Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Mai 2000 - III ZB 8/00

published on 24/05/2000 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Mai 2000 - III ZB 8/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
BGHR: ja

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 8/00
vom
24. Mai 2000
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Mai 2000 durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Rinne und die Richter Streck, Schlick, Dr. Kapsa und
Galke

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2000 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der X. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 11. Januar 1999 gewährt.
Beschwerdewert: 74.167 DM

Gründe


I.


Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung sowie wegen fehlerhafter Beratung beim Kauf einer Eigentumswohnung Schadensersatz. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Am
letzten Tag der Berufungsfrist reichte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beim Berufungsgericht einen Schriftsatz vom 16. Juni 1999 ein, der mit "Berufung" überschrieben ist und in dem es heißt:
"In dem Rechtsstreit ... (volles Rubrum) lege ich namens und in Vollmacht der von mir vertretenen Klägerin Berufung gegen das am 11. Januar 1999 verkündete Urteil des Landgerichts ... ein. Die Einlegung der Berufung wird von der Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die Klägerin und Berufungsklägerin abhängig gemacht. In der Anlage überreiche ich den Prozeßkostenhilfeantrag meiner Mandantin nebst Anlagen für das Gericht. Die exakten Anträge für die Berufung und die Berufungsbegründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Das Gericht wird höflich darum ersucht, für die Begründung des Prozeßkostenhilfeantrags dem Unterzeichner einen Schriftsatznachlaß von zwei Wochen zu gewähren."
Mit Schriftsatz vom 30. Juni 1999, bei Gericht eingegangen am 1. Juli 1999, erfolgte eine Berufungsbegründung. Nachdem das Oberlandesgericht der Klägerin durch Beschluß vom 3. Dezember 1999, der dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 10. Dezember 1999 zugestellt wurde, Prozeßkostenhilfe bewilligt hatte, hat es durch den angefochtenen Beschluß vom 27. Januar 2000 die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat den Schriftsatz der Klägerin vom 16. Juni 1999 nur als Antrag auf Prozeßkostenhilfe angesehen und deshalb nach der Gewährung von Prozeßkostenhilfe innerhalb einer Frist von zwei Wochen einen Wiedereinsetzungsantrag, verbunden mit der Einlegung einer Berufung und deren Begründung, für notwendig gehalten. Für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen fehlten die Voraussetzungen. Die Klägerin vertritt dagegen in ihrer sofortigen Beschwerde die Auffassung, mit ihrem Schriftsatz vom 16. Juni 1999 bereits eine unbedingte Berufung eingelegt und sich lediglich die weitere Durchführung des Berufungsverfahrens für den Fall der Verweigerung von Prozeßkostenhilfe vorbehalten zu haben.

II.


Die nach § 519 b Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat zwar, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, die Berufungsfrist versäumt. Hiergegen ist ihr jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts hat die Klägerin unter dem 16. Juni 1999 das Rechtsmittel der Berufung eingelegt und nicht lediglich einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren gestellt. Anders kann die ausdrückliche Erklärung in dem Schriftsatz "lege ich Berufung ein" nicht verstanden werden. Dafür spricht zudem die Überschrift "Berufung" und das nur für eine Rechtsmitteleinlegung notwendige volle Rubrum. Die nachfolgende Einschränkung, die Einlegung der Berufung werde von der Gewährung von Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht, nimmt die Erklärung zur Einlegung eines Rechtsmittels trotz der gleichzeitigen Bitte um Schriftsatznachlaß für die Begründung des Prozeßkostenhilfegesuchs, auf die das Oberlandesgericht maßgeblich abstellt, nicht (vollständig) zurück, sondern stellt sie, wie in dem Fall BGHZ 4, 54 oder in den Fallgestaltungen der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 1992 - V ZB 6/92 - VersR 1993, 713 und vom 24. Juni 1999 - IX ZB 30/99 - NJW 1999, 2823, lediglich unter eine Bedingung. Das mag die Klägerin zwar, wie in der Beschwerdebegründung ausgeführt , ebenfalls - in anderer Richtung - anders verstanden haben. Entscheidend ist aber allein der objektive Erklärungswert, wie er dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist erkennbar war. Spätere "klarstellende" Parteierklärun-
gen können dafür nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - NJW 1995, 2563, 2564; Beschluß vom 11. August 1998 - XII ZB 50/98 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung, unbedingte 4). Der Wortlaut der Berufungsschrift vom 16. Juni 1999, der auf die Einlegung der Berufung Bezug nimmt und diese an die Gewährung von Prozeßkostenhilfe knüpft, nicht lediglich die Durchführung des Berufungsverfahrens (zu einer solchen Fallgestaltung vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 aaO) und auch nicht etwa einen Wiedereinsetzungsantrag ankündigt (so in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1993 - XII ZR 142/92 - FamRZ 93, 1427), ist aber insoweit eindeutig. Als bedingte Berufungserklärung war das Rechtsmittel vom 16. Juni 1999 allerdings unzulässig (vgl. BGHZ 4, 54 f.; BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1992 aaO; vom 24. Juni 1999 aaO; a.A. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rn. 17).
2. Die unter dem 30. Juni 1999 erfolgte Berufungsbegründung der Klägerin ist indes als erneute Einlegung der Berufung anzusehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. Mai 1993 aaO; Beschluß vom 19. November 1997 - XII ZB 157/97 - NJW-RR 1998, 507). Der Schriftsatz entspricht - in Verbindung mit dem vorausgegangenen Berufungsschriftsatz vom 16. Juni 1999 - inhaltlich den Anforderungen des § 518 Abs. 2 ZPO an die Einlegung einer Berufung. Im Gegensatz zu diesem läßt er auch den unbedingten Willen der Klägerin zur Durchführung der Berufung erkennen, schon deswegen, weil er die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nicht abwartet, außerdem auch auf die "unter dem 16. Juni 1999 eingelegte Berufung" verweist und jeden Hinweis auf eine Abhängigkeit des Rechtsmittels von der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe vermeidet. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist (§ 516 ZPO) freilich abgelaufen, die
zweite Berufung darum nunmehr verspätet und deswegen gleichfalls unzulässig.
3. Wegen dieser Versäumung der Berufungsfrist muß der Klägerin jedoch gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Einer bedürftigen Partei, die innerhalb der Rechtsmittelfrist einen ordnungsgemäßen Prozeßkostenhilfeantrag gestellt hat, ist nach der Entscheidung hierüber auf Antrag regelmäßig Wiedereinsetzung zu gewähren, da die Partei dann ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO; st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluß vom 11. November 1992 - XII ZB 118/92 - NJW 1993, 732, 733; vom 24. Juni 1999 - IX ZB 30/99 - NJW 1999, 2823); das gilt auch dann, wenn das zulässige Prozeßkostenhilfegesuch mit einer unwirksamen Berufungseinlegung verbunden wurde (BGH, Beschluß vom 24. Juni 1999 aaO) oder die Berufungsbegründung schließlich - unwirksam - ohne Bewilligung der Prozeßkostenhilfe erfolgte (vgl. BGH, Beschluß vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 - NJW 1999, 3271). Im Streitfall bedurfte es, was das Berufungsgericht nicht beachtet hat, eines (fristgebundenen ) Wiedereinsetzungsantrags indessen nicht, weil die Klägerin schon vor der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mit ihrem - Berufung und Berufungsbegründung enthaltenden - Schriftsatz vom 30. Juni 1999 die versäumte Prozeßhandlung nachgeholt hatte und die Gründe für die unverschuldete Fristversäumung aktenkundig waren. Diese vom Berufungsgericht unterlassene Entscheidung kann jetzt der Bundesgerichtshof als Beschwerdegericht treffen (vgl. BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1992 aaO). Dadurch wird der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluß des Berufungsgerichts gegenstandslos (BGHZ 98, 325, 328), was durch dessen Aufhebung klargestellt wird.
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Annotations

Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt (§ 321), so beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, so sind beide Berufungen miteinander zu verbinden.

(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.

(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.

(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.