Bundesgerichtshof Beschluss, 14. März 2017 - VI ZR 205/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger begehrt materiellen und immateriellen Schadensersatz nach ärztlicher Behandlung.
- 2
- Der Kläger erlitt am 1. September 2011 bei einem Arbeitsunfall einen Kapselausriss am Ringfinger der linken Hand. Am 31. Oktober 2011 stellte sich der Kläger in der Klinik der Beklagten zu 1 vor. Die dort tätige Beklagte zu 2 verordnete eine intensive Übungsbehandlung sowie eine Greifschulung. Nach Beschwerden bei den therapeutischen Übungen untersuchte die Beklagte zu 2 den Kläger am 21. November 2011 erneut, worauf die Parteien die Fortführung der Physiotherapie vereinbarten. Am 15. Dezember 2011 brach der Kläger die Physiotherapie ab. Im Januar 2013 wurde ein nicht mehr therapierbares komplexes Schmerzsyndrom an der linken Hand (CRPS = Complex Regional Pain Syndrome, Morbus Sudeck) diagnostiziert. Der Kläger ist, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch relevant, der Auffassung, die Beklagte zu 2 habe am 21. November 2011 die spezifischen Anzeichen eines CRPS verkannt und die gebotene Schmerztherapie daher zu spät eingeleitet.
- 3
- Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und Beweisaufnahme durch Einholung eines handchirurgischen Gutachtens samt Anhörung des Sachverständigen sowie Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin abgewiesen. Den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. August 2015 gestellten Antrag des Klägers, Frau Sch., eine bei der Untersuchung vom 21. November 2011 anwesende Mitarbeiterin der Berufsgenossenschaft, als Zeugin zu vernehmen, hat das Landgericht gemäß § 296 Abs. 2, § 282 ZPO wegen Verspätung zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf Ansprüche aus der ärztlichen Behandlung vom 21. November 2011 beschränkt hat.
II.
- 4
- Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverwei- sung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass der Kläger durch die Zurückweisung seines Antrags auf Vernehmung der Zeugin Sch. und die Bestätigung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht in seinem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.
- 5
- 1. Die Zurückweisung des in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2015 gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugin Sch. findet entgegen der Auffassung der Vorinstanzen in § 296 Abs. 2 ZPO keine Stütze.
- 6
- a) § 296 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden. Das Landgericht gibt nicht an, welche der beiden vorgenannten Alternativen einschlägig sein soll. Auch das Berufungsgericht verhält sich hierzu nicht. Indes greift vorliegend keine der Alternativen des § 282 ZPO:
- 7
- § 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein. § 282 Abs. 1 ZPO ist hiernach im Streitfall offenkundig nicht anwendbar, da es sich bei dem Termin vom 27. August 2015 um den einzigen Verhandlungstermin in erster Instanz gehandelt hat. Die in § 282 Abs. 2 normierte Prozessförderungspflicht bezweckt nicht, dem Gericht die rechtzeitige Terminvorbereitung zu ermöglichen, sondern schützt allein den Gegner und betrifft nur solche Angriffsund Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorherige Erkundigung keine Erklärung abgeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1988 - IVa ZR 88/87, NJW 1989, 716 f.; Beschluss vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 6 f.; jeweils mwN). Dies ist bei einem Antrag auf Vernehmung eines nicht präsenten Zeugen, der ohnehin erst in einem weiteren Termin vernommen werden kann, nicht der Fall. Auch hatten sich die Beklagten zu der vom Kläger nunmehr unter Beweis gestellten Behauptung des Vorliegens spezifischer Krankheitssymptome bereits substantiiert und unter Bezugnahme auf die Behandlungsdokumentation erklärt (vgl. BGH, Urteile vom 29. Mai 1984 - IX ZR 57/83, WM 1984, 924, 925; vom 4. Mai 2005 - XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007, 1008; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 37. Aufl., § 282 Rn. 3).
- 8
- b) Ob der Antrag nach § 296 Abs. 1 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen, ist in den Rechtsmittelinstanzen nicht zu prüfen. Ein Wechsel der Präklusionsbegründung durch das Rechtsmittelgericht kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BGH, Urteile vom 4. Mai 2005 - XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007, 1008; vom 22. Februar 2006 - IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 12 ff.; Beschlüsse vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 8; vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 11; jeweils mwN).
- 9
- 2. Bleibt wie im vorliegenden Fall ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2008 - II ZR 236/07, NJW-RR 2009, 332 Rn. 8; Urteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 148/07, NJW-RR 2010, 1508 Rn. 20; Beschluss vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9; BVerfGE 69, 141, 144).
- 10
- 3. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es die Zeugin Sch. zu den am 21. November 2011 vorliegenden Krankheitssymptomen vernommen hätte. Die diesbezügliche Wechselhaftigkeit des Vortrags des Klägers ist dabei im Streitfall allein eine Frage der Beweiswürdigung.
Wellner Wellner Oehler
Roloff Klein
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 21.09.2015 - 19 O 260/13 -
OLG Celle, Entscheidung vom 11.05.2016 - 1 U 73/15 -
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(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.
(3) Verspätete Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und auf die der Beklagte verzichten kann, sind nur zuzulassen, wenn der Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 3 ist der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(1) Jede Partei hat in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht.
(2) Anträge sowie Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorhergehende Erkundigung keine Erklärung abgeben kann, sind vor der mündlichen Verhandlung durch vorbereitenden Schriftsatz so zeitig mitzuteilen, dass der Gegner die erforderliche Erkundigung noch einzuziehen vermag.
(3) Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, hat der Beklagte gleichzeitig und vor seiner Verhandlung zur Hauptsache vorzubringen. Ist ihm vor der mündlichen Verhandlung eine Frist zur Klageerwiderung gesetzt, so hat er die Rügen schon innerhalb der Frist geltend zu machen.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.
(3) Verspätete Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und auf die der Beklagte verzichten kann, sind nur zuzulassen, wenn der Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 3 ist der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(1) Jede Partei hat in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht.
(2) Anträge sowie Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorhergehende Erkundigung keine Erklärung abgeben kann, sind vor der mündlichen Verhandlung durch vorbereitenden Schriftsatz so zeitig mitzuteilen, dass der Gegner die erforderliche Erkundigung noch einzuziehen vermag.
(3) Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, hat der Beklagte gleichzeitig und vor seiner Verhandlung zur Hauptsache vorzubringen. Ist ihm vor der mündlichen Verhandlung eine Frist zur Klageerwiderung gesetzt, so hat er die Rügen schon innerhalb der Frist geltend zu machen.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.
(3) Verspätete Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen und auf die der Beklagte verzichten kann, sind nur zuzulassen, wenn der Beklagte die Verspätung genügend entschuldigt.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 3 ist der Entschuldigungsgrund auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.