Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2011 - VI ZR 269/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es die Ausführungen der Klägerin zur Notwendigkeit der Durchführung einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Bei diesem Vorbringen handelt es sich um einen Kernpunkt ihres Vortrags, den sie unter Beweisantritt durch Sachverständigengutachten auf die Stellungnahme des Privatgutachters Dr. S. gestützt hat, bei der es sich der Sache nach um einen qualifizierten Parteivortrag handelt (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00, VersR 2001, 525, 526 mwN). Nach dessen Stellungnahme ist es bei Operationen mit dem Einbau von Osteosynthesematerialien nach den Leitlinien zur Verhinderung von postoperativen Wundinfektionen vorgeschrieben , eine perioperative Antibiotikaprophylaxe durchzuführen.
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- Das Berufungsgericht hätte wegen dieses qualifizierten Parteivortrags den gerichtlichen Sachverständigen dazu ergänzend anhören müssen, ob solche Leitlinien zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin vorlagen und entsprechend dem Vorbringen der Klägerin dem ärztlichen Standard zum Zeitpunkt der Behandlung entsprachen. Sofern dies der Fall gewesen wäre, hätte mit Hilfe des Sachverständigen geklärt werden müssen, ob in der Nichtbeachtung der Leitlinien im Streitfall ein grober Behandlungsfehler lag, der zu einer Umkehr der Beweislast führen könnte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reichte der Vortrag der Klägerin hierfür aus, zumal sich der Privatgutachter auf eine Veröffentlichung der AWMF bezogen hat, und dies - jedenfalls für einen Sachverständigen - ohne Weiteres als Quellenangabe ausreicht. Es handelt sich dabei um die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, welche die Leitlinien ihrer Fachgesellschaften allgemein zugänglich in "AWMF online" veröffentlicht. Den Leitlinien "Perioperative Antibiotikaprophylaxe" (Erstellungsdatum 1/1999, letzte Überarbeitung 6/2009, AWMF online) ist zu entnehmen, dass eine perioperative Antibiotikaprophylaxe als angezeigt angesehen wird, wenn das Risiko einer Infektion zwar gering ist, bei ihrer Manifestation aber eine erhebliche Morbidität oder sogar Letalität droht, etwa bei Implantationen von Osteosynthesematerialien. Auch wenn den Leitlinien keine konstitutive Bedeutung zukommt, hätte das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin ohne Befragung des gerichtlichen Sachverständigen nicht übergehen dürfen, zumal der Sachverständige Privatdozent Dr. R. nur zur Erforderlichkeit einer postoperativen Antibiose nach Auftreten der Entzündungssymptome Stellung genommen hatte.
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- Das Berufungsurteil war daher aufzuheben, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die unterlassene Anhörung des Sachverständigen zum Vorbringen der Klägerin nachzuholen. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts hinsichtlich des nicht festgestellten Verstoßes gegen Hygiene-Standards revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Galke Wellner Pauge Stöhr von Pentz
LG Köln, Entscheidung vom 12.03.2008 - 25 O 39/06 -
OLG Köln, Entscheidung vom 05.08.2009 - 5 U 69/08 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.