Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:270618BXIIZB559.17.0
bei uns veröffentlicht am27.06.2018
vorgehend
Amtsgericht Speyer, 73 XVII 86/16, 31.01.2017
Landgericht Frankenthal (Pfalz), 1 T 165/17, 06.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 559/17
vom
27. Juni 2018
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Lässt der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten
als möglich erscheinen, ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers
für den Betroffenen nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig auch
dann erforderlich, wenn in der abschließenden Entscheidung eine Betreuerbestellung
unterbleibt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013
- XII ZB 280/11 - FamRZ 2014, 378).
BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17 - LG Frankenthal (Pfalz)
AG Speyer
ECLI:DE:BGH:2018:270618BXIIZB559.17.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juni 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 6. Oktober 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Wert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Der Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz und ist zu einer freien Willensbildung nicht mehr in der Lage. Er hat eine auf den 3. Januar 2016 datierte umfassende Vorsorgevollmacht unterschrieben, in der zwei seiner Töchter - die Beteiligten zu 3 und 4 - als Bevollmächtigte und seine anderen beiden Töchter - die Beteiligten zu 1 und 2 - als Ersatzbevollmächtigte benannt sind.
2
Mit Schreiben vom 9. März 2016 hat die Beteiligte zu 1 die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Die Vollmacht vom 3. Januar 2016 hält sie für unwirksam.
3
Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt und das Verfahren eingestellt. Die hiergegen von der Beteiligten zu 1 eingelegte (vom Landgericht unzutreffend als sofortige Beschwerde bezeichnete) Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beteiligte zu 1 weiterhin die Einrichtung einer Betreuung, hilfsweise einer Kontrollbetreuung , für den Betroffenen.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
5
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
6
Eine Betreuung für den Betroffenen sei nicht erforderlich, weil durch die Vorsorgevollmacht die Möglichkeit bestehe, die Belange des Betroffenen ebenso gut wie durch eine Betreuung zu besorgen. Die Unwirksamkeit der Vollmacht könne nicht positiv festgestellt werden, weil eine Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung nicht sicher feststellbar sei. Auch durchgreifende Bedenken gegen die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr seien nicht ersichtlich. Die bei den Beteiligten zu 1 und zu 4 bestehenden Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht stünden dem nicht entgegen.
7
2. Diese Ausführungen beruhen auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterblieben ist.
8
a) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom 23. August 2017 - XII ZB 611/16 - FamRZ 2017, 1865 Rn. 6 mwN).
9
Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht es, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verbleiben, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers , wenn die verbleibenden Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 23. August 2017 - XII ZB 611/16 - FamRZ 2017, 1865 Rn. 7 mwN).
10
b) Gemessen hieran kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.
11
aa) Zwar wurde eine Betreuung für den Betroffenen letztlich nicht angeordnet. Bei der für die Prüfung, ob ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist, erforderlichen ex-ante-Betrachtung (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 280/11 - FamRZ 2014, 378 Rn. 8) war jedoch davon auszugehen, dass der von der möglicherweise anzuordnenden Betreuung erfasste Aufgabenkreis in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Lebensbereiche des Betroffenen umfassen und die einzelnen, verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum mehr belassen würden. Zwar hatte die Beteiligte zu 1 zunächst nur eine Betreuung in dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten , Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten angeregt. Schon in dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten ist jedoch zusätzlich die Übertragung der Gesundheitsfürsorge auf einen Betreuer sowie die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes vorgeschlagen worden. Im weiteren Verfahren hat sich der Betroffene als eindeutig geschäftsunfähig herausgestellt. Er ist in sämtlichen Lebensbereichen nicht mehr in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten ist nur unterblieben, weil Amtsgericht und Beschwerdegericht die erteilte Vorsorgevollmacht für wirksam und ausreichend angesehen haben, um die Belange des Betroffenen ebenso gut wie eine Betreuung zu wahren. Damit war Gegenstand des Verfahrens ein Auf- gabenkreis, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst, so dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG grundsätzlich erforderlich war.
12
bb) Da die Interessen des Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 276 Abs. 4 FamFG vertreten worden sind, hätte nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden können.
13
cc) Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte. Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828 Rn. 11). Weil das Landgericht entgegen § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht begründet hat, warum es keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, kann der Senat weder prüfen, ob es von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist.
14
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
15
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Klinkhammer Günter Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Speyer, Entscheidung vom 31.01.2017 - 73 XVII 86/16 -
LG Frankenthal (Pfalz), Entscheidung vom 06.10.2017 - 1 T 165/17 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17 zitiert 3 §§.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 276 Verfahrenspfleger


(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn1.von der persönlichen Anhörung des Betr

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - XII ZB 559/17 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. März 2016 - XII ZB 203/14

bei uns veröffentlicht am 16.03.2016

Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. März 2014 aufgehoben.

Referenzen

(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn

1.
von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder
2.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den erklärten Willen des Betroffenen erfolgen soll.

(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.

(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.

(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.

(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.

(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.

(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.

(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. März 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat für die inzwischen 84-jährige Betroffene eine Betreuung für die Aufgabenkreise Widerruf der Vollmacht, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Wohnungsangelegenheiten, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und der Entscheidung über den Fernmeldeverkehr eingerichtet. Für den Bereich der Vermögenssorge hat es einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

2

Anlass für die Einrichtung der Betreuung war die Überlassung eines Geldbetrages in Höhe von 11.300 € seitens der Betroffenen an einen ihr nur flüchtig bekannten jungen Mann. Zur Betreuerin ist eine ihrer Töchter, die Beteiligte zu 3, bestellt worden. Die Betroffene, die die Betreuung ablehnt, hatte einer weiteren Tochter, der Beteiligten zu 1, am 16. Oktober 2011 eine Vorsorgevollmacht für Gesundheits- und Aufenthaltsangelegenheiten erteilt.

3

Das Landgericht hat die Beschwerde der Betreuerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Betreuerin weiterhin die Aufhebung der Betreuung.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

5

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Nach dem Gutachten des Sachverständigen Z.   leide die Betroffene an einer psychischen Erkrankung in Form einer leicht- bis mittelgradigen vaskulären Demenz. Zu einer freien Willensbestimmung sei sie nicht in der Lage. Die Vorsorgevollmacht stehe einer Betreuung auch für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung nicht entgegen, denn die Beteiligte zu 1 lehne eine Tätigkeit als Vorsorgebevollmächtigte ab, falls die Beteiligte zu 3 die Betreuung übernehme. Um widersprechende Handlungen der Bevollmächtigten und der Betreuerin zu vermeiden, sei der Widerruf der Vorsorgevollmacht erforderlich. Demzufolge sei der entsprechende Aufgabenkreis zu Recht in die Betreuung aufgenommen worden. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen könne abgesehen werden, da diese von dem Amtsgericht durchgeführt worden sei und aufgrund der Kürze der Zeit sowie der Erkrankung der Betroffenen neue Erkenntnisse nicht zu erwarten seien.

6

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

7

a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.

8

aa) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2014 - XII ZB 289/13 - FamRZ 2014, 648 Rn. 6 f.; vom 7. August 2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 Rn. 10; vom 28. September 2011 - XII ZB 16/11 - FamRZ 2011, 1866 Rn. 8 und vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 9 f.).

9

bb) Nach diesen Maßgaben ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2014 - XII ZB 289/13 - FamRZ 2014, 648 Rn. 6; vom 7. August 2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 Rn. 11; vom 28. September 2011 - XII ZB 16/11 - FamRZ 2011, 1866 Rn. 9 und vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 13).

10

cc) Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt, wie bereits der Blick auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis verdeutlicht. Die Betreuerin hat in allen wesentlichen Lebensbereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung der Betroffenen.

11

dd) Da die Interessen der Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 276 Abs. 4 FamFG vertreten worden sind, hätte nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden können. Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte (Senatsbeschlüsse vom 7. August 2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 Rn. 13; vom 28. September 2011 - XII ZB 16/11 - FamRZ 2011, 1866 Rn. 13 und vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 15). Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.

12

ee) Zu Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass der angefochtene Beschluss des Landgerichts - wie bereits die Entscheidung des Amtsgerichts - eine Begründung für die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht enthält. Deshalb lässt sich weder feststellen, aus welchen Erwägungen von der Anordnung einer Verfahrenspflegschaft abgesehen worden ist, noch dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei zustande gekommen wäre. Der angefochtene Beschluss ist demzufolge verfahrensfehlerhaft ergangen.

13

b) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf dem Verfahrensfehler. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Beschwerdegericht nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

14

3. Deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird einen Verfahrenspfleger zu bestellen und nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben.

15

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, ist die Übertragung des Aufgabenkreises Widerruf der Vollmacht auf eine (Kontroll-)Betreuerin an besondere Voraussetzungen geknüpft, die insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen (Senatsbeschlüsse vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 14 ff. und vom 28. Juli 2015 - XII ZB 674/14 - FamRZ 2015, 1702 Rn. 33 ff.). Mit diesen Voraussetzungen wird sich das Landgericht ebenfalls auseinanderzusetzen haben.

17

5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose                       Weber-Monecke                          Klinkhammer

              Günter                                    Guhling

(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn

1.
von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder
2.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den erklärten Willen des Betroffenen erfolgen soll.

(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.

(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.

(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.

(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.

(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.

(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.

(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.