Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2007 - I ZB 100/06

bei uns veröffentlicht am19.07.2007
vorgehend
Amtsgericht Lingen (Ems), 4 C 1077/05, 14.02.2006
Landgericht Osnabrück, 4 S 167/06, 06.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 100/06
vom
19. Juli 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Eine Partei und ihr Prozessbevollmächtigter handeln nicht schuldhaft i.S. des
§ 233 ZPO, wenn sie sich auch vor und an Feiertagen auf die Einhaltung der
von der Post angegebenen Brieflaufzeiten verlassen und deshalb keine besonderen
Vorkehrungen treffen, um den Eingang eines fristwahrenden Schriftsatzes
bei Gericht zu überwachen.
BGH, Beschl. v. 19. Juli 2007 - I ZB 100/06 - LG Osnabrück
AG Lingen
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Büscher,
Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 6. Oktober 2006 aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 876,73 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 16. Februar 2006 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Lingen vom 14. Februar 2006 am 14. März 2006 beim Landgericht Osnabrück Berufung eingelegt. Diese hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. April 2006 begründet, der am 19. April 2006 beim Landgericht eingegangen ist. Mit einem am 26. April 2006 zugegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2
Hierzu hat der Kläger ausgeführt:
3
Die Berufungsbegründung sei am Donnerstag, dem 13. April 2006, gegen 19.30 Uhr von einer Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten in den Briefkasten am Hauptpostamt in Oldenburg eingeworfen worden. Der Briefkasten werde nach den dort angebrachten Angaben täglich um 19.30 Uhr (Spätleerung ) und um 22.00 Uhr (Nachtleerung) geleert. An dem Briefkasten sei folgender Hinweis angebracht: "Alle Sendungen aus einer Tages- und Spätleerung erreichen den Empfänger bundesweit mit der nächsten Zustellung. Bei Nachtleerungen gilt dies nur für den Bereich mit der Postleitzahl 26".
4
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dieser habe damit rechnen müssen, dass beim Einwurf des Schriftsatzes in den Briefkasten am 13. April 2006 gegen 19.30 Uhr die Spätleerung bereits erfolgt und wegen des folgenden Osterwochenendes der Eingang des Schriftsatzes am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück, das nicht zum Postleitzahlenbereich 26 gehöre, nicht gewährleistet gewesen sei. Davon sei offensichtlich auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausgegangen, der eine Mitarbeiterin beauftragt habe, am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück anzurufen, um sich nach dem Eingang des Schriftsatzes zu erkundigen. Die Mitarbeiterin habe aber nach den eigenen An- gaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers an diesem Tag niemanden mehr telefonisch auf der Geschäftsstelle erreicht.
5
II. 1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip), wonach den Parteien der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf. Dies bedeutet, dass einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden darf, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchkörpers nicht rechnen musste (BVerfG, Beschl. v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Gewährung der Wiedereinsetzung. Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein dem Kläger zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).
7
a) Den Prozessbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlasst, dass der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, dass er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können , darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (BGH, Beschl. v. 30.9.2003 - VI ZB 60/02, NJW 2003, 3712, 3713). Dies gilt auch, wenn vor Feiertagen mit einer besonders starken Beanspruchung der Post zu rechnen ist (BVerfG, Beschl. v. 25.9.2000 - 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1566 f.).
8
b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger den Einwurf der Postsendung mit der Berufungsbegründung am 13. April 2006 gegen 19.30 Uhr in den Briefkasten am Hauptpostamt Oldenburg und den an dem Briefkasten angebrachten Hinweis auf die Postlaufzeiten durch eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin P. seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht hat.
9
Bei einem Einwurf der Berufungsbegründungsschrift in den Postkasten am 13. April 2006 auch zu einem Zeitpunkt nach der Spätleerung konnte der Prozessbevollmächtigte aufgrund des an dem Briefkasten angebrachten Hinweises der Post davon ausgehen, dass der Brief - ebenso wie die Spätleerung am 14. April 2006 (Karfreitag) um 19.30 Uhr - am Samstag, dem 15. April 2006, beim Landgericht Osnabrück eingehen würde. Jedenfalls konnte der Prozessbevollmächtigte - selbst wenn er den Brief erst am Ostermontag vor der Spätleerung in den Briefkasten eingeworfen hätte - annehmen, dass die Postsendung mit der Berufungsbegründungsschrift an dem den Osterfeiertagen folgenden Zustelltag, dem 18. April 2006, dem Landgericht zugehen würde. Dies wäre zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist ausreichend gewesen.
10
Darauf, ob der Kläger durch weitere Maßnahmen (Nachfrage am 18. April 2006 beim Landgericht Osnabrück und erneute Zusendung der Berufungsbegründung am selben Tag per Telefax) die Wahrung der Frist noch hätte erreichen können, kommt es nicht an. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war nicht verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, ob der Schriftsatz rechtzeitig beim Landgericht eingegangen war. Wenn er seine Mitarbeiterin M. anwies, sich am Dienstag, dem 18. April 2006, nach dem Eingang des Schriftsatzes beim Landgericht Osnabrück zu erkundigen, hat er mehr als erforderlich getan. Brachte der Versuch, eine Bestätigung des Eingangs der Berufungsbegründung zu erhalten, keine Klärung, kann dies dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.1989 - IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188, 189).
Bornkamm Büscher Schaffert
Bergmann Kirchhoff
Vorinstanzen:
AG Lingen (Ems), Entscheidung vom 14.02.2006 - 4 C 1077/05 (V) -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 06.10.2006 - 4 S 167/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 60/02
vom
30. September 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Den Prozeßbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem
verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlaßt, daß der Schriftsatz so
rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, daß er nach den normalen Postlaufzeiten
fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozeßbevollmächtigten
keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung
der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, daß diese eingehalten
werden.
BGH, Beschluß vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - AG Hannover
LG Hannover
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2003 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Wellner, Diederichsen,
Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin werden die Beschlüsse der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 1. August 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.255,39

Gründe:


I.

Die Klägerin hat gegen ein ihre Klage abweisendes Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 7. Februar 2002, das ihr am 25. März 2002 zugestellt worden ist, am 25. April 2002 Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Juni 2002 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2002, der den Eingangsstempel des Landgerichts vom 26. Juni 2002 trägt, hat die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die eingelegte Berufung begründet. Auf die entsprechende Mitteilung des Landgerichts über den verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift, welche der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 3. Juli 2002 zugestellt worden ist, hat diese mit Schriftsatz vom 4. Juli 2002 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vo-
rigen Stand beantragt. Sie hat hierzu vorgetragen, daß die Berufungsbegründung ausweislich des Postausgangsbuchs und der zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihrer Fachangestellten am 24. Juni 2002 persönlich in der örtlichen Poststelle abgegeben worden sei. In der eidesstattlichen Versicherung heißt es weiter, dies sei ca. 17.10 Uhr erfolgt. Die Leerungszeiten der Postfiliale seien täglich um 8.00 Uhr und um 17.30 Uhr, wobei die Postbedienstete zugesichert habe, daß alle abgegebenen Schreiben auch am 24. Juni 2002 die Postfiliale verließen. Die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu weiter vorgetragen, daß grundsätzlich davon auszugehen sei, daß ein Brief von der örtlichen Postfiliale nach Hannover an einem Tag den Empfänger erreiche. Darüber hinaus hat sie dargelegt, daß ihre Angestellte am Nachmittag des 25. Juni 2002 mit der zuständigen Abteilung des Landgerichts telefoniert und sich von einem Mitarbeiter den Eingang der Berufungsbegründungsschrift vorsorglich habe bestätigen lassen. Das Landgericht hat mit Beschlüssen vom 1. August 2002 die Berufung der Klägerin gegen das am 7. Februar 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover als unzulässig verworfen und ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat es nicht als hinreichend glaubhaft erachtet, daß die Klägerin ohne Verschulden an der Wahrung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei. Da die Berufungsbegründungsschrift erst am Tag vor Fristablauf zur Post abgegeben worden sei, habe sich die Klägerin bzw. ihre Prozeßbevollmächtigte nicht darauf verlassen können , daß diese bereits am Folgetag in Hannover ausgeliefert werde. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hätten Zweifel an dem rechtzeitigen Zugang bestanden , denn die Angestellte ihrer Prozeßbevollmächtigten wolle am 25. Juni 2002 telefonisch bei der Geschäftsstelle nach dem Eingang der Berufungsbe-
gründung nachgefragt haben. Indes sei der Klägerin eine entsprechende Glaubhaftmachung durch die eidesstattliche Versicherung der Angestellten ihrer Prozeßbevollmächtigten nicht gelungen. Abgesehen davon, daß nicht nachvollziehbar sei, daß sich die Angestellte habe verbinden lassen, obwohl die Telefonnummer der Geschäftsstelle ausweislich der Akten dort bekannt gewesen sei, könne diese auch den Namen des Mitarbeiters nicht angeben. Eine Notiz über dieses wichtige Telefonat sei offenbar nicht gefertigt worden. Es verblieben schon deswegen Zweifel, ob ein Telefonat mit dem behaupteten Inhalt am 25. Juni 2002 überhaupt stattgefunden habe, zumal sich die Akten an diesem Tage noch auf der Geschäftsstelle befunden hätten und der zuständige Geschäftsstellenbeamte erklärt habe, daß er sich ziemlich genau erinnere, daß er keine Auskunft über den Eingang der Berufungsbegründungsschrift gegeben habe. Es bleibe daher die Möglichkeit offen, daß die Fristversäumung verschuldet gewesen sei, weshalb Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne. Gegen die ihr am 12. August 2002 zugestellten Beschlüsse des Landgerichts vom 1. August 2002 hat die Klägerin am 11. September 2002 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist um zwei Monate mit Schriftsatz vom 12. November 2002, eingegangen am selben Tage, begründet.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig (vgl. §§ 574 ff ZPO). Sie ist auch begründet und führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 577 Abs. 4 ZPO). 1. Den Prozeßbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlaßt, daß der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, daß er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozeßbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können , darf er darauf vertrauen, daß diese eingehalten werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluß vom 5. Juli 2001 - VII ZB 2/00 - BRAK-Mitt. 2001, 215 m. Anm. Borgmann; Beschluß vom 9. Februar 1998 - II ZB 15/97 - NJW 1998, 1870). Da keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die im vorliegenden Fall zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeit hätten führen können, hätte das Berufungsgericht Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf vertrauen durfte, daß der Brief nach den normalen Postlaufzeiten am Folgetag fristgerecht beim Berufungsgericht eingeht. 2. In diesem Falle käme es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob die Klägerin glaubhaft gemacht hat, daß der Angestellten ihrer Prozeßbevollmächtigten auf entsprechende telefonische Nachfrage am 25. Juni 2002 seitens des Berufungsgerichts mitgeteilt worden ist, die Berufungsbegründungsschrift sei eingegangen. Der Prozeßbevollmächtigte, der auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten vertrauen darf, ist nämlich nicht
verpflichtet, sich nach dem Eingang des Schriftsatzes telefonisch zu erkundi- gen (vgl. BGH, Beschluß vom 5. Juli 2001 - VII ZB 2/00 - aaO; Beschluß vom 8. April 1992 - XII ZB 34/92 - NJW-RR 1992, 1020, 1021).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll