Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2018 - 2 StR 98/18

bei uns veröffentlicht am11.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 98/18
vom
11. September 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue
ECLI:DE:BGH:2018:110918B2STR98.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 11. September 2018 gemäß § 349 Abs. 4, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten A. und F. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, auch soweit der Mitangeklagte K. wegen Beihilfe zur Untreue in 33 Fällen verurteilt worden ist, sowie in dem diesen betreffenden Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Untreue in 32 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten F. wegen Untreue in sechs Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie den Mitangeklagten K. wegen Beihilfe zur Untreue in 33 Fällen und wegen unrichtiger Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft im Jahresabschluss in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten F. und A. haben mit der Sachrüge Erfolg; die Entscheidung ist auf den nicht revidierenden Mitangeklagten K. zu erstrecken.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten F. und A. die ersten Mitarbeiter einer im Jahre 2002 neu in F. eröffneten Zweigniederlassung der V. (im Folgenden : V. ). F. war als stellvertretender Zweigstellenleiter ausgewiesen und bis Ende des Jahres 2014 für die Abteilung Rechnungswesen/Steuern verantwortlich. Ab 1. Januar 2015 übte er nur noch projektbezogene Tätigkeiten aus. A. hatte zuletzt die Position des Geldwäschebeauftragten inne und war zudem Systemadministrator der Zweigniederlassungen in K. und F. . Im Kundengeschäft war er auch als Kundenbetreuer eingesetzt.
3
Der Mitangeklagte K. war Geschäftsführer der A. (im Folgenden: A. ), die selbst Reisen verkaufte, vor allem aber, im Besitz einer so genannten I. -Linzenz, als Flugticketgroßhändlerin ihr Geld verdiente. Er eröffnete für diese am 1. November 2010 bei der V. in F. ein Geschäftskonto, über das ab dem Jahre 2012 sämtliche Zahlungen der A. abgewickelt wurden. Ihr wichtigster Vertragspartner war die I. , die monatlich Abbuchungsaufträge, typischerweise im sechsstelligen Bereich, bei der V. zu Lasten derA. einreichte und die im Falle einer Rückgabe von eingereichten Lastschriften und dadurch bedingter Zahlungsrückstände mit dem kurzfristigen Entzug der Lizenz zur Vermittlung von I. -Flügen drohte. Vor diesem Hintergrund war es aus Sicht der A. von existenzieller Bedeutung, dass die im Wege des SEPAFirmenlastschriftverfahrens eingereichten Abbuchungsaufträge auch dann aus- geführt wurden, wenn bei ihr eine Liquiditätslücke bestand. Darauf machte der Mitangeklagte K. den Angeklagten A. zu dem Zeitpunkt aufmerksam, als die I. -Zahlungen sämtlich über das bei der V. geführte Konto beglichen wurden. Der Angeklagte A. sagte die Ausführung der Abbuchungsaufträge unabhängig von einem Kontoguthaben bzw. einem etwaigen Kontokorrentrahmen zu. Zu einer solchen Zusage und insbesondere der jeweiligen Ausführung der Aufträge waren weder der Angeklagte A. noch ein anderer Mitarbeiter der Zweigniederlassung berechtigt, was ihm – wie auch dem Angeklagten K. – bewusst war. Denn die getroffene Absprache stellte sich der Sache nach als eine Kreditgewährung (ohne Sicherheit und unter Umgehung der bankinternen Vorgaben) dar, über die der Vorstand der Zentrale in W. zu entscheiden gehabt hätte.
4
In Vollzug dieser Zusage kam es zwischen Oktober 2012 bis Oktober 2015 zu 33 Abbuchungen durch die I. und später auch imZusammenhang mit dem Kauf von Sitzplatzkontingenten durch S. , bei denen entsprechende Guthaben auf dem Konto der A. nicht vorhanden waren undauch ein ausreichender Kontokorrentkredit nicht bestand. Unter manipulativer Ausnutzung des bei der V. vorhandenen Computersystems gelang es dem Angeklagten A. ,eingehende Lastschriften trotz fehlender Deckung nicht zurückgeben zu müssen. Dies führte dazu, dass die Bezahlung in diesen Fällen in einer Gesamthöhe von ca. 8 Millionen Euro aus dem Vermögen der Bank erfolgte , was der Angeklagte A. regelmäßig durch verschiedene Umbuchungen auf diverse bankinterne Verrechnungskonten verschleierte.
5
Nachdem zwischenzeitlich ein offener Betrag von etwa vier Millionen Euro aufgelaufen war und S. Abbuchungsaufträge innerhalb kürzester Zeit im Gesamtvolumen von 1,5 bis 2 Millionen Euro eingereicht hatte, teilte der Angeklagte A. dem Angeklagten F. bei einem Gespräch im August 2014 mit, dass er nunmehr künftig weitere Lastschriften der I. und von S. zurückreichen wolle. Der Angeklagte F. , der als stellvertretender Niederlassungsleiter und als Verantwortlicher für das Rechnungswesen dieses regelwidrige Vorgehen hätte beenden müssen, wendete ein, dass die A. dann zahlungsunfähig werden würde und eine Rückzahlung der Außenstände für die Bank ausgeschlossen wäre. Als „Kompromiss“ einigten sich beide Ange- klagte darauf, dass hinsichtlich der Abbuchungsaufträge der I. weiter wie bisher verfahren werden solle, während Aufträge von S. zurückgereicht werden sollten.
6
2. Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Untreue in 32 Fällen verurteilt und ihn in einigen Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Den Angeklagten F. hat es ebenfalls wegen Untreue in sechsFällen, beginnend ab dem mit dem Angeklagten A. geführten Gespräch im August 2014 bis zur Beendigung seiner Tätigkeit als stellvertretender Niederlassungsleiter zum 31. Dezember 2014, verurteilt und auch ihn teilweise freigesprochen. Schließlich hat die Strafkammer den Angeklagten K. wegen Beihilfe zur Untreue in den festgestellten 33 Einzelfällen und zudem wegen unrichtiger Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft im Jahresabschluss in zwei Fällen verurteilt.

II.

7
1. Die Verurteilung der Angeklagten A. und F. wegen Untreue in 32 bzw. sechs Fällen begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken, ohne dass es damit auf die Erfolgsaussichten der erhobenen Verfahrensbeanstandungen ankommt. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht eine Billigung ihres Vorgehens seitens des Vorstands der Zentrale in W. , also des für eine Kreditbewilligung zuständigen Organs, ausgeschlossen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Urteil vom 7. Februar 2018 – 2 StR 447/17). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 3 und

38).

9
b) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtsfehlerhaft, denn sie lässt bei der Prüfung, ob das Vorgehen der Angeklagten A. und F. vom Einverständnis der Zentrale der Bank in W. getragen war, wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht, und ist deshalb lückenhaft.
10
Das Landgericht hätte sich bei seiner Feststellung, ein solches Einverständnis des für Kreditbewilligungen bei der V. zuständigen Organs habe es nicht gegeben, mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass es seit Jahren gängige Geschäftspraxis in den Niederlassungen der V. in F. wie auch in K. war, Lastschriften nicht zurückzugeben, auch wenn ein entsprechendes Guthaben nicht vorhanden und der Kontokorrentrahmen ausgeschöpft war (vgl. UA S. 14). Es versteht sich angesichts des Umstands, dass die Niederlassung in F. im Aufbau begriffen war und nach lukrativen Kunden mit hohen Umsätzen Ausschau hielt, nicht von selbst, dass dieses „Geschäftsmodell“ allein auf Niederlassungsebene (in F. ) begründet worden ist, ohne dass es eine Rückversicherung durch die Zentrale gegeben hat. Dies gilt um so mehr, als das bewusste Unterlassen der Rückgabe von Abbuchungsaufträgen, auch in der Filiale in K. bei verschiedenen anderen Kunden gängige Praxis und nicht auf die A. beschränkt war.
11
In den Blick zu nehmen wäre auch gewesen, dass sich durch das Geschäftsgebaren des Angeklagten zum Jahresabschluss 2014 eine Differenz auf den Verrechnungskonten der Zweigniederlassung F. in Höhe von 5,5 Millionen Euro ergeben hatte, die ausgeglichen werden musste und auf Anforderung des Angeklagten A. durch die Zentrale auch ausgeglichen wurde. Der dabei lapidar erfolgte Hinweis des Angeklagten A. auf ein „Last- schriftlimit der Filiale“ führte weder zu weiteren Rückfragen der externen Prüfer noch der Zentrale in W. . Dieses Geschehen hätte – zumal dasLandgericht ein solches Verhalten (des Vorstands und der externen Prüfer) selbst als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet hat (UA S. 29) – Anlass für eine Erörterung sein müssen, ob daraus nicht Rückschlüsse auf die Kenntnis und Billigung des Vorgehens der Niederlassungen durch die „Zentrale“ und damit auf eine faktische Kreditgewährung durch den Vorstand im Rahmen der ihm obliegenden Kompetenz zur Bewilligung von Krediten gezogen werden können.
12
Schließlich hätte die Strafkammer auch dem Umstand Beachtung schenken müssen, dass der Zeuge Sa. als für Kreditgewährungenzuständiges Vorstandsmitglied, der sich nach der Aufdeckung der Vorgänge unmittelbar um die Aufklärung des Sachverhalts in F. bemüht hatte, Hinweisen des Angeklagten A. , er sei von dem früheren Filialleiter in F. , Sar. , unter Druck gesetzt worden, ihn in dieser Angelegenheit nicht zu belasten , nicht nachgegangen ist. Dass er darauf verzichtet hat, Angaben eines (ehemaligen) Filialleiters zum Umgang mit an sich zurückzureichenden Lastschriften und zur Verantwortlichkeit für dieses Vorgehen einzuholen, lässt sich nicht ohne Weiteres mit den sonstigen umfassenden Aufklärungsbemühungen des Zeugen Sa. , der nach den Geschehnissen im Übrigen bankintern zum Filialleiter „degradiert“ wurde, in Einklang bringen und hätte bei der Würdi- gung der Glaubhaftigkeit seiner Angabe, von diesem Umgang mit Lastschriften in der Bank keine Kenntnis gehabt zu haben, Eingang finden müssen.
13
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung aller wesentlichen Umstände zu einer abweichenden Betrachtung gelangt und von einer Billigung des Vorgehens des Angeklagten und damit von einer faktischen Kreditgewährung des dafür zuständigen Vorstands in W. ausgegangen wäre. Dies ließe mangels Missbrauch einer dem Angeklagten eingeräumten Befugnis den Vorwurf der Untreue entfallen.
14
2. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Angeklagten A. und F. wegen Untreue verurteilt worden sind. Die Entscheidung ist gemäß § 357 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten K. zu erstrecken, soweit dieser wegen Beihilfe zu den Untreuetaten der Angeklagten A. und F. verurteilt worden ist. Dies bedingt die Aufhebung des ihn betreffenden Gesamtstrafenausspruchs.
15
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat – sollte das Landgericht wieder zu einer Strafbarkeit wegen Untreue gelangen – darauf hin, dass hinsichtlich an einem Tag eingereichter Abbuchungsaufträge die Annahme von Tateinheit zu prüfen sein wird. Betreffend den Angeklagten F. , der es nach den bisherigen Feststellungen im August 2014 unterlassen hat, das Geschäftsgebaren des Angeklagten des A. bzw. seines Urlaubsvertreters zu verhindern , wird zu erörtern sein, ob ein möglicher strafrechtlicher Vorwurf an ein Tun oder ein Unterlassen anknüpft und ob insoweit lediglich die Annahme einer einzigen strafrechtlich relevanten Handlung bzw. Unterlassung in Betracht kommt.
Appl Krehl Eschelbach Bartel Grube

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 357 Revisionserstreckung auf Mitverurteilte


Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu

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Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2018 - 2 StR 447/17

bei uns veröffentlicht am 07.02.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 447/17 vom 7. Februar 2018 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2018:070218U2STR447.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 447/17
vom
7. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:070218U2STR447.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin Je. P. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Juni 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist (Fall 5 der Urteilsgründe),
b) sowie im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften in vier Fällen (Fälle 1 bis 4) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das wirksam auf die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) beschränkte Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeanstandung kommt es deshalb nicht mehr an.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte etwa bis Ende 2011 mit der Zeugin S. sowie ihren Töchtern J. und Je. P. zusammen. Dabei bildete sich zwischen dem Angeklagten und der am 23. Januar 2003 geborenen Nebenklägerin Je. P. ein Ersatzvaterverhältnis. Dieses bestand auch nach der Ende 2011 erfolgten Trennung des Angeklagten von S. und seinem Auszug aus der zuvor gemeinsam genutzten Wohnung fort. Die Nebenklägerin besuchte den Angeklagten bis März 2016 regelmäßig an Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien, wobei der Angeklagte auch Erziehungsaufgaben übernahm.
3
2. Nach den vom Revisionsangriff ausgenommenen Feststellungen zu den Fällen 1 bis 4 fertigte der Angeklagte am 18. Mai, 24. Mai, 25. Juli 2014 und am 14. Februar 2016 mit seinem Mobiltelefon Fotos von der Nebenkläge- rin, bei denen diese auf Veranlassung des Angeklagten obszöne Stellungen einnahm, so dass entweder ihre Vagina (Fälle 1 bis 3) oder ihr entblößter Oberkörper (Fall 4) zu sehen waren.
4
An einem Tag im Zeitraum vom 24. Januar 2014 bis zum 22. Januar 2016 saßen der Angeklagte und die Nebenklägerin im Wohnzimmer der Wohnung. Die Nebenklägerin war nackt, der Angeklagte streichelte sie am ganzen Körper. Die Nebenklägerin nahm den Penis des Angeklagten in den Mund und befriedigte ihn zunächst oral. Danach befriedigte sich der Angeklagte bis zum Samenerguss selbst (Fall 5).
5
Während der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, die Bilder in den Fällen 1 bis 4 gefertigt zu haben, hat er bestritten, sich jemals an der Nebenklägerin vergriffen zu haben. Das Landgericht hat den Angeklagten gleichwohl allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin auch im Fall 5 als überführt angesehen.

II.

6
Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich Fall 5 hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich -rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
8
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15 mwN). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 89/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, juris Rn. 9).
9
2. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
10
a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, sie leidet an Erörterungsmängeln.
11
aa) Ein solcher Mangel liegt zunächst in der fehlenden Inhaltsanalyse der Aussage der Nebenklägerin. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht der fehlenden Detailliertheit und Plausibilität der Aussage zum Kerngeschehen keine hinreichende Bedeutung beigemessen hat.
12
Ausweislich der Urteilsgründe hat die Zeugin das (sexuelle) Kerngeschehen weitgehend ohne Realkennzeichen und teilweise einschränkend geschildert. Sie hat auf Nachfrage lediglich angeben, sie habe dem Angeklagten im Wohnzimmer einen „blasen“ sollen und er habe sie am ganzen Körper berührt. Sie glaube, seine Hose sei nach unten gezogen gewesen, der Angeklagte habe sie selbst herunter gezogen. Wie lange das gedauert habe, wisse sie nicht. Sie glaube, der Angeklagte sei zum Samenerguss gekommen. Dabei sei sein Penis nicht mehr in ihrem Mund gewesen, er habe sich dann selber angefasst. Er habe sich mit einem Taschentuch abgewischt und dieses weggeworfen.
13
Dementsprechend fehlen der Aussage der Nebenklägerin weitgehend Realkennzeichen wie zum Beispiel die logische Konsistenz der Aussage, ein quantitativer Detailreichtum, eine räumlich-zeitliche Verknüpfung, die Schilderung ausgefallener Einzelheiten und eigener psychischer Vorgänge (vgl. KKOtt , 7. Aufl. § 261 Rn. 31b). Zudem hat die Zeugin durch die mehrfache Einschränkung , sie „glaube“ das Tageschehen habe sich wie beschrieben ereignet, ihre Erinnerung relativiert. Eine zeitliche Einordung war ihr nicht möglich.
14
Die Aussage, die den Tatzeitraum lediglich auf das elfte oder zwölfte Lebensjahr der Nebenklägerin eingrenzt, ohne dass diese Zeitangabe näher unterlegt ist, lässt einen nachvollziehbaren situativen Rahmen, in den das Tatgeschehen eingebettet war, vermissen. Nach der kargen Darstellung saß die Nebenklägerin ohne erkennbaren Grund nackt im Wohnzimmer, der Angeklagte streichelte sie „am ganzen Körper“. Die Aussage lässt offen, ob die Nebenklägerin Widerstand leistete oder ihren Unmut zum Ausdruck brachte. Die Aussage schweigt zu der Frage, was die Nebenklägerin zu ihrer Handlung bewog. Insgesamt ist nicht erkennbar, welche verbalen oder nonverbalen Zwischenakte das Geschehen begleiteten. Der Aussage ist weder zu entnehmen, ob es einer Aufforderung des Angeklagten zur Durchführung des Oralverkehrs bedurfte, noch, ob dieser die Beendigung des Oralverkehrs ohne Weiteres hinnahm.
15
bb) Ein weiterer Mangel der Beweiswürdigung liegt darin, dass die Strafkammer unzureichend erörtert hat, warum die über mehrere Jahre vorgenommenen selbstverletztenden Handlungen der Nebenklägerin sich nicht auf deren Aussageverhalten ausgewirkt haben können. Denn die Strafkammer unterlegt ihre dahingehende Schlussfolgerung lediglich mit dem Hinweis auf den „persön- lichen Eindruck“ von der Nebenklägerin, ohne diesen darzustellen.
16
cc) Die Erwägung eines möglichen Falschbelastungsmotivsist verkürzt geraten. Zwar spricht, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, das vormals sehr gute Verhältnis zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten gegen eine bewusste Falschbelastung. Das Landgericht hat indes unerörtert gelassen, warum es im März 2016 zum Abbruch der Besuchskontakte kam.
17
b) Das Urteil lässt auch die aufgrund der Beweislage gebotene Gesamtwürdigung vermissen. Die Strafkammer hat sich darauf beschränkt, einzelne für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechende Gesichtspunkte darzustellen, ohne diese jedoch gegen die beweismindernden Faktoren abzuwägen. Hierbei hätte sie insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Detailarmut die Bedeutung des Beurteilungskriteriums der Aussagekonstanz, auf den die Strafkammer ihre Überzeugungsbildung stützt, vermindern kann (Senat, Beschluss vom 4. Oktober 2017 – 2 StR 219/15, juris Rn. 24, BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 – 4 StR 370/99, NStZ 2000, 217).
18
3. Es ist nicht auszuschließen, dass das Tatgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Schäfer Krehl Bartel Grube Schmidt

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.