Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11

bei uns veröffentlicht am10.05.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 78/11
vom
10. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Mai

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve in Moers vom 10. November 2010 wird
a) das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Anklage vom 7. Juni 2010, 300 Js 164/10) auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt,
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert , dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterflymessers sowie der Sachbeschädigung in neun Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie in weiterer Tateinheit mit einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes und sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall" sowie wegen Sachbeschädigung in neun Fällen und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Beschränkung der Strafverfolgung und hat insoweit zum Schuldspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt und den des Verwendens eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation von der Verfolgung ausgenommen. Die dadurch bedingte Änderung des Schuldspruchs führt hier nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dieser hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden gewichtigen Taten und des festgestellten erheblichen Erziehungsbedarfs kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei entsprechender Beschränkung der Strafverfolgung auf eine niedrigere als die verhängte Einheitsjugendstrafe erkannt hätte.
3
Angesichts des geringen Erfolges des Rechtsmittels ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
4
2. Zur Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung im Fall II. 2. der Urteilsgründe bemerkt der Senat:
5
a) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tatbestandsvarianten des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB verwirklicht, begegnet rechtlichen Bedenken.
6
aa) Die Erfüllung der Tatbestandsalternative Nr. 1 setzt Gewalt als vis absoluta oder vis compulsiva voraus. Erforderlich ist eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Kraftentfaltung, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Gewalt muss Mittel zur Überwindung von Widerstand sein (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 5 f. mwN). Zwar kann bereits ein - hier festgestelltes - Einsperren in einen umschlossenen Raum als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausreichen, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen Handlungen zu ermöglichen; an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es hingegen fehlen, wenn das Abschließen der Tür anderen Zwecken dient (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42). Wozu der Angeklagte die Tür des Mobilheimes verschlossen und den Geschädigten dadurch eingeschlossen hat, hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt. Durchgreifende Zweifel an dem Vorliegen der finalen Verknüpfung der in dem Einsperren liegenden Gewalt mit den sexuellen Handlungen ergeben sich daraus, dass der Angeklagte und sein Mittäter ersichtlich erst geraume Zeit danach sowie nach mehreren anderen Nöti- http://www.juris.de/jportal/portal/t/2e72/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE300332006&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - gungen und Bedrohungen, der abgeurteilten gefährlichen Körperverletzung sowie nach anderen, das Opfer quälenden Handlungen übereinkamen, durch den Geschädigten sexuelle Handlungen an sich vornehmen zu lassen. Soweit das Landgericht das Tatgeschehen als Verwirklichung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen des Fortwirkens der vorangegangenen, ursprünglich zu anderen Zwecken eingesetzten Gewalthandlungen gewürdigt hat, fehlt es (zumindest) an der Feststellung, dass der Geschädigte dies als körperlichen Zwang empfunden hat. Das Landgericht hat insofern lediglich festgestellt, dass der Geschädigte "unter dem Eindruck" des vorangegangenen Geschehens sexuelle Handlungen an dem Angeklagten vornehmen musste.
7
bb) Die Feststellungen belegen im Übrigen (ebenfalls) nicht hinreichend, dass der Angeklagte und sein Mittäter die Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), verwirklicht haben. Dieser Tatbestand erfasst zunächst (nur) Fälle, in denen weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Bereits dies hat das Landgericht mit Blick auf die bejahte Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB verkannt.
8
Der Tatbestand setzt im Übrigen voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischer Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen (BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.). Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 27 f.). Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (BGH aaO 365 f.; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Der Täter muss das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 3 StR 479/09, NStZ 2010, 273; Fischer aaO Rn. 53).
9
Derartige Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen.
10
b) Hat der Täter zunächst (mit abweichender Intention) durch Gewalt auf sein Opfer eingewirkt, so kann sein späteres Verhalten, mit dem er das Opfer zu sexuellen Handlungen veranlassen will, jedoch die konkludente Drohung beinhalten, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls sein Vorhaben auf Widerstand stoßen sollte. Vorangegangene Gewalt kann in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 4 StR 260/10, NStZ 2010, 570). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Senat den Feststellungen hinreichend sicher entnehmen. Danach hat der Angeklagte eine sexuelle Nötigung dadurch begangen, dass er (und sein Mittäter) den Geschädigten durch qualifizierte Drohungen im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB zur Vornahme der sexuellen Handlungen genötigt hat.
11
Dass der Senat hierauf gestützt die Revision verwirft, wird durch § 265 StPO nicht gehindert; denn schon in der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Verwirklichung auch dieser Tatvariante vorgeworfen.
Becker RiBGH Pfister befindet sich Hubert im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Mayer

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 154a Beschränkung der Verfolgung


(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, 1. für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder2. neben einer Strafe oder Maß

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Dez. 2010 - 3 StR 401/10

bei uns veröffentlicht am 21.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 401/10 vom 21. Dezember 2010 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2010 gemäß §

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Dez. 2009 - 3 StR 479/09

bei uns veröffentlicht am 01.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 479/09 vom 1. Dezember 2009 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Dezember 2009 gemäß § 34

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2002 - 2 StR 153/02

bei uns veröffentlicht am 02.10.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 153/02 vom 2. Oktober 2002 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Oktober 2002, an der teilgenommen haben: Richter am

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2010 - 4 StR 260/10

bei uns veröffentlicht am 24.06.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 260/10 vom 24. Juni 2010 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Juni 2010 gemäß § 349
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11.

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Feb. 2019 - 2 StR 301/18

bei uns veröffentlicht am 13.02.2019

BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja StGB § 177 Abs. 2 Nr. 3 Ein Täter nutzt ein Überraschungsmoment im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB aus, wenn er die äußeren Umstände erkennt, aus denen sich ergibt, dass sich das Opfer

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 2 StR 438/15

bei uns veröffentlicht am 27.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 438/15 vom 27. Januar 2016 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:270116U2STR438.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2011 - 4 StR 396/11

bei uns veröffentlicht am 20.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 396/11 vom 20. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 gemäß

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Dez. 2011 - 4 StR 404/11

bei uns veröffentlicht am 21.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 404/11 vom 21. Dezember 2011 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2011 gem

Referenzen

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 153/02
vom
2. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Oktober
2002, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Athing,
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 22. November 2001 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.2 bis 7 verurteilt wurde,
b) im Fall II.1 im Strafausspruch sowie
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern und sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen, davon in fünf Fällen tateinheitlich mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Außerdem erging eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich im wesentlichen dagegen, daß der Angeklagte nicht auch in den Fällen II.2 bis 7 der Urteilsgründe wegen tateinheitlich begangener Vergewaltigung verurteilt wurde. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel, das im Fall 1 wirksam auf den Strafausspruch beschränkt ist, hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der Angeklagte übte in den Jahren 1998 und 1999 an seiner damals 12 bzw. 13-jährigen Nichte, der Nebenklägerin U. , mehrfach Analverkehr aus. Die Geschädigte, die mit ihren beiden Schwestern bei ihrem Vater aufwuchs, hatte bis dahin ein gutes, vertrauliches Verhältnis zu dem Angeklagten und seiner Familie gehabt. 1. Im Zeitraum vom 23. März bis 6. April 1998 übernahmen der Angeklagte und seine Ehefrau während eines Krankenhausaufenthalts des Vaters der Geschädigten auf dessen Bitte die Betreuung der Nebenklägerin und ihrer älteren Schwester. Zu diesem Zweck wohnten sie in der Wohnung der Familie U. . Als der Angeklagte sich eines Morgens mit seiner Nichte allein in der Wohnung befand, legte er sich zu ihr auf die Couch, begann sie zu küssen und hielt sie fest, als sie ihren Widerwillen bekundete und aufzustehen versuchte. Er schloß die Wohnungstür von innen ab. Das Mädchen wehrte sich ohne Erfolg , trat und schlug nach dem Angeklagten, der sie mit seinem Gewicht auf die Couch drückte und sie teilweise entkleidete. Da U. zu schreien begann , drückte er ihr ein Kissen auf das Gesicht. Er drehte sie auf die Seite und drang mit seinem erigierten Glied in den After des Kindes ein, was diesem heftige Schmerzen bereitete. Nachdem er nach zwei bis drei Minuten von ihr abgelassen hatte, gebot der Angeklagte seiner Nichte, mit niemandem über die Sache zu sprechen und sich normal zu verhalten, anderenfalls werde sie nur
sich selbst schaden und die Familie zerstören; auch werde ihr niemand Glauben schenken. Er drohte ihr, sie umzubringen, falls sie mit jemandem über die Tat sprechen sollte. Enttäuscht und verängstigt, vertraute sich die Geschädigte lediglich ihrer älteren Schwester an, die ihr jedoch nicht glaubte. 2. Vom 20. April bis 18. Mai 1998 wurden U. und ihre Schwester wiederum von dem Angeklagten und seiner Frau in der väterlichen Wohnung betreut, während sich der Vater in Kur befand. Als der Angeklagte an einem Tag morgens mit seiner Nichte allein in der Wohnung war, näherte er sich ihr wiederum in sexueller Absicht. Sie erklärte ihm, daß sie sein Verhalten ablehne , und wollte die Wohnung verlassen, mußte aber feststellen, daß er die Tür abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte. Der Angeklagte entkleidete sich, hielt das Mädchen fest, zog dessen Hose herunter und führte erneut den Analverkehr durch. Aus Furcht vor dem Angeklagten und aus Angst, man glaube ihr nicht, offenbarte sich U. nicht gegenüber Dritten. 3. Während desselben Kuraufenthalts des Vaters kam es zu einem weiteren Analverkehr des Angeklagten mit der Geschädigten, die sich im Hinblick auf die früheren Taten jedoch kaum noch zur Wehr setzte. 4. Im Sommer 1998, vermutlich im Juni, übte der Angeklagte in seiner eigenen Wohnung Analverkehr mit seiner Nichte aus, nachdem er zuvor seine eigenen Töchter hinausgewiesen hatte. Als die Tochter des Angeklagten die Geschädigte am Abend fragte, was ihr Vater immer mit ihr mache, schwieg U. . 5.-7. Im Sommer 1999 übernahmen der Angeklagte und seine Ehefrau erneut die Betreuung ihrer Nichten, als sich deren Vater vom 17. bis 25. August in der Türkei aufhielt. In diesem Zeitraum kam es in drei weiteren Fällen zur
Ausübung des Analverkehrs durch den Angeklagten mit U. . Diese setzte dem Angeklagten, dem sie körperlich weit unterlegen war, keine Gegenwehr mehr entgegen. Denn sie befand sich mit dem Angeklagten allein in der Wohnung des Mehrfamilienhauses.

II.

Das Landgericht hat die Übergriffe des Angeklagten als sexuellen Mißbrauch eines Kindes (im Fall 1 nach § 176 Abs. 3 StGB a.F.) bzw. schweren sexuellen Mißbrauch eines Kindes (in den übrigen Fällen) gewertet und - außer im Fall 4 - tateinheitlich begangenen sexuellen Mißbrauch einer Schutzbefohlenen angenommen. Mit Ausnahme der ersten Tat, bei der es die Anwendung von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB a.F. bejaht hat, hat sich das Landgericht an einer Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener Vergewaltigung gehindert gesehen, da bei den folgenden Taten weder Gewalt noch eine konkludente Drohung anzunehmen sei und auch die Ausnutzung einer schutzlosen Lage ausscheide. Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. 1. Als rechtsfehlerhaft erweist sich bereits die Argumentation des Landgerichts zur fehlenden Gewaltanwendung seitens des Angeklagten. Schon das Einsperren in einen umschlossenen Raum reicht als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen Handlungen zu ermöglichen (BGH GA 1965, 57; 1981, 168; Urt. vom 21. Januar 1987 - 2 StR 656/86); an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es dagegen fehlen, falls das Abschließen der Tür nur erfolgt, um ungestört zu sein und eine Entdeckung zu verhindern (BGH bei Miebach
NStZ 1996, 123; Beschl. vom 24. August 1999 - 4 StR 339/99 - insoweit in NStZ 1999, 629 nicht abgedruckt). Darüber hinaus ist im Einzelfall das - mit nicht ganz unerheblicher Krafteinwirkung verbundene - Festhalten des Opfers ebenso wie die Überwindung von geringfügiger Gegenwehr als Gewalt zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Januar 1987 - 2 StR 656/86; Urt. vom 6. September 1995 - 2 StR 363/95; Urt. vom 26. August 1997 - 1 StR 431/97; Beschl. vom 20. April 1999 - 4 StR 102/99); ausreichend sein kann je nach den Umständen des Falles auch das Packen an der Hand, das auf das Bett Stoßen oder das sich auf das Opfer Legen bzw. der Einsatz überlegener Körperkraft (BGH, Urt. vom 23. März 1997 - 1 StR 772/96 - insofern in NStZ 1997, 494 nicht abgedruckt; Beschl. vom 13. Juni 2002 - 5 StR 203/02). Danach liegt die Annahme von Gewalt im Fall 2 bereits deshalb nahe, weil der Angeklagte die Wohnungstür verschlossen und den Schlüssel entfernt hatte. Die Gesamtumstände sprechen dafür, daß er seine Nichte, die zuvor im Fall 1 zu fliehen versucht hatte, am Entweichen hindern wollte; eine Entdeckung durch andere Familienmitglieder war zu diesem Zeitpunkt nicht zu befürchten. In den weiteren Fällen hat das Landgericht, das die Möglichkeit einer Gewaltanwendung durch Einsperren offenbar übersehen hat, nicht festgestellt, ob die Wohnungstür während der Tatausführung ebenfalls verschlossen war. Auch hinsichtlich der Stärke der körperlichen Einwirkung und des Ausmaßes der Gegenwehr sind die Urteilsfeststellungen in den Fällen 2 bis 7 nicht erschöpfend; soweit die Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausführt, das Opfer habe dem Angeklagten "keine durch Gewalt zu überwindende Gegenwehr" entgegengesetzt, handelt es sich bereits um eine Wertung, für die es an einer ausreichenden Feststellungsgrundlage fehlt. Mangels einer
genaueren Schilderung des Verhaltens sowohl des Angeklagten als auch der Geschädigten ist es dem Senat nicht möglich, zu überprüfen, ob die Strafkammer im Ergebnis zu Recht die Anwendung von Gewalt abgelehnt hat. 2. Des weiteren wäre in den Fällen 2 bis 4 das Vorliegen einer Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB näher zu prüfen gewesen. Frühere Gewalteinwirkungen können als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte; so kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, daß das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben empfindet (vgl. BGH StV 1984, 330, 331; NStZ 1986, 409; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2, 5, 8). Allerdings geht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Gleichsetzung von Gewalt und Ausnutzung der Angst vor Gewalt im Sinne einer konkludenten Drohung in der Regel ausscheidet, wenn zwischen der Gewaltanwendung und dem späteren Geschlechtsverkehr Wochen oder sogar Monate liegen (vgl. BGH NStZ 1986, 409; BGHR StGB § 177 Serienstraftaten 5; NStZ-RR 1998, 105). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist hier in den Fällen 2 bis 4 die Annahme einer konkludenten Drohung nicht wegen des jeweiligen Zeitablaufs zur vorangegangenen Tat ausgeschlossen. Der Angeklagte hatte bei der kurz zuvor begangenen ersten Tat unter Einsatz körperlicher Kraft jede Ge-
genwehr des Mädchens unterbunden, seinen Fluchtversuch vereitelt und ihm in Anschluß an die Tat massiv gedroht. Die Geschädigte war, wie das Landgericht feststellt, in erheblichem Maße verängstigt und einer Drucksituation ausgesetzt. Angesichts der Gesamtumstände ist durchaus denkbar, daß das Mädchen das weitere Vorgehen des Angeklagten - wie von ihm gewollt - im Hinblick auf ihre bisherigen Erlebnisse als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfand, zumal bei der Gewichtung der Vorgänge die Sicht des Opfers, insbesondere wenn es sich noch im Kindesalter befindet, nicht außer acht bleiben kann (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8). Als konkludente Drohung kommt hier zum einen die Androhung in Betracht , wiederum mit dem Kind, das bei der ersten Tat starke Schmerzen verspürt hatte, gegen dessen Willen den Analverkehr auszuüben, was als Ankündigung einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu werten ist (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 178 StGB, Nr. 24 zu § 177 StGB). Zum anderen ist auch eine Fortwirkung der vom Angeklagten ausgesprochenen Drohung, er werde das Mädchen umbringen, wenn es über die (erste) Tat spreche, denkbar. Denn ebenso wie Gewalt, die der Täter ursprünglich aus anderen Gründen angewendet hatte, eine konkludente Drohung darstellen kann, kann auch eine zunächst zu anderen Zwecken ausgesprochene Drohung als solche im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB fortwirken (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8). Die Umstände der vom Landgericht festgestellten Taten drängten demnach zur Erörterung dieser Gesichtspunkte. 3. Schließlich begegnet auch die Ablehnung einer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß die Strafkammer hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "Lage, in der das Opfer der
Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist", von einem zu engen Begriffsverständnis ausgeht. Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenüber sieht und auf fremde Helfer nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (BGHSt 44, 228, 231; 45, 253, 256). Unerheblich ist, auf welche Umstände die schutzlose Lage des Opfers zurückzuführen ist; sowohl äußere Gegebenheiten als auch in der Person des Opfers liegende Umstände können die verminderten Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten bewirken. Die schutzlose Lage muß nicht vom Täter selbst herbeigeführt sein (BGHSt 45, 253, 256 f.; BGH NJW 2002, 381, 382). Die alleinige Erwägung des Landgerichts, das Tatgeschehen habe sich jeweils in Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus ereignet, trägt die Ablehnung einer schutzlosen Lage im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung nicht. Das Landgericht hat nicht einmal festgestellt, daß sich schutzbereite Dritte in Rufnähe befunden hätten und die Geschädigte eine realistische Chance auf Hilfe von außen gehabt hätte. Gerade in Mehrfamilienhäusern mit anonymerem Charakter wird häufig auch durch lautes Rufen oder Schreien keine besondere Hilfsbereitschaft anderer zu erlangen sein; so wurden auch im Fall 1 die Hilferufe des Opfers von niemandem vernommen. Eine schutzlose Lage setzt nicht notwendig ein Verbringen des Opfers an einen entlegenen Ort voraus; sie kann vielmehr, wenn, wie hier, weitere Umstände hinzutreten, auch in der Abgeschiedenheit der familiären Wohnung gegeben sein (ebenso Laufhüt-
te/Roggenbuck in LK StGB 11. Aufl. Nachtrag zu § 177, Rdn. 2; vgl. auch BGH, Beschl. vom 18. November 1997 - 4 StR 546/97 - und Beschl. vom 24. November 1999 - 3 StR 466/99 zur Rechtslage vor dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz ). Maßgeblich müssen insofern die Gesamtumstände der konkreten Tatsituation sein. Im vorliegenden Fall legt das Zusammenspiel mehrerer Faktoren - Alter und soziale Stellung des Opfers, seine Verängstigung infolge des gesamten Verhaltens des Angeklagten - die Annahme einer schutzlosen Lage jedenfalls dann nahe, wenn die Wohnungstür verschlossen und der Nebenklägerin damit jegliche Fluchtmöglichkeit abgeschnitten war.
b) § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über das Ausnutzen der schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen hinaus keine gesonderte Nötigungshandlung voraus; alleinige Tathandlung ist das Aufzwingen sexueller Handlungen unter Ausnutzung einer bestimmten Befindlichkeit des Opfers. Ausreichend ist, daß der Täter sich die sein Tatvorhaben ermöglichende oder erleichternde schutzlose Lage des Opfers bewußt zunutze macht, um dessen entgegenstehenden Willen zu überwinden (vgl. BGHSt 45, 253, 257 ff.; BGH NJW 2002, 381, 382; ebenso Laufhütte /Roggenbuck a.a.O. Rdn. 3; a.A. Tröndle/Fischer 50. Aufl. § 177 Rdn. 15 ff.; Fischer ZStW 2000, 75, 83 ff. und NStZ 2000, 142; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 11). Entgegen der Auffassung des Landgerichts bedurfte es daher nicht etwa einer zusätzlichen Ausübung von Zwang durch den Angeklagten oder eines ausdrücklichen Hinweises im Sinne einer Drohung.
c) Soweit die Kammer in subjektiver Hinsicht meint, nicht feststellen zu können, daß der Angeklagte sich einer besonders schutzlosen Lage der Nebenklägerin bewußt gewesen sei, ist diese Einschätzung ersichtlich von dem
zu engen Begriffsverständnis hinsichtlich des objektiven Tatbestands beeinflußt. Die bisherigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen legen vielmehr den Schluß nahe, daß der Angeklagte die Umstände erkannt hatte, die zu einer Verringerung der Verteidigungsmöglichkeiten bei seiner Nichte führten, und daß er sich bewußt war, daß sein Opfer die sexuellen Handlungen nur aufgrund dieser von ihm geschaffenen Lage über sich ergehen ließ. Insoweit sind aber entsprechende Feststellungen durch den Tatrichter erforderlich. 4. Infolge der rechtsfehlerhaften Verneinung einer tateinheitlich begangenen Vergewaltigung in den Fällen 2-7 kann der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben. Darüber hinaus bedurfte es neben der Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall 1. Denn die drei Alternativen des § 177 Abs. 1 StGB stehen gleichrangig nebeneinander (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 6; BGHSt 44, 228, 230; 45, 253, 259; BGH NStZ 1999, 505; StV 2000, 198, 199), so daß die Erfüllung mehrerer Varianten den Schuldgehalt der Tat erhöht und straferschwerend gewertet werden kann, auch wenn dies im Urteilstenor nicht zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urt. vom 3. November 1998 - 1 StR 521/98 insoweit in BGHSt 44, 228 nicht abgedruckt). Bode Detter Athing Rothfuß Elf

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 401/10
vom
21. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in die Wohnung der als Prostituierte tätigen F. ein und erzwang durch Drohungen und Ausnutzen ihrer "schutz- und ausweglosen Lage" zweimal den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei verwendete er jeweils ein Kondom. Er hat eingeräumt, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben, sich jedoch dahin eingelassen, sie sei hiermit einverstanden gewesen. Er habe jeweils im voraus 80 € für Oral- und Vaginalverkehr gezahlt. Das Landgericht hat diese Einlassung als in sich unstimmig gewertet und aufgrund der Aussagen mehre- rer Zeugen als widerlegt angesehen; die Geschädigte selbst hat es in der Hauptverhandlung nicht vernommen.
3
2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das Landgericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
4
a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung der in Litauen befindlichen Geschädigten zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte ihr jeweils vor Durchführung des Geschlechtsverkehrs einen Geldbetrag in Höhe von 80 € übergeben habe. Diesen Antrag hat die Strafkammer gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt, "da aufgrund der bisherigen eindeutigen Beweisaufnahme eine Vernehmung der in Litauen aufhältigen Zeugin F. nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist."
5
b) Diese Begründung trägt die Zurückweisung nicht.
6
aa) Der Antrag erfüllt die inhaltlichen Voraussetzungen eines Beweisantrags. Mit Blick auf die von der Revision vorgetragenen Umstände des vorliegenden Falles - etwa die in den Akten befindliche Kopie des litauischen Personalausweises der Geschädigten - ist die Angabe des Namens der Zeugin mit dem Zusatz "wohnhaft Litauen in der Gemeinde Jonava" als ausreichend bestimmte Bezeichnung des Beweismittels anzusehen.
7
bb) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323 mwN).
8
cc) Die auf eine derartige antizipierende Würdigung gestützte Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 451/09, StraFo 2010, 155).
9
Diesen Anforderungen wird der genannte Beschluss nicht gerecht. Er enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf die "bisherige eindeutige Beweisaufnahme" und damit noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließ er zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Beweislage durch die Strafkammer und die insoweit bestehende Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen und ohne Rechtsfehler von einer Vernehmung der Geschädigten in der Hauptverhandlung abgesehen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323).
10
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannte Zeugin vernommen und diese die Beweisbehauptungen bestätigt hätte.
11
4. Mit Blick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
12
Die vom Landgericht in beiden Fällen ohne nähere Ausführungen angenommene Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), erfasst diejenigen Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint. Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 StR 494/08, NStZ 2009, 443; Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 StR 223/09, NStZ 2010, 149 jeweils mwN).
13
Da der Angeklagte nach den Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil die Geschädigte im ersten Fall auf das Bett drückte und im zweiten Fall zum Bett zerrte, könnte gegebenenfalls eine nähere Betrachtung dahin veranlasst sein, ob der Angeklagte die Geschädigte unter Einsatz von Gewalt nötigte (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 401/10
vom
21. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in die Wohnung der als Prostituierte tätigen F. ein und erzwang durch Drohungen und Ausnutzen ihrer "schutz- und ausweglosen Lage" zweimal den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei verwendete er jeweils ein Kondom. Er hat eingeräumt, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben, sich jedoch dahin eingelassen, sie sei hiermit einverstanden gewesen. Er habe jeweils im voraus 80 € für Oral- und Vaginalverkehr gezahlt. Das Landgericht hat diese Einlassung als in sich unstimmig gewertet und aufgrund der Aussagen mehre- rer Zeugen als widerlegt angesehen; die Geschädigte selbst hat es in der Hauptverhandlung nicht vernommen.
3
2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das Landgericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
4
a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung der in Litauen befindlichen Geschädigten zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte ihr jeweils vor Durchführung des Geschlechtsverkehrs einen Geldbetrag in Höhe von 80 € übergeben habe. Diesen Antrag hat die Strafkammer gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt, "da aufgrund der bisherigen eindeutigen Beweisaufnahme eine Vernehmung der in Litauen aufhältigen Zeugin F. nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist."
5
b) Diese Begründung trägt die Zurückweisung nicht.
6
aa) Der Antrag erfüllt die inhaltlichen Voraussetzungen eines Beweisantrags. Mit Blick auf die von der Revision vorgetragenen Umstände des vorliegenden Falles - etwa die in den Akten befindliche Kopie des litauischen Personalausweises der Geschädigten - ist die Angabe des Namens der Zeugin mit dem Zusatz "wohnhaft Litauen in der Gemeinde Jonava" als ausreichend bestimmte Bezeichnung des Beweismittels anzusehen.
7
bb) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323 mwN).
8
cc) Die auf eine derartige antizipierende Würdigung gestützte Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 451/09, StraFo 2010, 155).
9
Diesen Anforderungen wird der genannte Beschluss nicht gerecht. Er enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf die "bisherige eindeutige Beweisaufnahme" und damit noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließ er zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Beweislage durch die Strafkammer und die insoweit bestehende Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen und ohne Rechtsfehler von einer Vernehmung der Geschädigten in der Hauptverhandlung abgesehen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323).
10
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannte Zeugin vernommen und diese die Beweisbehauptungen bestätigt hätte.
11
4. Mit Blick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
12
Die vom Landgericht in beiden Fällen ohne nähere Ausführungen angenommene Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), erfasst diejenigen Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint. Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 StR 494/08, NStZ 2009, 443; Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 StR 223/09, NStZ 2010, 149 jeweils mwN).
13
Da der Angeklagte nach den Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil die Geschädigte im ersten Fall auf das Bett drückte und im zweiten Fall zum Bett zerrte, könnte gegebenenfalls eine nähere Betrachtung dahin veranlasst sein, ob der Angeklagte die Geschädigte unter Einsatz von Gewalt nötigte (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 479/09
vom
1. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. Dezember 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 6. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sexueller Nötigung im besonders schweren Fall - Vergewaltigung -" zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich gegen dieses Urteil mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.
2
1. Das angefochtene Urteil kann nicht bestehen bleiben, weil der Schuldspruch von den getroffenen Feststellungen nicht getragen wird.
3
a) Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte die infolge einer Intelligenzminderung und eines psychomotorischen Entwicklungsrückstandes (zu 80 %) geistig behinderte, 20 Jahre alte Geschädigte in seine Wohnung zu kommen. Spätestens nachdem er der Zeugin seinen Taubenschlag und ein A- quarium gezeigt hatte, fasste der Angeklagte den Entschluss, sexuelle Handlungen an der - wie ihm bewusst war - geistig behinderten Frau vorzunehmen. "Er hatte erkannt, dass er dieser - zumal sie sich in einer für sie fremden Umgebung befand - überlegen war und von ihr keine Gegenwehr zu erwarten hatte." So begann er unvermittelt, die Zeugin sowohl oberhalb als auch unterhalb des Pullovers an der Brust zu streicheln. Im weiteren Verlauf nahm der Angeklagte dann verschiedene andere sexuelle Handlungen an der Geschädigten vor, wobei er auch zweimal einen Finger in deren Scheide einführte. Seine Aufforderung , ihn zu küssen, lehnte die Zeugin ebenso ab, wie die, sein entblößtes Geschlechtsteil zu streicheln und sich zu entkleiden. Bevor es zu weiteren sexuellen Übergriffen kommen konnte, schellte es an der Haustür, so dass der Angeklagte von der Geschädigten abließ, was diese dazu nutzte, das Haus zu verlassen.
4
b) Diese Feststellungen hat das Landgericht als "sexuelle Nötigung im besonders schweren Fall - Vergewaltigung -" gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB gewürdigt. Die - vom Angeklagten erkannte - schutzlose Lage des Opfers ergebe sich daraus, dass sich die arglose Geschädigte in die Wohnung des Angeklagten und somit in eine ihrer gänzlich unbekannte Umgebung begeben habe. Dort habe sie sich unvermittelt einer sexuellen Annäherung ausgesetzt gesehen. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung sei ihre Fähigkeit , sich den "Avancen" des Angeklagten zu erwehren, erheblich eingeschränkt gewesen. Der Angeklagte habe auch gewusst, dass er die sexuellen Handlungen an der Zeugin gegen deren Willen vorgenommen habe.
5
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich der Vergewaltigung schuldig gemacht, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht.
6
a) Dieser Tatbestand setzt zunächst voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischer Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen (BGHSt 50, 359, 362 f.). Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers , in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 177 Rdn. 28). Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es solche Einwirkungen fürchtet und im Hinblick hierauf einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (BGHSt aaO 365 f.).
7
Weiterhin muss der Täter das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen , dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt , dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Wider- stand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (vgl. Fischer aaO Rdn. 53).
8
b) Daran gemessen bleibt hier bereits das Vorliegen einer schutzlosen Lage der Zeugin im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zweifelhaft. Allein aus dem bloßen Alleinsein der Geschädigten mit dem Angeklagten kann sich eine objektive Schutzlosigkeit nicht ergeben (vgl. Fischer aaO Rdn. 29 m. w. N.). Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich die Zeugin in einer ihr fremden Umgebung befand und sich unvermittelt einer sexuellen Annäherung ausgesetzt sah. Ob ein tatbestandsmäßiges Ausgeliefertsein aufgrund weiterer äußerer Umstände , wie etwa einer besonderen Abgeschiedenheit der Wohnung bzw. des Hauses des Angeklagten, oder sonstiger Besonderheiten im Hinblick auf etwaige Fluchtmöglichkeiten vorlag, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Soweit das Landgericht die schutzlose Lage ersichtlich (auch) aus der Behinderung der Zeugin hergeleitet hat, ergibt sich aus den Feststellungen nicht, wie sich diese im Einzelnen dahin ausgewirkt hat, dass das Opfer Einwirkungen des Angeklagten im Sinne des Tatbestandes schutzlos ausgeliefert war. Insbesondere bleibt offen, welche konkreten, zur Leistung von Widerstand erforderlichen Fähigkeiten der Zeugin aufgrund ihrer Behinderung fehlten; denn die Geschädigte war nach den Feststellungen jedenfalls in der Lage, sich den sexuellen Forderungen des Angeklagten mehrfach verbal zu widersetzen und - nach dessen Weggang zur Haustüre - auch zu fliehen. An der Bildung eines der Vornahme der sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willens hat es ihr daher ebenso wenig gemangelt, wie an der Möglichkeit, diesen zu artikulieren und ihn in eine Flucht umzusetzen. Die lückenhaften Feststellungen belegen daher nicht, dass die äußeren Umstände der Opferlage und die geistige Behinderung der Zeugin insgesamt eine schutzlose Lage im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründeten.
9
c) Zum subjektiven Vorstellungsbild der Geschädigten und des Angeklagten hat das Landgericht keinerlei Feststellungen getroffen. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass die Zeugin von einem - ihr grundsätzlich möglichen - Widerstand aus Angst vor gewaltsamen Handlungen des Angeklagten abgesehen hat (s. BGHSt 50, 359, 366). Dass der Angeklagte das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit seines Opfers als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkannt und im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat, dass dieses gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf Widerstand verzichtet, die Zeugin also die Handlungen nur wegen ihrer Schutzlosigkeit duldet und er dies zur Erreichung seines Handlungszieles bewusst ausgenutzt hätte, ist dem Urteil des Landgerichts ebenfalls nicht zu entnehmen. Gegen ein solches Vorstellungsbild des Angeklagten spricht vielmehr die Feststellung, er sei vor der ersten sexuellen Handlung davon ausgegangen, dass er der Zeugin "überlegen war und von ihr keine Gegenwehr zu erwarten hatte".
10
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
11
3. Der neue Tatrichter wird im Falle des Tatnachweises auch das Vorliegen eines sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 StGB zu prüfen haben (vgl. hierzu Fischer aaO § 177 Rdn. 30, § 179 Rdn. 3 ff.).
12
In den Fällen des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ergeht der Schuldspruch (allein) wegen Vergewaltigung (vgl. Fischer aaO § 177 Rdn. 75 a).
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 260/10
vom
24. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Fall III. 1 der Urteilsgründe),
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,
c) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubes in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, (vorsätzlicher) Körperverletzung und Bedrohung zu einer Ge- samtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen zum Fall III. 1 der Urteilsgründe kehrte der Angeklagte "an einem nicht mehr bestimmbaren Tag im Jahre 2004" in betrunkenem Zustand in die gemeinsam mit seiner Freundin, der Zeugin N. B. bewohnte , Wohnung zurück. Der Angeklagte wollte mit der Zeugin geschlechtlich verkehren, legte sich zu ihr ins Bett und begann sie zu streicheln. Die Zeugin erklärte dem Angeklagten mehrfach, dass er sie in Ruhe lassen solle und sie dies nicht wolle. Wütend geworden beschimpfte er die Zeugin und ergriff sodann einen schweren Kerzenständer aus Metall, den er in ihre Richtung warf, wobei ihm bewusst war, dass er die Zeugin treffen könnte. So geschah es auch; der Kerzenständer traf Frau B. an der linken Schulter, was ihr Schmerzen bereitete. Der Angeklagte nahm dies wahr, es war ihm jedoch gleichgültig. Er begab sich in die Küche, hörte dort Musik und rauchte eine Zigarette. Nach einer nicht mehr genau bestimmbaren Zeitspanne von höchstens 30 Minuten (UA 17) kehrte er in das Schlafzimmer zurück. "Unter dem Eindruck des zuvor erfolgten Wurfs mit dem Kerzenständer und aus Angst vor weiterer Gewalt widersetzte sich die Zeugin N. B. dem Angeklagten nicht mehr. Der Angeklagte, dem bewusst war, dass die Zeugin B. nach wie vor innerlich nicht gewillt war, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, aber aus Angst vor weiterer Gewalt den Geschlechtsverkehr zuließ, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin N. B. ein und vollzog mit ihr den Beischlaf bis zum Samenerguss".
3
2. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich hierdurch (neben einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die den getroffenen Feststellungen zu Grunde liegende Beweiswürdigung ist lückenhaft und daher sachlich-rechtlich fehlerhaft.
4
a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass frühere Gewalteinwirkungen als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein können, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden , falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 m.w.N.). Zu den zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen lässt das Urteil jedoch Beweisgründe und Beweiswürdigung vermissen; dieser Mangel ist auf Sachrüge zu beachten (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99, NZV 2000, 88 und vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, NStZ 2007, 538).
5
Das Landgericht hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass seine erneute Annäherung von der Zeugin B. als eine konkludente Drohung empfunden werde. Die Beweisergebnisse , die den Tatrichter zu dieser Würdigung geführt haben, teilt er jedoch im angefochtenen Urteil nicht mit. Mit seiner umfangreichen Beweiswür- digung zum Fall III. 1 der Urteilsgründe belegt das Landgericht lediglich, dass die Zeugin auf Grund der von ihr empfundenen Angst weiteren Widerstand nicht zu leisten in der Lage war und den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erduldete (UA 15, 30). Nicht belegt hat es in der Beweiswürdigung jedoch, aus welchen Gründen es zu der Überzeugung gelangt ist, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die Zeugin die erneute Annäherung als eine konkludente Drohung empfand und infolge der Anwendung dieses Nötigungsmittels die Durchführung des Geschlechtsverkehrs duldete (vgl. zur finalen Verknüpfung BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268, 269 m.w.N.); dies ist insbesondere bei erheblicher Alkoholisierung kritisch zu prüfen (vgl. Fischer, StGB 57. Auflage § 177 Rdn. 52 m.w.N.).
6
Nach den Umständen des Falles liegt auch nicht auf der Hand, dass der Vorsatz des Angeklagten hier die finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und Nötigungserfolg umfasst hat. Zwar hatte die Zeugin sich auch früher schon geweigert , mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn dieser abends betrunken nach Hause kam. Hier besteht aber die Besonderheit, dass der Angeklagte , nachdem er die Zeugin mit dem Kerzenständer an der Schulter getroffen hatte, sich bis zu 30 Minuten in der Küche aufhielt. Es versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte, als er sodann in das Schlafzimmer zurückkehrte , in sein Bewusstsein aufgenommen hatte, Frau B. werde sein Erscheinen nunmehr als eine konkludente Drohung mit erneuter Gewaltanwendung empfinden und nur deshalb den zuvor abgelehnten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lassen.
7
In diesem Zusammenhang erweist sich die Beweiswürdigung auch insoweit als lückenhaft, als das Landgericht zwar wiederholt ausführt, die Zeugin habe es auch bei früherer Gelegenheit abgelehnt, mit dem Angeklagten ge- schlechtlich zu verkehren, wenn er Alkohol zu sich genommen habe (UA 17, 18). Die Strafkammer teilt aber nicht mit, welche Folgen diese Ablehnungen jeweils hatten. Das weitere Verhalten der Zeugin und des Angeklagten kann durchaus Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite für das hier zu beurteilende Geschehen zulassen.
8
Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit der Angeklagte im Fall III. 1 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
9
3. Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich auch, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist, obwohl seine Feststellungen zu einer solchen Prüfung drängten.
10
Der Generalbundesanwalt hat sich hierzu in seiner Antragsschrift vom 31. Mai 2010 wie folgt verhalten: "Der wegen Körperverletzungsdelikten und - wenn auch nicht gravierend - wegen Eigentumsdelikten einschlägig vorbestrafte (UA S. 7 f.) Angeklagte konsumierte seit seinem siebzehnten Lebensjahr zunächst Cannabis, später Heroin und Kokain. Nach zwei ambulanten Drogentherapien und der Teilnahme am Methadon-Programm, jeweils einhergehend mit Rückfällen , erfolgte im Jahr 2004 eine Suchtverlagerung auf Alkohol. Hierbei konsumierte der Angeklagte anlässlich sich häufender Kneipenaufenthalte etwa zehn bis fünfzehn halbe Liter eines Biermischgetränks sowie Wein und Schnaps, wobei sich das Konsumverhalten ab dem Jahr 2008 noch steigerte (UA S. 4 f.).
Bei den Taten III. 1. und 4. war der Angeklagte alkoholisiert (UA S. 10, 13 f.). Auch zuvor war es bereits regelmäßig zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten gekommen, wenn dieser Alkohol zu sich genommen hatte (UA S. 9). Die Tat III. 2. beging der Angeklagte , um sich Geldmittel zur Finanzierung seines Alkoholkonsums zu verschaffen (UA S. 12). Hierfür hatte er sich trotz ihrer bedrängten finanziellen Verhältnisse bereits des Öfteren eigenmächtig Gelder der Geschädigten angeeignet oder diese zur Herausgabe aufgefordert (UA S. 11, 9). Ein solches Verhalten des Angeklagten war auch Anlass für die der Tat III. 3. vorausgegangene Auseinandersetzung (UA S. 12 f.).
Die getroffenen Feststellungen legen demnach nahe, dass zumindest die verfahrensgegenständlichen Taten III. 1., 2. und 4. auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Eine "Gefährlichkeit" im Sinne des § 64 StGB würde auch nicht daran scheitern, dass es sich bei den Anlasstaten durchgängig um Beziehungstaten zum Nachteil der Geschädigten B. handelt und möglicherweise auch nur solche zukünftig zu erwarten sind (UA S. 47). Denn der Täter braucht für eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht für die Allgemeinheit gefährlich zu sein (BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 112/10).
Da der Angeklagte grundsätzlich therapiebereit ist (UA S. 43) - auch wenn sich das Urteil zur Art der beabsichtigten Therapie nicht verhält -, bestehen zumindest Anhaltspunkte für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB).
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittel ausgenommen".
Dem tritt der Senat bei; er kann ausschließen, dass die Einzelstrafen für die Fälle III. 2, 3 und 4 der Urteilsgründe milder ausgefallen wären, wenn das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
Ernemann Solin-Stojanović RiBGH Cierniak befindet sich im Urlaub undist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Mutzbauer Bender

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.