Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Vergütung für Mobilfunkleistungen in Anspruch.
- 2
- Der Beklagte schloss mit der Klägerin am 30. Juli 2008 einen schriftlichen Vertrag über die Erbringung von Mobilfunkleistungen. Unter der Rubrik "Anschrift" ist in dem Vertragsformular eine Adresse in Fürstenwalde eingetragen.
- 3
- Am 12. Januar 2010 wurde dem Beklagten unter einer anderen Adresse in Fürstenwalde antragsgemäß ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung von 411,31 Euro zugestellt. Der Beklagte legte Widerspruch ein und teilte als Anschrift eine Adresse in Berlin mit. Nach Zahlung des Gerichtskostenvorschusses gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnantrag benannte Amtsgericht Fürstenwalde ab. Dieses konnte die Anspruchsbegründung nicht unter der im Mahnbescheid angegebenen Adresse in Fürstenwalde zustellen. Die Klägerin teilte als neue Anschrift eine wiederum andere Adresse in Berlin mit. Dort wurde die Anspruchsbegründung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt.
- 4
- Nach Zustellung der Anspruchsbegründung bat das Amtsgericht Fürstenwalde die Klägerin um Mitteilung, ob Verweisung an das Amtsgericht Neukölln beantragt werde, weil der Beklagte nach seinen Angaben bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid in Berlin wohnhaft gewesen sei. Die Klägerin stellte Verweisungsantrag mit der Begründung, der Beklagte habe seinen Wohnsitz bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs nach Berlin verlegt; hier sei das Amtsgericht Neukölln örtlich zuständig. Das Amtsgericht Fürstenwalde erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit "an das nach §§ 12 ff. ZPO für den Wohnsitz des Beklagten zuständige" Amtsgericht Neukölln.
- 5
- Das Amtsgericht Neukölln teilte den Parteien mit, es halte den Verweisungsbeschluss für nicht bindend, weil das Amtsgericht Fürstenwalde gemäß § 29 ZPO weiterhin zuständig sei. Die Klägerin beantragte daraufhin, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde zurückzuverweisen. Das Amtsgericht Neukölln erklärte sich für unzuständig und legte die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vor.
- 6
- Das Brandenburgische Oberlandesgericht hält das Amtsgericht Neukölln für zuständig. Es sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung des Gerichtsstandes durch Entscheidungen von vier anderen Oberlandesgerichten (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17. August 2001 - 21 AR 65/2001, NJW 2001, 3792; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Februar 2006 - 1 W 98/05, OLGR Braunschweig 2006, 652; OLG München, Beschluss vom 09. Juli 2007 - 31 AR 146/07, MDR 2007, 1278; KG, Beschluss vom 17. September 2007 - 2 AR 37/07, KGR 2008, 248) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt (Beschluss vom 31. März 2011 - 1 AR 16/11, juris).
- 7
- II. Mit zutreffenden Erwägungen hat das vorlegende Gericht die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und für eine Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO bejaht.
- 8
- III. Zuständig ist das Amtsgericht Neukölln.
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- 1. Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, ist im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6).
- 10
- 2. Zu Recht hat das vorlegende Gericht den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als willkürlich angesehen.
- 11
- Ein Verweisungsbeschluss kann allerdings als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar zu beurteilen sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat. Der Senat hat dies für den Fall bejaht, dass schon mehrere Jahre vor dem Verweisungsbeschluss eine Gesetzesänderung erfolgt ist, die Verweisungen der in Rede stehenden Art gerade verhindern soll (BGH, Beschluss vom 10. September 2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634, 3635).
- 12
- Eine vergleichbare Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ergibt sich sowohl aus dem Verweisungsbeschluss als auch aus dem zuvor erteilten Hinweis, dass das Amtsgericht Fürstenwalde für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage nur auf den Wohnsitz abgestellt und eine mögliche Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) nicht in Erwägung gezogen hat. Dies begründet jedoch noch nicht den Vorwurf der Willkür. Eine Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil der Inhalt der zusammen mit der Anspruchsbegründung vorgelegten Kopien des Mobilfunkvertrages und der Rechnungen darauf hindeutet, dass der Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und damit gemäß § 269 Abs. 1 BGB auch der Erfüllungsort für den Klageanspruch in Fürstenwalde lag. Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Weder die Klägerin noch der Beklagte - der sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemel- det hat - hatten die Frage des Erfüllungsorts thematisiert oder zum Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen. Das Amtsgericht Fürstenwalde war dadurch zwar nicht gehindert, diese Frage von sich aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch Erteilung geeigneter Hinweise an die Parteien einer Klärung zuzuführen. Der Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt jedoch allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen.
Vorinstanzen:
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 31.03.2011 - 1 AR 16/11 -
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(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.
(1) Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.
(2) Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort begründet die Zuständigkeit nur, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.
(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; - 3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; - 4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; - 5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.
(1) Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.
(2) Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort begründet die Zuständigkeit nur, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.
(1) Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte.
(2) Ist die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden, so tritt, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hatte, der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes.
(3) Aus dem Umstand allein, dass der Schuldner die Kosten der Versendung übernommen hat, ist nicht zu entnehmen, dass der Ort, nach welchem die Versendung zu erfolgen hat, der Leistungsort sein soll.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.