Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Dez. 2016 - X ZR 105/14

bei uns veröffentlicht am06.12.2016
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 17/13, 08.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 105/14 Verkündet am:
6. Dezember 2016
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2016:061216BXZR105.14.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann, die Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß

beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.500.000 € festgesetzt.

Gründe:


I. Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des am 19. Juli 1995 unter
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Inanspruchnahme der Priorität einer US-amerikanischen Patentanmeldung vom 28. Juli 1994 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 694 547 (Streitpatent). Das Streitpatent ist am 19. Juli 2015 wegen Zeitablaufs erloschen. Die Ansprüche 1, 11 und 12 des Streitpatents haben in der Verfahrens2 sprache folgenden Wortlaut: "1. The compound 2-(2-amino-1,6-dihydro-6-oxo-purin-9-yl) methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinate or a pharmaceutically acceptable salt thereof, in the form of its (R)- or (S)-diastereomers , or in the form of mixtures of the two diastereomers.
11. A compound of the formula

wherein P1 is hydrogen or a hydroxy-protecting group and P2 is an amino-protecting group. 12. A process for preparing the compound 2-(2-amino-1,6dihydro -6-oxo-purin-9-yl)methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinate or a pharmaceutically acceptable salt or diastereomers thereof which process comprises: (a) removal of an amino- and/or hydroxy-protecting group from a compound with the formula

wherein:
P1 is a hydroxy-protecting group or hydrogen, P2 is an amino -protecting group, and P3 is hydrogen or P2; to afford the compound 2-(2-amino-1,6-dihydro-6-oxo-purin-9-yl) methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinate or a pharmaceutically acceptable salt thereof; (b) conversion of the compound 2-(2-amino-1,6-dihydro-6oxo -purin-9-yl)methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinate into a pharmaceutically acceptable salt thereof; or (c) esterification of 2-(2-amino-1,6-dihydro-6-oxo-purin-9-yl) methoxy-1,3-propanediol (ganciclovir) or a salt thereof, with an activated derivative of L-valine; or (d) condensation of an optionally substituted guanine of the formula

optionally in persilylated form, wherein: P3 is hydrogen or an amino-protecting group, with an 2substituted glycerol of the formula

wherein: Y1 and Y2 independently are halo, C2-7-acyloxy, C1-6-alkyloxy , or aryl(lower)alkyloxy groups, and Z is a leaving group selected from C2-7-acyloxy, methoxy, isopropyloxy, benzyloxy, halo, mesyloxy or tosyloxy; optionally in the presence of a Lewis acid catalyst, to provide the com-
pound 2-(2-amino-1,6-dihydro-6-oxo-purin-9-yl)methoxy3 -hydroxy-1-propanyl-L-valinate; or (e) partial hydrolysis of the bis ester 2-(2-amino-1,6-dihydro6 -oxo-purin-9-yl)methoxy-1,3-propanediyl bis (L-valinate) or a salt thereof to afford the monoester 2-(2-amino-1,6dihydro -6-oxo-purin-9-yl)methoxy-3-hydroxy-1-propanylL -valinate or a pharmaceutically acceptable salt thereof; or (f) diastereomeric separation of 2-(2-amino-1,6-dihydro-6oxo -purin-9-yl)methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinate into its (R) and (S) diastereomers."
Die Ansprüche 2 bis 8 sowie 14 bis 18 sind mittelbar oder unmittelbar auf
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Anspruch 1 rückbezogen. Anspruch 13 ist unmittelbar auf Patentanspruch 12 rückbezogen. Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei
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nicht patentfähig. Außerdem fehle es an einer ausführbaren Offenbarung. Die Beklagte hat das Streitpatent im erteilten Umfang sowie im Umfang von sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte das Streitpatent im Hauptantrag weiterhin in der erteilten Fassung sowie mit vier Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten. Nach Erlöschen des Streitpatents haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. II. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der
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Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 121 Abs. 2 PatG i. V. mit § 91a ZPO nur noch nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 10/05, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 23. August 2016 - X ZR 81/14, GRUR 2016, 1143, Rn. 4 - Photokatalytische Titandioxidschicht). Die Kosten sind einer Seite aufzuerlegen, soweit sie absehbar unterlegen wäre. Danach entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, weil ihre Berufung voraussichtlich ohne Erfolg geblieben wäre. 1. Nach den Erläuterungen in der Streitpatentschrift waren Purin-Derivate
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zur antiviralen Behandlung von Krankheiten im Stand der Technik bekannt. In dem britischen Patent 152 3865 werde eine Verbindung aus der Stoff7 klasse der Purin-Derivate mit dem internationalen Freinamen "Acyclovir" offenbart. Acyclovir weise eine gute Aktivität gegen Herpesviren, wie etwa HerpesSimplex , auf und sei bei topischer oder parenteraler Verabreichung sehr wirksam. Bei oraler Gabe werde es jedoch nur mäßig absorbiert. Auch die in dem US-amerikanischen Patent 4 355 032 offenbarte Ver8 bindung "Ganciclovir" sei äußerst wirksam gegen Viren der Herpesfamilie, wie etwa Herpes-Simplex und Cytomegalovirus. Ganciclovir habe jedoch ebenfalls nur eine relativ geringe Absorptionsrate, wenn es oral verabreicht werde, und damit eine geringe Bioverfügbarkeit. Um hohe Dosierungen bei oraler Gabe zu vermeiden, erfolge die Verabreichung im Allgemeinen über eine intravenöse Infusion. Dies habe den Nachteil, dass die Verabreichung für den Patienten vergleichsweise unangenehm und oft von medizinischem Personal vorzunehmen sei und ein Infektionsrisiko insbesondere für Patienten mit eingeschränktem Immunsystem bestehe. In der europäischen Patentanmeldung 375 329 seien Prodrug-Verbin9 dungen (Verbindungen eines Stoffs, der erst durch Verstoffwechselung im Organismus in einen aktiven Wirkstoff überführt wird) offenbart, die bei oraler Verabreichung eine vorteilhafte biologische Verfügbarkeit aufwiesen. Als Beispiele seien u.a. Bis(L-isoleucinat)ester von Ganciclovir als weißer Schaum, Bis(Lvalinat )ester von Ganciclovir als Feststoff oder Bis(L-alaninat)ester von Ganciclovir als Sirup mit 90 % des Bis-Esters und 10 % des Monoesters beschrieben. Die Bis-Ester seien nichtkristalline Materialien, die bei der Herstellung von oralen pharmazeutischen Dosierungsformen nur schwierig zu bearbeiten seien.
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Dem Streitpatent liegt das Problem zugrunde, eine stabile ProdrugZubereitung eines Purin-Derivats mit verbesserter oraler Absorption und geringer Toxizität zur Verfügung zu stellen.
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Zur Lösung dieses Problems wird in Patentanspruch 1 vorgeschlagen: 1a Verbindung 2-(2-Amino-1,6-dihydro-6-oxo-purin-9-yl) methoxy-3-hydroxy-1-propanyl-L-valinat oder 1b ein pharmazeutisch annehmbares Salz davon 2a in Form seiner (R)- oder (S)-Diastereomeren oder 2b in Form von Mischungen der beiden Diastereomere. Die in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Verbindung ist ein Pro12 drug-Ester aus dem Purinderivat Ganciclovir und der Aminosäure (S)-Valin (= LValin ) und besser bekannt unter dem internationalen Freinamen (INN) "Valganciclovir".


Valganciclovir-Hydrochlorid Ganciclovir
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Bei Valganciclovir handelt es sich um einen Monoester, der durch Veresterung einer der beiden OH-Gruppen des Glycerylrests hergestellt wird.
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2. Die Angriffe der Beklagten gegen die vom Patentgericht verneinte Patentfähigkeit hätten voraussichtlich jedenfalls insoweit nicht zum Erfolg geführt, als dieses angenommen hat, dass sich der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat und deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob er durch den Stand der Technik vorweggenommen wird.
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a) Dabei wäre mit dem Patentgericht davon auszugehen gewesen, dass der zuständige Fachmann ein promovierter, mit der Herstellung und Entwicklung von Arzneimittelwirkstoffen befasster Chemiker oder Pharmazeut war, der besondere Kenntnisse auf den Gebieten der Stereochemie und der Prodrugs von Wirkstoffen aufwies und in einem Team arbeitete, dem auch ein pharmazeutisch forschender Mediziner angehörte.
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b) War ein solcher Fachmann vor die Aufgabe gestellt, eine stabile Prodrug -Zubereitung von Purin-Derivaten mit verbesserter oraler Absorption und geringer Toxizität zu finden, hatte er Veranlassung, sich näher mit der europäi- schen Patentanmeldung 375 329 (NiK6) auseinanderzusetzen. Darin wurden ihm nicht nur allgemein Verbindungen nach der Strukturformel offenbart, wobei die Reste R und R‘ unabhängig voneinander aus einem Wasserstoffatom und einem Aminosäureacrylrest ausgewählt sind, vorausgesetzt, dass wenigstens einer der Reste R und R1 ein Aminosäureacrylrest ist und B eine Gruppe nach der Formel bedeutet und R2 für eine lineare C1-C6-, eine verzweigte C3-C6- oder eine cyclische C3-C6-Alkoxygruppe oder eine Hydroxy- oder Aminogruppe oder für ein Wasserstoffatom oder physiologisch annehmbare Salze davon steht (NiK6, S. 2, Z. 21 ff.; S. 12, Z. 26 ff.; Anspruch 1). Vielmehr konnte er der NiK6 darüber hinaus entnehmen, dass von den unter diese Strukturformel fallenden Verbindungen Aminosäureester des Ganciclovir und des Cytosins wegen ihrer im Vergleich zu den unveresterten Stammverbindungen verbesserten Bioverfügbarkeit bevorzugt seien, wobei als Aminosäurereste insbesondere Glycin, Alanin , Valin und Isoleucin, mit Ausnahme von achiralem Glycin jeweils in ihrer LForm , empfohlen würden und sowohl Mono- als auch Diester umfasst seien (vgl. NiK6, S. 2, Z. 54 ff.). Dadurch wurde, wie es das Patentgericht ausgedrückt hat, ein Kollektiv von 16 Verbindungen, jede mit dem Potential eines antiviralen Prodrug-Wirkstoffs, in das Blickfeld des fachkundigen Lesers gerückt.
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Dabei galt sein Interesse insbesondere auch den Aminosäureestern des Ganciclovir, von dem bekannt war, dass es eine starke Aktivität gegen die Viren der Herpesfamilie zeigt (NiK6, S. 2, Z. 7 ff.), und das zum Prioritätszeitpunkt das führende Arzneimittel zur Behandlung von Infektionen mit Herpes-Simplex oder dem humanen Cytomegalovirus (HCMV) war (Beauchamp et al., Amino acid ester prodrugs of arcyclovir, Antiviral Chemistry & Chemotherapy (1992) 3(3), 157, 161, r. Sp. unten [NiK7]). Zwar gehörte es ebenfalls zum Wissen des Fachmanns, dass (nicht-modifiziertes) Ganciclovir eine eher geringe orale Bioverfügbarkeit aufweist und deshalb typischerweise intravenös verabreicht wird, was im Hinblick auf die Patienten-Compliance negativ bewertet wird (NiK6, S. 2, Z. 10 ff.). Zudem wurde die Behandlung mit Ganciclovir wegen seiner Toxizität und häufigen Inkompatibilität mit Zidovudin (Azidothymidin) als verbesserungsbedürftig angesehen (NiK7, S. 161, r. Sp. unten). Gegenüber diesem Stand der Technik lehrte die NiK6 den Fachmann aber, dass insbesondere auch die Aminosäureester des Ganciclovirs überraschenderweise eine vorteilhafte Bioverfügbarkeit bei oraler Applikation aufwiesen, was in außergewöhnlich hohen Spiegeln der Stammverbindung im Körper resultiere (NiK6, S. 2, Z. 16 ff.). Aus der damit verbundenen Aussicht, bei Verabreichung geringerer Mengen des Arzneimittels dennoch einen äquivalenten Arzneimittelmittelspiegel der Stammverbindung im Plasma bereitzustellen, folgte für den Fachmann nicht nur die Erwartung einer gegenüber (nicht-verestertem) Ganciclovir verbesserten Patienten-Compliance (NiK6, S. 19 f.), sondern auch die Perspektive , die mit der oralen Verabreichung von Ganciclovir verbundenen Probleme hinsichtlich Toxizität und häufiger Inkompatibilität mit Zidovudin zu lösen oder zumindest erheblich verringern zu können.
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Dem damit durch die NiK6 beim Fachmann hervorgerufenen Interesse an Aminosäureestern des Ganciclovirs als antiviralen Prodrug-Zubereitungen standen auch nicht die Testdaten (NiB1c) entgegen, die die Anmelderin der NiK6 mit geänderten Patentansprüchen beim Europäischen Patentamt vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents nachgereicht hatte und die als Teil der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit zugänglich waren. Nach der NiB1c ist zwar einerseits die orale Absorption im Urin von Ratten bei fast allen Aminosäureestern von Cytosin (Valin: 58,9 %; Leucin: 45,9 %; Alanin: 37 %; nicht aber Aminoacetat: 0 %) in absoluten Werten höher als bei den Aminosäureestern von Ganciclovir (Leucin: 26,1 %; Aminoacetat: 20,4 %; Valin: 18,7 %; Alanin: 16,6 %). Andererseits ist die relative Steigerung der oralen Absorption bei den Aminosäurediestern von Ganciclovir gegenüber der Stammverbindung mit einem Wert von 6 % weit größer als bei den Aminosäurediestern von Cytosin mit einer Absorptionsrate der Stammverbindung von 31 %. Das ließ aus fachlicher Sicht die in der NiK6 und NiB1c offenbarten Aminosäureester von Ganciclovir als unter dem Gesichtspunkt der humanen oralen Bioverfügbarkeit nach wie vor erforschungswürdige Prodrug-Kandidaten erscheinen, wobei dies für alle vier Aminosäureester galt, da deren Werte in einem Bereich zwischen 16,6 % und 26,1 % und damit zu nahe beieinander liegen, um einen oder mehrere davon für die weitere Entwicklung von vornherein auszuschließen. Dass daneben gegebenenfalls auch drei der vier in der NiK6 und NiB1c genannten Aminosäureester von Cytosin (wohl nicht mehr Aminosäureacetat) als gleichermaßen erforschungswürdige Prodrug-Kandidaten in Betracht kamen , hindert ein Naheliegen der Aminosäureester von Ganciclovir nicht, da auch mehrere Lösungsalternativen naheliegend sein können und es insoweit ohne Bedeutung ist, welche der Lösungsalternativen der Fachmann als erste erwogen hätte (BGH, Urteil vom 16. Februar 2016 - X ZR 5/14, GRUR 2016, 1023 Rn. 36 - Anrufroutingverfahren).
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Von den somit vom Fachmann als - zumindest auch - erforschungswürdige Prodrug-Verbindungen erwogenen vier Aminosäureestern von Ganciclovir kamen neben den Diestern auch die Monoester in Betracht. Zwar betreffen die Ausführungsbeispiele der NiK6 ausschließlich Diester, wobei lediglich für das Ausführungsbeispiel 6 ausgeführt ist, dass Ganciclovir-bis-L-Alaninat nach der Aufarbeitung aus der Reaktionsmischung der letzten Synthesestufe im Gemisch mit etwa 10 % des Ganciclovir-mono-L-Alaninat angefallen ist (NiK6, S. 9, Z. 32 ff.), während für das Ausführungsbeispiel 5 der NiK6, das Ganciclovir-bis-LValinat betrifft, ein Anteil von Ganciclovir-mono-L-Valinat im Endprodukt nicht beschrieben ist. Auch wurden die in der NiB1c dokumentierten Versuche allein mit den vier in der NiK6 beschriebenen Aminosäurediestern von Cytosin und Ganciclovir durchgeführt. Dennoch gab die NiK6 dem Fachmann Veranlassung, neben den Diestern auch die Monoester der vier in der NiK6 genannten Aminosäureester von Ganciclovir für weitere Versuche im Hinblick auf deren orale Bioverfügbarkeit als antivirales Prodrug beim Menschen miteinzubeziehen, da hinsichtlich der Eignung von Mono- und Diestern insoweit ausdrücklich nicht unterschieden wird (NiK6, S. 3, Z. 5: "The amino acid esters according to the invention includes the mono- and di-esters of the compound of formula (I)"). Dies bestätigend wird in der Fachveröffentlichung von Powell et al. zum chemischen und enzymatischen Monoester-Abbau von Ganciclovir-Prodrugs ausgeführt , dass auch Monoester-Abbauprodukte die Qualität von Prodrugs von Ganciclovir hätten (Powell et al., Chemical and Enzymatic Degradation of Ganciclo- vir Prodrugs: Enhanced Stability of the Diadamantoate Prodrug Under Acid Conditions, Pharmaceutical Research, (1991) Vol. 8, No. 11, 1418, 1420, l. Sp. unten; vgl. auch 1422 r. Sp. unten).
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Da sich, wie das Patentgericht unangefochten ausgeführt hat, Monoester bei der Veresterung von Ganciclovir mit einer Aminosäure als Zwischenstufe auf dem Weg zu Diestern bilden und als solche auch mittels konventioneller Synthesen und Arbeitsweisen isoliert werden können (vgl. NiK6, S. 5, Z. 19 ff.), war es dem Fachmann schließlich auch ohne weiteres möglich, diese für seine Versuche in die Hand zu bekommen. Durch Variation des Verhältnisses der Edukte war er zudem in der Lage, den Anteil des Monoesters am Reaktionsprodukt gegenüber dem des Diesters nach Bedarf zu steuern und dadurch Monoester von Ganciclovir-L-Valinat in erforderlicher Menge zu erhalten.
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Demnach hätte alles dafür gesprochen, dass der Fachmann am Prioritätstag Veranlassung hatte, neben anderen Verbindungen aus dem Kontingent der ihm in der NiK6 als bevorzugt offenbarten 16 Verbindungen auch Ganciclovir -mono-(L-)Valinat als Kandidaten für die Entwicklung eines antiviralen Prodrugs mit guter oraler Bioverfügbarkeit in Betracht zu ziehen. Auch wenn sich dann nach Durchführung entsprechender Versuche bei Ganciclovir-mono (L-)Valinat - anders als bei anderen Verbindungen des durch die NiK6 identifizierten Kontingents von 16 Verbindungen - eine besonders hohe orale Bioverfügbarkeit herausgestellt hätte, wie sie etwa in Beispiel 9 der Streitpatentschrift bei Ratten dokumentiert ist (Streitpatent, Rn. 129; vgl. allerdings auch Beispiel 10, Streitpatent, Rn. 135, mit erheblich niedrigeren Werten der oralen biologischen Verfügbarkeit bei Affen), hätte ein solcher "Bonus-Effekt" eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen vermocht, da der Gegenstand von Patentanspruch 1 für den Fachmann aus den genannten Gründen nach der voraussichtlichen Wertung des Senats naheliegend war.
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3. Voraussichtich wäre der Senat auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2 für den Fachmann naheliegend war und damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
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Patentanspruch 1 in der Fassung des zuletzt angekündigten Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von derjenigen des Hauptantrags dadurch, dass jener auf die Verwendung der Verbindung Ganciclovir-mono-(L-)Valinat oder eines pharmazeutischen Salzes davon in Form von Mischungen der (R)- und (S)- Diastereomere als therapeutisch wirksames Mittel gerichtet ist. In der Fassung des Hilfsantrags 2 ist darüber hinaus in Patentanspruch 1 vorgesehen, dass die (R)- und (S)-Diastereomere in gleichen Mengen enthalten sind.
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Wie ausgeführt, wird durch die NiK6 die Verwendung von Ganciclovirmono -(L-)Valinat als ein antiviraler Prodrug-Wirkstoff und damit als therapeutisch wirksames Mittel nahegelegt. Zudem fallen bei nicht stereoselektiv geführter Synthese, wie sie in der NiK6 allgemein beschrieben ist (vgl. NiK6, S. 5, Z. 21 ff.), nach den Feststellungen des Patentgerichts beide Diastereomere des Ganciclovir-mono-(L-)Valinats als Gemisch in etwa äquimolaren Anteilen an und sind mittels üblicher Arbeitsweisen isolierbar.
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4. Auch aus der Fassung des Hilfsantrags 3, in der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung des Hilfsantrags 1 auf das Hydrochloridsalz beschränkt wird, hätte sich nach voraussichtlicher Beurteilung durch den Senat kein auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhender Gegenstand des Streitpatents ergeben. Denn für den Fachmann, dem in der NiK6 als physiologisch annehmbare Salze bevorzugt Säureadditionssalze, wie Salzsäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure , Maleinsäure und Fumarsäure, Zitronensäure, Weinsäure, Milchsäure oder Essigsäure genannt wurden (NiK6, S. 3. Z. 8 ff.) und der dort den Hin- weis erhielt, dass die Umwandlung eines Aminosäureesters in ein physiologisch annehmbares Salz auf konventionelle Weise, wie durch Behandlung der Verbindung mit einer geeigneten Säure, durchgeführt werden kann (NiK6, S. 5, Z. 57 ff.), lag es nahe, nicht nur, wie in den Ausführungsbeispielen, Acetat (Salz der Essigsäure) in den Blick zu nehmen, sondern auch Hydrochlorid (Salz der Salzsäure).
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5. Dass der Senat schließlich zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags 4, der die Beschränkungen der Hilfsanträge 1, 2 und 3 zusammenfasst, für den Fachmann ebenfalls naheliegend war, folgt aus den vorstehenden Erläuterungen , auf die deshalb verwiesen werden kann.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann
Schuster Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 08.07.2014 - 3 Ni 17/13 (EP) -

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache


(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksich

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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bei uns veröffentlicht am 16.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 5/14 Verkündet am: 16. Februar 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: n

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(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

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Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91a ZPO nur noch nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 10/05, juris Rn. 9). Die Kosten sind einer Seite aufzuerlegen, soweit sie absehbar unterlegen wäre. Danach entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, weil ihre Berufung voraussichtlich erfolglos geblieben wäre, während die Anschlussberufung der Klägerin und ihrer Streithelferin voraussichtlich Erfolg gehabt und zur Nichtigerklärung des Streitpatents insgesamt geführt hätte. 1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung eines Verbundwerkstoffs,
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dd) Weiterhin steht dem nicht entgegen, dass ein wiederholtes Durchlaufen der Routingsteuerung in den Schritten 2 bis 10 auch durch andere Maßnahmen hätte vermieden werden können. Der Patentfähigkeit ermangelt nicht nur die nächstliegende Lösung für ein technisches Problem, sondern jede für den Fachmann naheliegende Lösung. Kommen für den Fachmann mehrere Alternativen in Betracht, können folglich mehrere von ihnen naheliegend sein. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist insofern auch, welche der Lösungsalternativen der Fachmann als erste in Betracht zöge (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 - X ZR 50/09, juris Rn. 19).