Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2017 - AK 30/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:290617BAK30.17.0
bei uns veröffentlicht am29.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 30/17
vom
29. Juni 2017
in dem Strafverfahren
gegen
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit
ECLI:DE:BGH:2017:290617BAK30.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 29. Juni 2017 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Hamburg übertragen.

Gründe:

I.


1
Der Angeschuldigte wurde auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2016 am selben Tag festgenommen und befindet sich seit dem 16. Dezember 2016 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in Bremen und andernorts zwischen dem 19. Oktober 2015 und dem 29. Oktober 2016 für den türkischen Geheimdienst eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei, strafbar gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Unter dem 7. Juni 2017 hat der Generalbundesanwalt wegen dieses Vorwurfs, erweitert auf den Zeitraum von September 2015 bis zum 15. Dezember 2016, Anklage zum Oberlandesgericht Hamburg erhoben.

II.

2
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
3
1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2016. Über den vom Generalbundesanwalt mit Erhebung der Anklage gestellten Antrag, diesen Haftbefehl gegen einen neuen Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift zu ersetzen, ist noch nicht entschieden.
4
Die Haftprüfung bezieht sich somit allein auf den in dem vollzogenen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22), zu dessen Anpassung oder Erweiterung nunmehr nur das gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige Oberlandesgericht Hamburg befugt ist. Der Anklagesatz hat indes im Kern diesen Vorwurf übernommen, so dass der Haftbefehl weiterhin seiner Funktion gerecht wird, in tatsächlicher Hinsicht verlässlich Auskunft über den Grund der Untersuchungshaft zu geben.
5
2. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 15. Dezember 2016 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
6
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7
Der Angeschuldigte, ein türkischer Staatsangehöriger, der der kurdischen Volksgruppe angehört, ist seit dem Jahr 2013 für den türkischen nationalen Nachrichtendienst (Millî İstihbarat Teşkilâtı - MIT) tätig.
8
Nach dem 19. Oktober 2015 reiste der Angeschuldigte (erneut) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zumindest bis zu seiner (zwischenzeitlichen) Ausreise am 29. Oktober 2016 verschaffte er sich im Auftrag des MIT unter der Legende, ein Sprachstudium zu betreiben, verdeckt Informationen über den in B. wohnhaften kurdischen Politiker Y. K. und weitere Personen aus dem Umfeld des in B. ansässigen Vereins "Bi. e.V.". Der Angeschuldigte gewann seine Erkenntnisse - unter Geheimhaltung seines Ziels und seiner Funktion - über das Internet und durch persönliche Gespräche. Die Informationen waren zur Weitergabe an den MIT bestimmt. Zu diesem Zweck fertigte der Angeschuldigte Aufzeichnungen über Aufenthaltsorte, Aktivitäten und Kontakte der betreffenden Zielpersonen, namentlich Y. K. , an. Der Angeschuldigte erhielt für seine Ausforschungstätigkeit in Deutschland (zumindest) monatlich ca. 1.500 € zuzüglich der Kosten eines Sprachkurses.
9
Y. K. war (von Mitte Juni 2016 an) einer der beiden Vorsitzenden des Kongresses der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Kongreya Civakên Demokratîk â Kurdîstanîyên Li Ewrupa - KCDK-E). Er war zwar Sympathisant der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), jedoch weder ihr Mitglied noch ihr Unterstützer. Der Verein "Bi. e.V." war im Vereinsregister eingetragen und legal tätig.
10
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Angaben des Angeschuldigten bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12. Dezember 2016 und bei seiner ermittlungsrichterlichen Einvernahme am 16. Dezember 2016, aus den Aussagen der Zeugin E. vor dem Generalbundesanwalt am 9. Januar 2017 und vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 4. und 10. April 2017, aus den handschriftlichen Aufzeichnungen des Angeschuldigten sowie aus seiner durch Auswertung des elektronischen Kommunikationsverkehrs erlangten selbstbezichtigenden Twitter-Nachricht unbekannten Datums. Die späteren Einlassungen des Angeschuldigten ab dem 6. Februar 2017, er sei auf Geheiß der sog. "Gülen-Bewegung" tätig geworden, sind schon für sich gesehen wenig plausibel. Nachfolgende Ermittlungen haben keine Hinweise auf eine Verbindung des Angeschuldigten zu dieser Organisation erbracht. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf das in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts dargelegte wesentliche Ergebnis der bisherigen Ermittlungen, insbesondere die dort wiedergegebenen Einlassungen des Angeschuldigten und die im Einzelnen gewürdigten Beweismittel.
11
Darüber hinaus ist nach Anklageerhebung das Protokoll über die am 31. Mai 2017 in Norwegen durchgeführte polizeiliche Vernehmung des Zeugen Ke. - nach Übersetzung in die deutsche Sprache - zu den Akten gelangt ; der Zeuge hat entgegen der Behauptung des Angeschuldigten nicht bestätigt , dass dieser Angehöriger der "Gülen-Bewegung" sei.
12
3. Nach alledem besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland strafbar gemacht hat, indem er für den türkischen Geheimdienst in einer die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen solcher Dienste kennzeichnenden, auf Mitteilung und Lieferung von Tatsachen oder Erkenntnissen gerichteten Vorgehensweise tätig war. Sein Handeln war insbesondere auch gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, weil von seinen Ausforschungen Personen, namentlich Y. K. , betroffen waren, die sich im Bundesgebiet unter dem Schutz des Art. 5 GG in legaler Weise politisch betätigten, ohne Mitglied oder Unterstützer einer - von der Europäischen Union gelisteten - ausländischen terroristischen Vereinigung zu sein (s. hierzu BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158, 160; vom 31. August 2016 - AK 46/16, NStZ 2017, 153, 154).
13
4. Bei dem Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Diesem stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Der Angeschuldigte hat im Inland keine gefestigten sozialen Bindungen. In der Türkei hat er indes Ehefrau und drei Kinder. Seine hiesige Wohnung in B. räumte er am 14. Oktober 2016. Vor seiner Inhaftierung in dieser Sache war er zuletzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg untergebracht. Einer geregelten legalen Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Unter den obwaltenden Umständen und mit Blick auf die Anbindung des Angeschuldigten an den türkischen Geheimdienst ist zu erwarten, dass er, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen und ins Ausland absetzen wird.
14
Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO kommen nicht in Betracht.
15
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
16
Die Sachakten haben einen Umfang von 20 Stehordnern. Die Änderung des Aussageverhaltens des Angeschuldigten war Anlass für weitere umfangreiche Ermittlungen. Er ist am 6., 7., 15. und 16. Februar 2017 polizeilich einvernommen worden; zudem hat er sich am 6. und 15. Februar 2017 schriftlich ge- äußert. Dies hat - neben den nochmaligen Vernehmungen der Zeugin E. (vom 4. und 10. April 2017 [nach ihrer Einvernahme am 9. und 10. Januar 2017]) und des Zeugen Y. K. (vom 16. Mai 2017 [nach seiner Einvernahme am 27. September 2016]) sowie den erstmaligen Vernehmungen der Zeugen S. und K. K. (am 17. und 18. Mai 2017) - insbesondere die im Wege der Rechtshilfe mit Norwegen veranlasste Vernehmung des dort wohnhaften Zeugen Ke. vom 31. Mai 2017 erforderlich gemacht.
17
Ferner haben die vielen sichergestellten Asservate, vor allem die elektronischen Datenträger des Angeschuldigten, auf ihre Relevanz untersucht werden müssen; hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Juni 2017. Um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist zu gewährleisten, hat der Generalbundesanwalt bereits vor Abschluss der Auswertung - als damit zu rechnen war, dass die weiteren Ermittlungen den dringenden Tatverdacht nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen können - Anklage erhoben.
18
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker Spaniol Berg

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Strafprozeßordnung - StPO | § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe


(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafprozeßordnung - StPO | § 121 Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate


(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden

Strafprozeßordnung - StPO | § 116 Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls


(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werd

Strafprozeßordnung - StPO | § 122 Besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht


(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es be

Strafprozeßordnung - StPO | § 120 Aufhebung des Haftbefehls


(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sich

Strafprozeßordnung - StPO | § 126 Zuständigkeit für weitere gerichtliche Entscheidungen


(1) Vor Erhebung der öffentlichen Klage ist für die weiteren gerichtlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft, die Aussetzung ihres Vollzugs (§ 116), ihre Vollstreckung (§ 116b) sowie auf Anträge nach § 119a beziehen, da

Strafgesetzbuch - StGB | § 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit


(1) Wer 1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder2. gegenüber dem

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(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.

(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.

(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.

(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.

(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.

(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.

(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.

(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.

(1) Wer

1.
für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder
2.
gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1, in § 97a oder in § 97b in Verbindung mit § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er

1.
eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder
2.
durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

(3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend.

22
Dieser Umstand ist im vorliegenden Haftprüfungsverfahren unabhängig von seiner Beurteilung im Haftbefehl rechtlich zu würdigen. Zwar ist nur der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte Haftbefehl Gegenstand der Haftprüfung (vgl. KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 24) und damit grundsätzlich auch ausschließlich der darin gegenüber dem Angeklagten erhobene Vorwurf (BGH, Beschluss vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 9). Diese Beschränkung bezieht sich indes auf den geschilderten Lebenssachverhalt, aus dem sich die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat ergibt (vgl. KK-Schultheis aaO, § 121 Rn. 10 mwN), nicht dagegen auf dessen rechtliche Würdigung. Wie dargelegt enthielt bereits der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Juni 2016 eine Schilderung der Anbindung des gesondert Verfolgten A. an den IS. Dieser Haftbefehl wurde dem Angeklagten mündlich eröffnet; die Anhörungsvorschriften der §§ 114a, 115 StPO wurden beachtet.

(1) Vor Erhebung der öffentlichen Klage ist für die weiteren gerichtlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft, die Aussetzung ihres Vollzugs (§ 116), ihre Vollstreckung (§ 116b) sowie auf Anträge nach § 119a beziehen, das Gericht zuständig, das den Haftbefehl erlassen hat. Hat das Beschwerdegericht den Haftbefehl erlassen, so ist das Gericht zuständig, das die vorangegangene Entscheidung getroffen hat. Wird das vorbereitende Verfahren an einem anderen Ort geführt oder die Untersuchungshaft an einem anderen Ort vollzogen, so kann das Gericht seine Zuständigkeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf das für diesen Ort zuständige Amtsgericht übertragen. Ist der Ort in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung das zuständige Amtsgericht. Die Landesregierung kann diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen.

(2) Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht zuständig, das mit der Sache befaßt ist. Während des Revisionsverfahrens ist das Gericht zuständig, dessen Urteil angefochten ist. Einzelne Maßnahmen, insbesondere nach § 119, ordnet der Vorsitzende an. In dringenden Fällen kann er auch den Haftbefehl aufheben oder den Vollzug aussetzen (§ 116), wenn die Staatsanwaltschaft zustimmt; andernfalls ist unverzüglich die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(3) Das Revisionsgericht kann den Haftbefehl aufheben, wenn es das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung ohne weiteres ergibt, daß die Voraussetzungen des § 120 Abs. 1 vorliegen.

(4) Die §§ 121 und 122 bleiben unberührt.

(5) Soweit nach den Gesetzen der Länder über den Vollzug der Untersuchungshaft eine Maßnahme der vorherigen gerichtlichen Anordnung oder der gerichtlichen Genehmigung bedarf, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt wird. Unterhält ein Land für den Vollzug der Untersuchungshaft eine Einrichtung auf dem Gebiet eines anderen Landes, können die beteiligten Länder vereinbaren, dass das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die für die Einrichtung zuständige Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren gilt § 121b des Strafvollzugsgesetzes entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 5 5 1 / 1 4
vom
20. Januar 2015
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Eine geheimdienstliche Agententätigkeit wird nicht ohne Weiteres im Sinne des
§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ausgeübt,
wenn die Ausforschungsbemühungen sich gegen Mitglieder oder Unterstützer
einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen
Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem
Haftbefehl gesucht werden.
BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14 - OLG Koblenz
in der Strafsache
gegen
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
20. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Juli 2014 im Strafausspruch aufgehoben ; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen verübten seit Beginn der 1980er Jahre extremistische Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Sikhs terroristische Anschläge gegen indische Einrichtungen und deren Repräsentanten mit dem Ziel, durch den Einsatz gewalttätiger Mittel ei- nen unabhängigen Staat namens "Khalistan" ("Land der Reinen") zu bilden. Die Anhänger der militanten "Khalistan-Bewegung" sind in mehreren Gruppierungen organisiert, darunter die "Babbar Khalsa" (im Folgenden: BK), deren Auslandsorganisation "Babbar Khalsa International" (im Folgenden: BKI) sowie die "International Sikh Youth Federation" (im Folgenden: ISYF). Die BKI und die ISYF sind von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet. Der Angeklagte stand von November 2012 bis März 2013 in Kontakt mit einem inoffiziell in Deutschland operierenden Führungsoffizier des indischen Inlandsgeheimdienstes "Intelligence Bureau" (im Folgenden: IB). Er erklärte sich bereit, für den IB als nachrichtendienstlicher Informant tätig zu werden und berichtete dem Führungsoffizier in mehreren Telefonaten über auch in Deutschland aufenthältige indische Staatsangehörige oder Personen indischer Herkunft und gegebenenfalls über deren Zugehörigkeit zu Organisationen, vorrangig aus dem Bereich der extremistischen Sikhs. Der Führungsoffizier beauftragte den Angeklagten insbesondere, Informationen über eine namentlich benannte Person einzuholen, die von den indischen Sicherheitsbehörden wegen terroristischer und krimineller Delikte mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Diese Person soll sich einer Waffenausbildung unterzogen haben und zum Führungskader der BK gehören. Seine Ehefrau soll sich mit zwei gemeinsamen Kindern seit Dezember 2012 in Deutschland aufhalten. In Erfüllung dieses Auftrags beschaffte der Angeklagte Informationen über die genannte Person sowie deren Familienmitglieder und gab die gewonnenen Erkenntnisse in zwei Telefongesprächen an den Führungsoffizier weiter.
3
Das Oberlandesgericht hat die Tätigkeit des Angeklagten ohne Einschränkung als geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Angeklagte sei funktionell in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht eingegliedert und seine Tätigkeit insge- samt gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet gewesen. Auch wenn einige der von dem Führungsoffizier benannten und von dem Angeklagten ausgeforschten Organisationen in der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen gelistet seien und ein Teil der Personen, denen der Angeklagte nachgeforscht habe, diesen Vereinigungen zuzurechnen sei, bestehe ein Interesse der Bundesrepublik Deutschland, von derartigen Personen und Organisationen ausgehende Gefahren unter Ausübung eigener Staatsgewalt abzuwehren. Demgegenüber habe der Angeklagte die Informationen unter Umgehung der in Deutschland geltenden Rechtshilferegeln weiter gegeben. Im Rahmen der Strafzumessung hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt , dass die Tätigkeit des Angeklagten auch Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse besitze und der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als hoch zu veranschlagen sei.
4
1. Der Schuldspruch hält im Ergebnis sachlichrechtlicher Prüfung stand. Die Tätigkeit des Angeklagten war allerdings nicht im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet und somit nicht tatbestandsmäßig, soweit sie die Mitglieder der von der Europäischen Union als terroristisch gelisteten Organisationen, insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte, namentlich benannte Führungsmitglied der BK betraf; denn im Rahmen der bei der Prüfung des genannten Tatbestandsmerkmals anzustellenden Gesamtbetrachtung erlangt auch der Gesichtspunkt Bedeutung, ob die Ausforschung des Betroffenen gerade vor dem Hintergrund seines eigenen Verhaltens den Interessen der Bundesrepublik Deutschland widerspricht. Aufgrund des demnach geringeren Unrechts- und Schuldgehalts der Tat kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Im Einzelnen:
5
a) Der Senat hält im Grundsatz an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest, wonach das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" nicht eng im Sinne eines unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen ist; vielmehr genügt eine Tätigkeit gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar berührt sind und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist. Dies ist in der Regel auch dann der Fall, wenn die Spionagetätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst gegen hier lebende Ausländer richtet (st. Rspr. seit BGH, Beschluss vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325; vgl. auch KG, Urteil vom 8. Mai 2008 - (1) 3 StE 1/08 - 2 (4/08), juris Rn. 35 ff.; KG, Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10); OLG Celle, Urteil vom 20. April 2011 - 3 StE 1/11). Tatbestandsmäßig sind deshalb regelmäßig Ausforschungen, von denen Personen betroffen werden, denen ein Asylrecht zusteht, oder die sich gegen Exilanten oder deren Organisationen richten, die sich unter dem Schutz des Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die ausgespähten Personen "im Lager" der Bundesrepublik Deutschland stehen (KG, Urteil vom 8. November 2007 - (1) 3 StE 2/07 - (5/07), NStZ 2008, 573; aA noch KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209). Denn solche Ausforschungen sind in der Regel dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen [KG, Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10)]. Dies läuft den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider, die gehalten ist, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betätigenden Ausländern diesen Schutz auch zu gewähren.
6
b) Die bisherige Rechtsprechung bedarf allerdings der einschränkenden Präzisierung dahin, dass eine geheimdienstliche Agententätigkeit nicht - jedenfalls nicht ohne Weiteres - im Sinne des § 99 Abs. 1 StGB gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, wenn sie Mitglieder oder Unterstützer von durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigungen, insbesondere mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglieder, betrifft. Dies folgt aus dem am Wortsinn, an Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift ausgerichteten Verständnis des Tatbestandsmerkmals. Hierzu gilt:
7
aa) Bereits der Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "gegen die Bundesrepublik Deutschland" lässt eine Auslegung nicht zu, die auf einen inhaltlichen Antagonismus der Spionagetätigkeit zu den staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland verzichtet. Das Tatbestandsmerkmal "gegen" kennzeichnet - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - nach seinem Wortsinn die Ausrichtung, die Hinwendung oder die Zielrichtung und dient dazu, einen Gegensatz, einen Widerstand oder eine Abneigung zu bezeichnen (Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl., 2010). Auch wenn die Interpretation der Norm nicht an diesem engen Wortsinn haften bleiben darf, sondern daneben die Historie sowie Sinn und Zweck der Vorschrift in den Blick zu nehmen hat, so markiert im Bereich des materiellen Strafrechts der grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Gegenwart zu bestimmende mögliche Wortsinn des Gesetzes doch die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 18. September 2006 - 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 - 1 StR 384/06, NJW 2007, 524, 525). Diese Grenze wäre jedenfalls bei einem Verständnis der Norm überschritten, bei dem letztlich allein maßgebend wäre, dass die Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt wurde, mithin der räumliche Bezug zu deren Staatsgebiet ausreichen würde.
8
bb) Der Wille des Gesetzgebers spricht ebenfalls nicht für eine ausnahmslose Erfassung aller geheimdienstlichen Aktivitäten gegen Ausländer auf deutschem Boden. Die heutige Fassung der Norm beruht in dem hier relevanten Bereich auf der Neugestaltung der Vorschrift durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741). Durch dieses wurde die zuvor auf Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland aus bestimmten Sachbereichen ausgerichtete Beschränkung des Tatbestands aufgegeben und durch das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ersetzt. Der Gesetzgeber wollte damit einen zentralen, bewusst weit gefassten Spionagetatbestand als wirksames Instrument zur Abwehr fremder Agententätigkeiten schaffen , der nicht mehr an den Begriff des Staatsgeheimnisses anknüpft, sondern im Ausgangspunkt darauf abzielt, die gesamte Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste zu erfassen, ohne zunächst auf die Natur der Informationen abzustellen , auf die die Spionagetätigkeit gerichtet ist. Die Vorschrift wurde vom Gesetzgeber bewusst weit gefasst, um alle nachrichtendienstlichen Bestrebungen zu erfassen, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder mittelbar deutsche Interessen gefährden, ob sie auf die Abklärung politischer, wirtschaftlicher oder technischer Verhältnisse abzielen (BGH, Urteil vom 21. April 1983 - 3 StR 80/83, BGHSt 31, 317, 322 f.; Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 3 BGs 191/04 - 3 BJs 29/03-4, NStZ 2006, 160). Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" allerdings eine gewichtige Begrenzung dieses so erweiterten Tatbestands darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2012 - AK 10 und 11/12, juris Rn. 13). Dieser umfasst nicht schrankenlos das allgemeine Interesse der Bundesrepublik Deutschland am Unterbleiben jeglicher Operationen fremder Geheimdienste auf ihrem Ge- biet (LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., § 99 Rn. 8). Vielmehr sollten nur die geheimdienstlichen Operationen fremder Mächte erfasst sein, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Zielland richten und ihre Interessen beeinträchtigen. Nach den Gesetzesmaterialien ist dies in der Regel nicht der Fall, wenn ein fremder Geheimdienst nur gegen Angehörige des eigenen Landes oder gegen dritte Länder tätig werde (BT-Drucks. V/2860, S. 23). Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere nicht jegliches Interesse, das die Bundesrepublik Deutschland auch an Angelegenheiten fremder Staaten hat, als Schutzobjekt des § 99 StGB in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1983 - 3 StR 312/83, BGHSt 32, 104, 107). Auch genügt es nicht allein, dass der fremde Nachrichtendienst ohne Kooperation mit den bzw. Abdeckung der zuständigen deutschen Stellen operiert (Lampe NStZ 2004, 210, 211; MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18); denn dies würde dazu führen, dass letztlich jede Agententätigkeit eines fremden Geheimdienstes, die nicht mit den deutschen Diensten koordiniert wäre, von der Strafvorschrift erfasst wäre. Damit würde dem Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" wider der gesetzgeberischen Intention der wesentliche, Schranken setzende Sinngehalt genommen.
9
Der Senat hat allerdings in der Folgezeit in praktischer Umkehrung dieses vom Gesetzgeber intendierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses dahin erkannt , dass der Tatbestand des § 99 Abs. 1 StGB von denkbaren seltenen Ausnahmefällen abgesehen auch dann erfüllt sei, wenn die geheimdienstliche Agententätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst gegen hier lebende Ausländer richte (BGH, Beschluss vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325, 327 ff.). Danach sollte genügen, dass das allgemeine Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Abwehr der Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste berührt wurde, so- weit diese auf die umfassende Ausforschung aller in den Bereich der Bundesrepublik Deutschland einbezogenen Angelegenheiten ausgerichtet war (BGH aaO, BGHSt 29, 325, 331). Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dieser, vom Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehenen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250, 267 ff.) Würdigung - jedenfalls auch - die Bewertung der spezifischen, durch die politische Zweiteilung der Welt in Europa geprägten Verhältnisse und die damit einhergehende Erkenntnis zugrunde lag, dass die Ausspähung ausländischer Gruppierungen regelmäßig Teil eines operativen Gesamtkonzepts vor allem der Nachrichtendienste der osteuropäischen Länder war, das darauf gerichtet war, das gesamte Potential des Ziellands Bundesrepublik Deutschland zu erfassen (BGH aaO, 328 f.; Lampe, NStZ 2004, 210, 211; LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., Vor § 93 Rn. 3; MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18). Sie kann deshalb nicht ohne Weiteres in vollem Umfang auf die heutigen Verhältnisse übertragen werden. Diese sind im hier interessierenden Bereich unter anderem wesentlich dadurch geprägt, dass in der Bundesrepublik Deutschland ausländische Organisationen tätig sind, die terroristische Ziele verfolgen, welche den Interessen der Bundesrepublik Deutschland eindeutig widerstreiten. Mit der Einführung des § 129b StGB hat der Gesetzgeber zudem eine Wertentscheidung getroffen und deutlich gemacht, dass Tätigkeiten zu Gunsten einer solchen Gruppierung, welche die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt, sei es in der Form des Gründens, der Beteiligung als Mitglied, des Unterstützens oder des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer, nach den hier geltenden Wertmaßstäben im materiellen Sinne strafbares Unrecht darstellen. Hiermit ist es nicht vereinbar, wenn die geheimdienstliche Tätigkeit eines Agenten, der eine solche Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland ausspäht, ohne Weiteres regelmäßig als gegen die Interessen der Bundesre- publik Deutschland gerichtet bewertet wird (vgl. KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209, 210).
10
cc) Eine solche Betrachtungsweise stünde auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht im Einklang. Diese gehen dahin, dazu beizutragen, der Bundesrepublik Deutschland den Freiraum zu sichern, den sie benötigt, um sich in den Gegenläufigkeiten der internationalen Politik möglichst ungehindert und wirksam bewegen zu können, ihre eigenen politischen Vorstellungen zum Tragen zu bringen und so die Grundlage zu gewährleisten, auf der sich freiheitliche Demokratie mit ihren Grundrechtsgarantien verwirklichen und weiterentwickeln lässt (BVerfG aaO, BVerfGE 57, 250, 268 f.; Beschluss vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 317 f.). Diese Zwecksetzung ist zwar einerseits weit gefasst, steht aber andererseits doch einer pauschalisierenden Auslegung entgegen, die sich auch im Grenzbereich des Wortlauts der Norm in einem theoretisch-abstrahierenden Verständnis erschöpft, ohne die Besonderheiten des Einzelfalles in wertender Betrachtung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Für die hier in Rede stehende Ausforschung von Ausländern oder ihrer Organisationen in Deutschland kann daher nicht davon abgesehen werden, auch die konkreten Hintergründe und Ziele der Ausspähungsbemühungen in den Blick zu nehmen und diesen auch darauf zu richten, ob sich das Vorgehen des Agenten in der spezifischen konspirativen Vorgehensweise einer geheimdienstlichen Tätigkeit erschöpft oder ob er darüber hinaus zu Mitteln greift, die sich auch unabhängig von der nachrichtendienstlichen Betätigung als Verstoß gegen die deutsche Rechtsordnung, insbesondere als strafbar erweisen. Richtet sich die Ausforschung gegen eine ausländische terroristische Vereinigung oder eines ihrer Mitglieder oder Unterstützer, so darf darüber hinaus nicht unberücksichtigt bleiben, dass hiermit gerade ein Zweck verfolgt wird, dessen Erfüllung auch der Bundesrepublik Deutschland durch internationale, insbe- sondere europarechtliche Vorgaben (vgl. aus neuerer Zeit etwa den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330 S. 21) obliegt.
11
dd) Danach handelte der Angeklagte zwar gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, soweit seine Ausforschungsbemühungen bloße Sympathisanten der gelisteten Organisationen, Familienangehörige des mit Haftbefehl gesuchten Führungsmitglieds der BK sowie gänzlich unbeteiligte Dritte betrafen. Demgegenüber erfüllte die Tätigkeit des Angeklagten jedoch nicht die Voraussetzungen des § 99 StGB, soweit sie darin bestand, Informationen über die gelisteten Organisationen, deren Mitglieder und Unterstützer sowie insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglied der BK zu beschaffen und weiterzuleiten; insoweit belegen die Feststellungen ein Handeln gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht.
12
ee) Im vorliegenden Fall bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" auch bei Ausforschungen von Mitgliedern oder Unterstützern ausländischer terroristischer Vereinigungen erfüllt sein kann, etwa wenn die deutsche Souveränität in gravierender Weise missachtet wird (Lampe NStZ 2004, 210, 212), operative Methoden praktiziert werden, die mit den Grundwerten der Verfassung kollidieren (MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18), oder eine zumindest abstrakte Gefahr dafür besteht, dass die gewonnenen Erkenntnisse in einer Weise genutzt werden, die den Kern- und Wesensgehalt der nach den Maßgaben des Grundgesetzes schutzwürdigen Belange der Betroffenen beeinträchtigen. Soweit das Oberlandesgericht in den Erwägungen zur rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, der Zweck der Informationsweitergabe sei unklar und nicht ausschließbar allein auf die Abwehr verbrecherischer Bestrebungen gerichtet ge- wesen, bieten die getroffenen Feststellungen hierfür keinen näheren Anhaltspunkt.
13
c) Somit kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben; denn das Oberlandesgericht ist von einem zu hohen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat ausgegangen. Es hat auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung zwar strafmildernd berücksichtigt, dass die Tätigkeit des Angeklagten auch Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse besitze, so dass der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als hoch zu veranschlagen sei. Nach den dargelegten Maßstäben hätte das Tatgericht indes bei der Ermittlung des Unrechts- und Schuldumfangs die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten gegen die terroristische Vereinigung bzw. den mit Haftbefehl Gesuchten außer Betracht lassen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht in diesem Fall auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
14
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 46/16
vom
31. August 2016
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:310816BAK46.16.0


Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 31. August 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:


I.


1
Der Beschuldigte wurde am 17. Februar 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2016 - 1 BGs 6/16 geh. -, neu gefasst durch Beschluss vom 25. April 2016 - 1 BGs 28/16 geh. -, in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des neu gefassten Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe seit Ende des Jahres 2008 bis zu seiner Festnahme im Februar 2016 für den indischen Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing (im Folgenden: R&AW) eine geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet war, und dabei unter Missbrauch einer verantwortlichen Stellung, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtete, Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse mitgeteilt oder geliefert, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheim gehalten werden (strafbar gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB).
3
Mit Beschluss vom 4. August 2016 (1 BGs 70/16) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Fortdauer der Untersuchungshaft mit der Maßgabe angeordnet, dass der Vorwurf einer am 7. Mai 2009 begangenen geheimdienstlichen Agententätigkeit in Bezug auf den deutschen Staatsangehörigen A. entfällt.

II.


4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
5
1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
6
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7
aa)...


8
...


9
Der Beschuldigte ist zudem innerhalb der indischen Gemeinde in Deutschland sehr bekannt. Er ist aufgrund seiner guten Kontakte zu den indischen diplomatischen Vertretungen häufig bei der Beschaffung von Visa für Reisen nach Indien behilflich und betätigt sich zudem in B. als Priester in einem hinduistischen Tempel.
10
...


11
bb)...

12
Mehrere Kontaktpersonen des Beschuldigten aus dem Generalkonsulat in Frankfurt waren bzw. sind Angehörige indischer Geheimdienste, ...


13
cc) Jedenfalls ab Ende des Jahres 2008 / Anfang des Jahres 2009 lieferte der Beschuldigte den genannten Kontaktpersonen in Kenntnis von deren Zugehörigkeit zu einem indischen Geheimdienst in über 40 Fällen die von diesen angeforderten Informationen zu vorrangig aus Indien stammenden Personen, vor allem zu Anhängern der Glaubensrichtung der Sikhs. Bei etwa zehn dieser Personen bestehen Verdachtsmomente, dass sie Kontakte zu "radikalen" oder "extremistischen" Sikh-Organisationen unterhalten. In weiteren sechs Fällen ging es um Personen, die mutmaßlich Organisationen angehörten, die von der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen angesehen werden ("Khalistan Zindabad Force", "Babbar Khalsa" und "Liberation Tigers of Tamil Eelam") und gegen die deswegen auch von deutschen Strafverfolgungsbehörden Ermittlungsverfahren geführt werden bzw.

die bereits rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurden. Bei seinen Recherchen griff der Beschuldigte in nahezu allen Fällen auf die ihm nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellte, nicht öffentlich zugängliche Datenbank des Ausländerzentralregisters zu und gab die dort ermittelten Informationen (z.B. Passdaten, Lichtbilder, Ausreisedaten, darin gespeicherte Erkenntnisse über strafrechtliche Vorbelastungen oder Daten des Asylverfahrens) an seine Führungsoffiziere weiter. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die ausführliche Darstellung im Haftbefehl vom 25. April 2016.

14
...


15
dd) Als Gegenleistung für seine geschilderte Tätigkeit erhielt er jedenfalls konsularische Unterstützung bei der Beschaffung von Visa für Indien, die er bei den indischen Auslandsvertretungen beschaffte; diese ließ er sich von den Visa -Antragstellern vergüten, wobei die Höhe des Entgelts zwischen 10 € und 400 € variierte. Die Bemühungen zur Visabeschaffung entfaltete er einerseits für indische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung für die Bundesrepublik verfügen und deshalb für die Reise nach Indien ein Visum brauchen; andererseits kooperierte er mit mehreren Reisebüros, für die er Touristenvisa beschaffte. Zahlungen, etwa eine über 7.000 US-Dollar im August 2014, wurden vielfach als Spenden für den Hindu-Tempel, in dem er als Priester tätig war, bezeichnet oder wurden in bar geleistet.
16
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der Auswertung zahlreicher Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, die zunächst durch das Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10-Gesetz) und - nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt - aufgrund von Anordnungsbeschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs durchgeführt wurden und anhand derer die Informationslieferungen des Beschuldigten an seine Kontaktpersonen ab September 2014 belegt werden. Anlässlich der Festnahme des Beschuldigten wurde zudem sein Büro bei der Z. durchsucht; dabei wurden unter anderem zwei Aktenordner , beschriftet mit den Namen "A. " und "D. " gefunden und sichergestellt, die die Informationslieferungen von Ende 2008 bis in das Jahr 2014 belegen. Daraus ergibt sich auch, dass der Beschuldigte häufig Auszüge aus dem AZR erstellte und seinen Kontaktpersonen weiterleitete. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Darstellung und Würdigung der Beweismittel in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2016.
17
Entgegen der Auffassung des Verteidigers des Beschuldigten beruht die Annahme, die Kontaktpersonen des Beschuldigten seien dem indischen Geheimdienst zuzurechnen, nicht auf bloßen Vermutungen oder unbestätigten bzw. nicht belegbaren Behauptungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zwar heißt es in dessen zu der Einleitung des Ermittlungsverfahrens führenden Behördengutachten vom 31. August 2015 zu Beginn: "Dienstlich wurde be- kannt, dass die genannten Kontaktpersonen (…) dem indischen Nachrichten- dienst angehören …", ohne dass dies an dieser Stelle näher ausgeführt wird. Eine solche bloße Behauptung bestimmter Tatsachen ohne nähere Erläuterung und ohne Offenbarung der Erkenntnisquellen hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur einen geringen Beweiswert (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247; vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370; vom 10. April 2008 - AK 4-6/08, juris Rn. 18; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 29). Gleichwohl kann solchen Behördenzeugnissen nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden, dieser ist vielmehr in jedem Einzelfall zu bestimmen. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen; danach kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder die Objektivierung der genannten Erkenntnisse anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370).
18
Nach diesen Maßstäben ergibt sich hier Folgendes: Die Behördenzeugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz beschränken sich nicht auf bloße Behauptungen, sondern geben über zahlreiche Seiten die aufgezeichneten Gespräche zwischen dem Beschuldigten und seinen Kontaktpersonen wieder. Eine nachrichtendienstliche Anbindung der Kontaktperson Y. ergibt sich schon daraus, dass dieser bereits spätestens im Jahr 2014 als Führungsoffizier eines indischen Nachrichtendienstes enttarnt worden war. Der gesondert verfolgte S. , die von ihm abgeschöpfte Quelle, ist vom Oberlandesgericht Koblenz mit Urteil vom 21. Juli 2014 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden; der Senat hat auf die Revision S. s lediglich den Strafausspruch aufgehoben (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158), der Schuldspruch ist hingegen in Rechtskraft erwachsen. Die Y. erteilten Informationen betrafen ausweislich der in dem sichergestellten Aktenordner festgestellten Unterlagen Personen, an denen indische Geheimdienste aus den oben dargelegten Gründen ein nachrichtendienstliches Interesse hatten. Aus den Vermerken des Beschuldigten ergibt sich insoweit auch, dass er Aufträge seiner Kontaktperson abarbeitete. Die in dem mit "A. " beschrifteten Aktenordner sichergestellte Korrespondenz enthält gleichartige Vorgänge, was wiederum den Schluss zulässt , dass auch X. als Angehöriger eines indischen Nachrichtendienstes durch den Beschuldigten mit Informationen versorgt wurde. Die späteren Kontaktpersonen W. und V. waren Nachfolger X. als Konsul und schöpften den Beschuldigten ausweislich der aufgezeichneten Gespräche gleichermaßen ab, was wiederum ihre Einbindung in einen indischen Nachrichtendienst im Sinne eines dringenden Tatverdachts belegt. Letzteres gilt auch für den Büroleiter W. , sowie den weiteren O. , die ausweislich der aufgezeichneten Gespräche in die Informationsanforderungen an den Beschuldigten und die Weitergabe der von ihm gelieferten Informationen eingebunden waren. Die geheimdienstliche Einbindung der Kontaktpersonen U. und C. ergibt sich schließlich schon daraus, dass diese Personen den deutschen Sicherheitsbehörden, jedenfalls aber dem Bundesamt für Verfassungsschutz , von der Republik Indien als offizielle Ansprechpartner der Nachrichtendienste R&AW und IB benannt worden sind.
19
Die in den Behördenzeugnissen mitgeteilte Erkenntnis, die Kontaktpersonen des Beschuldigten seien indischen Geheimdiensten zuzuordnen, findet weitere Bestätigung in Gesprächen, in denen der Beschuldigte selbst den V. oder - so seine bisherige Einlassung - den anderen O. als "vom Geheimdienst" bzw. V. als "Chef vom Geheimdienst" und früher "Chef der Polizei" bezeichnete.


...

20
Nach alledem wird in den Behördenzeugnissen nicht bloß eine unüberprüfbare Behauptung aufgestellt, vielmehr werden zahlreiche Indizien genannt, die es als hoch wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Empfänger der vom Beschuldigten erteilten Informationen Mitarbeiter indischer Nachrichtendienste waren bzw. sind und dem Beschuldigten dies auch bekannt war. Der in dem Behördenzeugnis vom 31. August 2015 mitgeteilten Einschätzung, die mithin durch zahlreiche unmittelbar vorliegende Beweismittel objektivierbar ist, kommt deshalb hier auch für sich genommen ein Beweiswert zu. Soweit - was nicht näher belegt ist - die Zurechnung aller Kontaktpersonen zum R&AW vorgenommen wird, weil ...

steht dies in einem gewissen Widerspruch zu den Feststellungen in dem bereits genannten Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, nach denen Y. Agent des IB war. Ob indes der Beschuldigte in jedem Fall für den R&AW oder (auch)

für den IB eine geheimdienstliche Agententätigkeit erbrachte oder ob diese Dienste bei der Beschaffung von Informationen vom Beschuldigten bloß zusammenarbeiteten , ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung.
21
c) In rechtlicher Hinsicht ist aufgrund dieses Ermittlungsergebnisses der Verdacht belegt, dass sich der Beschuldigte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat, indem er seinen nachrichtendienstlichen Führungsoffizieren insbesondere Tatsachen und Erkenntnisse mitteilte. Er war funktionell in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht eingegliedert.
22
Seine Tätigkeit war auch gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Dies gilt jedenfalls für die von ihm weitergeleiteten Informationen betreffend unbescholtene deutsche Staatsangehörige, Staatsgäste der Bundesrepublik und solche ausländische Staatsangehörige, die sich unter dem Schutz des Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die ausgespähten Personen "im Lager" der Bundesrepublik Deutschland stehen. Denn solche Ausforschungen von Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst hier lebender Ausländer sind in der Regel dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen, was den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft. Diese ist gehalten, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betätigenden Ausländern diesen Schutz auch zu gewähren (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158, 160). Solche Informationslieferungen machten den Großteil der Aktivitäten des Beschuldigten aus, so dass allein der insoweit bestehende drin- gende Tatverdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt.
23
Der Senat kann deshalb im Ergebnis offen lassen, ob der Beschuldigte auch durch die Weitergabe von Informationen über Angehörige von Organisationen , die in der Bundesrepublik als terroristische Vereinigungen verfolgt werden , oder über Personen, die mutmaßlich "radikalen" oder "extremistischen" Sikh-Organisationen nahe standen, das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet" verwirklichte. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dies nicht ohne Weiteres der Fall, wenn die Ausforschungsbemühungen sich gegen Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der mutmaßlichen Mitglieder der Organisationen "Khalistan Zindabad Force", "Babbar Khalsa" und "Liberation Tigers of Tamil Eelam" möglicherweise gegeben; ob auch die Personen, die "radikalen" oder "extremistischen" Sikh-Organisationen bloß nahe stehen sollen, an solche gelisteten Vereinigungen angebunden waren, darf im weiteren Verfahren nicht aus dem Blick geraten, weil auch insoweit die Strafbarkeit der Ausforschungsbemühungen des Beschuldigten gemäß § 99 Abs. 1 StGB fraglich sein könnte.
24
Soweit im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs - der Argumentation des Generalbundesanwalts folgend - die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals auch mit Blick auf diesen Personenkreis bejaht worden ist, geben die diesbezüglichen rechtlichen Ausführungen bei vorläufiger Würdigung Anlass zu folgenden Bemerkungen:
25
Die Ausnutzung der Zugriffsmöglichkeit auf amtliche Register und Informationssysteme kann unter der Voraussetzung, dass diese tatsächlich materiell -faktisch geheim gehalten werden (vgl. dazu MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 29 mwN), vorliegend allenfalls den Verdacht begründen, dass der Beschuldigte ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falles im Sinne von § 99 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB und - tateinheitlich - den Tatbestand des § 353b Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Allein dies macht indes nicht die Prüfung entbehrlich, ob überhaupt der Grundtatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit erfüllt ist. Im Übrigen ist in Fällen, in denen Angestellte des öffentlichen Dienstes oder Beamte als Täter einer geheimdienstlichen Agententätigkeit in Betracht kommen, regelmäßig anzunehmen, dass sie auf ihnen in ihrer amtlichen Tätigkeit zur Verfügung stehende Informationsquellen zugreifen; solche Befugnisse und Erkenntnisquellen machen sie für ausländische Nachrichtendienste als Abschöpfungsobjekt gerade attraktiv. Wollte man in all diesen Fällen das Tatestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet" ohne weiteres als gegeben ansehen, liefe das in einer Vielzahl von Fällen darauf hinaus, dass dem Merkmal wider der gesetzgeberischen Intention der wesentliche , Schranken setzende Sinngehalt genommen würde (vgl. dazu BGH aaO, S. 163).
26
In mehrfacher Hinsicht bedenklich erscheint auch, die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals damit zu begründen, dass durch die Ausspähung der mutmaßlichen Mitglieder von terroristischen Vereinigungen in deren Asylgrundrecht (Art. 16a Abs. 1 GG) oder aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitete Aufenthaltsrechte oder gar deren Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) eingegriffen werde: Mit der Meinungsfreiheit kann die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung nicht gerechtfertigt werden, denn dieses Grundrecht findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Dass durch die Tätigkeiten des Beschuldigten in den Bestand von Asyl- und Aufenthaltsrechten der Betroffenen eingegriffen worden wäre oder werden sollte - etwa durch rechtswidrige Abschiebungen -, ist zudem nach dem Stand der derzeitigen Ermittlungen jedenfalls nicht hoch wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang besteht insbesondere kein dringender Tatverdacht dafür, dass ...

und so möglicherweise Methoden zu praktizieren, die mit den Grundwerten der Verfassung nicht in Einklang zu bringen wären (vgl. insoweit BGH aaO, S. 165 f.). Insbesondere kann dafür nicht ohne weiteres herangezogen werden, dass der Beschuldigte - unter Beteiligung weiterer Beamter auch der deutschen Sicherheitsbehörden - in die Vorbereitung des Besuchs einer indischen Expertenkommission eingebunden war. Denn es ist bislang nicht ersichtlich, wie ein solcher Besuch, der unter der Beobachtung und der Kontrolle staatlicher deutscher Stellen stattfindet, zu einem solchen ungeregelten und rechtswidrigen Vorgehen missbraucht werden könnte.
27
Schließlich vermag auch der Hinweis auf das Strafverfolgungsmonopol der Bundesrepublik Deutschland für ihre Staatsangehörigen bzw. auf das jedem Deutschen aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG zustehende Recht, nicht gegen seinen Willen aus der ihm vertrauten Rechtsordnung entfernt zu werden, vorliegend nicht zu verfangen: Es ist nicht ersichtlich, dass das Vorgehen des Beschuldigten oder seiner Führungsoffiziere darauf gerichtet war, in diese Rechtspositionen einzugreifen.
28
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Der Beschuldigte hat im Fall einer Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Diesem stehen hinreichende persönliche und soziale Bindungen des Beschuldigten im Ergebnis nicht entgegen. Er lebt zwar seit etlichen Jahren in Deutschland und hat hier Familie. Durch das Bekanntwerden des Tatvorwurfs droht der Verlust seiner Arbeitsstelle. Abgesehen davon, dass er dadurch seine regelmäßigen Einnahmen verliert, resultiert daraus auch ein hoher Ansehensverlust - insbesondere innerhalb der indischen Gemeinde in Deutschland. In der Zusammenschau mit den ermittelten finanziellen Anknüpfungspunkten ins Ausland, die im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs im Einzelnen aufgeführt sind, spricht eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt.
29
Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
30
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
31
Der Umfang des Verfahrens - die Sachakten umfassen bereits jetzt deutlich mehr als 40 Aktenordner - und seine besondere Schwierigkeit haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen worden ist, noch nicht zugelassen.
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Das Verfahren ist auch mit der gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Seit der Inhaftierung des Beschuldigten sind zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden, die der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Zuschrift vom 8. August 2016 aufgeführt hat. Insbesondere die Auswertung der anlässlich der Festnahme bei der Durchsuchung sichergestellten Aktenordner, die zu der erheblichen Erweiterung des Tatzeitraums geführt hat, aber auch die Auswertung der Ergebnisse der umfangreichen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie der zahlreichen vom Beschuldigten genutzten elektronischen Kommunikationsmittel war bislang zeitlich aufwändig und dauert teilweise noch an. Gleichwohl hat das Bundeskriminalamt die Akten dem Generalbundesanwalt am 22. Juli 2016 zur Anklageerhebung vorgelegt; die Anklage soll Anfang September 2016 fertig gestellt werden.

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4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, soweit sie diese Entscheidung trägt, und der im Falle einer Verurteilung insoweit zu erwartenden Strafe.
Schäfer Gericke Spaniol

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.

(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.

(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.

(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.