Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2012 - 2 StR 565/11

bei uns veröffentlicht am07.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 565/11
vom
7. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der sexuellen Nötigung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Sitzung vom
7. März 2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof und
Staatsanwältin
als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin ,
der Angeklagte in Person,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 2. März 2011 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihrer Revision zu tragen. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen haben die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach der Anklage wurde dem Angeklagten, der Bewerber um ein Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages war, vorgeworfen, er habe am 6. April 2009 die Nebenklägerin, seine damalige Wahlkampfhelferin, sexuell genötigt. Diese sei gegen 14.15 Uhr in sein Haus gekommen. Nach 90 Minuten gemeinsamer Arbeit sei eine Auseinandersetzung entstanden, worauf die Nebenklägerin das Haus verlassen wollte. Als sie ihre Tasche holte, habe der Angeklagte ihr in die Hose gegriffen. Darauf sei es zu einem Gerangel gekommen, in dessen Verlauf der Angeklagte die Nebenklägerin mit seinem rechten Unterarm an ihrem Brustbein so an die Wand gedrückt habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Seine Frage, ob sie mit ihm schlafen wolle, habe die Nebenklägerin mit dem Hinweis verneint, "ihre Tage" zu haben, worauf er Oralverkehr verlangt habe. Nach Ablehnung dieses Ansinnens habe der Angeklagte begonnen, die Nebenklägerin zu küssen. Er habe sie unter dem Pullover sowie am Hals angefasst. Aus Angst vor Gewalt habe sie seinen Hosengürtel geöffnet, um ihre Bereitschaft vorzutäuschen, bei ihm Oralverkehr auszuüben. Dann habe sie ihn weggestoßen und sei geflohen.
3
2. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Nebenklägerin den Angeklagten bewusst zu Unrecht belastet habe. Der Angeklagte und die verheiratete Nebenklägerin, die ihre erste juristische Staatsprüfung bestanden hatte und halbtags wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl war, hatten von Mai bis Oktober 2008 eine intime Beziehung gehabt, bis die Lebensgefährtin des Angeklagten davon erfahren hatte. Diese hatte sich nach kurzer Trennung wieder dem Angeklagten angenähert, aber verlangt, dass die Nebenklägerin nicht mehr für ihn tätig werden dürfe. Gleichwohl setzte der Angeklagte die Zusammenarbeit mit der Nebenklägerin fort. Diese erhoffte sich für den Fall seiner Wahl zum Bundestagsabgeordneten eine Stellung als wissenschaftliche Mitar- beiterin. Für ihre bisherige Arbeit forderte sie 42.000 Euro und verlangte am 6. April 2009 die Unterzeichnung eines entsprechenden schriftlichen Schuldanerkenntnisses , was der Angeklagte ablehnte. Ende April 2009 stellte dieser den Zeugen S. als seinen künftigen Mitarbeiter vor, wodurch sich die Hoffnung der Nebenklägerin auf diese Position zerschlug. Auch gegenüber ihrem Ehemann , der nichts von der zeitweiligen Intimbeziehung gewusst und ebenso wie die Nebenklägerin selbst eine Bezahlung ihrer Tätigkeit als Wahlkampfhelferin erwartet hatte, geriet sie in Erklärungsnot. Daraufhin entschloss sie sich, den Angeklagten zu Unrecht einer Sexualstraftat zu bezichtigen. Sie informierte die Parteiverantwortlichen über den Vorwurf, worauf der Angeklagte seine Kandidatur zurückzog. Am folgenden Tag erstattete sie Strafanzeige.
4
Die Strafkammer hat den Angaben der Nebenklägerin nicht geglaubt. Ihre Überzeugung von deren Unrichtigkeit folgerte sie aus der Detailarmut der Zeugenaussage zum eigentlichen Tatgeschehen, aus einer Inkonstanz gegenüber früheren Angaben, aus der unzutreffenden Behauptung einer posttraumatischen Belastungsstörung, aus dem Einsatz vorgetäuschten Weinens bei Vernehmungen und aus der Herstellung einer Informationskette zu Parteiverantwortlichen mit nachteiligen Folgen für den Angeklagten. Zudem habe die Nebenklägerin ein Motiv für eine Rachehandlung gehabt. Schließlich entspreche das von ihr behauptete Verhalten bei dem sexuellen Übergriff nicht der früheren Vorgehensweise des Angeklagten gegenüber anderen Frauen, denen er sich zwar sexuell genähert, deren Ablehnung er aber stets akzeptiert habe.

II.


5
Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.
6
1. Die Formalrügen, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Ein- holung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt, sind aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Dezember 2011 unbegründet.
7
2. Auch die Sachbeschwerden zeigen keinen Rechtsfehler auf.
8
a) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung gebildet, die Nebenklägerin habe den Angeklagten zu Unrecht belastet. Dies ist nur in einer Gesamtschau aller Umstände möglich. Die Urteilsgründe lassen nicht besorgen , dass die Strafkammer die erforderliche Gesamtwürdigung (BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111) versäumt hat.
9
b) Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 89/05), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Erörterungslücken hinsichtlich wesentlicher Aspekte, Unklarheiten oder Widersprüche liegen nicht vor. Hervorzuheben ist nur Folgendes:
10
aa) Zwar wäre die Annahme fehlender "Detailliertheit" der Zeugenaussage zum eigentlichen Tatgeschehen für sich genommen zweifelhaft. Das Landgericht hat aber erläutert, dass das Kerngeschehen im Verhältnis zu den Hintergründen und dem Randgeschehen innerhalb der breiten Sachdarstellung der Nebenklägerin, die das Landgericht - unnötigerweise in sämtlichen Einzelheiten - im Urteilstext mitgeteilt hat, geringen Raum eingenommen hat. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
11
bb) Es ist auch nicht zu besorgen, dass das Landgericht frühere sexuelle Übergriffe des Angeklagten gegenüber anderen Frauen nicht ausreichend berücksichtigt hat. Diese sind im Urteil erwähnt. Einer breiteren Darstellung bedurfte es von Rechts wegen nicht (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Das Landgericht hat bedacht, dass sich der Angeklagte bei früheren Vorfällen anders verhalten hat, als es ihm nun vorgeworfen wird; so hat er keine Gewalt angewendet und den seinen sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen der Frauen stets respektiert, sobald dieser geäußert wurde.
12
cc) Es war nicht erforderlich, weitergehende Feststellungen zum Vorleben und zur Persönlichkeit des Angeklagten zu treffen. Es ist nicht ersichtlich, dass hieraus ein aussagekräftiges Indiz für die Richtigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu gewinnen gewesen wäre.
13
dd) Auch soweit die Strafkammer darauf hingewiesen hat, dass die Nebenklägerin ein Rachemotiv für eine Falschbelastung des Angeklagten gehabt habe, liegt kein Rechtsfehler vor. Die Existenz eines solchen Motivs besagt zwar für sich genommen noch nicht, dass die Nebenklägerin aus diesem Rachegedanken heraus tatsächlich einen unwahren Vorwurf erhoben hat. In der Zusammenschau mit weiteren Umständen, wie dem auffälligen Verhalten der Nebenklägerin nach dem 6. April 2009, die anfangs noch unbeeinträchtigt weiter mit dem Angeklagten zusammengearbeitet hatte, später aber angeblich schwer traumatisiert war, gewinnt das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs jedoch an Beweisbedeutung.

III.

14
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch das Rechtsmittel der Nebenklägerin erfolglos geblieben ist, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen im Revisionsverfahren zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2011 - 2 StR 467/10; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10).
Appl Berger Krehl Eschelbach Ott

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
6
Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
7
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
8
Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


9
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
11
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

12
2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
13
a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
14
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
15
aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
16
bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
17
b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
18
c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
19
d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
20
e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
21
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
22
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 89/05
vom
21. April 2005
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. April 2005 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 3. Mai 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Jugendlichen in zwei Fällen (II 1. b) und c) der Urteilsgründe) sowie wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (Fall II. 2 b) der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Geschädigten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
1. a) Nach den Feststellungen zu den Fällen II 1. b) und c) der Urteilsgründe lernte der Angeklagte den unter einer „mittelschwere(n) geistige(n) Behinderung“ (UA 24/25) leidenden 15jährigen Ronny M. im Frühjahr 2002 kennen. Er traf sich in der Folgezeit häufiger mit ihm. Als Ronny den Angeklagten nach Geld fragte, versprach dieser ihm 10 Euro. Er nahm den Jungen daraufhin mit in seine Wohnung, in der es im Sommer 2003 zu folgenden Handlungen kam:
Nachdem sich Ronny und der Angeklagte entkleidet hatten, führte der Angeklagte erst einen Finger und später zumindest teilweise seinen erigierten Penis in den After des Jungen ein, um sich sexuell zu befriedigen. Dies tat dem Jungen, „der es auch widerlich fand“ (UA 17), weh (Fall II 1.b).
An einem anderen Tag versuchte der sexuell erregte Angeklagte erneut den Analverkehr, was ihm jedoch nicht gelang, da der Junge sich wegdrehte und den Angeklagten wegschubste. Der Angeklagte befriedigte sich daraufhin selbst und ejakulierte auf das Gesäß des Jungen (Fall II 1.c).
Da der Geschädigte die ihm versprochenen 10 Euro nicht erhielt, fühlte er sich von dem Angeklagten „verarscht“ (UA 18) und sprach „über die Sache“ mit einer älteren Frau, die er zufällig getroffenen hatte. Diese informierte den Pflegevater des Geschädigten, der daraufhin am 29. Juli 2003 Anzeige bei der Polizei erstattete.

b) Die Verurteilung des Angeklagten in diesen Fällen hat keinen Bestand , weil die Annahme des Landgerichts, der Geschädigte sei widerstands-
unfähig im Sinne von § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewesen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Sie ist nicht ausreichend mit Tatsachen belegt.
aa) Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wer aus den dort genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstand bilden, äußern oder durchsetzen kann. Dabei genügt, daß das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist. Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kommen nicht nur geistig-seelische Erkrankungen sondern auch sonstige geistig -seelische Beeinträchtigungen in Betracht, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation ergeben (BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 1). Die bloße Feststellung einer geistigen Behinderung allein genügt für die Annahme von Widerstandsunfähigkeit aber nicht (BGH NStZ 2003, 602; BGH, Beschluß vom 26. Januar 2005 - 2 StR 456/04; Tröndle /Fischer StGB 52. Aufl. § 179 Rdn. 9, 11). Der Tatrichter hat vielmehr - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung , in die auch das aktuelle Tatgeschehen einzubeziehen ist, die geistig-seelische Verfassung des Opfers und deren Auswirkung auf das Opferverhalten zu prüfen, wobei für die Beurteilung der relevanten geistigseelischen Beeinträchtigung die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Frage der Bewußtseinsstörung und seelischen Abartigkeit eines Täters entsprechend anwendbar sind (BGHSt 36, 145, 147). Das Urteil läßt nicht erkennen, daß die Jugendkammer diese Prüfung vorgenommen hat.
bb) Insoweit fehlt es bereits an der gebotenen näheren Darlegung zum Zustand des Jungen und dessen Auswirkungen auf die Fähigkeit, eine sexuelle Mißbrauchssituation zu erkennen und einen Widerstandswillen zu bilden. Al-
lein der pauschale Hinweis auf eine „mittelschwere geistige Behinderung (schwere Debilität)“ (UA 24/25) genügt dafür ebenso wenig wie die bloße Mitteilung , der Grad der Behinderung des Jungen werde „in seinem Schwerbehindertenausweis mit 100 angegeben“ (UA 17). Zweifel an einer Widerstandsunfähigkeit ergeben sich schon daraus, daß der Geschädigte dem Angeklagten ersichtlich nur wegen der ihm versprochenen 10 Euro in die Wohnung gefolgt ist und er die sexuellen Handlungen auch nur deswegen an sich hat vornehmen lassen. Dies belegt auch sein späteres Verhalten, indem er sich gegenüber der ihm bis dahin unbekannten Frau über den Angeklagten beschwerte, weil er das versprochene Geld nicht erhalten hatte. Zudem vermochte sich der Geschädigte im Fall II 1 c) dem Versuch des erneuten Analverkehrs dadurch zu widersetzen, daß er sich wegdrehte und den Angeklagten wegschubste. Mit diesen Umständen, die der Annahme entgegenstehen, der Geschädigte habe sich gerade aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung den sexuellen Übergriffen des Angeklagten nicht entziehen können, hätte sich die Jugendkammer näher auseinander setzen müssen.

c) Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen einer Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten im Sinne des § 179 StGB erneut zu prüfen und dabei einen solchen Zustand von einer auf Unreife beruhenden eingeschränkten Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung im Sinne des § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB abzugrenzen haben (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Januar 2005 – 2 StR 456/04). Soweit sich hiernach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 179 StGB nicht feststellen lassen, kommt insoweit allerdings möglicherweise eine Verurteilung wegen Versuchs (§ 179 Abs. 3 StGB a.F.) in Betracht, sofern auch der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangt, dem Angeklagten sei „bewußt (gewesen), daß Ronny M. geistig behindert und aufgrund dessen unfähig war,
die sexuellen Handlungen abzuwehren“ (UA 18). Im übrigen wird der neue Tatrichter eine Strafbarkeit des Angeklagten auch nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB zu prüfen haben.
2. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II 2 b) der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Nach den insoweit vom Landgericht getroffenen Feststellungen saß der Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren Tag in einer der ersten Septemberwochen 2003 mit der damals siebenjährigen Katja L. zusammen mit deren seinerzeit 17jähriger Schwester, mit der er ein intimes Verhältnis hatte, sowie mit der Mutter der Mädchen im Wohnzimmer beim Fernsehen. Nachdem die Mutter aufgrund erheblichen Alkoholgenusses eingeschlafen war und die ältere Schwester entweder ebenfalls eingeschlafen war oder den Raum verlassen hatte, bewegte der Angeklagte seine Hand zunächst oberhalb der Kleidung und anschließend unterhalb der Kleidung außen am Geschlechtsteil des Kindes hin und her. Weil das Kind sich sträubte, hielt er es hierbei mit der anderen Hand an deren Armen fest. Als sich Katja „nun auch verbal bemerkbar machte“ (UA 19), ließ der Angeklagte von ihr ab.

b) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen aufgrund der Angaben von Katja gewonnen, die es „trotz intellektueller Einschränkung“ des Mädchens (UA 28) für glaubhaft hält. Hierin sieht es sich bestätigt durch das Gutachten des zur Glaubwürdigkeit des Mädchens gehörten Sachverständigen. Zur Entstehungsgeschichte der Aussage hat die
Jugendkammer allerdings nicht feststellen können, wem sich das Kind als erstes offenbarte; fest stehe aber, daß Katja gemeinsam mit ihrer Schwester am Abend des 12. September 2003, möglicherweise in Begleitung ihres Bruders, zu ihrem Vater gegangen sei; Katja habe hier ihrem Vater mitgeteilt, daß der Angeklagte „ihr zwischen die Beine gefaßt“ habe (UA 27). Daß der Angeklagte im Ermittlungsverfahren einen sexuellen Übergriff bestritten hat, bewertet die Jugendkammer als „bloße Schutzbehauptung“ (UA 27).

c) Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung in erster Linie Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden und der Tatrichter in einem Fall, in dem „Aussage gegen Aussage“ steht und die Entscheidung – wie hier – im wesentlichen davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände, die seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGH NStZ 2000, 496, 497; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Bei der Aussage kindlicher bzw. jugendlicher Zeugen in Mißbrauchsfällen kommt zudem der Entstehungsgeschichte der Beschuldigung besondere Bedeutung zu (vgl. BGH StV 1994, 227; 1995, 6, 7; 1998, 250).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung, mit der sich die Jugendkammer dem Sachverständigen angeschlossen hat, angesichts der Besonderheiten des Falles nicht gerecht. Das Landgericht hätte, wenn es schon nicht feststellen konnte, wem sich das Kind als erstes offenbarte, „weil die Zeu-
gen … unterschiedliche Angaben machten“ (UA 27), die Widersprüche darstellen müssen, um die Entstehung der Erstaussage des Kindes – auch im Hinblick auf einen möglichen Einfuß von Dritten auf den Inhalt der Angaben des Kindes – für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu würdigen. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Aussageentstehung war zumal deshalb veranlaßt, weil das Landgericht auch nicht festzustellen vermochte, ob Katja „später ihrer Mutter von dem Vorfall berichtet hat und der Angeklagte die Tat gegenüber (der Mutter) daraufhin abgestritten hat und die Mutter deshalb nichts unternahm“ (UA 19/20). Insoweit hätte es der Darlegung bedurft, was Katja und ihre Mutter hierzu ausgesagt haben. Eine weiter gehende Erörterung der Aussageentstehung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sich die Jugendkammer die eher allgemein gehaltenen Ausführungen des aussagepsychologischen Sachverständigen , der die Angaben von Katja „zum Nachweis der Schuld oder Unschuld des Angeklagten empfohlen“ hat (UA 28), zu eigen gemacht hat. Hinzu kommt, daß die Erwägung, mit der die Jugendkammer Eifersucht von Katja als mögliches Falschbelastungsmotiv ausgeschlossen hat, nicht ohne weiteres tragfähig ist. Daß Katja „von dem Angeklagten nicht dessen Liebe gewonnen, sondern durch ihre Äußerung gerade verloren“ hätte (UA 26), besagt über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Eifersucht nichts.
3. Die Aufhebung des Urteils im gesamten Schuld- und Strafspruch zieht die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nach sich.
Der neue Tatrichter wird – sofern er die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB wiederum bejaht – Gelegenheit haben, die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, zu der sich das angefochtene Urteil nicht
verhält, in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen. Unter diesem Gesichtspunkt wird der neue Tatrichter eine umfassende Würdigung des Angeklagten und seiner Taten vorzunehmen haben. Dieser Aufgabe ist der Tatrichter nicht etwa deshalb enthoben, weil sich der gemäß § 246 a StPO gehörte psychiatrische Sachverständige „aufgrund des hohen Widerstandes gegenüber dem Gutachter und der Unzuverlässigkeit des Angeklagten bezüglich seiner Angaben und der damit verbundenen Informationsdefizite“ (UA 29) an der eindeutigen Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gehindert gesehen hat. Vielmehr ist es in einem solchen Fall Aufgabe des Gerichts , unter Mithilfe des Sachverständigen alle übrigen ihm – etwa auch aus den Vorstrafakten – zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Darüber hinaus hat der Sachverständige das Gericht auf - seiner Ansicht nach - aufklärungsbedürftige und für die Beurteilung wesentliche Punkte hinzuweisen , um durch weitere Aufklärung die Grundlage für seine gutachterliche Stellungnahme in dem von ihm selbst für erforderlich gehaltenen Maße verbreitern zu können (BGH NStZ 1994, 95, 96).
Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, daß für den Fall, daß das neue Tatgericht zu einer erneuten Verurteilung des Angeklagten gelangt, die
Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 26. November 2003 (UA 17) zu prüfen sein wird.
Maatz Kuckein Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 73/03
vom
10. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Neben- klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. September 2002 werden verworfen.
2. Die Staatskasse und die Nebenklägerin tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten in der Revisionsinstanz trägt die Staatskasse allein.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die - zulässigen - Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Am 18. Juli 2000 traf die zu diesem Zeitpunkt drogenabhängige 19jährige Nebenklägerin gegen 17.30 Uhr an einer Bushaltestelle auf den Angeklagten , der früher ebenfalls Drogenkonsum betrieben hatte. Sie erkundigte sich bei ihm nach einer nahegelegenen Bezugsquelle für Haschisch. Der Angeklagte suchte daraufhin mit ihr die Wohnung eines "Dealers" auf, in der die Nebenklägerin etwas Haschisch erwarb. Anschließend begleitete er sie zu ihrer
Wohnung. Auf wessen Initiative dies geschah, konnte nicht geklärt werden. In der Wohnung rauchten beide von dem zuvor gekauften Haschisch und tranken Bier. Während des Haschischkonsums bat die Nebenklägerin den Angeklagten , von dessen Mobiltelefon ihren Freund anrufen zu dürfen, mit dem sie sich für den Abend verabreden wollte, wozu dieser jedoch keine Zeit hatte. Anschließend kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß. Danach verließ der Angeklagte die Wohnung und begab sich zurück zu der besagten Bushaltestelle zu seinen Freunden. Dort wurde er kurze Zeit später von der Polizei festgenommen , nachdem die Nebenklägerin um 18.10 Uhr telefonisch angezeigt hatte, sie sei vergewaltigt worden.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, daß der Angeklagte den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Nebenklägerin erzwungen hat.
Der Freispruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Spricht das Gericht den Angeklagten frei, weil es vorhandene Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist das grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aufgrund der Sachrüge nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt, ferner dann, wenn das Gericht an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen stellt. Einen solchen Sachmangel dekken die Revisionen nicht auf.

b) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Eindeutige objektive Umstände, die einen erzwungenen Geschlechtsverkehr sicher belegen könnten , vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Deshalb hängt der Tatnachweis allein davon ab, ob den den Angeklagten belastenden Angaben der Nebenklägerin zu glauben ist. Daß deren Darstellung - wie das Landgericht gemeint hat - "wahrscheinlicher als die des Angeklagten" (UA 8) ist, hat die Strafkammer bei der gegebenen Sachlage, bei der letztlich "Aussage gegen Aussage" steht, zu Recht nicht als ausreichend für die Überzeugung von der Tatbegehung durch den Angeklagten erachtet. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es dem Urteil nicht an der gebotenen umfassenden Würdigung aller wesentlichen Umstände, die Schlüsse auch zu Ungunsten des Angeklagten ermöglichen (vgl. BGHSt 25, 285, 286). Dies gilt auch für die geringfügigen Verletzungen, die die sachverständige Zeugin Dr. K. bei der Untersuchung der Nebenklägerin festgestellt hat. Wenn das Landgericht, ersichtlich gestützt auf die Angaben der sachverständigen Zeugin, diese Verletzungen als mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar angesehen hat, so deckt dies weder für sich noch in der Gesamtschau der Beweisanzeichen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. Mit ihren Einwendungen unternimmt die Staatsanwaltschaft demgegenüber lediglich den im Revisionsverfahren untauglichen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene Wertung zu ersetzen.
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft weist die Beweiswürdigung auch zum Aussageverhalten der Nebenklägerin keine den Bestand des Freispruchs in Frage stellenden Lücken auf. Das Landgericht war nicht gehalten , im Urteil den wesentlichen Ablauf und Inhalt der Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren im Urteil wiederzugeben. Auch wenn das Aussage-
verhalten der Nebenklägerin sich - wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision geltend macht - durch Konstanz auszeichnete, mußte das Landgericht diesem Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung keine besondere Bedeutung beimessen, die eine ausdrückliche Erörterung erforderlich gemacht hätte. Abgesehen davon, daß dem Senat ohne zulässige Verfahrensrüge die nur durch Rückgriff auf den Akteninhalt mögliche Überprüfung der von der Revision behaupteten Konstanz der Aussage versperrt ist, weisen die Urteilsgründe selbst aus, daß die Nebenklägerin jedenfalls in Teilbereichen gerade nicht konstant ausgesagt, sondern in der Hauptverhandlung gegenüber ihren früheren Aussagen teilweise ergänzende, teilweise abweichende Aussagen gemacht hat. Das Landgericht hat dem Aussageverhalten entnommen, daß die Nebenklägerin den Inhalt ihrer Aussage so gestaltet habe, daß sie selbst in einem möglichst günstigen Licht erscheine. Zugleich hat das Landgericht darin konkrete Anknüpfungspunkte für ein mögliches Falschbelastungsmotiv gefunden, zumal die Nebenklägerin selbst ihr damaliges Verhalten heute mißbilligt und - wie das Urteil mitteilt - "ihren Umgang mit 'asozialen Typen wie dem Angeklagten' mit ihrem zur Tatzeit durch den Drogenkonsum getrübten Einschätzungsvermögen erklärt hat" (UA 8).

c) Wenn die Strafkammer bei dieser Sachlage verbleibende Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin nicht zu überwinden vermochte, so ist dies aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Würdigung durchaus möglich gewesen wäre.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Ernemann

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 467/10
vom
9. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der Vergewaltigung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. März 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 12. März 2010 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen und der versuchten Vergewaltigung in drei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
2
Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.

I.


3
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit von 1987/88 bis 1991, teilweise als Heranwachsender handelnd, die am 25. Juni 1974 geborene Nebenklägerin zweimal vergewaltigt und dies drei weitere Male versucht zu haben.
4
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
5
Der Angeklagte, ein Turnierreiter, war im Zeitraum 1987 bis 1991 auf verschiedenen Reiterhöfen als sog. "Bereiter" tätig. Auf einem dieser Reithöfe verrichtete die Nebenklägerin Stallarbeiten und durfte im Gegenzug gelegentlich reiten. Für die Nebenklägerin, die zu Hause von ihrer Mutter häufig geschlagen wurde und die sich emotional vernachlässigt und nicht angenommen fühlte, war die Tätigkeit auf dem Reiterhof von großer Bedeutung. Der Angeklagte, ein sportlicher und ambitionierter Reiter, wurde von den auf den Reiterhöfen tätigen "Pferdemädchen" bewundert; auch die Nebenklägerin schwärmte für den ca. 7 Jahre älteren Angeklagten. Dieser - obwohl fest liiert - holte sie immer wieder von zu Hause ab und nahm sie an Wochenenden zu Turnieren mit; dabei kam es bei verschiedenen Gelegenheiten auch zum Austausch von Zärtlichkeiten und zu sexuellen Handlungen, jedoch nicht gegen einen erkennbaren Widerstand der Nebenklägerin. Gegenüber anderen "Pferdemädchen" brüstete sich die Nebenklägerin mit ihrem Verhältnis zum Angeklagten. Im Mai 1991 gab sie das Reiten auf, nachdem ihr ein Stallverbot erteilt worden war. Danach kam es, z.B. anlässlich von Diskothekenbesuche, nur noch zu gelegentlichen Kontakten zu dem Angeklagten, der sich zwischenzeitlich einem anderen "Pferdemädchen" zugewandt hatte.
6
In der Folgezeit lernte die Nebenklägerin im Alter von 19 Jahren den psychisch kranken D. kennen, mit dem sie drei Jahre zusammen lebte; während dieser Beziehung traten bei der Nebenklägerin Anpassungsstörungen und depressive Verstimmungen auf. Das Ende einer sich anschließen- den Partnerschaft führte zu einer stationären Behandlung wegen ausgeprägter familiärer/partnerschaftlicher Belastungssituation bei gleichzeitigem Haschischabusus. Seit dem Scheitern einer weiteren Beziehung im Jahre 2001 befindet sich die Nebenklägerin nahezu durchgehend in ambulanter und stationärer psychologisch /psychiatrischer Behandlung wegen Angststörungen, depressiven Störungen und Cannabismissbrauch. Dabei berichtete sie wiederholt, von dem Angeklagten in ihrer Jugend missbraucht aber auch von ihren jeweiligen Lebenspartnern geschlagen und in einem Fall sexuell missbraucht worden zu sein. Während eines dieser stationären Aufenthalte erstattete sie am 13. Oktober 2004 Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs und wegen Vergewaltigung. Gleichzeitig beantragte sie im Hinblick auf die behaupteten Taten die Gewährung einer Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz.
7
2. Die Strafkammer vermochte sich nach der Vernehmung zahlreicher sachverständiger Zeugen und der Einholung von Sachverständigengutachten zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin und zur Glaubhaftigkeit ihrer Beschuldigungen nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Vergewaltigungen bzw. versuchten Vergewaltigungen im Zeitraum 1987/88 bis 1991 verübt hat. Zwar geht die Strafkammer davon aus, dass - was der Angeklagte bestreitet - tatsächlich sexuelle Handlungen stattgefunden haben ; davon, dass diese gegen einen erkennbaren Willen der Nebenklägerin erfolgt sind, konnte sich das Landgericht jedoch nicht überzeugen; eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176 StGB aF wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat sie ausgeschlossen, da die Nebenklägerin bei der ersten angeklagten Handlung im Jahr 1988 möglicherweise bereits 14 Jahre alt war.

II.

8
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erhobenen Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.
9
Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.
10
1. Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Spricht es einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht festgestellte Tatsachen anders würdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2010, 102, 103 mwN).
11
2. Das Landgericht hat hier alle relevanten Umstände in seine Würdigung einbezogen. Die jeweils im Einzelnen wie auch in der Gesamtbetrachtung gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich. Das gilt insbesondere auch, soweit das Landgericht der Sachverständigen Dr. U. hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zur angeblichen Unfreiwilligkeit des stattgefundenen Geschlechtsverkehrs nicht gefolgt ist. So hat es die Ausführungen der Sachverständigen in nachprüfbarer Weise wiedergegeben, sich mit ihnen aus- einandergesetzt und seine abweichende Auffassung nachvollziehbar begründet (zu diesen Anforderungen vgl. BGH NStZ 2009, 571 mwN). Dabei ist die Strafkammer der Methodik der Sachverständigen gefolgt, hat jedoch deren gutachterliche Bewertung, dass die Angaben der Nebenklägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien, nur eingeschränkt geteilt.
12
a) Anders als die Sachverständige konnte die Strafkammer ohne Rechtsfehler zum einen eine mögliche autosuggestive Beeinflussung der Nebenklägerin angesichts der sich über viele Jahre erstreckenden verschiedenen therapeutischen Maßnahmen nicht ausschließen. So hält sie es zumindest für möglich, dass die Nebenklägerin aufgrund ihres schlechten psychischen Befindens und ihrer Partnerschaftsprobleme zur Abwehr eigener Schuldgefühle den Angeklagten , für den sie in ihrer Jugend schwärmte, von dem sie sich aber wegen dessen "Frauenverschleißes" im Nachhinein auch in sexueller Hinsicht ausgenutzt fühlt, für ihr eigenes Scheitern verantwortlich mache und deshalb tatsächlich einverständlich erfolgte sexuelle Begegnungen unbewusst um eine Gewaltkomponente angereichert habe. Darauf deutet auch hin, dass die Nebenklägerin gegenüber einem ihrer Therapeuten im Jahre 2004 von genau solchen sexuellen Übergriffen durch ihre damaligen Lebensgefährten berichtet hat, wie sie jetzt dem Angeklagten zur Last gelegt werden (UA 68 f.).
13
b) Zum anderen hat das Landgericht auch die Aussagekonstanz im Gegensatz zu der Sachverständigen als nicht ausreichend angesehen, um im Ergebnis von einer glaubhaften Aussage ausgehen zu können. So hat die Nebenklägerin zum Beispiel ständig variierende Angaben zu ihrem über Jahre währenden Betäubungsmittelmissbrauch gemacht und einen solchen gegenüber der Sachverständigen nahezu völlig geleugnet (UA 70 f.). Eine gegenüber einer Zeugin bei früherer Gelegenheit behauptete vierstündige Vergewaltigung durch den Angeklagten auf einer Wiese hat erwiesenermaßen nicht stattgefunden (UA 39, 72). Bezüglich einer als vollendete Vergewaltigung angeklagten Tat hat sie - anders als bei der Polizei und später in der Hauptverhandlung - gegenüber der Sachverständigen angegeben, Geschlechtsverkehr habe nicht stattgefunden (UA 76). Hinsichtlich einer als versuchte Vergewaltigung im Jahre 1991 angeklagten Tat hat sie - anders als bei der Sachverständigen und in der Hauptverhandlung - bei ihrer polizeilichen Vernehmung eine vollendete Vergewaltigung behauptet und diese in die Jahre 1993/1994 datiert (UA 78). Darüber hinaus hat sie bei mehreren Vernehmungen unterschiedliche Angaben dazu gemacht, ob sie vom Angeklagten auch zum Oralverkehr gezwungen worden sei (UA 78 f.). Schließlich hat die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung lediglich zwei Fälle mit vollendetem Geschlechtsverkehr geschildert, während sie gegenüber der Sachverständigen von 20 bis 50 Fällen (UA 81) und gegenüber einem Therapeuten von mehrfachem Missbrauch pro Woche (UA 28, 37, 83) berichtet hat. Diese und zahlreiche weitere von der Kammer aufgezeigte eklatante Widersprüche betreffen entgegen der Einschätzung der Sachverständigen (UA 85) das zentrale Geschehen und stellen nicht bloß unerhebliche Änderungen aufgrund eines natürlichen Vergessensprozesses dar. Zwar mag es - worauf die Revisionen unter Berufung auf die Sachverständige abstellen - zutreffen, dass abweichende Angaben im Einzelfall eine differenzierte (In)Konstanz aufweisen können, die von besonders hoher Belegkraft für einen Erlebnisbezug ist. Dies gilt jedoch nur im Fall erwartbarer Inkonstanzen betreffend das Randgeschehen , nicht jedoch - wie hier - für Angaben zum unmittelbar handlungsrelevanten Geschehen. Soweit die Revisionen die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageverhalten der Nebenklägerin auf ein falsches Verständnis bzw. unzutreffende Erinnerungen oder unglückliche Formulierungen der jeweiligen Gesprächspartner bzw. Vernehmer zurückführen, unternehmen sie den unzulässigen Versuch, die dem Tatgericht vorbehaltene Würdigung durch eine eigene zu ersetzen.
14
c) Dass sich die Strafkammer in einer Gesamtschau aufgrund nicht ausschließbarer autosuggestiver Einflüsse und aufgrund der nicht ausreichenden Aussagekonstanz unter Berücksichtigung der histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung der Nebenklägerin nicht von der Wahrheit der behaupteten Gewalt- und Widerstandshandlungen überzeugen konnte, hält sich im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

III.

15
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 254/10, Rn. 37 mwN).
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 285/10
vom
28. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 20. Oktober 2009 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revisionen der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, seine damalige Lebensgefährtin während einer Auseinandersetzung aus Eifersucht durch Schläge auf den Gesichtsbereich körperlich so schwer misshandelt zu haben, dass diese nach hinten mit dem Kopf auf ein Möbelstück oder auf den Boden fiel und wenige Tage später an den Folgen des dabei erlittenen beidseitigen subduralen Hämatoms verstarb. Die Staatsanwaltschaft beanstandet den Freispruch mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision. Auch die Nebenkläger rügen die Verletzung materiellen Rechts; sie erheben ferner Verfahrensrügen. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Nach einem überwiegend gemeinsam mit dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, der später verstorbenen Petra K. , verbrachten Wochenende , in dessen Verlauf es auch zur Teilnahme an verschiedenen Feierlichkeiten gekommen war, wurde der inzwischen stark alkoholisierte Zeuge J. in den Abendstunden des 24. Juni 2007 von der Geschädigten mit dem Pkw nach Hause gefahren. Da diese länger als vom Angeklagten erwartet wegblieb , versuchte er, sie beim Zeugen J. telefonisch zu erreichen, was jedoch nicht gelang, da der Zeuge das Gespräch nicht annahm. Nach ihrer verspäteten Rückkehr in die gemeinsame Wohnung nahm die Geschädigte, die zu diesem Zeitpunkt weder unter Alkohol- noch unter Drogeneinfluss stand, zunächst eine Dusche. Das Landgericht hält es für möglich, dass sie während des Duschens auf dem nassen Untergrund der Duschbadewanne ausrutschte. Jedenfalls hörte der Angeklagte vom Schlafzimmer aus, wie die Geschädigte im Badezimmer „Aua“ oder „Scheiße“ rief. Nach Verlassen des Badezimmers teilte die Geschädigte dem Angeklagten mit, es sei „etwas passiert“, was der Angeklagte , ohne einer weiteren Erklärung zu bedürfen, dahin verstand, die Geschädigte habe ihn während ihres Aufenthaltes in der Wohnung des Zeugen J. mit diesem betrogen. In drei kurz aufeinander folgenden, seitens des Angeklagten äußerst erregt geführten Telefonaten mit dem Zeugen J. räumte dieser den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten letztlich ein. Die Geschädigte ihrerseits suchte nunmehr eine Aussprache mit dem Angeklagten und hielt ihn deshalb auf dem Weg ins Schlafzimmer im Flur fest. Der Angeklagte machte eine abschüttelnde Handbewegung mit dem rechten Arm, da er nicht reden, sondern allein sein wollte. Die Geschädigte erklärte daraufhin, ihr werde schlecht, was der Angeklagte mit der Bemerkung „Mir auch“ beantwortete. Daraufhin fiel die Geschädigte rückwärts um und krampfte; sie war nicht ansprechbar und verdrehte die Augen. Der Angeklagte begab sich zu dem mit ihm befreundeten Nachbarn, dem Zeugen P. , der den Rettungswagen und den Notarzt alarmierte. Die Geschädigte verstarb am 27. Juni 2007 im Krankenhaus.
4
2. Den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen folgend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Geschädigte die zum Tode führenden Verletzungen im Schädel-Hirn-Bereich bei einem Sturz mit Anprall auf das Hinterhaupt erlitt. Es hat sich jedoch letztlich nicht davon überzeugen können , dass ein Handeln des Angeklagten, etwa ein Faustschlag auf die Kopfregion der Geschädigten, zu diesem Sturz führte. Trotz starker Indizien für eine Täterschaft des Angeklagten gebe es tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Geschädigte die Verletzungen während ihres Aufenthaltes bei dem Zeugen J. , später auf dem Heimweg oder nach Rückkehr in die Wohnung bei einem Sturz im Badezimmer während des Duschens ohne Fremdeinwirkung zugezogen habe. Eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten nach deren Rückkehr vom Zeugen J. habe nicht stattgefunden. Soweit am Körper der Geschädigten weitere, nur durch Fremdeinwirkung erklärbare Verletzungen im Gesichtsbereich festgestellt worden seien (Bluterguss an der rechten Wange, Hautrötung am Mundboden), sei eine zeitliche Verknüpfung mit einer Gewalteinwirkung auf den Schädel-Hirnbereich nicht möglich. Die anderen festgestellten Verletzungen könnten auch durch einen Sturz und außerdem zeitlich deutlich vor der todesursächlichen Verletzung im Schädel-Hirnbereich entstanden sein.

II.


5
Die von den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. Juli 2010 dargelegten Gründen keinen Erfolg.

III.


6
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten nicht ergeben. Die von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern gleichermaßen beanstandete Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Bei einem Freispruch unterliegt der Überprüfung auch, ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat. Schließlich kann ein Rechtsfehler in einem solchen Fall auch darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen nicht nahe lie- gende Schlussfolgerungen gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen können. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorhanden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – 5 StR 253/07, NStZ 2008, 575 m.w.N.). Erkennt der Tatrichter auf Freispruch, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss er in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGHSt 25, 285, 286; BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 aaO).
8
2. Dem wird die Beweiswürdigung im vorliegenden Fall noch gerecht.
9
a) Vor dem Hintergrund der bestreitenden Angaben des Angeklagten sowie der Aussage des Zeugen J. und mangels unmittelbarer Tatzeugen hat das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung folgerichtig zunächst die Ausführungen der medizinischen Sachverständigen zu dem für eine Verletzungshandlung in Betracht kommenden Zeitpunkt in den Vordergrund gestellt. Dass die Strafkammer auf der Grundlage der in den Urteilsgründen eingehend wiedergegebenen Darlegungen dreier erfahrener medizinischer Sachverständiger angenommen hat, das neuropathologische Verletzungsbild lasse den Schluss auf ein Schlag-Sturz-Geschehen bzw. ein Stoß-Sturz-Geschehen unter Fremdeinwirkung nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu, stellt eine mögliche und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmende Schlussfolgerung dar. Die Angriffe der Beschwerdeführer dagegen verkennen, dass alle drei Sachverständigen ein Unfallgeschehen für nicht ausschließbar gehalten haben. Das Landgericht hat ferner rechtsfehlerfrei in diese Erwägungen einbezogen, dass die Sachverständigen auf Grund der erhobenen Befunde und nach medizinischer Erfahrung, wenngleich unter Angabe unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsgrade , eine ein- bis zweistündige Handlungsfähigkeit der Geschädigten nach der todesursächlichen Einwirkung auf ihre Schädel-Hirn-Region nicht auszuschließen vermochten. Danach durfte die Strafkammer aus Rechtsgründen begründete Zweifel an einem Tatgeschehen in der Wohnung nach Rückkehr der Geschädigten unter Mitwirkung des Angeklagten haben. Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung meint, das in den Urteilsgründen dargelegte Verletzungsbild lege es bei zusammenfassender Würdigung nahe, von einem einheitlichen, durch den Angeklagten verursachten Verletzungsbild auszugehen, ersetzt sie die vom Gericht vorgenommene Bewertung der Indiztatsachen durch eine eigene. Einen Rechtsfehler vermag sie damit nicht aufzuzeigen ; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen, wie die Beschwerdeführer hier im Einzelnen darlegen. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Tatrichters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – 1 StR 231/08). Auch die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, die sich an die Bewertung der bei der Geschädigten diagnostizierten axonalen Zerreißungen von Nervenfortsätzen im Gehirn für die Frage eines sofortigen Eintritts von Bewusstlosigkeit knüpft, geht fehl. Abgesehen davon, dass der in den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. zunächst aufgetretene Widerspruch ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung geklärt werden konnte, hat das Landgericht den Umstand, dass sich allein aus dem Vorhandensein derartiger Zerreißungen keine sicheren Schlüsse auf eine sofortige Bewusstlosigkeit zie- hen lassen, rechtsfehlerfrei in die zusammenfassende Bewertung weiterer erheblicher Indiztatsachen einbezogen.
10
b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts hat das Landgericht die Bekundungen der Sachverständigen hinsichtlich der nicht todesursächlichen Verletzungen zu den Ausführungen hinsichtlich der tödlichen Schädel-HirnVerletzung ausreichend in Beziehung gesetzt und auch insoweit die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht überspannt. Es hat auch die diesbezüglichen Gutachtenergebnisse in den Urteilsgründen ausführlich mitgeteilt und – als Indiz für eine Täterschaft des Angeklagten – nicht verkannt, dass als Ursache der Verletzungen im Wangen- bzw. Mundbereich schlüssig nur ein Stoß- oder Schlaggeschehen in Frage kam. Andererseits vermochten die Sachverständigen Dr. Pf. und Dr. Z. übereinstimmend eine zeitliche Verknüpfung zwischen der todesverursachenden Verletzung und derjenigen im Wangen- bzw. Mundbodenbereich gerade nicht herzustellen; vielmehr war eine deutliche zeitliche Zäsur nicht auszuschließen.
11
c) Bei der Würdigung der bestreitenden Angaben des Angeklagten, die in den Urteilsgründen eingehend mitgeteilt werden, hat sich die Strafkammer ersichtlich von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab leiten lassen und diese ihren Feststellungen nicht vorschnell als unwiderlegbar zu Grunde gelegt. Sie hat vielmehr die – im Wesentlichen konstanten – Angaben, die der Angeklagte im Anschluss an den Abtransport der Geschädigten ins Krankenhaus Dritten gegenüber gemacht hat, durch Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen ermittelt und ebenfalls ausführlich dargelegt. Die Ansicht der Beschwerdeführer, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Streit zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten seien die Erwägungen im Urteil widersprüchlich und deshalb rechtsfehlerhaft, greift zu kurz. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, es sei nach Rückkehr der Geschädigten zu keinerlei Streit zwischen ihnen gekommen, mangels unmittelbar anwesender Zeugen nicht zu widerlegen vermochte. Soweit es eine mögliche körperliche Auseinandersetzung betrifft, erweist sich diese Erwägung als tragfähig. Soweit der Zeuge P. bekundet hat, der Angeklagte habe ihm berichtet, die Geschädigte habe ihn getreten, kommt die Strafkammer zu dem möglichen Schluss, es habe sich um ein Treten im Zusammenhang mit dem Krampfanfall der Geschädigten gehandelt. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnimmt der Senat ferner, dass das Landgericht aus einer auch von ihm als naheliegend in Betracht gezogenen verbalen Auseinandersetzung nach dem Eingeständnis der "Untreue" weiter gehende, für den Angeklagten nachteilige Schlussfolgerungen vor dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses nicht ziehen wollte.
12
Ferner hat die Strafkammer das nicht in jeder Hinsicht widerspruchsfreie Aussageverhalten des Zeugen J. nachgezeichnet und auch dessen Motivlage vor dem Hintergrund eines nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbaren beginnenden Liebesverhältnisses zwischen ihm und der Geschädigten erwogen. Dass die Strafkammer den Angaben dieses Zeugen in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
13
d) Schließlich fehlt es auch nicht an einer zusammenfassenden Bewertung des Beweisergebnisses und der Indizien unter dem Gesichtspunkt einer Gesamtwürdigung. Die dem Landgericht verbliebenen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten sind jedenfalls nachvollziehbar und nicht nur abstrakttheoretisch. Den Beschwerdeführern ist zwar zuzugeben, dass die Strafkammer weitere Beweisanzeichen zusätzlich, weiter gehend oder noch detailierter hätte erörtern können. Indes kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht er- schöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen nicht zu verlangen. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken in der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 23. Juni 2010 – 2 StR 35/10).
14
3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146; Urteil vom 30. November 2005 – 2 StR 402/05, NStZ-RR 2006, 128; vgl. aber BGH, Urteil vom 16. September 2010 – 3 StR 280/10).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer