Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05

published on 15/03/2006 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2006 - IV ZR 182/05
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Previous court decisions
Landgericht Trier, 11 O 428/97, 09/03/2004
Oberlandesgericht Koblenz, 10 U 440/04, 08/07/2005

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 182/05
vom
15. März 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und Dr. Franke
am 15. März 2006

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 36.959,65 €

Gründe:


1
I. 1. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Er ist der Auffassung, wegen ver- schiedener gesundheitlicher Beeinträchtigungen liege bei ihm eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vor.
2
Das a) Landgericht hat dazu durch Einholung mehrerer schriftlicher Sachverständigengutachten Beweis erhoben. Schriftliche Gutachten haben der Orthopäde Prof. Dr. S. , der Neurologe Prof. Dr. K. (unter Einschluss eines neurophysiologischen Zusatzgutachtens) sowie der Neurochirurg Prof. Dr. E. erstattet. Sämtliche Gutachten kamen zu dem Ergebnis, beim Kläger liege bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vor. Bei dieser Beurteilung blieben die Sachverständigen auch in vom Landgericht auf entsprechende Einwände des Klägers eingeholten ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen. Der Kläger beantragte , die Sachverständigen zu laden, damit sie in der mündlichen Verhandlung von ihm befragt werden könnten. Ferner lehnte er den Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab, blieb damit jedoch erfolglos. Auf seine Anregung hin wurde vom Landgericht ergänzend ein berufs- bzw. arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. K. eingeholt, das ebenfalls zu einer sicher unter 50% liegenden Berufsunfähigkeit gelangte. Das Landgericht wies die Klage daraufhin als unbegründet ab, ohne die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung persönlich anzuhören. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er in dem von ihm ausgeübten Beruf zu mindestens 50% berufsunfähig sei.
3
b) Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und beanstandete insbesondere, das Landgericht habe entgegen seinen Anträgen die Sachverständigen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so dass er sie zu ihrem Gutachten nicht habe befragen können. Nach Be- weisaufnahme durch Anhörung des arbeitsmedizinischen Sachverständigen Dr. K. hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel zurückgewiesen , da der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht bewiesen sei. Dies habe auch der Sachverständige Dr. K. in seinem schriftlichen Gutachten sowie in seiner Anhörung vor dem Senat in Übereinstimmung mit den anderen Gutachten bestätigt. Konkrete Anhaltspunkte , die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit der anderen Gutachten zu zweifeln, sei nicht vorhanden.
4
2. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Kläger unter anderem die unterbliebene Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. S. , Prof. Dr. K. sowie Prof. Dr. E. und rügt insoweit die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Mit den Anträgen auf Anhörung der Sachverständigen habe er jeweils konkrete Fragen an diese verbunden. Zwar habe das Landgericht , statt diesen Anträgen nachzugehen, ein berufs- und arbeitsmedizinisches Gutachten von Dr. K. eingeholt. Damit habe sich jedoch allenfalls sein Antrag auf Vernehmung von Prof. Dr. K. erledigt, weil das arbeitsmedizinische Gutachten dem Gericht die Kenntnisse vermitteln sollte, die Prof. Dr. K. nicht hatte. Für alle anderen Anhörungsanträge gelte dies nicht. Da der Kläger in der Berufungsinstanz das Übergehen seiner Anhörungsanträge gerügt und diese allesamt wiederholt habe, hätte das Berufungsgericht ihnen auch nachgehen müssen. Entscheidungserheblich sei insbesondere der Antrag auf Anhörung des orthopädischen Gutachters Prof. Dr. S. gewesen.

5
II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend , dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Anhörung von Sachverständigen abgesehen hat. Es hat damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
6
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14 und ständig). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Urteil vom 24 Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211 f.). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14).

7
2. Danach begegnet es schon in Bezug auf den orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. S. durchgreifenden rechtlichen Bedenken , dass das Berufungsgericht von dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
8
Der Kläger hatte im ersten Rechtszug rechtzeitig die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 13. September 1999 beantragt; dieser Antrag war auch nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 21. Februar 2000 nicht schon dadurch erledigt, dass der Kläger diesen Sachverständigen in der Zwischenzeit wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Da also schon das Landgericht den Sachverständigen hätte laden müssen, das Verfahren in erster Instanz mithin fehlerhaft war, war das Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht gebunden und hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO hätte es die aufgrund des Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen dürfen. Der Auffassung der Beschwerdeerwiderung, nach - wenn auch erfolgloser - Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. S. durch den Kläger habe das Berufungsgericht nicht mehr davon ausgehen müssen, dass er die ihm obliegende Beweisführung weiterhin auf ein Gutachten dieses Sachverständigen habe stützen wollen, kann nicht gefolgt werden. Zwar kann in einem bestimmten Prozessverhalten einer Partei nach den Umständen des Falles auch eine stillschweigende Erklärung gesehen werden, sich - nunmehr - in Bezug auf ein Sachverständigengutachten mit einer schriftlichen Erläuterung zufrieden geben zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 aaO). Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug nicht nur die unterbliebene Anhörung des Sachverständigen im ersten Rechtszug gerügt, sondern seine dahingehenden Anträge ausdrücklich wiederholt. Da das Gutachten wegen der erfolglos gebliebenen Ablehnung des Sachverständigen auch Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers geblieben war, musste diesem um so mehr daran gelegen sein, das für ihn ungünstige Ergebnis des Gutachtens durch eine Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zu erschüttern.
9
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sach- verständigen Prof. Dr. S. erwägen müssen, ob ergänzend auch eine persönliche Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. E. geboten ist.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 09.03.2004 - 11 O 428/97 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.07.2005 - 10 U 440/04 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst
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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.