Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Nov. 2016 - IV ZR 502/15

ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:231116BIVZR502.15.0
published on 23/11/2016 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Nov. 2016 - IV ZR 502/15
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Landgericht Darmstadt, 27 O 416/11, 08/11/2012
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 12 U 144/12, 15/10/2015

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 502/15
vom
23. November 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:231116BIVZR502.15.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Dr. Karczewski, die Richterinnen Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Götz
am 23. November 2016

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2015 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 40.000 €

Gründe:


1
I. Der Kläger verlangt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
2
Der Kläger lieferte seit dem Jahr 2006 als selbständiger Handelsvertreter für ein Unternehmen Tiefkühlkost an Haushalte aus. Am 31. Juli 2010 hatte er einen Unfall beim Volleyballspielen. Er hat behauptet, einen dauerhaften Knorpelschaden im rechten Knie erlitten zu haben und deswegen als selbständiger Auslieferungsfahrer berufsunfähig zu sein. Seine bisherige Berufstätigkeit stellte er nach diesem Unfall ein. Später nahm er eine neue Tätigkeit auf; zuletzt arbeitete er seit Juni 2014 als angestellter Vertriebssachbearbeiter im Innendienst. Neben ihren weiteren Einwänden gegen die Klageforderungen hat sich die Beklagte auch darauf berufen, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei, weil er eine nach Ausbildung, Einkommen und Stellung vergleichbare Tätigkeit im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen aufgenommen habe.
3
II. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage bis auf einen Teil der geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten stattgegeben. Es hat unter anderem ausgeführt, der Kläger müsse sich nicht auf seine Tätigkeit als angestellter Sachbearbeiter verweisen lassen, da diese Tätigkeit weder vom sozialen Ansehen noch von den Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten her mit einer Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter vergleichbar sei. Außerdem habe er die für den jetzt ausgeübten Beruf erforderlichen EDV-Kenntnisse durch überobligatorische Fortbildung nach Eintritt des Versicherungsfalls erworben; neu erworbene Fähigkeiten seien nach den Versicherungsbedingungen aber erst im Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen.
4
III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Teil des Beklagtenvortrags übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
5
Das Berufungsgericht begründet die fehlende Vergleichbarkeit der früheren und der heutigen Tätigkeit des Klägers auch damit, dass der Kläger seinem Vortrag zufolge früher selbständig mit entsprechenden Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten gewesen, jetzt dagegen angestellter Sachbearbeiter im Vertrieb sei. Die Beklagte hat jedoch die Behauptung des Klägers, er habe in seinem früheren Beruf größere Aufstiegschancen als bei seiner jetzigen Tätigkeit gehabt, in ihrem Schriftsatz vom 4. Mai 2015 (dort Seite 8) bestritten. Dies hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, sondern seiner Entscheidung den bestrittenen Klägervortrag zugrunde gelegt. Feststellungen dazu, wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Klägers real darstellten (vgl. Senatsurteil vom 21. April 2010 - IV ZR 8/08, VersR 2010, 1023 Rn. 11), hat es nicht getroffen.
6
IV. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
7
1. Bei der Prüfung einer Verweisung des Klägers auf die inzwischen ausgeübte Tätigkeit wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Wechsel aus einer selbständigen in eine angestellte Tä- tigkeit allein die Verweisbarkeit noch nicht ausschließt, sondern es stets einer auf den Einzelfall abgestellten Wertung bedarf, ob mit der neuen Tätigkeit ein spürbarer sozialer Abstieg verbunden ist (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1987 - IVa ZR 240/86, VersR 1988, 234 unter 2 b). Nicht der einzige, aber ein nicht zu vernachlässigender Bewertungsfaktor ist hierbei die Verdienstmöglichkeit (aaO). Außerdem wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Kläger auf die weiteren Tätigkeiten, die er seit seinem Unfall ausgeübt hat, verwiesen werden kann.
8
2. Eine Verweisung des Klägers auf seine jetzt ausgeübte Tätigkeit wird das Berufungsgericht nicht mit der Begründung ablehnen können, dass neu erworbene Fähigkeiten nach § 10 Abs. 1 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BBUZ) erst im Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen seien. Da die Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben hat, musste der Kläger seine Ansprüche im Wege der Klage geltend machen. Im Rechtsstreit ist dann zunächst der Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu führen. Ist danach ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Leistungspflicht gegeben, steht dem Versicherer im selben Rechtsstreit der Beweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen nach der für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit geltenden Versicherungsbedingung eingetreten sind (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Januar 2010 - IV ZR 111/07, r+s 2010, 251 Rn. 3; Senatsurteile vom 19. November 1997 - IV ZR 6/97, VersR 1998, 173 unter 2 b und 3; vom 11. Dezember 1996 - IV ZR 238/95, VersR 1997, 436 unter II 1). Im Urteil ist dann über Beginn und Ende der Leistungspflicht zu entscheiden (Senatsbeschluss vom 20. Januar 2010 aaO).
9
3. Falls das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass dem Kläger ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente zusteht, wird es zu beachten haben, dass nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BBUZ eine laufende Berufsunfähigkeitsrente während der Berufsunfähigkeit - abgesehen von etwaigen Erhöhungen aufgrund der Überschussbeteiligung - nicht erhöht wird. Damit endet die Dynamisierung im Leistungsfall.
Mayen Dr. Karczewski Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann Dr. Götz

Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 08.11.2012- 27 O 416/11 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 15.10.2015- 12 U 144/12 -
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.