. begangenen Nötigung handle es sich um einen (unbenannten) besonders schweren Fall im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB. Sie wird vom Tatgericht zutreffend auf das "besonders grobe" Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck gestützt.
60
e) Auch der Maßregelausspruch hält der Überprüfung stand. Zwar war der Angeklagte A. "nur" Beifahrer in dem vom Angeklagten S. gesteuerten Pkw. Indes hat der Angeklagte A. an der ihm zu Recht angelasteten Nötigung des Dirk O. durch das Ausbremsen nicht nur dadurch mitgewirkt, dass er den Angeklagten S. hierzu "verbal gedrängt" hat, sondern auch dadurch, dass er die "Weisung" für den Beginn des Überholmanövers gab. Dies rechtfertigt die Maßregel nach §§ 69, 69a StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2004 - 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617; Tepperwien in Festschrift Nehm, 2006, S. 427, 430).
61
2. Die Revision des Angeklagten S. ist ebenfalls unbegründet.
62
a) Die Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge und zur Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen Nötigung ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist - wie ausgeführt - auch die Annahme von Tateinheit zwischen diesen Straftatbeständen.
63
b) Der Strafausspruch hält im Ergebnis ebenfalls der Überprüfung stand.
64
Zwar hat es das Schwurgericht unterlassen, beim Angeklagten S. trotz Vorliegens zweier vertypter Milderungsgründe (§ 27 Abs. 2, § 46b StGB) zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt. Der Senat schließt aufgrund der Besonderheiten des Falles jedoch aus, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn es lag im Hinblick auf die vom Landgericht zutreffend dargelegten Strafschärfungsgründe (u.a. Bewährungsversagen ) fern, einen minder schweren Fall gemäß § 227 Abs. 2 StGB ohne "Verbrauch" mindestens eines der vertypten Milderungsgründe anzunehmen. Wäre aber der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB einmal nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert worden, so wäre - bei nur geringfügig niedrigerer Strafrahmenobergrenze - die Strafrahmenuntergrenze höher gewesen als nach der vom Schwurgericht vorgenommenen doppelten Minderung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB.
65
Die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung begegnet beim Angeklagten S. auch angesichts der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit dieser Bewertung in der Revision (vgl. Fischer aaO § 46 Rn. 85 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

IV.


66
Das nur geringfügige Obsiegen der Staatsanwaltschaft rechtfertigt keine Kostenteilung. Da mithin sowohl die Revisionen der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben bzw. entsprechend zu behandeln sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch diese Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO); eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn dieser allein erfolglos Revision eingelegt hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführe- rin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. aber BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 405/10). Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Revisionen der Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Zwar sind auch die Revision der Nebenkläger erfolglos geblieben, dies rechtfertigt es jedoch nicht, von einer Auslagenerstattung zu ihren Gunsten abzusehen (§ 473 Abs. 1 Satz 2 StPO; zum Ganzen: BGH, Urteil vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer