Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2011 - XII ZB 691/10

bei uns veröffentlicht am29.06.2011
vorgehend
Amtsgericht Mannheim, 6 F 239/09, 20.08.2010
Oberlandesgericht Karlsruhe, 16 UF 179/10, 08.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 691/10
vom
29. Juni 2011
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2011 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke sowie die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Dezember 2010 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen. Beschwerdewert: 30.000 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Mit einem am 28. August 2009 beim Familiengericht eingegangenen Schriftsatz hat der Ehemann Scheidungsantrag gestellt. Im weiteren Verfahren haben die Parteien über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen vor der Ehe geschlossenen notariellen Ehevertrages gestritten. Durch Zwischenurteil vom 20. August 2010 hat das Amtsgericht die Wirksamkeit des Ehevertrages festgestellt. Das Zwischenurteil wurde der Antragsgegnerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 25. August 2010 zugestellt. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragsgegnerin Rechtsmittel eingelegt und dieses mit einem am 29. Oktober 2010, somit verspätet eingegangenen Schriftsatz begründet.
2
Auf richterlichen Hinweis vom 2. November 2010 hat die Antragsgegnerin am 15. November 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der sachbearbeitenden Rechtsanwältin sei die Handakte erst am 29. Oktober 2010 durch die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte vorgelegt worden, obgleich die Rechtsmittelbegründungsfrist sowie eine auf den 18. Oktober 2010 datierte Vorfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen gewesen seien. Diesen Sachverhalt haben die Prozessbevollmächtigte und die Kanzleiangestellte eidesstattlich versichert, wobei sie zunächst den 19. Oktober 2010 als Vorlagedatum versichert, dieses später jedoch als ein Schreibversehen bezeichnet und durch korrigierte eidesstattliche Versicherungen schließlich den 29. Oktober 2010 als Vorlagedatum versichert haben.
3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach der ersten Glaubhaftmachung sei die Handakte noch innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist am 19. Oktober 2010 vorgelegt worden, so dass Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich seien. An der Richtigkeit der zuletzt abgegebenen, korrigierten eidesstattlichen Versicherungen bestünden erhebliche Zweifel. Weder sei das Schreibversehen nachvollziehbar noch sei plausibel, weshalb die im Fristenkalender auf den 18. Oktober notierte Aktenvorlage dann am 29. Oktober erfolgt sei.

II.

4
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN).
6
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die fristgebundene Maßnahme rechtzeitig ergriffen wird. Ist dies geschehen, darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10 - juris mwN).
7
Die zuverlässige Fristenkontrolle muss der Prozessbevollmächtigte selbst organisieren. Er muss sicherstellen, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristgebundene Maßnahme durchgeführt, die Handakte also anlässlich der Vorfrist vorgelegt bzw. der fristwahrende Schriftsatz bei Ablauf der Notfrist postfertig gemacht worden ist. Dabei muss der Prozessbevollmächtigte auch Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern (BGH Beschluss vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - NJW 1997, 3177 mwN).
8
3. Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin die Fristversäumung nicht ausreichend entschuldigt. Denn nach ihrem eigenen Vorbringen waren sowohl der 18. Oktober - als Vorfrist für die Vorlage der Handakte - als auch noch einmal der Tag des eigentlichen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist korrekt im Fristenkalender eingetragen. Dass diese Eintragungen gleichwohl nicht dazu führten, dass die Handakte tatsächlich rechtzeitig vorgelegt und die Rechtsmittelbegründung rechtzeitig gefertigt worden sei, ließe nur den Schluss zu, dass entweder im Laufe beider Tage die Frist im Kalender als erledigt gekennzeichnet worden wäre, ohne dass die zu veranlassende Maßnahme tatsächlich ergriffen war, oder am Ende beider Tage versäumt worden wäre, die Erledigung aller fristgebundener Sachen anhand des Fristenkalenders zu überprüfen. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, welche dieser möglichen Fehler tatsächlich ursächlich war, geschweige denn hat sie den Fehler genügend entschuldigt. Die schlichte Angabe, die Handakte sei, und zwar gleich zweimal, von der sonst zuverlässigen Bürokraft nicht zu den im Fristenkalender notierten Terminen vorgelegt worden, genügt ohne eine in sich geschlossene Darstel- lung, durch welche Umstände es zu den Fehlern kommen konnte, welche Vorkehrungen zur Vermeidung der Fehler der Prozessbevollmächtigte zuvor ergriffen hatte und warum diese Vorkehrungen in dem konkreten Fall gleich zweimal nicht gegriffen haben, nicht.
Hahne Weber-Monecke RiBGH Dr. Klinkhammer ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben Hahne Schilling Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
AG Mannheim, Entscheidung vom 20.08.2010 - 6 F 239/09 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 08.12.2010 - 16 UF 179/10 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 236 Wiedereinsetzungsantrag


(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste

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(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

6
Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227; Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192). Dies bedeutet, dass einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen versagt werden darf, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchskörpers auch nicht rechnen musste.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 6/10
vom
12. April 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Eine fristwahrende Maßnahme darf im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden
, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts
eingelegt wird und das Postausgangsfach "letzte Station" auf dem Weg zum
Adressaten ist.

b) Das Postausgangsfach ist nicht "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten,
wenn eine Mitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftsätze
noch in Umschläge einsortieren muss.
BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 6/10 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2011 durch den Vorsitzenden
Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen und die
Richter Pauge und Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2010 wird auf Kosten der Klägerin verworfen. Beschwerdewert: bis 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat dem Schadensersatzanspruch durch Urteil vom 28. August 2009 teilweise stattgegeben. Gegen das am 7. September 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 2. Oktober 2009 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nachdem bis zum 11. November 2009 weder eine Berufungsbegründung noch ein Fristverlängerungsantrag übermittelt worden war, hat der Vorsitzende des Senats beim Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
2
Daraufhin ist am 17. November 2009 die Berufungsbegründung eingegangen , verbunden mit dem Antrag, der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 4. November 2009 diktiert. In dem Diktat habe er - wie üblich - die Anweisung gegeben, die Berufungsbegründungsfrist nach Ausfertigung und Unterzeichnung des betreffenden Schriftsatzes als erledigt zu kennzeichnen. Die Berufungsbegründung habe die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte P. am Tag des Diktats erstellt und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt. Anschließend habe sie diese weisungsgemäß als erledigt gekennzeichnet und den Schriftsatz in das Postausgangsfach des Büros gelegt. Gegen 16.45 Uhr habe dann - wie jeden Tag - eine Büromitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftstücke in einen Postbriefkasten eingeworfen.
3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten werde das Postausgangsfach dazu genutzt, die Sendungen zu sammeln, die am gleichen Tag per Briefpost das Haus verlassen sollten. Die Schriftstücke würden dort in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und gegen 16.45 Uhr zum Briefkasten gebracht. Es entspreche nicht den Anforderungen an die Büroorganisation, die Frist zur Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des Schriftsatzes und Unterzeichnung als erledigt zu kennzeichnen. Zudem sei das Postausgangsfach nicht die "letzte Station" vor dem Verbringen zum Briefkasten gewesen, weil die in dem Postausgangsfach befindlichen Schriftsätze noch nicht postfertig seien, sondern dort lediglich gesammelt würden, bis eine Mitarbeiterin sie in Umschläge einsortiere und mit Briefmarken versehe. Dies entspreche nicht den Vorgaben der Rechtsprechung.

II.

4
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen , nicht erfüllt sind.
5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch deren rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713 Rn. 6; vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 5, jeweils mwN).
6
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat auch die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.
7
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs , ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05, VersR 2006, 1563, 1564; BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, VersR 2002, 380, 381; vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02, BGH-Report 2003, 1035 f.; vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 7). Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05, aaO; BGH, Beschluss vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, aaO). Einen Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, hat der Bundesgerichtshof ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist; vielmehr genügt die Glaubhaftmachung , dass der Verlust mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in dem Bereich eingetreten ist, für den die Partei - auch über die Zurechnung des Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO - verantwortlich ist (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, aaO).
8
b) Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze berücksichtigt. Der Bundesgerichtshof stellt maßgeblich darauf ab, dass der fristwahrende Schriftsatz postfertig in das Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (BGH, Beschluss vom 9. September 1997 - IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446, 3447).
9
Diese Voraussetzungen waren in den von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidungen des III. Zivilsenats (Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, aaO) und des I. Zivilsenats (Beschluss vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02, aaO) erfüllt. Dem Urteil des III. Zivilsenats lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Prozessbevollmächtigte das für das Gericht bestimmte Original der Berufungsbegründung unterzeichnet sowie selbst kuvertiert und zur Poststelle seiner Kanzlei gebracht hatte und danach die dort lagernden Briefe nur noch von Mitarbeitern frankiert und unmittelbar zum Briefkasten gebracht werden mussten. In dem Fall, der dem Beschluss des I. Zivilsenats zugrunde lag, wurde der Schriftsatz ohne Kuvert in den für die Gerichtspost bestimmten Postkorb der Kanzlei gelegt und die im Postkorb befindliche Gerichtspost nach der allgemeinen Anweisung anschließend von einem zuverlässigen Boten zur allgemeinen Einlaufstelle der Justizbehörden gebracht. In diesen Fällen war - abgesehen von der Frankierung der Post im Fall des III. Zivilsenats - der Schriftsatz postfertig vorbereitet und konnte dann vom Boten zum Briefkasten bzw. der Posteinlaufstelle des Gerichts gebracht werden.
10
Die im Streitfall vorgetragene allgemeine Anweisung in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist anders gelagert. Hier wurde die Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des Schriftsatzes und Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten sowohl im elektronischen als auch im Handfristenkalender als erledigt gekennzeichnet. Zudem wurde nach der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten das Postausgangsfach dafür genutzt, die Post zu sammeln, die am gleichen Tage per Briefpost herausgehen sollte. Dieses Fach wurde an jedem Werktag von einer Mitarbeiterin geleert, die Briefe wurden in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und dann zum Briefkasten der Deutschen Post verbracht. Die Kennzeichnung als erledigt erfolgte also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Schriftsatz weder abgesandt noch zumindest postfertig gemacht worden war. Auch nachdem die das Diktat des Rechtsanwalts bearbeitende Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte den Schriftsatz in das Postausgangsfach gelegt hatte, war dieser noch nicht postfertig, weil eine Mitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortieren musste. Zwar hat die Rechtsprechung das bloße Frankieren der Briefe als unschädlich angesehen, jedoch kann man bei der vorliegenden allgemeinen Anweisung nicht davon ausgehen, dass der Schriftsatz in dem Sinne postfertig in das Postausgangsfach als "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten gelegt wurde, dass er unmittelbar zum Briefkasten gebracht werden konnte. Anders als in dem Fall, dass der unkuvertierte Brief so, wie er in das Postausgangsfach gelegt wird, vom Boten zur Eingangsstelle des Gerichts gebracht wurde, war bei der im Streitfall glaubhaft gemachten allgemeinen Anweisung der weitere Zwischenschritt des Kuvertierens erforderlich, bevor die Sendung postfertig war und im nächsten Schritt zur Post gebracht werden konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - XII ZB 132/08, juris Rn. 11), wodurch die Gefahr entstand, dass der Schriftsatz in ein anderes Kuvert gerät und die Frist nicht eingehalten wird.
11
3. Nach allem ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), weil die Kanzleianweisung ihres Prozessbevollmächtigten den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprach. Die Rechtsbeschwerde war mithin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Galke Zoll Diederichsen Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 28.08.2009 - 3 O 3227/06 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 25.01.2010 - 5 U 124/09 -