Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juli 2016 - 3 StR 25/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:280716U3STR25.16.0
bei uns veröffentlicht am28.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 25/16
vom
28. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
ECLI:DE:BGH:2016:280716U3STR25.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juli 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Mayer, Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - , Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 29. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat das gegen den Angeklagten wegen des Verdachts des Betruges geführte Strafverfahren mit der Begründung eingestellt, es bestehe das Verfolgungshindernis des Art. 54 SDÜ. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


2
1. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 23. Juni 2008 legt dem Angeklagten folgendes, als Betrug (§ 263 StGB) gewertetes Geschehen zur Last:
3
a) Der anderweitig Verfolgte H. handelte unter der Firma "N. " mit Lastkraftwagen. Unter Vermittlung des anderweitig Verfolgten S. kamen der Angeklagte und H. im Mai 2006 über- ein, H. solle zum Schein einen Liefervertrag mit der litauischen Firma "U. " abschließen, um eine von dieser beauftragte finanzierende Bank zur Auszahlung des vereinbarten Kaufpreises zu veranlassen. Die so erlangten Zahlungen wollten sie untereinander aufteilen. Das "N. " bot der "U. " daraufhin zehn Lkws zum Gesamtpreis von 1.286.900 € an, wovon 45 % bei Vertragsschlussfällig sein sollten. Am 29. Juni 2006 schlossen das "N. ", die "U. " und die litauische "U. S. " - das von der "U. " eingeschaltete Leasing-Unternehmen - einen entsprechenden Vertrag. Die "U. S. " überwies die Anzah- lung in Höhe von 579.105 € am 10. Juli 2006 auf das Konto H. s, der sich den Betrag wie vereinbart mit S. und dem Angeklagten teilte.
4
b) In Kenntnis der Umstände trat unter Vermittlung des anderweitig Verfolgten St. am 11. August 2006 die "B. N. " des anderweitig Verfolgten K. - faktischer Geschäftsführer der anderweitig Verfolgte B. - anstelle des "N. " auf Verkäuferseite in den Vertrag ein. Alle Beteiligten wollten nun von der "U. S. " auch den Restkaufpreis erlangen und unter sich teilen. St. fertigte unter dem 29. August 2006 einen internationalen Frachtbrief sowie eine Rechnung der "B. N. " über die angebliche LkwLieferung und reichte diese bei der B. L. ein. Auf der Grundlage eines von der "U. S. " darauf am 8. September 2006 ausgestellten Kreditbriefs überwies die B. L. am 9. September 2006 705.296,62 € auf das Konto der "B. N. ", die zu diesem Zeitpunkt unter "Br. " firmierte. An der Summe wurde vereinbarungsgemäß auch der Angeklagte beteiligt.
5
2. Das Landgericht Oldenburg sprach den Angeklagten wegen dieses Sachverhalts am 29. April 2009 der Beihilfe zur Untreue (§§ 266, 27 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren. Nach den Feststellungen sollten 42,5 % des von der "U. S. " ausbezahlten Kaufpreises vereinbarungsgemäß an die - sich mithin des Scheincharakters des Kaufvertrages bewussten - Verantwortlichen der "U. " zurückfließen. Da dies unvereinbar war mit der weiteren Feststellung , deren Geschäftsführer habe am 12. August 2006 die "B. N . " aufgesucht, um sich die Lkws zeigen zu lassen, S. und St. hätten sich aus diesem Anlass beraten, wie sie dem Besucher die Abstellmöglichkeiten der "B. N. GmbH" für die Fahrzeuge nachweisen könnten, hob der Senat das Urteil am 4. März 2010 auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück (3 StR 498/09).
6
3. Am 21. November 2011 erhob das Ermittlungsamt für Finanzstraftaten beim Ministerium des Inneren der Republik Litauen gegen den Angeklagten Anklage zum Bezirksgericht Vilnius/Litauen wegen des Vorwurfs der Geldwäsche (Art. 216 Teil 1 des Strafgesetzbuchs der Republik Litauen).
7
a) Es ging von folgendem Sachverhalt aus:
8
Der Angeklagte war als Mitglied einer in Litauen und in Deutschland agierenden Bande beteiligt am Abschluss eines Scheingeschäfts über die Lieferung von zehn Zugmaschinen durch das deutsche Unternehmen H. , später durch die "B. G. ", an die litauische "U. ". Es war geplant, die bei den deutschen Firmen eingehenden Beträge in bar abzuheben und unter den Bandenmitgliedern aufzuteilen. Wie der Angeklagte wusste, überwies die "U. S. " am 3. Juli 2006 579.105 € an H. und am 8. September 2006 707.795 € an die "B. G. ". Insgesamt 853.000 € hiervon nahm der Angeklagte an verschiedenen Orten in Deutschland in bar entgegen. Um dieses auf kriminelle Weise erlangte Bargeld zu legalisieren, zahlte er es teils auf seine Konten bei der litauischen Bank "A. " ein, teils nutzte er es für Geschäfte.
9
b) Zum Beweis stützte sich diese Anklage in erster Linie auf das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 29. April 2009. Im Verlauf der Hauptverhandlung wurde dessen Aufhebung durch den Bundesgerichtshof am 4. März 2010 bekannt, weshalb das Bezirksgericht Vilnius das Verfahren am 20. März 2012 nach Art. 254 Teil 3, Art. 253d der litauischen Strafprozessordnung zu Nachermittlungen und neuer Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückgab. Diese hielt es für zweckmäßig, das neue Urteil des Landgerichts Oldenburg abzuwarten. In der Folge verlängerte das insoweit zuständige Amtsgericht der Stadt Vilnius auf Antrag der Staatsanwaltschaft mehrfach die vom Bezirksgericht gesetzte Frist, zuletzt am 21. März 2013 für weitere drei Monate ab 22. März 2013.
10
Auf die Beschwerde des Angeklagten hob das Bezirksgericht Vilnius durch Beschluss vom 9. April 2013 die Entscheidung des Amtsgerichts auf und stellte das Ermittlungsverfahren wegen zu langer Dauer ein (Art. 442 Teil 1 Ziffer 2, Art. 212 Ziffer 10 der litauischen Strafprozessordnung). Art. 2d, Art. 17 Teil 1 und Art. 44 Teil 5 der litauischen Strafprozessordnung sähen vor, Ermittlungen in der kürzest möglichen Zeit durchzuführen. Die bloße Verlängerung des Ermittlungsverfahrens ohne tatsächliche Ermittlungshandlungen und nur in Erwartung des rechtskräftigen Urteils eines deutschen Gerichts sei "keine rechtliche Grundlage für die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens".

11
4. Auf die erneute Hauptverhandlung stellte das Landgericht Oldenburg das Verfahren gegen den Angeklagten mit Urteil vom 29. Juli 2015 gemäß § 260 Abs. 3 StPO ein. Infolge des unanfechtbaren Beschlusses des Bezirksgerichts Vilnius vom 9. April 2013 stehe einer Aburteilung der Tat nunmehr das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 54 SDÜ entgegen.

II.


12
Das Landgericht ist zu Unrecht von einem Verfahrenshindernis ausgegangen. Art. 54 SDÜ steht der weiteren Verfolgung des Angeklagten in dem in Deutschland gegen ihn anhängigen Strafverfahren nicht entgegen.
13
1. Der Senat lässt offen, ob die Ansicht der Revision zutrifft, das deut- sche und das litauische Strafverfahren beträfen nicht „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ. Der Beschluss des Bezirksgerichts Vilnius vom 9. April 2013 beinhaltet jedenfalls keine „rechtskräftige Aburteilung“ der Tat durch eine ande- re Vertragspartei im Sinne dieser Vorschrift.
14
a) Haben die in verschiedenen Vertragsstaaten geführten Strafverfahren dieselbe Straftat zum Gegenstand, so ist die Frage, ob diese in einem der Vertragsstaaten bereits im Sinne von Art. 54 SDÜ rechtskräftig abgeurteilt worden ist, unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Juni 2016 - C-486/14, juris Rn. 34 ff.; 42 ff.).
15
aa) Der im anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung muss zunächst Rechtskraftwirkung dergestalt zukommen, dass sie einen endgültigen Abschluss des Verfahrens darstellt und einer weiteren Verfolgung des Betroffenen wegen der Tat ein rechtliches Hindernis entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 - 4 StR 87/98, NJW 1999, 3134). Um als eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von Art. 54 SDÜ angesehen werden zu können, muss die Entscheidung endgültig die Strafverfolgung beenden und die Strafklage verbrauchen. Dies setzt die Prüfung voraus, ob das nationale Recht des Vertragsstaats , dessen Behörden die fragliche Entscheidung erlassen haben, diese als endgültig und bindend ansieht, und die Gewissheit darüber, ob die Entscheidung in diesem Staat den sich aus dem Verbot der Doppelbestrafung ergebenden Schutz bewirkt. Eine Entscheidung, die nach dem Recht des ersten Vertragsstaats , der die Strafverfolgung gegen einen Betroffenen einleitet, die Strafklage auf nationaler Ebene nicht endgültig verbraucht, kann grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung wegen derselben Tat gegen diesen Betroffenen in einem anderen Vertragsstaat angesehen werden (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-491/07, NStZ-RR 2009, 109, 110; Urteil vom 29. Juni2016 - C-486/14, juris Rn. 34 f.). Die Form der Entscheidung und das entscheidende Strafverfolgungsorgan bleiben unter den genannten Voraussetzungen ohne Belang (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Februar 2003 - C-187/01 und C-385/01, NJW 2003, 1173, zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153a der deutschen StPO). Allein die von Art. 4 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK zugelassene Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens , "falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen" geeignet sind, das ergangene Urteil in Zweifel zu ziehen, ändert am Strafklageverbrauch aber nichts; als eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von Art. 54 SDÜ ist danach etwa auch ein Einstellungsbeschluss ohne Eröffnung des Hauptverfahrens an- zusehen, der in dem Vertragsstaat, in dem dieser Beschluss ergangen ist, erneute Ermittlungen aufgrund des gleichen Sachverhalts gegen die Person, zu deren Gunsten dieser Beschluss ergangen ist, verhindert, sofern keine neuen Belastungstatsachen gegen Letztere auftauchen (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - C-398/12, NJW 2014, 3010, 3012).
16
bb) Zudem darf die Entscheidung nicht lediglich auf formalen Gründen beruhen, sondern muss aufgrund einer Prüfung der Tatvorwürfe in der Sache ergangen sein (EuGH, Urteil vom 29. Juni 2016 - C-486/14, juris Rn. 42). Auch hierzu hat sich der Europäische Gerichtshof bereits im Zusammenhang mit der gerichtlichen Nichtigerklärung einer von der Kommission verhängten wettbewerbsrechtlichen Sanktion grundsätzlich geäußert (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2002 - C-238/99 u.a., Slg. 2002, I-8375, 8652): Der in Art. 54 SDÜ normierte Grundsatz ne bis in idem, bei dem es sich um einen auch in Art. 4 Absatz 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK verankerten tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt, verbietet, dass ein Betroffener, der in Bezug auf ein Verhalten in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, erneut verurteilt oder verfolgt wird. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt somit voraus, dass über das Vorliegen der Zuwiderhandlung entschieden oder die Rechtmäßigkeit ihrer Würdigung geprüft wurde. Der Grundsatz ne bis in idem verbietet daher nur eine neue sachliche Würdigung des Vorliegens der Zuwiderhandlung, die dazu führen würde, dass entweder - falls die Verantwortlichkeit erneut bejaht wird - eine zweite, zur ersten hinzukommende Sanktion oder - falls die in der ersten Entscheidung verneinte Verantwortlichkeit in der zweiten Entscheidung bejaht wird - eine erste Sanktion verhängt wird. Dagegen steht er einer Wiederaufnahme von Verfolgungsmaßnahmen, die das gleiche Verhalten betreffen, nicht entgegen, wenn eine erste Entscheidung aus formalen Gründen ohne materiel- le Beurteilung des zur Last gelegten Sachverhalts für nichtig erklärt wurde; die Nichtigerklärung stellt dann keinen "Freispruch" im strafrechtlichen Sinne dar. So findet Art. 54 SDÜ auch keine Anwendung auf eine Entscheidung der Gerichte eines Vertragsstaats, mit der ein Verfahren für beendet erklärt wird, nachdem die Staatsanwaltschaft beschlossen hat, die Strafverfolgung nur deshalb nicht fortzusetzen, weil in einem anderen Mitgliedstaat Strafverfolgungsmaßnahmen gegen denselben Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sind, und ohne dass eine Prüfung in der Sache stattgefunden hat (EuGH, Urteil vom 10. März 2005 - C-469/03, NJW 2005, 1337, 1338). Im Hinblick auf den Kohärenzgedanken des Art. 3 Abs. 2 EUV hat der Europäische Gerichtshof schließlich eine Sachentscheidung auch bei einer Verfahrenseinstellung verneint, die rechtlich zwar auf einer Beurteilung der Beweislage beruht , deren Gründe aber zu erkennen geben, dass in tatsächlicher Hinsicht eingehende Ermittlungen unterblieben sind (EuGH, Urteil vom 29. Juni 2016 - C486 /14, juris Rn. 46 ff., 54).
17
b) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme des Landgerichts, das Bezirksgericht Vilnius habe die Tat am 9. April 2013 bereits rechtskräftig abgeurteilt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
aa) Allerdings ist unzweifelhaft, dass der Beschluss vom 9. April 2013 das gegen den Angeklagten in Litauen geführte Strafverfahren endgültig beendete und der weiteren Verfolgung der Tat durch die litauischen Behörden auf Dauer entgegensteht. Das Bezirksgericht Vilnius teilt in den Gründen mit, dass dieser am Tage der Verkündung rechtskräftig werde und Rechtsmittel hiergegen nicht gegeben seien. Bestätigt wird dies durch eine vom Generalbundesanwalt im Rahmen des Europäischen justiziellen Netzes eingeholte Auskunft des am Obersten Gerichtshof Litauens tätigen Richters G. , wonach der Beschluss des Bezirksgerichts, das Verfahren gemäß Art. 212 Ziffer 10 der litauischen Strafprozessordnung einzustellen, nach Art. 442 Teil 2 dieses Gesetzes unanfechtbar sei, einer Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei Vorliegen neuer Tatsachen entgegenstehe und somit die Strafklage endgültig verbrauche.
19
bb) Indes erging die Entscheidung des Bezirksgerichts Vilnius nicht aufgrund einer Prüfung der Tatvorwürfe in der Sache. Der Senat hat hierzu am 7. Juni 2016 im Wege des Freibeweises eine ergänzende Stellungnahme des Richters G. eingeholt. Danach beruht eine Einstellung des Verfahrens nach Art. 212 Ziffer 10 in Verbindung mit Art. 215 der litauischen Strafprozessordnung allein auf dem formalen Grund einer nach der ersten Vernehmung des Beschuldigten eingetretenen Überlänge des Verfahrens, welche die Staatsanwaltschaft nicht überzeugend mit der Schwierigkeit der Ermittlungen zu erklären vermag. Der Grad des gegen den Beschuldigten bereits bestehenden Tatverdachts bleibt dabei von Gesetzes wegen ohne Belang.
20
2. Zwar hat der Europäische Gerichtshof den Freispruch wegen eingetretener Strafverfolgungsverjährung als eine Entscheidung in der Sache angesehen (EuGH, Urteil vom 28. September 2006 - C-467/04, NJW 2006, 3403). Dies ändert jedoch an obigem Ergebnis nichts, denn eine Verfahrensbeendigung wegen Strafverfolgungsverjährung ist mit einer solchen wegen überlanger Verfahrensdauer auch unter dem Blickwinkel des supranationalen Rechts nicht vergleichbar.
21
a) Die Regelungen zur Strafverfolgungsverjährung dienen - ungeachtet einer möglichen unterschiedlichen Ausgestaltung in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen als materielles oder prozessuales Rechtsinstitut - der Her- stellung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Mit dem Ablauf der gesetzlich bestimmten Verjährungsfrist tritt Rechtsfrieden ein (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2006 - 5 StR 578/05, NJW 2006, 2338, 2340). Angesichts der keiner Harmonisierung unterliegenden nationalen Verjährungsregeln hat es der Europäische Gerichtshof in der genannten Entscheidung als unvereinbar mit dem Unionsrecht auf Freizügigkeit angesehen, wenn der Beschuldigte in einem anderen Mitgliedstaat nicht auf den ihm vom Urteilsstaat rechtskräftig gewährten "Bürgerfrieden" vertrauen dürfte (EuGH aao, S. 3404).
22
b) Sieht die nationale Rechtsordnung demgegenüber - wie Art. 442 Teil 1 Ziffer 2, Art. 212 Ziffer 10 der litauischen Strafprozessordnung - vor, ein Strafverfahren bei überlanger Dauer einzustellen, so bestimmt sie damit die Rechtsfolgen einer von den nationalen Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden und zu kompensierenden Verletzung des Rechts des Angeklagten auf eine Verhandlung über den Tatvorwurf innerhalb angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK). Ob die erreichte Dauer noch angemessen ist, beurteilt sich in erster Linie nach der konkreten Gestaltung des Verfahrensgangs durch die Behörden und Gerichte des jeweiligen Vertragsstaates, insbesondere auch nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Bekanntgabe der Beschuldigung oder einer den Beschuldigten ernsthaft beeinträchtigenden Ermittlungsmaßnahme (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2004 - 49017/99, NJW 2006, 1645, 1646). Ein etwa konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der EMRK ist einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, nicht zuzurechnen (BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11, BGHSt 57, 1). Im Übrigen fordert das dem Betroffenen in Art. 13 EMRK eingeräumte Recht auf wirksame Beschwerde auch nicht, Strafverfahren im Falle einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ausnahmslos einzustellen. Auf welche Weise dem Betroffenen ein Ausgleich für die ihm aus der Verletzung seiner Konventionsrechte entstandenen materiellen und immateriellen Nachteile verschafft wird, bleibt vielmehr dem nationalen Staatshaftungsrecht vorbehalten (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - 30210/96, NJW 2001, 2694, 2700; vom 8. Juni 2006 - 75529/01, NJW 2006, 2389, 2390; zum Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen als ultima ratio nach deutschem Recht BVerfG, Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 327/02 u.a., NJW 2003, 2225; vom 21. Januar 2004 - 2 BvR 1471/03, BVerfGK 2, 239, 248). Einen auf den Eintritt von Rechtsfrieden gegründeten Vertrauenstatbestand, künftig auch in anderen Vertragsstaaten vor Strafverfolgung geschützt zu sein, schafft eine von den nationalen Strafverfolgungsorganen für die Verletzung von Konventionsrecht ausgesprochene Wiedergutmachung somit auch dann nicht, wenn sie in der Einstellung des Strafverfahrens besteht.
23
c) Eine Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV scheidet insoweit aus. Entscheidungserheblich ist in diesem Zusammenhang allein die Frage, ob sich die Bundesrepublik Deutschland Verstöße eines anderen Vertragsstaats gegen die EMRK zurechnen lassen und, falls ja, eine dort ausgesprochene Kompensation in staatshaftungsrechtlicher Hinsicht auch für das hier geführte Verfahren anerkennen muss. Diese - vom Bundesgerichtshof wie dargelegt bereits entschiedene - Frage beurteilt sich nicht nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, sondern nach den Vertragsbestimmungen der EMRK.
24
3. Aus denselben Gründen folgt für das deutsche Strafverfahren entgegen der Ansicht des Verteidigers auch kein (weiteres) Verfahrenshindernis daraus , dass der Beschluss des Bezirksgerichts Vilnius vom 9. April 2013 auf der Feststellung einer mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK unvereinbaren Verfahrensverzögerung durch die litauischen Behörden beruht. Ob das deutsche Strafverfah- ren unter konventionswidrigen Verfahrensverzögerungen leidet und auf welche Weise diese gegebenenfalls zu kompensieren sind, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben. Dem Senat sind Feststellungen hierzu verwehrt.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juli 2016 - 3 StR 25/16 zitiert 7 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 263 Betrug


(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen

Strafgesetzbuch - StGB | § 266 Untreue


(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2011 - 1 StR 153/11

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2019 - 1 StR 393/19

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 393/19 vom 24. Oktober 2019 in der Strafsache gegen wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern ECLI:DE:BGH:2019:241019B1STR393.19.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Für eine verjährungsunterbrechende Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens
gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG reicht es aus,
dass der Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde die Erstellung und
Versendung eines Anhörungsbogens durch individuellen elektronischen Befehl
veranlasst, wenn sich Zeitpunkt und Bearbeiter dieses Vorgangs sicher
feststellen lassen.
BGH, Beschluss vom 22. Mai 2006 5 StR 578/05
OLGBrandenburg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Mai 2006
in der Bußgeldsache
gegen
wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener
Ortschaften
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2006

beschlossen:
Für eine verjährungsunterbrechende Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG reicht es aus, dass der Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde die Erstellung und Versendung eines Anhörungsbogens durch individuellen elektronischen Befehl veranlasst, wenn sich Zeitpunkt und Bearbeiter dieses Vorgangs sicher feststellen lassen.
G r ü n d e Die Vorlegungssache betrifft die Frage, wie eine verjährungsunterbrechende Anordnung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG aktenmäßig dokumentiert sein muss.

I.


Der wiederholt wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr mit Geldbußen belegte Betroffene befuhr am Abend des 14. Juni 2004 mit einem gemieteten PKW die BAB 10 westlicher Berliner Ring in Richtung Autobahndreieck Havelland. Dabei überschritt er die durch zwei Zeichen 274 gemäß § 41 StVO auf 80 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 24 km/h. Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg erfasste am 29. Juni 2004 den Vorgang in ihrem Rechner und veranlasste eine Halteranfrage. Am nächsten Tag leitete sie durch Übersendung eines Schreibens an die Europcar Autovermietung GmbH die Ermittlung des Fahrers ein. Das Vermietungsunternehmen teilte der Behörde am 20. Juli 2004 die Daten des Betroffenen als des vertraglich vereinbarten
Fahrers mit. Am 27. Juli 2004 rief die Sachbearbeiterin G. um 9.11 Uhr nach Kenntnisnahme der mitgeteilten Daten des Fahrzeugführers den elektronisch erfassten Vorgang unter dem Menüpunkt des Arbeitsprogramms „Vorgang allgemein“ auf. Unter dem nächsten angesteuerten Menüpunkt „Betroffenenwechsel“ gab sie die Daten des Betroffenen ein und erteilte anschließend den elektronischen Befehl zum Druck und zur Versendung des Anhörungsbogens. Die Eingabe der Daten, die elektronischen Befehle der Sachbearbeiterin und deren Ausführung (Druck und Versendung des Anhörungsbogens ) sowie alle weiteren, auch die selbsttätig ausgeführten Arbeitsschritte wurden – für die Sachbearbeiter der Behörde nicht änderbar – gespeichert und nach Abschluss des behördlichen Verfahrens in einer der Bußgeldakte vorgehefteten Vorgangshistorie mit verkürzten, aber verständlichen Schlagworten dokumentiert. Die Sachbearbeiterin hatte sich durch eine kennwortgeschützte Identifikation (drei Buchstaben und zwei Zahlen) vor Bearbeitung des Vorgangs zu legitimieren.
Die Zentrale Bußgeldstelle hat am 22. September 2004 gegen den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 65 Euro festgesetzt. Nach Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Nauen in seinem Urteil vom 22. März 2005 die Geldbuße auf 80 Euro erhöht.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der vom Einzelrichter zugelassenen und dem Bußgeldsenat vorgelegten Rechtsbeschwerde. Der Betroffene macht geltend, dass der Bußgeldbescheid nach Eintritt der Verfolgungsverjährung erlassen worden sei. Er vertritt die Auffassung, das zur Bußgeldakte genommene Statusblatt sei als bloßer Computerausdruck zum Nachweis der Anordnung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nicht geeignet.
Der Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts hat mit seinem Beschluss vom 16. November 2005 (VRS 109, 443) die Auffassung vertreten, die von der Sachbearbeiterin bei der Zentralen Bußgeldstelle unter Verwendung des
installierten Arbeitsprogramms und ihres individuellen Kürzels „o. “ veranlasste Versendung des Anhörungsbogens an den Betroffenen habe die Verfolgungsverjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen. Für Inhalt und Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung müssten sich aus den Verfahrensakten lediglich konkrete Anhaltspunkte ergeben. Die Vorgangshistorie lege unter dem 27. Juli 2004 von einer solchen Individualverfügung einer bestimmten Sachbearbeiterin eindeutig Zeugnis ab. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen sei deshalb zu verwerfen.
Das Oberlandesgericht sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung aber durch die Beschlüsse des OLG Dresden vom 27. April 2004 (DAR 2004, 534) und vom 10. Mai 2005 (DAR 2005, 570) gehindert. Dessen Bußgeldsenat hält für die Wirksamkeit einer Anordnung zur Dokumentation der Übernahme der Verantwortung des Sachbearbeiters und für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums der Verfügung die Anbringung einer Unterschrift oder eines Handzeichens in der Akte für geboten. Nur so könne die erforderliche, wenn auch unter Umständen nur oberflächliche Prüfung des Sachbearbeiters nachvollzogen werden, inwieweit die den Verfahrensgegenstand bildende Tat überhaupt noch verfolgbar, insbesondere, ob die Tat nicht bereits verjährt gewesen sei.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung und Beantwortung folgender Frage vorgelegt:
„Bedarf die erneute Absendung eines Anhörungsbogens im EDVunterstützten Bußgeldverfahren an einen von der Person des bisher als Betroffenen geführten Kfz-Halters abweichenden Fahrer als neuen Betroffenen (so genannter Betroffenenwechsel) eine schriftliche Anordnung mit handschriftlicher Unterschrift oder Namenskürzel durch den Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde, um die Verjährungsunterbrechung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 OWiG herbeizuführen?“

II.


Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind gegeben.
Die Vorlegungsfrage betrifft die Auslegung des Begriffs der „Anordnung der Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“ gegen den Betroffenen in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG und damit eine Rechtsfrage.
Sie ist auch entscheidungserheblich. Ohne eine Unterbrechung der Verjährung wäre die dreimonatige Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG bei Erlass des Bußgeldbescheides am 22. September 2004 bereits abgelaufen gewesen.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht kann die Rechtsbeschwerde auch nicht verwerfen, ohne von tragenden Rechtsansichten anderer Oberlandesgerichte abzuweichen. Allerdings begründet der vom vorlegenden Oberlandesgericht herangezogene Beschluss des OLG Dresden vom 10. Mai 2005 (DAR 2005, 570) keine Abweichung. Die darin enthaltenen Erwägungen zu den Voraussetzungen einer Anordnung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG sind nicht tragend (vgl. König DAR 2005, 572). Ferner liegt kein Fall eines Betroffenenwechsels vor, wie ihn das OLG Dresden in seinem Beschluss vom 26. Mai 2004 (DAR 2004, 534) beurteilt hat. Es stand nämlich vorliegend von vornherein fest, dass die Halterin des Kraftfahrzeugs , ein Vermietungsunternehmen, die aufzuklärende Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht begangen haben konnte. Die Vertreter der Halterin wurden deshalb auch lediglich als Zeugen in Anspruch genommen. Dem Beschluss des OLG Dresden lässt sich aber, wie auch den Beschlüssen des OLG Düsseldorf vom 11. September 1996 (DAR 1996, 507 [LS]), des HansOLG vom 21. Januar 1997 (NZV 1997, 286 und der Vorlegung nachfolgend DAR 2006, 223), des OLG Köln vom 2. November 1999
(DAR 2000, 131) und des OLG Zweibrücken vom 4. Mai 2001 (DAR 2002, 89) die jeweils tragende Rechtsansicht entnehmen, dass in allen Fällen, in denen die Anordnung der Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens auf einer Individualentscheidung eines Sachbearbeiters der Verwaltungsbehörde nach Kenntnisnahme der Personalien eines der Ordnungswidrigkeit Verdächtigen beruht, die dahingehende Verfügung des Sachbearbeiters in der Akte handschriftlich mit Unterschrift oder Namenskürzel dokumentiert sein muss.
Der Senat versteht die Vorlegungsfrage demnach in einem weiteren Sinn dahin, ob im Falle der Erstellung und Versendung eines Anhörungsbogens auf Grund des individuellen elektronischen Befehls eines Sachbearbeiters zusätzlich dessen handschriftliche Unterschrift oder die Anbringung eines Namenskürzels unter der Eingriffsverfügung in der Akte notwendig ist, um die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zu unterbrechen.

III.


In der Sache stimmt der Senat der vom Generalbundesanwalt und dem vorlegenden Oberlandesgericht vertretenen Rechtsansicht zu.
1. Eine Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens liegt vor, falls ein Ermittlungsorgan den Willen geäußert hat, dass dem Betroffenen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mitgeteilt werden soll (vgl. zum insoweit wortgleichen § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB: Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 78c Rdn. 3). Solches wird angenommen, wenn der zuständige Beamte der Verwaltungsbehörde verfügt hat, dass dem Betroffenen ein Anhörungsbogen zugesandt werden soll (BGHSt 25, 6, 8). Eine derartige Verfügung liegt auch vor, wenn der Wille des Sachbearbeiters als elektronischer Befehl zur Erstellung und Versendung des Anhörungsbogens im Arbeitsprogramm des Rechners der Verwaltungsbehörde niedergelegt wird (vgl. Olizeg NZV 2005, 130). Es macht keinen sachlichen Unterschied, ob eine schriftliche Verfügung des
Sachbearbeiters, den Anhörungsbogen zu erstellen und zu versenden, an eine mit dieser Aufgabe betraute Schreibkraft gerichtet oder ob eine in der Sache identische, aber elektronisch gespeicherte Verfügung des Sachbearbeiters vom Arbeitsprogramm des Rechners ausgeführt wird. In beiden Fällen wird der vom Sachbearbeiter gefasste Wille, gegen einen bestimmten Betroffenen wegen einer bestimmten mit Bußgeld bedrohten Handlung vorzugehen , auf gleiche Weise konkretisiert.
2. Die dagegen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im Schrifttum geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch.

a) Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG verlangt keine schriftliche Dokumentation der Anordnung in der Verfahrensakte. Die Wirksamkeit der Unterbrechungshandlung hängt nur von der Einhaltung einer bestimmten Form ab, wenn solches ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist (Kucklick DAR 2005, 611, 612; vgl. auch Weller in KK-OWiG 3. Aufl. § 33 Rdn. 11; Göhler OWiG 14. Aufl. § 33 Rdn. 4; Lemke/Mosbacher, OWiG 2. Aufl. § 33 Rdn. 8).

b) Auch die Vorschrift des § 33 Abs. 2 OWiG begründet kein Erfordernis der Schriftform für Anordnungen im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG (OLG Frankfurt NJW 1976, 337, 338; Göhler JR 1981, 42, 43; Gübner NZV 1998, 230, 233; König DAR 2002, 526; DAR 2005, 572; Olizeg NZV 2005, 130, 131). Die gegenteilige Auffassung (OLG Dresden DAR 2004, 534; HansOLG DAR 2006, 223, 224; Kucklick DAR 2005, 611, 612 f.) übersieht die systematische Stellung dieser Vorschrift im Normengefüge der Verjährungsvorschriften des Gesetzes. Die Vorschrift des § 33 Abs. 1 OWiG enthält einen Katalog abschließend aufgezählter Unterbrechungshandlungen und bestimmt deren Wirksamkeitsvoraussetzungen einschließlich gegebenenfalls vorhandener Formerfordernisse. Dagegen regelt die Vorschrift des § 33 Abs. 2 OWiG lediglich in dem Spezialfall einer schriftlichen Anordnung oder Entscheidung den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verjährungsun-
terbrechung. Ein Übergreifen des Regelungsbereichs der Vorschrift des § 33 Abs. 2 OWiG auf den des ersten Absatzes dieser Vorschrift ist demnach ausgeschlossen.
Das Ergebnis der systematischen Auslegung wird durch die historische Auslegung bestätigt. Der Gesetzgeber wollte keine Formerfordernisse für die Wirksamkeit der verjährungsunterbrechenden Handlungen statuieren (vgl. OLG Frankfurt NJW 1976, 337, 338; Göhler JR 1981, 42, 43; Olizeg NZV 2005, 130, 131). Die Vorschrift des § 33 Abs. 2 OWiG sollte lediglich die bis dahin bestehende, praktisch sehr wichtige Zweifelsfrage klären, in welchem Zeitpunkt die Verjährung unterbrochen wird, falls die Unterbrechungshandlung schriftlich vorgenommen worden ist (vgl. BT-Drucks. 7/550 S. 345 und 216; Rotberg, OWiG 5. Aufl. [1975] § 33 Rdn. 21).

c) Aus der Einführung der §§ 110a ff. OWiG durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22. März 2005 (BGBl I S. 837) ergibt sich nichts anderes. Die neuen Vorschriften bezwecken keinesfalls eine Verringerung des bisherigen lediglich unterstützenden Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung bei Führung einer Verfahrensakte auf Papier (vgl. Schmehl/Graf in KK-OWiG 3. Aufl. vor § 110a Rdn. 2; Graf aaO § 110b Rdn. 5) und gebieten deshalb aus systematischen Erwägungen keine Einschränkung der Nutzung herkömmlicher Datenverarbeitungsprogramme.

d) Auch der Zweck der Verjährungsvorschrift erfordert keine schriftliche Dokumentation der Anordnung.
aa) Die Rechtseinrichtung der Verjährung soll dem Rechtsfrieden und damit der Rechtssicherheit dienen und einer etwaigen Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegentreten (vgl. BGHSt 11, 393, 396; 12, 335, 337). Der Rechtsfrieden tritt nach Ablauf der gesetzlich bestimmten Verjährungsfrist durch Eintritt der Verfolgungsverjährung ein. Den Möglichkeiten einer Verjährungsunterbrechung kommt demnach als
Eingriff in eine vom Gesetz festgesetzte Regelfrist Ausnahmecharakter zu, der zu einer engen Auslegung der Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung nötigt (vgl. BGHSt 12, 335, 337; 26, 80, 83; 28, 381, 382). Indes liegt es in der Natur der Sache, dass in den Fällen, in denen das Gesetz zur Unterbrechung der Verjährung die Anordnung einer Maßnahme genügen lässt, die Unterbrechungshandlung grundsätzlich auch mündlich oder durch schlüssige Handlung ergehen kann (vgl. zu § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB: BGHSt 28, 381, 382; BGH, Beschl. vom 10. September 1982 – 3 StR 280/82; zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG: OLG Schleswig VRS 63, 138; OLG Hamm NStZ 1988, 137). Deshalb ist auch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen grundsätzlich an keine bestimmte Form gebunden (vgl. KG VRS 100, 134, 135; Gübner NZV 1998, 230, 232; König DAR 2002, 526; Olizeg NZV 2005, 130).
bb) Allerdings erfordert jede Feststellung, ob die Verjährungsfrist abgelaufen ist, eine hierfür ausreichend transparente Entscheidungsgrundlage. Die Voraussetzungen einer verjährungsunterbrechenden Anordnung müssen deshalb nach ihrem Inhalt und dem Zeitpunkt ihres Ergehens erkennbar sein und in ihrer Wirkung auf das Verfahren abgeschätzt werden können (vgl. zu § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB: BGHSt 28, 381, 382; BGH bei Holtz MDR 1978, 986). Für die Wirksamkeit der Anordnung, dem Betroffenen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt zu geben, ist es ausreichend, dass sich für deren Zeitpunkt und Inhalt konkrete Anhaltspunkte aus den Akten ergeben (vgl. zu § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB: BGHSt 30, 215, 219 f.; BGH, Beschl. vom 10. September 1982 – 3 StR 280/82; zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG: KG VRS 100, 134, 135) und sich so der behördliche Wille zur Vornahme der Unterbrechungshandlung mit Gewissheit feststellen lässt (vgl. BayObLG DAR 2004, 401; 531, 532; VRS 62, 58, 59; Weller in KK-OWiG 3. Aufl. § 33 Rdn. 11; Göhler, OWiG 14. Aufl. § 33 Rdn. 45; Rebmann /Roth/Herrmann, OWiG 3. Aufl. § 33 Rdn. 46a; Lemke/Mosbacher OWiG 2. Aufl. § 33 Rdn. 10). So liegt es hier.
Der nach Speicherung der Daten des Betroffenen gegen diesen gerichtete Verfolgungswille der Sachbearbeiterin der Verwaltungsbehörde hat sich in den elektronisch gespeicherten Befehlen zur Fertigung und Versendung des Anhörungsbogens manifestiert. Der Zeitpunkt des Eingriffs der Sachbearbeiterin wurde selbsttätig und unveränderbar nach Tag und Uhrzeit – letztere mit Sekundengenauigkeit – gespeichert. Die elektronische Speicherung bietet hier, wie das vorlegende Oberlandesgericht zu Recht betont, eine ausreichende Gewähr für die Zuverlässigkeit und Richtigkeit der erfassten Daten und Befehle. Die auf Papier in der Akte zur Verfügung stehende Vorgangshistorie weist in Bezug auf eine bestimmte Tat sämtliche im Arbeitsprogramm des Rechners vorgenommenen Eingriffe und automatisch gesteuerten Vorgänge aus, anhand derer auch Art, Inhalt und Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung sicher nachzuvollziehen sind (vgl. Olizeg NZV 2005, 130, 131).
Für die Feststellung, welcher Sachbearbeiter die Anordnung getroffen hat, bedarf es ebenfalls keiner Schriftform. Auf Grund der für die Dateneingabe und die Erteilung der weiteren elektronischen Befehle notwendigen Legitimation und deren Darlegung in der Vorgangshistorie kann der Sachbearbeiter , der die Anordnung getroffen hat, eindeutig bestimmt werden. Einer zusätzlichen handschriftlichen Autorisierung der Anordnung bedarf es nicht (Olizeg aaO S. 131; auch mit Nachweisen zur Gegenauffassung).

e) Darüber hinausgehende Anforderungen an die Dokumentation der Anordnung bestehen nicht. Soweit mehrere Oberlandesgerichte (HansOLG VRS 47, 43, 45; DAR 2006, 223, 224; KG VRS 100, 134, 135; OLG Dresden DAR 2004, 534, 535; 2005, 570, 571) die Auffassung vertreten , Unterschrift oder Namenskürzel des Sachbearbeiters würden eine gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen, insbesondere des Nichteintritts der Verjährung dokumentieren, trifft dies nicht zu. Für eine Dokumentation einer solchen Prüfung wäre eine Darlegung der Tatzeit, der Verjährungsfrist und die Feststellung geboten, dass die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt
der Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens noch nicht abgelaufen ist. Eine derartige gesonderte Dokumentation der Prüfung der Verjährungsfrage ist aber sachlich nicht veranlasst und wird auch im Strafverfahren weder von einem Staatsanwalt, der Anklage erhebt, noch von den Strafgerichten , die das Hauptverfahren eröffnen, erheischt. Schon die Strafdrohung des § 344 StGB (vgl. Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 344 Rdn. 3) und das Bedürfnis nach Arbeitserleichterung bieten die hinreichende Gewähr, dass bei Anordnung der Verfahrensfortsetzung die gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen jedenfalls schlüssig erfolgt ist.
3. Die hier niedergelegte Rechtsauffassung stimmt mit den vom Senat in BGHSt 42, 380 gefundenen Anforderungen für den Nachweis des Erlasses eines Bußgeldbescheides überein.
4. Der Senat weist darauf hin, dass nichts anderes zu gelten hätte, wenn die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens dem Betroffenen mittels eines (auch gespeicherten) elektronischen Briefes (vgl. Weller
in KK-OWiG 3. Aufl. § 33 Rdn. 11) erfolgt oder wenn ein – fortentwickeltes – Arbeitsprogramm des Rechners der Verwaltungsbehörde nach individueller Eingabe der Daten des Betroffenen die Erstellung und Versendung des Anhörungsbogens selbsttätig veranlasst (vgl. Olizeg NZV 2005, 130).
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 153/11
vom
23. August 2011
BGHSt: ja zu A II. 3. a
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34
Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik
Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene
rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: gefährlicher Körperverletzung
zu 3.: vorsätzlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2011 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 10. November 2010 werden als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
2. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das vorbezeichnete
Urteil werden
hinsichtlich des Angeklagten C. als unzulässig (§ 349
Abs. 1 StPO),
hinsichtlich der Angeklagten A. und T. als unbegründet
verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die
den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
2
Die Angeklagten waren mit Freunden und Bekannten am Karsamstag 2008 in einer Diskothek in Hard (Österreich), ebenso der Nebenkläger M. . Dieser wollte eine schon abflauende Auseinandersetzung, an der der Angeklagte C. beteiligt war, schlichten. C. schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, es entstand eine aggressive Stimmung. Nunmehr wollten die Angeklagten A. und T. , die zuvor mit C. zusammen am Tisch gewesen waren, C. helfen, der allerdings bald die Diskothek verließ. M. erhielt, auch von A. und T. , Schläge und Tritte, ging zu Boden, konnte sich zunächst aber wieder aufrichten. Es gab weitere, namentlich nicht ermittelte Beteiligte an der Auseinandersetzung. Es flogen Flaschen, eine davon traf auch A. , der seinerseits eine Flasche nahm und sie „in Bauchhöhe“ gegen M. warf. Eine Flasche traf M. so heftig am Kopf, dass er „k.o. ging und völlig hilflos zu Boden sackte“. Dass A. d i e s e Flasche geworfen hatte, steht nicht fest. Er trat aber gemeinsam mit anderen - darunter auch T. - auf den bewusstlos am Boden liegenden M. ein. M. wurde dabei auch gegen den Kopf getreten, ohne dass einem der Beteiligten einzelne Tritte genau zugeordnet werden konnten. M. zog sich sehr schwere Verletzungen zu, z.B. Brüche im Bereich des Jochbeins, der Augenhöhle und des Kiefers. Wegen der Gefahr, Blut einzuatmen, hätte er ohne fremde Hilfe ersticken können. Durch das Gesamtgeschehen wurde er auf einem Auge blind und kann, zu 40% erwerbsgemindert , seinen Beruf nicht mehr ausüben. Auch muss er lebenslang eine Platte im Gesicht tragen.
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde C. wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hinsichtlich der beiden anderen, heranwachsenden Angeklagten konnte sich die Jugendkammer nicht von den in der Anklage noch enthaltenen Vorwürfen des versuchten Totschlags, hinsichtlich A. auch der schweren Körperverletzung (Verlust eines Auges) überzeugen, und verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, A. zu zehn Monaten, T. zu einem Jahr.
4
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und des Nebenklägers. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.

5
Die Revisionen der Angeklagten
6
Sämtliche Revisionen erheben die Sachrüge, die der Angeklagten A. und T. führen sie näher aus. Die Revision des Angeklagten A. ist zusätzlich noch auf Verfahrensrügen gestützt.

I.

7
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. wenden sich gegen die Verwertung der Angaben, die er am 24. März 2009 gegenüber KHK H. gemacht hatte; dieser hatte ihn als Beschuldigten vernommen, nachdem die österreichischen Behörden das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Ravensburg abgegeben hatten. Schon in der Hauptverhandlung war ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung von KHK H. , gestützt auf die Vernehmungsniederschrift , (u.a.) damit begründet worden, er habe ihn nur über sein Schweigerecht, aber nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt und seinen Wunsch nach Unterrichtung des von ihm benannten Verteidigers abgelehnt.
8
Außerdem habe er ihn durch die in der Vernehmungsniederschrift dokumentierten Vorhalte
9
„Du weißt doch genau, dass der M. durch diese [von A. gewor- fene] Flasche das Auge verloren hat“ und später
10
„Laut bisherigen Ermittlungen ist klar, dass durch deinen Flaschenwurf die schweren Verletzungen am linken Auge des M. entstanden sind“ i.S.d. § 136a StPO über den bisherigen Stand der Ermittlungen getäuscht, da er, wie näher dargelegt, gewusst habe, dass es keine den Angeklagten konkret belastenden Erkenntnisse über das Zustandekommen der Augenverletzung gäbe.
11
Zu alledem befragt, erinnerte sich KHK H. genau, A. auch über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt zu haben, was er aber versehentlich nicht protokolliert habe. A. habe erklärt, seine Rechte aus einem früheren Verfahren - ein 2006 gemäß § 45 Abs. 1 JGG behandeltes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs - zu kennen, jedoch nicht den Wunsch nach Kontakt mit (s)einem Rechtsanwalt geäußert. Außerdem erläuterte KHK H. seine damaligen Kenntnisse vom Ermittlungsstand. Die Jugendkammer hielt sei- ne Angaben für „uneingeschränkt überzeugend“, wies den Widerspruch mit nä- her begründetem Beschluss zurück und vernahm ihn zur Sache.
12
Hieran knüpft die Revision an. Sie hält sowohl § 136 StPO als auch § 136a StPO für verletzt.
13
1. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO liege vor, weil der Angeklagte keinen Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen durfte; das Urteil begründe die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret. Seine Angaben seien wegen der entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht dokumentierten Belehrung unglaubhaft, zumal er - so die Revision - erklärt habe, er dokumentiere die Beschuldigtenbelehrung nie in einem gesonderten Formular. Daher ergebe die Prüfung des Vernehmungsablaufs hier „ausschließlich“ das Ergebnis, „dass die Belehrung … nicht stattgefunden hat“. Die Behauptung von KHK H. , der Angeklagte habe geäußert, seine Rechte aus einem früheren Verfahren zu kennen, werde den Gegebenheiten nicht gerecht. Da insgesamt genügende Hinweise auf eine Belehrung fehlten, seien die Angaben des Angeklagten unverwertbar.
14
a) Im Urteil ist die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret begründet. Ob dies als eigenständiger Rechtsfehler gerügt sein soll, mag dahinstehen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln im Urteil sind rechtlich nicht geboten und würden es nur überfrachten (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
15
b) Im Übrigen sprechen die genannten ineinander übergehend beide Gesichtspunkte ansprechenden Ausführungen der Revision dafür, dass Grundlage eines Beweisverwertungsverbots offenbar sowohl die unterbliebene Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 173 f.), als auch die Verhinderung der ausdrücklich gewünschten Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; hierzu Schädler in KK-StPO 6. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 50 mwN) sein soll. Unbeschadet der Frage nach der gebotenen Klarheit der „Angriffsrichtung“ dieser Rüge (vgl. BGH,Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09, NStZ 2010, 403, 404 mwN) in tatsächlicher Hinsicht, erscheint zweifelhaft, ob, wie für eine zulässige Verfahrensrüge stets erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 157/10, StV 2011, 399; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN), der Vortrag widerspruchsfrei ist. Einerseits sei der Hinweis von KHK H. auf die bei der Vernehmung aktuelle Kenntnis des Angeklagten von seinem Recht auf Verteidigerkonsultation - sie stünde trotz unterbliebener Belehrung einem Verwertungsverbot entgegen (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174) - unzutreffend, andererseits habe der Angeklagte Kontakt mit seinem Verteidiger verlangt. Wie es miteinander vereinbar ist, dass ein Recht unbekannt ist, aber dennoch geltend gemacht wird, liegt nicht auf der Hand.
16
c) Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, da der Senat das tatsächliche Vorbringen der Revision, hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung ebenso wie hinsichtlich der verwehrten Kontaktaufnahme, nicht für bewiesen hält (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, StV 1999, 354). Er hat keinen Grund, die Angaben von KHK H. hierzu anders zu bewerten als die Jugendkammer. Er teilt nicht die Auffassung, dass wegen einer entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV teilweise unterbliebenen Protokollierung einer Belehrung bei Gericht „ausschließlich“ oder nahe liegend Lügen des hierfür verantwortli- chen Polizeibeamten zum Vernehmungsablauf zu erwarten seien. Auch konkret spricht hier für diese Möglichkeit nichts.
17
d) Die Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden.
18
Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
19
2. Eine Täuschung des Angeklagten über den Ermittlungsstand (§ 136a StPO) liegt nicht vor. Als der Angeklagte, der auch schon zuvor erklärt hatte, er wisse nicht, wo die von ihm geworfene Flasche getroffen habe, erneut auch auf den ersten als Beleg für eine Täuschung genannten Vorhalt „Du weißt doch genau …“ (oben A. I. vor 1.)nicht bestätigte, M. am Auge getroffen zu haben , hielt ihm KHK H. als nächstes vor: „Aber es ist in der Gruppe bekannt, dass deine Flasche den M. am Auge getroffen hat“, worauf der Angeklagte erwiderte: „Man sagt das deswegen, weil man gesehen hat, dass ich die eine Flasche geworfen habe“. Es gab also - vom Angeklagten sogar als richtig bestä- tigte - polizeiliche Erkenntnisse, dass mehrere bei dem Vorfall anwesende Personen (die „Gruppe“) - unabhängig von Angaben bei der Polizei - geäußert hatten , der Angeklagte habe M. mit der Flasche am Auge verletzt. Schon deshalb hat die Annahme einer Täuschung durch KHK H. keine Grundlage. Außerdem hat die Jugendkammer lediglich festgestellt, dass der Angeklagte - wie von vielen Anwesenden gesehen und auch von ihm schon vor der angeblichen Täuschung eingeräumt - eine Flasche geworfen, aber nicht, dass sie M. am Auge getroffen hat. Selbst wenn, was nicht so ist, eine Täuschung vorläge, hätte sie sich schon nicht auf die Aussagen des Angeklagten bei der Polizei und erst Recht nicht auf das Urteil ausgewirkt.

II.

20
Die auf Grund der von allen Angeklagten erhobenen Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil eines Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat:
21
1. Zum Schuldspruch:
22
a) Vorbringen für den Angeklagten A. :
23
(1) Die Behauptung, die Jugendkammer habe nur Feststellungen zum Flaschenwurf getroffen und nichts festgestellt, was die Beteiligung des Angeklagten an den vorangegangenen Gewalttätigkeiten belege, widerspricht den Urteilsgründen. Danach hatte sich C. unmittelbar vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit M. „an den Nachbartisch zu … A. und T. begeben“. M. hat bekundet, nachdem ihn C. geschlagen hatte, seien dessen „Begleiter oder Freunde … aufgestanden und hätten auf ihn eingeschlagen“. Zweifel an der Glaubwürdigkeit M. s hatte die Jugendkammer nicht, Gründe , warum sie sie hätte haben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
(2) Weite Teile des sonstigen Vorbringens gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen erschöpfen sich in Überlegungen zu alternativen Geschehensabläufen (der Angeklagte könne nach dem Flaschenwurf den Tatort alsbald verlassen oder dort nur zur Beobachtung des weiteren Geschehens „verweilt“ haben), die in den Urteilsgründen keine Anknüpfungspunkte finden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN). Dementsprechend braucht das Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11). Eine auf den Beleg der Richtigkeit ihrer Vermutungen gerichtete Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
25
(3) Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten „umstehende Per- sonen“ aufden am Boden liegenden M. „mit Füßen … ein. ... Hieran waren auch die Angeklagten A. und T. beteiligt“. Angesichts dessen ist die Annahme der Revision, zur Art der Beteiligung des Angeklagten sei nichts festgestellt, nicht nachvollziehbar.
26
b) Vorbringen für den Angeklagten T. :
27
Die Revision verkennt, dass weder die Sach- noch eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt gestützt werden kann (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11; vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 2002, 73 mwN). Deshalb ist auch für die von ihr angeregte Anhörung eines Zeugen durch den Senat kein Raum. Sollte ein Zeuge im weiteren Verlauf wegen eines Aussagedelikts rechtskräftig verurteilt werden, könnte dies Grundlage einer Wiederaufnahme des Verfahrens sein (§ 359 Nr. 2 StPO). Soweit die Revision darüber hinaus im Rahmen der Begrün- dung der Sachrüge wegen der Ablehnung des „Beweisantrag(s) Anlage 8“ eine Verletzung der Aufklärungspflicht sieht, kommt eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge nicht in Betracht, da das Vorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO nicht genügt. Weder der Antrag noch der Beschluss sind mitgeteilt.
28
2. Zum Strafausspruch:
29
a) Ausführungen zum Strafausspruch enthält nur die Revisionsbegründung für den Angeklagten A. . Soweit sich fehlende Feststellungen zur Art der Tatbeteiligung auf den Strafausspruch ausgewirkt haben sollen, gilt nichts anderes als hinsichtlich des Schuldspruchs (vgl. A. II. 1. a (3)). Das übrige Vorbringen erschöpft sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, Bewertungen, die die dem Tatrichter hierbei gezogenen Grenzen an keiner Stelle zum Nachteil des Angeklagten überschreiten, durch eigene zu ersetzen. Zu Unrecht ist die Jugendkammer allerdings davon ausgegangen, der Angeklagte sei „nicht strafrechtlich vorbelastet“ gewesen. Tatsächlich ist er schon 2006 wegen Landfriedensbruchs in Erscheinung getreten (vgl. A. I. vor 1.). Auch wenn nähere Feststellungen hierzu fehlen, handelt es sich dabei jedenfalls um ein Delikt, bei dem es, ähnlich wie hier, um Gewalttätigkeiten aus einer wegen etlicher Beteiligter unübersichtlichen Situation heraus geht. Die unterbliebene Erörterung dieses Gesichtspunkts hat sich jedoch nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
30
b) Auch sonst sind bei der Strafzumessung Rechtsfehler weder zum Nachteil des Angeklagten A. noch zum Nachteil der übrigen Angeklagten ersichtlich.
31
3. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensdauer:
32
Die Jugendkammer hat die Verfahrensdauer nicht nur als bedeutsamen Strafmilderungsgrund angesehen, sondern insoweit auch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil - bis zur Abgabe des zunächst in Österreich anhängigen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Ravensburg „in erster Linie durch die zögerliche Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Ermittlungen seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden schon neun Monate ins Land gegangen“ sind; und - wegen vieler vorrangiger Haftsachen zwischen Eingang der Anklage und Urteil zwölf Monate gelegen haben.
33
In beiden Abschnitten sei das Verfahren in einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zuwiderlaufenden Weise für die Dauer von je neun Monaten verzögert worden, was mit je drei Monaten zu kompensieren sei.
34
Dementsprechend wurden von der gegen den Angeklagten C. verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate (im Urteilstenor) für vollstreckt erklärt.
35
Anders sei, so die Jugendkammer in den Urteilsgründen, demgegenüber hinsichtlich der Angeklagten A. und T. zu verfahren. Da gegen sie Jugendstrafe verhängt sei, sei nicht ein Teil der Strafe für vollstreckt zu erklären, sondern ein Abschlag von der an sich für angemessen gehaltenen Strafe vorzunehmen. Dementsprechend wurde eine Jugendstrafe von einem Jahr statt von einem Jahr und sechs Monaten gegen T. und von zehn Monaten statt von einem Jahr und vier Monaten gegen A. verhängt.
36
Der Senat bemerkt:
37
a) Die Dauer eines Strafverfahrens kann unabhängig von ihren Gründen für die Strafzumessung bedeutsam sein (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598 mwN). Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine (von der Jugendkammer nur knapp geschilderte, nach ihrer Auffassung ) mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unvereinbare Verfahrensverzögerung durch österreichische Behörden hier darüber hinaus auch als konventionswidrig zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist Wiedergutmachung. Sie soll die „Opferstellung“ eines Betroffenen (Art. 34 MRK) beenden und so den jeweiligen Vertragsstaat (hier die Bundesrepublik Deutschland) vor einer möglichen Verurteilung durch den EGMR auf Grund einer Individualbeschwerde wegen Verletzung der MRK bewahren (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 137). Letztlich wird durch eine solche Kompensation eine „im Verantwortungsbereich des Staates“ (BGH aaO 129; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 5 StR 253/09, NStZ 2010, 230 mwN) entstandene „Art Staatshaftungsanspruch“ erfüllt (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138). Dem entspricht, dass Individualbeschwerden gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK zurückgewiesen werden, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen wären (vgl. EGMR, Entscheidung vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92). Dies spricht dagegen, dass ein (etwa) konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der MRK einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, gleichwohl zuzurechnen und von ihm zu kompensieren ist, wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben (so in vergleichbarem Sinne, wenn auch anderen prozessualen Zusammenhängen, BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 77 f. [mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts durch einen anderen Staat im Rahmen von Rechtshilfe] und OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 [mögliche konventionswidrige Verfahrensverzögerung durch einen anderen Staat bei einer hier zur Vollstreckung übernommenen Verurteilung] jew. mwN).
38
b) Der Senat kann auf der Grundlage der hierzu ebenfalls knappen Feststellungen nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange das Verfahren durch die Jugendkammer konventionswidrig verzögert wurde (vgl. zu hierfür we- sentlichen Punkten BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2453 f.). Jedenfalls handelt es sich hier um eine „Jugendschwurgerichtssache“ (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG) gegen (ursprünglich) fünf nicht inhaftierte Angeklagte. Diesen lagen, hinsichtlich der einzelnen Angeklagten differenziert, unterschiedliche Delikte teilweise sehr erheblichen Gewichts (gefährliche Körperverletzung , schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag) zum Nachteil des am Verfahren als Nebenkläger beteiligten Geschädigten zur Last. Sämtliche Taten sollten die nicht geständigen Angeklagten im Rahmen eines tumultartigen und daher schwer klärbaren Geschehens begangen haben, wobei einige Zeugen der im Ausland begangenen Tat(en) im Ausland wohnten. Der Senat hält es danach jedenfalls nicht für menschenrechtswidrig, dass hier nicht schon etwa drei Monate nach Eingang der Anklage ein Urteil erging.
39
c) Außerdem ist bei der Prüfung einer etwaigen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung stets die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra 2009, 147, 148 mwN). Es ist daher kein zutreffender Ansatz, nach jeweils nur isolierter Bewertung für mehrere Verfahrensabschnitte jeweils gesonderte Kompensationen zu bestimmen und diese dann zu addieren.
40
d) Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung kann gegebenenfalls schon durch ihre Feststellung genügend kompensiert sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57 mwN). Jedenfalls hätte die Jugendkammer, die diese hier nahe liegende Möglichkeit nicht geprüft hat, bei der Bemessung der Kompensation aber erkennbar zu erwägen gehabt, dass sie, wie dargelegt, schon bei der Strafzumessung die Verfahrensdauer strafmildernd bewertet hat, sodass darüber hinaus nur noch deren konventionswidrige Verursachung auszugleichen ist. Dies wird, von hier nicht erkennbaren besonderen Fallgestaltungen abgesehen, vielfach dazu führen, dass sich eine Kompensation nur noch auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken hat (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146, 147; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra aaO mwN). Die Jugendkammer hat demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der von ihr für angemessen gehaltenen Strafen für vollstreckt erklärt bzw. nicht ausgesprochen. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene Berücksichtigung des Zeitfaktors als Ausgleich für Justiz und Ermittlungsbehörden anzulastenden Mängeln den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 17. November 2010 - 1 StR 145/10, wistra 2011, 115, 116 mwN).
41
e) Einer abschließenden Entscheidung der aufgezeigten Gesichtspunkte hinsichtlich der Verfahrensverzögerung bedarf es hier aber nicht, da sie sich ersichtlich nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt haben.
42
f) Im Übrigen ist die Umsetzung der von der Jugendkammer für erforderlich gehaltenen Kompensation nur hinsichtlich des Angeklagten C. („Voll- streckungsmodell“) rechtsfehlerfrei.
43
Die Annahme, bei Verhängung von Jugendstrafe sei demgegenüber nicht das Vollstreckungsmodell anzuwenden, sondern ein Strafabschlag vorzunehmen , entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, jedenfalls, wenn die Jugendstrafe, wie jeweils hier, allein auf eine Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) gestützt ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57; Urteil vom 9. Mai 2010 - 2 StR 278/09 jew. mwN). Die Angeklagten sind dadurch jedoch nicht beschwert. Ein Angeklagter kann schon generell ohnehin allenfalls unter sehr ungewöhnlichen Umständen beschwert sein, wenn eine niedrigere statt einer höheren - sei es auch teilweise als vollstreckt geltenden - Strafe ausgesprochen wird (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2454; vgl. auch Pohlit in FS Rissing-van Saan, 453, 457). Hier kommt hinzu, dass der Strafabschlag dazu führte, dass die Jugendstrafen schon nach Maßgabe von § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und nicht wie die von der Jugendkammer an sich für angemessen gehaltenen Strafen nur unter den demgegenüber (schon ausweislich des Gesetzeswortlauts) engeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 JGG (vgl. hierzu Brunner/Dölling JGG 11. Aufl., § 21 Rn. 11, 11a; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 54/08, StV 2008, 400 zum strukturell identischen Fall, dass der Strafabschlag § 56 Abs. 1 StGB anwendbar macht, während bei dem Vollstreckungsmodell nur § 56 Abs. 2 StGB anwendbar wäre).

B.

44
Die Revisionen des Nebenklägers

I.

45
Revision zum Nachteil des Angeklagten C. :
46
1. Die Revision wurde uneingeschränkt in der „Strafsache gegen A. u.a.“ eingelegt. Ebenso uneingeschränkt ist im Rahmen der Revisionsbegründung beantragt (§ 344 Abs.1 StPO), das Urteil aufzuheben. Die auf die Sachrüge gestützte Begründung erwähnt den Angeklagten C. nicht, sondern legt ausschließlich dar, warum das Urteil hinsichtlich der Angeklagten A. und T. rechtsfehlerhaft ist. Zur Begründung herangezogen sind ausschließlich Feststellungen zum Geschehen, das sich ereignete, nachdem C. die Diskothek verlassen hatte.
47
2. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob das Urteil auch zum Nachteil des Angeklagten C. angefochten ist. Die Revisionseinlegungsschrift spricht eher dafür, da sich die Nebenklage auch gegen den auch wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilten Angeklagten C. richtete. Gleiches gilt im Ergebnis für den Revisionsantrag. Gegen eine Revision zum Nachteil des Angeklagten C. spricht die Revisionsbegründung, die ihn weder erwähnt, noch sich auf die ihm zur Last gelegte Tat bezieht. Der Senat hat erwogen, ob hier, wie auch sonst bei Zweifeln über den Umfang einer Revision, deren Begründung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118 mwN). Dies hat er verneint. Wird, sei es auch in nur einem Schriftsatz, ein gegen mehrere Angeklagte ergangenes Urteil uneingeschränkt angefochten, gilt dies regelmäßig hinsichtlich jedes Angeklagten. Es liegen der Sache nach mehrere, voneinander unabhängige Rechtsmittel vor. Dann kann aber nicht allein der späteren Begründung des Rechtsmittels zum Nachteil eines Angeklagten inzident entnommen werden, dass zum Nachteil eines anderen Angeklagten doch kein Rechtsmittel eingelegt sein soll. Die Frage nach dem Umfang eines Rechtsmittels ist von anderer Art als die Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel eingelegt ist. Insoweit kommt es allein auf die Einlegungsschrift an.
48
3. Die danach (auch) zum Nachteil des Angeklagten C. eingelegte Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), da mangels konkreter Begründung nicht erkennbar ist, dass sie ein von einer Nebenklägerrevision erreichbares Ziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgte.

II.

49
Revisionen zum Nachteil der Angeklagten A. und T. :
50
Insoweit hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung(en) gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, der diesen Revisionen des Nebenklägers zum Erfolg verhelfen könnte.
51
1. Die Annahme, dass insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen ein Tötungsvorsatz in Betracht kommen kann, liegt im Grundsatz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10, 11; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05). Die insoweit freilich sehr knappen Ausführungen der Jugendkammer ergeben im Kontext mit den sonstigen Urteilsgründen, dass der Jugendkammer auch im Blick auf ein eher spontanes, sich rasch intensivierendes Geschehen Zweifel an einem solchen Vorsatz verblieben. Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer angesichts des in seiner ständigen Bewegung schnell wechselnden und nur begrenzt zuverlässig zu rekonstruierenden tumultartigen Geschehens keine Handlungen der Angeklagten festzustellen vermochte, die die Annahme eines Tötungsvorsatzes aufdrängten. Vergleichbares gilt hinsichtlich des beim Nebenkläger eingetretenen Verlusts des Auges und der sonstigen schweren Verletzungen , von deren Verursachung durch die Angeklagten sich die Jugendkammer ebenfalls nicht zweifelsfrei überzeugen konnte. All dies liegt auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens noch im Rahmen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung, sodass es nicht darauf ankommt, ob auch eine andere Würdigung vertretbar erschiene.
52
2. Näher noch als die Annahme eines versuchten Totschlags und/oder einer schweren Körperverletzung hätte die Annahme einer Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB, zweite Alternative) gelegen, da die Angeklagten sich gemeinsam mit anderen an einem u.a. auch durch Flaschenwürfe begangenen Angriff auf M. beteiligten, durch den dieser ein Auge verlor, ohne dass es darauf ankäme, welche konkrete Handlungen ihnen im Blick auf die hier, wie in solchen Fällen typisch, vorliegende Beweisnot zugerechnet werden können (vgl. zusammenfassend Fischer StGB 58. Aufl., § 231 Rn. 1, 2, 4 ff. mwN). Näher nachzugehen braucht der Senat dem aber nicht, weil § 231 StGB kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt ist; ein nur hierauf bezogener etwaiger Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten kann einer hinsichtlich der Anwendung von Nebenklagedelikten erfolglosen Nebenklägerrevision nicht zum Erfolg verhelfen (BGH, Urteil vom 21. August 2008 - 3 StR 236/08, NStZ-RR 2009, 24, 25; BGH, Urteil vom 12. März 1997 - 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403 jew. mwN). Gleiches gilt im Ergebnis insoweit, als die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob eine nur nach ihrer einzelfallbezogen abstrakten Gefährlichkeit, nicht nach ihren konkreten Folgen zu beurteilende lebensgefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer aaO § 224 Rn. 12 mwN) vorliegt, oder ob im Blick auf bei den Tritten nahe liegend von den Angeklagten getragene Schuhe gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 - 4 StR 347/09, NStZ 2010, 151 mwN) verwendet wurden. Das Hinzutreten weiterer Tatbestandsalternativen eines ohnehin abgeurteilten Delikts betrifft den Schuldumfang und daher den Strafausspruch (BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, NJW 1999, 2449; BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371 jew. mwN) und kann daher einer Nebenklägerrevision ebenso wenig zum Erfolg verhelfen wie sonstige nur den Strafausspruch betreffende Rechtsfehler (§ 400 StPO). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf