Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14

bei uns veröffentlicht am11.06.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 1 7 / 1 4
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof Dr. Fischer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.

I.

2
1. Der heute 56-jährige Angeklagte und die später geschädigte Zeugin M. bezogen im Jahr 2008 eine gemeinsame Wohnung. Nachdem der Angeklagte wiederholt Kontakte zu anderen Frauen unterhalten und zuletzt ein Wochenende mit seiner Arbeitskollegin S. verbracht hatte, warf ihn die Zeugin M. im Juli 2012 aus der Wohnung. Nach wenigen Tagen nahm sie ihn je- doch wieder auf, allerdings mit der Maßgabe, sich schnellstmöglichst eine andere Unterkunft zu suchen. Da der Angeklagte keine entsprechenden Bemühungen entfaltete, verwies sie ihn im August 2012 endgültig aus der ehemals gemeinsamen Wohnung. Gleichwohl unterhielten beide fortan ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte nutzte weiterhin die zur Wohnung der Zeugin gehörende Garage, und beide tranken mehrmals die Woche gemeinsam Kaffee.
3
Am Tattag, den 7. Februar 2013, war der Angeklagte dazu entschlossen, sich umzubringen. Schon Tage zuvor hatte er Vorbereitungen wegen der Auflösung seines Haushalts getroffen. Nach Beendigung seiner Arbeit als Paketzusteller fuhr er zur Wohnung der Zeugin M. und hielt sich dort zunächst in der Garage auf. Er trug noch immer seine Arbeitskleidung, in der sich seine üblichen Arbeitsutensilien, u.a. ein Paketscanner und ein Cuttermesser, befanden. Gegen 17.00 Uhr erschien die Geschädigte. Beide gingen ins Haus, tranken im Wohnzimmer gemeinsam einen Kaffee und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Schließlich bat die Zeugin den Angeklagten zu gehen, weil sie sich hinlegen wollte. Der Angeklagte verließ daraufhin das Wohnzimmer, und die Geschädigte begleitete ihn - hinter ihm hergehend - zur Tür. Einer von beiden betätigte beim Betreten des Flurs den Lichtschalter, der jedoch regelmäßig nur verzögert die Deckenbeleuchtung im Flur auslöste. Als der Angeklagte etwa die Mitte des Flurs erreicht hatte, der zu diesem Zeitpunkt nur durch das aus dem Wohnzimmer einfallende Licht beleuchtet war, zog er, einem spontanen Entschluss folgend, hervorgerufen durch den erneuten Verweis aus der ehemals gemeinsamen Wohnung, für die Geschädigte nicht sichtbar, den Paketscanner aus seiner Arbeitsweste, drehte sich um und schlug ihr damit wortlos auf den Kopf. Die Geschädigte wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konnte zunächst nicht abwehrend reagieren. Nach weiteren Schlägen auf den Kopf ging sie zu Boden. Der Angeklagte kniete sich auf die Geschädigte, würgte sie und drückte ihr mit einem Knie auf die Kehle. Anschließend schnitt er ihr mit dem Cuttermesser mehrmals in den Hals sowie in den Kopf. Es gelang der Geschädigten indes, den Angeklagten wegzustoßen und in das Wohnzimmer zu flüchten. Der Angeklagte folgte ihr, setzte sich erneut auf sie und schlug mit dem Scanner solange auf die Geschädigte ein, bis diese das Bewusstsein verlor.
4
Der Angeklagte verließ die Wohnung um 18.15 Uhr und schrieb in der Folgezeit per E-Mail sowohl an seine Arbeitskollegin S. wie an seine Chefin jeweils einen Abschiedsbrief. Anschließend traf er sich mit der Zeugin S. . Er händigte ihre einige seiner Arbeitsutensilien aus und fuhr anschließend gegen 19.50 Uhr in suizidaler Absicht gegen einen Brückenpfeiler. Er überlebte schwer verletzt.
5
Die Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen, musste mehrfach operiert werden und befand sich rund ein halbes Jahr lang in stationärer Behandlung. Sie leidet bis heute an Depressionen und Angstzuständen sowie an ständigen Kopfschmerzen, einem Druckgefühl im Kopf sowie einer linksseitigen Zungenlähmung verbunden mit Sprach- und Essstörungen. Zwei ihrer Finger sind taub und ihr rechter Arm ist nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Geschädigte ist nur drei Stunden täglich körperlich belastbar und bis auf weiteres arbeitsunfähig.
6
2. Das Landgericht hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Heimtückemords hat es verneint. Zwar habe sich das Tatopfer keines Angriffs des Angeklagten versehen und sei infolgedessen arg- und wehrlos ge- wesen. Der Angeklagte habe die arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers aber nicht bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt.

II.

7
1. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten verneint hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
8
a) Schon die Ausgangsüberlegung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass er die Geschädigte nicht in den Flur „gelockt“ und damit ihre arg- und Wehrlosigkeit nicht gezielt herbeige- führt habe, ist rechtsfehlerhaft. Für das bewusste Ausnutzen von arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339); worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht, ist ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93,

94).

9
b) Die Urteilsgründe werden aber auch den Anforderungen an eine lückenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung nicht gerecht.
10
Soweit darauf abgestellt wird, der Angeklagte habe, weil er vorausgegangen sei, die Verhältnisse hinter sich - insbesondere den Abstand zur Geschädigten und deren Möglichkeiten abwehrend zu reagieren bzw. auszuweichen - gar nicht beobachten und in sein Bewusstsein aufnehmen können, hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht, dass es sich um einen lediglich zwei Meter langen und einen Meter breiten Flur handelte, auf dessen Seite zudem eine Kommode stand. Auch war der Angeklagte zum Zeitpunkt des ersten An- griffs auf die Geschädigte erst in der Mitte des Flurs angelangt. Weshalb es für das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten von Belang sein sollte,dass er - worauf das Landgericht ergänzend abgestellt hat - sich nicht sicher sein konnte , den ersten Angriff gegen die Geschädigte noch bei fehlender Deckenbeleuchtung im Flur führen zu können, erschließt sich nicht.
11
Auch die Spontanität des Tatentschlusses sowie die affektive Erregung des Angeklagten sprechen entgegen der Annahme des Landgerichts nicht ohne Weiteres gegen ein bewusstes Ausnutzen der arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten. Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass dem Täter das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Maßgeblich sind aber die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit.
12
Die insoweit erforderlichen Erwägungen sind dem angefochtenen Urteil in seinem Gesamtzusammenhang schon nicht widerspruchsfrei zu entnehmen. Während das Landgericht bei Prüfung der subjektiven Seite des Heimtückemords davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe auf Grund seiner affektiven Erregung und seiner Persönlichkeit in der Zeit zwischen dem spontanen Tatentschluss und der Durchführung der Tat nicht in sein Bewusstsein aufnehmen können, dass er die arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten ausnutzen werde, hat es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine entsprechende Einengung des Bewusstseins und insbesondere Einengung seines Wahrnehmungsfeldes nicht feststellen können. Es ist vielmehr von einer für ein vergleichbares Gewaltdelikt typischen und im normal-psychologischen Bereich liegenden affektiven Erregung des Angeklagten ausgegangen.
13
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
14
2. Im Übrigen weist der Senat noch auf Folgendes hin:
15
Bedenklich sind, was entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86; Beschluss vom 21. Februar 2013 - 3 StR 496/12), die Ausführungen des Landgerichts zur Anwendung des § 21 StGB. Das Gericht hat eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit und insbesondere das Vorliegen eines schuldrelevanten Affekts ausgeschlossen. Dabei hat es zwar berücksichtigt, dass sich bei dem Angeklagten durch die wiederholten „Rausschmisse“ aus der ehemals gemeinsamen Wohnung gegen sich selbst gerich- tete Aggressionen aufgebaut hatten und dass es im Tatzeitpunkt nach dem nunmehr dritten Wohnungsverweis zu einer Umkehr dieser aggressiven Impulse gekommen war. Nicht bedacht hat es aber, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gleichwohl dazu entschlossen war, auch sich selbst zu töten, was zudem den Schluss nahe legt, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafprozeßordnung - StPO | § 401 Einlegung eines Rechtsmittels durch den Nebenkläger


(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Fri

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 326/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. November 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 11. April 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist (Fall III. 1. der Urteilsgründe );
b) im gesamten Strafausspruch und
c) soweit das Landgericht den Angeklagten verurteilt hat, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des "versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte" (richtig: versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) sowie der versuchten Körperverletzung und der Beleidigung, jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verhängt. Weiter hat es den Angeklagten verurteilt, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen; im Übrigen hat es von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Fall III. 1. der Urteilsgründe sowie bezüglich des gesamten Strafausspruchs und der Adhäsionsentscheidung Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts im Fall III. 1. der Urteilsgründe beabsichtigten zahlreiche Polizeibeamte, am frühen Morgen des 28. August 2010 in Mönchengladbach auf einem Uferweg der Niers eine etwa acht- bis zehnköpfige Personengruppe zu kontrollieren, der mehrere Verwandte des damals 20 Jahre alten Angeklagten angehörten. Die Anwesenden kamen jedoch der Aufforderung, sich auszuweisen, nicht nach, beschimpften die Polizisten und machten sich über diese lustig. Der Zeuge S. verhielt sich besonders aggressiv. Er wurde daraufhin fixiert, wogegen er sich wehrte. Nach einem Gerangel brachten ihn schließlich mehrere Polizeibeamte, zu denen der zivil gekleidete Nebenkläger gehörte, zu Boden und hielten ihn fest. Dabei kniete der Nebenkläger in gebückter Haltung seitlich auf dem Zeugen und fixierte dessen Kopf und Schultern. Der Angeklagte, dessen Blutalkoholkonzentration 1,81 Promille betrug, befand sich mit Freunden in einer in der Nähe gelegenen Wohnung. Er wurde auf das Geschehen aufmerksam und verließ mit dem Ruf "Mein Vater!" eilig das Haus. Er lief auf die Stelle zu, an welcher der Zeuge S. von mittlerweile vier Polizeibeamten fixiert wurde und rief immer wieder: "Lass meinen Bruder in Ruhe, lass meinen Bruder in Ruhe!". Der Versuch eines Polizeibeamten, den Angeklagten durch einen sog. Bodycheck zu Fall zu bringen, misslang. Nachdem der Angeklagte die Personengruppe erreicht hatte , versuchte er, mit dem Ruf "Das ist mein Bruder, das ist mein Bruder!" einen Polizeibeamten von dem Zeugen S. wegzuziehen. Er wurde jedoch von drei weiteren Polizisten gepackt und einige Meter weggebracht; dabei schlug er wild um sich. Einen kurzen Moment der Passivität der Polizeibeamten nutzte er, riss sich los, überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz zu dem am Boden fixierten Zeugen S. und trat dem Nebenkläger in vollem Lauf und mit großer Wucht in das Gesicht. Der Nebenkläger versah sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs durch den Angeklagten; er konzentrierte sich auf den Zeugen S. und vertraute darauf, dass seine Kollegen die übrigen vor Ort anwesenden Personen in Schach und von ihm fernhalten würden. Er wurde durch den Tritt des Angeklagten schwer verletzt. Der Angeklagte wurde sodann u.a. durch den Einsatz eines Diensthundes überwältigt, festgenommen und zu einem Polizeiwagen verbracht. Hiergegen wehrte er sich, schlug um sich und rief: "Ich mach euch fertig, ihr Dreckschweine!".
3
1. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei seinem Fußtritt in das Gesicht des Nebenklägers heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; vom 29. November 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274 jeweils mwN).
5
b) Es erscheint mit Blick auf das vorausgegangene Geschehen bereits fraglich, ob die Feststellungen die Arglosigkeit des Nebenklägers zum Zeitpunkt der ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlung - dem Fußtritt des Angeklagten in das Gesicht des Nebenklägers - hinreichend belegen.
6
Auch wenn das Landgericht insoweit keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, lässt sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe zwanglos entnehmen, dass der Nebenkläger nach dem ersten tätlichen Angriff des Angeklagten auf die den Zeugen S. festhaltenden Polizeibeamten zunächst nicht arglos war, weil er einen nicht unerheblichen Angriff zumindest auch auf seine eigene Gesundheit konkret besorgte. Denn dem Angeklagten kam es für den Nebenkläger erkennbar darauf an, seinen zu Boden gebrachten Bruder, an dessen Fixierung der Nebenkläger mitwirkte, zu "befreien". Allerdings kann die Arglosigkeit auch bei einer unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung wieder eintreten. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung hierfür indessen, dass das Opfer den Streit für beigelegt hält und sich deshalb keines tätlichen Angriffs mehr versieht. Danach kann die Beendigung einer Auseinandersetzung, bei der das Opfer zunächst mit einem Angriff rechnete, vor allem dann angenommen werden, wenn der Täter sich so verhält, dass daraus auf ein Ende der Feindseligkeiten geschlossen werden kann, und das Opfer daraufhin eine Haltung einnimmt, aus der sich ergibt, dass es keinen weiteren Angriff befürchtet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 - 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
7
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Angeklagte verhielt sich keineswegs in einer Weise, aus der sich für den Nebenkläger ergab, dass er seine aggressiven, auf die Befreiung seines Bruders zielenden Handlungen einstellen wollte. Er wehrte sich vielmehr gegen seine eigene Festnahme, indem er wild um sich schlug, und nutzte zeitnah die erste sich bietende Gelegenheit , um sich zu befreien und seine Absicht weiter zu verfolgen. Der Nebenkläger ging auch nicht deshalb davon aus, dass ihm von dem Angeklagten keine Gefahr mehr drohte, weil er diesen nun als friedfertig einschätzte, sondern weil er darauf vertraute, seine Kollegen hätten den Angeklagten und die Situation insgesamt im Griff. Dies könnte - obwohl es bei der Beurteilung seines Erwartungshorizonts entscheidend auf die subjektive Vorstellung des Angegriffenen ankommt - mit Blick auf die hier gegebene Gesamtsituation gegen die Arglosigkeit des Nebenklägers sprechen.
8
c) Der Senat kann jedoch offen lassen, ob die bisherige Rechtsprechung dahin fortzuführen ist, dass gegebenenfalls auch in einem solchen Fall die Arglosigkeit des Opfers zu bejahen ist. Denn jedenfalls beruht die Feststellung, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Nebenklägers erkannt und zur Tatbegehung ausgenutzt, nicht auf einer sie tragenden Beweiswürdigung.
9
aa) Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist es erforderlich, dass der Täter die Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur an sich wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26). Wenn auch nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteile vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26; vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Dasselbe gilt für eine - zumal erhebliche - Alkoholisierung des Täters. Deshalb bedarf es in solchen Fällen in aller Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen der Tatrichter folgert, dass der Täter trotz seiner Alkoholisierung und Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 167).
10
bb) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an eine umfassende Beweiswürdigung genügen die Urteilsgründe nicht. Nach den Feststellungen war die Tatsituation wesentlich durch eine insgesamt "angeheizte" Stimmung geprägt. Der Angeklagte, der seinen Bruder bedroht wähnte und diesem bei- stehen wollte, befand sich ersichtlich in einem Zustand großer emotionaler Erregung. Er war zudem bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,81 Promille nicht unerheblich alkoholisiert. Die konkrete Tat entwickelte sich spontan aus einem dynamischen Geschehen. Diese Beweisanzeichen hätte das Landgericht erörtern müssen. Die Strafkammer hat jedoch jede Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein unterlassen und nur ihre auf den Angaben des Nebenklägers und weiterer Zeugen beruhende Überzeugung davon begründet, dass sich der Nebenkläger zum Zeitpunkt des gegen ihn gerichteten Trittes keines Angriffs versah. Dies gilt auch mit Blick auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Dort hat das Landgericht ebenfalls nicht zum Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten Stellung genommen, sondern lediglich dargelegt, ein längeres Überlegen oder ein planvolles Vorgehen werde für die Heimtücke nicht vorausgesetzt. Es genüge, wenn der Täter, einer raschen Eingebung folgend, die für ihn günstige Situation erfasse und sich zunutze mache ; genau das habe der Angeklagte hier getan. Die erforderlichen Erwägungen sind darüber hinaus nicht den Ausführungen des Landgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz oder zur wesentlich eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu entnehmen. Gründe, welche die unterlassenen Erörterungen ausnahmsweise entbehrlich machen, liegen nicht vor.
11
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III. 1. der Urteilsgründe. Damit kommt die in diesem Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten in Wegfall, so dass auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben kann. Die Schuldsprüche in den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe werden durch den dargelegten Rechtsfehler nicht berührt; insoweit hat das Urteil deshalb Bestand. Der Senat hebt gleichwohl auch in diesen Fällen die Einzelstrafen auf. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass sie von der Einsatzstrafe beeinflusst waren; zum anderen soll dem neuen Tatgericht, das u.a. über die Anwendbarkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu befinden haben wird, ermöglicht werden, über den Strafausspruch eine insgesamt in sich stimmige Entscheidung zu treffen.
12
Daneben entfällt die Grundlage der Adhäsionsentscheidung. Der Senat sieht mit Blick darauf, dass die Strafkammer die Höhe des Schmerzensgeldes, auf die sie erkannt hat, in lediglich einem Satz ausschließlich mit einem pauschalen Hinweis auf die vom Nebenkläger erlittenen Verletzungen begründet hat, Anlass für folgenden Hinweis:
13
Derartige rudimentäre, formelhafte Erwägungen genügen den Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch für die im Strafurteil getroffene Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche gilt, grundsätzlich nicht. Die Verurteilung zu Schmerzensgeld erfordert regelmäßig zumindest auch die ausdrückliche Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem (BGH, Urteil vom 27. September 1995 - 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; Urteil vom 21. August 1996 - 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5 jeweils mwN).
14
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginnt mit Ablauf der für die Staatsanwaltschaft laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn das Urteil dem Nebenkläger noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung des Urteils an ihn auch dann, wenn eine Entscheidung über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß noch nicht ergangen ist.

(2) War der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend oder durch einen Anwalt vertreten, so beginnt für ihn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auch dann mit der Verkündung des Urteils, wenn er bei dieser nicht mehr zugegen oder vertreten war; er kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nicht wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung beanspruchen. Ist der Nebenkläger in der Hauptverhandlung überhaupt nicht anwesend oder vertreten gewesen, so beginnt die Frist mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn.

(3) Hat allein der Nebenkläger Berufung eingelegt, so ist diese, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch für ihn ein Rechtsanwalt erschienen ist, unbeschadet der Vorschrift des § 301 sofort zu verwerfen. Der Nebenkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung unter den Voraussetzungen der §§ 44 und 45 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen.

(4) Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 496/12
vom
21. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Mordes u.a.
hier: Revisionen der Angeklagten J. und A. sowie
Revision des Nebenklägers F.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 21. Februar
2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten J. und A. wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 21. Juni 2012 mit den jeweiligen Feststellungen aufgehoben in den Fällen
a) II. 3.;
b) II. 4., soweit der Angeklagte A. verurteilt worden ist;
c) II. 5., soweit der Angeklagte J. verurteilt worden ist;
d) II. 6., insofern auch, soweit der Angeklagte O. verurteilt worden ist; sowie in den gesamten Rechtsfolgenaussprüchen. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten J. sowie die Revision des Nebenklägers F. werden verworfen. 3. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Angeklagten O. und A. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten J. und A. sowie den Mitangeklagten O. - jeweils unter Freispruch im Übrigen - wie folgt verurteilt: - den Angeklagten J. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl, wegen gefährlicher Körperverletzung in drei weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Jugendstrafe von acht Jahren, - den Angeklagten A. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Brandstiftung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, - den Angeklagten O. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Diebstahls sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren.
2
Es hat neben den verhängten Strafen gegen alle drei Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und - jeweils mit unterschiedlicher Dauer - den Vorwegvollzug der Strafen bestimmt.
3
Die Angeklagten J. und A. wenden sich mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, gegen ihre Verurteilungen. Der Angeklagte O. hat kein Rechtsmittel eingelegt.
4
Die Revisionen der Angeklagten J. und A. haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie im Fall II. 6. ihre Verurteilung wegen versuchten Mordes beanstanden.
5
Darüber hinaus ist das Rechtsmittel des Angeklagten J. auch insoweit begründet, als er sich gegen seine Verurteilung wegen besonders schweren Raubes im Fall II. 3. und wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II. 5. wendet. Der Angeklagte A. beanstandet zu Recht auch seine Verurteilung wegen Brandstiftung im Fall II. 4., so dass sich seine Revision als insgesamt begründet erweist.
6
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der weitergehenden Revision des Angeklagten J. hat keinen Rechtsfehler zu seinen Ungunsten ergeben. Das Rechtsmittel war daher insoweit gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
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I. Die Verurteilung der Angeklagten J. und A. im Fall II. 6. der Urteilsgründe ist auf die Sachrüge aufzuheben; auf die insoweit erhobenen Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.
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1. Das Landgericht hat zum Fall II. 6. im Wesentlichen festgestellt, dass die alkoholisierten Angeklagten in der Verdener Innenstadt auf den dort schlafenden T. trafen. Sie schlugen und traten in einer vom Landgericht nachvollziehbar als "Gewaltorgie" bezeichneten Aktion immer wieder wuchtig auf ihn ein, auch gegen seinen Kopf. Dadurch verursachten sie massive Verletzungen , die ohne eine umgehende, nur durch das zufällige Auffinden des bewusstlosen Opfers ermöglichte medizinische Versorgung binnen kurzer Zeit zum Tode geführt hätten.
9
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage seiner - auch zur subjektiven Seite - rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffend angenommen, dass sich die Angeklagten des versuchten Totschlags schuldig gemacht haben. Die Bewertung, dass sie dabei aus niedrigen Beweggründen handelten, hält der revisionsrechtlichen Prüfung indes nicht stand. Das Landgericht hat bei der Annahme niedriger Beweggründe nämlich allein auf das objektiv äußerst brutale Tatgeschehen abgestellt, ohne die für die einzelnen Angeklagten maßgeblichen subjektiven Beweggründe zu erörtern. Die Beurteilung, ob ein Beweggrund "niedrig" ist, setzt aber regelmäßig zunächst die Feststellung der Tatmotive voraus. Daran fehlt es hier.
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Zwar geht die Strafkammer im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Beurteilung niedriger Beweggründe einer Gesamtwürdigung bedarf, die alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren einschließt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692). Jedoch teilt das Urteil die tatsächlichen Beweggründe der Angeklagten nicht mit. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und der Feststellung, den Angeklagten sei zu Beginn des Geschehens unausgesprochen klar gewesen, dass man dem Geschädigten "nunmehr bei dieser Gelegenheit eine Abreibung verpassen wollte", ergibt sich nicht, welche Motive für die Täter maßgeblich waren. Es bleibt insbesondere offen, ob und gegebenenfalls für welchen der Täter handlungsleitend war, dass der Geschädigte mehre- re Jahre vor der Tat die Mutter des Angeklagten A. über einen längeren Zeitraum körperlich misshandelt hatte. Wäre dies für die Tatmotivation maßgeblich gewesen, hätte es jedenfalls in die erforderliche Gesamtwürdigung einbezogen werden müssen, wenngleich je nach den weiteren Umständen auch Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache als niedrige Beweggründe in Betracht kommen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35 mwN).
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3. Der Senat kann letztlich nicht sicher ausschließen, dass die Strafkammer bei Vornahme der erforderlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der subjektiven Faktoren keine niedrigen Beweggründe angenommen hätte.
12
Die danach erforderliche Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes ist auf den Mitangeklagten O. zu erstrecken (§ 357 StPO). Dies entzieht der gegen ihn verhängten Jugendstrafe und dem Maßregelausspruch die Grundlage.
13
II. Auf die Revision des Angeklagten J. ist im Übrigen seine Verurteilung in den Fällen II. 3. und II. 5. aufzuheben.
14
1. Im Fall II. 3. schlug der Angeklagte J. nach den Urteilsfeststellungen dem zufällig auf einer Straße angetroffenen M. zunächst kräftig mit der Faust ins Gesicht. Daraufhin trat der Begleiter des Angeklagten H. auf den inzwischen auf dem Boden liegenden Geschädigten ein; der Angeklagte J. schlug weiter zu. Während der Übergriffe nahm H. dem Opfer das Portemonnaie ab und gab es noch am Tatort dem Angeklagten J. .
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Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch (auch) wegen besonders schweren Raubes (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 und 3a StGB) nicht, da sich ihnen eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme nicht entnehmen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012- 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270 mwN). Die Feststellungen verhalten sich nicht zur subjektiven Tatseite. Auch die (die Wegnahme betreffenden) Erwägungen in der Beweiswürdigung, es habe sich ein gemeinschaftlicher Vorsatz entwickelt, der sukzessive in der Übergabe des Portemonnaies gegipfelt habe, lassen offen, ob der Gewalteinsatz erfolgte, um die Wegnahme zu ermöglichen. Allein der Umstand, dass die Wirkungen einer ohne Wegnahmeabsicht ausgeübten Gewalt andauern und der Täter dies zur Wegnahme ausnutzt, genügt indes für die Annahme eines Raubes nicht (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 3 StR 68/12 aaO).
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2. Die Feststellungen zu Fall II. 5. tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) nicht, da aus diesen nicht zu ersehen ist, dass der Angeklagte J. die Qualifikationsmerkmale verwirklicht hat. Danach schlug der Angeklagte dem Nebenkläger F. einmal wuchtig mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser zu Boden ging. Daraufhin bildete sich eine Menschentraube um den Geschädigten, aus der heraus er geschlagen und getreten wurde, während der Angeklagte J. drohend in der Menschenansammlung stehen blieb.
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Dies allein genügt nicht, um ihm die Handlungen der weiteren, erst nach seiner Tathandlung zusammengekommenen Personen mittäterschaftlich zuzurechnen. Mittäterschaft setzt nämlich voraus, dass jeder Beteiligte im Sinne eines zumindest konkludent gefassten gemeinschaftlichen Willensentschlusses seine eigene Tätigkeit durch die Handlung des anderen ergänzen und auch diese sich zurechnen lassen will, dass somit alle im bewussten und gewollten Zusammenwirken handeln (BGH, Beschluss vom 19. Februar 1997 - 3 StR 21/97, NStZ 1997, 336). Ein solches - möglicherweise auch unausgesprochenes - gegenseitiges Einverständnis ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die subjektive Tatseite wird insoweit nicht erörtert. Aus der Feststellung, die Gruppe habe den Angeklagten als stadtbekannten Verdener gegenüber dem auswärtigen Studenten F. unterstützen wollen, ergibt sich nicht, dass im Gegenzug die Handlungen aus der Gruppe mit dem Einverständnis des Angeklagten geschahen.
18
3. Die danach erforderliche Aufhebung der Schuldsprüche im Fall II. 3. wegen besonders schweren Raubes und im Fall II. 5. wegen gefährlicher Körperverletzung erstreckt sich auch auf die jeweils dazu in Tateinheit stehenden Delikte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325, 328 mwN).
19
Mit der Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. 3., II. 5. und II. 6. ist die Grundlage für die Einheitsjugendstrafe und die Unterbringungsanordnung entfallen, so dass die gesamte Rechtsfolgenentscheidung keinen Bestand haben kann.
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III. Auf die Revision des Angeklagten A. ist auch die Verurteilung im Fall II. 4. wegen Brandstiftung in Tateinheit mit Diebstahl (§ 242 Abs. 1, § 306 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB) aufzuheben, weil ein zumindest bedingter Brandstiftungsvorsatz nicht belegt ist.
21
Nach den Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte A. mit einem Feuerzeug Brandzeichen an die Wand eines "Hähnchenwagens" schreiben und sich so dort "verewigen". Bei der Aktion geriet der Wagen in Brand und brannte aus. Dass der Angeklagte A. diesen Verlauf für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, folgt daraus nicht ohne Weiteres. Die Strafkammer hat nicht dargelegt, woraus sie auf den von ihr (im Rahmen der rechtlichen Würdigung) angenommenen Eventualvorsatz geschlossen hat. Entsprechende Ausführungen waren hier nach den Gesamtumständen nicht entbehrlich, zumal die Ursachen für die schnelle Brandentwicklung ungeklärt geblieben sind.
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Die Aufhebung der Verurteilung wegen Brandstiftung erstreckt sich auch auf den tateinheitlichen Diebstahl.
23
IV. Die Revision des Nebenklägers F. ist insgesamt zulässig, aber (soweit sie zu Lasten der Angeklagten eingelegt ist) unbegründet.
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1. Das Rechtsmittel des Nebenklägers ist auch hinsichtlich des Angeklagten A. zulässig; denn aus der Revisionsbegründung ergibt sich, dass sich die Revision gegen dessen Freispruch wendet und eine Verurteilung (zumindest ) wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung erstrebt. Der Senat kann über die Revision insoweit ebenfalls durch Beschluss entscheiden, da die vorrangig auf eine Verwerfung nach § 349 Abs. 1 StPO gerichtete Antragsschrift des Generalbundesanwalts für den Fall der Zulässigkeit eine Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO begehrt.
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2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der - Fall II. 5. betreffenden - Revisionsbegründung des Nebenklägers hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten J. , A. und O. erbracht. Die entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO gebotene Nachprüfung auch zugunsten der Rechtsmittelgegner (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86, NStE Nr. 22 zu § 46 StGB; Beschluss vom 12. Januar 2010 - 4 StR 589/09, NStZ 2010, 512 f.) hat allein den bereits (oben unter II. 2.) aufgezeigten Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten J. ergeben.
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V. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Revision des Nebenklägers beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO. Der Nebenkläger hat lediglich die durch seine Revision entstandenen Auslagen der Angeklagten O. und A. zu tragen, die hinsichtlich der ihn betreffenden Tat kein Rechtsmittel eingelegt haben. Demgegenüber hat er die Auslagen des Angeklagten J. nicht zu erstatten, da dieser bezüglich der den Nebenkläger betreffenden Tat selbst Revision eingelegt hat und somit kein alleiniges Rechtsmittel des Nebenklägers im Sinne des § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO gegeben ist (vgl. LöweRosenberg /Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 93).
Tolksdorf Pfister Es sind durch Urlaub verhindert: RiBGH Hubert an der Unterschriftsleistung ; PräsBGH Prof. Dr. Tolksdorf an der Feststellung der Verhinderung. Pfister Mayer Spaniol

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.