Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2007 - XI ZB 6/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 7.442.542,00 €
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat mit Urteil vom 5. Oktober 2005 die Klage des Klägers gegen die Beklagte, mit der er Schadensersatz aus einem verlustträchtigen Investment begehrt, abgewiesen. Die Entscheidung wurde dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten, der Nebenintervenienten , am 12. Oktober 2005 zugestellt.
- 2
- Mit Schriftsatz vom 11. November 2005 hat der Nebenintervenient zu 2) namens des Klägers eine Berufungsschrift nebst Berufungsbegründung eingereicht, verbunden mit dem Antrag, dem Kläger "vorab" Prozesskostenhilfe zu gewähren und den Nebenintervenienten zu 2) beizuordnen sowie der Bitte, nach Gewährung von Prozesskostenhilfe den Schriftsatz zuzustellen. Auf telefonische Rückfrage des Vorsitzenden am 15. November 2005 teilte der Nebenintervenient zu 2) mit Schriftsatz vom 18. November 2005 mit, dass es sich bei dem Schriftsatz vom 11. November 2005 um einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe handele, verbunden mit dem Entwurf einer Berufungsbegründung.
- 3
- am Mit 18. Oktober 2006 zugestelltem Beschluss vom 25. September 2006 bewilligte das Oberlandesgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Berufung in eingeschränktem Umfang. Am 29. November 2006 wurde das Verfahren vom Oberlandesgericht ausgetragen, da kein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt und die Berufung auch nicht nachgeholt worden sei. Eine entsprechende Mitteilung ging am 4. Dezember 2006 bei den Nebenintervenienten ein. Mit Telefax vom 19. Dezember 2006 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungseinlegung und der Berufungsbegründung.
- 4
- Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch den angegriffenen Beschluss als unzulässig verworfen und zugleich das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wenden sich die Nebenintervenienten ausschließlich dagegen, dass das Oberlandesgericht den Schriftsatz vom 11. November 2005 nicht als unbedingte Einlegung der Berufung nebst Berufungsbegründung gewertet hat.
II.
- 5
- Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Sie ist auch begründet , weil das Berufungsgericht die Anforderungen an eine zulässige Berufung überspannt hat.
- 6
- 1. Der Kläger hat die Frist zur Berufungseinlegung und zur Berufungsbegründung mit seinem Schriftsatz vom 11. November 2005 gewahrt , so dass sich die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stellt.
- 7
- Wenn a) der Rechtsmittelführer einen Prozesskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz einreicht, der - wie hier - die formalen Anforderungen einer Berufungsschrift bzw. einer Berufungsbegründung erfüllt, ist das regelmäßig als unbedingt eingelegtes Rechtsmittel zu behandeln. Die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemeint war, kommt nur dann in Betracht , wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt. Im Zweifel ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren , dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird, er also unbedingt Berufung eingelegt hat und sich lediglich für den Fall der Versagung von Prozesskostenhilfe die Zurücknahme der Berufung vorbehält (vgl. BGHZ 165, 318, 320 f.; BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, FamRZ 2004, 1553, 1554; vom 14. März 2007 - XII ZB 235/05, FamRZ 2007, 895, 896, Tz. 10 und vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07, Umdruck S. 5, Tz. 10 m.w.Nachw.).
- 8
- Das b) Oberlandesgericht hat diese Rechtsprechung bei seiner Auslegung nicht beachtet. Entscheidend ist bei der Auslegung allein der objektive Erklärungswert, wie er dem Berufungsgericht innerhalb der am 12. November 2005 ablaufenden Berufungsfrist erkennbar war. Spätere "klarstellende" Parteierklärungen können dabei nicht berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2000 - III ZB 8/00, NJW-RR 2000, 1590 m.w.Nachw.), so dass entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts die „Klarstellung“ im Schriftsatz vom 18. November 2005 bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben hat. Der Schriftsatz vom 11. November 2005 erfüllt die formalen Anforderungen einer Berufungsschrift und -begründung (§§ 519, 520 ZPO). Er enthält die ohne Einschränkungen versehene Erklärung, dass gegen das erstinstanzliche Urteil Beru- fung eingelegt wird sowie Berufungsanträge und deren Begründung. Soweit in dem Schriftsatz ebenfalls beantragt wird, vorab über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden und erst nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Schriftsatz zuzustellen, spricht das nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit für eine bedingte Berufungseinlegung oder einen bloßen Prozesskostenhilfeantrag verbunden mit einem Entwurf einer Berufungsschrift. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist vielmehr vom Gegenteil auszugehen. Der Umstand, dass der Vorsitzende des Berufungssenats nach Vorlage des Schriftsatzes vom 11. November 2005 am 15. November 2005 den Prozessbevollmächtigten des Klägers um Klarstellung gebeten hat, zeigt im Übrigen, dass auch er Zweifel daran hatte, dass es sich um einen bloßen Prozesskostenhilfeantrag handelte. Bei dieser Sachlage durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden.
- 9
- 2. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Ellenberger Schmitt
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 05.10.2005 - 5 O 7/04 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 17.01.2007 - 9 U 186/05 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.