Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Juli 2017 - II ZR 10/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:310717BIIZR10.15.0
bei uns veröffentlicht am31.07.2017
vorgehend
Landgericht Gera, 4 O 1512/13, 06.05.2014
Thüringer Oberlandesgericht, 7 U 344/14, 10.12.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZR 10/15
vom
31. Juli 2017
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2017:310717BIIZR10.15.0

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Drescher, die Richter Born, Sunder und Dr. Bernau sowie die Richterin Grüneberg
beschlossen:
Die Anhörungsrüge gegen das Senatsurteil vom 10. Januar 2017 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

1
I. Mit Urteil vom 10. Januar 2017 hat der Senat die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 10. Dezember 2014 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Mit ihrer Anhörungsrüge macht die Beklagte geltend, die Entscheidung verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.
2
II. Die gemäß § 321a ZPO statthafte Anhörungsrüge ist jedenfalls unbegründet.
3
1. Die Beklagte wendet sich gegen die Einschätzung des Senats, gegen die Wirksamkeit der in der Satzung des Klägers festgelegten Kündigungsfrist von 24 Monaten bestünden keine durchgreifenden Bedenken (Randnummern 28-36 des Urteils). Sie beanstandet eine unzureichende Würdigung des Arguments , dass bei einer zweijährigen Kündigungsfrist ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihre negative Vereinigungsfreiheit vorliege. Insoweit habe sie umfangreich verfassungsrechtliche Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 1 GG vorgetragen. Weiter rügt die Beklagte, der Senat habe ihre Ausführungen unberücksichtigt gelassen, mit denen sie dargelegt habe, dass es keinen für sie nachteiligen Unterschied mache, ob sie sich auf Art. 9 Abs. 3 GG oder "nur" auf Art. 9 Abs. 1 GG stützen könne.
4
Diese Rügen sind unbegründet. Der Senat hat sich eingehend mit der Frage befasst, ob die durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte negative Vereinigungsfreiheit für die Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband eine Abweichung von der nach § 39 Abs. 2 BGB in Vereinen zulässigen Kündigungshöchstfrist von zwei Jahren gebietet, und diese Frage nach Würdigung der im Streitfall maßgebenden Gesichtspunkte verneint. Hierbei hat der Senat die einschlägige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt, insbesondere den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 2001 (BVerfG, NJW 2001, 2617). Soweit die Beklagte in ihrer Anhörungsrüge zwei weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nennt (BVerfG, BVerfGE 123, 186 Rn. 227; BVerfGE 136, 194 Rn. 190), ist schon nicht ersichtlich, welche für die hier vorzunehmende Prüfung wesentlichen Ausführungen im Senatsurteil unberücksichtigt geblieben sein sollen.
5
Der Senat hat sich auch mit seiner eigenen Rechtsprechung zu einer auf Art. 9 Abs. 3 GG gestützten Begrenzung der Kündigungsfristen in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (BGH, Urteil vom 22. September 1980 - II ZR 34/80, ZIP 1980, 999; Urteil vom 29. Juli 2014 - II ZR 243/13, BGHZ 202, 202 Rn. 23 ff.) befasst (Randnummer 31 des Urteils). Er ist der Argumentation der Beklagten, diese Rechtsprechung sei auf die Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband zu übertragen, aber nicht gefolgt.
6
2. Der Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist ebenfalls nicht verletzt, soweit der Senat ausgeführt hat, dass eine Genossenschaft dem Prüfungsverband, dem sie angehört, dessen satzungsrechtliche Prüfungsbefugnis jedenfalls dann nicht durch eine "Teilkündigung" oder eine das Mitgliedschaftsverhältnis umgestaltende Erklärung einseitig entziehen kann, wenn der Prüfungsverband eine Mitgliedschaft entsprechenden Zuschnitts nicht anbietet (Randnummern 24-26 des Urteils). Der Senat hat auch insoweit die vorgebrachten Argumente der Beklagten zur Kenntnis genommen und erwogen und sie in den Entscheidungsgründen behandelt, soweit dies geboten erschien.
7
Im Übrigen übersieht die Beklagte, dass die Ausführungen des Senats zur Unzulässigkeit einer "Teilkündigung" nicht tragend waren (Randnummer 23 des Urteils).
8
3. Soweit die Beklagte schließlich rügt, dass der Senat das von ihr vorgelegte Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 14. September 2016 - 9 U 7/16 - nicht erwähnt habe, ergibt sich auch hieraus kein Gehörsverstoß. Der Senat hat dieses Urteil inhaltlich zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen.
Drescher Born Sunder Bernau Grüneberg
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 06.05.2014 - 4 O 1512/13 -
OLG Jena, Entscheidung vom 10.12.2014 - 7 U 344/14 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 9


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverstä

Zivilprozessordnung - ZPO | § 321a Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn1.ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2.das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches G

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 39 Austritt aus dem Verein


(1) Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt. (2) Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass der Austritt nur am Schluss eines Geschäftsjahrs oder erst nach dem Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juli 2014 - II ZR 243/13

bei uns veröffentlicht am 29.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil II ZR 243/13 Verkündet am: 29. Juli 2014 Stoll Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja GG Art. 9 Abs. 3;

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(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt.

(2) Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass der Austritt nur am Schluss eines Geschäftsjahrs oder erst nach dem Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann höchstens zwei Jahre betragen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

23
a) Zwar endet das Mitgliedschaftsverhältnis nach § 5 Absatz 2 der Satzung erst zum 31. Dezember des darauffolgenden Jahres, wenn die Kündigung bis zum 31. Dezember eines Jahres erklärt wird. Eine Satzungsregelung, die eine Kündigungsfrist von nahezu 24 Monaten zur Folge haben kann, steht aber, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht mehr mit Art. 9 Abs. 3 GG in Einklang.