Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15

bei uns veröffentlicht am27.01.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 438/15
vom
27. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:270116U2STR438.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleibt die Adhäsionsentscheidung bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten verurteilt, an die Nebenklägerin 5000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. März 2015 zu zahlen. Die dage- gen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich die Nebenklägerin am frühen Morgen des 30. August 2014 in die Wohnung des Angeklagten, um dort gegen Entgelt mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuüben. Nach erfolgtem einvernehmlichen Verkehr gestattete ihr der Angeklagte, sich bei ihm auszuschlafen, woraufhin sich die Nebenklägerin im unbekleideten Zustand auf eine Matratze im Wohnzimmer legte. Gegen 14 Uhr wurde sie wach, weil der Angeklagte laut im Zimmer herumschrie. Er beschimpfte die Nebenklägerin, die sich bedroht fühlte und daher überprüfte, ob sie die Wohnung verlassen könnte. Da die Tür verschlossen und der Schlüssel nicht zu sehen war, bat sie den Angeklagten , sie gehen zu lassen. Dieser beschimpfte sie jedoch weiter und entgegnete , sie müsse zwei Tage in der Wohnung bleiben; er werde sie „durchfi- cken“. Sodann umfasste er mit beiden Händen ihren Hals und würgte sie so fest und lange, dass sie in akute Lebensgefahr geriet. Da es der Nebenklägerin gelang , den Angeklagten wegzustoßen, schlug er sie mehrfach mit der Faust ins Gesicht und auf den Kopf. Weil sie weitere Schläge befürchtete, gab sie ihre Gegenwehr schließlich auf und führte weinend den oralen und vaginalen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten durch. Der Angeklagte beschimpfte sie weiterhin und fügte ihr mit einer brennenden Zigarette mehrere Brandverletzungen im Bereich des Dekolleté zu.
3
Als der Angeklagte von der Nebenklägerin abließ, gestattete er ihr, auf dem Balkon frische Luft zu schnappen. Dort rief sie sogleich laut um Hilfe, weshalb der Angeklagte auf ihren Rücken einschlug und vergeblich versuchte, sie in die Wohnung zurück zu ziehen. Anschließend versuchte er, ein Feuerzeug an ihrem Schambereich zu entzünden, was ebenfalls nicht gelang. Daraufhin verschloss er die Tür von innen. Die Nebenklägerin wurde gegen 14.30 Uhr von Polizeibeamten, die Nachbarn herbeigerufen hatten, befreit.
4
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des Geschehens in der Wohnung wegen besonders schwerer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1 und 2b) StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 223 StGB und wegen des Geschehens auf dem Balkon wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 22, 23, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 223 StGB verurteilt.

II.

5
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist mehrere Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten auf. Die Strafkammer hat den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Taten nicht ausgeschöpft und ist ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.
6
1. Das Landgericht hat es unterlassen, das Geschehen in der Wohnung und auf dem Balkon unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) zu würdigen.
7
Durch das Verschließen der Wohnung hat der Angeklagte die andauernde physische Herrschaft über die Geschädigte erlangt und sich bereits insoweit ihrer bemächtigt im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 239a Rn. 7). Nach den Feststellungen liegt es auch nahe, dass mit dem bis zum Eintritt akuter Lebensgefahr erfolgtem langen und festen Würgen der Geschädigten konkludent eine Drohung mit dem Tod einherging (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 2 StR 606/13, NStZ 2014, 515). Es wäre daher zu erörtern gewesen, ob die durch das Verschließen der Wohnung geschaffene Beherrschungslage zum Zeitpunkt dieser qualifizierten Drohung bereits eine „gewisse Stabilisierung“ erfahren und sich daher „eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Be- mächtigungslage ergeben“ hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 4 StR 522/13; Beschluss vom 9. September 2015 - 4 StR 184/15, NStZ-RR 2015, 336, 337). Dafür spricht, dass der Angeklagte nicht nur die Wohnung verschlossen hatte, sondern die Geschädigte, die dies bemerkt hatte und sich bedroht fühlte, weiter beschimpfte und ihr entgegnete, sie müsse nun zwei Tage in der Wohnung bleiben und ihm für sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen.
8
Sollte der Angeklagte die Bemächtigungslage nicht bereits geschaffen haben, um die Geschädigte durch eine qualifizierte Drohung zu nötigen, so liegt es nach den Feststellungen zum weiteren Tatablauf nahe, dass er die stabilisierte Bemächtigungslage insoweit ausnutzte.
9
2. Ungeachtet dessen kommt im Hinblick auf die Tatgeschehen in der Wohnung und auf dem Balkon bereits nach den getroffenen Feststellungen jeweils auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB in Betracht. Dies hat das Landgericht erkennbar übersehen.
10
3. Was das Tatgeschehen in der Wohnung betrifft, war die tateinheitliche Verurteilung nur wegen (einfacher) Körperverletzung rechtsfehlerhaft. Zwar ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die durch das Würgen der Geschädigten erfüllte Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB durch § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b StGB verdrängt wird (vgl. zu § 250 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b StGB: BGH, Beschluss vom 12. August 2005 - 2 StR 317/05, NStZ 2006, 449).
Der Angeklagte war jedoch tateinheitlich wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verurteilen, da die Verletzungen mit der brennenden Zigarette von der Verwirklichung des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht umfasst werden (vgl. zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB: BGH, Urteil vom 20. Oktober 2010 - 2 StR 434/10, NStZ-RR 2011, 87, 88).
11
4. Auch im Hinblick auf den nur für die Strafzumessung relevanten Schuldumfang hat das Landgericht den Unrechtsgehalt der festgestellten Taten nicht ausgeschöpft, denn nach den Feststellungen kommt auch das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der schweren körperlichen Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB in Betracht. Ausreichend dafür ist es, dass die körperliche Integrität des Opfers „bei der Tat“ in einer Weise verletzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 5 StR 422/14, NStZ 2015, 152, 153); dies könnte jedenfalls im Hinblick auf die der Geschädigten zugefügten Brandwunden der Fall sein.
12
Soweit die Revision rügt, die Strafkammer habe nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte die weitere Tatvariante der Vergewaltigung in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt haben könnte, weist der Senat auf dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 2 StR 517/08, NStZ 2009, 207; BGH, Beschluss vom 26. Oktober - 4 StR 397/10; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 580/10, NStZ 2011, 274; Beschluss vom 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11, NStZ 2012, 34; vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 177 Rn. 45a).
13
5. Die zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 97) - zur Aufhebung des Urteils. Eine Schuldspruchänderung kam nicht in Betracht, denn die bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Senat eine eigene Entscheidung insbesondere im Hinblick auf eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB zu ermöglichen. Sollten die Voraussetzungen für eine Verurteilung festgestellt werden können, käme - unter Verdrängung der Freiheitsberaubung - wegen der Klammerwirkung des § 239b StGB die Annahme von Tateinheit im Hinblick auf das gesamte Tatgeschehen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 StR 453/10, NStZ-RR 2011, 142, 143).
14
Dies führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs auch soweit der Angeklagte rechtsfehlerfrei wegen besonders schwerer Vergewaltigung bzw. versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt worden ist. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15 zitiert 9 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 250 Schwerer Raub


(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Wider

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 239 Freiheitsberaubung


(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist

Strafgesetzbuch - StGB | § 239b Geiselnahme


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu ein

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2014 - 4 StR 522/13

bei uns veröffentlicht am 11.02.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 S t R 5 2 2 / 1 3 vom 11. Februar 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: erpresserischen Menschenraubes u.a. zu 2.: Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs h

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11

bei uns veröffentlicht am 10.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 78/11 vom 10. Mai 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts -

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Jan. 2011 - 1 StR 580/10

bei uns veröffentlicht am 12.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 580/10 vom 12. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landger

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Sept. 2015 - 4 StR 184/15

bei uns veröffentlicht am 09.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR184/15 vom 9. September 2015 in der Strafsache gegen wegen erpresserischen Menschenraubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Sep

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2014 - 5 StR 422/14

bei uns veröffentlicht am 09.12.2014

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 176a Abs. 5 StGB § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern können eine körperlich schwere Misshandlung (§ 176a Abs. 5, § 177 Abs. 4 Nr. 2 Bu

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2014 - 2 StR 606/13

bei uns veröffentlicht am 27.05.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 6 0 6 / 1 3 vom 27. Mai 2014 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdefü
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Apr. 2017 - 2 StR 79/17

bei uns veröffentlicht am 20.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 79/17 vom 20. April 2017 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen u.a. ECLI:DE:BGH:2017:200417B2STR79.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anh

Referenzen

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 6 0 6 / 1 3
vom
27. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am
27. Mai 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 20. September 2013 im Fall Il.1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexueller Nötigung, wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

I.

2
Die Verurteilung im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen Geiselnahme hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lockte der Angeklagte die Nebenklägerin in seine Wohnung, verschloss die Tür und stieß sie auf ein Sofa. Als sie versuchte, zur Ausgangstür zu gelangen, hielt er sie zurück und verklebte ihr mit einem Klebeband den Mund. Er umfasste sodann mit seiner Hand den Hals des Tatopfers und drückte dabei so fest zu, dass sie kaum noch Luft bekam , während er ihr sagte "Entweder Du machst jetzt mit oder …". Danach entfernte er das Klebeband wieder und zwang sie, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen bzw. seine sexuellen Handlungen zu dulden.
4
2. Dieser Sachverhalt erfüllt unter Beachtung der vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (Beschluss vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359) zur Auslegung des § 239b StGB im ZweiPersonen -Verhältnis aufgestellten Grundsätze nicht den Tatbestand der Geiselnahme. Wenn die qualifizierte Drohung - hier die mit dem Zudrücken des Halses einhergehende konkludente Drohung mit dem Tod - zugleich dazu dient, sich des Opfers zu bemächtigen und es in unmittelbarem Zusammenhang damit zu weitergehenden Handlungen zu nötigen, werden die abgenötigten Handlungen ausschließlich durch diese Drohung durchgesetzt, ohne dass der Bemächtigungssituation die in § 239b StGB vorausgesetzte eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. auch BGH, StraFo 2013, 389). Dass - wie die Kammer annimmt - bereits vor dieser Drohung eine durch die vorangegangenen Handlungen herbeigeführte stabile Bemächtigungslage bestanden hat, ist angesichts des gedrängten und ohne erkennbare Zwischenschritte aufeinanderfolgenden Tatablaufs nicht belegt.
5
3. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, auch soweit die tateinheitlich verwirklichten Sexualdelikte zum Nachteil des Tatopfers betroffen sind. Dies gibt dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu prüfen, ob hinsichtlich der Verwendung des Klebebands gegebenenfalls die Voraussetzungen einer Verurteilung nach § 177 Abs. 3 Nrn. 1, 2 bzw. § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB gegeben sind.
6
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da lediglich ein Wertungsfehler des Landgerichts gegeben ist. Der neue Tatrichter ist allerdings nicht gehindert, weitere Feststellungen zu treffen, soweit sie zu den bestehenden nicht in Widerspruch stehen.

II.

7
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1 der Urteilsgründe führt insoweit zum Wegfall des Strafausspruchs und entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 S t R 5 2 2 / 1 3
vom
11. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: erpresserischen Menschenraubes u.a.
zu 2.: Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Februar 2014 nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. April 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte M. wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraubin Tateinheit mit räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der letztgenannten Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat das Landgericht eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
2
Mit ihren Revisionen beanstanden die Angeklagten jeweils allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.


3
Die tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes bzw. wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Strafvorschrift in den Urteilsgründen nicht hinreichend belegt.
4
1. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
5
Am Tattag, dem 4. Oktober 2011, verschafften sich beide Angeklagte sowie die gesondert verfolgten Zeugen Kr. und Ka. Zugang zur Wohnung des Geschädigten, des Zeugen Z. in Herne. Wahrheitswidrig behauptete die Angeklagte M. zunächst, in der Nacht sei „die Staatsanwaltschaft“ bei ihr gewesen, da er, der Geschädigte, Spionage betrieben habe. Sie forderte ihn zur Herausgabe seiner Ausweise und zur Preisgabe seiner „wahren Identität“auf; der gesondert verfolgte Zeuge Ka. verlieh dieser Forderung Nachdruck, indem er mit seiner Faust in die Rippen des Geschädigten schlug. Die Angeklagte M. nahm sodann den Ausweis und das Mobiltelefon des Geschädigten an sich, ferner sein Portemonnaie mit Krankenversicherungskarte , Führerschein, Fahrzeugschein, EC-Karte und etwas Bargeld sowie seinen Autoschlüssel. Der Geschädigte ließ dies geschehen, weil er aufgrund der Schläge und der Drohungen keine Möglichkeiten zur Abwehr sah. Spätestens jetzt erkannte der Angeklagte K. , dass der Geschädigte mit Gewalt und Drohungen zur Herausgabe von Gegenständen genötigt werden sollte und dass seine, des Angeklagten Anwesenheit und sein Verhalten dazu beitrugen, den Druck auf den Geschädigten aufrechtzuerhalten und im Zusammenspiel mit den anderen Tatbeteiligten die Tat der Angeklagten M. ermöglichten. Nachdem sich der Geschädigte auf Geheiß der Angeklagten M. auf ein Sofa gesetzt hatte, verabreichte sie ihm Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht und gegen das Ohr, zwei Tritte mit dem Knie zwischen die Beine sowie einen Sprühstoß aus einer Haarspray-Dose ins Gesicht und warf ihm vor, er misshandele seine Frau, sperre sie ein und halte sie finanziell kurz. Sie forderte den Geschädigten auf, im Internet einen Kreditantrag bei einer Bank über 5.000 Euro auszufüllen. Der Geschädigte kam der Forderung nach, trennte jedoch unbemerkt die Internet -Verbindung, so dass es zu keinem Vertragsabschluss kam. Unter fortwährender Wiederholung ihrer Vorwürfe durchwühlte die Angeklagte M. die Aktentasche des Geschädigten und forderte ihn auf, die Sachen seiner Frau einzupacken und am nächsten Tag die 5.000 Euro aus dem Bankkredit bei ihr vorbei zu bringen. Sollte er danach nicht jeden Monat 500 Euro an sie zahlen, werde sie mit ihren Begleitern wieder kommen. Anschließend trugen der Angeklagte K. sowie die Zeugen Kr. und Ka. die in Kartons und Taschen gepackten Sachen der Ehefrau des Geschädigten sowie einen Drucker zum Auto des Zeugen Kr. . Ferner nahmen sie den Ausweis, das Portemonnaie , den Autoschlüssel, das Mobiltelefon und die Aktentasche des Geschädigten mit sich. Nach insgesamt etwa zwei Stunden verließen sie die Wohnung des Geschädigten und fuhren in die Wohnung der AngeklagtenM. zurück. Bei einer zwei Tage später durchgeführten polizeilichen Durchsuchung wurden das Mobiltelefon, der Fahrzeugschlüssel, die Fahrzeugpapiere, der Ausweis und die Aktentasche des Geschädigten Z. sowie der Drucker in der Wohnung der Angeklagten M. sichergestellt.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Tatbestandsvoraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes im Sinne von § 239a Abs. 1 StGB weder unter dem Gesichtspunkt des Entführens- oder Bemächtigungstatbestandes (Abs. 1 Halbs. 1) noch unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzungstatbestandes (Abs. 1 Halbs. 2).
7
a) In der Variante des Entführens bzw. Sichbemächtigens im Zwei-Personen -Verhältnis ist § 239a Abs. 1 StGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dahin einschränkend auszulegen, dass der Täter durch die Anwendung von Gewalt oder durch Drohungen gegen das Opfer eine stabile Bemächtigungslage schaffen und beabsichtigen muss, diese Lage für sein weiteres Vorgehen auszunutzen. Aus dieser Bemächtigungslage muss sich über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer ergeben. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungsund Nötigungsmittel zusammenfallen (BGH [GS], Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359; Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, BGHR StGB § 239a Sichbemächtigen 9, Tz. 8 mwN).
8
Gemessen daran sind die Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes bis zur vollendeten Wegnahme von Ausweis, Mobiltelefon, Portemonnaie und Autoschlüssel des Geschädigten im vorliegenden Fall nach den Feststellungen nicht hinreichend dargetan. Durch die bis dahin erfolgte Gewalt- anwendung, ausgeführt von dem anderweitig verfolgten Zeugen Ka. durch Faustschläge in die Rippen des Geschädigten, unter deren Eindruck dieser die Wegnahme der genannten Gegenstände duldete, hatten die Angeklagten zwar eine andauernde physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt. Die Wegnahme erfolgte jedoch bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit der dadurch entstandenen Beherrschungssituation, so dass, entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts, eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer weiteren Erpressung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt war.
9
b) Auch die Voraussetzungen des Ausnutzungstatbestandes im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 2 StGB sind nicht belegt.
10
Diese Tatvariante liegt vor, wenn sich der Täter nach einer von ihm selbst oder ihm zurechenbar von einem Mittäter geschaffenen Bemächtigungssituation entschließt, diese zu einer Erpressung auszunutzen (SSW-StGB/ Schluckebier, 2. Aufl., § 239a Rn. 14). Da der Tatbestand der Erpressung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den des Raubes mit umfasst, vermag die vom Landgericht in diesem Zusammenhang festgestellte, im weiteren Geschehensverlauf in der Wohnung des Geschädigten erfolgte Wegnahme des Druckers und der Aktentasche eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes grundsätzlich zu begründen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 3 StR 459/07, NStZ-RR 2009, 16, 17 mwN). Jedoch hat das Landgericht diese Tatbestandsalternative nicht in den Blick genommen und keine Feststellungen dazu getroffen, ob gerade die von den Tätern geschaffene Bemächtigungslage den Raub ermöglichte und ob die Angeklagten diese Verknüpfung auch subjektiv herstellten. Es kommt hinzu , dass den Urteilsgründen ein vollendeter Raub nicht entnommen werden kann. Es ist weder festgestellt, in wessen Eigentum der mitgenommene Drucker stand, noch, ob sich die Angeklagten die ihrem Opfer weggenommene Aktentasche und darin befindliche Sachen zueignen wollten oder die Aktentasche nur an sich nahmen, weil sie darin Bargeld oder andere wertvolle Gegenstände vermuteten (zur st. Rspr. vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309 mwN).

II.


11
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Gegebenenfalls wird der neue Tatrichter das Geschehen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Nötigung zu würdigen haben.
VRi‘inBGH Sost-Scheible ist Cierniak Franke urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR184/15
vom
9. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. September 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. November 2014 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er im Fall II. 2 der Urteilsgründe lediglich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt ist und dass fünf Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen vor der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen sind. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung von Strafen aus zwei anderen Urteilen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls (Fall II. 1 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und gegen ihn wegen erpresserischen Menschenraubes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung (Fall II. 2 der Urteilsgründe), in einem Fall in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpres- sung (Fall II. 4 der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit Raub (Fall II. 3 der Urteilsgründe) eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt. Es hat außerdem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ausgesprochen , dass fünf Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen „vor der Vollstre- ckung der freiheitsentziehenden Maßregeln zu vollziehen“ sind. Die auf die all- gemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Schuldspruchänderung und der Klarstellung des Maßregelausspruchs.
2
1. Die Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3
a) Des erpresserischen Menschenraubes macht sich schuldig, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wer die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§ 253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis allerdings, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Be- mächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist – insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten – indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32 mwN; Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 174).
4
b) Die Strafkammer konnte im Fall II. 2 der Urteilsgründe keine sicheren Feststellungen zum Tathergang treffen, weil der Geschädigte J. bei der Tat schwer verletzt wurde und eine retrograde Amnesie mit fast komplettem Gedächtnisverlust bezüglich des Tatgeschehens erlitt. Er wurde mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen, höchstwahrscheinlich, um von ihm die PIN zu der von den Tätern vorgefundenen ec-Karte zu erfahren oder eventuell auch erst, nachdem er die PIN offenbart hatte, um ihn handlungsunfähig zu machen und zu gewährleisten, dass er nicht zeitnah die Polizei verständigen oder die ec-Karte sperren lassen konnte. Bei der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht hierzu ausgeführt, der Angeklagte und möglicherweise ein Mittäter hätten sich des Geschädigten in Erpressungsabsicht bemächtigt, indem sie in sein Haus eindrangen und dem Geschädigten eine Flucht aufgrund seiner Gehbehinderung und seiner körperlichen Unterlegenheit nicht möglich gewesen sei. Der Täter habe dem Zeugen J. sodann unter dem Eindruck nicht näher bekannter Mittel – eventuell habe bereits die von der Bemächtigungslage ausge- hende Gefahr und die dadurch begründete Sorge des Zeugen J. um Leib und Leben ausgereicht – klar gemacht, dass er nun jedenfalls Auskunft über die PIN geben müsse, was der Zeuge dann auch getan habe. Dies habe dem Tatplan entsprochen, so dass der Täter vorsätzlich und mit der Absicht gehandelt habe, die Bemächtigungslage und die Sorge des Zeugen J. um sein Wohl für die Erpressung auszunutzen.
5
c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes werden von diesen Feststellungen und Annahmen nicht hinreichend belegt. Es besteht danach zwar die Möglichkeit, dass sich die Täter entsprechend ihrem allgemeinen Tatplan zunächst des Zeugen durch einfache körperliche Überlegenheit bemächtigt haben; sicher festgestellt ist dies jedoch nicht. Denn der allgemeine Tatplan wurde nicht in allen Fällen umgesetzt; im Fall II. 1 der Urteilsgründe ist es bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl verblieben , obwohl die Geschädigte L. zum Tatzeitpunkt anwesend war. Es bleibt sonach offen, ob die Täter sich zunächst des Zeugen J. bemächtigt haben und aufgrund dieser Bemächtigungslage die PIN für die ec-Karte preisgegeben wurde, oder ob sie ihn sofort durch den Einsatz von Schlägen genötigt haben, die PIN mitzuteilen. Zwar hatten die Täter spätestens durch die massive Gewaltanwendung eine andauernde physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt. Die Preisgabe der PIN erfolgte bei dieser Sachverhaltsvariante jedoch möglicherweise bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit der Begründung der Beherrschungssituation, so dass eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer Erpressung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 4 StR 522/13).
6
2. Der Senat lässt die Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubes im Fall II. 2 der Urteilsgründe entfallen, weil eine neue Verhandlung keine weitere Aufklärung verspricht.
7
Die Einzelstrafe kann trotz der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Ausweislich der (insoweit zutreffenden) rechtlichen Würdigung durch die Strafkammer hat sich der Angeklagte in diesem Fall der besonders schweren räuberischen Erpressung nach §§ 255, 253, 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB schuldig gemacht. Der Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entspricht dem des § 239a StGB. Die Verwirklichung von zwei Tatbeständen hat das Landgericht dem Angeklagten nicht erschwerend angelastet.
8
3. Der Maßregelausspruch war dahin klarzustellen, dass sich der Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafen lediglich auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bezieht (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern
können eine körperlich schwere Misshandlung (§ 176a
Abs. 5, § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) darstellen.
BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 5 StR 422/14
- LG Berlin -
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR422/14
vom
9. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Richterin Dr. Schneider
als Vorsitzende,
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dölp,
Prof. Dr. König,
Dr. Berger,
Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin B.
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin E.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Mai 2014 im Schuldspruch dahin abgeändert und klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen , der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen (Fall 4) und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung (Fall 8), wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen (Fälle 1, 2, 3 und 5) und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen (Fälle 6 und 7) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt ; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten führt im Fall 3 zu einer Schuldspruchänderung zu seinen Gunsten; im Übrigen bleibt sein Rechtsmittel ohne Erfolg. Im Fall 4 verschärft der Senat den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte die am 22. Oktober 1999 geborene Nebenklägerin, für die er Erziehungsaufgaben übernommen hatte, ab ihrem 11. Lebensjahr in acht Fällen, davon in einem Fall nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres. Fall 3 liegt zugrunde, dass er an der unbedeckten Scheide der Nebenklägerin leckte (Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen). Im Fall 4 ergriff er die Nebenklägerin an den Unterarmen, warf sie aufs Bett und hielt sie fest. Er rieb ihren After mit einem Gel ein und vollzog gewaltsam den Analverkehr bis zum Samenerguss, obwohl die Nebenklägerin vor Schmerzen schrie. Um die „Geräusche“ zu ersticken, drückte er ihren Kopf inein Kissen (Ein- zelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen).
3
2. Die Schuldsprüche begegnen in den genannten Fällen durchgreifenden Bedenken.
4
a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 3 zu Unrecht auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. Denn es ist nicht festgestellt, dass er beim Oralverkehr in den Körper der Nebenklägerin eindrang. Mithin ist ein Fall des nicht qualifizierten sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen gegeben. Der Senat ändert den Schuldspruch zugunsten des Angeklagten entsprechend ab.
5
Die Schuldspruchänderung führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht zur Herabsetzung der insoweit verhängten Einzelstrafe (§ 354 Abs. 1 StPO). Denn der Senat kann ein Beruhen des Einzelstrafausspruchs auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ausschließen. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, dass ihm ein Tenorierungsversehen unterlaufen sei (UA S. 12) und dass es die Einzelfreiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB entnommen habe (UA S. 42). Hieran zu zweifeln besteht kein Anlass. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Tat trotz des milderen Strafrahmens im Verhältnis zu zwei Fällen des durch die Nebenklägerin am Angeklagten ausgeführten Oralverkehrs als gleichgewichtig angesehen hat, ist frei von Rechtsfehlern.
6
b) Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Einzelfreiheitsstrafe in Fall 4 auf das in § 176a Abs. 2, § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB vorgesehene Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe festzusetzen (§ 354 Abs. 1 StPO), weil das Landgericht rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen habe. Dem folgt der Senat nicht.

7
Zwar vermochte die Jugendkammer in Abweichung von den Anklagevorwürfen eine Fesselung der Nebenklägerin nicht festzustellen. Das Urteil weist jedoch zugleich einen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Denn das Landgericht hat nicht erwogen, dass die Qualifikationstatbestände der schweren körperlichen Misshandlung nach § 176a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB verwirklicht sind. Der Senat kann deswegen offen lassen, ob der Angeklagte wegen Verwendung eines gefährliches Werkzeugs (auch) den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt hat, indem er den Kopf der Nebenklägerin in ein Kissen drückte, um deren Schreie zu unterbinden.
8
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt das Merkmal der schweren körperlichen Misshandlung einerseits nicht den Eintritt der in § 226 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung) bezeichneten gravierenden Folgen; andererseits genügt eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung“ der körperlichen Unversehrtheit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1993 – 4 StR 717/93, bei Miebach NStZ 1994, 223). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die körperliche Integrität des Opfers in einer Weise verletzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai1998 – 5StR 216/98, NStZ 1998, 461; BGH, Urteile vom 13. September2000 – 3 StR 347/00, BGHR StGB § 177 Abs. 4 Misshandlung 1; vom 13. Feb- ruar 2007 – 1 StR 574/06; vom 15. September 2010 – 2 StR 395/10, NStZ-RR 2011, 337, 338; vgl. zu § 176a Abs. 3 Nr. 2 StGB aF BGH, Urteil vom 11. August 1993 – 3 StR 325/93). Dabei schadet es nicht, wenn die Misshandlung nicht gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird, sondern im Zuge der sexuellen Handlungen erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229).
9
b) Daran gemessen ist das Merkmal hier gegeben. Der Angeklagte erzwang an der zur Tatzeit allenfalls zwölfjährigen Nebenklägerin den (erstmaligen) Analverkehr bis zum Samenerguss. Hierdurch fügte er ihr derart gravierende Schmerzen zu, dass er sich veranlasst sah, ihre lauten Schreie (vgl. auch UA S. 23: „… dass sie vor Schmerzen gebrüllt habe“) zu ersticken, indem er ihren Kopf in ein Kissen drückte. Den Ausführungen der Jugendkammer ist zu entnehmen, dass sich die Misshandlung über geraume Zeit erstreckte.
10
aa) Der Senat verkennt nicht, dass namentlich anale Penetrationen bei Kindern auf dieser Basis nicht selten den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 5 StGB177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) erfüllen werden. Er sieht jedoch keinen Grund, solche schwerwiegenden Taten nicht der verschärften Strafdrohung zu unterwerfen. Dem lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass mit dem Eindringen in den Körper von Kindern typischerweise Schmerzen verbunden sein werden, der Gesetzgeber für derartige Taten in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB) aber einen günstigeren Strafrahmen vorgesehen hat (vgl. dazu SK-Wolters, StGB, § 177 Rn. 33; LK-Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 84; Kudlich, JR 2001, 378, 380). Denn es existieren – wie auch die Tatserie des Angeklagten erweist – Vorgänge des Eindringens, die nicht schmerzhaft sind oder insoweit jedenfalls nicht den erforderlichen Erheblichkeitsgrad erreichen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Verursachung beträchtlicher Schmerzen regelmäßige und damit vom Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB) abschließend umfasste Begleiterscheinung der darin bezeichneten Tathandlungen ist. Dass eine Privilegierung schon für sich genommen äußerst schmerzhafter Sexualhandlungen gegenüber sonstigen körperlichen Misshandlungen wie etwa heftigen und mit Schmerzen verbundenen Schlägen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, aaO) vom Gesetzgeber intendiert gewesen sein könnte, liegt nicht nahe (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, aaO).
11
Genauso wenig lässt sich aus dem in der Vorschrift weiter aufgeführten Qualifikationsmerkmal der Verursachung einer Todesgefahr ein plausibler Grund für eine Ausgrenzung von (höchst schmerzhaften) „Pe- netrationshandlungen“ gewinnen (sowohl MüKo/Renzikowski, 2. Aufl., § 176a Rn. 34). Denn es handelt sich um qualitativ unterschiedliche Merkmale mit divergierender Schutzrichtung.
12
bb) Allerdings bedarf es für die Annahme einer schweren körperlichen Misshandlung hinreichender Feststellungen zu Ausmaß und Dauer der Schmerzen. Anders als bei den weiteren ausgeurteilten Fällen (analer) Vergewaltigungen bzw. deren Versuch zum Nachteil der Nebenklägerin genügen die Urteilsgründe diesem Erfordernis im Fall 4.
13
cc) Der Senat ändert daher den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten ab; das Verschlechterungsgebot steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13 mwN; vom 22. April 2014 – 5 StR 123/14, vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14). Ferner ist § 265 StPO nicht verletzt, weil nicht ersichtlich ist, dass der in der Haupt- verhandlung schweigende und im Ermittlungsverfahren bestreitende Angeklagte sich anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13).

14
3. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die weitergehende Revision ist daher aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet.
15
Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht im Fall 6 unter Verkennung des Gewaltbegriffs in der Ausformung durch die Rechtsprechung (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 177 Rn. 5 mit zahlreichen Nachweisen) mangels „Gegenwehr“ des Opfers nicht auch eine sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB angenommen hat. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass sich die Jugendkammer im Fall 8 hinsichtlich der durch das verabreichte Potenzmittel hervorgerufenen Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Übelkeit der Nebenklägerin) nicht von einem zumindest bedingten Vorsatz des Angeklagten und damit vom Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu überzeugen vermochte (vgl. UA S. 19). Jedoch stellt der Senat die Urteilsformel mit Blick auf die bereits vom Landgericht angenommene Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB insoweit dahingehend klar, dass der Angeklagte in diesem Fall der schweren Vergewaltigung schuldig ist.
Schneider Dölp König
Berger Bellay

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 580/10
vom
12. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 22. Juni 2010 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend merkt der Senat an:
Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte
in allen Fällen sowohl § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB als auch § 177 Abs. 1
Nr. 3 StGB verwirklicht hat. Diese Tatvarianten stehen gleichrangig nebeneinander
(vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2002 - 2 StR 153/02,
NStZ-RR 2003, 42, 44; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1999 - 1 StR 216/99, NStZ
1999, 505; BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 - 2 StR 248/99, BGHSt 45, 253,
259; BGH, Urteil vom 3. November 1998 - 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228). Soweit
der Senat (Beschluss vom 8. September 1989 - 1 StR 439/98, NStZ 1999,
30) § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch als "neuen Auffangtatbestand" bezeichnet
hat, war dies aus den dortigen Beschlussgründen ersichtlich nicht im Sinne der
Subsidiarität gemeint, sondern dahingehend, dass diese Begehungsalternative
eigenständig neben die bisherigen Tatmittel tritt und weitere Fälle erfassen soll.
Denn der Senat hat in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Formulierung
nur zum Ausdruck gebracht, dass im dortigen Einzelfall der Tatrichter das Verhalten
des Angeklagten unter Umständen auch als Ausnutzung der Drohwirkung
früherer Gewaltanwendung und der Fortwirkung früherer Drohungen hätte
werten können. Weiter hat der Senat zuvor klargestellt, dass durch die Aufnahme
der 3. Begehungsalternative (unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage)
neben der Anwendung von Gewalt und der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben in den Tatbestand der Vergewaltigung durch das 33.
StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607) eine Erweiterung der Strafbarkeit eingetreten
ist. Der Senat hat deshalb betont, dass Strafbarkeitslücken geschlossen
werden sollten, die nach früherem Recht auftreten konnten. Die Einführung
dieser 3. Alternative des § 177 Abs. 1 StGB dient - wie auch die Gesetzesmaterialien
belegen (BT-Drucks. 13/7324, S. 6 und BT-Drucks. 13/4543, S. 2) - eindeutig
der Schließung von als untragbar empfundenen Strafbarkeitslücken, wobei
die vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fälle kein "Weniger" gegenüber
den beiden anderen Begehungsalternativen darstellen, sondern es sollten eigenständige
weitere Fallkonstellationen erfasst werden wie z.B. auch die früher
unter § 237 StGB aF fallenden Entführungsfälle (BT-Drucks. 13/324, S. 6 f.).
Der Verwirklichung auch dieser Alternative kommt daher grundsätzlich ein eigener
Unrechtsgehalt zu. Der Senat teilt insoweit die (BGH, Beschluss vom
10. Dezember 2008 - 2 StR 517/08, NStZ 2009, 207 f.) geäußerten Bedenken
nicht.
Im vorliegenden konkreten Einzelfall war das Opfer unabhängig von der
Drohung, bei Weigerung werde seine Mutter umgebracht, durch seine schutzlose
Lage gezwungen, die sexuellen Handlungen des Angeklagten zu erdulden.
Denn seine Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten waren in einem solchen
Maße verringert, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben
war. Hier bewirkten sowohl äußere Gegebenheiten als auch in der Person des
Opfers liegende Umstände die verminderten Schutz- und Verteidigungsmög-
lichkeiten. Für die Feststellung, das Tatopfer habe sich in einer schutzlosen Lage
befunden, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen
Umstände an, die ergeben müssen, dass das Tatopfer Einwirkungen des
Täters weder mit Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstand entgegensetzen,
noch sich ihnen durch Flucht entziehen noch auf die Hilfe dritter Personen hoffen
könnte (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50,
359, 362).
Eine solche Gesamtwürdigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen
und dabei insbesondere bedacht, dass der Angeklagte zum einen
die Taten bewusst an Orten ausgeführt hat, an denen hilfsbereite Personen für
das Opfer nicht erreichbar waren, und zum anderen bewusst die schwere Körperbehinderung
des Opfers ausgenutzt hat. Dieses leidet an einer spastischen
Lähmung beider Beine und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Darüber hinaus
kann es eine Hand nicht bewegen. Die junge Frau konnte sich aufgrund ihrer
Behinderung weder entfernen noch ernsthaft wehren. Aus der Beschlussempfehlung
und dem Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages zum 33.
StrÄndG ergibt sich, dass die 1997 neu geschaffene Begehungsvariante auch
darauf abzielte, den Schutz geistig und körperlich behinderter Menschen, deren
Widerstandsfähigkeit eingeschränkt ist, vor erzwungenen sexuellen Übergriffen
zu verbessern (BT-Drucks. 13/7663, S. 4 und 5). Dass der verbesserte Schutz
von Kindern und Behinderten als schwächste und hilfsbedürftigste Mitglieder
der Gesellschaft weiterhin ausdrückliches gesetzgeberisches Ziel ist, zeigt auch
das Sexualdelikteänderungsgesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I 3007),
durch welches die Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB und des § 179 Abs. 5
StGB angehoben und § 179 Abs. 3 StGB neu eingeführt wurde. Gerade in den
Fällen der vorliegenden Art, in denen das Opfer zu alt ist, um von § 176a StGB
geschützt zu werden, würde bei Nichtvorliegen einer weiteren Alternative des
§ 177 Abs. 1 StGB eine zu restriktive Auslegung der 3. Begehungsalternative
des § 177 Abs. 1 StGB zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen. Denn der
dann allenfalls gegebene § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB mit seiner deutlich niedrigeren
Strafandrohung würde den Unrechtsgehalt der Tat gerade gegenüber den
zu schützenden Behinderten nicht in der gebotenen und vom Gesetzgeber gewollten
Weise erfassen.
Der Verwirklichung jeweils der weiteren Alternative des § 177 Abs. 1
(Nr. 2 und Nr. 3) StGB, deren entsprechend erforderliche subjektive Tatseite
vom Landgericht ebenfalls ohne Rechtsfehler festgestellt wurde, kommt daher
schulderhöhende Wirkung zu.
Nack Wahl Rothfuß
Elf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 78/11
vom
10. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Mai

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve in Moers vom 10. November 2010 wird
a) das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Anklage vom 7. Juni 2010, 300 Js 164/10) auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt,
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert , dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterflymessers sowie der Sachbeschädigung in neun Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie in weiterer Tateinheit mit einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes und sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall" sowie wegen Sachbeschädigung in neun Fällen und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Beschränkung der Strafverfolgung und hat insoweit zum Schuldspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt und den des Verwendens eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation von der Verfolgung ausgenommen. Die dadurch bedingte Änderung des Schuldspruchs führt hier nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dieser hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden gewichtigen Taten und des festgestellten erheblichen Erziehungsbedarfs kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei entsprechender Beschränkung der Strafverfolgung auf eine niedrigere als die verhängte Einheitsjugendstrafe erkannt hätte.
3
Angesichts des geringen Erfolges des Rechtsmittels ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
4
2. Zur Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung im Fall II. 2. der Urteilsgründe bemerkt der Senat:
5
a) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tatbestandsvarianten des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB verwirklicht, begegnet rechtlichen Bedenken.
6
aa) Die Erfüllung der Tatbestandsalternative Nr. 1 setzt Gewalt als vis absoluta oder vis compulsiva voraus. Erforderlich ist eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Kraftentfaltung, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Gewalt muss Mittel zur Überwindung von Widerstand sein (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 5 f. mwN). Zwar kann bereits ein - hier festgestelltes - Einsperren in einen umschlossenen Raum als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausreichen, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen Handlungen zu ermöglichen; an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es hingegen fehlen, wenn das Abschließen der Tür anderen Zwecken dient (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42). Wozu der Angeklagte die Tür des Mobilheimes verschlossen und den Geschädigten dadurch eingeschlossen hat, hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt. Durchgreifende Zweifel an dem Vorliegen der finalen Verknüpfung der in dem Einsperren liegenden Gewalt mit den sexuellen Handlungen ergeben sich daraus, dass der Angeklagte und sein Mittäter ersichtlich erst geraume Zeit danach sowie nach mehreren anderen Nöti- http://www.juris.de/jportal/portal/t/2e72/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE300332006&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - gungen und Bedrohungen, der abgeurteilten gefährlichen Körperverletzung sowie nach anderen, das Opfer quälenden Handlungen übereinkamen, durch den Geschädigten sexuelle Handlungen an sich vornehmen zu lassen. Soweit das Landgericht das Tatgeschehen als Verwirklichung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen des Fortwirkens der vorangegangenen, ursprünglich zu anderen Zwecken eingesetzten Gewalthandlungen gewürdigt hat, fehlt es (zumindest) an der Feststellung, dass der Geschädigte dies als körperlichen Zwang empfunden hat. Das Landgericht hat insofern lediglich festgestellt, dass der Geschädigte "unter dem Eindruck" des vorangegangenen Geschehens sexuelle Handlungen an dem Angeklagten vornehmen musste.
7
bb) Die Feststellungen belegen im Übrigen (ebenfalls) nicht hinreichend, dass der Angeklagte und sein Mittäter die Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), verwirklicht haben. Dieser Tatbestand erfasst zunächst (nur) Fälle, in denen weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Bereits dies hat das Landgericht mit Blick auf die bejahte Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB verkannt.
8
Der Tatbestand setzt im Übrigen voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischer Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen (BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.). Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 27 f.). Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (BGH aaO 365 f.; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Der Täter muss das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 3 StR 479/09, NStZ 2010, 273; Fischer aaO Rn. 53).
9
Derartige Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen.
10
b) Hat der Täter zunächst (mit abweichender Intention) durch Gewalt auf sein Opfer eingewirkt, so kann sein späteres Verhalten, mit dem er das Opfer zu sexuellen Handlungen veranlassen will, jedoch die konkludente Drohung beinhalten, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls sein Vorhaben auf Widerstand stoßen sollte. Vorangegangene Gewalt kann in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 4 StR 260/10, NStZ 2010, 570). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Senat den Feststellungen hinreichend sicher entnehmen. Danach hat der Angeklagte eine sexuelle Nötigung dadurch begangen, dass er (und sein Mittäter) den Geschädigten durch qualifizierte Drohungen im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB zur Vornahme der sexuellen Handlungen genötigt hat.
11
Dass der Senat hierauf gestützt die Revision verwirft, wird durch § 265 StPO nicht gehindert; denn schon in der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Verwirklichung auch dieser Tatvariante vorgeworfen.
Becker RiBGH Pfister befindet sich Hubert im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Mayer

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.