Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2011 - X ZR 16/11

bei uns veröffentlicht am19.07.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 12/09, 21.09.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 16/11
vom
19. Juli 2011
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens und die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Dr. Bacher

beschlossen:
Der Beklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 21. September 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe:


1
I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 151 004 (Streitpatents ). Mit Urteil vom 21. September 2010 hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat ) des Bundespatentgerichts auf die vor dem 1. Oktober 2009 erhobene Klage das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 11 für nichtig erklärt. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 20. Januar 2011 zugestellt worden. Dagegen hat die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Telefax vom 18. Februar 2011 Berufung eingelegt.
2
Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 25. März 2011 eingegangener Mitteilung sind diese darauf hingewiesen worden, dass eine Be- gründung der Berufung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingegangen ist. Am 20. April 2011 hat die Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung beantragt und zugleich die Berufung begründet.
3
Die Klägerin tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.
4
II. Die Berufungsbegründungsschrift ist nicht innerhalb der Monatsfrist ab Einlegung der Berufung am 18. Februar 2011 und daher nicht fristgemäß eingegangen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG in der Fassung vom 1. November 1998). Ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist innerhalb offener Berufungsbegründungsfrist nicht gestellt worden. Der Beklagten ist jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
5
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die für die Antragstellung auch im Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde zu legende Frist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO (in der Fassung vom 1. September 2004) eingehalten worden (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2007 - X ZR 100/07, GRUR 2008, 280 - Mykoplasmennachweis ). Denn zwischen dem Eingang des Hinweises des Bundesgerichtshofs auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 25. März 2011 und dem Eingang des Antrags der Beklagten auf Wiedereinsetzung beim Bundesgerichtshof am 20. April 2011 liegt ein kürzerer Zeitraum.
6
2. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist auch zu gewähren. Denn die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zu- zurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Fehler der Bürokräfte der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welche diese nicht zu vertreten haben.
7
a) Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte unter Bezugnahme auf eidesstattliche Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten Patentanwalt Dr. K. und der Kanzleimitarbeiterinnen S. , R. und Re. vorgetragen:
8
Die Fristenverwaltung in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten obliege Frau S. und als deren Vertreterin Frau R. . Frau S. sei seit 1971 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig und dort seit 1999 alleine unter anderem für die Führung des zentralen einheitlichen Fristenkalenders sowie die Berechnung und die Überwachung gerichtlicher Fristen zuständig. In ihren 40 Berufsjahren sei ihr kein einziges Mal ein Fehler bei der Berechnung einer gerichtlichen Frist unterlaufen. Frau R. , die mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Patentanwaltssekretariat habe, sei seit 2003 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig. Frau R. führe den zentralen Fristenkalender bei urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit von Frau S. , sei aber auch dann nicht befugt, gerichtliche Fristen eigenständig zu berechnen oder zu notieren. Für sie bestehe die Anweisung, sämtliche gerichtlichen Fristen von einem Sozius oder von Frau S. berechnen zu lassen und diese nur auf eine Einzelanweisung hin im zentralen Fristenkalender einzutragen. Frau R. habe bislang auch noch nie eine gerichtliche Frist ohne entsprechende Rückfrage eingetragen. Im Hinblick auf die Neuregelung der Berufungsfrist durch das Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009 sei Frau S.
angewiesen worden, die Fristen in Nichtigkeitsverfahren, die nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober 2009 eingeleitet worden seien, nur gemeinsam mit einem Sozius zu berechnen und zu notieren.
9
Bei der Eintragung von Fristen, bei denen das die Frist auslösende Ereignis die Versendung eines Schriftsatzes per Telefax sei, wie insbesondere auch bei Berufungsbegründungsfristen in Patentnichtigkeitsverfahren nach altem Recht, sei vorgesehen, dass die jeweils mit der Sache befasste Sekretärin Frau S. das Sendeprotokoll vorlege. Frau S. trage die Frist im Fristenbuch ein und dokumentiere die Eintragung der Frist durch Abzeichnung des Feldes „Notiert“ oben rechts auf der Akte. Zusätzlich werde auch eine Vor- frist von 14 Tagen notiert. Neben der Eintragung im Fristenkalender würden die Fristen auf sogenannten Leitblättern in der Akte und auf Tischlisten durch die zuständigen Sekretariate notiert. Die Tischlisten würden von den jeweiligen Sekretariaten mit Hilfe des zentralen Fristenkalenders erstellt und dabei ein nach Sekretariat unterschiedlicher Farbpunkt im Fristenkalender an der Frist eingetragen. Daran sei allseits erkennbar, ob die Frist in der Tischliste vermerkt worden sei. Die Sekretariate seien angewiesen, die Aktenbearbeitung mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der Tischliste zu planen und dann rechtzeitig vor Fristablauf vorzulegen. Frau S. sei verpflichtet, eine Eintragung der Berufungsbegründungsfrist bei Erhalt der Mitteilung des Bundesgerichtshofs über den Zugang der Berufungsschrift nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Eintragungen in den Fristenkalender würden von den Sozien anhand einzelner Akten durch einen Vergleich mit dem Fristenkalender stichprobenartig kontrolliert.
10
Am 18. Februar 2011 sei Frau S. wegen ihres 60. Geburtstages einen Tag abwesend gewesen. Nachdem die Berufung im hiesigen Verfahren durch Telefax eingelegt worden sei, habe Frau Re. , die im Sekretariat von Patentanwalt Dr. K. mitarbeite, Frau R. die Akte vorgelegt. Frau R. habe Frau Re. mitgeteilt, dass sie die Berufungsfrist nicht streichen und die Berufungsbegründungsfrist nicht notieren wolle, weil es sich um Fristen des Nichtigkeitsberufungsverfahrens handele. Auf Anregung von Frau Re. , die erst einige Monate zuvor ihre Fachangestellten-Ausbildung abgeschlossen gehabt habe, habe Frau R. die Berufungsfrist dann doch im Kalender gestrichen und als Frist zur Berufungsbegründung (vermeintlich) entsprechend der Gesetzeslage den 20. April 2011 notiert. Frau Re. habe anschließend eine entsprechende Fristennotiz in das Aktenleitblatt eingetragen. Eine Vorfrist habe Frau R. nicht im Fristenkalender eingetragen.
11
Nach ihrer Rückkehr am 21. Februar 2011 habe Frau S. zwar die Einreichung der Berufungsschrift überprüft, nicht aber die im Kalender notierte Berufungsbegründungsfrist. Am 22. Februar habe Frau S. die am selben Tag eingegangene Bestätigung des Bundesgerichtshofs über den Faxeingang der Berufungsschrift abgestempelt, es aber erneut versäumt, die notierte Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren.
12
b) Danach fällt den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes Verschulden nicht zur Last.
13
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt oder der Patentanwalt die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Personals (etwa BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816 und Beschluss vom 22. Juni 2010 - VIII ZB 12/10 Rn. 9).
14
In dem hier zu entscheidenden Fall konnten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten darauf verlassen, dass Frau R. bei Abwesenheit von Frau S. keine Berufungsbegründungsfrist im Terminkalender eintragen würde und Frau S. die von Frau R. eingetragene Berufungsbegründungsfrist nach ihrer Rückkehr und noch einmal anlässlich des Eingangs der Bestätigung des Bundesgerichtshofs über den Eingang der Berufung überprüfen würde, weil es nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten entsprechende Anweisungen gab und Frau S. und Frau R. sich in der Vergangenheit als zuverlässige Bürokräfte erwiesen hatten. Hätten sich Frau S. und Frau R. entsprechend den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten verhalten, wäre es nicht zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen.
15
bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht darin gesehen werden, dass diese die für das Fristenwesen zuständige Mitarbeiterin nicht angewiesen haben, eine Vorfrist von mindestens einem Monat zu notieren.
16
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs muss in der Organisation des Fristenwesens einer Anwaltskanzlei zwar gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen Rechtsmittelbegründungfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden soll, dass dem sachbearbeitenden Rechts- oder Patentanwalt für die Fertigung der Rechtsmittelbegründung hinreichend Zeit verbleibt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94, NJW 1994, 2831). Dies erfordert es jedoch in aller Regel nicht, dass die Akte dem Anwalt bereits einen Monat vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt wird, zumal etwa auch bei einer Vorfrist von zwei Wochen, wie sie den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im hiesigen Fall entspricht, noch hinreichend Zeit zur Erstellung der Berufungsbegründung verbleibt. Jedenfalls wäre es aber auch dann noch möglich gewesen, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, wenn sich die verbleibende Zeit wider Erwarten als insoweit nicht hinreichend herausgestellt hätte.
17
cc) Die Klägerin meint weiterhin, der Wiedereinsetzungsantrag enthalte keine Angaben dazu, dass Frau R. die Fristennotierung in gleicher Weise habe vornehmen müssen wie Frau S. . Wäre dies nämlich der Fall gewesen, hätte Frau R. nicht nur gegen die anwaltliche Weisung verstoßen, keine gerichtlichen Fristen zu bearbeiten, sondern auch gegen die anwaltliche Weisung, wie Fristen auf den Schreiben zu notieren sind. Eine fehlerhafte Fristennotierung auf einem weißen Blatt in der Akte vor der per Telefax eingereichten Berufungsschrift hätte Frau S. auffallen müssen. Es sei somit davon auszugehen, dass auch insoweit ein Organisationsverschulden vorliege, weil keine klare Anweisung für die Fristennotierung durch Frau R. existiere.
18
Auch in dieser Argumentation kann der Klägerin nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat durch eidesstattliche Versicherungen von Patentanwalt Dr. K. und Frau R. glaubhaft gemacht, dass Frau R. angewiesen war, gerichtliche Fristen nur auf Einzelweisung im Fristenkalender zu notieren. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten durften darauf vertrauen, dass Frau R. diesen Anweisungen Folge leisten würde. Sie waren deshalb nicht gehalten, Anordnungen auch für den Fall zu treffen, dass Frau R. - entgegen diesen Anweisungen - selbständig eine gerichtliche Frist notieren würde.
19
dd) Die Klägerin ist schließlich der Ansicht, dass ein weiteres Organisationsverschulden darin liege, dass nicht sichergestellt gewesen sei, dass zumindest die End- und die Vorfristen in die jeweilige Tischliste übertragen würden. Es sei auch nichts dazu vorgetragen, was Frau S. zu unternehmen habe, falls eine Übertragung in die Tischliste nicht oder nur fehlerhaft stattgefunden habe. Eine Übertragung der (falschen) Fristen in die Tischliste hätte aber bei der behaupteten Planung der Aktenbearbeitung durch das Sekretariat mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der Tischliste dazu geführt, dass die fehlerhafte Frist rechtzeitig entdeckt worden wäre.
20
Auch diesen Bedenken der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Ein Organisationsverschulden liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei dem Führen von Tischlisten um eine überobligatorische Kontrollmaßnahme in der Büroorganisation der Beklagten handelt, die im Allgemeinen nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten des Anwalts führen kann (BGH, Beschluss vom 30. April 1998 - VII ZB 5/97, NJW 1998, 2676).
Meier-Beck Mühlens Gröning
Grabinski Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 21.09.2010 - 3 Ni 12/09 (EU) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Patentgesetz - PatG | § 111


(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Patentgerichts auf der Verletzung des Bundesrechts beruht oder nach § 117 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. (2) Das Recht ist verletzt

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(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Patentgerichts auf der Verletzung des Bundesrechts beruht oder nach § 117 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(3) Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das Patentgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 100/07
vom
13. November 2007
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Mykoplasmennachweis
1.9.2004)
Die Frist für die Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte
Berufungsbegründungsfrist beträgt auch im Patentnichtigkeitsverfahren
einen Monat (Fortführung des Sen.Beschl. v. 31.5.2000
- X ZR 154/99, GRUR 2000, 1010 - Schaltmechanismus).
BGH, Beschl. v. 13. November 2007 - X ZR 100/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November
2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Scharen,
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Asendorf

beschlossen:
Unter Zurückweisung des Gesuchs auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung wird die Berufung der Beklagten gegen das am 17. April 2007 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts auf deren Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:


1
I. Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 0 311 541 (Streitpatents), das ein Verfahren zum Mykoplasmennachweis betrifft. Auf die Nichtigkeitsklage der Klägerin hat das Bundespatentgericht das Streitpatent vollumfänglich für nichtig erklärt. Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 18. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Telefax vom 17. Juli 2007 Berufung eingelegt. Anträge und Begründung hat sie einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Berufungsbegründungsschrift ist erst am 7. September 2007 zusammen mit einem Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen.
2
II. 1. Die Berufungsbegründungsschrift ist nicht innerhalb der Monatsfrist ab Einlegung der Berufung und daher nicht fristgemäß eingegangen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG). Ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (§ 111 Abs. 2 Satz 3 PatG) ist innerhalb offener Berufungsbegründungsfrist nicht gestellt worden. Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist der Beklagten nicht zu gewähren (unten II. 2). Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 PatG). Der Senat hat dabei von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden (§ 113 Abs. 2 PatG).
3
2. a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist zwar statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere ist die für die Antragsstellung auch im Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde zu legende Frist nach der Zivilprozessordnung (hierzu Sen.Beschl. v. 31.5.2000 - X ZR 154/99, GRUR 2000, 1010 - Schaltmechanismus; v. 17.10.2000 - X ZR 41/00, GRUR 2001, 271, 272 - Kreiselpumpe) gewahrt, die seit der auch im Patentnichtigkeitsverfahren ohne Weiteres heranzuziehenden Neufassung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz einen Monat beträgt (vgl. Rogge in Benkard, PatG GebrMG, 10. Aufl. 2005, Rdn. 6 zu § 113 PatG; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren , 2. Aufl. 2005, Rdn. 286).
4
b) Die Wiedereinsetzung scheitert im vorliegenden Fall jedoch daran, dass die Beklagte nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren.
5
Wie die Beklagte geltend macht, wurde die Berufungsbegründungsschrift deshalb nicht rechtzeitig eingereicht, weil das von ihren Prozessbevollmächtigten benutzte Fristenüberwachungsprogramm "FristOrg" bei gemeinsamer Verantwortung von zwei Patentanwälten die Frist nur bei einem der Patentanwälte anzeigte, was bereits im April 2007 bemerkt worden sei, die beiden mit der Sache befassten Patentanwälte bei Fristablauf in Urlaub gewesen seien, der bevorstehende Fristablauf in der Kanzlei zwar bemerkt worden, die Akte aber keinem der anwesenden Anwälte vorgelegt worden sei. Das begründet jeden- falls ein der Beklagten zuzurechnendes Organisationsverschulden ihrer anwaltlichen Vertreter. Denn für den Fall, dass keiner der mit der Sache befassten Anwälte anwesend war, war keine Vorsorge dahin getroffen worden, dass die Akte doch einem erreichbaren Anwalt vorgelegt wurde. Nachdem sich beide sachbearbeitenden Anwälte in Urlaub befanden , konnte sich zudem der bereits erkannte Mangel des Programms, dass der bevorstehende Fristablauf nicht beiden Anwälten, sondern nur bei einem von ihnen angezeigt wurde, nicht auswirken. Vorsorge dahin, dass ein anderer Anwalt zur Verfügung stand, hätte auch für den Fall, dass nur ein Anwalt mit der Sache befasst gewesen wäre, aber abwesend war, und selbst für den Fall, dass die Anzeige bei mehreren Anwälten erfolgt wäre, diese aber abwesend gewesen wären, getroffen werden müssen. Bei entsprechender Büroorganisation, nämlich der Anweisung an das Büropersonal, bei Verhinderung des oder der mit der Sache befassten Anwälte die Akte einem anderen Anwalt mit Hinweis auf die demnächst ablaufende Frist vorzulegen, hätte mithin die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vermieden werden können.

6
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 121 Abs. 2 PatG, 97 Abs. 1 ZPO.
Melullis Scharen Keukenschrijver Mühlens Asendorf
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.04.2007 - 3 Ni 10/05 (EU) -

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

9
a) Dabei ist er zwar nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befugt, die Feststellung, Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten zu überlassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 - VII ZB 20/99, NJW 2000, 1872, unter [4] a; Senatsbeschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, unter II 3 a m.w.N.). Jedoch hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Insbesondere muss ein Rechtsanwalt sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16. April 1996 - VI ZR 362/95, NJW 1996, 1968, unter II 1; vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, unter II 1 a; jeweils m.w.N.). Hierzu bedarf es eines besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist.