Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2012 - 2 StR 565/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
- 2
- 1. Nach der Anklage wurde dem Angeklagten, der Bewerber um ein Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages war, vorgeworfen, er habe am 6. April 2009 die Nebenklägerin, seine damalige Wahlkampfhelferin, sexuell genötigt. Diese sei gegen 14.15 Uhr in sein Haus gekommen. Nach 90 Minuten gemeinsamer Arbeit sei eine Auseinandersetzung entstanden, worauf die Nebenklägerin das Haus verlassen wollte. Als sie ihre Tasche holte, habe der Angeklagte ihr in die Hose gegriffen. Darauf sei es zu einem Gerangel gekommen, in dessen Verlauf der Angeklagte die Nebenklägerin mit seinem rechten Unterarm an ihrem Brustbein so an die Wand gedrückt habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Seine Frage, ob sie mit ihm schlafen wolle, habe die Nebenklägerin mit dem Hinweis verneint, "ihre Tage" zu haben, worauf er Oralverkehr verlangt habe. Nach Ablehnung dieses Ansinnens habe der Angeklagte begonnen, die Nebenklägerin zu küssen. Er habe sie unter dem Pullover sowie am Hals angefasst. Aus Angst vor Gewalt habe sie seinen Hosengürtel geöffnet, um ihre Bereitschaft vorzutäuschen, bei ihm Oralverkehr auszuüben. Dann habe sie ihn weggestoßen und sei geflohen.
- 3
- 2. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Nebenklägerin den Angeklagten bewusst zu Unrecht belastet habe. Der Angeklagte und die verheiratete Nebenklägerin, die ihre erste juristische Staatsprüfung bestanden hatte und halbtags wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl war, hatten von Mai bis Oktober 2008 eine intime Beziehung gehabt, bis die Lebensgefährtin des Angeklagten davon erfahren hatte. Diese hatte sich nach kurzer Trennung wieder dem Angeklagten angenähert, aber verlangt, dass die Nebenklägerin nicht mehr für ihn tätig werden dürfe. Gleichwohl setzte der Angeklagte die Zusammenarbeit mit der Nebenklägerin fort. Diese erhoffte sich für den Fall seiner Wahl zum Bundestagsabgeordneten eine Stellung als wissenschaftliche Mitar- beiterin. Für ihre bisherige Arbeit forderte sie 42.000 Euro und verlangte am 6. April 2009 die Unterzeichnung eines entsprechenden schriftlichen Schuldanerkenntnisses , was der Angeklagte ablehnte. Ende April 2009 stellte dieser den Zeugen S. als seinen künftigen Mitarbeiter vor, wodurch sich die Hoffnung der Nebenklägerin auf diese Position zerschlug. Auch gegenüber ihrem Ehemann , der nichts von der zeitweiligen Intimbeziehung gewusst und ebenso wie die Nebenklägerin selbst eine Bezahlung ihrer Tätigkeit als Wahlkampfhelferin erwartet hatte, geriet sie in Erklärungsnot. Daraufhin entschloss sie sich, den Angeklagten zu Unrecht einer Sexualstraftat zu bezichtigen. Sie informierte die Parteiverantwortlichen über den Vorwurf, worauf der Angeklagte seine Kandidatur zurückzog. Am folgenden Tag erstattete sie Strafanzeige.
- 4
- Die Strafkammer hat den Angaben der Nebenklägerin nicht geglaubt. Ihre Überzeugung von deren Unrichtigkeit folgerte sie aus der Detailarmut der Zeugenaussage zum eigentlichen Tatgeschehen, aus einer Inkonstanz gegenüber früheren Angaben, aus der unzutreffenden Behauptung einer posttraumatischen Belastungsstörung, aus dem Einsatz vorgetäuschten Weinens bei Vernehmungen und aus der Herstellung einer Informationskette zu Parteiverantwortlichen mit nachteiligen Folgen für den Angeklagten. Zudem habe die Nebenklägerin ein Motiv für eine Rachehandlung gehabt. Schließlich entspreche das von ihr behauptete Verhalten bei dem sexuellen Übergriff nicht der früheren Vorgehensweise des Angeklagten gegenüber anderen Frauen, denen er sich zwar sexuell genähert, deren Ablehnung er aber stets akzeptiert habe.
II.
- 5
- Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.
- 6
- 1. Die Formalrügen, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Ein- holung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt, sind aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Dezember 2011 unbegründet.
- 7
- 2. Auch die Sachbeschwerden zeigen keinen Rechtsfehler auf.
- 8
- a) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung gebildet, die Nebenklägerin habe den Angeklagten zu Unrecht belastet. Dies ist nur in einer Gesamtschau aller Umstände möglich. Die Urteilsgründe lassen nicht besorgen , dass die Strafkammer die erforderliche Gesamtwürdigung (BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111) versäumt hat.
- 9
- b) Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 89/05), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Erörterungslücken hinsichtlich wesentlicher Aspekte, Unklarheiten oder Widersprüche liegen nicht vor. Hervorzuheben ist nur Folgendes:
- 10
- aa) Zwar wäre die Annahme fehlender "Detailliertheit" der Zeugenaussage zum eigentlichen Tatgeschehen für sich genommen zweifelhaft. Das Landgericht hat aber erläutert, dass das Kerngeschehen im Verhältnis zu den Hintergründen und dem Randgeschehen innerhalb der breiten Sachdarstellung der Nebenklägerin, die das Landgericht - unnötigerweise in sämtlichen Einzelheiten - im Urteilstext mitgeteilt hat, geringen Raum eingenommen hat. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
- 11
- bb) Es ist auch nicht zu besorgen, dass das Landgericht frühere sexuelle Übergriffe des Angeklagten gegenüber anderen Frauen nicht ausreichend berücksichtigt hat. Diese sind im Urteil erwähnt. Einer breiteren Darstellung bedurfte es von Rechts wegen nicht (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Das Landgericht hat bedacht, dass sich der Angeklagte bei früheren Vorfällen anders verhalten hat, als es ihm nun vorgeworfen wird; so hat er keine Gewalt angewendet und den seinen sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen der Frauen stets respektiert, sobald dieser geäußert wurde.
- 12
- cc) Es war nicht erforderlich, weitergehende Feststellungen zum Vorleben und zur Persönlichkeit des Angeklagten zu treffen. Es ist nicht ersichtlich, dass hieraus ein aussagekräftiges Indiz für die Richtigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu gewinnen gewesen wäre.
- 13
- dd) Auch soweit die Strafkammer darauf hingewiesen hat, dass die Nebenklägerin ein Rachemotiv für eine Falschbelastung des Angeklagten gehabt habe, liegt kein Rechtsfehler vor. Die Existenz eines solchen Motivs besagt zwar für sich genommen noch nicht, dass die Nebenklägerin aus diesem Rachegedanken heraus tatsächlich einen unwahren Vorwurf erhoben hat. In der Zusammenschau mit weiteren Umständen, wie dem auffälligen Verhalten der Nebenklägerin nach dem 6. April 2009, die anfangs noch unbeeinträchtigt weiter mit dem Angeklagten zusammengearbeitet hatte, später aber angeblich schwer traumatisiert war, gewinnt das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs jedoch an Beweisbedeutung.
III.
- 14
- Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch das Rechtsmittel der Nebenklägerin erfolglos geblieben ist, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen im Revisionsverfahren zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2011 - 2 StR 467/10; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10).
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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.