Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Aug. 2016 - XII ZB 531/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. August 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Der 72-jährige Betroffene erstrebt die Aufhebung seiner Betreuung.
- 2
- Für ihn wurde im Juni 2013 nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge eingerichtet und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Im Laufe des Jahres 2013 wurde die Betreuung um die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Wohnungs- und Mietangelegenheiten sowie Angelegenheiten betreffend Post und elektronischen Rechtsverkehr erweitert.
- 3
- Im September 2014 hat der Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt. Auf die Mitteilung des Amtsgerichts, dass es ohne Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses keine Veranlassung zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens sehe, hat der Betroffene im April 2015 seinen Aufhebungsantrag wiederholt und ein ärztliches Attest vorgelegt, welches dem Betroffenen bescheinigte, dass „keinerlei Hinweise für eine ausreichende, eine gesetzliche Betreuung rechtfertigende Hirnleistungsschwäche“ bestünden. Das Amtsgericht hat hiernach den Arzt für Psychiatrie Dr. N. mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt und nach der Vorlage dieses Gutachtens den Aufhebungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
- 5
- 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Betreuung nicht weggefallen seien. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Dr. N. bestehe bei dem Betroffenen eine anhaltende wahnhafte Störung; krankheitsbedingt zeige der Betroffene ein ausgeprägtes, seit Jahren bestehendes Wahnsystem. Zur Regelung seiner Angelegenheiten sei er nicht mehr in der Lage. In finanziellen Angelegenheiten neige der Betroffene bei stark eingeschränkter Einsichts- und Kritikfähigkeit dazu, hochspekulative Finanztransaktionen durchzuführen. Er könne krankheitsbedingt nicht das Risiko er- kennen, zum Opfer betrügerischer Absichten zu werden, namentlich im Zusammenhang mit der Erbringung von Zahlungen für die angebliche Vermittlung von Millionenkrediten aus Afrika. Die Ablehnung der Betreuung sei infolge der Krankheits- und Behandlungsuneinsichtigkeit des Betroffenen als krankheitsbedingte Entscheidung zu werten, so dass die Betreuung auch gegen den Willen des Betroffenen anzuordnen sei. Auch die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts seien erfüllt. Der Betroffene sei geschäftsunfähig. Ohne den Einwilligungsvorbehalt würde der Betroffene regelmäßig immer höhere Beträge für die Vermittlung eines millionenschweren Darlehens zahlen, welches ihm über eine Internetadresse in Aussicht gestellt worden sei. Im Umgang mit seinem Geld sei der Betroffene sehr leicht beeinflussbar, während seine Geschäftsunfähigkeit gleichzeitig für Geschäftspartner nicht unmittelbar erkennbar sei.
- 6
- 2. Dies hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hätte nicht über die Beschwerde entscheiden dürfen, ohne den Betroffenen vorher persönlich anzuhören.
- 7
- a) Gemäß § 294 Abs. 1 FamFG gelten für die Aufhebung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts die §§ 279 Abs. 1, 3 und 4, 288 Abs. 2 Satz 1 FamFG entsprechend. Nicht erfasst von der Verweisung wird zwar § 278 Abs. 1 FamFG, der die persönliche Anhörung des Betroffenen vorschreibt. Dies ändert aber nichts daran, dass auch im Aufhebungsverfahren die allgemeinen Verfahrensregeln, insbesondere die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und der Amtsermittlung (§ 26 FamFG), zu beachten sind. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Nach den Maßstäben des § 26 FamFG bestimmt sich, ob im Einzelfall auch im Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen ist, um dem Gericht dadurch einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2016 - XII ZB 363/15 - FamRZ 2016, 1350 Rn. 8 und vom 2. Februar 2011 - XII ZB 467/10 - FamRZ 2011, 556 Rn. 9 f. und 20).
- 8
- b) Da über Art und Umfang der Ermittlungen grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit lediglich eine Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung , ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat und die rechtliche Würdigung auf einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2016 - XII ZB 363/15 - FamRZ 2016, 1350 Rn. 9). Im Einzelfall mag es dabei rechtlich unbedenklich sein, von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren abzusehen, wenn sich sein Begehren nach Aufhebung der Betreuung von vornherein als eine offenkundig aussichtslose oder querulatorisch erscheinende Eingabe darstellt (vgl. OLG Zweibrücken BtPrax 1998, 150; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 449, 450). Eine Anhörung des Betroffenen ist demgegenüber auch im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 und vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 13 zur erneuten Anhörung des Betroffenen bei Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens im Beschwerdeverfahren). Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass erst die persönliche Anhörung des Betroffenen und der dadurch von ihm gewonnene Eindruck das Gericht in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber dem Sachverständigen sachgerecht auszuüben.
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- c) Gemessen daran konnte auf eine Anhörung des Betroffenen im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden. Denn obwohl das Amtsgericht wie auch das Beschwerdegericht ihre Entscheidungen maßgeblich auf das im Aufhebungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. N. vom 26. Mai 2015 gestützt haben, ist der Betroffene weder im ersten noch im zweiten Rechtszug durch das Gericht persönlich angehört worden.
- 10
- 3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen zu prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - XII ZB 19/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 8 f.) und ergänzende Feststellungen zur Fortdauer der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung in den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge sowie Wohnungsangelegenheiten zu treffen.
- 11
- 4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 15.07.2015 - 870 XVII 308/13 B -
LG Aachen, Entscheidung vom 6.10.2015 - 3 T 276/15 -
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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Für die Aufhebung der Betreuung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und für die Einschränkung des Aufgabenkreises des Betreuers oder des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen gilt § 279 Absatz 1, 3 und 4 sowie § 288 Absatz 2 Satz 1 entsprechend. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Hat das Gericht nach § 281 Absatz 1 von der Einholung eines Gutachtens abgesehen, ist dies nachzuholen, wenn ein Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung oder Einschränkung des Aufgabenkreises erstmals abgelehnt werden soll.
(3) Über die Aufhebung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, hat die erstmalige Entscheidung über ihre Aufhebung spätestens zwei Jahre nach der Anordnung zu erfolgen.
(1) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts anzuhören.
(2) Das Gericht hat die zuständige Behörde vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts anzuhören. Die Anhörung soll vor der Einholung eines Gutachtens nach § 280 erfolgen und sich insbesondere auf folgende Kriterien beziehen:
- 1.
persönliche, gesundheitliche und soziale Situation des Betroffenen, - 2.
Erforderlichkeit der Betreuung einschließlich geeigneter anderer Hilfen (§ 1814 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), - 3.
Betreuerauswahl unter Berücksichtigung des Vorrangs der Ehrenamtlichkeit (§ 1816 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und - 4.
diesbezügliche Sichtweise des Betroffenen.
(3) Auf Verlangen des Betroffenen hat das Gericht eine ihm nahestehende Person anzuhören, wenn dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.
(4) Das Gericht hat im Fall einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für einen Minderjährigen (§ 1814 Absatz 5 und § 1825 Absatz 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) den gesetzlichen Vertreter des Betroffenen anzuhören.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.