Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2007 - IV ZR 256/05

bei uns veröffentlicht am14.11.2007
vorgehend
Landgericht Wuppertal, 5 O 151/00, 22.10.2004
Oberlandesgericht Düsseldorf, 14 U 163/04, 22.09.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 256/05
vom
14. November 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke
am 14. November 2007

beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. September 2005 zugelassen.
2. Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 24.797,66 €

Gründe:


1
I. 1. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 48.500 DM in Anspruch. Sie hat behauptet, der Beklagte habe einen Schuldschein über diese Darlehenssumme mit Datum vom 31. Dezember 1996 an diesem Tage in Gegenwart von Zeugen unterschrieben. Der Beklagte trägt demgegenüber vor, seine Unterschrift unter diesem Schuldschein sei ebenso gefälscht wie jene unter einer mit "Erklärung und Ehevorvertrag" bezeichneten Urkunde mit dem Datum des 15. Januar 1997, in dem die Klägerin erklärte, sie sei bereit, am Tage der Eheschließung mit dem Beklagten auf alle Rechte aus dem Darlehen zu verzichten. Hilfsweise wendet der Beklagte ein, er habe unter beiden Urkunden Blankounterschriften geleistet, es handele sich also um einen Fall von Blankettmissbrauch.
2
2. Das Landgericht hat zur Frage der Echtheit der Unterschriften des Beklagten unter den beiden Urkunden sowie zur zeitlichen Abfolge von Textschrift und Unterschrift Gutachten des Schriftsachverständigen T. eingeholt. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, die Unterschriften unter den beiden Urkunden seien mit hoher Wahrscheinlichkeit, die bereits zur an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit tendiere, echte Unterschriftsleistungen des Beklagten. Nach kritischer Stellungnahme des Beklagten dazu gab das Landgericht dem Sachverständigen eine Ergänzung seines Gutachtens auf und kündigte neuen Termin zu dessen Anhörung an. Nach Eingang des Gutachtens bestimmte es Termin zur Anhörung des Sachverständigen und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung. Wegen dauerhafter Erkrankung des Sachverständigen sah es schließlich jedoch von einer mündlichen Anhörung ab und holte stattdessen eine weitere schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen ein. Die Klägerin hatte dieser Verfahrensweise zuvor zugestimmt ; der Beklagte hatte sich nicht geäußert. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe den Beweis für die Echtheit der Unterschrift des Beklagten unter dem Schuldschein mithilfe des Gutachtens des Schriftsachverständigen T. geführt, ein Blankettmissbrauch sei weder hinsichtlich des Schuldscheins noch hinsichtlich des so ge- nannten Ehevorvertrages bewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.
3
3. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Beklagte unter anderem die unterbliebene persönliche Anhörung des Schriftsachverständigen in der mündlichen Verhandlung sowie die unterbliebene Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens; insoweit rügt er die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Im Übrigen habe nur die Klägerin, nicht aber er, der Beklagte, sein Einverständnis mit dem Verzicht auf die persönliche Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erklärt.
4
II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Es verletzt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör, dass das Berufungsgericht den gerichtlich bestellten Schriftsachverständigen T. nicht zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens sowie der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme angehört hat.
5
1. Dabei kann offen bleiben, ob sich diese Verletzung von Verfahrensrecht bereits aus einer Missachtung des unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO bestehenden Rechtes einer Partei ergibt, die persönliche Anhörung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu verlangen. Zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs haben die Parteien nach §§ 397, 402 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob das Gericht seinerseits noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Sachverständige seine Auffassung noch ändert, einen Anspruch darauf, dass sie ihm die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlicher Anhörung stellen können (st. Rsp.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05 - VersR 2006, 950 unter II 1 Tz. 6 m.w.N.). Einen solchen Antrag hat der Beklagte indessen nicht ausdrücklich gestellt. Ob seinem Verlangen auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens jedenfalls hilfsweise ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen T. zu entnehmen war und ob sich der Beklagte zwar nicht ausdrücklich, wie das Berufungsgericht meint, aber zumindest stillschweigend mit einer (weiteren) schriftlichen Erläuterung des Sachverständigen einverstanden erklärt hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn das Berufungsgericht war schon von Amts wegen verpflichtet, nicht ohne eine mündliche Anhörung des Schriftsachverständigen zum Nachteil des Beklagten zu entscheiden.
6
a) 2. Sachverständigengutachten unterliegen gemäß § 286 ZPO der freien Beweiswürdigung durch das Gericht (BGH, Urteil vom 27. Mai 1982 - III ZR 201/80 - NJW 1982, 2874 unter I 1). Auf dem Gebiet der Schriftgutachten wird das durch § 442 ZPO ausdrücklich bestätigt. Dabei hat das Gericht das Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sorgfältig und kritisch zu würdigen (BGH aaO). Das gilt insbesondere dann, wenn die Echtheit eines Schriftzuges anhand von Vergleichsmaterial zu beurteilen ist und der Sachverständige auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles, etwa wegen der Qualität des ihm zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterials, nur zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage gekommen ist. Dann kann die Erörterung des Gutachtens mit dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, die grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt (§ 411 Abs. 3 ZPO) unumgänglich werden, um Zweifel zu klären und Unklarheiten zu beseitigen (BGH, Urteile vom 27. Mai 1982 - III ZR 201/80 - NJW 1982, 2874 unter I 2; vom 11. Juli 2001 - VIII ZR 215/00 - NJW 2001, 3269 un- ter II 1 a Tz. 15). Danach durfte sich das Berufungsgericht im vorliegenden Fall der erstinstanzlichen Würdigung des Schriftsachverständigengutachtens nicht allein an Hand der schriftlichen Stellungnahmen und Erläuterungen des Sachverständigen T. anschließen.
7
b) Das Berufungsgericht hat sich zwar mit der auch vom Sachverständigen mehrfach und deutlich hervorgehobenen minderen Eignung des Schriftvergleichsmaterials und mit den Auswirkungen dieses Umstandes auf die Aussagekraft der Schlussfolgerungen des Sachverständigen auseinandergesetzt. Durchgreifenden Bedenken begegnet es jedoch , dass das Berufungsgericht ohne weitere Nachfrage die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 17. Juni 2004, wonach er trotz Fehlens ausreichender Vergleichsunterschriften "praktisch keine Zweifel an der Echtheit der beiden Unterschriften" habe, in seine Würdigung einbezogen hat. Damit hat es sich den Blick dafür verstellt, dass der Sachverständige andererseits auf gesicherter Grundlage, nämlich unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterials , lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage dahingehend zu treffen vermochte, die Echtheit sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit" festzustellen, die "bereits zu der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit hin tendiere". Dieser Widerspruch war klärungsbedürftig, zumal der Sachverständige selbst die Zuordnung des Echtheitsgrades zur sechsten Stufe der Skala - mit einer Tendenz zur siebten Stufe - nach einem Vergleich mit lediglich provozierten Unterschriften schon für sich genommen als seltenen Ausnahmefall bezeichnet hatte.
8
III. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
9
Sollte 1. die nunmehr nachzuholende mündliche Anhörung des Sachverständigen T. , etwa wegen dessen fortbestehender Erkrankung , nicht möglich sein oder sonst - etwa infolge technisch unzureichender Ausstattung des Sachverständigen - in der Sache keinen Erfolg versprechen, wird das Berufungsgericht insgesamt eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen erwägen müssen (§ 412 Abs. 1 ZPO; vgl. insoweit BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459 unter III).
10
2. Je nach Ausgang der mündlichen Anhörung bzw. der neuen Begutachtung wird das Berufungsgericht auch das Beweisangebot des Beklagten in Betracht ziehen müssen, wonach eine chemische Analyse des für den Schuldschein und den sog. Ehevorvertrag benutzten Papiers näheren Aufschluss über deren Entstehungszeitpunkt geben könne. Zur Auslegung und Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO verweist der Senat auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05 - NJW 2007, 1531 unter III).
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 22.10.2004 - 5 O 151/00 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.09.2005 - I-14 U 163/04 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Zivilprozessordnung - ZPO | § 412 Neues Gutachten


(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. (2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein S

Zivilprozessordnung - ZPO | § 411 Schriftliches Gutachten


(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf

Zivilprozessordnung - ZPO | § 442 Würdigung der Schriftvergleichung


Über das Ergebnis der Schriftvergleichung hat das Gericht nach freier Überzeugung, geeignetenfalls nach Anhörung von Sachverständigen, zu entscheiden.

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 182/05
vom
15. März 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und Dr. Franke
am 15. März 2006

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 36.959,65 €

Gründe:


1
I. 1. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Er ist der Auffassung, wegen ver- schiedener gesundheitlicher Beeinträchtigungen liege bei ihm eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vor.
2
Das a) Landgericht hat dazu durch Einholung mehrerer schriftlicher Sachverständigengutachten Beweis erhoben. Schriftliche Gutachten haben der Orthopäde Prof. Dr. S. , der Neurologe Prof. Dr. K. (unter Einschluss eines neurophysiologischen Zusatzgutachtens) sowie der Neurochirurg Prof. Dr. E. erstattet. Sämtliche Gutachten kamen zu dem Ergebnis, beim Kläger liege bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vor. Bei dieser Beurteilung blieben die Sachverständigen auch in vom Landgericht auf entsprechende Einwände des Klägers eingeholten ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen. Der Kläger beantragte , die Sachverständigen zu laden, damit sie in der mündlichen Verhandlung von ihm befragt werden könnten. Ferner lehnte er den Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab, blieb damit jedoch erfolglos. Auf seine Anregung hin wurde vom Landgericht ergänzend ein berufs- bzw. arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. K. eingeholt, das ebenfalls zu einer sicher unter 50% liegenden Berufsunfähigkeit gelangte. Das Landgericht wies die Klage daraufhin als unbegründet ab, ohne die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung persönlich anzuhören. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er in dem von ihm ausgeübten Beruf zu mindestens 50% berufsunfähig sei.
3
b) Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und beanstandete insbesondere, das Landgericht habe entgegen seinen Anträgen die Sachverständigen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so dass er sie zu ihrem Gutachten nicht habe befragen können. Nach Be- weisaufnahme durch Anhörung des arbeitsmedizinischen Sachverständigen Dr. K. hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel zurückgewiesen , da der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht bewiesen sei. Dies habe auch der Sachverständige Dr. K. in seinem schriftlichen Gutachten sowie in seiner Anhörung vor dem Senat in Übereinstimmung mit den anderen Gutachten bestätigt. Konkrete Anhaltspunkte , die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit der anderen Gutachten zu zweifeln, sei nicht vorhanden.
4
2. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Kläger unter anderem die unterbliebene Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. S. , Prof. Dr. K. sowie Prof. Dr. E. und rügt insoweit die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Mit den Anträgen auf Anhörung der Sachverständigen habe er jeweils konkrete Fragen an diese verbunden. Zwar habe das Landgericht , statt diesen Anträgen nachzugehen, ein berufs- und arbeitsmedizinisches Gutachten von Dr. K. eingeholt. Damit habe sich jedoch allenfalls sein Antrag auf Vernehmung von Prof. Dr. K. erledigt, weil das arbeitsmedizinische Gutachten dem Gericht die Kenntnisse vermitteln sollte, die Prof. Dr. K. nicht hatte. Für alle anderen Anhörungsanträge gelte dies nicht. Da der Kläger in der Berufungsinstanz das Übergehen seiner Anhörungsanträge gerügt und diese allesamt wiederholt habe, hätte das Berufungsgericht ihnen auch nachgehen müssen. Entscheidungserheblich sei insbesondere der Antrag auf Anhörung des orthopädischen Gutachters Prof. Dr. S. gewesen.

5
II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend , dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Anhörung von Sachverständigen abgesehen hat. Es hat damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
6
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14 und ständig). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Urteil vom 24 Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211 f.). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14).

7
2. Danach begegnet es schon in Bezug auf den orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. S. durchgreifenden rechtlichen Bedenken , dass das Berufungsgericht von dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
8
Der Kläger hatte im ersten Rechtszug rechtzeitig die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 13. September 1999 beantragt; dieser Antrag war auch nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 21. Februar 2000 nicht schon dadurch erledigt, dass der Kläger diesen Sachverständigen in der Zwischenzeit wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Da also schon das Landgericht den Sachverständigen hätte laden müssen, das Verfahren in erster Instanz mithin fehlerhaft war, war das Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht gebunden und hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO hätte es die aufgrund des Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen dürfen. Der Auffassung der Beschwerdeerwiderung, nach - wenn auch erfolgloser - Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. S. durch den Kläger habe das Berufungsgericht nicht mehr davon ausgehen müssen, dass er die ihm obliegende Beweisführung weiterhin auf ein Gutachten dieses Sachverständigen habe stützen wollen, kann nicht gefolgt werden. Zwar kann in einem bestimmten Prozessverhalten einer Partei nach den Umständen des Falles auch eine stillschweigende Erklärung gesehen werden, sich - nunmehr - in Bezug auf ein Sachverständigengutachten mit einer schriftlichen Erläuterung zufrieden geben zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 aaO). Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug nicht nur die unterbliebene Anhörung des Sachverständigen im ersten Rechtszug gerügt, sondern seine dahingehenden Anträge ausdrücklich wiederholt. Da das Gutachten wegen der erfolglos gebliebenen Ablehnung des Sachverständigen auch Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers geblieben war, musste diesem um so mehr daran gelegen sein, das für ihn ungünstige Ergebnis des Gutachtens durch eine Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zu erschüttern.
9
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sach- verständigen Prof. Dr. S. erwägen müssen, ob ergänzend auch eine persönliche Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. E. geboten ist.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 09.03.2004 - 11 O 428/97 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.07.2005 - 10 U 440/04 -

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Über das Ergebnis der Schriftvergleichung hat das Gericht nach freier Überzeugung, geeignetenfalls nach Anhörung von Sachverständigen, zu entscheiden.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 279/05
vom
21. Dezember 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Wird ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weiteren
Tatsachenvortrag, etwa unter Vorlage eines Privatgutachtens, zusätzlich konkretisiert
, verdeutlicht oder erläutert, stellt dies kein neues Vorbringen im Sinne der

b) Auch im Bauprozess ist eine Partei nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen
gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens
oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen.
BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Dezember 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Dr. Haß, Hausmann,
Dr. Wiebel und Prof. Dr. Kniffka

beschlossen:
Der Beschwerde des Beklagten wird stattgegeben. Das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. November 2005 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 100.000 €

Gründe:


I.

1
Die Klägerinnen verlangen Schadensersatz wegen Mängeln einer vom Beklagten geplanten Dachsanierung.
2
Sie beauftragten den Beklagten im Jahr 2001 damit, einen Vorschlag für die Dachsanierung eines Industriegebäudes mit fünf sog. Sheddächern und einer weiteren geneigten Dachfläche zu erarbeiten. Auf der Grundlage des vom Beklagten erstellten Leistungsverzeichnisses wurde die Fa. M. mit der Sanierung beauftragt. Noch während der Ausführung der Arbeiten bildeten sich an den Dachbahnen Falten und Risse. Auf sämtlichen Dachflächen rutschten die Bitumenbahnen ab. Nachdem die Klägerinnen die Fa. M. erfolglos zur Beseitigung der Mängel aufgefordert hatten, beantragten sie gegen diese ein selbständiges Beweisverfahren. Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis , dass die vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien angesichts der vorhandenen Dachneigung nicht geeignet seien. Nach Erstellung des Gutachtens erweiterten die Klägerinnen das selbständige Beweisverfahren auf den Beklagten. Mit der Klage machen sie einen Teilbetrag der geschätzten Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 100.000 € geltend.
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Das Landgericht hat den Beklagten nach mündlicher Anhörung des im selbständigen Beweisverfahren beauftragten Sachverständigen im beantragten Umfang zum Schadensersatz verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege ein vom Beklagten zu vertretender Planungsfehler in Form eines Ausschreibungsfehlers vor, weil die Dachsanierung mit den vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien handwerklich nicht fachgerecht zu erbringen gewesen sei.
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Mit der Berufung hat der Beklagte, gestützt auf ein nach Urteilserlass eingeholtes Privatgutachten, weitere Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erhoben. Das Berufungsgericht hat diese als verspätet angesehen und die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

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Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte sei gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO mit Einwendungen ausgeschlossen, die auf dem Ergebnis des Privatgutachtens beruhten. Der Beklagte habe Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten bereits in erster Instanz vorbringen müssen. Er sei im selbständigen Beweisverfahren und im Rahmen der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen vor dem Landgericht zum Sachverständigengutachten gehört worden, ohne Einwendungen vorzubringen. Er habe keine Gründe vorgebracht, weshalb die Überprüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch einen Privatgutachter während des Laufs des erstinstanzlichen Verfahrens nicht möglich gewesen sei.

III.

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Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft angenommen, der Beklagte sei mit Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten in der Berufungsinstanz gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen , die auf dem nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingeholten Privatgutachten beruhen. Damit hat es zugleich in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
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1. Die vom Beklagten in der Berufungsinstanz unter Hinweis auf das nachträglich eingeholte Privatgutachten erhobenen Einwendungen sind nicht als neues Angriffsmittel im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu bewerten. Um neues Vorbringen handelt es sich, wenn dieses sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, nicht jedoch, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333, vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251 und vom 26. Juni 2003 - VII ZR 281/02, BauR 2003, 1559 = ZfBR 2003, 686 = NZBau 2003, 560 m.w.N.).
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Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten keine in diesem Sinne neuen Einwendungen erhoben, sondern sein erstinstanzliches Vorbringen lediglich ergänzt und erläutert. Er hat in erster Instanz beanstandet, dass die gelieferte Klappbahn nicht den Vorgaben der Ausschreibung entspreche und die aufgetretenen Mängel auf Verarbeitungsfehler der mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Firma M. zurückzuführen seien. In der Berufungsinstanz hat er unter Bezugnahme auf die Ausführungen des von ihm beauftragten Privatgutachters die Art der Verarbeitungsfehler im Einzelnen dargelegt sowie die Umstände bezeichnet, die die Annahme nahe legen, dass für die Sanierung fehlerhaftes und nicht dem Leistungsverzeichnis entsprechendes Material verwendet worden ist.
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2. Im Übrigen durfte das Berufungsgericht die vorgebrachten Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten schon deshalb nicht als verspätet zurückweisen, weil dem Beklagten keine Nachlässigkeit zur Last fällt (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
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Eine Partei ist nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 335; vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 253 und vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02, NJW 2003, 1400). Dieser Grundsatz findet außer bei medizinischen Fachfragen auch bei Fallgestaltungen Anwendung, in denen ein Erfolg versprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 aaO.). Der Beklagte war danach nicht gehalten, gehalten, zur Erhebung fachlich fundierter Einwendungen bereits in erster Instanz einen privaten Sachverständigen zu beauftragen. Die Ermittlung der Umstände , die für den Mangel ursächlich gewesen sind, erfordert besonderes Fachwissen, das sich eine Partei in der Regel nur durch Hinzuziehung eines Sachverständigen verschaffen kann. Eine Partei ist auch dann nicht gehindert, sich zur Ergänzung ihres Sachvortrags eines anerkannten Sachverständigen zu bedienen, wenn sie selbst über Fachkenntnisse verfügt.
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3. Der in der unzulässigen Zurückweisung des Vorbringens liegende Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat sich mit den auf das Privatgutachten gestützten Einwendungen des Beklagten nicht auseinandergesetzt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es anders entschieden hätte, wenn es die vom Beklagten in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen berücksichtigt hätte. Dressler Haß Hausmann Wiebel Kniffka
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 27.04.2005 - 9 O 457/04 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.11.2005 - 3 U 113/05 -