Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2017 - XII ZB 88/17

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:120717BXIIZB88.17.0
published on 12/07/2017 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2017 - XII ZB 88/17
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Amtsgericht Meppen, XVII S 42/16, 26/07/2016
Landgericht Osnabrück, 7 T 496/16, 09/01/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 88/17
vom
12. Juli 2017
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Sachverständige muss in einer Betreuungssache schon vor der Untersuchung
des Betroffenen gerichtlich bestellt worden sein und dem Betroffenen
den Zweck der Untersuchung eröffnen (Fortführung des Senatsbeschlusses
vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - FamRZ 2015, 1706).
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 - XII ZB 88/17 - LG Osnabrück
AG Meppen
ECLI:DE:BGH:2017:120717BXIIZB88.17.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 9. Januar 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen die Bestellung eines Betreuers.
2
Nachdem der Fachbereich Gesundheit des Landkreises E. beim Amtsgericht angeregt hatte, für den Betroffenen eine Betreuung einzurichten, hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen, des für ihn bestellten Verfahrens- pflegers und der Betreuungsstelle des Landkreises den Beteiligten zu 2 als Be- treuer mit dem Aufgabenkreis „sämtliche Angelegenheiten einschließlich der Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post“ bestellt. Die dagegen gerichte- te Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene sich weiterhin gegen die Einrichtung einer Betreuung wendet.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
4
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, nach § 1908 d Abs. 1 BGB sei eine Betreuung aufzuheben, wenn deren Voraussetzungen weggefallen sind. Als Voraussetzung für eine Betreuung nenne § 1896 Abs. 1 BGB, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen könne. Diese Voraussetzungen lägen weiterhin vor. Nach dem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen H. bestehe beim Betroffenen eine paranoide Schizophrenie in chronischem Zustand mit einer vorrangigen Minussymptomatik, die dazu führe, dass der Betroffene zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage sei. Der Betroffene gefährde mit seinem Verhalten sich selbst und Dritte. Dagegen sei es dem Betroffenen nicht gelungen, die Ergebnisse des psychiatrischen Gutachtens zu entkräften oder eine nachweisbare Verbesserung seines geistigen Gesundheitszustands darzulegen. Dies folge insbesondere aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen, da eine sachliche und sinnvolle Verständigung mit ihm nicht möglich gewesen sei. Dass bei dem Betroffenen ausweislich des Entlassungsberichts des AMEOS Klinikums Osnabrück vom 24. Juli 2015 lediglich eine akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie vorliege, könne gegenüber dem nachfolgenden Sachverständigengutachten keine abweichende Beurteilung rechtfertigen. An der gerichtlich angeordneten erneuten Begutachtung habe der Betroffene nicht mitgewirkt.
5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Bereits im Ansatz verfehlt ist die Prüfung der Aufhebung der Betreuung gemäß § 1908 d BGB, denn Gegenstand des Verfahrens ist die – erstmalige – Bestellung eines Betreuers.
7
b) Die Rechtsbeschwerde rügt zudem zu Recht, dass das psychiatrische Gutachten des Fachbereichs Gesundheit des Landkreises E. den Anforderungen des § 280 FamFG nicht gerecht wird.
8
aa) Vor der Bestellung eines Betreuers hat nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG iVm § 30 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und dem Betroffenen den Zweck der Untersuchung eröffnen (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 – XII ZB 600/14 – FamRZ 2015, 1706 Rn. 7). Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar. Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen. Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, kann das Gericht gemäß § 283 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG seine Vorführung anordnen (Senatsbeschluss vom 27. April 2016 - XII ZB 611/15 - FamRZ 2016, 1149 Rn. 8 mwN).
9
bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht , weil weder das Amts- noch das Landgericht in förmlicher Beweisaufnahme ein Sachverständigengutachten eingeholt haben.
10
Das Amtsgericht hat die Anregung des Landkreises E. auf Einrichtung einer Betreuung zu Unrecht als Gutachten iSd § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG behandelt. Zwar ist das Schreiben vom Facharzt für Psychiatrie H. unterzeichnet und im Betreff als „Fachärztliches Gutachten zur Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung“ bezeichnet. Der Sachverständige wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt als gerichtlicher Sachverständiger bestellt. Die Anregung erfolgte vielmehr aus Eigeninitiative, nachdem der Sozialpsychiatrische Dienst des Landkreises wiederholt von Dritten (Polizei, Nachbarn, Vermieter) Hinweise auf ein extrem auffälliges Verhalten des Betroffenen erhalten hatte.
11
Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht daher durch Beschluss vom 18. Oktober 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers angeordnet. Nachdem der Betroffene trotz wiederholter Anschreiben an der Begutachtung nicht mitgewirkt hatte, hat das Landgericht weiter zutreffend die Anordnung der Vorführung zur gutachterlichen Untersuchung angekündigt. Warum nach einer persönlichen Anhörung des Betroffenen am 9. Januar 2017 nicht entsprechend der Ankündigung verfahren wurde, ergibt sich weder aus dem Anhörungsprotokoll noch aus der angefochtenen Entscheidung. Selbst wenn der Betroffene eine erneute psychiatrische Begutachtung ablehnt, kann ohne weitere Ermittlungen nicht ausgeschlossen werden, dass die gerichtlich bestellte Sachverständige sich durch einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen im Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Unterlagen eine ausreichende Grundlage verschaffen kann, um sich ein eigenständiges Bild vom Betroffenen zu machen, welches ihr eine gutachterliche Einschätzung erlaubt.
12
3. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil weitere Ermittlungen erforderlich sind.
13
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG). Dose Schilling Günter Guhling Krüger
Vorinstanzen:
AG Meppen, Entscheidung vom 26.07.2016 - 4 XVII S 42/16 -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 09.01.2017 - 7 T 496/16 -
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig
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published on 27/04/2016 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 611/15 vom 27. April 2016 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG §§ 26, 37 Abs. 2, 280; ZPO § 411 a a) Lehnt der Betroffene die Befragung und körperliche Untersuchun
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Annotations

(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.

(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.

(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:

1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung,
2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse,
3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen,
4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und
5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.

(1) Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es die entscheidungserheblichen Tatsachen durch eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung feststellt.

(2) Eine förmliche Beweisaufnahme hat stattzufinden, wenn es in diesem Gesetz vorgesehen ist.

(3) Eine förmliche Beweisaufnahme über die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung soll stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird.

(4) Den Beteiligten ist Gelegenheit zu geben, zum Ergebnis einer förmlichen Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, soweit dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich ist.

(1) Das Gericht kann anordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird. Der Betroffene soll vorher persönlich angehört werden.

(2) Gewalt darf die Behörde nur anwenden, wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat. Die zuständige Behörde ist befugt, erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen.

(3) Die Wohnung des Betroffenen darf ohne dessen Einwilligung nur gewaltsam geöffnet, betreten und durchsucht werden, wenn das Gericht dies zu dessen Vorführung zur Untersuchung ausdrücklich angeordnet hat. Vor der Anordnung ist der Betroffene persönlich anzuhören. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung durch die zuständige Behörde ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgen. Durch diese Regelung wird das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes eingeschränkt.

(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.

(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.

(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:

1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung,
2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse,
3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen,
4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und
5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.