Bundesgerichtshof Urteil, 30. Jan. 2019 - 2 StR 325/17

bei uns veröffentlicht am30.01.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Die Verabreichung von Morphin zur Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen bei
einem Sterbenden durch eine Pflegekraft kann auch dann durch erklärte oder mutmaßliche
Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn sie nicht der ärztlichen Verordnung
entspricht. Ein zugleich vorliegender Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6
Buchst. b BtMG steht dem nicht zwingend entgegen (Abgrenzung von BGH, Urteil
vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166).
BGH, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17 – Landgericht Darmstadt
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 325/17
vom
30. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2019:300119U2STR325.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 21. November 2018 in der Sitzung am 30. Januar 2019, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Eschelbach, Zeng, Meyberg, Dr. Grube,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung, Amtsinspektorin bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 5. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung zu einer
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Freiheitsstrafe von einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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1. Die Angeklagte war als Pflegekraft in der Seniorenresidenz
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H. in B. im Nachtdienst tätig. Dort wurde im April 2016 der 84-jährige R. aufgenommen, der an Darmkrebs im Endstadi- um litt. Kurz zuvor, am 19. März 2016, hatte dieser eine Patientenverfügung errichtet, in der er bestimmt hatte, dass im „unabwendbaren unmittelbaren Sterbeprozess“ aufgrund einer unheilbaren,tödlich verlaufenden Krankheit keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr ergriffen werden sollten. Für diesen Fall hatte er den Wunsch geäußert, dass ihm „bei Schmerzen, Erstickungs- ängsten und Atemnot, Übelkeit, Angst sowie anderen qualvollen Zuständen und belastenden Symptomen Medikamente verabreicht werden“, die ihn „von Schmerzen und größerer Belastungen befreien, selbst wenn dadurch“ sein „Tod voraussichtlich früher eintreten“ werde. Nach der Aufnahme in die Seniorenresidenz verschlechterte sich der
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Gesundheitszustand von R. zunehmend. Er litt unter starken Schmerzen. Dennoch lehnte er Medikamente, Schmerzmittel und Nahrungsaufnahme häufig ab und wollte in Ruhe gelassen werden. Die Pflegekräfte hatten den Eindruck, dass er stark litt. Für sie war klar, dass er bald schmerzhaft sterben würde. Sie hatten großes Mitleid mit ihm. Das galt auch für die Angeklagte , die sich besonders um den Patienten kümmerte. Sie bat ihn regelmäßig darum, die Verabreichung von Schmerzmitteln zu dulden. Nach ihrer Ansicht tat die behandelnde Ärztin zu wenig, um ihn von Schmerzen zu erlösen. Am 13. Mai 2016 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von
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R. weiter. Die in der Mittagszeit herbeigerufene Ärztin Dr. M. stellte einen veränderten Atemrhythmus sowie eine Marmorierung der Haut fest. Dies wertete sie als Anzeichen des bevorstehenden Todes. Sie ging davon aus, dass der Patient spätestens in der Nacht zum 14. Mai 2016 sterben werde. In Absprache mit den Angehörigen setzte sie alle Medikamente ab und ordnete an, dass R. nur noch alle vier Stunden fünf Milligramm Morphin injiziert werden sollten. Dabei handelt es sich um ein in der Palliativmedizin gebräuchliches Mittel. Krebspatienten können auch Dosen zwi- schen zehn und dreißig Milligramm Morphin in einem zeitlichen Abstand von vier bis sechs Stunden „regelkonform“ verabreicht werden. Injiziertes Morphin wirkt nach etwa 30 Minuten schmerzlindernd. Es beruhigt, bewirkt bei dem Schwerkranken eine gewisse Entspannung, führt aber auch zu einer Verflachung der Atmung bis hin zu Atemaussetzern. Die erste Dosis der verordneten fünf Milligramm Morphin spritzte die
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Ärztin dem Patienten gegen 12.00 Uhr selbst. Dann ließ sie zehn Ampullen zu je zehn Milligramm Morphin in der Seniorenresidenz zurück, die von den Pflegekräften nach ihrer Verordnung verabreicht werden sollten. Für Rückfragen gab sie ihre Telefonnummer an. Sie notierte in der Behandlungsdokumentation, der Patient sei „präfinal“,die Hände seien marmoriert und es komme zu Atempausen. Nach Absprache mit seinen Kindern solle „keine Therapie mehr“ durchgeführt, sondern nur noch Morphin verabreicht werden. Die diensthabende Pflegerin Mi. dokumentierte die Besprechung mit der Ärztin. Um 16.00 Uhr und um 20.00 Uhr injizierte sie R. jeweils fünf Milligramm Morphin. Dann trat die Angeklagte ihren Nachtdienst an und wurde von der abzulösenden Kollegin über die Situation unterrichtet. Sie wusste auch um die Wirkung von Morphin. R. war aufgrund der Morphininjektion um 20.00 Uhr
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zunächst ruhig. Gegen 22.00 Uhr stellte die Angeklagte fest, dass er unruhiger wurde. Er begann erneut zu stöhnen und hatte Schmerzen. Gegen 23.00 Uhr rief die Ärztin Dr. M. an und erkundigte sich nach dem Zustand des Patienten; denn sie hatte damit gerechnet, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt verstorben sein könnte. Die Angeklagte berichtete ihr, dass sich sein Zustand nicht verändert habe.
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Um Mitternacht sollte die Angeklagte die nächste Spritze verabreichen. Sie zog zunächst fünf Milligramm Morphin mit der Spritze auf. Dann hielt sie inne, dachte an die Schmerzen des Patienten und fand, dass die ärztlich verordnete Menge Morphin nicht ausreichend sei. Sie entschloss sich, dem Patienten die doppelte Menge zu spritzen. Obwohl sie wusste, dass die Verabreichung von zehn Milligramm Morphin von der ärztlichen Verordnung nicht gedeckt war, zog sie mit der gleichen Spritze auch die zweite Hälfte des Inhalts der Morphinampulle auf. Dann verabreichte sie dem Patienten dieses Morphin. „Sie wusste, dass dies zu einer Änderung des Schmerzempfindens, einer Ver- flachung der Atmung und zu Atemaussetzern führen würde. Der Angeklagten war zudem bekannt, dass dies weder von einer Einwilligung des Patienten noch von der Patientenverfügung, deren genauen Inhalt sie nicht kannte, gedeckt sein konnte, weil die von ihr eigenmächtig erhöhte Dosierung der ärztlich ange- ordneten Heilbehandlungsmaßnahme zuwiderlief.“ Wie von der Angeklagten erwartet, verflachte aufgrund des verabreich9 ten Morphins der Atemrhythmus des Patienten gegen 0.30 Uhr. Hinzu kamen Atemaussetzer, die teilweise bis zu zwei Minuten dauerten. Aufgrund eines solchen Atemaussetzers ging die Angeklagte davon aus, dass er bereits gestorben sei. Sie rief die Zeugin P. herbei. Diese stellte aber fest, dass R. weiter flach atmete. Um 0.47 Uhr verstarb dieser an Herz-LungenVersagen. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass der Tod des Patienten durch die Morphininjektion verursacht wurde. 2. Das Landgericht hat in der Handlung der Angeklagten eine Körper10 verletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gesehen. Durch die Injektion des Morphins habe sie „jedenfalls einen pathologischen Zustand herbeigeführt oder gesteigert.“ Diese Körperverletzung sei „nicht gerechtfertigt, weil die Verabrei- chung der Spritze mit 10 mg Morphin nicht der ärztlichen Anordnung entsprach und weder eine wirksame, ausdrücklich oder stillschweigend erklärte Einwilligung , noch eine mutmaßliche Einwilligung des Tatopfers vorlag. Ohnehin sei „eine Einwilligung nur in eine fachgerechte ärztliche Heilbehandlung möglich und nicht in einer Maßnahme einer Pflegekraft, die bewusst eine ärztliche Anordnung umgeht bzw. eigenmächtig erweitert.“

II.

Die Revision ist begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen und
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Wertungen tragen den Schuldspruch wegen rechtswidriger Körperverletzung nicht. 1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff
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in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden (st Rspr.; BGH, Urteil vom 28. November 1957 – 4 StR 525/57, BGHSt 11, 111, 112; Urteil vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306, 308).
b) Demgegenüber hat das Landgericht den Tatbestand der (vollende13 ten) Körperverletzung im vorliegenden Fall allein in der Verabreichung des Betäubungsmittels durch die Angeklagte gesehen. Das ist rechtsfehlerhaft. aa) In einer solchen vorsätzlichen Verabreichung liegt nicht notwendig
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eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen , die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. Dies gilt etwa dann, wenn sie zu Rauschzuständen mit weiteren körperlichen Nebenwirkungen, zur Sucht- bildung oder zu Entzugserscheinungen führen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1969 – 3 StR 118/69, NJW 1970, 519). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch solche Wirkungen erzielt und dabei vorsätzlich handelt, verwirklicht den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 38), sofern dieser nicht bereits durch die Injekti- on als solche erfüllt wurde (Grauer, Strafrechtliche Grenzen der Palliativmedizin , 2006, S. 52). Morphin wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, es hat eine sedativ-hypnotische Wirkung, hebt das Schmerzempfinden auf, führt aber auch zu einer Verminderung der Atemfunktion (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179, 181). Nach den Urteilsfeststellungen wusste die Angeklagte um diese Wirkungen der Morphininjektion. bb) Jedenfalls fehlt es aber für die Annahme, die Angeklagte habe
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durch die Morphininjektion das Tatbestandsmerkmal einer Gesundheitsbeschädigung erfüllt, an einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dies gilt insbesondere für den von der Strafkammer angenommenen, von der Angeklagten verursachten und vom eigentlichen Sterbeprozess zu unterscheidenden pathologischen Zustand, zumal sie die Verursachung des Todes des Patienten durch die Morphingabe nicht feststellen konnte. 2. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist zudem die Verneinung einer Recht16 fertigung der Handlung der Angeklagten.
a) Gemäß § 228 StGB ist auch die mit einer Einwilligung des Verletzten
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vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolgen einer ausdrücklich oder konkludent erklärten Einwilligung begrifflich an ethischmoralische Kategorien. Ob für eine mutmaßliche Einwilligung als gewohnheitsrechtlich anerkannter, aber selbständiger Rechtfertigungsgrund (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 – 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 249) im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den guten Sitten bei Beachtung von Art. 103 Abs. 2 GG dasselbe gelten kann und gegebenenfalls – erst recht – gelten muss (Mitsch, ZJS 2012, 38, 41), kann offen bleiben. Jedenfalls ist ein Verstoß gegen die guten Sitten vom Landgericht nicht nach allgemeinen Maßstäben festgestellt worden (unten b). Entgegen seinem Ansatz führt die Tatsache, dass die Handlung der Angeklagten – zumindest naheliegend – auch gegen ein anderweitig bestehendes Handlungsverbot gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG verstoßen hat, nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit der Körperverletzung im Sinne von § 228 StGB (unten c).
b) Wegen seiner Unbestimmtheit kann der Begriff der guten Sitten als
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strafbegründendes Element in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG geraten. Von einem Teil der Literatur wird die Einschränkung der Rechtfertigung einer Körperverletzung durch Einwilligung des Verletzten wegen Sittenwidrigkeit der Tat gemäß § 228 StGB deshalb für verfassungswidrig gehalten (Morgenstern, JZ 2017, 1146 ff.; NK-StGB/Paeffgen/ Zabel, 5. Aufl., § 228 Rn. 44; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. § 228 Rn. 30 ff. a.A. MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 228 Rn. 32; Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, 2000, S. 300). Diese Ansicht teilt der Bundesgerichtshof nicht. Er nimmt eine verfassungskonforme Auslegung vor (BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 – 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 144), wonach der Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt werden muss (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 176). Dies erfordert, dass ein Verstoß der Körperverletzung gegen die guten Sitten angenommen werden kann, wenn die Sittenwidrigkeit der Tat nach allgemein gültigen Maßstäben eindeutig aus der Rechtsordnung hervorgeht.
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aa) Insoweit ist im Allgemeinen zu prüfen, ob die Körperverletzung wegen des Gewichts des Rechtsgutsangriffs durch Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung als sittenwidrig erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 – 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 145 f.; Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 176 ff.). Bei medizinischen Maßnahmen steht dagegen die Frage der Verfolgung eines anerkennenswerten Zwecks im Vordergrund (Senat, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR505/03, BGHSt 49, 166, 171); auch lebensgefährliche oder sonst besonders folgenreiche medizinische Behandlungen, die der Wiederherstellung der Gesundheit eines Kranken oder der Rettung seines Lebens dienen, sollen seiner Disposition zugänglich sein. Eine Maßnahme, die medizinisch indiziert ist, verstößt deshalb grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten. bb) Lässt sich die Sittenwidrigkeit der Tat vor diesem Hintergrund
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jedenfalls nicht sicher feststellen, scheidet die Annahme einer rechtswidrigen Körperverletzung aus, sofern die Handlung mit der erklärten oder mutmaßlichen Einwilligung des Patienten vorgenommen wird (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41). Das hat das Landgericht nicht abschließend geprüft.
c) Einer Rechtfertigung gemäß § 228 StGB steht nicht zwingend entge21 gen, dass die Handlung – was nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hier zumindest naheliegt – auch gegen das Verbot der Verabreichung von Betäubungsmitteln ohne ärztliche Approbation oder Anordnung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG verstoßen hat. aa) Der Konsum illegaler Drogen ist heute nicht mehr nach allgemein
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anerkannten Wertvorstellungen als unvereinbar mit den guten Sitten anzusehen. Gleiches gilt dann auch für eine Körperverletzung, die durch einverständli- ches Verabreichen eines Betäubungsmittels verursacht wird (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 43). Deshalb ist es rechtlich möglich, dass eine durch Verabreichen von Betäubungsmitteln begangene Körperverletzung durch Einwilligung gerechtfertigt ist. Unter welchen Umständen dies der Fall ist, entzieht sich einer generellen Bewertung. Selbst das Verabrei- chen „harter“ Drogen reicht für sich genommen nicht zur Annahme von Sitten- widrigkeit aus (BGH aaO, BGHSt 49, 34, 44). Die damit verbundenen Gefahren können im Einzelfall durch einen billigenswerten Zweck der Handlung, wie der Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen eines Sterbenden, kompensiert werden. bb) Ein gleichzeitiger Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b
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BtMG führt nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit der Körperverletzung. (1) Allerdings hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine dahin
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gehende Rechtsprechung anlässlich einer Entscheidung über die Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen bei verabredeten Schlägereien aufgegeben (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 187). Dies hindert den erkennenden Senat im Fall einer Verabreichung von Morphin zur Schmerzbekämpfung bei einem Sterbenden aber nicht an einer Entscheidung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung. Der 3. Strafsenat hat sich dazu nicht geäußert. Seine Entscheidung erfasst nicht medizinisch indizierte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. Der Begriff der guten Sitten im Sinne des § 228 StGB ist dem Bürgerli25 chen Recht entnommen (RT-Drucks. III 1924/77 Nr. 3390 S. 134), wo er von einem Gesetzesverstoß unterschieden wird (vgl. § 134 und § 138 Abs. 1 BGB). Die Möglichkeit der erklärten oder mutmaßlichen Einwilligung in medizinische Maßnahmen sind im Bürgerlichen Recht gesondert geregelt (§ 630d BGB), was auch auf die Notwendigkeit einer besonderen Handhabung im Strafrecht hinweist. Hier hängt die Prüfung der Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen durch medizinische Eingriffe, anders als in anderen Fallkonstellationen, wie derjenigen der verabredeten Schlägereien, vom Zweck der Handlung und nicht vom Gewicht des Rechtsgutseingriffs ab. Insoweit ist die vom 3. Strafsenat für Fälle verabredeter Schlägereien getroffene Entscheidung nicht auf Fälle der medizinisch indizierten Verabreichung von Betäubungsmitteln zur Schmerzbekämpfung zu übertragen. Dies gilt auch für die Annahme einer Herleitung der Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung aus dem gleichzeitigen Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG. (2) § 228 StGB beschränkt bei Körperverletzungsdelikten die Freiheit
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des Einzelnen, über sein Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit zu disponieren. Hiervon zu trennen ist der Schutz anderer Rechtsgüter, über die der Einzelne nicht verfügen kann. Hält es der Gesetzgeber für erforderlich, eine Handlung, die auch die Gefahr einer Körperverletzung in sich birgt, zum Schutz von Universalrechtsgütern, wie der Volksgesundheit, gesondert zu regeln (§ 13 BtMG) und diesbezügliche Regelverletzungen unter Strafe zu stellen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BtMG), so ist die Einwilligung eines Betroffenen für das Betäubungsmittelrecht ohne Belang (Mosbacher, JR 2004, 390, 391). Betäubungsmitteldelikte sind wegen der fehlenden Dispositionsbefugnis des Einzelnen über das Rechtsgut der Volksgesundheit einer rechtfertigenden Einwilligung nicht zugänglich. Umgekehrt lässt sich aus dem Schutz von Universalrechtsgütern durch das Betäubungsmittelgesetz, auch wenn dadurch mittelbar der Schutz von Individualrechtsgütern bewirkt wird, nichts für die Beantwortung der Frage herleiten, ob eine Einwilligung des Geschädigten in die Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit wegen der Sittenwidrigkeit der Tat unbeachtlich ist (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34,

43).


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Diese Überlegungen bleiben trotz der Rechtsprechungsänderung zur Handhabung von § 228 StGB in der Fallgruppe der verabredeten Schlägereien (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 187) für den Bereich der „indirekten Sterbehilfe“ maßgebend. Hier hat die Freiheit zur Dispo- sition über das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit besondere Bedeutung. cc) Das Landgericht hat sich den Blick auf die Notwendigkeit einer
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näheren Prüfung der mutmaßlichen Einwilligung verstellt, indem es aus der Abweichung der Angeklagten von der ärztlichen Verordnung eine generelle Unmöglichkeit der Rechtfertigung der Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung abgeleitet hat. (1) Nach den Urteilsfeststellungen ist eine Einwilligung in die konkrete
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Handlung der Angeklagten nicht erklärt worden. Ob von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen ist, wäre durch Gesamtschau aller Umstände zu prüfen gewesen, die das Landgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – unterlassen hat. Die Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung
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eines schmerzfreien Todes sind aber nicht ausnahmslos auf Handlungen durch einen Arzt oder aufgrund ärztlicher Anordnung beschränkt (Senat, Urteil vom 25. Juni 2011 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 205 f.; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 550). Im Ausnahmefall kann auch ein Nichtarzt medizinische Maßnahmen zur Leidensminderung durchführen, wenn sie der Sache nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen und sich im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bewegen. Dies gilt auch deshalb, weil das Unterlassen einer vom Patienten erwünschten Schmerzbekämpfung durch einen Garanten eine Körperverletzung sein kann (Senat, Urteil vom 30. September 1955 – 2 StR206/55, BeckRS 1955, 31192233; Grauer, Strafrechtliche Grenzen der Palliativmedizin, 2006, S. 81 ff., 126 ff.; Ingelfinger in Anderheiden/ Bardenheuer/Eckart, Ambulante Palliativmedizin als Bedingung einer ars moriendi, 2008, S. 97, 106). Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod
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nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, besteht eine besondere Ausnahmesituation (Herzog in Festschrift für Kargl, 2015, S. 201, 205). Tritt deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließt die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus, wie es das Landgericht jedoch vorausgesetzt hat. (2) Die Strafkammer hätte daher eine Gesamtwürdigung aller Umstän32 de vornehmen müssen, die für den mutmaßlichen Patientenwillen von Bedeutung sein können. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten der Inhalt seines Willens aus seinen persönlichen Umständen, individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln ist (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 – 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 149 f.; BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). Dafür liefert eine Patientenverfügung wichtige Hinweise. Sie wäre sogar bindend, wenn ihr konkrete und abschließend getroffene Entscheidungen entnommen werden könnten (BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 231; Beschluss vom 8. Februar 2017 – XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737, 1738). War hingegen eine konkrete Situation zurzeit der Niederlegung der Patientenverfügung nicht im Einzelnen geregelt worden (Magnus, ZfL 2017, 2, 8), oder sind zwischenzeitliche Willensänderungen zu berücksichtigen (Ingelfinger aaO S. 103), ist die Patientenverfügung nur ein Indiz für den auch aus weiteren Umständen in der Gesamtschau zu ermittelnden mutmaßlichen Patientenwillen im Hinblick auf die konkrete Körperverletzung. Hat der Patient nach seiner Verfügung in der Sterbephase eine effektive Schmerzbekämpfung sogar um den Preis einer Lebensverkürzung gewünscht, so entspricht eine später durchgeführte Schmerzmedikation, die medizinisch vertretbar ist, prinzipiell seinem Interesse. Weitere Indizien können sich aus dem Verhalten des Patienten in dem Pflegeheim ergeben. Welche Äußerungen R. dort gemacht hat, insbesondere, als die Angeklagte ihn gebeten hat, „die Verabreichung von Medikamenten und Schmerzmitteln oder kleinere Maßnahmen der Körperpflege zu dulden“, die er zunächst abgelehnt hatte, teilt das angefochtene Urteil aber nicht mit. Zwar gehört die Beachtung ärztlicher Anordnungen im Regelfall zu
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dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen ist. Jedoch kann beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein (Grauer, aaO, S. 78). Das gilt besonders, wenn – wie hier festgestellt – die ärztlich verordnete Schmerzmedikation allenfalls an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen hat. Zudem ist bei der Gesamtwürdigung in den Blick zu nehmen, wie nahe der Patient dem Tode war (BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). An einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände fehlt es jedoch im angefochtenen Urteil. 3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den Erörte34 rungsmängeln beruht. Es erweist sich, besonders soweit es die Frage der Rechtfertigung betrifft, auch nicht aus anderen Gründen als rechtsfehlerfrei.
Zwar hat die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nur die Tatsache der Errichtung einer Patientenverfügung durch R. , aber nicht deren Inhalt gekannt. Dies schließt das notwendige subjektive Rechtfertigungselement eines Handelns im Einklang mit dem mutmaßlichen Patientenwillen nicht zwingend aus. Dieser Wille könnte schließlich außerhalb der Patientenverfügung für die Angeklagte erkennbar zum Ausdruck gekommen sein, so etwa im Zusammenhang damit, dass der Patient die Einnahme von Schmerzmitteln zunächst ablehnte, die Angeklagte ihn aber dazu überredete.
Franke Eschelbach Zeng RiBGH Meyberg RiBGH Dr. Grube ist urlaubsbedingt an der ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Unterschrift gehindert. Franke Franke

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung


(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 228 Einwilligung


Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 630d Einwilligung


(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung

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Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 11. März 2013 aufgehoben.

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(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 3 3 / 1 4
vom
22. Januar 2015
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja [nur zu I. und III. 2.]
Veröffentlichung: ja
Zur Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen im Rahmen von verabredeten Schlägereien.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
13. November 2014 in der Sitzung am 22. Januar 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten N. ,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2013,
a) wird das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten R. und P. im Fall III. C der Urteilsgründe wegen Landfriedensbruchs , der Angeklagte P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, verurteilt worden sind; die insoweit angefallenen Kosten des Verfahrens und die diesen Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last;
b) werden die Schuldsprüche des vorgenannten Urteils dahin geändert und neu gefasst, dass der Angeklagte L. der Rädelsführerschaft, die Angeklagten R. und P. je- weils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig sind, - der Angeklagte L. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung; - der Angeklagte P. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung;
c) wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben, soweit es die Angeklagten L. , R. und P. betrifft. Die insoweit getroffenen Feststellungen bleiben jedoch aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. sowie die Revisionen der Angeklagten N. und K. werden verworfen, letztere mit der Maßgabe, dass der Angeklagte K. der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. Die Angeklagten K. und N. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden, die Angeklagten L. und P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Landfriedensbruch, die Angeklagten K. und N. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Angeklagten R. in Tateinheit mit Landfriedensbruch. Es hat deswegen gegen den Angeklagten L. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, gegen den Angeklagten R. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, gegen den Angeklagten P. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten sowie gegen den Angeklagten N. eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 20 € verhängt. Gegen ihre Verurteilungen richten sich die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten.
2
Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg der Rechtsmittel der Angeklagten L. , R. und P. . Im Übrigen sind ihre Revisionen - ebenso wie diejenigen der Angeklagten K. und N. - unbegründet.
3
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die Angeklagten gehörten einer Gruppierung an, die sich spätestens Ende 2007 bildete und unter den Namen "Hooligans Elbflorenz", "Ackerbande", "Extremsportgruppe", "Boxclub Dynamo" und "die Dresdner" bekannt war. Intern verwendeten die Mitglieder auch die Bezeichnung "Rasselbande". Den Kern der Gruppierung bildeten ehemalige und aktive Fußballhooligans, also Personen, die aus Anlass von Fußballspielen oder im Zusammenhang mit Fußball Gewalttätigkeiten verüben. Ziel war es, eine Vormachtstellung in der Dresdner Hooliganszene zu erlangen und allgemein als Macht im Raum Dresden zu erscheinen. Das daraus resultierende Bedürfnis nach Abgrenzung von anderen Gruppierungen nahm seit dem Sommer 2009 zu. Es wurde unter anderem die Ausstattung der Gruppenmitglieder mit Nottelefonen zur gegebenenfalls erforderlichen schnellen Mobilisierung beschlossen und die Beschaffung von einheitlichen schwarzen Fleece-Jacken mit den Aufschriften "Eastside Dresden" und "Ackerbande" vorbereitet, deren Erwerb nicht zwingend, aber nur Mitgliedern möglich sein sollte. Schon zuvor waren die Mitglieder der Gruppierung in der Öffentlichkeit in einheitlichen T-Shirts aufgetreten, um ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. Entsprechende gemeinsame Unternehmungen , sogenannte Hoolstreffen, waren teilweise verpflichtend in dem Sinne, dass die Nichtteilnahme zum Ausschluss von zukünftigen Veranstaltungen führen konnte. Seit November 2008 fanden regelmäßig, zweimal bis dreimal im Monat, Zusammenkünfte statt, bei denen gruppenrelevante Themen besprochen wurden.
5
An der Spitze der Gruppierung stand der Angeklagte L. . Er traf im Wesentlichen die Absprachen mit anderen Hooligan-Gruppen zu körperlichen Auseinandersetzungen und entschied regelmäßig über gemeinsame Veranstaltungen. Gegen seinen Willen wurden keine Aktionen unternommen. Insbesondere kam ihm bei der Frage der Aufnahme eines neuen Mitglieds innerhalb des Führungspersonals die wesentliche Entscheidungskompetenz zu, wobei der "Nachwuchs" zum einen aus dem gewaltbereiten Anteil der Ultra-Fans der SG Dynamo Dresden e.V. rekrutiert wurde, zum anderen der Angeklagte L. aber auch bei Boxturnieren nach geeigneten Kämpfern Ausschau hielt. Zum Führungspersonal gehörten darüber hinaus die Angeklagten R. und K. . Ersterer leitete seine Autorität aus der engen Freundschaft zum Angeklagten L. und seiner Eigenschaft als sogenannter Alt-Hool ab - diese Personen genießen wegen ihrer früheren Taten ein hohes Ansehen und werden dementsprechend von jüngeren Hooligans nicht hinterfragt. Beim Angeklagten K. handelte es sich um den Führer des "Jungsturms", der Gruppe der jüngeren Hooligans, die auch unter diesem Namen in der Jugend- und Fußballszene in Dresden auftrat. Er war in den einschlägigen Kreisen aus seiner früheren aktiven Fußballzeit und seiner Tätigkeit als Türsteher bekannt und gefürchtet. Zum "Jungsturm" gehörten unter anderem auch die Angeklagten P. und N. , wobei letzterer erst Anfang des Jahres 2009 zu der Gruppe hinzukam. Beiden, überwiegend jedoch dem Angeklagten P. , kam im Jahr 2009 vermehrt die Aufgabe zu, Aufträge der Angeklagten L. und K. auszuführen, insbesondere Informationen in der Gruppierung durch die Versendung von Kurznachrichten zu streuen. Der Angeklagte P. war auch für die Bestellung der Fleece-Jacken verantwortlich. Eigene Entscheidungsgewalt hatten er und der Angeklagte N. nicht.
6
Die Mitglieder der Gruppe einte ihre Faszination für körperliche Gewalt und eine rechtsextreme Gesinnung, die bei den einzelnen Mitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt war, aber von allen als Grundlage der gemeinsamen Betätigung anerkannt wurde. Man suchte die Nähe und Verknüpfung zu anderen rechtsextremen Personenkreisen, insbesondere zu der verbotenen, jedoch fortgeführten Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Die Begeisterung für Gewalt lebten die Mitglieder durch Überfälle auf gegnerische Personen oder Personengruppen und durch verabredete körperliche Auseinan- dersetzungen mit Hooligan-Gruppen anderer Städte aus, mit denen es auch zu überregional abgesprochenen Freizeitaktivitäten kam. Zur Vorbereitung auf die Kämpfe veranstaltete die Gruppierung zunächst wöchentlich, seit Sommer des Jahres 2009 zweimal wöchentlich Trainingsabende, für die ein fester Raum in Pi. zur Verfügung stand. Auch wenn die Teilnahme am Training, das auch Nichtmitgliedern offenstand, für Mitglieder nicht verpflichtend war, bestand bei wiederholtem Fernbleiben auch insoweit die Gefahr, bei zukünftigen Auseinandersetzungen nicht mehr eingesetzt zu werden.
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Die abgesprochenen Auseinandersetzungen mit anderen HooliganGruppen fanden entweder anlässlich von Fußballspielen meist in Stadionnähe oder - als sogenannte Drittortauseinandersetzungen - unabhängig von solchen an anderen Orten statt. Für solche Kämpfe existieren ungeschriebene, aber unter den einschlägigen Gruppen allgemein anerkannte und im Einzelfall modifizierte Regeln. So wird die Gruppenstärke vorher verabredet, wobei nur mit Zustimmung des in Unterzahl antretenden Gegners ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht hergestellt werden darf. Im Verlauf eines Kampfes muss jedoch nicht Mann gegen Mann gekämpft werden, insbesondere, wenn einzelne der Gegner bereits ausgefallen sind, können sich auch mehrere Kämpfer gegen einen Gegner wenden. Frauen sind nicht zugelassen. Waffen sind verboten, Schutzbekleidung (Mund-, Tief-, Handschutz), Mützen und Sturmhauben erlaubt. Gekämpft wird in allen Kampfstilen, Schläge und Tritte sind mit Ausnahme des Genitalbereichs gegen alle Körperregionen - auch gegen den Kopf - gestattet, zugleich jedoch nur das Tragen von leichtem Schuhwerk. Wer am Boden liegt und keine Anstalten macht, sich zu erheben, oder wer sonst zu erkennen gibt, dass er nicht wieder in den Kampf eingreifen will, darf nicht mehr angegriffen werden. Allerdings kann es trotzdem dazu kommen, dass solche Personen weiter verletzt werden. Ebenso kann es in dem Kampfgeschehen zu Angriffen von hinten kommen. Die Auseinandersetzung endet, wenn alle Gegner am Boden liegen oder eine Mannschaft abdreht oder sonst die Niederlage anerkennt. Die Kämpfe dauern in der Regel nur wenige Sekunden, höchstens Minuten. Kampfrichter, die bei Regelverstößen und/oder Verletzungen unmittelbar eingreifen, um den Regelverstoß zu sanktionieren bzw. eine Behandlung zu ermöglichen, sind nicht vorgesehen. Teilweise werden die Kämpfe jedoch von nicht mehr selbst aktiven Hooligans beider Gruppen als sogenannte Schiedsrichter beobachtet und Regelverstöße im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Betroffenen erörtert. Bei schweren Verfehlungen kann es dazu kommen, dass der Verursacher nicht mehr zu Kämpfen mitgenommen wird.
8
Unter diesen Bedingungen kam es zu folgenden Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Gruppierung um die Angeklagten:
9
 Am 2. November 2008 kämpften elf gegen elf auf einer asphaltierten Straße ohne weitere Zuschauer.
10
 Jeweils 15 Personen traten am 3. Mai 2009 auf einer Wiese gegeneinander an und wirkten durch Tritte und Schläge aufeinander ein.
11
 Anlässlich eines DFB-Pokal-Spiels verabredete der Angeklagte L. am 1. August 2009 mit seinem Nürnberger Ansprechpartner einen Kampf "zwölf Mann und Fairplay". Hierzu kam es nicht, weil die Polizei ein Aufeinandertreffen beider Gruppen verhinderte.
12
 Am 6. September 2009 schlugen und traten im Vorfeld eines Fußballspiels jeweils 15 bis 20 Personen für etwa 45 Sekunden auf einem geschotterten Feldweg aufeinander ein.
13
 Unter Verschleierung ihrer wahren Herkunft verabredeten die Dresdner mit Dortmunder Hooligans ebenfalls am 6. September 2009 einen Kampf mit jeweils 30 Personen, auszutragen auf einem durch geparkte Lastkraftwagen von Zuschauern abgeschirmten Parkplatz. Als die Dortmunder die Täuschung erkannten, flüchteten 20 von ihnen und es kämpften anschließend zehn Mann auf jeder Seite.
14
 Für den 27. September 2009 verabredete der Angeklagte L. mit Ansprechpartnern aus Moskau eine Auseinandersetzung, die in Tschechien in einem stillgelegten Steinbruch stattfinden sollte. Die Durchführung wurde durch starke Präsenz der tschechischen Polizei unterbunden , die von deutschen Behörden informiert worden war, die aufgrund von Telefonüberwachungsmaßnahmen Kenntnis von der geplanten Aktion hatten.
15
 Am 31. Oktober 2009 - allein dieses Ereignis hat das Landgericht als gefährliche Körperverletzung gewertet - fand mit Frankfurter Hooligans ein sogenanntes U25-Match statt, mithin ein Kampf, an dem nur Personen jünger als 25 Jahre teilnehmen durften. Das Aufeinandertreffen , das auf einer asphaltierten Gemeindestraße stattfand, die nur noch von Anliegern und von landwirtschaftlichem Verkehr genutzt wurde, wurde vom Angeklagten L. verabredet und im Wesentlichen mitorganisiert. Auf Dresdner Seite kämpften überwiegend Mitglieder der Gruppe, unter anderem die Angeklagten K. , P. und N. , dar- über hinaus aber auch Nichtmitglieder, insgesamt 28 Mann. Einer der Kampftrainer der Gruppierung hielt eine kurze Ansprache und forderte die Kämpfer auf, fair zu bleiben. Darauf hätten die Frankfurter Wert gelegt , die ihrerseits auch fair bleiben würden. Der Kampf wurde alsdann durch Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Oberkörper sowie Tritte gegen den Oberkörper geführt, unabhängig davon, ob ein Teilnehmer stand oder zu Boden gegangen war. Bisweilen wirkten auch mehrere auf eine Person ein; Angriffe wurden sowohl von vorn als auch von hinten geführt. Der Kampf, der vom Angeklagten L. als Außenstehendem beobachtet und gefilmt wurde, dauerte eine Minute und 20 Sekunden. H. , ein Teilnehmer auf Frankfurter Seite, ging bereits nach wenigen Sekunden zu Boden und lag in einer gut sichtbaren Blutlache , die der Angeklagte L. später wegwischte. Er erlitt mehrere Brüche im Bereich des Gesichts, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machten. Der Angeklagte R. , der im Vorfeld die Beschaffung eines letztlich nicht benötigten Transportfahrzeugs angeboten hatte, war an diesem Tag nicht dabei.
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 Maximal jeweils acht Personen gingen am 7. November 2009 anlässlich eines Fußballspiels in Jena in einem in der Innenstadt gelegenen Baustellenbereich mit Fäusten und Tritten aufeinander los. Passanten wurden durch das Kampfgeschehen verschreckt.
17
Neben diesen vereinbarten Auseinandersetzungen kam es ausweislich der Feststellungen noch zum folgenden Geschehen:
18
Anlässlich des Halbfinalspiels Deutschland gegen die Türkei im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft am 25. Juni 2008 plante der - insoweit bereits mit Urteil vom 9. März 2009 rechtskräftig wegen Landfriedensbruchs verurteilte - Angeklagte K. einen Überfall auf türkische Gastronomieeinrichtungen in der Dresdner Neustadt. Der Angeklagte L. erteilte spätestens am 23. Juni 2008 seine Einwilligung hierzu. Dementsprechend sandte der Angeklagte K. an 77 Personen, darunter den Angeklagten P. und 17 weitere Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten, eine Kurznachricht, mit der er durch den Hinweis auf die gewünschte Kleidung - schwarzer Kapuzenpulli - auf die geplante Gewaltaktion im Anschluss an das Spiel, das gemeinsam in einem bekannten Treffpunkt der Fußballszene angeschaut werden sollte , hinwies und zu einer Beteiligung aufforderte. Nach Spielende gegen 22.30 Uhr brachen etwa 50 bis 60 Personen unter der Führung des Angeklagten K. in die Neustadt auf, um dort mehrere türkische Gaststätten anzugreifen. Dieser Plan war spätestens zu diesem Zeitpunkt den anwesenden Gruppenmitgliedern , darunter die Angeklagten L. , R. und P. , bekannt und wurde durch diese gebilligt. Neben Mitgliedern der Gruppierung nahmen Personen aus der Türsteherszene, möglicherweise auch aus dem Umfeld der Ultra -Fans und der SSS teil. Die Autorität des Angeklagten K. als Anführer wurde dadurch gestärkt, dass ihn die Angeklagten R. und L. begleiteten. Letzterer verließ indes die anderen Beteiligten noch im Bereich der Altstadt , wurde aber kurz vor Beginn des Angriffs hiervon vom Angeklagten R. telefonisch in Kenntnis gesetzt. In der Neustadt angekommen vermummte sich die auf etwa 80 bis 100 Personen angewachsene Gruppe durch tiefsitzende Kapuzen oder Sonnenbrillen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der Angeklagte P. Teil der Menschenmenge; dass er eigenhändig Gewalt gegen Personen oder Sachen anwendete, hat die Strafkammer indes nicht feststellen können. Kurz nach 23.30 Uhr gab der Angeklagte K. das Zeichen zum Angriff. Bis 23.39 Uhr wurden die Scheiben dreier türkischer Gastronomiebetriebe mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen und die Außenbestuh- lung umgeworfen. Es gelang den Angreifern, in das Innere eines DönerRestaurants einzudringen und die Einrichtung zu beschädigen. Insgesamt ent- stand Sachschaden in Höhe von rund 15.000 €. Darüber hinaus wurden mehre- re Gäste geschlagen, einer verlor dadurch einen Eckzahn und musste zwei Tage stationär behandelt werden. Einem Mitarbeiter wurde eine volle Flasche auf den Hinterkopf geschlagen, wodurch er eine blutende Platzwunde erlitt. Dieser Angestellte musste aufgrund des Gesamtgeschehens für ein Jahr psychologische Behandlung in Anspruch nehmen.
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Nach Durchführung von Durchsuchungs- und Festnahmemaßnahmen am 14. Dezember 2009 waren weitere Aktivitäten der Gruppe nicht mehr zu beobachten.
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II. Das Landgericht hat das Geschehen am 25. Juni 2008 hinsichtlich der Angeklagten L. , R. und P. jeweils als einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a Satz 2 Nr. 4 StGB, beim Angeklagten L. zusätzlich nach § 125a Satz 1 StGB, gewürdigt. Tateinheitlich hierzu hätten sich die Angeklagten L. und P. der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Den Schlag mit der Flasche hat es den Angeklagten nicht zugerechnet, sondern als Mittäterexzess gewertet.
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Ebenfalls als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB - auch hinsichtlich des Angeklagten L. - hat die Kammer die Auseinandersetzung vom 31. Oktober 2009 angesehen. Ob verabredete körperliche Auseinandersetzungen trotz der gegebenen Einwilligung als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen seien, müsse im Einzelfall entschieden werden. Wesentliches Kriterium hierfür sei das Maß der Gefährlichkeit der Tätlichkeiten , das seinerseits durch den jeweiligen Untergrund am Ort der Prügelei und die Anzahl der Kämpfer bestimmt werde. Bei einer Auseinandersetzung mit auf beiden Seiten mindestens 15 Personen sei eine Grenze erreicht, die das Geschehen so unübersichtlich mache, dass die Gefährlichkeit ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreiche. In diesen Fällen sei das Regelwerk, insbesondere wegen des Fehlens von Kampfrichtern und der damit einhergehenden Möglichkeit der Kampfunterbrechung zur Behandlung verletzter Personen nicht ausreichend , um schwere Verletzungen in ausreichendem Maße zu vermeiden.
22
Die Angeklagten seien darüber hinaus Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB gewesen. Da verabredete Auseinandersetzungen auch dann von dem auf der Grundlage einer - im rechtsextremen Kontext bestehenden - gemeinsamen Motivation und Zielsetzung gebildeten Gruppenwillen umfasst gewesen seien, wenn sie unter Umständen stattfanden, die zur Annahme von Sittenwidrigkeit der Körperverletzungen führten, seien Zweck und Tätigkeit der Gruppe auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen. Entsprechendes gelte, soweit Auseinandersetzungen gegen den Willen der Gegner gesucht wurden, so auch für die Tat vom 25. Juni 2008. Dieser Zweck sei nicht nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, da er dazu gedient habe, die angestrebte Stellung der Gruppierung als Macht im Raum Dresden zu untermauern; die Machtstellung stehe und falle mit der Bereitschaft , Straftaten zu begehen. Bei den Angeklagten L. , R. und K. liege jeweils ein Fall der Rädelsführerschaft im Sinne des § 129 Abs. 4 StGB vor.
23
III. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
24
Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 mwN). Eine solche Vereinigung wird zur kriminellen, wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit nach dem gemeinsamen festen Willen der Mitglieder auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sind (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.).
25
1. Die Gruppierung um die Angeklagten erfüllte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die personellen, organisatorischen, voluntativen und zeitlichen Kriterien des Vereinigungsbegriffs (vgl. dazu MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 14 ff.):
26
Sie bestand aus mehr als drei Personen und war nicht nur kurzfristig zur Erreichung eines einmaligen Zwecks, vielmehr auf unbestimmte Dauer angelegt.
27
Sie verfügte über im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige Organisationsstrukturen, was sich daran zeigt, dass sie Führungspersonal - jedenfalls den Angeklagten L. sowie ihm nachgeordnet den Angeklagten K. - besaß und eine koordinierte Aufgabenverteilung dergestalt vorsah, dass etwa vornehmlich die Mitglieder des "Jungsturms" aktiv an den gewalttätigen Auseinandersetzungen teilnahmen, wohingegen sich die "Alt-Hools" auf die Organisation beschränken konnten. Eine weitere Aufgabenverteilung ergibt sich aus dem Vorhandensein von Kampftrainern sowie der Beauftragung der Angeklagten P. und N. unter anderem mit dem Streuen von Informationen innerhalb der Vereinigung durch die Versendung von Kurznachrichten und des Angeklagten P. mit der Beschaffung der Vereinigungsmitgliedern vorbehal- tenen Fleece-Jacken (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 18). Weitere Merkmale der Organisationsstruktur waren die festen Trainingstermine an einem bestimmten Ort, die geplante Ausstattung der Vereinigung mit sogenannten Notfallhandys sowie regelmäßige Treffen, auf denen über die Belange der Vereinigung gesprochen und Einzelfragen entschieden wurden. Die Teilnahme an gemeinsamen Veranstaltungen war zudem jedenfalls teilweise verpflichtend und Gruppenregeln bestanden insoweit, als Mitglieder von der weiteren Teilnahme an Aktivitäten der Vereinigung ausgeschlossen werden konnten, wenn sie etwa nicht häufig genug zum Training oder zu anderen verpflichtenden Veranstaltungen erschienen waren.
28
Auch das voluntative Element war gegeben. Insoweit ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen eingebunden sind; nur bei Annahme eines derartigen Gruppenwillens besteht die für die Vereinigung typische und ihre Gefährlichkeit ausmachende, vom Willen des Einzelnen losgelöste Eigendynamik. Es müssen deshalb innerhalb der Vereinigung Entscheidungsstrukturen bestehen, die von allen Mitgliedern als verbindlich anerkannt werden (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 22 mwN). Wie die Willensbildung innerhalb der Vereinigung vollzogen wird, ist hingegen gleichgültig; das Demokratieprinzip kommt gleichermaßen in Betracht wie das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sofern dieses nicht nur die jeweils persönliche Unterordnung des einzelnen Mitglieds unter eine oder mehrere Führungspersönlichkeiten widerspiegelt, sondern auf dem gemeinsamen , unter den Mitgliedern abgestimmten Willen der Gesamtheit beruht (BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 109 und vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 226 f.; Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 28 jew. mwN).
29
Der erforderliche Gruppenwille wird durch die Urteilsgründe belegt. Diese ergeben hinsichtlich der Regeln der Willensbildung, dass der Wille des Angeklagten L. für die Gruppe jedenfalls insoweit maßgeblich war, als dass er letztlich über die Aufnahme neuer Mitglieder ebenso entschied wie - gemeinsam mit dem Angeklagten K. - darüber, welche Mitglieder bei den von ihm verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen. Ebenso bestand Einigkeit, dass keine Aktionen gegen den Willen des Angeklagten L. durchgeführt wurden. Die Unterordnung der Mitglieder unter den so gebildeten Gruppenwillen ergibt sich hier schon aus dem Zusammenwirken über den Tatzeitraum von etwa zwei Jahren, in dem es zu zahlreichen verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen kam. Diese zeichneten sich durch einen hohen Grad an Organisation aus, weil An- und Abreise zu dem Ort der Auseinandersetzung zu koordinieren und dafür teilweise Transportfahrzeuge zu beschaffen waren; nach Beendigung der Kampfhandlungen waren die Mitglieder der Gruppierung - nicht zuletzt zur Meidung von Strafverfolgung - stets darauf bedacht, den Tatort binnen kürzester Zeit zu verlassen. All dies wäre ohne eine Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Gruppenwillen nicht möglich gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, BGHR StGB § 129 Vereinigung 2). Aus dem Umstand, dass die Dortmunder Hooligans in großer Zahl flohen, als sie gewahr wurden, dass ihr Gegner die Gruppierung um die Angeklagten war, folgt weiter, dass die sich auch in dem regelmäßigen Kampftraining widerspiegelnden Bemühungen der Vereinigung, sich als "Macht" zu etablieren, sogar über die Region Dresden hinaus erfolgreich waren. Dass sich die Mitglieder als einheitlicher Verband fühlten, zeigt sich schließlich an ihrem Auftreten in einheitlichen T-Shirts nicht nur anlässlich der Auseinandersetzungen mit anderen Hooligans und an der geplanten Beschaffung von besonderen Jacken, die nur Mitgliedern der Vereinigung vorbehalten waren.
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2. Die Urteilsgründe belegen darüber hinaus die Ausrichtung der Gruppe auf den Zweck der Begehung von Straftaten. Erforderlich ist insoweit, dass die Organisation nach dem fest gefassten Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen. Das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könne (so noch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77, BGHSt 27, 325, 328) genügt nicht (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.), ebenso wenig, dass der Zweck nur von einzelnen Mitgliedern verfolgt, nicht aber auch von den übrigen Mitgliedern getragen wird (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2).
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a) Insoweit begegnet allerdings die Auffassung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, es komme nicht darauf an, ob die verabredeten Auseinandersetzungen regelmäßig strafbar seien, es reiche vielmehr aus, wenn diese auch unter Umständen ausgetragen werden, die zur Annahme der Sittenwidrigkeit der in ihrem Rahmen begangenen Körperverletzungen führen. Denn auf dieser Grundlage könnte die Annahme einer kriminellen Vereinigung entgegen dem in der Rechtsprechung geforderten Kriterium der zweckgerichteten Begehung von Straftaten auch dann in Betracht kommen, wenn Straftaten nur angelegentlich einer vom Gruppenwillen getragenen Betätigung begangen würden, hier etwa weil eine verabredete körperliche Auseinandersetzung aus zuvor nicht absehbaren Gründen im Einzelfall wegen der Sittenwidrigkeit der Tat nicht aufgrund der Einwilligung aller Beteiligten gerechtfertigt und deshalb strafbar ist.
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b) Die erforderliche Ausrichtung der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ergibt sich indes aus Folgendem: Die Vereinigung verfolgte den Zweck, gewalttätige Auseinandersetzungen gegen andere Hooligangruppen zu organisieren und durchzuführen. Diese Auseinandersetzungen stellen sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gerade wegen der in der vereinbarten Art der Ausführung der Gewalttätigkeiten liegenden Tatumstände als strafbare Körperverletzungen dar. Dazu im Einzelnen:
33
aa) Zu Recht ist das Landgericht zunächst von der Tatbestandsmäßigkeit der Handlungen nach den §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausgegangen. Selbst wenn man körperliche Auseinandersetzungen wie die vorliegenden, die zum Zwecke des Kräftemessens vereinbart werden, noch als sportliche Betätigung verstehen wollte, folgt daraus nicht, dass sie einem möglichen Strafanspruch schon allein deshalb entzogen wären, weil bei Einhaltung der selbst aufgestellten Regeln das Verhalten nicht als verbotswidrig anzusehen wäre. Überlegungen, regelkonformes Handeln stelle sich als tatbestandslos dar (Dölling, ZStW 1984, 36, 55 ff.; Rössner, Festschrift für Hirsch, 1999, 313, 319 ff.; SK-StGB/Wolters, [Stand: September 2014], § 228 Rn. 21; für eine Lösung über das Institut der Einwilligung: BayObLG, Urteil vom 3. August 1961 - 4 St 36/61, NJW 1961, 2072; NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 228 Rn. 109), finden spätestens dort ihre Grenze, wo die körperliche Misshandlung des Gegners Ziel der Betätigung ist (Dölling aaO, S. 64; Rössner aaO, S. 317; Kubinek, JA 2003, 257, 260; LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 228 Rn. 12).
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bb) Indes willigten die Beteiligten der Schlägereien nach den Feststellungen des Landgerichts jeweils in die Körperverletzungshandlungen der jeweils anderen Kampfgruppe ein. Jedenfalls soweit die vereinbarten Regeln eingehalten oder lediglich aus Gründen des Übereifers, der Erregung, der techni- schen Unvollkommenheit oder der mangelnden Körperbeherrschung verletzt werden, sollen an der grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung der Kampfteilnehmer keine Zweifel bestehen (hierzu BayObLG aaO, S. 2073 für den Fall eines Fußballspiels). Gezielte Regelverstöße hat die Strafkammer in keinem Fall zu erkennen vermocht, wenn auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung insbesondere zu der Schlägerei am 31. Oktober 2009 zahlreiche Verstöße gegen die angeblich verbindlichen Regeln ergeben haben, was angesichts der einleitenden Hinweise des "Trainers" der Vereinigung auf die Regeln der Fairness widersprüchlich erscheint.
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cc) Selbst wenn in solchen Regelübertretungen lediglich Exzesse der Einzelnen zu sehen wären, was einer grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung des jeweils anderen Teils insoweit nicht entgegen stünde, erweisen sich die festgestellten Körperverletzungshandlungen bei den verabredeten Schlägereien in der durchgeführten Art und Weise durch Mitglieder der Vereinigung als rechtswidrig, weil es sich dabei trotz der Einwilligung um sittenwidrige Taten im Sinne von § 228 StGB handelte. Hierzu gilt:
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(1) Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht immer einheitlich beurteilt worden. Anfangs spielten, insoweit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. RG, Urteil vom 23. Februar 1940 - 1 D 39/40, RGSt 74, 91, 93 f.), "vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle" (BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Daneben wurde aber stets auch die Schwere der Verletzungen in den Blick genommen (BGH aaO), wobei zum Teil ohne weitere Auseinandersetzung mit dem verfolgten - offensichtlich verwerflichen - Zweck eine Sittenwidrigkeit unter bloßem Hinweis auf die Geringfügigkeit der Verletzung verneint wurde (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87). Das Abstellen auf das Gewicht des Körperverletzungserfolgs wurde alsdann ausdrücklich als vorrangig betont, ohne jedoch - worauf es in den zu entscheidenden Fällen auch nicht ankam - die Herleitung der Sittenwidrigkeit aus der Zweckrichtung der Tatbegehung ausdrücklich auszuschließen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Ob diese Maßgeblichkeit des Taterfolgs aus den allgemein gültigen moralischen Maßstäben herzuleiten sei, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden könnten und die allgemeinkundig seien (so BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 40 f.; zustimmend: Kühl, Festschrift Schroeder, 2006, 521, 532), oder ob durch das Abstellen auf den Schweregrad des Rechtsgutsangriffs der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werde (so BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169 ff.; zustimmend: Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 197 f.), ist dabei unterschiedlich beurteilt worden.
37
Der von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefundene Lösungsansatz , der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abstellt , entspricht der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. die Nachweise bei Hardtung, Jura 2005, 401, 404; aA Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, 136 ff.; NK-StGB-Paeffgen aaO, Rn. 44 ff., die § 228 StGB wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig halten; dagegen MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 29; s. auch BeckOKStGB/Eschelbach [Stand: 1. Juli 2014], § 228 Rn. 22 mwN). Bei auch insoweit teilweise unterschiedlichen Begründungsansätzen - etwa Bestimmung eines Daseins-Minimums, das allen Menschen ge- meinsam ist und dessen Schmälerung deshalb selbst bei Zustimmung des Betroffenen von der Rechtsgemeinschaft nicht hingenommen werden darf (so Duttge, Gedächtnisschrift Ellen Schlüchter, 2002, 775, 784, 786, 791) oder Vornahme einer Nachteils-Vorteils-Abwägung (so MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 18 ff.) - besteht Einigkeit, dass wegen des Erfordernisses der Sittenwidrigkeit der Tat und nicht der Einwilligung das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB maßgeblicher Anknüpfungspunkt (Hirsch aaO, S. 193) und dass wegen des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens der Sittenverstoß eindeutig sein müsse (vgl. LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 2; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41), was nur bei einer Rechtsgutsverletzung von einigem Gewicht der Fall sein könne. Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versagung der rechtfertigenden Kraft einer Einwilligung nicht einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Verletzten bezwecke - die Selbstverletzung unterfällt bereits nicht dem Tatbestand der §§ 223 ff. StGB -, sondern eine Begrenzung der Handlungsfreiheit des Verletzenden (Hirsch, ZStW 1971, 140, 167; zu diesem Tabuisierungsgedanken auch MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 23; Duttge aaO).
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Eine solch gewichtige Betroffenheit des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit hat die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann angenommen, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Es ist eine Beurteilung der Tat aus einer ex-ante-Sicht vorzunehmen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.; Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 146; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 228 Rn. 4; Jäger, JA 2013, 634, 636); maßgeblich ist mithin das Gewicht der durch die Tathandlung geschaffenen Verletzungsgefahr (MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.). Dass nicht nur auf das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Verletzung abgestellt werden kann, folgt im Übrigen bereits daraus, dass § 228 StGB angesichts seiner systematischen Stellung auch §§ 223, 224 StGB in Bezug nimmt, es mithin Fälle geben muss, die trotz minder schwerer Verletzung das Verdikt der Sittenwidrigkeit nach sich ziehen (MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 24).
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Zuletzt hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs - an dem Kriterium der Maßgeblichkeit der Rechtsgutsverletzung festhaltend - ausgeführt, bei der Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung, in die eingewilligt werde, müsse bei Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen auch die solchen Tätlichkeiten aufgrund der stattfindenden gruppendynamischen Prozesse typischerweise innewohnende Eskalationsgefahr berücksichtigt werden. Vom Vorliegen dieser Eskalationsgefahr sei bei verabredeten Schlägereien immer dann auszugehen, wenn es an diese Gefahr eingrenzenden Regeln oder an der effektiven Durchsetzbarkeit etwaiger Absprachen fehle. In diesen Fällen würden die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 143 ff.; daran anschließend OLG München , Urteil vom 26. September 2013 - 4 StRR 150/13, NStZ 2014, 706, 708 f.; zustimmend Jäger, JA 2013, 634; Pichler, StRR 2013, 220; ablehnend: van der Meden, HRRS 2013, 158; Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429; Gaede, ZIS 2014, 489).
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(2) An der Rechtsprechung, nach der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen ist, hält der Senat fest. Sie ist wie folgt zu präzisieren:
41
(a) Das Merkmal der guten Sitten in § 228 StGB ist für sich genommen konturenlos. Angesichts der Wandelbarkeit moralischer Wertungen kommen als Anknüpfungspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils die Vorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder gar des zur Entscheidung berufenen Gerichts nicht in Betracht (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41 mwN; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169; von der Meden, HRRS 2013, 158, 159); auch die Ermittlung von allgemein gültigen moralischen Maßstäben erweist sich in einer pluralistischen Gesellschaft als nicht unproblematisch (vgl. dazu etwa Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954; anders noch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41).
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Der mithin zu konstatierenden Unbestimmtheit des Begriffs der guten Sitten ist dadurch zu begegnen, dass er in § 228 StGB strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte bezogen und auf seinen Kerngehalt reduziert wird. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann, wie dies etwa in Fällen des ärztlichen Heileingriffs angenommen wird (vgl. Otto, Festschrift Tröndle, 1989, 157, 168; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 26; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 9; Jäger, JA 2013, 634, 637) oder auch bei Kampfsportarten der Fall ist, die direkt auf die körperliche Misshandlung des Gegners ausgelegt sind und bei denen die ausgetragenen Kämpfe zu schwersten Verletzungen oder Gesundheitsschädigungen , ja selbst zum Tod der Kontrahenten führen können (vgl. etwa Dölling, ZStW 1984, 36, 64, der auf das rechtlich anerkannte gesellschaftliche Interesse an der Ausübung solcher Sportarten abstellt; im Ergebnis auch Jäger aaO). Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit - über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung - zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie hingegen nicht herangezogen werden. Insoweit sind aber Wertungen, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954 f.).
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(b) Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als die Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat in den Fällen, in denen bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wurde, in erster Linie aus der gesetzgeberischen Wertung des § 216 StGB folgt: Aus dem Umstand, dass eine Tötung, in die das Opfer nicht nur eingewilligt, sondern die sie ernsthaft verlangt hat, gleichwohl strafbar ist, lässt sich entnehmen, dass das Opfer in die eigene Tötung durch einen Dritten nicht wirksam einwilligen kann. Dieser Wertung hat die Rechtsprechung mit Blick auf § 228 StGB entnommen, dass im Allgemeininteresse die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, Einschränkungen unterliegt. Der Schutz der Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben gegen Beeinträchtigungen durch Dritte wird deshalb nicht schlechthin, sondern nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des Einzelnen gestellt (BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173 f.). Dieser Rahmen wird verlassen, wenn der in die Körperverletzung Einwilligende durch die Tat in konkrete Todesgefahr gebracht wird (s. dazu auch Gaede, ZIS 2014, 489, 493 f.).
44
(c) Eine gesetzgeberische Wertung lässt sich aber nicht nur § 216 StGB mit Blick auf die drohende Todesfolge entnehmen, sondern für die Art und Weise der Begehung der Körperverletzungshandlungen auch der Regelung des § 231 StGB (Jäger, JA 2013, 634, 636): Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Strafgesetzes, der sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt. Er wird zwar nur dann bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung im Sinne von § 226 StGB verursacht worden ist. Bei diesen Folgen handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung aber nur um objektive Bedingungen der Strafbarkeit (BGH, Urteile vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 21 mwN; S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 231 Rn. 5; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 231 Rn. 5; BeckOKEschelbach aaO, § 231 Rn. 2; Engländer, NStZ 2014, 214; Satzger, Jura 2006, 108, 109; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1; kritisch auch NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 231 Rn. 20). In dieser Konstruktion des Straftatbestandes kommt zum Ausdruck, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff mehrerer besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges Unrecht darstellt (BT-Drucks. IV/650, S. 291; BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; vgl. auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Die objektive Strafbarkeitsbedingung wirkt dabei nicht strafbarkeitsbegründend oder -verschärfend, sondern schränkt lediglich den Bereich des zu Bestrafenden aus kriminalpolitischen Gründen ein (BT-Drucks. IV/650, S. 268, 291; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO § 231 Rn. 1; aA offenbar MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 3: strafbarkeitsbegründend; ebenso LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1, der freilich bereits das Vorliegen einer objektiven Strafbarkeitsbedingung in Abrede stellt). Dass bereits die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff mehrerer bestraft wird, hat seinen Grund im Übrigen in Beweisschwierigkeiten , die bei körperlichen Auseinandersetzungen mehrerer erfahrungsgemäß auftreten, wenn es darum geht, eine bestimmte schwere Folge einem oder mehreren der Beteiligten einwandfrei zuzuordnen; es sollen Strafbarkeitslücken vermieden werden, die dadurch auftreten können, dass eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts wegen der genannten Beweisschwierigkeiten ausscheiden muss (BGH, Urteile vom 21. Februar 1961 - 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370; vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; BT-Drucks. IV/650, S. 290; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 2 mwN). Kann der erforderliche Nachweis indes geführt werden, ist eine tateinheitliche Verurteilung wegen eines Tötungs- oder Körperverletzungdelikts und der Beteiligung an einer Schlägerei möglich (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 22; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 13 mwN; aA NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 22, dagegen überzeugend LK/Hirsch aaO).
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(d) Die sich an den verabredeten körperlichen Auseinandersetzungen beteiligenden Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten sowie die Teilnehmer auf der gegnerischen Seite erfüllten jeweils rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB, weil sie sich damit an einer Schlägerei, also an einer mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung beteiligten, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirkten (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, BGHR StGB § 231 Schlägerei 2). Dies führt - jedenfalls in den vorliegenden Fällen, in denen die an den Schlägereien Beteiligten aus der gebotenen ex-ante-Perspektive dadurch zumindest in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wurden - nach den oben genannten Grundsätzen zur Unbeachtlichkeit der (konkludent) erteilten Einwilligungen in die mit den Auseinandersetzungen verbundenen Körperverletzungshandlungen. Insoweit gilt:
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(aa) Der Tatbestand des § 231 StGB bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt (BGH, Urteile vom 5. Februar 1960 - 4 StR 557/59, BGHSt 14, 132, 134 f. mwN; vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 103; vom 24. August 1993, 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 7; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl aaO, § 231 Rn. 1; Fischer aaO, § 231 Rn. 2; BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 1; Jäger, JA 2013, 634, 636; differenzierend NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 2; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1) nicht nur den Schutz des Lebens und der Gesundheit des durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten oder Getöteten, sondern auch Leben und Gesundheit all der - auch unbeteiligten - Personen, die durch die Schlägerei oder den Angriff gefährdet werden. Da letztgenannter Gesichtspunkt ein Gemeininteresse darstellt, entfaltet die Einwilligung eines oder aller an der Schlägerei Beteiligten im Rahmen des § 231 StGB keine rechtfertigende Wirkung (LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 18; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 18; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 10; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 433 mwN; so im Ergebnis auch BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 16; NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 13, die insoweit allerdings auf die fehlende Disponibilität der Rechtsgüter Leben und Schutz der Gesundheit vor schweren Verletzungen abstellen).
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(bb) Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten - wie hier etwa nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - einerseits und Beteiligung an einer Schlägerei andererseits dahingehend aus, dass die - rechtswidrige und schuldhafte - Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt (wie hier Jäger aaO). Denn in diesem Gesetzesverstoß , mit dem die Beteiligten an der Schlägerei strafwürdiges Unrecht verwirklicht haben (so auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956), liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB, die das Sittenwidrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der sich aus § 231 StGB ergebenden gesteigerten Gefahr für Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen eine Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll, entgegengewirkt werden könnte (so auch Jäger aaO). Die Annahme von Straflosigkeit infolge der Einwilligung in etwaige Körperverletzungen würde darüber hinaus in der gegebenen Konstellation zu unauflösbaren Widersprüchen führen, weil ein und dasselbe Täterverhalten einerseits ausdrücklich verboten, andererseits aber infolge der erteilten Einwilligung erlaubt wäre (so auch SternbergLieben , JZ 2013, 953, 956).
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Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB ist zudem nicht nur in den Fällen gegeben, in denen die schwere Folge tatsächlich eingetreten ist; denn ein tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Verstoß liegt unabhängig davon vor, weil es sich bei den genannten Folgen ausschließlich um objektive Bedingungen der Strafbarkeit handelt (Jäger aaO; aA Sternberg-Lieben aaO; Gaede, ZIS 2014, 489, 499). Ein Abstellen auf die Tatfolgen würde bereits im Widerspruch dazu stehen, dass die Wirksamkeit der Einwilligung - wie dargelegt - aus einer exante -Perspektive zu beurteilen ist, die Frage, ob eine der genannten schweren Folgen eingetreten ist, hingegen erst ex-post beantwortet werden kann. Das Erfordernis des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert würde (so aber Sternberg-Lieben aaO; von der Meden, HRRS 2013, 158, 163): Diese Begrenzung bezieht sich allein auf die Vorschrift des § 231 StGB und ist wegen der durch die erfahrungsgemäß auftretenden Nachweisprobleme bedingten Weite dieses Tatbestandes, der unabhängig von der konkreten Feststellung einer Verletzungshandlung jede Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff ausreichen lässt, nicht zuletzt mit Blick auf das Schuldprinzip geboten; kann indes - wie hier - Einzelnen ein konkreter Tatvorwurf auch wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen gemacht werden, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht.
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(cc) Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat kann nicht entgegengehalten werden, es bleibe für § 231 StGB kein eigenständiger Anwendungsbereich (so aber van der Meden aaO, S. 162): Nur aufgrund dieser Vorschrift können auch Beteiligte der Schlägerei aus dem Lager des Getöteten bzw. im Sinne des § 226 StGB Verletzten erfasst werden. Denn anders als für eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB kommt es bei § 231 StGB nicht auf die Zurechnung einzelner Handlungen an (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104). Vorliegend lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe indes entnehmen, dass die Mitglieder der Vereinigung sich selbst durch Schlagen und Treten ihrer jeweiligen Gegner aktiv an Körperverletzungshandlungen beteiligten und dadurch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllten.
50
(dd) Es kann offen bleiben, ob die durch die Erfüllung desTatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen stets und unabhängig von der konkret eingetretenen Gefahr zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führt - etwa auch dann, wenn bei vorausschauender Betrachtung lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind. Jedenfalls wenn - wie hier - der Verletzte durch die Tat voraussichtlich in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird - was nach einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur schon für sich genommen die Sittenwidrigkeit begründen soll (vgl. MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 30 mwN; Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 198, 202: Gefahr einer schweren Leibesschädigung; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 1997 - 2 Ss 147/97-49/97 II, MDR 1997, 933, 934 für Fälle des sogenannten Auto-Surfens; BayObLG, Beschluss vom 7. September 1998 - 5 St RR 153/98, NJW 1999, 372, 373: Gefahr schwerster Schädigung durch Kopfverletzungen infolge von Schlägen und Tritten gegen den Kopf) - führt der genannte Verstoß gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.
51
Die in den vorliegenden Fällen der vereinbarten Schlägereien mit anderen Hooligangruppen konsentierten Körperverletzungshandlungen begründeten bei der gebotenen objektiven Beurteilung aus einer ex-ante-Perspektive jedenfalls die konkrete Gefahr solcher schweren Gesundheitsbeschädigungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
52
Bereits nach den stillschweigend akzeptierten Regeln waren Tritte mit dem beschuhten Fuß (mit Sportschuhen) und Schläge gegen den Kopf des Gegners zulässig. Die Regeln erlaubten zudem, dass sich mehrere Kämpfer der einen Gruppe gegen einen der anderen wandten, insbesondere wenn die zu Beginn einer Auseinandersetzung bestehende zahlenmäßige Ausgeglichenheit wegen des Ausscheidens einzelner Kämpfer nicht mehr bestand. Im Kampfgeschehen kam es auch zu Angriffen von hinten, derer sich das Opfer nicht versah. Die Regel, nach der auf am Boden liegende Personen nicht mehr eingewirkt werden durfte, konnte zudem offenbar dahin ausgelegt werden, dass ein Eintreten auf bloß kniende Personen weiterhin zulässig war, solange diese nicht kampfunfähig waren. All dies geschah - wie der Vorfall vom 31. Oktober 2009 zeigt - in Kämpfen, die unter ausdrücklicher Berufung auf das Regelwerk ("Fair bleiben. […] Die bleiben auch fair.") geführt wurden. Selbst wenn in dem Einwirken auf zu Boden gegangene Personen ein Regelverstoß zu erblicken ist, kam es zu solchen Verstößen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht nur in Einzelfällen, sondern immer wieder; auch der Angeklagte L. wies in seiner Einlassung darauf hin, dass es schon wegen der Masse der Kämpfer nicht ausbleibe, dass auch kampfunfähige und am Boden liegende Personen trotzdem etwas abbekämen. Die aufgezeigten Handlungen begründen schon nach allgemeiner Lebenserfahrung ein erhebliches Verletzungspotential; die Strafkammer hat darüber hinaus durch Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass bei Schlägen (und Tritten) gegen den Kopf Einblutungen, Knochenbrüche, Nasen- und Kieferfrakturen sowie Platzwunden entstehen können. Tritte gegen am Boden liegende Personen können zudem zu Halswirbelsäulentraumata führen. Bei Tritten und Schlägen gegen den Oberkörper besteht die Gefahr von Rippenbrüchen, Herzprellungen und Herzstillstand.
53
Der Annahme der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung steht nicht entgegen, dass die Strafkammer schwerwiegende Verletzungen der Kampfteilnehmer - außer im Fall vom 31. Oktober 2009 - nicht hat feststellen können, denn es kommt - wie dargelegt - auf eine objektive Be- trachtung aus einer ex-ante-Perspektive an. Zudem steht diese Feststellung auch im Widerspruch dazu, dass sich ein Mitglied der Vereinigung bei einem sogenannten Testmatch im Februar 2008 einen Kieferbruch zuzog.
54
(ee) Für das Abstellen auf gesetzliche Wertungen, die auch die Art und Weise der Körperverletzungshandlung betreffen, spricht weiter, dass so die insbesondere von der Revisionsbegründung des Angeklagten R. aufgezeigten Wertungswidersprüche nicht auftreten, die entstehen könnten, wenn allein mit Blick auf die Schwere des potentiellen Körperverletzungserfolgs die körperlichen Auseinandersetzungen von Hooligans oder anderen rivalisierenden Gruppierungen wegen der Sittenwidrigkeit der Tat als strafbare Körperverletzungen verfolgt würden, andererseits aber die in Box-, Kickbox- oder gar sogenannten Freefight-Kämpfen wechselseitig zugefügten, teilweise erheblichen Körperverletzungshandlungen in aller Regel straflos blieben: Unabhängig von der Frage, ob die Verletzungsgefahren in diesen Fällen wegen des Vorhandenseins überprüf- und durchsetzbarer Regeln sowie der Anwesenheit von Schiedsrichtern und Ringärzten tatsächlich deutlich geringer sind, und davon, ob tatsächlich ein rechtlich anzuerkennendes gesellschaftliches Interesse an der Ausübung solcher Wettkämpfe besteht, das gegebenenfalls die Hinnahme des Risikos erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahren durch die Rechtsordnung begründen könnte (so Dölling, ZStW 1984, 36, 64; im Ergebnis auch Jäger, JA 2013, 634, 637), ist die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche Auseinandersetzungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.
55
(ff) Der aufgezeigten Lösung - dem Abstellen auf die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB - kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass dadurch anderen Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit in einer vom Normzweck nicht erfassten Weise ein mittelbarer strafrechtlicher Schutz gewährt werden würde: Bei den von § 231 StGB und den von den Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsgütern handelt es sich nicht um unterschiedliche , sondern um die gleichen, die - wie dargelegt - einerseits als Gemeininteresse , anderseits aber sowohl von den §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB als auch von § 231 StGB als Individualinteressen geschützt werden (gegen die Annahme einer unzulässigen "Rechtsgutsvertauschung" insoweit auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956).
56
Soweit dem Urteil des Senats vom 11. Dezember 2003 (3 StR 120/03, BGHSt 49, 34) entnommen werden könnte, dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Tat ohne Bedeutung sei, wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden , die dem Schutz von Universalrechtsgütern - im konkreten Fall des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b) BtMG der Volksgesundheit - dienen, zugleich aber auch den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirken (BGH aaO, S. 43), hält er daran nicht fest.
57
dd) Da die Gruppierung um die Angeklagten auf die Austragung der dargestellten körperlichen Auseinandersetzungen ausgerichtet war und sich diese - wie dargelegt - aufgrund der Unwirksamkeit der Einwilligung in die damit einhergehenden Körperverletzungshandlungen als Straftaten erweisen, war die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet.
58
Die von der Vereinigung bezweckten verabredeten Schlägereien bzw. die damit verbundenen - regelmäßig gefährlichen - Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellten auch eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und damit Straftaten von einigem Gewicht dar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47). Dies folgt schon aus der erheblichen Rechtsgutsgefährdung, die durch jede der Schlägereien ausgelöst wurde. Entgegen dem Revisionsvorbringen wurden als Austragungsort auch nicht stets entlegene "Drittorte" gewählt; die Feststellungen belegen auch Auseinandersetzungen im unmittelbaren Umfeld von Fußballstadien und im Innenstadtbereich.
59
3. War nach alledem vom Vorliegen einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die organisierten körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen (Hooligan-)Gruppierungen auszugehen, belegen die Feststellungen eine Stellung der Angeklagten L. und K. als Rädelsführer der Organisation; dies war auch im Schuldspruch des Urteils zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668, 1669). Der Senat hat ihn entsprechend für beide Angeklagte neu gefasst. Bezüglich des Angeklagten R. ist der erforderliche bestimmende Einfluss auf die Vereinigung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160) hingegen nicht belegt. Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, dass er aufgrund seiner Freundschaft zu dem Angeklagten L. und seiner früheren Leistungen ein hohes Ansehen genossen habe. Eine führende Tätigkeit als Drahtzieher oder mit bestimmendem Einfluss ist den Feststellungen hingegen nicht zu entnehmen. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung insoweit weitere Feststellungen getroffen werden könnten; es hatte mithin bei dem Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu verbleiben.
60
IV. Die Verurteilung der Angeklagten L. , K. , P. und N. wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufgrund des Geschehens vom 31. Oktober 2009 hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
61
Nach den oben dargelegten Maßstäben ist die Sittenwidrigkeit der Tat belegt, so dass die von der Strafkammer festgestellte Einwilligung der Teilnehmer keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte. Zwar hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht, dass die massiven Verletzungen des Geschädigten durch eine von den Angeklagten K. , P. oder N. eigenhändig verübte bzw. auch nur durch gezielte Körperverletzungshandlungen anderer auf Seiten der Angeklagten an der Schlägerei Beteiligten verursacht worden sind. Indes reichen für den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung die Feststellungen aus, nach denen die Angeklagten K. , P. und N. selbst auf Kämpfer aus der gegnerischen Gruppe eintraten und einschlugen und diese dadurch - mit anderen gemeinschaftlich - körperlich misshandelten. Der Tatbeitrag des Angeklagten L. bestand in der Organisation des Kampfes , den er mit dem Verantwortlichen der anderen Gruppe vereinbart hatte. Er hatte damit Tatherrschaft und - als Führer der Gruppierung - ein erhebliches eigenes Tatinteresse, so dass seine Beteiligung in diesem Fall als Mittäterschaft zu werten ist, obwohl er sich selbst an den eigentlichen Gewalttätigkeiten nicht beteiligte.
62
V. Die Verurteilung der Angeklagten L. , R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 erweist sich indes als rechtsfehlerhaft und kann deshalb keinen Bestand haben.
63
Dieses Geschehen stellt sich nicht als eine Tat dar, die vom Zweck der kriminellen Vereinigung gedeckt gewesen wäre. Der Angriff auf Gastronomiebetriebe , die von Ausländern oder Bürgern ausländischer Herkunft betrieben wurden, erweist sich als singuläres Vorkommnis, das mit den vom Vereinigungszweck getragenen - auch einverständlichen - körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen gleichgesinnten Gruppierungen in keinem Zusammenhang steht. Auch die getroffenen Feststellungen dazu, dass der Angeklagte K. - nicht aber der ansonsten stets maßgeblich in die Organisation von Vereinigungstaten involvierte Angeklagte L. - zur Mitwirkung an dem Überfall aufrief und dazu zwar auch einen Teil der Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Vereinigung, überwiegend aber andere Personen per SMS kontaktierte , sprechen dagegen, dass es sich bei dem Geschehen vom 25. Juni 2008 um eine Tat handelte, die sich für die mitwirkenden Mitglieder der Gruppierung als ein Beteiligungsakt an der Vereinigung darstellte.
64
1. Hinsichtlich der Angeklagten R. und P. fehlt es damit hinsichtlich dieser Tat an der Prozessvoraussetzung der Anklageerhebung sowie eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dresden vom 30. Mai 2011 verhält sich bezüglich des Geschehens vom 25. Juni 2008 neben der Schilderung des Verhaltens des hierfür bereits abgeurteilten Angeklagten K. allein zur Beteiligung des Angeklagten L. . Eine Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
65
Da es sich - wie dargelegt - bei den Aktivitäten der AngeklagtenR. und P. im Zusammenhang mit dem Angriff auf Gaststätten in der Dresdener Neustadt nicht um mitgliedschaftliche Betätigungsakte im Rahmen der kriminellen Vereinigung handelte, konnte sich der Anklagevorwurf auch nicht un- ter dem Aspekt auf ihre Mitwirkung an diesem Geschehen beziehen, dass ihre Tathandlungen im Sinne des § 125 StGB tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) auch den Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB verwirklichten und aus diesem Grund dem Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO unterfallen könnten (s. dazu nur BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447; vom 5. Januar 1989 - StB 45/88, BGHR StGB § 129a, Konkurrenzen 1). Schon deswegen bedürfen die sich zu diesem Problemkreis grundsätzlich stellenden weiteren Fragen (vgl. dazu nur KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 8 mwN) keiner weiteren Erörterung.
66
Die von der Strafkammer nach § 265 Abs. 1 StPO erteilten Hinweise waren somit nicht ausreichend, es bedurfte vielmehr zur Aburteilung der Angeklagten R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 der Erhebung einer Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 1 StPO. Diese fehlt. Das Verfahren ist deshalb insoweit nach § 354 Abs. 1, § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
67
2. Die Annahme der mittäterschaftlichen Begehung einer gefährlichen Körperverletzung durch den Angeklagten L. hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
68
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme richtet sich auch im Bereich des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - sowohl hinsichtlich der an den Körperverletzungshandlungen unmittelbar Beteiligten, als auch der Außenstehenden und Abwesenden - nach den allgemeinen Regeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 16. Mai 2012 - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270). Insbesondere macht Gemeinschaftlichkeit im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aus einer Beihilfe keine Täterschaft (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10). Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkma- le verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291).
69
Ausgehend von diesen Maßstäben belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Annahme von Mittäterschaft bei dem AngeklagtenL. nicht.
70
Dass er die Gewalttätigkeiten unterstützte, hat das Landgericht insbesondere aus seinem Verhältnis zum Angeklagten K. , seiner maßgeblichen Stellung in der festgestellten kriminellen Vereinigung, seinem Tatbeitrag - namentlich seiner Anwesenheit beim gemeinsamen Ansehen der Übertragung des Fußballspiels und bei Teilen des Marsches der Gruppe -, seinem telefonischen Kontakt zum Angeklagten R. unmittelbar vor Beginn der Gewalttätigkeiten sowie seinem fortbestehenden Kontakt zum Angeklagten K. und weiteren Beteiligten geschlossen. Damit ist aber lediglich eine (psychische) Beihilfe des Angeklagten L. zu den Taten des Angeklagten K. und der von ihm geführten Menschenmenge beschrieben, die darin bestand, dass er öffentlich zu erkennen gab, den bevorstehenden Angriff gutzuheißen. Da der Angeklagte L. keinen Beitrag zu der eigentlichen Tatbestandserfüllung leistete, könnte er als Mittäter allenfalls dann in Betracht kommen, wenn er als Organisator oder Führungskraft die Tat wesentlich mitgestaltet hätte (vgl. S/S- Heine/Weißer aaO, § 25 Rn. 68 mwN). Die Feststellungen belegen jedoch gerade nicht, dass es sich um eine Tat der von dem Angeklagten L. geleiteten kriminellen Vereinigung handelte, sondern lediglich dessen Einwilligung in den Plan des Angeklagten K. im Rahmen des Telefonats vom 23. Juni 2008.
71
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere, zur Annahme von Täterschaft führende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert deshalb den Schuldspruch insoweit in Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB). Die Tat steht zu der Rädelsführerschaft in der kriminellen Vereinigung und der aus der Vereinigung heraus begangenen gefährlichen Körperverletzung vom 31. Oktober 2009 in Tatmehrheit (§ 53 StGB).
72
3. Auch die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 125a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 StGB hat keinen Bestand; diese entfällt.
73
a) Die Voraussetzungen des § 125a StGB liegen nicht vor:
74
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte L. habe hinsichtlich der Tat vom 25. Juni 2008 als Hintermann agiert, was grundsätzlich zur Annahme eines - unbenannten - besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs nach § 125a Abs. 1 Satz 1 StGB führen könnte (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, juris Rn. 7). Voraussetzung wäre indes auch hier, dass der Angeklagte als Rädelsführer oder Hintermann bestimmenden Einfluss auf die Tat hatte (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 34), was durch die Feststellungen - wie aufgezeigt - gerade nicht belegt wird.
75
bb) Die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 11. November 1976 - 3 StR 333/76, BGHSt 27, 56) fest, dass die Regelbeispiele des § 125a Abs. 1 Satz 2 StGB nur eigenhändig verwirklicht werden können (so auch MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 14; SK-StGB/Stein/Rudolphi [Stand: Oktober 2013], § 125a Rn. 6g; NK-StGB-Ostendorf aaO, § 125a Rn. 8; LK/Krauß aaO, § 125a Rn. 2; aA S/SSternberg -Lieben aaO, § 125a Rn. 6; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194 f.). Diese Voraussetzung ist bei dem Angeklagten, der nicht Bestandteil der Menschenmenge war, offensichtlich nicht erfüllt.
76
b) Scheidet eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall aus, so kommt eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil die Tat schon aufgrund der Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB in einer anderen Vorschrift mit höherer Strafe bedroht ist, als der Strafrahmen des § 125 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) vorsieht; die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs tritt deshalb aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 125 Abs. 1 aE StGB zurück.
77
VI. Die Änderung der Schuldsprüche und die teilweise Einstellung des Verfahrens wirken sich zu Gunsten der Angeklagten L. , R. und P. aus. Hinsichtlich des Angeklagten R. ist zudem bei dem beibehaltenen Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu berücksichtigen , dass die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen der Rädelsführerschaft bei diesem Angeklagten nicht vorliegen. Bezüglich dieser drei Angeklagten ist mithin der Strafausspruch aufzuheben und die Strafe neu zu- zumessen. Die insoweit getroffenen Feststellungen können jedoch aufrechterhalten werden, weil sie von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern nicht betroffen sind und sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei erweisen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 3 3 / 1 4
vom
22. Januar 2015
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja [nur zu I. und III. 2.]
Veröffentlichung: ja
Zur Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen im Rahmen von verabredeten Schlägereien.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
13. November 2014 in der Sitzung am 22. Januar 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten N. ,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2013,
a) wird das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten R. und P. im Fall III. C der Urteilsgründe wegen Landfriedensbruchs , der Angeklagte P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, verurteilt worden sind; die insoweit angefallenen Kosten des Verfahrens und die diesen Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last;
b) werden die Schuldsprüche des vorgenannten Urteils dahin geändert und neu gefasst, dass der Angeklagte L. der Rädelsführerschaft, die Angeklagten R. und P. je- weils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig sind, - der Angeklagte L. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung; - der Angeklagte P. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung;
c) wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben, soweit es die Angeklagten L. , R. und P. betrifft. Die insoweit getroffenen Feststellungen bleiben jedoch aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. sowie die Revisionen der Angeklagten N. und K. werden verworfen, letztere mit der Maßgabe, dass der Angeklagte K. der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. Die Angeklagten K. und N. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden, die Angeklagten L. und P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Landfriedensbruch, die Angeklagten K. und N. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Angeklagten R. in Tateinheit mit Landfriedensbruch. Es hat deswegen gegen den Angeklagten L. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, gegen den Angeklagten R. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, gegen den Angeklagten P. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten sowie gegen den Angeklagten N. eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 20 € verhängt. Gegen ihre Verurteilungen richten sich die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten.
2
Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg der Rechtsmittel der Angeklagten L. , R. und P. . Im Übrigen sind ihre Revisionen - ebenso wie diejenigen der Angeklagten K. und N. - unbegründet.
3
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die Angeklagten gehörten einer Gruppierung an, die sich spätestens Ende 2007 bildete und unter den Namen "Hooligans Elbflorenz", "Ackerbande", "Extremsportgruppe", "Boxclub Dynamo" und "die Dresdner" bekannt war. Intern verwendeten die Mitglieder auch die Bezeichnung "Rasselbande". Den Kern der Gruppierung bildeten ehemalige und aktive Fußballhooligans, also Personen, die aus Anlass von Fußballspielen oder im Zusammenhang mit Fußball Gewalttätigkeiten verüben. Ziel war es, eine Vormachtstellung in der Dresdner Hooliganszene zu erlangen und allgemein als Macht im Raum Dresden zu erscheinen. Das daraus resultierende Bedürfnis nach Abgrenzung von anderen Gruppierungen nahm seit dem Sommer 2009 zu. Es wurde unter anderem die Ausstattung der Gruppenmitglieder mit Nottelefonen zur gegebenenfalls erforderlichen schnellen Mobilisierung beschlossen und die Beschaffung von einheitlichen schwarzen Fleece-Jacken mit den Aufschriften "Eastside Dresden" und "Ackerbande" vorbereitet, deren Erwerb nicht zwingend, aber nur Mitgliedern möglich sein sollte. Schon zuvor waren die Mitglieder der Gruppierung in der Öffentlichkeit in einheitlichen T-Shirts aufgetreten, um ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. Entsprechende gemeinsame Unternehmungen , sogenannte Hoolstreffen, waren teilweise verpflichtend in dem Sinne, dass die Nichtteilnahme zum Ausschluss von zukünftigen Veranstaltungen führen konnte. Seit November 2008 fanden regelmäßig, zweimal bis dreimal im Monat, Zusammenkünfte statt, bei denen gruppenrelevante Themen besprochen wurden.
5
An der Spitze der Gruppierung stand der Angeklagte L. . Er traf im Wesentlichen die Absprachen mit anderen Hooligan-Gruppen zu körperlichen Auseinandersetzungen und entschied regelmäßig über gemeinsame Veranstaltungen. Gegen seinen Willen wurden keine Aktionen unternommen. Insbesondere kam ihm bei der Frage der Aufnahme eines neuen Mitglieds innerhalb des Führungspersonals die wesentliche Entscheidungskompetenz zu, wobei der "Nachwuchs" zum einen aus dem gewaltbereiten Anteil der Ultra-Fans der SG Dynamo Dresden e.V. rekrutiert wurde, zum anderen der Angeklagte L. aber auch bei Boxturnieren nach geeigneten Kämpfern Ausschau hielt. Zum Führungspersonal gehörten darüber hinaus die Angeklagten R. und K. . Ersterer leitete seine Autorität aus der engen Freundschaft zum Angeklagten L. und seiner Eigenschaft als sogenannter Alt-Hool ab - diese Personen genießen wegen ihrer früheren Taten ein hohes Ansehen und werden dementsprechend von jüngeren Hooligans nicht hinterfragt. Beim Angeklagten K. handelte es sich um den Führer des "Jungsturms", der Gruppe der jüngeren Hooligans, die auch unter diesem Namen in der Jugend- und Fußballszene in Dresden auftrat. Er war in den einschlägigen Kreisen aus seiner früheren aktiven Fußballzeit und seiner Tätigkeit als Türsteher bekannt und gefürchtet. Zum "Jungsturm" gehörten unter anderem auch die Angeklagten P. und N. , wobei letzterer erst Anfang des Jahres 2009 zu der Gruppe hinzukam. Beiden, überwiegend jedoch dem Angeklagten P. , kam im Jahr 2009 vermehrt die Aufgabe zu, Aufträge der Angeklagten L. und K. auszuführen, insbesondere Informationen in der Gruppierung durch die Versendung von Kurznachrichten zu streuen. Der Angeklagte P. war auch für die Bestellung der Fleece-Jacken verantwortlich. Eigene Entscheidungsgewalt hatten er und der Angeklagte N. nicht.
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Die Mitglieder der Gruppe einte ihre Faszination für körperliche Gewalt und eine rechtsextreme Gesinnung, die bei den einzelnen Mitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt war, aber von allen als Grundlage der gemeinsamen Betätigung anerkannt wurde. Man suchte die Nähe und Verknüpfung zu anderen rechtsextremen Personenkreisen, insbesondere zu der verbotenen, jedoch fortgeführten Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Die Begeisterung für Gewalt lebten die Mitglieder durch Überfälle auf gegnerische Personen oder Personengruppen und durch verabredete körperliche Auseinan- dersetzungen mit Hooligan-Gruppen anderer Städte aus, mit denen es auch zu überregional abgesprochenen Freizeitaktivitäten kam. Zur Vorbereitung auf die Kämpfe veranstaltete die Gruppierung zunächst wöchentlich, seit Sommer des Jahres 2009 zweimal wöchentlich Trainingsabende, für die ein fester Raum in Pi. zur Verfügung stand. Auch wenn die Teilnahme am Training, das auch Nichtmitgliedern offenstand, für Mitglieder nicht verpflichtend war, bestand bei wiederholtem Fernbleiben auch insoweit die Gefahr, bei zukünftigen Auseinandersetzungen nicht mehr eingesetzt zu werden.
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Die abgesprochenen Auseinandersetzungen mit anderen HooliganGruppen fanden entweder anlässlich von Fußballspielen meist in Stadionnähe oder - als sogenannte Drittortauseinandersetzungen - unabhängig von solchen an anderen Orten statt. Für solche Kämpfe existieren ungeschriebene, aber unter den einschlägigen Gruppen allgemein anerkannte und im Einzelfall modifizierte Regeln. So wird die Gruppenstärke vorher verabredet, wobei nur mit Zustimmung des in Unterzahl antretenden Gegners ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht hergestellt werden darf. Im Verlauf eines Kampfes muss jedoch nicht Mann gegen Mann gekämpft werden, insbesondere, wenn einzelne der Gegner bereits ausgefallen sind, können sich auch mehrere Kämpfer gegen einen Gegner wenden. Frauen sind nicht zugelassen. Waffen sind verboten, Schutzbekleidung (Mund-, Tief-, Handschutz), Mützen und Sturmhauben erlaubt. Gekämpft wird in allen Kampfstilen, Schläge und Tritte sind mit Ausnahme des Genitalbereichs gegen alle Körperregionen - auch gegen den Kopf - gestattet, zugleich jedoch nur das Tragen von leichtem Schuhwerk. Wer am Boden liegt und keine Anstalten macht, sich zu erheben, oder wer sonst zu erkennen gibt, dass er nicht wieder in den Kampf eingreifen will, darf nicht mehr angegriffen werden. Allerdings kann es trotzdem dazu kommen, dass solche Personen weiter verletzt werden. Ebenso kann es in dem Kampfgeschehen zu Angriffen von hinten kommen. Die Auseinandersetzung endet, wenn alle Gegner am Boden liegen oder eine Mannschaft abdreht oder sonst die Niederlage anerkennt. Die Kämpfe dauern in der Regel nur wenige Sekunden, höchstens Minuten. Kampfrichter, die bei Regelverstößen und/oder Verletzungen unmittelbar eingreifen, um den Regelverstoß zu sanktionieren bzw. eine Behandlung zu ermöglichen, sind nicht vorgesehen. Teilweise werden die Kämpfe jedoch von nicht mehr selbst aktiven Hooligans beider Gruppen als sogenannte Schiedsrichter beobachtet und Regelverstöße im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Betroffenen erörtert. Bei schweren Verfehlungen kann es dazu kommen, dass der Verursacher nicht mehr zu Kämpfen mitgenommen wird.
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Unter diesen Bedingungen kam es zu folgenden Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Gruppierung um die Angeklagten:
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 Am 2. November 2008 kämpften elf gegen elf auf einer asphaltierten Straße ohne weitere Zuschauer.
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 Jeweils 15 Personen traten am 3. Mai 2009 auf einer Wiese gegeneinander an und wirkten durch Tritte und Schläge aufeinander ein.
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 Anlässlich eines DFB-Pokal-Spiels verabredete der Angeklagte L. am 1. August 2009 mit seinem Nürnberger Ansprechpartner einen Kampf "zwölf Mann und Fairplay". Hierzu kam es nicht, weil die Polizei ein Aufeinandertreffen beider Gruppen verhinderte.
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 Am 6. September 2009 schlugen und traten im Vorfeld eines Fußballspiels jeweils 15 bis 20 Personen für etwa 45 Sekunden auf einem geschotterten Feldweg aufeinander ein.
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 Unter Verschleierung ihrer wahren Herkunft verabredeten die Dresdner mit Dortmunder Hooligans ebenfalls am 6. September 2009 einen Kampf mit jeweils 30 Personen, auszutragen auf einem durch geparkte Lastkraftwagen von Zuschauern abgeschirmten Parkplatz. Als die Dortmunder die Täuschung erkannten, flüchteten 20 von ihnen und es kämpften anschließend zehn Mann auf jeder Seite.
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 Für den 27. September 2009 verabredete der Angeklagte L. mit Ansprechpartnern aus Moskau eine Auseinandersetzung, die in Tschechien in einem stillgelegten Steinbruch stattfinden sollte. Die Durchführung wurde durch starke Präsenz der tschechischen Polizei unterbunden , die von deutschen Behörden informiert worden war, die aufgrund von Telefonüberwachungsmaßnahmen Kenntnis von der geplanten Aktion hatten.
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 Am 31. Oktober 2009 - allein dieses Ereignis hat das Landgericht als gefährliche Körperverletzung gewertet - fand mit Frankfurter Hooligans ein sogenanntes U25-Match statt, mithin ein Kampf, an dem nur Personen jünger als 25 Jahre teilnehmen durften. Das Aufeinandertreffen , das auf einer asphaltierten Gemeindestraße stattfand, die nur noch von Anliegern und von landwirtschaftlichem Verkehr genutzt wurde, wurde vom Angeklagten L. verabredet und im Wesentlichen mitorganisiert. Auf Dresdner Seite kämpften überwiegend Mitglieder der Gruppe, unter anderem die Angeklagten K. , P. und N. , dar- über hinaus aber auch Nichtmitglieder, insgesamt 28 Mann. Einer der Kampftrainer der Gruppierung hielt eine kurze Ansprache und forderte die Kämpfer auf, fair zu bleiben. Darauf hätten die Frankfurter Wert gelegt , die ihrerseits auch fair bleiben würden. Der Kampf wurde alsdann durch Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Oberkörper sowie Tritte gegen den Oberkörper geführt, unabhängig davon, ob ein Teilnehmer stand oder zu Boden gegangen war. Bisweilen wirkten auch mehrere auf eine Person ein; Angriffe wurden sowohl von vorn als auch von hinten geführt. Der Kampf, der vom Angeklagten L. als Außenstehendem beobachtet und gefilmt wurde, dauerte eine Minute und 20 Sekunden. H. , ein Teilnehmer auf Frankfurter Seite, ging bereits nach wenigen Sekunden zu Boden und lag in einer gut sichtbaren Blutlache , die der Angeklagte L. später wegwischte. Er erlitt mehrere Brüche im Bereich des Gesichts, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machten. Der Angeklagte R. , der im Vorfeld die Beschaffung eines letztlich nicht benötigten Transportfahrzeugs angeboten hatte, war an diesem Tag nicht dabei.
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 Maximal jeweils acht Personen gingen am 7. November 2009 anlässlich eines Fußballspiels in Jena in einem in der Innenstadt gelegenen Baustellenbereich mit Fäusten und Tritten aufeinander los. Passanten wurden durch das Kampfgeschehen verschreckt.
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Neben diesen vereinbarten Auseinandersetzungen kam es ausweislich der Feststellungen noch zum folgenden Geschehen:
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Anlässlich des Halbfinalspiels Deutschland gegen die Türkei im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft am 25. Juni 2008 plante der - insoweit bereits mit Urteil vom 9. März 2009 rechtskräftig wegen Landfriedensbruchs verurteilte - Angeklagte K. einen Überfall auf türkische Gastronomieeinrichtungen in der Dresdner Neustadt. Der Angeklagte L. erteilte spätestens am 23. Juni 2008 seine Einwilligung hierzu. Dementsprechend sandte der Angeklagte K. an 77 Personen, darunter den Angeklagten P. und 17 weitere Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten, eine Kurznachricht, mit der er durch den Hinweis auf die gewünschte Kleidung - schwarzer Kapuzenpulli - auf die geplante Gewaltaktion im Anschluss an das Spiel, das gemeinsam in einem bekannten Treffpunkt der Fußballszene angeschaut werden sollte , hinwies und zu einer Beteiligung aufforderte. Nach Spielende gegen 22.30 Uhr brachen etwa 50 bis 60 Personen unter der Führung des Angeklagten K. in die Neustadt auf, um dort mehrere türkische Gaststätten anzugreifen. Dieser Plan war spätestens zu diesem Zeitpunkt den anwesenden Gruppenmitgliedern , darunter die Angeklagten L. , R. und P. , bekannt und wurde durch diese gebilligt. Neben Mitgliedern der Gruppierung nahmen Personen aus der Türsteherszene, möglicherweise auch aus dem Umfeld der Ultra -Fans und der SSS teil. Die Autorität des Angeklagten K. als Anführer wurde dadurch gestärkt, dass ihn die Angeklagten R. und L. begleiteten. Letzterer verließ indes die anderen Beteiligten noch im Bereich der Altstadt , wurde aber kurz vor Beginn des Angriffs hiervon vom Angeklagten R. telefonisch in Kenntnis gesetzt. In der Neustadt angekommen vermummte sich die auf etwa 80 bis 100 Personen angewachsene Gruppe durch tiefsitzende Kapuzen oder Sonnenbrillen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der Angeklagte P. Teil der Menschenmenge; dass er eigenhändig Gewalt gegen Personen oder Sachen anwendete, hat die Strafkammer indes nicht feststellen können. Kurz nach 23.30 Uhr gab der Angeklagte K. das Zeichen zum Angriff. Bis 23.39 Uhr wurden die Scheiben dreier türkischer Gastronomiebetriebe mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen und die Außenbestuh- lung umgeworfen. Es gelang den Angreifern, in das Innere eines DönerRestaurants einzudringen und die Einrichtung zu beschädigen. Insgesamt ent- stand Sachschaden in Höhe von rund 15.000 €. Darüber hinaus wurden mehre- re Gäste geschlagen, einer verlor dadurch einen Eckzahn und musste zwei Tage stationär behandelt werden. Einem Mitarbeiter wurde eine volle Flasche auf den Hinterkopf geschlagen, wodurch er eine blutende Platzwunde erlitt. Dieser Angestellte musste aufgrund des Gesamtgeschehens für ein Jahr psychologische Behandlung in Anspruch nehmen.
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Nach Durchführung von Durchsuchungs- und Festnahmemaßnahmen am 14. Dezember 2009 waren weitere Aktivitäten der Gruppe nicht mehr zu beobachten.
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II. Das Landgericht hat das Geschehen am 25. Juni 2008 hinsichtlich der Angeklagten L. , R. und P. jeweils als einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a Satz 2 Nr. 4 StGB, beim Angeklagten L. zusätzlich nach § 125a Satz 1 StGB, gewürdigt. Tateinheitlich hierzu hätten sich die Angeklagten L. und P. der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Den Schlag mit der Flasche hat es den Angeklagten nicht zugerechnet, sondern als Mittäterexzess gewertet.
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Ebenfalls als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB - auch hinsichtlich des Angeklagten L. - hat die Kammer die Auseinandersetzung vom 31. Oktober 2009 angesehen. Ob verabredete körperliche Auseinandersetzungen trotz der gegebenen Einwilligung als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen seien, müsse im Einzelfall entschieden werden. Wesentliches Kriterium hierfür sei das Maß der Gefährlichkeit der Tätlichkeiten , das seinerseits durch den jeweiligen Untergrund am Ort der Prügelei und die Anzahl der Kämpfer bestimmt werde. Bei einer Auseinandersetzung mit auf beiden Seiten mindestens 15 Personen sei eine Grenze erreicht, die das Geschehen so unübersichtlich mache, dass die Gefährlichkeit ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreiche. In diesen Fällen sei das Regelwerk, insbesondere wegen des Fehlens von Kampfrichtern und der damit einhergehenden Möglichkeit der Kampfunterbrechung zur Behandlung verletzter Personen nicht ausreichend , um schwere Verletzungen in ausreichendem Maße zu vermeiden.
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Die Angeklagten seien darüber hinaus Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB gewesen. Da verabredete Auseinandersetzungen auch dann von dem auf der Grundlage einer - im rechtsextremen Kontext bestehenden - gemeinsamen Motivation und Zielsetzung gebildeten Gruppenwillen umfasst gewesen seien, wenn sie unter Umständen stattfanden, die zur Annahme von Sittenwidrigkeit der Körperverletzungen führten, seien Zweck und Tätigkeit der Gruppe auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen. Entsprechendes gelte, soweit Auseinandersetzungen gegen den Willen der Gegner gesucht wurden, so auch für die Tat vom 25. Juni 2008. Dieser Zweck sei nicht nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, da er dazu gedient habe, die angestrebte Stellung der Gruppierung als Macht im Raum Dresden zu untermauern; die Machtstellung stehe und falle mit der Bereitschaft , Straftaten zu begehen. Bei den Angeklagten L. , R. und K. liege jeweils ein Fall der Rädelsführerschaft im Sinne des § 129 Abs. 4 StGB vor.
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III. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
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Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 mwN). Eine solche Vereinigung wird zur kriminellen, wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit nach dem gemeinsamen festen Willen der Mitglieder auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sind (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.).
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1. Die Gruppierung um die Angeklagten erfüllte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die personellen, organisatorischen, voluntativen und zeitlichen Kriterien des Vereinigungsbegriffs (vgl. dazu MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 14 ff.):
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Sie bestand aus mehr als drei Personen und war nicht nur kurzfristig zur Erreichung eines einmaligen Zwecks, vielmehr auf unbestimmte Dauer angelegt.
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Sie verfügte über im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige Organisationsstrukturen, was sich daran zeigt, dass sie Führungspersonal - jedenfalls den Angeklagten L. sowie ihm nachgeordnet den Angeklagten K. - besaß und eine koordinierte Aufgabenverteilung dergestalt vorsah, dass etwa vornehmlich die Mitglieder des "Jungsturms" aktiv an den gewalttätigen Auseinandersetzungen teilnahmen, wohingegen sich die "Alt-Hools" auf die Organisation beschränken konnten. Eine weitere Aufgabenverteilung ergibt sich aus dem Vorhandensein von Kampftrainern sowie der Beauftragung der Angeklagten P. und N. unter anderem mit dem Streuen von Informationen innerhalb der Vereinigung durch die Versendung von Kurznachrichten und des Angeklagten P. mit der Beschaffung der Vereinigungsmitgliedern vorbehal- tenen Fleece-Jacken (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 18). Weitere Merkmale der Organisationsstruktur waren die festen Trainingstermine an einem bestimmten Ort, die geplante Ausstattung der Vereinigung mit sogenannten Notfallhandys sowie regelmäßige Treffen, auf denen über die Belange der Vereinigung gesprochen und Einzelfragen entschieden wurden. Die Teilnahme an gemeinsamen Veranstaltungen war zudem jedenfalls teilweise verpflichtend und Gruppenregeln bestanden insoweit, als Mitglieder von der weiteren Teilnahme an Aktivitäten der Vereinigung ausgeschlossen werden konnten, wenn sie etwa nicht häufig genug zum Training oder zu anderen verpflichtenden Veranstaltungen erschienen waren.
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Auch das voluntative Element war gegeben. Insoweit ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen eingebunden sind; nur bei Annahme eines derartigen Gruppenwillens besteht die für die Vereinigung typische und ihre Gefährlichkeit ausmachende, vom Willen des Einzelnen losgelöste Eigendynamik. Es müssen deshalb innerhalb der Vereinigung Entscheidungsstrukturen bestehen, die von allen Mitgliedern als verbindlich anerkannt werden (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 22 mwN). Wie die Willensbildung innerhalb der Vereinigung vollzogen wird, ist hingegen gleichgültig; das Demokratieprinzip kommt gleichermaßen in Betracht wie das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sofern dieses nicht nur die jeweils persönliche Unterordnung des einzelnen Mitglieds unter eine oder mehrere Führungspersönlichkeiten widerspiegelt, sondern auf dem gemeinsamen , unter den Mitgliedern abgestimmten Willen der Gesamtheit beruht (BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 109 und vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 226 f.; Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 28 jew. mwN).
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Der erforderliche Gruppenwille wird durch die Urteilsgründe belegt. Diese ergeben hinsichtlich der Regeln der Willensbildung, dass der Wille des Angeklagten L. für die Gruppe jedenfalls insoweit maßgeblich war, als dass er letztlich über die Aufnahme neuer Mitglieder ebenso entschied wie - gemeinsam mit dem Angeklagten K. - darüber, welche Mitglieder bei den von ihm verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen. Ebenso bestand Einigkeit, dass keine Aktionen gegen den Willen des Angeklagten L. durchgeführt wurden. Die Unterordnung der Mitglieder unter den so gebildeten Gruppenwillen ergibt sich hier schon aus dem Zusammenwirken über den Tatzeitraum von etwa zwei Jahren, in dem es zu zahlreichen verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen kam. Diese zeichneten sich durch einen hohen Grad an Organisation aus, weil An- und Abreise zu dem Ort der Auseinandersetzung zu koordinieren und dafür teilweise Transportfahrzeuge zu beschaffen waren; nach Beendigung der Kampfhandlungen waren die Mitglieder der Gruppierung - nicht zuletzt zur Meidung von Strafverfolgung - stets darauf bedacht, den Tatort binnen kürzester Zeit zu verlassen. All dies wäre ohne eine Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Gruppenwillen nicht möglich gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, BGHR StGB § 129 Vereinigung 2). Aus dem Umstand, dass die Dortmunder Hooligans in großer Zahl flohen, als sie gewahr wurden, dass ihr Gegner die Gruppierung um die Angeklagten war, folgt weiter, dass die sich auch in dem regelmäßigen Kampftraining widerspiegelnden Bemühungen der Vereinigung, sich als "Macht" zu etablieren, sogar über die Region Dresden hinaus erfolgreich waren. Dass sich die Mitglieder als einheitlicher Verband fühlten, zeigt sich schließlich an ihrem Auftreten in einheitlichen T-Shirts nicht nur anlässlich der Auseinandersetzungen mit anderen Hooligans und an der geplanten Beschaffung von besonderen Jacken, die nur Mitgliedern der Vereinigung vorbehalten waren.
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2. Die Urteilsgründe belegen darüber hinaus die Ausrichtung der Gruppe auf den Zweck der Begehung von Straftaten. Erforderlich ist insoweit, dass die Organisation nach dem fest gefassten Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen. Das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könne (so noch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77, BGHSt 27, 325, 328) genügt nicht (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.), ebenso wenig, dass der Zweck nur von einzelnen Mitgliedern verfolgt, nicht aber auch von den übrigen Mitgliedern getragen wird (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2).
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a) Insoweit begegnet allerdings die Auffassung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, es komme nicht darauf an, ob die verabredeten Auseinandersetzungen regelmäßig strafbar seien, es reiche vielmehr aus, wenn diese auch unter Umständen ausgetragen werden, die zur Annahme der Sittenwidrigkeit der in ihrem Rahmen begangenen Körperverletzungen führen. Denn auf dieser Grundlage könnte die Annahme einer kriminellen Vereinigung entgegen dem in der Rechtsprechung geforderten Kriterium der zweckgerichteten Begehung von Straftaten auch dann in Betracht kommen, wenn Straftaten nur angelegentlich einer vom Gruppenwillen getragenen Betätigung begangen würden, hier etwa weil eine verabredete körperliche Auseinandersetzung aus zuvor nicht absehbaren Gründen im Einzelfall wegen der Sittenwidrigkeit der Tat nicht aufgrund der Einwilligung aller Beteiligten gerechtfertigt und deshalb strafbar ist.
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b) Die erforderliche Ausrichtung der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ergibt sich indes aus Folgendem: Die Vereinigung verfolgte den Zweck, gewalttätige Auseinandersetzungen gegen andere Hooligangruppen zu organisieren und durchzuführen. Diese Auseinandersetzungen stellen sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gerade wegen der in der vereinbarten Art der Ausführung der Gewalttätigkeiten liegenden Tatumstände als strafbare Körperverletzungen dar. Dazu im Einzelnen:
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aa) Zu Recht ist das Landgericht zunächst von der Tatbestandsmäßigkeit der Handlungen nach den §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausgegangen. Selbst wenn man körperliche Auseinandersetzungen wie die vorliegenden, die zum Zwecke des Kräftemessens vereinbart werden, noch als sportliche Betätigung verstehen wollte, folgt daraus nicht, dass sie einem möglichen Strafanspruch schon allein deshalb entzogen wären, weil bei Einhaltung der selbst aufgestellten Regeln das Verhalten nicht als verbotswidrig anzusehen wäre. Überlegungen, regelkonformes Handeln stelle sich als tatbestandslos dar (Dölling, ZStW 1984, 36, 55 ff.; Rössner, Festschrift für Hirsch, 1999, 313, 319 ff.; SK-StGB/Wolters, [Stand: September 2014], § 228 Rn. 21; für eine Lösung über das Institut der Einwilligung: BayObLG, Urteil vom 3. August 1961 - 4 St 36/61, NJW 1961, 2072; NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 228 Rn. 109), finden spätestens dort ihre Grenze, wo die körperliche Misshandlung des Gegners Ziel der Betätigung ist (Dölling aaO, S. 64; Rössner aaO, S. 317; Kubinek, JA 2003, 257, 260; LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 228 Rn. 12).
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bb) Indes willigten die Beteiligten der Schlägereien nach den Feststellungen des Landgerichts jeweils in die Körperverletzungshandlungen der jeweils anderen Kampfgruppe ein. Jedenfalls soweit die vereinbarten Regeln eingehalten oder lediglich aus Gründen des Übereifers, der Erregung, der techni- schen Unvollkommenheit oder der mangelnden Körperbeherrschung verletzt werden, sollen an der grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung der Kampfteilnehmer keine Zweifel bestehen (hierzu BayObLG aaO, S. 2073 für den Fall eines Fußballspiels). Gezielte Regelverstöße hat die Strafkammer in keinem Fall zu erkennen vermocht, wenn auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung insbesondere zu der Schlägerei am 31. Oktober 2009 zahlreiche Verstöße gegen die angeblich verbindlichen Regeln ergeben haben, was angesichts der einleitenden Hinweise des "Trainers" der Vereinigung auf die Regeln der Fairness widersprüchlich erscheint.
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cc) Selbst wenn in solchen Regelübertretungen lediglich Exzesse der Einzelnen zu sehen wären, was einer grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung des jeweils anderen Teils insoweit nicht entgegen stünde, erweisen sich die festgestellten Körperverletzungshandlungen bei den verabredeten Schlägereien in der durchgeführten Art und Weise durch Mitglieder der Vereinigung als rechtswidrig, weil es sich dabei trotz der Einwilligung um sittenwidrige Taten im Sinne von § 228 StGB handelte. Hierzu gilt:
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(1) Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht immer einheitlich beurteilt worden. Anfangs spielten, insoweit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. RG, Urteil vom 23. Februar 1940 - 1 D 39/40, RGSt 74, 91, 93 f.), "vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle" (BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Daneben wurde aber stets auch die Schwere der Verletzungen in den Blick genommen (BGH aaO), wobei zum Teil ohne weitere Auseinandersetzung mit dem verfolgten - offensichtlich verwerflichen - Zweck eine Sittenwidrigkeit unter bloßem Hinweis auf die Geringfügigkeit der Verletzung verneint wurde (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87). Das Abstellen auf das Gewicht des Körperverletzungserfolgs wurde alsdann ausdrücklich als vorrangig betont, ohne jedoch - worauf es in den zu entscheidenden Fällen auch nicht ankam - die Herleitung der Sittenwidrigkeit aus der Zweckrichtung der Tatbegehung ausdrücklich auszuschließen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Ob diese Maßgeblichkeit des Taterfolgs aus den allgemein gültigen moralischen Maßstäben herzuleiten sei, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden könnten und die allgemeinkundig seien (so BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 40 f.; zustimmend: Kühl, Festschrift Schroeder, 2006, 521, 532), oder ob durch das Abstellen auf den Schweregrad des Rechtsgutsangriffs der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werde (so BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169 ff.; zustimmend: Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 197 f.), ist dabei unterschiedlich beurteilt worden.
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Der von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefundene Lösungsansatz , der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abstellt , entspricht der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. die Nachweise bei Hardtung, Jura 2005, 401, 404; aA Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, 136 ff.; NK-StGB-Paeffgen aaO, Rn. 44 ff., die § 228 StGB wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig halten; dagegen MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 29; s. auch BeckOKStGB/Eschelbach [Stand: 1. Juli 2014], § 228 Rn. 22 mwN). Bei auch insoweit teilweise unterschiedlichen Begründungsansätzen - etwa Bestimmung eines Daseins-Minimums, das allen Menschen ge- meinsam ist und dessen Schmälerung deshalb selbst bei Zustimmung des Betroffenen von der Rechtsgemeinschaft nicht hingenommen werden darf (so Duttge, Gedächtnisschrift Ellen Schlüchter, 2002, 775, 784, 786, 791) oder Vornahme einer Nachteils-Vorteils-Abwägung (so MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 18 ff.) - besteht Einigkeit, dass wegen des Erfordernisses der Sittenwidrigkeit der Tat und nicht der Einwilligung das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB maßgeblicher Anknüpfungspunkt (Hirsch aaO, S. 193) und dass wegen des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens der Sittenverstoß eindeutig sein müsse (vgl. LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 2; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41), was nur bei einer Rechtsgutsverletzung von einigem Gewicht der Fall sein könne. Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versagung der rechtfertigenden Kraft einer Einwilligung nicht einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Verletzten bezwecke - die Selbstverletzung unterfällt bereits nicht dem Tatbestand der §§ 223 ff. StGB -, sondern eine Begrenzung der Handlungsfreiheit des Verletzenden (Hirsch, ZStW 1971, 140, 167; zu diesem Tabuisierungsgedanken auch MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 23; Duttge aaO).
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Eine solch gewichtige Betroffenheit des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit hat die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann angenommen, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Es ist eine Beurteilung der Tat aus einer ex-ante-Sicht vorzunehmen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.; Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 146; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 228 Rn. 4; Jäger, JA 2013, 634, 636); maßgeblich ist mithin das Gewicht der durch die Tathandlung geschaffenen Verletzungsgefahr (MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.). Dass nicht nur auf das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Verletzung abgestellt werden kann, folgt im Übrigen bereits daraus, dass § 228 StGB angesichts seiner systematischen Stellung auch §§ 223, 224 StGB in Bezug nimmt, es mithin Fälle geben muss, die trotz minder schwerer Verletzung das Verdikt der Sittenwidrigkeit nach sich ziehen (MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 24).
39
Zuletzt hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs - an dem Kriterium der Maßgeblichkeit der Rechtsgutsverletzung festhaltend - ausgeführt, bei der Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung, in die eingewilligt werde, müsse bei Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen auch die solchen Tätlichkeiten aufgrund der stattfindenden gruppendynamischen Prozesse typischerweise innewohnende Eskalationsgefahr berücksichtigt werden. Vom Vorliegen dieser Eskalationsgefahr sei bei verabredeten Schlägereien immer dann auszugehen, wenn es an diese Gefahr eingrenzenden Regeln oder an der effektiven Durchsetzbarkeit etwaiger Absprachen fehle. In diesen Fällen würden die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 143 ff.; daran anschließend OLG München , Urteil vom 26. September 2013 - 4 StRR 150/13, NStZ 2014, 706, 708 f.; zustimmend Jäger, JA 2013, 634; Pichler, StRR 2013, 220; ablehnend: van der Meden, HRRS 2013, 158; Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429; Gaede, ZIS 2014, 489).
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(2) An der Rechtsprechung, nach der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen ist, hält der Senat fest. Sie ist wie folgt zu präzisieren:
41
(a) Das Merkmal der guten Sitten in § 228 StGB ist für sich genommen konturenlos. Angesichts der Wandelbarkeit moralischer Wertungen kommen als Anknüpfungspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils die Vorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder gar des zur Entscheidung berufenen Gerichts nicht in Betracht (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41 mwN; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169; von der Meden, HRRS 2013, 158, 159); auch die Ermittlung von allgemein gültigen moralischen Maßstäben erweist sich in einer pluralistischen Gesellschaft als nicht unproblematisch (vgl. dazu etwa Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954; anders noch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41).
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Der mithin zu konstatierenden Unbestimmtheit des Begriffs der guten Sitten ist dadurch zu begegnen, dass er in § 228 StGB strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte bezogen und auf seinen Kerngehalt reduziert wird. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann, wie dies etwa in Fällen des ärztlichen Heileingriffs angenommen wird (vgl. Otto, Festschrift Tröndle, 1989, 157, 168; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 26; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 9; Jäger, JA 2013, 634, 637) oder auch bei Kampfsportarten der Fall ist, die direkt auf die körperliche Misshandlung des Gegners ausgelegt sind und bei denen die ausgetragenen Kämpfe zu schwersten Verletzungen oder Gesundheitsschädigungen , ja selbst zum Tod der Kontrahenten führen können (vgl. etwa Dölling, ZStW 1984, 36, 64, der auf das rechtlich anerkannte gesellschaftliche Interesse an der Ausübung solcher Sportarten abstellt; im Ergebnis auch Jäger aaO). Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit - über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung - zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie hingegen nicht herangezogen werden. Insoweit sind aber Wertungen, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954 f.).
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(b) Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als die Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat in den Fällen, in denen bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wurde, in erster Linie aus der gesetzgeberischen Wertung des § 216 StGB folgt: Aus dem Umstand, dass eine Tötung, in die das Opfer nicht nur eingewilligt, sondern die sie ernsthaft verlangt hat, gleichwohl strafbar ist, lässt sich entnehmen, dass das Opfer in die eigene Tötung durch einen Dritten nicht wirksam einwilligen kann. Dieser Wertung hat die Rechtsprechung mit Blick auf § 228 StGB entnommen, dass im Allgemeininteresse die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, Einschränkungen unterliegt. Der Schutz der Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben gegen Beeinträchtigungen durch Dritte wird deshalb nicht schlechthin, sondern nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des Einzelnen gestellt (BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173 f.). Dieser Rahmen wird verlassen, wenn der in die Körperverletzung Einwilligende durch die Tat in konkrete Todesgefahr gebracht wird (s. dazu auch Gaede, ZIS 2014, 489, 493 f.).
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(c) Eine gesetzgeberische Wertung lässt sich aber nicht nur § 216 StGB mit Blick auf die drohende Todesfolge entnehmen, sondern für die Art und Weise der Begehung der Körperverletzungshandlungen auch der Regelung des § 231 StGB (Jäger, JA 2013, 634, 636): Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Strafgesetzes, der sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt. Er wird zwar nur dann bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung im Sinne von § 226 StGB verursacht worden ist. Bei diesen Folgen handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung aber nur um objektive Bedingungen der Strafbarkeit (BGH, Urteile vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 21 mwN; S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 231 Rn. 5; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 231 Rn. 5; BeckOKEschelbach aaO, § 231 Rn. 2; Engländer, NStZ 2014, 214; Satzger, Jura 2006, 108, 109; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1; kritisch auch NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 231 Rn. 20). In dieser Konstruktion des Straftatbestandes kommt zum Ausdruck, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff mehrerer besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges Unrecht darstellt (BT-Drucks. IV/650, S. 291; BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; vgl. auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Die objektive Strafbarkeitsbedingung wirkt dabei nicht strafbarkeitsbegründend oder -verschärfend, sondern schränkt lediglich den Bereich des zu Bestrafenden aus kriminalpolitischen Gründen ein (BT-Drucks. IV/650, S. 268, 291; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO § 231 Rn. 1; aA offenbar MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 3: strafbarkeitsbegründend; ebenso LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1, der freilich bereits das Vorliegen einer objektiven Strafbarkeitsbedingung in Abrede stellt). Dass bereits die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff mehrerer bestraft wird, hat seinen Grund im Übrigen in Beweisschwierigkeiten , die bei körperlichen Auseinandersetzungen mehrerer erfahrungsgemäß auftreten, wenn es darum geht, eine bestimmte schwere Folge einem oder mehreren der Beteiligten einwandfrei zuzuordnen; es sollen Strafbarkeitslücken vermieden werden, die dadurch auftreten können, dass eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts wegen der genannten Beweisschwierigkeiten ausscheiden muss (BGH, Urteile vom 21. Februar 1961 - 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370; vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; BT-Drucks. IV/650, S. 290; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 2 mwN). Kann der erforderliche Nachweis indes geführt werden, ist eine tateinheitliche Verurteilung wegen eines Tötungs- oder Körperverletzungdelikts und der Beteiligung an einer Schlägerei möglich (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 22; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 13 mwN; aA NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 22, dagegen überzeugend LK/Hirsch aaO).
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(d) Die sich an den verabredeten körperlichen Auseinandersetzungen beteiligenden Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten sowie die Teilnehmer auf der gegnerischen Seite erfüllten jeweils rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB, weil sie sich damit an einer Schlägerei, also an einer mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung beteiligten, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirkten (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, BGHR StGB § 231 Schlägerei 2). Dies führt - jedenfalls in den vorliegenden Fällen, in denen die an den Schlägereien Beteiligten aus der gebotenen ex-ante-Perspektive dadurch zumindest in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wurden - nach den oben genannten Grundsätzen zur Unbeachtlichkeit der (konkludent) erteilten Einwilligungen in die mit den Auseinandersetzungen verbundenen Körperverletzungshandlungen. Insoweit gilt:
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(aa) Der Tatbestand des § 231 StGB bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt (BGH, Urteile vom 5. Februar 1960 - 4 StR 557/59, BGHSt 14, 132, 134 f. mwN; vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 103; vom 24. August 1993, 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 7; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl aaO, § 231 Rn. 1; Fischer aaO, § 231 Rn. 2; BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 1; Jäger, JA 2013, 634, 636; differenzierend NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 2; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1) nicht nur den Schutz des Lebens und der Gesundheit des durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten oder Getöteten, sondern auch Leben und Gesundheit all der - auch unbeteiligten - Personen, die durch die Schlägerei oder den Angriff gefährdet werden. Da letztgenannter Gesichtspunkt ein Gemeininteresse darstellt, entfaltet die Einwilligung eines oder aller an der Schlägerei Beteiligten im Rahmen des § 231 StGB keine rechtfertigende Wirkung (LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 18; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 18; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 10; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 433 mwN; so im Ergebnis auch BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 16; NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 13, die insoweit allerdings auf die fehlende Disponibilität der Rechtsgüter Leben und Schutz der Gesundheit vor schweren Verletzungen abstellen).
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(bb) Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten - wie hier etwa nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - einerseits und Beteiligung an einer Schlägerei andererseits dahingehend aus, dass die - rechtswidrige und schuldhafte - Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt (wie hier Jäger aaO). Denn in diesem Gesetzesverstoß , mit dem die Beteiligten an der Schlägerei strafwürdiges Unrecht verwirklicht haben (so auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956), liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB, die das Sittenwidrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der sich aus § 231 StGB ergebenden gesteigerten Gefahr für Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen eine Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll, entgegengewirkt werden könnte (so auch Jäger aaO). Die Annahme von Straflosigkeit infolge der Einwilligung in etwaige Körperverletzungen würde darüber hinaus in der gegebenen Konstellation zu unauflösbaren Widersprüchen führen, weil ein und dasselbe Täterverhalten einerseits ausdrücklich verboten, andererseits aber infolge der erteilten Einwilligung erlaubt wäre (so auch SternbergLieben , JZ 2013, 953, 956).
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Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB ist zudem nicht nur in den Fällen gegeben, in denen die schwere Folge tatsächlich eingetreten ist; denn ein tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Verstoß liegt unabhängig davon vor, weil es sich bei den genannten Folgen ausschließlich um objektive Bedingungen der Strafbarkeit handelt (Jäger aaO; aA Sternberg-Lieben aaO; Gaede, ZIS 2014, 489, 499). Ein Abstellen auf die Tatfolgen würde bereits im Widerspruch dazu stehen, dass die Wirksamkeit der Einwilligung - wie dargelegt - aus einer exante -Perspektive zu beurteilen ist, die Frage, ob eine der genannten schweren Folgen eingetreten ist, hingegen erst ex-post beantwortet werden kann. Das Erfordernis des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert würde (so aber Sternberg-Lieben aaO; von der Meden, HRRS 2013, 158, 163): Diese Begrenzung bezieht sich allein auf die Vorschrift des § 231 StGB und ist wegen der durch die erfahrungsgemäß auftretenden Nachweisprobleme bedingten Weite dieses Tatbestandes, der unabhängig von der konkreten Feststellung einer Verletzungshandlung jede Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff ausreichen lässt, nicht zuletzt mit Blick auf das Schuldprinzip geboten; kann indes - wie hier - Einzelnen ein konkreter Tatvorwurf auch wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen gemacht werden, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht.
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(cc) Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat kann nicht entgegengehalten werden, es bleibe für § 231 StGB kein eigenständiger Anwendungsbereich (so aber van der Meden aaO, S. 162): Nur aufgrund dieser Vorschrift können auch Beteiligte der Schlägerei aus dem Lager des Getöteten bzw. im Sinne des § 226 StGB Verletzten erfasst werden. Denn anders als für eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB kommt es bei § 231 StGB nicht auf die Zurechnung einzelner Handlungen an (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104). Vorliegend lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe indes entnehmen, dass die Mitglieder der Vereinigung sich selbst durch Schlagen und Treten ihrer jeweiligen Gegner aktiv an Körperverletzungshandlungen beteiligten und dadurch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllten.
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(dd) Es kann offen bleiben, ob die durch die Erfüllung desTatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen stets und unabhängig von der konkret eingetretenen Gefahr zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führt - etwa auch dann, wenn bei vorausschauender Betrachtung lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind. Jedenfalls wenn - wie hier - der Verletzte durch die Tat voraussichtlich in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird - was nach einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur schon für sich genommen die Sittenwidrigkeit begründen soll (vgl. MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 30 mwN; Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 198, 202: Gefahr einer schweren Leibesschädigung; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 1997 - 2 Ss 147/97-49/97 II, MDR 1997, 933, 934 für Fälle des sogenannten Auto-Surfens; BayObLG, Beschluss vom 7. September 1998 - 5 St RR 153/98, NJW 1999, 372, 373: Gefahr schwerster Schädigung durch Kopfverletzungen infolge von Schlägen und Tritten gegen den Kopf) - führt der genannte Verstoß gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.
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Die in den vorliegenden Fällen der vereinbarten Schlägereien mit anderen Hooligangruppen konsentierten Körperverletzungshandlungen begründeten bei der gebotenen objektiven Beurteilung aus einer ex-ante-Perspektive jedenfalls die konkrete Gefahr solcher schweren Gesundheitsbeschädigungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
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Bereits nach den stillschweigend akzeptierten Regeln waren Tritte mit dem beschuhten Fuß (mit Sportschuhen) und Schläge gegen den Kopf des Gegners zulässig. Die Regeln erlaubten zudem, dass sich mehrere Kämpfer der einen Gruppe gegen einen der anderen wandten, insbesondere wenn die zu Beginn einer Auseinandersetzung bestehende zahlenmäßige Ausgeglichenheit wegen des Ausscheidens einzelner Kämpfer nicht mehr bestand. Im Kampfgeschehen kam es auch zu Angriffen von hinten, derer sich das Opfer nicht versah. Die Regel, nach der auf am Boden liegende Personen nicht mehr eingewirkt werden durfte, konnte zudem offenbar dahin ausgelegt werden, dass ein Eintreten auf bloß kniende Personen weiterhin zulässig war, solange diese nicht kampfunfähig waren. All dies geschah - wie der Vorfall vom 31. Oktober 2009 zeigt - in Kämpfen, die unter ausdrücklicher Berufung auf das Regelwerk ("Fair bleiben. […] Die bleiben auch fair.") geführt wurden. Selbst wenn in dem Einwirken auf zu Boden gegangene Personen ein Regelverstoß zu erblicken ist, kam es zu solchen Verstößen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht nur in Einzelfällen, sondern immer wieder; auch der Angeklagte L. wies in seiner Einlassung darauf hin, dass es schon wegen der Masse der Kämpfer nicht ausbleibe, dass auch kampfunfähige und am Boden liegende Personen trotzdem etwas abbekämen. Die aufgezeigten Handlungen begründen schon nach allgemeiner Lebenserfahrung ein erhebliches Verletzungspotential; die Strafkammer hat darüber hinaus durch Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass bei Schlägen (und Tritten) gegen den Kopf Einblutungen, Knochenbrüche, Nasen- und Kieferfrakturen sowie Platzwunden entstehen können. Tritte gegen am Boden liegende Personen können zudem zu Halswirbelsäulentraumata führen. Bei Tritten und Schlägen gegen den Oberkörper besteht die Gefahr von Rippenbrüchen, Herzprellungen und Herzstillstand.
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Der Annahme der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung steht nicht entgegen, dass die Strafkammer schwerwiegende Verletzungen der Kampfteilnehmer - außer im Fall vom 31. Oktober 2009 - nicht hat feststellen können, denn es kommt - wie dargelegt - auf eine objektive Be- trachtung aus einer ex-ante-Perspektive an. Zudem steht diese Feststellung auch im Widerspruch dazu, dass sich ein Mitglied der Vereinigung bei einem sogenannten Testmatch im Februar 2008 einen Kieferbruch zuzog.
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(ee) Für das Abstellen auf gesetzliche Wertungen, die auch die Art und Weise der Körperverletzungshandlung betreffen, spricht weiter, dass so die insbesondere von der Revisionsbegründung des Angeklagten R. aufgezeigten Wertungswidersprüche nicht auftreten, die entstehen könnten, wenn allein mit Blick auf die Schwere des potentiellen Körperverletzungserfolgs die körperlichen Auseinandersetzungen von Hooligans oder anderen rivalisierenden Gruppierungen wegen der Sittenwidrigkeit der Tat als strafbare Körperverletzungen verfolgt würden, andererseits aber die in Box-, Kickbox- oder gar sogenannten Freefight-Kämpfen wechselseitig zugefügten, teilweise erheblichen Körperverletzungshandlungen in aller Regel straflos blieben: Unabhängig von der Frage, ob die Verletzungsgefahren in diesen Fällen wegen des Vorhandenseins überprüf- und durchsetzbarer Regeln sowie der Anwesenheit von Schiedsrichtern und Ringärzten tatsächlich deutlich geringer sind, und davon, ob tatsächlich ein rechtlich anzuerkennendes gesellschaftliches Interesse an der Ausübung solcher Wettkämpfe besteht, das gegebenenfalls die Hinnahme des Risikos erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahren durch die Rechtsordnung begründen könnte (so Dölling, ZStW 1984, 36, 64; im Ergebnis auch Jäger, JA 2013, 634, 637), ist die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche Auseinandersetzungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.
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(ff) Der aufgezeigten Lösung - dem Abstellen auf die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB - kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass dadurch anderen Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit in einer vom Normzweck nicht erfassten Weise ein mittelbarer strafrechtlicher Schutz gewährt werden würde: Bei den von § 231 StGB und den von den Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsgütern handelt es sich nicht um unterschiedliche , sondern um die gleichen, die - wie dargelegt - einerseits als Gemeininteresse , anderseits aber sowohl von den §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB als auch von § 231 StGB als Individualinteressen geschützt werden (gegen die Annahme einer unzulässigen "Rechtsgutsvertauschung" insoweit auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956).
56
Soweit dem Urteil des Senats vom 11. Dezember 2003 (3 StR 120/03, BGHSt 49, 34) entnommen werden könnte, dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Tat ohne Bedeutung sei, wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden , die dem Schutz von Universalrechtsgütern - im konkreten Fall des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b) BtMG der Volksgesundheit - dienen, zugleich aber auch den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirken (BGH aaO, S. 43), hält er daran nicht fest.
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dd) Da die Gruppierung um die Angeklagten auf die Austragung der dargestellten körperlichen Auseinandersetzungen ausgerichtet war und sich diese - wie dargelegt - aufgrund der Unwirksamkeit der Einwilligung in die damit einhergehenden Körperverletzungshandlungen als Straftaten erweisen, war die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet.
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Die von der Vereinigung bezweckten verabredeten Schlägereien bzw. die damit verbundenen - regelmäßig gefährlichen - Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellten auch eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und damit Straftaten von einigem Gewicht dar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47). Dies folgt schon aus der erheblichen Rechtsgutsgefährdung, die durch jede der Schlägereien ausgelöst wurde. Entgegen dem Revisionsvorbringen wurden als Austragungsort auch nicht stets entlegene "Drittorte" gewählt; die Feststellungen belegen auch Auseinandersetzungen im unmittelbaren Umfeld von Fußballstadien und im Innenstadtbereich.
59
3. War nach alledem vom Vorliegen einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die organisierten körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen (Hooligan-)Gruppierungen auszugehen, belegen die Feststellungen eine Stellung der Angeklagten L. und K. als Rädelsführer der Organisation; dies war auch im Schuldspruch des Urteils zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668, 1669). Der Senat hat ihn entsprechend für beide Angeklagte neu gefasst. Bezüglich des Angeklagten R. ist der erforderliche bestimmende Einfluss auf die Vereinigung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160) hingegen nicht belegt. Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, dass er aufgrund seiner Freundschaft zu dem Angeklagten L. und seiner früheren Leistungen ein hohes Ansehen genossen habe. Eine führende Tätigkeit als Drahtzieher oder mit bestimmendem Einfluss ist den Feststellungen hingegen nicht zu entnehmen. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung insoweit weitere Feststellungen getroffen werden könnten; es hatte mithin bei dem Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu verbleiben.
60
IV. Die Verurteilung der Angeklagten L. , K. , P. und N. wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufgrund des Geschehens vom 31. Oktober 2009 hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
61
Nach den oben dargelegten Maßstäben ist die Sittenwidrigkeit der Tat belegt, so dass die von der Strafkammer festgestellte Einwilligung der Teilnehmer keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte. Zwar hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht, dass die massiven Verletzungen des Geschädigten durch eine von den Angeklagten K. , P. oder N. eigenhändig verübte bzw. auch nur durch gezielte Körperverletzungshandlungen anderer auf Seiten der Angeklagten an der Schlägerei Beteiligten verursacht worden sind. Indes reichen für den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung die Feststellungen aus, nach denen die Angeklagten K. , P. und N. selbst auf Kämpfer aus der gegnerischen Gruppe eintraten und einschlugen und diese dadurch - mit anderen gemeinschaftlich - körperlich misshandelten. Der Tatbeitrag des Angeklagten L. bestand in der Organisation des Kampfes , den er mit dem Verantwortlichen der anderen Gruppe vereinbart hatte. Er hatte damit Tatherrschaft und - als Führer der Gruppierung - ein erhebliches eigenes Tatinteresse, so dass seine Beteiligung in diesem Fall als Mittäterschaft zu werten ist, obwohl er sich selbst an den eigentlichen Gewalttätigkeiten nicht beteiligte.
62
V. Die Verurteilung der Angeklagten L. , R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 erweist sich indes als rechtsfehlerhaft und kann deshalb keinen Bestand haben.
63
Dieses Geschehen stellt sich nicht als eine Tat dar, die vom Zweck der kriminellen Vereinigung gedeckt gewesen wäre. Der Angriff auf Gastronomiebetriebe , die von Ausländern oder Bürgern ausländischer Herkunft betrieben wurden, erweist sich als singuläres Vorkommnis, das mit den vom Vereinigungszweck getragenen - auch einverständlichen - körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen gleichgesinnten Gruppierungen in keinem Zusammenhang steht. Auch die getroffenen Feststellungen dazu, dass der Angeklagte K. - nicht aber der ansonsten stets maßgeblich in die Organisation von Vereinigungstaten involvierte Angeklagte L. - zur Mitwirkung an dem Überfall aufrief und dazu zwar auch einen Teil der Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Vereinigung, überwiegend aber andere Personen per SMS kontaktierte , sprechen dagegen, dass es sich bei dem Geschehen vom 25. Juni 2008 um eine Tat handelte, die sich für die mitwirkenden Mitglieder der Gruppierung als ein Beteiligungsakt an der Vereinigung darstellte.
64
1. Hinsichtlich der Angeklagten R. und P. fehlt es damit hinsichtlich dieser Tat an der Prozessvoraussetzung der Anklageerhebung sowie eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dresden vom 30. Mai 2011 verhält sich bezüglich des Geschehens vom 25. Juni 2008 neben der Schilderung des Verhaltens des hierfür bereits abgeurteilten Angeklagten K. allein zur Beteiligung des Angeklagten L. . Eine Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
65
Da es sich - wie dargelegt - bei den Aktivitäten der AngeklagtenR. und P. im Zusammenhang mit dem Angriff auf Gaststätten in der Dresdener Neustadt nicht um mitgliedschaftliche Betätigungsakte im Rahmen der kriminellen Vereinigung handelte, konnte sich der Anklagevorwurf auch nicht un- ter dem Aspekt auf ihre Mitwirkung an diesem Geschehen beziehen, dass ihre Tathandlungen im Sinne des § 125 StGB tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) auch den Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB verwirklichten und aus diesem Grund dem Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO unterfallen könnten (s. dazu nur BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447; vom 5. Januar 1989 - StB 45/88, BGHR StGB § 129a, Konkurrenzen 1). Schon deswegen bedürfen die sich zu diesem Problemkreis grundsätzlich stellenden weiteren Fragen (vgl. dazu nur KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 8 mwN) keiner weiteren Erörterung.
66
Die von der Strafkammer nach § 265 Abs. 1 StPO erteilten Hinweise waren somit nicht ausreichend, es bedurfte vielmehr zur Aburteilung der Angeklagten R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 der Erhebung einer Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 1 StPO. Diese fehlt. Das Verfahren ist deshalb insoweit nach § 354 Abs. 1, § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
67
2. Die Annahme der mittäterschaftlichen Begehung einer gefährlichen Körperverletzung durch den Angeklagten L. hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
68
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme richtet sich auch im Bereich des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - sowohl hinsichtlich der an den Körperverletzungshandlungen unmittelbar Beteiligten, als auch der Außenstehenden und Abwesenden - nach den allgemeinen Regeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 16. Mai 2012 - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270). Insbesondere macht Gemeinschaftlichkeit im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aus einer Beihilfe keine Täterschaft (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10). Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkma- le verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291).
69
Ausgehend von diesen Maßstäben belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Annahme von Mittäterschaft bei dem AngeklagtenL. nicht.
70
Dass er die Gewalttätigkeiten unterstützte, hat das Landgericht insbesondere aus seinem Verhältnis zum Angeklagten K. , seiner maßgeblichen Stellung in der festgestellten kriminellen Vereinigung, seinem Tatbeitrag - namentlich seiner Anwesenheit beim gemeinsamen Ansehen der Übertragung des Fußballspiels und bei Teilen des Marsches der Gruppe -, seinem telefonischen Kontakt zum Angeklagten R. unmittelbar vor Beginn der Gewalttätigkeiten sowie seinem fortbestehenden Kontakt zum Angeklagten K. und weiteren Beteiligten geschlossen. Damit ist aber lediglich eine (psychische) Beihilfe des Angeklagten L. zu den Taten des Angeklagten K. und der von ihm geführten Menschenmenge beschrieben, die darin bestand, dass er öffentlich zu erkennen gab, den bevorstehenden Angriff gutzuheißen. Da der Angeklagte L. keinen Beitrag zu der eigentlichen Tatbestandserfüllung leistete, könnte er als Mittäter allenfalls dann in Betracht kommen, wenn er als Organisator oder Führungskraft die Tat wesentlich mitgestaltet hätte (vgl. S/S- Heine/Weißer aaO, § 25 Rn. 68 mwN). Die Feststellungen belegen jedoch gerade nicht, dass es sich um eine Tat der von dem Angeklagten L. geleiteten kriminellen Vereinigung handelte, sondern lediglich dessen Einwilligung in den Plan des Angeklagten K. im Rahmen des Telefonats vom 23. Juni 2008.
71
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere, zur Annahme von Täterschaft führende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert deshalb den Schuldspruch insoweit in Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB). Die Tat steht zu der Rädelsführerschaft in der kriminellen Vereinigung und der aus der Vereinigung heraus begangenen gefährlichen Körperverletzung vom 31. Oktober 2009 in Tatmehrheit (§ 53 StGB).
72
3. Auch die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 125a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 StGB hat keinen Bestand; diese entfällt.
73
a) Die Voraussetzungen des § 125a StGB liegen nicht vor:
74
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte L. habe hinsichtlich der Tat vom 25. Juni 2008 als Hintermann agiert, was grundsätzlich zur Annahme eines - unbenannten - besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs nach § 125a Abs. 1 Satz 1 StGB führen könnte (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, juris Rn. 7). Voraussetzung wäre indes auch hier, dass der Angeklagte als Rädelsführer oder Hintermann bestimmenden Einfluss auf die Tat hatte (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 34), was durch die Feststellungen - wie aufgezeigt - gerade nicht belegt wird.
75
bb) Die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 11. November 1976 - 3 StR 333/76, BGHSt 27, 56) fest, dass die Regelbeispiele des § 125a Abs. 1 Satz 2 StGB nur eigenhändig verwirklicht werden können (so auch MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 14; SK-StGB/Stein/Rudolphi [Stand: Oktober 2013], § 125a Rn. 6g; NK-StGB-Ostendorf aaO, § 125a Rn. 8; LK/Krauß aaO, § 125a Rn. 2; aA S/SSternberg -Lieben aaO, § 125a Rn. 6; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194 f.). Diese Voraussetzung ist bei dem Angeklagten, der nicht Bestandteil der Menschenmenge war, offensichtlich nicht erfüllt.
76
b) Scheidet eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall aus, so kommt eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil die Tat schon aufgrund der Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB in einer anderen Vorschrift mit höherer Strafe bedroht ist, als der Strafrahmen des § 125 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) vorsieht; die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs tritt deshalb aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 125 Abs. 1 aE StGB zurück.
77
VI. Die Änderung der Schuldsprüche und die teilweise Einstellung des Verfahrens wirken sich zu Gunsten der Angeklagten L. , R. und P. aus. Hinsichtlich des Angeklagten R. ist zudem bei dem beibehaltenen Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu berücksichtigen , dass die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen der Rädelsführerschaft bei diesem Angeklagten nicht vorliegen. Bezüglich dieser drei Angeklagten ist mithin der Strafausspruch aufzuheben und die Strafe neu zu- zumessen. Die insoweit getroffenen Feststellungen können jedoch aufrechterhalten werden, weil sie von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern nicht betroffen sind und sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei erweisen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1827 Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

(2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist.

(3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.

(1a) Zur Deckung des nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarfs eines ambulant versorgten Palliativpatienten darf der Arzt diesem die hierfür erforderlichen, in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel in Form von Fertigarzneimitteln nur dann überlassen, soweit und solange der Bedarf des Patienten durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann; die Höchstüberlassungsmenge darf den Dreitagesbedarf nicht überschreiten. Der Bedarf des Patienten kann durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden, wenn das erforderliche Betäubungsmittel

1.
bei einer dienstbereiten Apotheke innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten nicht vorrätig ist oder nicht rechtzeitig zur Abgabe bereitsteht oder
2.
obwohl es in einer Apotheke nach Nummer 1 vorrätig ist oder rechtzeitig zur Abgabe bereitstünde, von dem Patienten oder den Patienten versorgenden Personen nicht rechtzeitig beschafft werden kann, weil
a)
diese Personen den Patienten vor Ort versorgen müssen oder auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, das Betäubungsmittel zu beschaffen, oder
b)
der Patient auf Grund der Art und des Ausmaßes seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage ist und keine Personen vorhanden sind, die den Patienten versorgen.
Der Arzt muss unter Hinweis darauf, dass eine Situation nach Satz 1 vorliegt, bei einer dienstbereiten Apotheke nach Satz 2 Nummer 1 vor Überlassung anfragen, ob das erforderliche Betäubungsmittel dort vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht. Über das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 und die Anfrage nach Satz 3 muss der Arzt mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Überlassen der Betäubungsmittel an gerechnet, aufbewahren:
1.
den Namen des Patienten sowie den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Behandlung,
2.
den Namen der Apotheke und des kontaktierten Apothekers oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe der Apotheke, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht,
5.
die Angaben über diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 ergibt.
Über die Anfrage eines nach Satz 1 behandelnden Arztes, ob ein bestimmtes Betäubungsmittel vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht, muss der Apotheker oder die zu seiner Vertretung berechtigte Person mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Tag der Anfrage an gerechnet, aufbewahren:
1.
das Datum und die Uhrzeit der Anfrage,
2.
den Namen des Arztes,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe gegenüber dem Arzt, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht.
Im Falle des Überlassens nach Satz 1 hat der Arzt den ambulant versorgten Palliativpatienten oder zu dessen Pflege anwesende Dritte über die ordnungsgemäße Anwendung der überlassenen Betäubungsmittel aufzuklären und eine schriftliche Gebrauchsanweisung mit Angaben zur Einzel- und Tagesgabe auszuhändigen.

(1b) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen

1.
den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,
2.
Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
3.
Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.

(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Diamorphin darf nur vom pharmazeutischen Unternehmer und nur an anerkannte Einrichtungen nach Absatz 3 Satz 2 Nummer 2a gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke dürfen nur die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur zur Anwendung bei einem vom Betreiber der Hausapotheke behandelten Tier abgegeben werden.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verschreiben von den in Anlage III bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibs und des Bestandes bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern, Tierkliniken, Alten- und Pflegeheimen, Hospizen, Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, Einrichtungen der Rettungsdienste, Einrichtungen, in denen eine Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, und auf Kauffahrteischiffen zu regeln, soweit es zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Insbesondere können

1.
das Verschreiben auf bestimmte Zubereitungen, Bestimmungszwecke oder Mengen beschränkt,
2.
das Verschreiben von Substitutionsmitteln für Drogenabhängige von der Erfüllung von Mindestanforderungen an die Qualifikation der verschreibenden Ärzte abhängig gemacht und die Festlegung der Mindestanforderungen den Ärztekammern übertragen,
2a.
das Verschreiben von Diamorphin nur in Einrichtungen, denen eine Erlaubnis von der zuständigen Landesbehörde erteilt wurde, zugelassen,
2b.
die Mindestanforderungen an die Ausstattung der Einrichtungen, in denen die Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, festgelegt,
3.
Meldungen
a)
der verschreibenden Ärzte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über das Verschreiben eines Substitutionsmittels für einen Patienten in anonymisierter Form,
b)
der Ärztekammern an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen und
Mitteilungen
c)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden und an die verschreibenden Ärzte über die Patienten, denen bereits ein anderer Arzt ein Substitutionsmittel verschrieben hat, in anonymisierter Form,
d)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen,
e)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die obersten Landesgesundheitsbehörden über die Anzahl der Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wurde, die Anzahl der Ärzte, die zum Verschreiben eines Substitutionsmittels berechtigt sind, die Anzahl der Ärzte, die ein Substitutionsmittel verschrieben haben, die verschriebenen Substitutionsmittel und die Art der Verschreibung
sowie Art der Anonymisierung, Form und Inhalt der Meldungen und Mitteilungen vorgeschrieben,
4.
Form, Inhalt, Anfertigung, Ausgabe, Aufbewahrung und Rückgabe des zu verwendenden amtlichen Formblattes für die Verschreibung, das Verfahren für die Verschreibung in elektronischer Form sowie Form und Inhalt der Aufzeichnungen über den Verbleib und den Bestand der Betäubungsmittel festgelegt und
5.
Ausnahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c für die Ausrüstung von Kauffahrteischiffen erlassen werden.
Für das Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nach Satz 2 Nummer 2a gelten § 7 Satz 2 Nummer 1 bis 4, § 8 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 3, § 9 Absatz 2 und § 10 entsprechend. Dabei tritt an die Stelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte jeweils die zuständige Landesbehörde, an die Stelle der zuständigen obersten Landesbehörde jeweils das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Empfänger nach Satz 2 Nr. 3 dürfen die übermittelten Daten nicht für einen anderen als den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte handelt bei der Wahrnehmung der ihm durch Rechtsverordnung nach Satz 2 zugewiesenen Aufgaben als vom Bund entliehenes Organ des jeweils zuständigen Landes; Einzelheiten einschließlich der Kostenerstattung an den Bund werden durch Vereinbarung geregelt.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 3 3 / 1 4
vom
22. Januar 2015
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja [nur zu I. und III. 2.]
Veröffentlichung: ja
Zur Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen im Rahmen von verabredeten Schlägereien.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
13. November 2014 in der Sitzung am 22. Januar 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten N. ,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2013,
a) wird das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten R. und P. im Fall III. C der Urteilsgründe wegen Landfriedensbruchs , der Angeklagte P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, verurteilt worden sind; die insoweit angefallenen Kosten des Verfahrens und die diesen Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last;
b) werden die Schuldsprüche des vorgenannten Urteils dahin geändert und neu gefasst, dass der Angeklagte L. der Rädelsführerschaft, die Angeklagten R. und P. je- weils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig sind, - der Angeklagte L. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung; - der Angeklagte P. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung;
c) wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben, soweit es die Angeklagten L. , R. und P. betrifft. Die insoweit getroffenen Feststellungen bleiben jedoch aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten L. , R. und P. sowie die Revisionen der Angeklagten N. und K. werden verworfen, letztere mit der Maßgabe, dass der Angeklagte K. der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. Die Angeklagten K. und N. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden, die Angeklagten L. und P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Landfriedensbruch, die Angeklagten K. und N. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Angeklagten R. in Tateinheit mit Landfriedensbruch. Es hat deswegen gegen den Angeklagten L. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, gegen den Angeklagten R. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, gegen den Angeklagten P. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten sowie gegen den Angeklagten N. eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 20 € verhängt. Gegen ihre Verurteilungen richten sich die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten.
2
Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg der Rechtsmittel der Angeklagten L. , R. und P. . Im Übrigen sind ihre Revisionen - ebenso wie diejenigen der Angeklagten K. und N. - unbegründet.
3
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die Angeklagten gehörten einer Gruppierung an, die sich spätestens Ende 2007 bildete und unter den Namen "Hooligans Elbflorenz", "Ackerbande", "Extremsportgruppe", "Boxclub Dynamo" und "die Dresdner" bekannt war. Intern verwendeten die Mitglieder auch die Bezeichnung "Rasselbande". Den Kern der Gruppierung bildeten ehemalige und aktive Fußballhooligans, also Personen, die aus Anlass von Fußballspielen oder im Zusammenhang mit Fußball Gewalttätigkeiten verüben. Ziel war es, eine Vormachtstellung in der Dresdner Hooliganszene zu erlangen und allgemein als Macht im Raum Dresden zu erscheinen. Das daraus resultierende Bedürfnis nach Abgrenzung von anderen Gruppierungen nahm seit dem Sommer 2009 zu. Es wurde unter anderem die Ausstattung der Gruppenmitglieder mit Nottelefonen zur gegebenenfalls erforderlichen schnellen Mobilisierung beschlossen und die Beschaffung von einheitlichen schwarzen Fleece-Jacken mit den Aufschriften "Eastside Dresden" und "Ackerbande" vorbereitet, deren Erwerb nicht zwingend, aber nur Mitgliedern möglich sein sollte. Schon zuvor waren die Mitglieder der Gruppierung in der Öffentlichkeit in einheitlichen T-Shirts aufgetreten, um ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. Entsprechende gemeinsame Unternehmungen , sogenannte Hoolstreffen, waren teilweise verpflichtend in dem Sinne, dass die Nichtteilnahme zum Ausschluss von zukünftigen Veranstaltungen führen konnte. Seit November 2008 fanden regelmäßig, zweimal bis dreimal im Monat, Zusammenkünfte statt, bei denen gruppenrelevante Themen besprochen wurden.
5
An der Spitze der Gruppierung stand der Angeklagte L. . Er traf im Wesentlichen die Absprachen mit anderen Hooligan-Gruppen zu körperlichen Auseinandersetzungen und entschied regelmäßig über gemeinsame Veranstaltungen. Gegen seinen Willen wurden keine Aktionen unternommen. Insbesondere kam ihm bei der Frage der Aufnahme eines neuen Mitglieds innerhalb des Führungspersonals die wesentliche Entscheidungskompetenz zu, wobei der "Nachwuchs" zum einen aus dem gewaltbereiten Anteil der Ultra-Fans der SG Dynamo Dresden e.V. rekrutiert wurde, zum anderen der Angeklagte L. aber auch bei Boxturnieren nach geeigneten Kämpfern Ausschau hielt. Zum Führungspersonal gehörten darüber hinaus die Angeklagten R. und K. . Ersterer leitete seine Autorität aus der engen Freundschaft zum Angeklagten L. und seiner Eigenschaft als sogenannter Alt-Hool ab - diese Personen genießen wegen ihrer früheren Taten ein hohes Ansehen und werden dementsprechend von jüngeren Hooligans nicht hinterfragt. Beim Angeklagten K. handelte es sich um den Führer des "Jungsturms", der Gruppe der jüngeren Hooligans, die auch unter diesem Namen in der Jugend- und Fußballszene in Dresden auftrat. Er war in den einschlägigen Kreisen aus seiner früheren aktiven Fußballzeit und seiner Tätigkeit als Türsteher bekannt und gefürchtet. Zum "Jungsturm" gehörten unter anderem auch die Angeklagten P. und N. , wobei letzterer erst Anfang des Jahres 2009 zu der Gruppe hinzukam. Beiden, überwiegend jedoch dem Angeklagten P. , kam im Jahr 2009 vermehrt die Aufgabe zu, Aufträge der Angeklagten L. und K. auszuführen, insbesondere Informationen in der Gruppierung durch die Versendung von Kurznachrichten zu streuen. Der Angeklagte P. war auch für die Bestellung der Fleece-Jacken verantwortlich. Eigene Entscheidungsgewalt hatten er und der Angeklagte N. nicht.
6
Die Mitglieder der Gruppe einte ihre Faszination für körperliche Gewalt und eine rechtsextreme Gesinnung, die bei den einzelnen Mitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt war, aber von allen als Grundlage der gemeinsamen Betätigung anerkannt wurde. Man suchte die Nähe und Verknüpfung zu anderen rechtsextremen Personenkreisen, insbesondere zu der verbotenen, jedoch fortgeführten Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Die Begeisterung für Gewalt lebten die Mitglieder durch Überfälle auf gegnerische Personen oder Personengruppen und durch verabredete körperliche Auseinan- dersetzungen mit Hooligan-Gruppen anderer Städte aus, mit denen es auch zu überregional abgesprochenen Freizeitaktivitäten kam. Zur Vorbereitung auf die Kämpfe veranstaltete die Gruppierung zunächst wöchentlich, seit Sommer des Jahres 2009 zweimal wöchentlich Trainingsabende, für die ein fester Raum in Pi. zur Verfügung stand. Auch wenn die Teilnahme am Training, das auch Nichtmitgliedern offenstand, für Mitglieder nicht verpflichtend war, bestand bei wiederholtem Fernbleiben auch insoweit die Gefahr, bei zukünftigen Auseinandersetzungen nicht mehr eingesetzt zu werden.
7
Die abgesprochenen Auseinandersetzungen mit anderen HooliganGruppen fanden entweder anlässlich von Fußballspielen meist in Stadionnähe oder - als sogenannte Drittortauseinandersetzungen - unabhängig von solchen an anderen Orten statt. Für solche Kämpfe existieren ungeschriebene, aber unter den einschlägigen Gruppen allgemein anerkannte und im Einzelfall modifizierte Regeln. So wird die Gruppenstärke vorher verabredet, wobei nur mit Zustimmung des in Unterzahl antretenden Gegners ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht hergestellt werden darf. Im Verlauf eines Kampfes muss jedoch nicht Mann gegen Mann gekämpft werden, insbesondere, wenn einzelne der Gegner bereits ausgefallen sind, können sich auch mehrere Kämpfer gegen einen Gegner wenden. Frauen sind nicht zugelassen. Waffen sind verboten, Schutzbekleidung (Mund-, Tief-, Handschutz), Mützen und Sturmhauben erlaubt. Gekämpft wird in allen Kampfstilen, Schläge und Tritte sind mit Ausnahme des Genitalbereichs gegen alle Körperregionen - auch gegen den Kopf - gestattet, zugleich jedoch nur das Tragen von leichtem Schuhwerk. Wer am Boden liegt und keine Anstalten macht, sich zu erheben, oder wer sonst zu erkennen gibt, dass er nicht wieder in den Kampf eingreifen will, darf nicht mehr angegriffen werden. Allerdings kann es trotzdem dazu kommen, dass solche Personen weiter verletzt werden. Ebenso kann es in dem Kampfgeschehen zu Angriffen von hinten kommen. Die Auseinandersetzung endet, wenn alle Gegner am Boden liegen oder eine Mannschaft abdreht oder sonst die Niederlage anerkennt. Die Kämpfe dauern in der Regel nur wenige Sekunden, höchstens Minuten. Kampfrichter, die bei Regelverstößen und/oder Verletzungen unmittelbar eingreifen, um den Regelverstoß zu sanktionieren bzw. eine Behandlung zu ermöglichen, sind nicht vorgesehen. Teilweise werden die Kämpfe jedoch von nicht mehr selbst aktiven Hooligans beider Gruppen als sogenannte Schiedsrichter beobachtet und Regelverstöße im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Betroffenen erörtert. Bei schweren Verfehlungen kann es dazu kommen, dass der Verursacher nicht mehr zu Kämpfen mitgenommen wird.
8
Unter diesen Bedingungen kam es zu folgenden Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Gruppierung um die Angeklagten:
9
 Am 2. November 2008 kämpften elf gegen elf auf einer asphaltierten Straße ohne weitere Zuschauer.
10
 Jeweils 15 Personen traten am 3. Mai 2009 auf einer Wiese gegeneinander an und wirkten durch Tritte und Schläge aufeinander ein.
11
 Anlässlich eines DFB-Pokal-Spiels verabredete der Angeklagte L. am 1. August 2009 mit seinem Nürnberger Ansprechpartner einen Kampf "zwölf Mann und Fairplay". Hierzu kam es nicht, weil die Polizei ein Aufeinandertreffen beider Gruppen verhinderte.
12
 Am 6. September 2009 schlugen und traten im Vorfeld eines Fußballspiels jeweils 15 bis 20 Personen für etwa 45 Sekunden auf einem geschotterten Feldweg aufeinander ein.
13
 Unter Verschleierung ihrer wahren Herkunft verabredeten die Dresdner mit Dortmunder Hooligans ebenfalls am 6. September 2009 einen Kampf mit jeweils 30 Personen, auszutragen auf einem durch geparkte Lastkraftwagen von Zuschauern abgeschirmten Parkplatz. Als die Dortmunder die Täuschung erkannten, flüchteten 20 von ihnen und es kämpften anschließend zehn Mann auf jeder Seite.
14
 Für den 27. September 2009 verabredete der Angeklagte L. mit Ansprechpartnern aus Moskau eine Auseinandersetzung, die in Tschechien in einem stillgelegten Steinbruch stattfinden sollte. Die Durchführung wurde durch starke Präsenz der tschechischen Polizei unterbunden , die von deutschen Behörden informiert worden war, die aufgrund von Telefonüberwachungsmaßnahmen Kenntnis von der geplanten Aktion hatten.
15
 Am 31. Oktober 2009 - allein dieses Ereignis hat das Landgericht als gefährliche Körperverletzung gewertet - fand mit Frankfurter Hooligans ein sogenanntes U25-Match statt, mithin ein Kampf, an dem nur Personen jünger als 25 Jahre teilnehmen durften. Das Aufeinandertreffen , das auf einer asphaltierten Gemeindestraße stattfand, die nur noch von Anliegern und von landwirtschaftlichem Verkehr genutzt wurde, wurde vom Angeklagten L. verabredet und im Wesentlichen mitorganisiert. Auf Dresdner Seite kämpften überwiegend Mitglieder der Gruppe, unter anderem die Angeklagten K. , P. und N. , dar- über hinaus aber auch Nichtmitglieder, insgesamt 28 Mann. Einer der Kampftrainer der Gruppierung hielt eine kurze Ansprache und forderte die Kämpfer auf, fair zu bleiben. Darauf hätten die Frankfurter Wert gelegt , die ihrerseits auch fair bleiben würden. Der Kampf wurde alsdann durch Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Oberkörper sowie Tritte gegen den Oberkörper geführt, unabhängig davon, ob ein Teilnehmer stand oder zu Boden gegangen war. Bisweilen wirkten auch mehrere auf eine Person ein; Angriffe wurden sowohl von vorn als auch von hinten geführt. Der Kampf, der vom Angeklagten L. als Außenstehendem beobachtet und gefilmt wurde, dauerte eine Minute und 20 Sekunden. H. , ein Teilnehmer auf Frankfurter Seite, ging bereits nach wenigen Sekunden zu Boden und lag in einer gut sichtbaren Blutlache , die der Angeklagte L. später wegwischte. Er erlitt mehrere Brüche im Bereich des Gesichts, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machten. Der Angeklagte R. , der im Vorfeld die Beschaffung eines letztlich nicht benötigten Transportfahrzeugs angeboten hatte, war an diesem Tag nicht dabei.
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 Maximal jeweils acht Personen gingen am 7. November 2009 anlässlich eines Fußballspiels in Jena in einem in der Innenstadt gelegenen Baustellenbereich mit Fäusten und Tritten aufeinander los. Passanten wurden durch das Kampfgeschehen verschreckt.
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Neben diesen vereinbarten Auseinandersetzungen kam es ausweislich der Feststellungen noch zum folgenden Geschehen:
18
Anlässlich des Halbfinalspiels Deutschland gegen die Türkei im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft am 25. Juni 2008 plante der - insoweit bereits mit Urteil vom 9. März 2009 rechtskräftig wegen Landfriedensbruchs verurteilte - Angeklagte K. einen Überfall auf türkische Gastronomieeinrichtungen in der Dresdner Neustadt. Der Angeklagte L. erteilte spätestens am 23. Juni 2008 seine Einwilligung hierzu. Dementsprechend sandte der Angeklagte K. an 77 Personen, darunter den Angeklagten P. und 17 weitere Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten, eine Kurznachricht, mit der er durch den Hinweis auf die gewünschte Kleidung - schwarzer Kapuzenpulli - auf die geplante Gewaltaktion im Anschluss an das Spiel, das gemeinsam in einem bekannten Treffpunkt der Fußballszene angeschaut werden sollte , hinwies und zu einer Beteiligung aufforderte. Nach Spielende gegen 22.30 Uhr brachen etwa 50 bis 60 Personen unter der Führung des Angeklagten K. in die Neustadt auf, um dort mehrere türkische Gaststätten anzugreifen. Dieser Plan war spätestens zu diesem Zeitpunkt den anwesenden Gruppenmitgliedern , darunter die Angeklagten L. , R. und P. , bekannt und wurde durch diese gebilligt. Neben Mitgliedern der Gruppierung nahmen Personen aus der Türsteherszene, möglicherweise auch aus dem Umfeld der Ultra -Fans und der SSS teil. Die Autorität des Angeklagten K. als Anführer wurde dadurch gestärkt, dass ihn die Angeklagten R. und L. begleiteten. Letzterer verließ indes die anderen Beteiligten noch im Bereich der Altstadt , wurde aber kurz vor Beginn des Angriffs hiervon vom Angeklagten R. telefonisch in Kenntnis gesetzt. In der Neustadt angekommen vermummte sich die auf etwa 80 bis 100 Personen angewachsene Gruppe durch tiefsitzende Kapuzen oder Sonnenbrillen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der Angeklagte P. Teil der Menschenmenge; dass er eigenhändig Gewalt gegen Personen oder Sachen anwendete, hat die Strafkammer indes nicht feststellen können. Kurz nach 23.30 Uhr gab der Angeklagte K. das Zeichen zum Angriff. Bis 23.39 Uhr wurden die Scheiben dreier türkischer Gastronomiebetriebe mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen und die Außenbestuh- lung umgeworfen. Es gelang den Angreifern, in das Innere eines DönerRestaurants einzudringen und die Einrichtung zu beschädigen. Insgesamt ent- stand Sachschaden in Höhe von rund 15.000 €. Darüber hinaus wurden mehre- re Gäste geschlagen, einer verlor dadurch einen Eckzahn und musste zwei Tage stationär behandelt werden. Einem Mitarbeiter wurde eine volle Flasche auf den Hinterkopf geschlagen, wodurch er eine blutende Platzwunde erlitt. Dieser Angestellte musste aufgrund des Gesamtgeschehens für ein Jahr psychologische Behandlung in Anspruch nehmen.
19
Nach Durchführung von Durchsuchungs- und Festnahmemaßnahmen am 14. Dezember 2009 waren weitere Aktivitäten der Gruppe nicht mehr zu beobachten.
20
II. Das Landgericht hat das Geschehen am 25. Juni 2008 hinsichtlich der Angeklagten L. , R. und P. jeweils als einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a Satz 2 Nr. 4 StGB, beim Angeklagten L. zusätzlich nach § 125a Satz 1 StGB, gewürdigt. Tateinheitlich hierzu hätten sich die Angeklagten L. und P. der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Den Schlag mit der Flasche hat es den Angeklagten nicht zugerechnet, sondern als Mittäterexzess gewertet.
21
Ebenfalls als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB - auch hinsichtlich des Angeklagten L. - hat die Kammer die Auseinandersetzung vom 31. Oktober 2009 angesehen. Ob verabredete körperliche Auseinandersetzungen trotz der gegebenen Einwilligung als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen seien, müsse im Einzelfall entschieden werden. Wesentliches Kriterium hierfür sei das Maß der Gefährlichkeit der Tätlichkeiten , das seinerseits durch den jeweiligen Untergrund am Ort der Prügelei und die Anzahl der Kämpfer bestimmt werde. Bei einer Auseinandersetzung mit auf beiden Seiten mindestens 15 Personen sei eine Grenze erreicht, die das Geschehen so unübersichtlich mache, dass die Gefährlichkeit ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreiche. In diesen Fällen sei das Regelwerk, insbesondere wegen des Fehlens von Kampfrichtern und der damit einhergehenden Möglichkeit der Kampfunterbrechung zur Behandlung verletzter Personen nicht ausreichend , um schwere Verletzungen in ausreichendem Maße zu vermeiden.
22
Die Angeklagten seien darüber hinaus Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB gewesen. Da verabredete Auseinandersetzungen auch dann von dem auf der Grundlage einer - im rechtsextremen Kontext bestehenden - gemeinsamen Motivation und Zielsetzung gebildeten Gruppenwillen umfasst gewesen seien, wenn sie unter Umständen stattfanden, die zur Annahme von Sittenwidrigkeit der Körperverletzungen führten, seien Zweck und Tätigkeit der Gruppe auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen. Entsprechendes gelte, soweit Auseinandersetzungen gegen den Willen der Gegner gesucht wurden, so auch für die Tat vom 25. Juni 2008. Dieser Zweck sei nicht nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, da er dazu gedient habe, die angestrebte Stellung der Gruppierung als Macht im Raum Dresden zu untermauern; die Machtstellung stehe und falle mit der Bereitschaft , Straftaten zu begehen. Bei den Angeklagten L. , R. und K. liege jeweils ein Fall der Rädelsführerschaft im Sinne des § 129 Abs. 4 StGB vor.
23
III. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
24
Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 mwN). Eine solche Vereinigung wird zur kriminellen, wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit nach dem gemeinsamen festen Willen der Mitglieder auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sind (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.).
25
1. Die Gruppierung um die Angeklagten erfüllte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die personellen, organisatorischen, voluntativen und zeitlichen Kriterien des Vereinigungsbegriffs (vgl. dazu MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 14 ff.):
26
Sie bestand aus mehr als drei Personen und war nicht nur kurzfristig zur Erreichung eines einmaligen Zwecks, vielmehr auf unbestimmte Dauer angelegt.
27
Sie verfügte über im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige Organisationsstrukturen, was sich daran zeigt, dass sie Führungspersonal - jedenfalls den Angeklagten L. sowie ihm nachgeordnet den Angeklagten K. - besaß und eine koordinierte Aufgabenverteilung dergestalt vorsah, dass etwa vornehmlich die Mitglieder des "Jungsturms" aktiv an den gewalttätigen Auseinandersetzungen teilnahmen, wohingegen sich die "Alt-Hools" auf die Organisation beschränken konnten. Eine weitere Aufgabenverteilung ergibt sich aus dem Vorhandensein von Kampftrainern sowie der Beauftragung der Angeklagten P. und N. unter anderem mit dem Streuen von Informationen innerhalb der Vereinigung durch die Versendung von Kurznachrichten und des Angeklagten P. mit der Beschaffung der Vereinigungsmitgliedern vorbehal- tenen Fleece-Jacken (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 18). Weitere Merkmale der Organisationsstruktur waren die festen Trainingstermine an einem bestimmten Ort, die geplante Ausstattung der Vereinigung mit sogenannten Notfallhandys sowie regelmäßige Treffen, auf denen über die Belange der Vereinigung gesprochen und Einzelfragen entschieden wurden. Die Teilnahme an gemeinsamen Veranstaltungen war zudem jedenfalls teilweise verpflichtend und Gruppenregeln bestanden insoweit, als Mitglieder von der weiteren Teilnahme an Aktivitäten der Vereinigung ausgeschlossen werden konnten, wenn sie etwa nicht häufig genug zum Training oder zu anderen verpflichtenden Veranstaltungen erschienen waren.
28
Auch das voluntative Element war gegeben. Insoweit ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen eingebunden sind; nur bei Annahme eines derartigen Gruppenwillens besteht die für die Vereinigung typische und ihre Gefährlichkeit ausmachende, vom Willen des Einzelnen losgelöste Eigendynamik. Es müssen deshalb innerhalb der Vereinigung Entscheidungsstrukturen bestehen, die von allen Mitgliedern als verbindlich anerkannt werden (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 22 mwN). Wie die Willensbildung innerhalb der Vereinigung vollzogen wird, ist hingegen gleichgültig; das Demokratieprinzip kommt gleichermaßen in Betracht wie das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sofern dieses nicht nur die jeweils persönliche Unterordnung des einzelnen Mitglieds unter eine oder mehrere Führungspersönlichkeiten widerspiegelt, sondern auf dem gemeinsamen , unter den Mitgliedern abgestimmten Willen der Gesamtheit beruht (BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 109 und vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 226 f.; Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 28 jew. mwN).
29
Der erforderliche Gruppenwille wird durch die Urteilsgründe belegt. Diese ergeben hinsichtlich der Regeln der Willensbildung, dass der Wille des Angeklagten L. für die Gruppe jedenfalls insoweit maßgeblich war, als dass er letztlich über die Aufnahme neuer Mitglieder ebenso entschied wie - gemeinsam mit dem Angeklagten K. - darüber, welche Mitglieder bei den von ihm verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen. Ebenso bestand Einigkeit, dass keine Aktionen gegen den Willen des Angeklagten L. durchgeführt wurden. Die Unterordnung der Mitglieder unter den so gebildeten Gruppenwillen ergibt sich hier schon aus dem Zusammenwirken über den Tatzeitraum von etwa zwei Jahren, in dem es zu zahlreichen verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen kam. Diese zeichneten sich durch einen hohen Grad an Organisation aus, weil An- und Abreise zu dem Ort der Auseinandersetzung zu koordinieren und dafür teilweise Transportfahrzeuge zu beschaffen waren; nach Beendigung der Kampfhandlungen waren die Mitglieder der Gruppierung - nicht zuletzt zur Meidung von Strafverfolgung - stets darauf bedacht, den Tatort binnen kürzester Zeit zu verlassen. All dies wäre ohne eine Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Gruppenwillen nicht möglich gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, BGHR StGB § 129 Vereinigung 2). Aus dem Umstand, dass die Dortmunder Hooligans in großer Zahl flohen, als sie gewahr wurden, dass ihr Gegner die Gruppierung um die Angeklagten war, folgt weiter, dass die sich auch in dem regelmäßigen Kampftraining widerspiegelnden Bemühungen der Vereinigung, sich als "Macht" zu etablieren, sogar über die Region Dresden hinaus erfolgreich waren. Dass sich die Mitglieder als einheitlicher Verband fühlten, zeigt sich schließlich an ihrem Auftreten in einheitlichen T-Shirts nicht nur anlässlich der Auseinandersetzungen mit anderen Hooligans und an der geplanten Beschaffung von besonderen Jacken, die nur Mitgliedern der Vereinigung vorbehalten waren.
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2. Die Urteilsgründe belegen darüber hinaus die Ausrichtung der Gruppe auf den Zweck der Begehung von Straftaten. Erforderlich ist insoweit, dass die Organisation nach dem fest gefassten Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen. Das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könne (so noch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77, BGHSt 27, 325, 328) genügt nicht (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.), ebenso wenig, dass der Zweck nur von einzelnen Mitgliedern verfolgt, nicht aber auch von den übrigen Mitgliedern getragen wird (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2).
31
a) Insoweit begegnet allerdings die Auffassung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, es komme nicht darauf an, ob die verabredeten Auseinandersetzungen regelmäßig strafbar seien, es reiche vielmehr aus, wenn diese auch unter Umständen ausgetragen werden, die zur Annahme der Sittenwidrigkeit der in ihrem Rahmen begangenen Körperverletzungen führen. Denn auf dieser Grundlage könnte die Annahme einer kriminellen Vereinigung entgegen dem in der Rechtsprechung geforderten Kriterium der zweckgerichteten Begehung von Straftaten auch dann in Betracht kommen, wenn Straftaten nur angelegentlich einer vom Gruppenwillen getragenen Betätigung begangen würden, hier etwa weil eine verabredete körperliche Auseinandersetzung aus zuvor nicht absehbaren Gründen im Einzelfall wegen der Sittenwidrigkeit der Tat nicht aufgrund der Einwilligung aller Beteiligten gerechtfertigt und deshalb strafbar ist.
32
b) Die erforderliche Ausrichtung der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ergibt sich indes aus Folgendem: Die Vereinigung verfolgte den Zweck, gewalttätige Auseinandersetzungen gegen andere Hooligangruppen zu organisieren und durchzuführen. Diese Auseinandersetzungen stellen sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gerade wegen der in der vereinbarten Art der Ausführung der Gewalttätigkeiten liegenden Tatumstände als strafbare Körperverletzungen dar. Dazu im Einzelnen:
33
aa) Zu Recht ist das Landgericht zunächst von der Tatbestandsmäßigkeit der Handlungen nach den §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausgegangen. Selbst wenn man körperliche Auseinandersetzungen wie die vorliegenden, die zum Zwecke des Kräftemessens vereinbart werden, noch als sportliche Betätigung verstehen wollte, folgt daraus nicht, dass sie einem möglichen Strafanspruch schon allein deshalb entzogen wären, weil bei Einhaltung der selbst aufgestellten Regeln das Verhalten nicht als verbotswidrig anzusehen wäre. Überlegungen, regelkonformes Handeln stelle sich als tatbestandslos dar (Dölling, ZStW 1984, 36, 55 ff.; Rössner, Festschrift für Hirsch, 1999, 313, 319 ff.; SK-StGB/Wolters, [Stand: September 2014], § 228 Rn. 21; für eine Lösung über das Institut der Einwilligung: BayObLG, Urteil vom 3. August 1961 - 4 St 36/61, NJW 1961, 2072; NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 228 Rn. 109), finden spätestens dort ihre Grenze, wo die körperliche Misshandlung des Gegners Ziel der Betätigung ist (Dölling aaO, S. 64; Rössner aaO, S. 317; Kubinek, JA 2003, 257, 260; LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 228 Rn. 12).
34
bb) Indes willigten die Beteiligten der Schlägereien nach den Feststellungen des Landgerichts jeweils in die Körperverletzungshandlungen der jeweils anderen Kampfgruppe ein. Jedenfalls soweit die vereinbarten Regeln eingehalten oder lediglich aus Gründen des Übereifers, der Erregung, der techni- schen Unvollkommenheit oder der mangelnden Körperbeherrschung verletzt werden, sollen an der grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung der Kampfteilnehmer keine Zweifel bestehen (hierzu BayObLG aaO, S. 2073 für den Fall eines Fußballspiels). Gezielte Regelverstöße hat die Strafkammer in keinem Fall zu erkennen vermocht, wenn auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung insbesondere zu der Schlägerei am 31. Oktober 2009 zahlreiche Verstöße gegen die angeblich verbindlichen Regeln ergeben haben, was angesichts der einleitenden Hinweise des "Trainers" der Vereinigung auf die Regeln der Fairness widersprüchlich erscheint.
35
cc) Selbst wenn in solchen Regelübertretungen lediglich Exzesse der Einzelnen zu sehen wären, was einer grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung des jeweils anderen Teils insoweit nicht entgegen stünde, erweisen sich die festgestellten Körperverletzungshandlungen bei den verabredeten Schlägereien in der durchgeführten Art und Weise durch Mitglieder der Vereinigung als rechtswidrig, weil es sich dabei trotz der Einwilligung um sittenwidrige Taten im Sinne von § 228 StGB handelte. Hierzu gilt:
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(1) Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht immer einheitlich beurteilt worden. Anfangs spielten, insoweit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. RG, Urteil vom 23. Februar 1940 - 1 D 39/40, RGSt 74, 91, 93 f.), "vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle" (BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Daneben wurde aber stets auch die Schwere der Verletzungen in den Blick genommen (BGH aaO), wobei zum Teil ohne weitere Auseinandersetzung mit dem verfolgten - offensichtlich verwerflichen - Zweck eine Sittenwidrigkeit unter bloßem Hinweis auf die Geringfügigkeit der Verletzung verneint wurde (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87). Das Abstellen auf das Gewicht des Körperverletzungserfolgs wurde alsdann ausdrücklich als vorrangig betont, ohne jedoch - worauf es in den zu entscheidenden Fällen auch nicht ankam - die Herleitung der Sittenwidrigkeit aus der Zweckrichtung der Tatbegehung ausdrücklich auszuschließen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Ob diese Maßgeblichkeit des Taterfolgs aus den allgemein gültigen moralischen Maßstäben herzuleiten sei, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden könnten und die allgemeinkundig seien (so BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 40 f.; zustimmend: Kühl, Festschrift Schroeder, 2006, 521, 532), oder ob durch das Abstellen auf den Schweregrad des Rechtsgutsangriffs der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werde (so BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169 ff.; zustimmend: Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 197 f.), ist dabei unterschiedlich beurteilt worden.
37
Der von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefundene Lösungsansatz , der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abstellt , entspricht der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. die Nachweise bei Hardtung, Jura 2005, 401, 404; aA Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, 136 ff.; NK-StGB-Paeffgen aaO, Rn. 44 ff., die § 228 StGB wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig halten; dagegen MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 29; s. auch BeckOKStGB/Eschelbach [Stand: 1. Juli 2014], § 228 Rn. 22 mwN). Bei auch insoweit teilweise unterschiedlichen Begründungsansätzen - etwa Bestimmung eines Daseins-Minimums, das allen Menschen ge- meinsam ist und dessen Schmälerung deshalb selbst bei Zustimmung des Betroffenen von der Rechtsgemeinschaft nicht hingenommen werden darf (so Duttge, Gedächtnisschrift Ellen Schlüchter, 2002, 775, 784, 786, 791) oder Vornahme einer Nachteils-Vorteils-Abwägung (so MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 18 ff.) - besteht Einigkeit, dass wegen des Erfordernisses der Sittenwidrigkeit der Tat und nicht der Einwilligung das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB maßgeblicher Anknüpfungspunkt (Hirsch aaO, S. 193) und dass wegen des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens der Sittenverstoß eindeutig sein müsse (vgl. LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 2; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41), was nur bei einer Rechtsgutsverletzung von einigem Gewicht der Fall sein könne. Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versagung der rechtfertigenden Kraft einer Einwilligung nicht einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Verletzten bezwecke - die Selbstverletzung unterfällt bereits nicht dem Tatbestand der §§ 223 ff. StGB -, sondern eine Begrenzung der Handlungsfreiheit des Verletzenden (Hirsch, ZStW 1971, 140, 167; zu diesem Tabuisierungsgedanken auch MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 23; Duttge aaO).
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Eine solch gewichtige Betroffenheit des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit hat die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann angenommen, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Es ist eine Beurteilung der Tat aus einer ex-ante-Sicht vorzunehmen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.; Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 146; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 228 Rn. 4; Jäger, JA 2013, 634, 636); maßgeblich ist mithin das Gewicht der durch die Tathandlung geschaffenen Verletzungsgefahr (MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.). Dass nicht nur auf das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Verletzung abgestellt werden kann, folgt im Übrigen bereits daraus, dass § 228 StGB angesichts seiner systematischen Stellung auch §§ 223, 224 StGB in Bezug nimmt, es mithin Fälle geben muss, die trotz minder schwerer Verletzung das Verdikt der Sittenwidrigkeit nach sich ziehen (MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 24).
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Zuletzt hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs - an dem Kriterium der Maßgeblichkeit der Rechtsgutsverletzung festhaltend - ausgeführt, bei der Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung, in die eingewilligt werde, müsse bei Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen auch die solchen Tätlichkeiten aufgrund der stattfindenden gruppendynamischen Prozesse typischerweise innewohnende Eskalationsgefahr berücksichtigt werden. Vom Vorliegen dieser Eskalationsgefahr sei bei verabredeten Schlägereien immer dann auszugehen, wenn es an diese Gefahr eingrenzenden Regeln oder an der effektiven Durchsetzbarkeit etwaiger Absprachen fehle. In diesen Fällen würden die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 143 ff.; daran anschließend OLG München , Urteil vom 26. September 2013 - 4 StRR 150/13, NStZ 2014, 706, 708 f.; zustimmend Jäger, JA 2013, 634; Pichler, StRR 2013, 220; ablehnend: van der Meden, HRRS 2013, 158; Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429; Gaede, ZIS 2014, 489).
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(2) An der Rechtsprechung, nach der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen ist, hält der Senat fest. Sie ist wie folgt zu präzisieren:
41
(a) Das Merkmal der guten Sitten in § 228 StGB ist für sich genommen konturenlos. Angesichts der Wandelbarkeit moralischer Wertungen kommen als Anknüpfungspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils die Vorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder gar des zur Entscheidung berufenen Gerichts nicht in Betracht (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41 mwN; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169; von der Meden, HRRS 2013, 158, 159); auch die Ermittlung von allgemein gültigen moralischen Maßstäben erweist sich in einer pluralistischen Gesellschaft als nicht unproblematisch (vgl. dazu etwa Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954; anders noch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41).
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Der mithin zu konstatierenden Unbestimmtheit des Begriffs der guten Sitten ist dadurch zu begegnen, dass er in § 228 StGB strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte bezogen und auf seinen Kerngehalt reduziert wird. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann, wie dies etwa in Fällen des ärztlichen Heileingriffs angenommen wird (vgl. Otto, Festschrift Tröndle, 1989, 157, 168; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 26; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 9; Jäger, JA 2013, 634, 637) oder auch bei Kampfsportarten der Fall ist, die direkt auf die körperliche Misshandlung des Gegners ausgelegt sind und bei denen die ausgetragenen Kämpfe zu schwersten Verletzungen oder Gesundheitsschädigungen , ja selbst zum Tod der Kontrahenten führen können (vgl. etwa Dölling, ZStW 1984, 36, 64, der auf das rechtlich anerkannte gesellschaftliche Interesse an der Ausübung solcher Sportarten abstellt; im Ergebnis auch Jäger aaO). Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit - über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung - zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie hingegen nicht herangezogen werden. Insoweit sind aber Wertungen, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954 f.).
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(b) Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als die Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat in den Fällen, in denen bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wurde, in erster Linie aus der gesetzgeberischen Wertung des § 216 StGB folgt: Aus dem Umstand, dass eine Tötung, in die das Opfer nicht nur eingewilligt, sondern die sie ernsthaft verlangt hat, gleichwohl strafbar ist, lässt sich entnehmen, dass das Opfer in die eigene Tötung durch einen Dritten nicht wirksam einwilligen kann. Dieser Wertung hat die Rechtsprechung mit Blick auf § 228 StGB entnommen, dass im Allgemeininteresse die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, Einschränkungen unterliegt. Der Schutz der Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben gegen Beeinträchtigungen durch Dritte wird deshalb nicht schlechthin, sondern nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des Einzelnen gestellt (BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173 f.). Dieser Rahmen wird verlassen, wenn der in die Körperverletzung Einwilligende durch die Tat in konkrete Todesgefahr gebracht wird (s. dazu auch Gaede, ZIS 2014, 489, 493 f.).
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(c) Eine gesetzgeberische Wertung lässt sich aber nicht nur § 216 StGB mit Blick auf die drohende Todesfolge entnehmen, sondern für die Art und Weise der Begehung der Körperverletzungshandlungen auch der Regelung des § 231 StGB (Jäger, JA 2013, 634, 636): Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Strafgesetzes, der sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt. Er wird zwar nur dann bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung im Sinne von § 226 StGB verursacht worden ist. Bei diesen Folgen handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung aber nur um objektive Bedingungen der Strafbarkeit (BGH, Urteile vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 21 mwN; S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 231 Rn. 5; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 231 Rn. 5; BeckOKEschelbach aaO, § 231 Rn. 2; Engländer, NStZ 2014, 214; Satzger, Jura 2006, 108, 109; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1; kritisch auch NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 231 Rn. 20). In dieser Konstruktion des Straftatbestandes kommt zum Ausdruck, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff mehrerer besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges Unrecht darstellt (BT-Drucks. IV/650, S. 291; BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; vgl. auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Die objektive Strafbarkeitsbedingung wirkt dabei nicht strafbarkeitsbegründend oder -verschärfend, sondern schränkt lediglich den Bereich des zu Bestrafenden aus kriminalpolitischen Gründen ein (BT-Drucks. IV/650, S. 268, 291; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO § 231 Rn. 1; aA offenbar MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 3: strafbarkeitsbegründend; ebenso LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1, der freilich bereits das Vorliegen einer objektiven Strafbarkeitsbedingung in Abrede stellt). Dass bereits die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff mehrerer bestraft wird, hat seinen Grund im Übrigen in Beweisschwierigkeiten , die bei körperlichen Auseinandersetzungen mehrerer erfahrungsgemäß auftreten, wenn es darum geht, eine bestimmte schwere Folge einem oder mehreren der Beteiligten einwandfrei zuzuordnen; es sollen Strafbarkeitslücken vermieden werden, die dadurch auftreten können, dass eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts wegen der genannten Beweisschwierigkeiten ausscheiden muss (BGH, Urteile vom 21. Februar 1961 - 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370; vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; BT-Drucks. IV/650, S. 290; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 2 mwN). Kann der erforderliche Nachweis indes geführt werden, ist eine tateinheitliche Verurteilung wegen eines Tötungs- oder Körperverletzungdelikts und der Beteiligung an einer Schlägerei möglich (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 22; S/SStree /Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 13 mwN; aA NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 22, dagegen überzeugend LK/Hirsch aaO).
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(d) Die sich an den verabredeten körperlichen Auseinandersetzungen beteiligenden Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten sowie die Teilnehmer auf der gegnerischen Seite erfüllten jeweils rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB, weil sie sich damit an einer Schlägerei, also an einer mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung beteiligten, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirkten (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, BGHR StGB § 231 Schlägerei 2). Dies führt - jedenfalls in den vorliegenden Fällen, in denen die an den Schlägereien Beteiligten aus der gebotenen ex-ante-Perspektive dadurch zumindest in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wurden - nach den oben genannten Grundsätzen zur Unbeachtlichkeit der (konkludent) erteilten Einwilligungen in die mit den Auseinandersetzungen verbundenen Körperverletzungshandlungen. Insoweit gilt:
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(aa) Der Tatbestand des § 231 StGB bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt (BGH, Urteile vom 5. Februar 1960 - 4 StR 557/59, BGHSt 14, 132, 134 f. mwN; vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 103; vom 24. August 1993, 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 7; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl aaO, § 231 Rn. 1; Fischer aaO, § 231 Rn. 2; BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 1; Jäger, JA 2013, 634, 636; differenzierend NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 2; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1) nicht nur den Schutz des Lebens und der Gesundheit des durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten oder Getöteten, sondern auch Leben und Gesundheit all der - auch unbeteiligten - Personen, die durch die Schlägerei oder den Angriff gefährdet werden. Da letztgenannter Gesichtspunkt ein Gemeininteresse darstellt, entfaltet die Einwilligung eines oder aller an der Schlägerei Beteiligten im Rahmen des § 231 StGB keine rechtfertigende Wirkung (LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 18; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 18; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231 Rn. 10; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 433 mwN; so im Ergebnis auch BeckOKStGB/Eschelbach aaO, § 231 Rn. 16; NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 13, die insoweit allerdings auf die fehlende Disponibilität der Rechtsgüter Leben und Schutz der Gesundheit vor schweren Verletzungen abstellen).
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(bb) Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten - wie hier etwa nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - einerseits und Beteiligung an einer Schlägerei andererseits dahingehend aus, dass die - rechtswidrige und schuldhafte - Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt (wie hier Jäger aaO). Denn in diesem Gesetzesverstoß , mit dem die Beteiligten an der Schlägerei strafwürdiges Unrecht verwirklicht haben (so auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956), liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB, die das Sittenwidrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der sich aus § 231 StGB ergebenden gesteigerten Gefahr für Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen eine Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll, entgegengewirkt werden könnte (so auch Jäger aaO). Die Annahme von Straflosigkeit infolge der Einwilligung in etwaige Körperverletzungen würde darüber hinaus in der gegebenen Konstellation zu unauflösbaren Widersprüchen führen, weil ein und dasselbe Täterverhalten einerseits ausdrücklich verboten, andererseits aber infolge der erteilten Einwilligung erlaubt wäre (so auch SternbergLieben , JZ 2013, 953, 956).
48
Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB ist zudem nicht nur in den Fällen gegeben, in denen die schwere Folge tatsächlich eingetreten ist; denn ein tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Verstoß liegt unabhängig davon vor, weil es sich bei den genannten Folgen ausschließlich um objektive Bedingungen der Strafbarkeit handelt (Jäger aaO; aA Sternberg-Lieben aaO; Gaede, ZIS 2014, 489, 499). Ein Abstellen auf die Tatfolgen würde bereits im Widerspruch dazu stehen, dass die Wirksamkeit der Einwilligung - wie dargelegt - aus einer exante -Perspektive zu beurteilen ist, die Frage, ob eine der genannten schweren Folgen eingetreten ist, hingegen erst ex-post beantwortet werden kann. Das Erfordernis des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert würde (so aber Sternberg-Lieben aaO; von der Meden, HRRS 2013, 158, 163): Diese Begrenzung bezieht sich allein auf die Vorschrift des § 231 StGB und ist wegen der durch die erfahrungsgemäß auftretenden Nachweisprobleme bedingten Weite dieses Tatbestandes, der unabhängig von der konkreten Feststellung einer Verletzungshandlung jede Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff ausreichen lässt, nicht zuletzt mit Blick auf das Schuldprinzip geboten; kann indes - wie hier - Einzelnen ein konkreter Tatvorwurf auch wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen gemacht werden, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht.
49
(cc) Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat kann nicht entgegengehalten werden, es bleibe für § 231 StGB kein eigenständiger Anwendungsbereich (so aber van der Meden aaO, S. 162): Nur aufgrund dieser Vorschrift können auch Beteiligte der Schlägerei aus dem Lager des Getöteten bzw. im Sinne des § 226 StGB Verletzten erfasst werden. Denn anders als für eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB kommt es bei § 231 StGB nicht auf die Zurechnung einzelner Handlungen an (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104). Vorliegend lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe indes entnehmen, dass die Mitglieder der Vereinigung sich selbst durch Schlagen und Treten ihrer jeweiligen Gegner aktiv an Körperverletzungshandlungen beteiligten und dadurch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllten.
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(dd) Es kann offen bleiben, ob die durch die Erfüllung desTatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen stets und unabhängig von der konkret eingetretenen Gefahr zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führt - etwa auch dann, wenn bei vorausschauender Betrachtung lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind. Jedenfalls wenn - wie hier - der Verletzte durch die Tat voraussichtlich in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird - was nach einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur schon für sich genommen die Sittenwidrigkeit begründen soll (vgl. MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 30 mwN; Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 198, 202: Gefahr einer schweren Leibesschädigung; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 1997 - 2 Ss 147/97-49/97 II, MDR 1997, 933, 934 für Fälle des sogenannten Auto-Surfens; BayObLG, Beschluss vom 7. September 1998 - 5 St RR 153/98, NJW 1999, 372, 373: Gefahr schwerster Schädigung durch Kopfverletzungen infolge von Schlägen und Tritten gegen den Kopf) - führt der genannte Verstoß gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.
51
Die in den vorliegenden Fällen der vereinbarten Schlägereien mit anderen Hooligangruppen konsentierten Körperverletzungshandlungen begründeten bei der gebotenen objektiven Beurteilung aus einer ex-ante-Perspektive jedenfalls die konkrete Gefahr solcher schweren Gesundheitsbeschädigungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
52
Bereits nach den stillschweigend akzeptierten Regeln waren Tritte mit dem beschuhten Fuß (mit Sportschuhen) und Schläge gegen den Kopf des Gegners zulässig. Die Regeln erlaubten zudem, dass sich mehrere Kämpfer der einen Gruppe gegen einen der anderen wandten, insbesondere wenn die zu Beginn einer Auseinandersetzung bestehende zahlenmäßige Ausgeglichenheit wegen des Ausscheidens einzelner Kämpfer nicht mehr bestand. Im Kampfgeschehen kam es auch zu Angriffen von hinten, derer sich das Opfer nicht versah. Die Regel, nach der auf am Boden liegende Personen nicht mehr eingewirkt werden durfte, konnte zudem offenbar dahin ausgelegt werden, dass ein Eintreten auf bloß kniende Personen weiterhin zulässig war, solange diese nicht kampfunfähig waren. All dies geschah - wie der Vorfall vom 31. Oktober 2009 zeigt - in Kämpfen, die unter ausdrücklicher Berufung auf das Regelwerk ("Fair bleiben. […] Die bleiben auch fair.") geführt wurden. Selbst wenn in dem Einwirken auf zu Boden gegangene Personen ein Regelverstoß zu erblicken ist, kam es zu solchen Verstößen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht nur in Einzelfällen, sondern immer wieder; auch der Angeklagte L. wies in seiner Einlassung darauf hin, dass es schon wegen der Masse der Kämpfer nicht ausbleibe, dass auch kampfunfähige und am Boden liegende Personen trotzdem etwas abbekämen. Die aufgezeigten Handlungen begründen schon nach allgemeiner Lebenserfahrung ein erhebliches Verletzungspotential; die Strafkammer hat darüber hinaus durch Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass bei Schlägen (und Tritten) gegen den Kopf Einblutungen, Knochenbrüche, Nasen- und Kieferfrakturen sowie Platzwunden entstehen können. Tritte gegen am Boden liegende Personen können zudem zu Halswirbelsäulentraumata führen. Bei Tritten und Schlägen gegen den Oberkörper besteht die Gefahr von Rippenbrüchen, Herzprellungen und Herzstillstand.
53
Der Annahme der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung steht nicht entgegen, dass die Strafkammer schwerwiegende Verletzungen der Kampfteilnehmer - außer im Fall vom 31. Oktober 2009 - nicht hat feststellen können, denn es kommt - wie dargelegt - auf eine objektive Be- trachtung aus einer ex-ante-Perspektive an. Zudem steht diese Feststellung auch im Widerspruch dazu, dass sich ein Mitglied der Vereinigung bei einem sogenannten Testmatch im Februar 2008 einen Kieferbruch zuzog.
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(ee) Für das Abstellen auf gesetzliche Wertungen, die auch die Art und Weise der Körperverletzungshandlung betreffen, spricht weiter, dass so die insbesondere von der Revisionsbegründung des Angeklagten R. aufgezeigten Wertungswidersprüche nicht auftreten, die entstehen könnten, wenn allein mit Blick auf die Schwere des potentiellen Körperverletzungserfolgs die körperlichen Auseinandersetzungen von Hooligans oder anderen rivalisierenden Gruppierungen wegen der Sittenwidrigkeit der Tat als strafbare Körperverletzungen verfolgt würden, andererseits aber die in Box-, Kickbox- oder gar sogenannten Freefight-Kämpfen wechselseitig zugefügten, teilweise erheblichen Körperverletzungshandlungen in aller Regel straflos blieben: Unabhängig von der Frage, ob die Verletzungsgefahren in diesen Fällen wegen des Vorhandenseins überprüf- und durchsetzbarer Regeln sowie der Anwesenheit von Schiedsrichtern und Ringärzten tatsächlich deutlich geringer sind, und davon, ob tatsächlich ein rechtlich anzuerkennendes gesellschaftliches Interesse an der Ausübung solcher Wettkämpfe besteht, das gegebenenfalls die Hinnahme des Risikos erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahren durch die Rechtsordnung begründen könnte (so Dölling, ZStW 1984, 36, 64; im Ergebnis auch Jäger, JA 2013, 634, 637), ist die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche Auseinandersetzungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.
55
(ff) Der aufgezeigten Lösung - dem Abstellen auf die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB - kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass dadurch anderen Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit in einer vom Normzweck nicht erfassten Weise ein mittelbarer strafrechtlicher Schutz gewährt werden würde: Bei den von § 231 StGB und den von den Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsgütern handelt es sich nicht um unterschiedliche , sondern um die gleichen, die - wie dargelegt - einerseits als Gemeininteresse , anderseits aber sowohl von den §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB als auch von § 231 StGB als Individualinteressen geschützt werden (gegen die Annahme einer unzulässigen "Rechtsgutsvertauschung" insoweit auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956).
56
Soweit dem Urteil des Senats vom 11. Dezember 2003 (3 StR 120/03, BGHSt 49, 34) entnommen werden könnte, dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Tat ohne Bedeutung sei, wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden , die dem Schutz von Universalrechtsgütern - im konkreten Fall des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b) BtMG der Volksgesundheit - dienen, zugleich aber auch den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirken (BGH aaO, S. 43), hält er daran nicht fest.
57
dd) Da die Gruppierung um die Angeklagten auf die Austragung der dargestellten körperlichen Auseinandersetzungen ausgerichtet war und sich diese - wie dargelegt - aufgrund der Unwirksamkeit der Einwilligung in die damit einhergehenden Körperverletzungshandlungen als Straftaten erweisen, war die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet.
58
Die von der Vereinigung bezweckten verabredeten Schlägereien bzw. die damit verbundenen - regelmäßig gefährlichen - Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellten auch eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und damit Straftaten von einigem Gewicht dar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47). Dies folgt schon aus der erheblichen Rechtsgutsgefährdung, die durch jede der Schlägereien ausgelöst wurde. Entgegen dem Revisionsvorbringen wurden als Austragungsort auch nicht stets entlegene "Drittorte" gewählt; die Feststellungen belegen auch Auseinandersetzungen im unmittelbaren Umfeld von Fußballstadien und im Innenstadtbereich.
59
3. War nach alledem vom Vorliegen einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die organisierten körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen (Hooligan-)Gruppierungen auszugehen, belegen die Feststellungen eine Stellung der Angeklagten L. und K. als Rädelsführer der Organisation; dies war auch im Schuldspruch des Urteils zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668, 1669). Der Senat hat ihn entsprechend für beide Angeklagte neu gefasst. Bezüglich des Angeklagten R. ist der erforderliche bestimmende Einfluss auf die Vereinigung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160) hingegen nicht belegt. Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, dass er aufgrund seiner Freundschaft zu dem Angeklagten L. und seiner früheren Leistungen ein hohes Ansehen genossen habe. Eine führende Tätigkeit als Drahtzieher oder mit bestimmendem Einfluss ist den Feststellungen hingegen nicht zu entnehmen. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung insoweit weitere Feststellungen getroffen werden könnten; es hatte mithin bei dem Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu verbleiben.
60
IV. Die Verurteilung der Angeklagten L. , K. , P. und N. wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufgrund des Geschehens vom 31. Oktober 2009 hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
61
Nach den oben dargelegten Maßstäben ist die Sittenwidrigkeit der Tat belegt, so dass die von der Strafkammer festgestellte Einwilligung der Teilnehmer keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte. Zwar hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht, dass die massiven Verletzungen des Geschädigten durch eine von den Angeklagten K. , P. oder N. eigenhändig verübte bzw. auch nur durch gezielte Körperverletzungshandlungen anderer auf Seiten der Angeklagten an der Schlägerei Beteiligten verursacht worden sind. Indes reichen für den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung die Feststellungen aus, nach denen die Angeklagten K. , P. und N. selbst auf Kämpfer aus der gegnerischen Gruppe eintraten und einschlugen und diese dadurch - mit anderen gemeinschaftlich - körperlich misshandelten. Der Tatbeitrag des Angeklagten L. bestand in der Organisation des Kampfes , den er mit dem Verantwortlichen der anderen Gruppe vereinbart hatte. Er hatte damit Tatherrschaft und - als Führer der Gruppierung - ein erhebliches eigenes Tatinteresse, so dass seine Beteiligung in diesem Fall als Mittäterschaft zu werten ist, obwohl er sich selbst an den eigentlichen Gewalttätigkeiten nicht beteiligte.
62
V. Die Verurteilung der Angeklagten L. , R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 erweist sich indes als rechtsfehlerhaft und kann deshalb keinen Bestand haben.
63
Dieses Geschehen stellt sich nicht als eine Tat dar, die vom Zweck der kriminellen Vereinigung gedeckt gewesen wäre. Der Angriff auf Gastronomiebetriebe , die von Ausländern oder Bürgern ausländischer Herkunft betrieben wurden, erweist sich als singuläres Vorkommnis, das mit den vom Vereinigungszweck getragenen - auch einverständlichen - körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen gleichgesinnten Gruppierungen in keinem Zusammenhang steht. Auch die getroffenen Feststellungen dazu, dass der Angeklagte K. - nicht aber der ansonsten stets maßgeblich in die Organisation von Vereinigungstaten involvierte Angeklagte L. - zur Mitwirkung an dem Überfall aufrief und dazu zwar auch einen Teil der Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Vereinigung, überwiegend aber andere Personen per SMS kontaktierte , sprechen dagegen, dass es sich bei dem Geschehen vom 25. Juni 2008 um eine Tat handelte, die sich für die mitwirkenden Mitglieder der Gruppierung als ein Beteiligungsakt an der Vereinigung darstellte.
64
1. Hinsichtlich der Angeklagten R. und P. fehlt es damit hinsichtlich dieser Tat an der Prozessvoraussetzung der Anklageerhebung sowie eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dresden vom 30. Mai 2011 verhält sich bezüglich des Geschehens vom 25. Juni 2008 neben der Schilderung des Verhaltens des hierfür bereits abgeurteilten Angeklagten K. allein zur Beteiligung des Angeklagten L. . Eine Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
65
Da es sich - wie dargelegt - bei den Aktivitäten der AngeklagtenR. und P. im Zusammenhang mit dem Angriff auf Gaststätten in der Dresdener Neustadt nicht um mitgliedschaftliche Betätigungsakte im Rahmen der kriminellen Vereinigung handelte, konnte sich der Anklagevorwurf auch nicht un- ter dem Aspekt auf ihre Mitwirkung an diesem Geschehen beziehen, dass ihre Tathandlungen im Sinne des § 125 StGB tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) auch den Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB verwirklichten und aus diesem Grund dem Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO unterfallen könnten (s. dazu nur BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447; vom 5. Januar 1989 - StB 45/88, BGHR StGB § 129a, Konkurrenzen 1). Schon deswegen bedürfen die sich zu diesem Problemkreis grundsätzlich stellenden weiteren Fragen (vgl. dazu nur KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 8 mwN) keiner weiteren Erörterung.
66
Die von der Strafkammer nach § 265 Abs. 1 StPO erteilten Hinweise waren somit nicht ausreichend, es bedurfte vielmehr zur Aburteilung der Angeklagten R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 der Erhebung einer Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 1 StPO. Diese fehlt. Das Verfahren ist deshalb insoweit nach § 354 Abs. 1, § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
67
2. Die Annahme der mittäterschaftlichen Begehung einer gefährlichen Körperverletzung durch den Angeklagten L. hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
68
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme richtet sich auch im Bereich des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - sowohl hinsichtlich der an den Körperverletzungshandlungen unmittelbar Beteiligten, als auch der Außenstehenden und Abwesenden - nach den allgemeinen Regeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 16. Mai 2012 - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270). Insbesondere macht Gemeinschaftlichkeit im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aus einer Beihilfe keine Täterschaft (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10). Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkma- le verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291).
69
Ausgehend von diesen Maßstäben belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Annahme von Mittäterschaft bei dem AngeklagtenL. nicht.
70
Dass er die Gewalttätigkeiten unterstützte, hat das Landgericht insbesondere aus seinem Verhältnis zum Angeklagten K. , seiner maßgeblichen Stellung in der festgestellten kriminellen Vereinigung, seinem Tatbeitrag - namentlich seiner Anwesenheit beim gemeinsamen Ansehen der Übertragung des Fußballspiels und bei Teilen des Marsches der Gruppe -, seinem telefonischen Kontakt zum Angeklagten R. unmittelbar vor Beginn der Gewalttätigkeiten sowie seinem fortbestehenden Kontakt zum Angeklagten K. und weiteren Beteiligten geschlossen. Damit ist aber lediglich eine (psychische) Beihilfe des Angeklagten L. zu den Taten des Angeklagten K. und der von ihm geführten Menschenmenge beschrieben, die darin bestand, dass er öffentlich zu erkennen gab, den bevorstehenden Angriff gutzuheißen. Da der Angeklagte L. keinen Beitrag zu der eigentlichen Tatbestandserfüllung leistete, könnte er als Mittäter allenfalls dann in Betracht kommen, wenn er als Organisator oder Führungskraft die Tat wesentlich mitgestaltet hätte (vgl. S/S- Heine/Weißer aaO, § 25 Rn. 68 mwN). Die Feststellungen belegen jedoch gerade nicht, dass es sich um eine Tat der von dem Angeklagten L. geleiteten kriminellen Vereinigung handelte, sondern lediglich dessen Einwilligung in den Plan des Angeklagten K. im Rahmen des Telefonats vom 23. Juni 2008.
71
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere, zur Annahme von Täterschaft führende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert deshalb den Schuldspruch insoweit in Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB). Die Tat steht zu der Rädelsführerschaft in der kriminellen Vereinigung und der aus der Vereinigung heraus begangenen gefährlichen Körperverletzung vom 31. Oktober 2009 in Tatmehrheit (§ 53 StGB).
72
3. Auch die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 125a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 StGB hat keinen Bestand; diese entfällt.
73
a) Die Voraussetzungen des § 125a StGB liegen nicht vor:
74
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte L. habe hinsichtlich der Tat vom 25. Juni 2008 als Hintermann agiert, was grundsätzlich zur Annahme eines - unbenannten - besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs nach § 125a Abs. 1 Satz 1 StGB führen könnte (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, juris Rn. 7). Voraussetzung wäre indes auch hier, dass der Angeklagte als Rädelsführer oder Hintermann bestimmenden Einfluss auf die Tat hatte (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 34), was durch die Feststellungen - wie aufgezeigt - gerade nicht belegt wird.
75
bb) Die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 11. November 1976 - 3 StR 333/76, BGHSt 27, 56) fest, dass die Regelbeispiele des § 125a Abs. 1 Satz 2 StGB nur eigenhändig verwirklicht werden können (so auch MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 14; SK-StGB/Stein/Rudolphi [Stand: Oktober 2013], § 125a Rn. 6g; NK-StGB-Ostendorf aaO, § 125a Rn. 8; LK/Krauß aaO, § 125a Rn. 2; aA S/SSternberg -Lieben aaO, § 125a Rn. 6; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194 f.). Diese Voraussetzung ist bei dem Angeklagten, der nicht Bestandteil der Menschenmenge war, offensichtlich nicht erfüllt.
76
b) Scheidet eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall aus, so kommt eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil die Tat schon aufgrund der Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB in einer anderen Vorschrift mit höherer Strafe bedroht ist, als der Strafrahmen des § 125 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) vorsieht; die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs tritt deshalb aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 125 Abs. 1 aE StGB zurück.
77
VI. Die Änderung der Schuldsprüche und die teilweise Einstellung des Verfahrens wirken sich zu Gunsten der Angeklagten L. , R. und P. aus. Hinsichtlich des Angeklagten R. ist zudem bei dem beibehaltenen Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu berücksichtigen , dass die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen der Rädelsführerschaft bei diesem Angeklagten nicht vorliegen. Bezüglich dieser drei Angeklagten ist mithin der Strafausspruch aufzuheben und die Strafe neu zu- zumessen. Die insoweit getroffenen Feststellungen können jedoch aufrechterhalten werden, weil sie von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern nicht betroffen sind und sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei erweisen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 11. März 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).

Verfahrenswert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in den Abbruch der künstlichen Ernährung einer einwilligungsunfähigen Betroffenen.

2

Die 1963 geborene Betroffene erlitt am 18. September 2009 eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas. Sie wird über eine PEG-Magensonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich.

3

Mit Beschluss vom 22. September 2009 bestellte das Amtsgericht den Ehemann und die Tochter der Betroffenen, die Beteiligten zu 2 und 3 (im Folgenden: Betreuer) im Wege der einstweiligen Anordnung zu deren Betreuern unter anderem für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden. Die Betreuung wurde mit Beschluss vom 12. April 2010 mit einer Überprüfungsfrist zum 1. April 2017 auch in der Hauptsache angeordnet. Am 27. Juli 2010 beantragten die Betreuer, ihnen zu genehmigen, in weitere lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen nicht mehr einzuwilligen bzw. ihre Einwilligung in die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen zu widerrufen bzw. die Genehmigung zur Einstellung der künstlichen Ernährung zu erteilen. Am 29. September 2011 und am 15. Februar 2012 wiederholten sie diese Anträge und beantragten weiter hilfsweise festzustellen, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nicht genehmigungsbedürftig sei. Mit der behandelnden Ärztin der Betroffenen bestehe Einvernehmen darüber, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung dem Willen der Betroffenen entspreche.

4

Das Amtsgericht hat den Antrag und den Hilfsantrag abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betreuer zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

6

1. Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, es habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, dass die Betroffene eine Einstellung der künstlichen Ernährung im hier vorliegenden Fall gewollt hätte. In der Entscheidung, die künstliche Ernährung über die PEG-Magensonde einzustellen, liege ein Widerruf der früheren Einwilligung der Betreuer in die Behandlung und eine Verweigerung der Zustimmung in die hierauf gerichtete Behandlung. Die Genehmigung zur Nichteinwilligung oder zum Widerruf der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff durch die Betreuer sei nach § 1904 Abs. 3 BGB zu erteilen, wenn dies dem Willen des Betreuten entspreche. In einem Fall, in dem - wie hier - keine Patientenverfügung vorliege, habe der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. An die Annahme des mutmaßlichen Willens seien erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn zwar das Grundleiden des Betroffenen unumkehrbar sei und einen tödlichen Verlauf angenommen habe, aber der Tod nicht unmittelbar bevorstehe.

7

Auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens sei festzustellen, dass das Leiden der Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe, ohne dass ihr Tod in kurzer Zeit bevorstehe. Da eine Kommunikation mit der Betroffenen aufgrund ihrer Erkrankung nicht möglich sei, sei für die vorliegend zu treffende Entscheidung auf ihren mutmaßlichen Willen abzustellen. Die Betreuer und die im Beschwerdeverfahren vernommenen Zeuginnen - die Mutter, die Schwester und die Freundin der Betroffenen - hätten grundsätzlich übereinstimmend und auch plausibel und nachvollziehbar berichtet, dass die Betroffene in der Vergangenheit mehrfach geäußert habe, keine lebenserhaltenden Maßnahmen in Anspruch nehmen, sondern für immer einschlafen zu wollen, wenn sie im Koma liege, ihren Willen nicht mehr äußern und am Leben nicht mehr aktiv teilnehmen könne. Der als Betreuer eingesetzte Ehemann der Betroffenen habe zudem dargetan, dass noch im September 2009 entsprechende Formulare für eine Patientenverfügung zu Hause gelegen hätten, man aber keine Zeit mehr gefunden habe, diese auszufüllen.

8

Es sei offenbar geworden, dass sich die Betroffene in der Vergangenheit bereits ernsthaft mit dieser Thematik auseinandergesetzt habe. Anlass hierfür sei meistens eine schwere Erkrankung Dritter gewesen, etwa die der Eltern der Betroffenen, der Nichte ihrer Freundin und weiterer fremder Personen, die aufgrund einer schweren Erkrankung auf einen (Liege-)Rollstuhl angewiesen gewesen seien. Auch wenn diese Meinungsäußerungen der Betroffenen sehr ernst zu nehmen seien, hätten sie gleichwohl nicht die Qualität und Tiefe von Erklärungen, die im Rahmen einer Patientenverfügung abgegeben werden. Soweit sich die Betroffene anlässlich der schweren Erkrankung ihres Vaters, der 2001 kurzzeitig ins Koma gefallen und sodann im Alter von 72 Jahren verstorben sei, zur Frage von lebenserhaltenden Maßnahmen geäußert habe, sei diese Situation mit der der Betroffenen nicht vergleichbar. Beim Vater der Betroffenen habe Todesnähe bestanden; zudem sei er wesentlich älter gewesen als die Betroffene. Den Äußerungen der Betroffenen anlässlich schwerer Schicksalsschläge Dritter komme nicht die Wertigkeit einer konkreten Selbstbestimmtheit für die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen beim Eintritt der jetzigen Situation zu. Die Freundin der Betroffenen habe dargelegt, dass die Frage, ob ein Anschluss an lebenserhaltende Geräte in jedem Fall ausgeschlossen werden solle oder nur, wenn es keine Chance auf Genesung und ein Wiedererwachen gebe, zwischen ihr und der Betroffenen nicht erörtert worden sei.

9

Der Ehemann der Betroffenen habe erklärt, dass die Betroffene keine lebenserhaltenden Maßnahmen gewollt habe, falls sie sich in einem Zustand des Leidens und der Qual befinde. Das Gericht habe jedoch nicht den Eindruck gewonnen, dass der derzeitige Zustand von der Betroffenen selbst als leidvoll oder quälend empfunden werde. Es habe daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, ob für die Betroffene in der aktuell bestehenden Lebens- und Behandlungssituation lebenserhaltende Maßnahmen akzeptabel gewesen wären oder ob sie diese abgebrochen hätte. Gegen die Annahme, dass sich die Betroffene zu der hier relevanten Lebenssituation konkret und verbindlich positioniert haben könnte, spreche zudem der Umstand, dass mit dem Ehemann noch nicht tiefergehend darüber gesprochen worden sei, welches konkrete Formular der Entwürfe von Patientenverfügungen gewählt werden sollte.

10

2. Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen Überprüfung stand.

11

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht zunächst davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall die von den Betreuern beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung der einwilligungsunfähigen Betroffenen nach § 1904 Abs. 2 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Denn es liegt weder eine wirksame Patientenverfügung gemäß § 1901 a Abs. 1 BGB vor noch besteht zwischen den Betreuern und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen der Betroffenen entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB).

12

aa) Gemäß § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Die Vorschrift ist Bestandteil einer umfassenden betreuungsrechtlichen Neuregelung einer am Patientenwillen orientierten Behandlungsbegrenzung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286) - so genanntes Patientenverfügungsgesetz. Das am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz führt erstmals eine gesetzliche Regelung zur Genehmigungspflicht von Entscheidungen des Betreuers ein, wenn dieser in bestimmte medizinisch angezeigte Maßnahmen entsprechend dem Willen des Betroffenen nicht einwilligen oder eine früher erteilte Einwilligung widerrufen will (§ 1904 Abs. 2 bis 4 BGB). Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass der Widerruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer PEG-Magensonde ermöglichte künstliche Ernährung vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst wird und grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, wenn - wie hier - durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht (NK-BGB/Heitmann 3. Aufl. § 1904 Rn. 16; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750).

13

bb) Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf jedoch dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

14

Nach der Legaldefinition des § 1901 a Abs. 1 BGB ist eine Patientenverfügung eine schriftliche Willensbekundung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, mit der er Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit trifft. Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat (BT-Drucks. 16/8442 S. 14; BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 2; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 50; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 27 f.; a.A. Erman/Roth BGB 13. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 8; Albrecht/Albrecht MittBayNot 2009, 426, 432 f.). Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB).

15

Das Genehmigungserfordernis des § 1904 Abs. 2 BGB greift indes ein, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Da in diesem Fall der Willensbekundung des Betreuten keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt (BT-Drucks. 16/8442 S. 11; vgl. auch BeckOK BGB/G. Müller § 1901 a Rn. 23; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 17), hat der Betreuer nach § 1901 a Abs. 2 BGB die Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine anstehende ärztliche Maßnahme zu treffen, wobei er den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung zu verschaffen hat. Entschließt sich der Betreuer danach, in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzuwilligen, bedarf diese Entscheidung - vorbehaltlich der Regelung in § 1904 Abs. 4 BGB - der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

16

Im vorliegenden Fall hat die Betroffene nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen eine den formellen Anforderungen des § 1901 a Abs. 1 BGB genügende schriftliche Patientenverfügung nicht erstellt. Die Betroffene und ihr Ehemann hatten sich zwar noch im September 2009 entsprechende Formulare für eine Patientenverfügung beschafft. Diese wurden jedoch nicht mehr ausgefüllt.

17

cc) Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Betreuers ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB dann nicht erforderlich, wenn zwischen diesem und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

18

(1) In § 1901 b BGB findet sich nunmehr eine klarstellende gesetzliche Regelung des zur Ermittlung des Patientenwillens erforderlichen Gesprächs zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer. Liegt eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vor und besteht Einvernehmen zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt darüber, dass deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung bereits deshalb entbehrlich, weil es wegen des Fortwirkens der eigenen Entscheidung des Betroffenen keiner Nichteinwilligung und keines Widerrufs der Einwilligung in die ärztliche Maßnahme durch den Betreuer bedarf (BT-Drucks. 16/8442 S. 11). Für den Fall des Nichtvorliegens einer bindenden Patientenverfügung kommt es auf die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB an. Soweit der Betreuer und der behandelnde Arzt Einvernehmen darüber erzielen können, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a Abs. 2 BGB festgestellten Willen des Betroffenen entsprechen, werden die Entscheidungen des Betreuers nach § 1904 Abs. 4 BGB von der Genehmigungspflicht des Betreuungsgerichts ausgenommen (BT-Drucks. 16/8442 S. 18; vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 17 sowie Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1904 BGB Rn. 137; Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 97; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1904 Rn. 22; HK-BUR/Bauer [Stand: Juni 2013] § 1904 BGB Rn. 96; a.A. BtKomm/Roth E Rn. 24, demzufolge eine gerichtliche Genehmigung auch dann erforderlich ist, wenn Arzt und Betreuer übereinstimmend von einem mutmaßlichen Willen des Betroffenen ausgehen). Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist. Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden. Die Durchsetzung des Patientenwillens würde erheblich verzögert oder unmöglich gemacht, da für die Dauer des Verfahrens die in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen in der Regel fortgeführt werden müssten und damit gegebenenfalls massiv in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung stattfindet. Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder Vertrauenspersonen des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen (BT-Drucks. 16/8442 S. 19).

19

Angesichts des schwerwiegenden Eingriffs ist allerdings die Schwelle für ein gerichtliches Einschreiten nicht zu hoch anzusetzen (Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 13). Das Betreuungsgericht muss das Genehmigungsverfahren nach § 1904 Abs. 2 BGB immer dann durchführen, wenn einer der Handelnden Zweifel daran hat, ob das geplante Vorgehen dem Willen des Betroffenen entspricht (vgl. MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 53; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1904 BGB Rn. 14; vgl. auch BT-Drucks. 16/8442 S. 19). Das Verfahren bietet einen justizförmigen Rahmen, innerhalb dessen die rechtlichen Grenzen des Betreuerhandelns geklärt und der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Betroffenen - im Rahmen des Möglichen - ermittelt werden kann. Dies vermittelt der Entscheidung des Betreuers damit eine Legitimität, die geeignet ist, den Betreuer subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln, und die ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung schützen kann (Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 755 mwN; vgl. Spickhoff Medizinrecht § 1901 a BGB Rn. 14). Daher ist die Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts auch dann eröffnet, wenn zwar ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt besteht, aber gleichwohl ein Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung gestellt wird (Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 77 f.).

20

Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere gerichtliche Ermittlungen abzulehnen und ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (LG Kleve FamRZ 2010, 1841, 1843; AG Nordenham FamRZ 2011, 1327, 1328; vgl. auch LG Oldenburg FamRZ 2010, 1470, 1471; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 56; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1904 Rn. 13; HK-BUR/Bauer [Stand: Juni 2013] § 1904 Rn. 106; a.A. Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 11; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1904 Rn. 22, wonach die Erteilung eines Negativattests nicht angezeigt sei). Gleiches gilt, wenn das Gericht trotz Einvernehmens zunächst einen Anlass für die Ermittlung des Patientenwillens mit den ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten sieht, aber nach der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen entspricht. Bei unterschiedlichen Auffassungen oder bei Zweifeln des behandelnden Arztes und des Betreuers über den Behandlungswillen des Betreuten muss das Betreuungsgericht hingegen nach der Kontrolle, ob die Entscheidung des Betreuers über die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht, eine Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB erteilen oder versagen.

21

(2) Danach hat sich das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall zu Recht nicht lediglich auf eine Prüfung nach § 1904 Abs. 4 BGB beschränkt, obwohl die Betreuer mit ihrem Antrag vom 15. Februar 2012 eine gemeinsame schriftliche Erklärung mit der behandelnden Ärztin der Betroffenen vorgelegt haben, wonach Einvernehmen darüber bestehe, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung in die künstliche Ernährung dem Willen der Betroffenen entspreche. Nachdem ein Einvernehmen zwischen Betreuern und behandelnder Ärztin zunächst nicht vorgelegen hatte und die Gerichte Zweifel an einem entsprechenden Willen der Betroffenen hatten, waren sie aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gehalten, diesen im gerichtlichen Verfahren zu ermitteln (a.A. MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 56, wonach das Gericht auch bei eigenem Missbrauchsverdacht ein Negativattest zu erstellen und dann ein Kontrollverfahren nach § 1908 i Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1837 Abs. 2 bis 4 BGB einzuleiten habe). Jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung konnte darüber hinaus ein Einvernehmen zwischen Betreuern und behandelnder Ärztin nicht mehr festgestellt werden, nachdem die Betroffene in ein anderes Pflegeheim verlegt worden war und sich die Person der behandelnden Ärztin geändert hatte.

22

b) Ebenfalls zu Recht ist das Beschwerdegericht noch unter Bezugnahme auf den zur früheren Rechtslage ergangenen Senatsbeschluss vom 17. März 2003 (BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 751) zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ist. Nach neuer Rechtslage ist in § 1901 a Abs. 3 BGB klargestellt, dass es für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt (BT-Drucks. 16/8442 S. 16; BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 14 ff.; Fröschle/Guckes/Kuhrke/Locher Betreuungs- und Unterbringungsverfahren § 298 FamFG Rn. 19). Auch wenn die Grunderkrankung noch keinen unmittelbar zum Tod führenden Verlauf genommen hat, d.h. der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist bei entsprechendem Willen des Betroffenen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich zulässig. Der Betroffene darf eine Heilbehandlung auch dann ablehnen, wenn sie seine ohne Behandlung zum Tod führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes weit hinausschieben könnte (BT-Drucks. 16/8442 S. 9).

23

c) Soweit das Beschwerdegericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu der Würdigung gelangt ist, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht, ist dies dagegen nicht frei von Rechtsfehlern. Zudem hat es sich nicht mit der vorrangigen Frage befasst, ob ein entsprechender Behandlungswunsch der Betroffenen vorliegt.

24

aa) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB ist zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht, § 1904 Abs. 3 BGB. Das Betreuungsgericht hat die Entscheidung des Betreuers zum Schutz des Betreuten dahingehend zu überprüfen, ob diese Entscheidung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht. Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist der individuelle Patientenwille, wobei für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens die in § 1901 a Abs. 2 BGB genannten Anhaltspunkte heranzuziehen sind (BT-Drucks. 16/8442 S. 18). Dabei differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.

25

(1) Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 57; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 28; Jürgens/Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 16; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 71). Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen (MünchKommStGB/Schneider 2. Aufl. Vorbem. zu §§ 211 ff. Rn. 156). An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist der Betreuer nicht nur nach § 1901 a Abs. 2 BGB, sondern bereits nach § 1901 Abs. 3 BGB gebunden (a.A. wohl Kutzer FS Rissing-van Saan 2011, 337, 353, wonach der lediglich mündlich geäußerte Behandlungswunsch den Betreuer nicht unmittelbar binde, sondern nur in die Würdigung der Gesamtsituation durch den Betreuer miteinzubeziehen sei).

26

(2) Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist demgegenüber abzustellen, wenn sich ein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3). Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht § 1901 a BGB Rn. 67 ff.).

27

Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit der wirkliche vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit geäußerte Wille des Betroffenen nicht zu ermitteln ist (Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 752; BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 17). Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer. Der Wille des Patienten muss stets beachtet werden, unabhängig von der Form, in der er geäußert wird (BT-Drucks. 16/13314 S. 22 zu § 1901 b BGB). Die Willensbekundung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf vom Betreuer nicht durch einen "Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen" des Betroffenen korrigiert werden (BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 752).

28

(3) Ebenso wie bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB genügt auch der ermittelte Behandlungswunsch nicht, wenn sich dieser auf allgemein gehaltene Inhalte beschränkt.

29

Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 39; Spickhoff Medizinrecht § 1901 a BGB Rn. 7). Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt (vgl. Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 18). Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann (vgl. Spickhoff FamRZ 2014, 1848 f.). Andernfalls wären nahezu sämtliche Patientenverfügungen unverbindlich, weil sie den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht genügten (vgl. auch MünchKommStGB/Schneider 2. Aufl. Vorbem. zu §§ 211 ff. Rn. 146; Jürgens/Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 8).

30

Ein vergleichbares Maß an Bestimmtheit ist auch bei der Beurteilung eines Behandlungswunsches im Sinn des § 1901 a Abs. 2 BGB zu verlangen. Wann eine Maßnahme hinreichend bestimmt benannt ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Ebenso wie eine schriftliche Patientenverfügung sind auch mündliche Äußerungen des Betroffenen der Auslegung zugänglich.

31

(4) Maßgeblich ist weiter, ob die entsprechenden Anweisungen, welche zu einem Zeitpunkt erteilt wurden, als ein bestimmter ärztlicher Eingriff noch nicht unmittelbar bevorstand, auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zugeschnitten sind (sog. Kongruenz von Patientenverfügung und ärztlich erforderlichem Eingriff).

32

bb) Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht in vollem Umfang gerecht.

33

(1) Nachdem eine schriftliche Patientenverfügung im Sinn des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht vorlag, hat das Beschwerdegericht zur Ermittlung des Willens der Betroffenen zutreffend auf § 1901 a Abs. 2 BGB abgestellt. Allerdings ist das Beschwerdegericht ohne weitere Differenzierung zwischen Behandlungswunsch einerseits und mutmaßlichem Willen andererseits davon ausgegangen, dass der mutmaßliche Wille der Betroffenen zu ermitteln sei. Hierbei hat das Beschwerdegericht, wie die Rechtsbeschwerde insoweit zu Recht rügt, die Bekundungen der Zeugin L.      nicht hinreichend berücksichtigt.

34

Das Beschwerdegericht hätte Anlass zur Prüfung gehabt, ob es sich bei der mündlichen Äußerung der Betroffenen gegenüber der Zeugin L.      um einen Behandlungswunsch im Sinne des § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB handelte, mit dem sie Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation getroffen hat, welche mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation übereinstimmt. Ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen wäre in Anbetracht dessen ausgeschlossen (vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 5, 17).

35

Die Betroffene hatte sich nach den Angaben der Zeugin L.      auch anlässlich der Erkrankung von deren Nichte geäußert, die im Alter von 39 Jahren ins Wachkoma gefallen war. Ausweislich des Vermerks über die Anhörung der Zeugin L.      hat die Betroffene angegeben, dass sie selbst, sollte sie sich in einem Zustand wie die Nichte befinden, nicht künstlich am Leben erhalten bleiben wolle. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts haben zudem beide Betreuer sowie die Zeuginnen übereinstimmend, plausibel und nachvollziehbar erklärt, dass die Betroffene in der Vergangenheit mehrfach geäußert habe, keine lebensverlängernden Maßnahmen in Anspruch nehmen zu wollen, wenn sie im Koma liege, ihren Willen nicht mehr äußern und am Leben nicht mehr aktiv teilnehmen könne.

36

(2) Die angegriffene Entscheidung begegnet zudem rechtlichen Bedenken, weil sie darüber hinaus erhöhte Anforderung an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens stellt, wenn der Tod des Betroffenen - wie hier - nicht unmittelbar bevorsteht.

37

Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit § 1901 a Abs. 3 BGB, der in erster Linie klarstellen will, dass es für die Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt. Aus § 1901 a Abs. 3 BGB folgt aber zugleich, dass keine höheren Anforderungen an die Ermittlung und die Annahme von Behandlungswünschen oder des mutmaßlichen Willens zu stellen sind, wenn der Tod des Betroffenen nicht unmittelbar bevorsteht. Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten beweismäßig strenge Maßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter - dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Selbstbestimmungsrecht einerseits (vgl. insoweit auch BVerfG FamRZ 2011, 1927 Rn. 35 f.) und dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Schutz des Lebens andererseits - Rechnung zu tragen haben. Dies hat insbesondere zu gelten, wenn es beim Fehlen einer schriftlichen Patientenverfügung um die Feststellung eines in der Vergangenheit mündlich geäußerten Patientenwillens geht (vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 38; BGH Beschluss vom 10. November 2010 - 2 StR 320/10 - FamRZ 2011, 108 Rn. 12). Insbesondere bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen ist darauf zu achten, dass nicht die Werte und Vorstellungen des Betreuers zum Entscheidungsmaßstab werden. Die bei der Ermittlung und der Annahme des mutmaßlichen Willens zu stellenden strengen Anforderungen gelten aber unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht (a.A. LG Kleve FamRZ 2010, 1841, 1843; AG Nordenham FamRZ 2011, 1327, 1328; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 50; Kutzer FS Rissing-van Saan, 2011, 337, 354; zur früheren Rechtslage: Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 751 unter Bezugnahme auf BGH Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94 - NJW 1995, 204).

38

Das Beschwerdegericht geht demgegenüber von einem falschen Maßstab aus, wenn es ausführt, an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens seien höhere Anforderungen zu stellen, wenn der Tod des Betroffenen noch nicht unmittelbar bevorsteht.

39

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann demnach keinen Bestand haben. Bei seiner erneuten Prüfung wird das Beschwerdegericht etwaige Behandlungswünsche und gegebenenfalls den mutmaßlichen Willen der Betroffenen unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugin L.      und unter Anlegung des korrekten Prüfungsmaßstabs erneut zu ermitteln haben. Der Senat weist dazu auf Folgendes hin:

40

a) Die Äußerung der Betroffenen ist auch nicht deswegen unbeachtlich, weil sie bei ihrem Gespräch mit der Zeugin L.     nicht im Einzelnen danach differenziert hat, ob lebenserhaltende Maßnahmen für alle Fälle ausgeschlossen werden sollten oder nur, wenn es keine Chance auf Genesung und ein Wiedererwachen gebe. Denn das Beschwerdegericht hat sich dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten angeschlossen, wonach das Leiden der Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe. Weiter haben die Sachverständigen ausgeführt, dass - auch wenn es immer wieder vereinzelte Fallberichte zu klinischen Besserungen nach langer Zeit gebe - die Wahrscheinlichkeit für ein bewusstes, unabhängiges Leben bei 0 % liege, wenn der fortdauernde vegetative Status eines Patienten, wie bei der Betroffenen, länger als sechs Monate andauere.

41

b) Die mündlichen Äußerungen der Betroffenen werden nicht dadurch relativiert, dass die Betroffene keine schriftliche Patientenverfügung angefertigt hatte, obwohl entsprechende Vordrucke bei ihr zu Hause gelegen hatten. Diesem Umstand kann weder entnommen werden, dass die Betroffene von der Errichtung einer Patientenverfügung (vorerst) Abstand nehmen wollte, weil sie sich noch nicht konkret und verbindlich positionieren wollte, noch dass sie schon inhaltlich festgelegt wäre. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts kann lediglich als sicher angenommen werden, dass die Betroffene zu einem Zeitpunkt, als ihre Erkrankung noch gänzlich ungewiss war, eine Patientenverfügung erstellen wollte, aber noch keines der unterschiedlichen Formulare ausgewählt hatte, bevor sie unvorhersehbar erkrankte.

Dose                               Schilling                     Günter

            Nedden-Boeger                        Botur

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 604/15
vom
8. Februar 2017
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB §§ 1901 a, 1904 Abs. 1 Satz 1, 1904 Abs. 4

a) Eine Patientenverfügung entfaltet nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn
sie neben den Erklärungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die der Ersteller
einwilligt oder die er untersagt, auch erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation
Geltung beanspruchen soll.

b) Die schriftliche Äußerung, dass "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben"
sollen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung
notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.

c) Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch bei nicht hinreichend
konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend
spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille
des Errichters der Patientenverfügung ist dann durch Auslegung der in der Verfügung
enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an den Senatsbeschluss
vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671).
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2017 - XII ZB 604/15 - LG Landshut
AG Freising
ECLI:DE:BGH:2017:080217BXIIZB604.15.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Februar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen und des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 17. November 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Landgericht zurückverwiesen. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Wert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand (ICD-10: F03). Sie wird seitdem über eine Magensonde (PEG) künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.
2
Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patientenverfügung" folgenden Inhalts unterzeichnet: "Für den Fall, daß ich (...) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (...) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich: Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben , wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, - daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde , bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder - daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht , oder - daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder - daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt. Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung."
3
In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, dem Beteiligten zu 1 (im Folgenden : Sohn) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht, "an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (...) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (...) berücksichtigen soll."
4
Zu nicht genauer festgestellten Zeitpunkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall äußerte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren.
5
Im Juni 2008 erhielt die Betroffene einmalig nach dem Schlaganfall die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben."
6
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen, und erklärte sich zur Übernahme der Betreuung bereit. Gleichzeitig bat er darum, den Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Ehemann) zum Ersatzbetreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern der Betroffenen.
7
Der Sohn der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
8
Den Antrag der Betroffenen, vertreten durch ihren Sohn, auf Genehmigung der Therapiezieländerung dahingehend, dass künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eingestellt werden sollten, hat das Amtsgericht abgelehnt.
Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wenden sich die Betroffene und der Beteiligte zu 1 gegen diese Entscheidungen.

II.

9
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
10
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es habe sich keine ausreichende Überzeugung davon bilden können, dass es dem Willen der Betroffenen entspräche, die künstliche Ernährung in der gegenwärtigen Lage einzustellen. Aus der Patientenverfügung ergebe sich ein entsprechender Wille der Betroffenen nicht eindeutig. Es sei naheliegend, dass die Betroffene den hier in Frage stehenden Abbruch der künstlichen Ernährung als aktive Sterbehilfe verstanden habe, die sie in der Patientenverfügung ausdrücklich abgelehnt habe. Auch ein mutmaßlicher Wille der Betroffenen für einen Abbruch der künstlichen Ernährung sei nicht feststellbar. Da die Betroffene in der Patientenverfügung aktive Sterbehilfe abgelehnt habe und die Einstellung der Ernährung und Flüssigkeitsgabe nach dem Wertesystem der Betroffenen eine solche darstelle, komme ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen schon nicht in Betracht. Darüber hinaus sei auch ein auf Ernährungsabbruch gerichteter mutmaßlicher Wille nicht feststellbar, obwohl die Betroffene gegenüber mehreren Zeugen geäußert hatte, nicht in eine Situation der künstlichen Ernährung geraten zu wollen. Denn sie habe sich gegenüber den Zeugen nicht dazu geäußert , was passieren solle, wenn eine solche Situation schon bestehe und über den Abbruch zu entscheiden sei. Die Äußerungen gegenüber den Zeugen seien auch deswegen zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens ungeeignet, weil sie sich auf die Schicksale Dritter bezogen, die im Pflegeheim versorgt wurden , während die Betroffene zuhause von ihrem Ehemann gepflegt werde. Auch ihr in der Patientenverfügung festgehaltener Wunsch, möglichst in vertrauter Umgebung zu bleiben, stehe dem Behandlungsabbruch entgegen, da in einem solchen Fall die Verlegung auf eine Palliativstation erforderlich wäre, denn der Ehemann der Betroffenen könne die häusliche Pflege bei Abbruch der Ernährung nicht gewährleisten. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass die Festlegungen der Betroffenen in der Patientenverfügung so verstanden werden könnten, dass sie kein weiteres zusätzliches Leid erleben oder empfinden wolle. Missempfindungen seien jedoch bei Einstellung von Ernährung und Flüssigkeitsgabe nicht auszuschließen. Die letzte sprachliche Äußerung, die die Betroffene vor Verfall in den jetzigen Zustand habe tätigen können, sei unbeachtlich , weil sie sich nicht auf den nun eingetretenen Zustand bezogen habe. Es sei auch nicht klar, ob die Betroffene ihre vorher geäußerten Wünsche angesichts der jetzigen Haltung ihres Ehemanns, der sehr an ihr hänge und die Einstellung der Ernährung und Flüssigkeitsgabe vehement ablehne, noch aufrechterhalten würde. Insgesamt sei daher ein auf die aktuelle Situation bezogener mutmaßlicher Wille der Betroffenen nicht feststellbar.
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2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Die angegriffene Entscheidung kann bereits deshalb keinen Bestand haben , weil das Beschwerdegericht sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob es im vorliegenden Fall deshalb einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 1904 Abs. 2, Abs. 3 BGB nicht bedarf, weil in der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung gemäß § 1901 a Abs. 1 BGB eine wirksame Einwilligung in den vom Sohn der Betroffenen erstrebten Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung enthalten ist.
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a) Gemäß § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Der hier vom Sohn der Betroffenen beabsichtigte Widerruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer PEG-Magensonde ermöglichte künstliche Ernährung wird vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst und bedarf grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn - wie hier - durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 12 mwN).
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b) Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf jedoch dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt , in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat. Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nach § 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 13 f.).
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Das Genehmigungserfordernis gemäß § 1904 Abs. 2 BGB greift indes ein, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfü- gung nach § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Da in diesem Fall der Willensbekundung des Betreuten keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt, hat der Betreuer nach § 1901 a Abs. 2 BGB die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Entschließt sich der Betreuer danach, in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzuwilligen, bedarf diese Entscheidung - vorbehaltlich der Regelung in § 1904 Abs. 4 BGB - der Genehmigung durch das Betreuungsgericht (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 15).
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c) Im vorliegenden Fall ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Betroffene eine den Anforderungen des § 1901 a Abs. 1 BGB genügende Patientenverfügung, der sich eine in der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation bindende Entscheidung für den Abbruch der künstlichen Ernährung entnehmen lässt, nicht erstellt hat. Diese Annahme ist nicht frei von Rechtsfehlern.
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aa) Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29). Neben Erklärungen des Erstellers der Patientenverfügung zu den ärztlichen Maßnahmen, in die er einwilligt oder die er untersagt, verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz aber auch, dass die Patientenverfügung erkennen lässt, ob sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll (vgl. MünchKommBGB/Schwab 7. Aufl. § 1901 a Rn. 19, 22). Eine Patientenverfügung ist nur dann ausreichend bestimmt, wenn sich feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen (vgl. BeckOK BGB/G. Müller [Stand: 1. November 2016] § 1901 a Rn. 9). Zudem ermöglichen Angaben zu den Behandlungssituationen, in der die Patientenverfügung eingreifen soll, dem Betreuer, der in § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Prüfungspflicht nachzukommen, ob die in der Patientenverfügung enthaltenen Festlegungen zu den Behandlungsmaßnahmen auf die aktuelle Lebens- und Handlungssituation des Erstellers der Patientenverfügung zutreffen.
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Danach genügt eine Patientenverfügung, die einerseits konkret die Behandlungssituationen beschreibt, in der die Verfügung gelten soll, und andererseits die ärztlichen Maßnahmen genau bezeichnet, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, etwa durch Angaben zur Schmerz- und Symptombehandlung , künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, künstlichen Beatmung, Antibiotikagabe oder Dialyse, dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29). Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann (Senatsbeschlüsse BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29 und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 46).
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Nicht ausreichend sind allerdings allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung , ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29 mwN). Auch die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 46 f.; BT-Drucks. 16/8442 S. 15). Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall aber auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (vgl. BeckOK BGB/G. Müller [Stand: 1. November 2016] § 1901 a Rn. 9).
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bb) Danach geht das Beschwerdegericht schon zu Unrecht davon aus, dass die Betroffene in ihrer "Patientenverfügung" eine konkrete Entscheidung dahingehend getroffen hat, in der nun eingetretenen Situation eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung zu wollen. Das Beschwerdegericht möchte dies ableiten aus der Formulierung "aktive Sterbehilfe lehne ich ab", der es "nach dem Wertesystem der Betroffenen" jeglichen Behandlungsabbruch unterfallen lässt.
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Dies überschreitet die Grenzen der zulässigen Auslegung. Als eine der Schriftform unterfallende Erklärung muss die Patientenverfügung primär nach ihrem schriftlich niedergelegten Inhalt ausgelegt werden. Dabei ist der Gesamtzusammenhang der Urkunde zu berücksichtigen und festzustellen, ob sich daraus insgesamt ein hinreichend eindeutig zu bestimmender Patientenwille ergibt.
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Die von der Betroffenen verfasste Urkunde beinhaltet in ihrem Gesamtzusammenhang keine eindeutige Aussage dahingehend, dass die Betroffene die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in ihrem derzeitigen Zustand wünscht. Die voranstehende Erklärung, "keine lebensverlängernden Maßnahmen" zu wünschen, wenn eine der in der Patientenverfügung benannten Behandlungssituationen eintritt, spricht in mindestens gleichem Umfang für den Abbruch der künstlichen Ernährung, wie die vom Beschwerdegericht herangezogene Formulierung der Ablehnung aktiver Sterbehilfe deren Fortsetzung begründen könnte. Die von der Betroffenen verfasste Urkunde ist damit allenfalls widersprüchlich. Soweit das Beschwerdegericht in diesem Zusammenhang von einer eindeutigen, konkreten Festlegung für die aktuell bestehende Situation gegen den Abbruch und für die Fortsetzung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung ausgeht, hat es weitere für die Auslegung wesentliche Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt.
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cc) Im Übrigen hat das Beschwerdegericht in seine Auslegungserwägungen nicht eingestellt, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung nicht nur pauschal bestimmt hat, lebensverlängernde Maßnahmen sollen in den von ihr beschriebenen Behandlungssituationen unterbleiben. Im weiteren Text der Verfügung findet sich vielmehr auch eine Konkretisierung der ärztlichen Maßnahmen , die sie in diesen Fällen wünscht. Danach sollen Behandlung und Pflege auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist.
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Zudem hat das Beschwerdegericht bei der Auslegung die in der Patientenverfügung bezeichneten Behandlungssituationen nicht ausreichend berücksichtigt. Zwar ist die hier in Frage kommende Alternative eines schweren Dauerschadens des Gehirns so wenig präzise, dass sie keinen Rückschluss auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen - hier die künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde - gerichteten Willen der Betroffenen erlaubt (vgl. zu einer gleichlautenden "Patientenverfügung" Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 47 f.). Etwas Anderes könnte sich jedoch aus der weiteren Alternative ergeben, wonach die Betroffene ihre Regelungen zu ärztlichen Maßnahmen an die medizinisch eindeutige Feststellung knüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Damit bezeichnet die Betroffene in ihrer Patientenverfügung konkret eine Behandlungssituation, in der sie keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Betroffenen, dass die Behandlung und Pflege in diesem Fall auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein soll, könnte die Patientenverfügung dahingehend auszulegen sein, dass die Betroffene in dieser besonderen gesundheitlichen Situation, die aus medizinischer Sicht irreversibel ist, in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt hat.
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Ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft, hat das Beschwerdegericht bislang allerdings nicht festgestellt. Dies wird es - gegebenenfalls sachverständig beraten - nachholen müssen.
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3. Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben. Da noch Feststellungen dazu zu treffen sind, ob der konkrete Zustand der Betroffenen im Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen lässt und ob in diesem Fall eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, ist das Verfahren zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Wenn das Landgericht auf dieser Grundlage eine wirksame Patientenverfügung iSv § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB feststellen kann, die auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, hat es ein sogenanntes Negativattest zu erteilen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 20).
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Sollte das Beschwerdegericht hingegen zu dem Ergebnis gelangen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspricht, weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:
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a) Die Genehmigungsbedürftigkeit der Einwilligung des Sohns der Betroffenen in die beabsichtigte Therapiezieländerung entfiele nicht auf Grund von § 1904 Abs. 4 BGB.
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Nach dieser Vorschrift werden die Entscheidungen des Betreuers nach § 1904 Abs. 1 und 2 BGB von der Genehmigungspflicht des Betreuungsgerichts ausgenommen, soweit der Betreuer und der behandelnde Arzt Einvernehmen darüber erzielen können, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a Abs. 2 BGB festgestellten Willen des Betroffenen entsprechen. Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere Ermittlungen abzulehnen und ebenfalls ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 19 f.).
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Im vorliegenden Fall bestand zwar zwischen dem alleinvertretungsberechtigten Sohn der Betroffenen und dem zunächst behandelnden Arzt Einvernehmen darüber, dass die künstliche Ernährung der Betroffenen nach ihrem Willen eingestellt werden soll. Dem steht jedoch die Haltung des zweiten alleinvertretungsberechtigten Betreuers, des Ehemanns der Betroffenen entgegen. Diese unterschiedlichen Auffassungen der beiden alleinvertretungsberechtigten Betreuer darüber, ob die Einstellung der künstlichen Ernährung in der derzeitigen Situation dem Willen der Betroffenen entspricht, lassen ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt entfallen und stehen somit einem Wegfall des Genehmigungserfordernisses nach § 1904 Abs. 4 BGB entgegen.
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b) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB ist allerdings zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht, § 1904 Abs. 3 BGB. Das Betreuungsgericht hat die Entscheidung des Betreuers zum Schutz des Betreuten dahingehend zu überprüfen, ob diese Entscheidung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht. Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist nach § 1901 a Abs. 2 BGB der individuelle Patientenwille (BT-Drucks. 16/8442 S. 18). Dabei differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 24).
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aa) Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen. An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist der Betreuer nicht nur nach § 1901 a Abs. 2 BGB, sondern bereits nach § 1901 Abs. 2 und 3 BGB gebunden (Senatsbeschlüsse BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 25 mwN und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 53).
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Ebenso wie bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB genügt allein der ermittelte Behandlungswunsch nicht, wenn sich dieser auf allgemein gehaltene Inhalte beschränkt (Senatsbeschlüsse BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 28 f. mwN und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 54). Sollte das Beschwerdegericht daher zu dem Ergebnis gelangen, dass die Patientenverfügung auch für die derzeitige Behandlungssituation der Betroffenen keine hinreichend bestimmten Angaben zu den medizinischen Maßnahmen enthält, in die die Betroffene einwilligt oder die sie ablehnt, dürften sich aus der Patientenverfügung ebenfalls keine ausreichend konkreten Behandlungswünsche der Betroffenen entnehmen lassen.
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bb) Das Beschwerdegericht wird dann zu prüfen haben, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen ), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB). Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte (Senatsbeschlüsse BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 26 mwN und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 56).
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(1) Die Betroffene hatte sich nach Angaben der genannten Zeugen ausweislich des gerichtlichen Anhörungsvermerks immer wieder dahingehend ge- äußert, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Diese Äußerungen habe sie insbesondere angesichts zweier künstlich ernährter Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld getätigt. Zumindest einer dieser Patienten habe über sieben Jahre hinweg im Wachkoma gelegen; die Betroffene habe gegenüber den Zeugen angegeben, sie wolle nicht so daliegen, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle in einer solchen Situation lieber sterben. Weiterhin habe sie sich auf ihre Patientenverfügung berufen und gemeint, ihr könne so etwas nicht passieren.
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(2) Soweit das Beschwerdegericht bei der Würdigung der Zeugenaussagen davon ausgeht, dass die von den Zeugen wiedergegebene Aussage der Betroffenen, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle, auf die aktuelle Situation nicht zutrifft, weil der Abbruch der laufenden künstlichen Ernährung mit der Nichtaufnahme einer künstlichen Ernährung nicht gleichgesetzt werden könne, ist dies weder aus dem "Wertesystem der Betroffenen" noch aus der heute bzw. 1998 geltenden Rechtslage heraus begründbar.
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(a) Zum zugrunde gelegten Wertesystem der Betroffenen hat das Beschwerdegericht lediglich feststellen können, dass diese nach Aussage einer Zeugin "gläubig und praktizierende Katholikin" gewesen sei, die auch Wallfahrten unternommen habe. Keiner der Zeugen konnte jedoch angeben, mit der Betroffenen über Glaubensinhalte gesprochen zu haben. Damit sind keine Feststellungen verbunden, die einem Abbruch der Behandlung entgegenstehen würden. Im Gegenteil: Festgestellt ist, dass die Betroffene gegenüber vielen Zeugen mehrfach betonte, sie wolle nicht künstlich ernährt werden. Das Wertesystem der Betroffenen trägt daher nicht die Annahme, die Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr sei vom ausdrücklich geäußerten Willen der Betroffenen, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, nicht erfasst.
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(b) Die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, zur Zeit der Abfassung der Patientenverfügung im Jahr 1998 habe man allgemein den Behandlungsabbruch als "aktive Sterbehilfe" verstanden, beruht nicht auf einer tragfähigen Begründung. Vielmehr wurde zu dieser Zeit, anders als heute, ein Eingreifen in der Situation der Betroffenen überhaupt nicht als "Sterbehilfe" verstanden , da sie sich nicht im unmittelbaren Sterbeprozess befindet. Auch zu dieser Zeit wurde jedoch ein derartiger "Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme" als passiver und nicht als aktiver Eingriff verortet, demzufolge die Frage gestellt, ob es sich um "passive Sterbehilfe" handeln könnte, und nicht die Frage, ob "aktive Sterbehilfe" geleistet worden sei (vgl. BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204 mwN). Die Rechtslage in der Zeit ab 1998 unterscheidet sich von der heutigen Rechtslage insofern, als heute - seit der Entscheidung BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 28 ff. - ein Behandlungsabbruch (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) als straffrei angesehen wird, unabhängig davon, ob er durch Unterlassen der weiteren Behandlung oder durch aktives Tun, etwa durch Durchschneiden der versorgenden Schläuche, verwirklicht wird. Sie unterscheidet sich jedoch nicht in dem Punkt, dass auch schon vor 2010 der Abbruch einer Behandlung in Form der Unterlassung der Fortführung (also konkret: Abbruch der künstlichen Ernährung dadurch, dass an die Magensonde keine neue Flasche mit Nahrung angehängt wird) genauso behandelt wurde wie das Unterlassen des Beginns der künstlichen Ernährung. Beides wurde in den 90er Jahren strafrechtlich als Unterlassen angesehen (dazu explizit etwa BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204; die frühere Rechtslage darstellend auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 27).
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(3) Soweit das Beschwerdegericht darauf abstellt, dass sich die Situation der Betroffenen, die sich in der häuslichen Pflege durch ihren Ehemann befindet , von der ihrer Tante und ihres Nachbarn, die im Pflegeheim versorgt wurden , unterscheidet, so ist dies bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens oh- ne Belang. In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, dass die frühere Willensäußerung der Betroffenen situativ genau die nun eingetretene Lage beschreibt. Vielmehr besteht die Ermittlung des mutmaßlichen Willens - im Gegensatz zum Behandlungswunsch - gerade notwendig darin, allgemein gehaltene oder der konkreten Situation nicht vollständig entsprechende frühere Willensäußerungen auf die eingetretene Situation zu übertragen.
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Die Betroffene hat sich zwar in ihrer "Patientenverfügung" für häusliche Pflege, wo möglich, ausgesprochen. Sie hat jedoch nicht ihre weiteren Wünsche , nämlich den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, von der Pflegesituation abhängig gemacht. Es besteht daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die von der Betroffenen mündlich geäußerten Wünsche unter dem Vorbehalt gestanden hätten, nur im Fall der Versorgung im Pflegeheim zu gelten. Aus den Äußerungen der Betroffenen, soweit sie von den Zeugen wiedergegeben wurden oder sich in der unterzeichneten "Patientenverfügung" finden, ergibt sich kein Anhalt dafür, dass die Betroffene ihr derzeitiges Leben anders beurteilen würde als das der Patienten, die sie selbst kennengelernt hatte. Soweit das Beschwerdegericht darauf abstellt, dass die Betroffene auch aus dem Bett kommt, ins Freie gefahren wird und nicht ununterbrochen von Sauerstoffzufuhr abhängig ist, ergeben sich daraus wiederum keine Rückschlüsse auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen.
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(4) Die Annahme des Beschwerdegerichts, ein Sterben ohne Begleitung durch den Ehemann dürfte dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen zuwiderlaufen , ist nicht auf hinreichende Tatsachen gegründet. Der Ehemann der Betroffenen beruft sich auf ein besonders enges Verhältnis, das zwischen ihm und der Betroffenen gerade in den Jahren der Pflege gewachsen sei. Aus der Zeit vor dem Wachkomazustand der Betroffenen hat jedoch weder der Ehemann der Betroffenen noch einer der Zeugen Angaben dazu gemacht, dass die Be- troffene in besonderer Weise ihre Wünsche von der Anwesenheit ihres Ehemanns abhängig gemacht hätte.
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(5) Gleiches gilt für die Überlegung, dass die Betroffene heute mit Rücksicht auf die Wünsche des Ehemanns möglicherweise auf ihren Sterbewunsch verzichten würde. Auch diesbezüglich sind bisher keine Feststellungen getroffen , etwa dass die Betroffene auch in der Vergangenheit regelmäßig ihre eigenen Vorstellungen zurückgestellt hätte, um denen ihres Ehemanns gerecht zu werden. Derartige Feststellungen wären jedoch für einen dahingehenden mutmaßlichen Willen Voraussetzung. Auch insoweit kann nicht allein auf die vom Ehemann geschilderte Bindung in den Jahren der Pflege abgestellt werden.
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Eine Berücksichtigung des Willens des Ehemanns kommt nur dann in Betracht, wenn dieser mutmaßlich den Willen der Betroffenen beeinflusst hätte. Dagegen scheidet ein unmittelbares Abstellen auf den Willen des Ehemanns, auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG, aus. Durch die Ehe ist die Betroffene aber nicht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, in den rechtlichen Grenzen über ihr eigenes Leben oder dessen Beendigung genauso wie eine nicht verheiratete Person zu entscheiden. Demzufolge kann auch bei der hier zu entscheidenden Frage ausschließlich der mutmaßliche Wille der Betroffenen, daneben aber nicht auch der Wille des Ehemanns als entscheidend berücksichtigt werden (zu einer vergleichbaren Abwägung zwischen Grundrechten des Betroffenen und Grundrechten Dritter - dort Art. 4 GG - Senatsbeschluss BGHZ 163, 195 = FamRZ 2005, 1474, 1475 f.).
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(6) Dagegen hat das Beschwerdegericht bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass die Betroffene in ihrer "Patientenverfügung" gerade ausschließlich ihren Sohn und nicht ihren Ehemann als Vertrauensperson benannt hat. Auch dieser Umstand ist als Hin- weis dahin zu sehen, dass aus Sicht der Betroffenen im Zweifel eher der Sohn als der Ehemann in der Lage sein wird, ihren eigenen - mutmaßlichen - Willen zu artikulieren.
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(7) Ebenfalls fehlerhaft sind die Überlegungen des Beschwerdegerichts zu möglichen Schmerzen oder Missempfindungen bei der Einstellung der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Zutreffend geht das Beschwerdegericht zwar davon aus, dass die Betroffene möglichst keine Schmerzen und Missempfindungen erleiden möchte. Dies ergibt sich auch aus ihrer "Patientenverfügung". Insofern ist es als Aspekt zu berücksichtigen, der gegen die Durchführung einer bestimmten Maßnahme spricht, wenn diese Maßnahme mit Schmerzen oder Missempfindungen verbunden wäre. Unzulässig ist es allerdings, hier auf den reinen Abbruch der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abzustellen, ohne die beabsichtigten begleitenden medizinischen Maßnahmen zu berücksichtigen. Aus den eingeholten Gutachten ergibt sich, dass etwaige Schmerzen und Missempfindungen , die (noch nicht einmal sicher oder wahrscheinlich, aber möglicherweise ) auftreten können, palliativmedizinisch behandelt werden müssen, aber auch können. Unter entsprechender medikamentöser und pflegerischer Versorgung ist jedoch davon auszugehen, dass die Betroffene im Wesentlichen schmerzfrei wird versterben können. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass , hinsichtlich der konkret in Rede stehenden Maßnahme den mutmaßlichen Willen der Betroffenen als von Angst vor Schmerzen beeinflusst anzusehen.
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(8) Schließlich hat das Beschwerdegericht zu Unrecht den kurz vor Beginn des Wachkomas ausdrücklich geäußerten Sterbewunsch der Betroffenen unberücksichtigt gelassen. Zwar lag darin kein auf die aktuelle Situation bezogener Behandlungswunsch, da, wie das Beschwerdegericht richtig festgestellt hat, die Betroffene zu diesem Zeitpunkt noch eine gute Prognose hatte und ihre Situation mit der heutigen nicht vergleichbar war. Dennoch spielt bei der Ermitt- lung des mutmaßlichen Willens auch eine Rolle, wie ein Betroffener sich grundsätzlich oder in anderen Situationen zum Sterben verhält. Hier durfte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die letzte willentliche Äußerung der Betroffenen - nach dem Schlaganfall, aber vor dem hypoxischen Hirnschaden - den spontanen Wunsch zu sterben beinhaltete.
Dose Schilling Günter Botur Krüger
Vorinstanzen:
AG Freising, Entscheidung vom 29.06.2015 - XVII 157/12 -
LG Landshut, Entscheidung vom 17.11.2015 - 64 T 1826/15 -