Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - VI ZB 60/02

published on 30/09/2003 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - VI ZB 60/02
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 60/02
vom
30. September 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Den Prozeßbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem
verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlaßt, daß der Schriftsatz so
rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, daß er nach den normalen Postlaufzeiten
fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozeßbevollmächtigten
keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung
der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, daß diese eingehalten
werden.
BGH, Beschluß vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - AG Hannover
LG Hannover
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2003 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter Wellner, Diederichsen,
Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin werden die Beschlüsse der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 1. August 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.255,39

Gründe:


I.

Die Klägerin hat gegen ein ihre Klage abweisendes Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 7. Februar 2002, das ihr am 25. März 2002 zugestellt worden ist, am 25. April 2002 Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Juni 2002 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2002, der den Eingangsstempel des Landgerichts vom 26. Juni 2002 trägt, hat die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die eingelegte Berufung begründet. Auf die entsprechende Mitteilung des Landgerichts über den verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift, welche der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 3. Juli 2002 zugestellt worden ist, hat diese mit Schriftsatz vom 4. Juli 2002 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vo-
rigen Stand beantragt. Sie hat hierzu vorgetragen, daß die Berufungsbegründung ausweislich des Postausgangsbuchs und der zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihrer Fachangestellten am 24. Juni 2002 persönlich in der örtlichen Poststelle abgegeben worden sei. In der eidesstattlichen Versicherung heißt es weiter, dies sei ca. 17.10 Uhr erfolgt. Die Leerungszeiten der Postfiliale seien täglich um 8.00 Uhr und um 17.30 Uhr, wobei die Postbedienstete zugesichert habe, daß alle abgegebenen Schreiben auch am 24. Juni 2002 die Postfiliale verließen. Die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu weiter vorgetragen, daß grundsätzlich davon auszugehen sei, daß ein Brief von der örtlichen Postfiliale nach Hannover an einem Tag den Empfänger erreiche. Darüber hinaus hat sie dargelegt, daß ihre Angestellte am Nachmittag des 25. Juni 2002 mit der zuständigen Abteilung des Landgerichts telefoniert und sich von einem Mitarbeiter den Eingang der Berufungsbegründungsschrift vorsorglich habe bestätigen lassen. Das Landgericht hat mit Beschlüssen vom 1. August 2002 die Berufung der Klägerin gegen das am 7. Februar 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover als unzulässig verworfen und ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat es nicht als hinreichend glaubhaft erachtet, daß die Klägerin ohne Verschulden an der Wahrung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei. Da die Berufungsbegründungsschrift erst am Tag vor Fristablauf zur Post abgegeben worden sei, habe sich die Klägerin bzw. ihre Prozeßbevollmächtigte nicht darauf verlassen können , daß diese bereits am Folgetag in Hannover ausgeliefert werde. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hätten Zweifel an dem rechtzeitigen Zugang bestanden , denn die Angestellte ihrer Prozeßbevollmächtigten wolle am 25. Juni 2002 telefonisch bei der Geschäftsstelle nach dem Eingang der Berufungsbe-
gründung nachgefragt haben. Indes sei der Klägerin eine entsprechende Glaubhaftmachung durch die eidesstattliche Versicherung der Angestellten ihrer Prozeßbevollmächtigten nicht gelungen. Abgesehen davon, daß nicht nachvollziehbar sei, daß sich die Angestellte habe verbinden lassen, obwohl die Telefonnummer der Geschäftsstelle ausweislich der Akten dort bekannt gewesen sei, könne diese auch den Namen des Mitarbeiters nicht angeben. Eine Notiz über dieses wichtige Telefonat sei offenbar nicht gefertigt worden. Es verblieben schon deswegen Zweifel, ob ein Telefonat mit dem behaupteten Inhalt am 25. Juni 2002 überhaupt stattgefunden habe, zumal sich die Akten an diesem Tage noch auf der Geschäftsstelle befunden hätten und der zuständige Geschäftsstellenbeamte erklärt habe, daß er sich ziemlich genau erinnere, daß er keine Auskunft über den Eingang der Berufungsbegründungsschrift gegeben habe. Es bleibe daher die Möglichkeit offen, daß die Fristversäumung verschuldet gewesen sei, weshalb Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne. Gegen die ihr am 12. August 2002 zugestellten Beschlüsse des Landgerichts vom 1. August 2002 hat die Klägerin am 11. September 2002 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist um zwei Monate mit Schriftsatz vom 12. November 2002, eingegangen am selben Tage, begründet.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig (vgl. §§ 574 ff ZPO). Sie ist auch begründet und führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 577 Abs. 4 ZPO). 1. Den Prozeßbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlaßt, daß der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, daß er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozeßbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können , darf er darauf vertrauen, daß diese eingehalten werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluß vom 5. Juli 2001 - VII ZB 2/00 - BRAK-Mitt. 2001, 215 m. Anm. Borgmann; Beschluß vom 9. Februar 1998 - II ZB 15/97 - NJW 1998, 1870). Da keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die im vorliegenden Fall zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeit hätten führen können, hätte das Berufungsgericht Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf vertrauen durfte, daß der Brief nach den normalen Postlaufzeiten am Folgetag fristgerecht beim Berufungsgericht eingeht. 2. In diesem Falle käme es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob die Klägerin glaubhaft gemacht hat, daß der Angestellten ihrer Prozeßbevollmächtigten auf entsprechende telefonische Nachfrage am 25. Juni 2002 seitens des Berufungsgerichts mitgeteilt worden ist, die Berufungsbegründungsschrift sei eingegangen. Der Prozeßbevollmächtigte, der auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten vertrauen darf, ist nämlich nicht
verpflichtet, sich nach dem Eingang des Schriftsatzes telefonisch zu erkundi- gen (vgl. BGH, Beschluß vom 5. Juli 2001 - VII ZB 2/00 - aaO; Beschluß vom 8. April 1992 - XII ZB 34/92 - NJW-RR 1992, 1020, 1021).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a
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Annotations

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.