Bundesgerichtshof Beschluss, 19. März 2013 - 5 StR 79/13

bei uns veröffentlicht am19.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 79/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 19. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. März 2013

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch zu den Taten II.2. und 3. der Urteilsgründe ,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (Taten II.2. und 3. der Urteilsgründe ), gefährlicher Körperverletzung (Tat II.1. der Urteilsgründe) sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung (Tat II.4. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Diese hat mit einer Aufklärungsrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen zu den Taten II.2. und 3. der Urteilsgründe hielten sich die späteren Tatopfer D. und B. des Nachts – gemeinsam mit den Zeugen L. und P. Bier trinkend – vor einem „Spätkauf“ auf. Dort schlug der Angeklagte den ihm unbekannten Ge- schädigten D. zu Boden, trat ihn mehrmals und nahm dessen Handy an sich. Währenddessen schlug ein unbekannt gebliebener Mittäter aufgrund eines zuvor mit dem Angeklagten gefassten Tatentschlusses den Geschädigten B. ebenfalls nieder. Anschließend traten er und der Angeklagte, der inzwischen „mit dem Zeugen D. ‚fertig‘ war“, gemeinsam gegen den Kopf des am Boden liegenden B. , so dass dieser bewusstlos wurde, und nahmen dessen Goldketten an sich. Die entwendeten Gegenstände wollten sie für sich behalten oder verwerten.
3
Der Angeklagte hat diese Taten bestritten und ein Alibi behauptet. Dieses hat das Landgericht als widerlegt angesehen und sich von der Täterschaft des Angeklagten im Wesentlichen deshalb überzeugt, weil die Zeugen D. und B. ihn in der Hauptverhandlung „zu einhundert Prozent“ bzw. „ohne zu zögern“ als einen derTäter wiedererkannt hätten. Im Urteil wird nicht mitgeteilt, ob auch der ebenfalls als Zeuge vernommene L. den Angeklagten hat identifizieren können.
4
2. Die Revision macht mit einer zulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobenen Aufklärungsrüge geltend, das Landgericht hätte den zumindest beim Beginn beider Angriffe am Tatort anwesenden, in der Anklageschrift als Beweismittel bezeichneten P. als Zeugen vernehmen müssen. Dieser hätte anhand näher beschriebener physiognomischer Merkmale be- kundet, „dass der Angeklagte … nicht mit den Tätern identisch war“. Die Rü- ge greift durch und führt zur Aufhebung der Schuldsprüche betreffend die Taten II.2. und 3. der Urteilsgründe nebst den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
5
a) § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, allen erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1992 – 1 StR 685/92, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 23). Deshalb hätte sich das Landgericht bei der bestehenden Beweislage gedrängt sehen müssen, den Genannten als Zeugen zu vernehmen.
6
aa) Diese war dadurch geprägt, dass die beiden Geschädigten den Angeklagten in der Hauptverhandlung zwar als einen der Täter identifiziert hatten. Auch im Rahmen ihrer jeweiligen polizeilichen Vernehmung hatten sie den Angeklagten bei einer – im Vergleich zu einer Wahlgegenüberstellung allerdings weniger zuverlässigen – Wahllichtvorlage wiedererkannt. Die Bilder waren ihnen hierbei aber nicht – was wegen des höheren Beweiswertes vorzugswürdig gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 501/10, NStZ 2011, 648, 649) – sequentiell, sondern nebeneinander vorgelegt worden. Es handelte sich um lediglich sechs Fotos, während eine Anzahl von acht Vergleichspersonen sachgerecht gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 – 1 StR 524/11, NStZ 2012, 283, 284). Beiden Zeugen waren zudem dieselben Bilder in identischer Anordnung, der Angeklagte als „Nr. 4“, gezeigt worden, und zwar dem Zeugen B. am 14. Dezember 2011 und dem Zeugen D. am 29. Dezember 2011. Dieses Foto des Angeklagten war auch für einen Fahndungsaushang verwendet worden, den der Zeuge B. vor Beginn seiner Vernehmung im polizeilichen Wartebereich wahrgenommen hatte. Die Revision trägt darüber hinaus vor, der Zeuge habe im Rahmen dieser Vernehmung angegeben, er habe den Angeklagten bereits im Vorfeld auf einem in der Zeitung „Lichtenberger Kurier“ veröffentlichten Fahndungsfoto wiedererkannt.
7
Bei diesem Ablauf der Identifizierungsmaßnahmen bestand somit die Möglichkeit, dass beim Zeugen B. die originäre Erinnerung durch das (ein- zelne) Fahndungsfoto „überschrieben“ worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 5 StR 235/09, NStZ 2010, 53, 54; s. auch Urteil vom 27. Oktober 2005 – 4 StR 234/05), und es war nicht einmal ausgeschlossen, dass der Zeuge D. mit ihm vor seiner eigenen Einsichtnahme über die zu erwartende Anordnung der Fotos gesprochen, möglicherweise gar auch das Fahndungsfoto gesehen hatte.
8
bb) Angesichts dessen musste sich dem Landgericht die zeugenschaftliche Vernehmung P. s aufdrängen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint und je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, desto größer ist der Anlass für das Gericht, trotz der (an sich) erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu nutzen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – 1 StR 580/95, StV 1996, 249). Dem steht hier nicht entgegen, dass in der von der Revision vorgetragenen Strafanzeige vermerkt ist, der Zeuge hätte geäußert, ein Wiedererkennen der Täter sei nicht möglich. Denn diese Einschätzung war im Laufe der Ermittlungen nicht überprüft worden. Sie lässt im Übrigen die Möglichkeit offen, dass er den Angeklagten als Täter ausschließen kann.
9
b) Danach erscheint es dem Senat als möglich, dass das Landgericht hinsichtlich der Taten II.2. und 3. der Urteilsgründe zu einer anderen Beweiswürdigung gelangt wäre, hätte es den Zeugen P. zum Tatgeschehen gehört und dessen Angaben in seine Gesamtbetrachtung einbezogen.
10
3. Der dadurch bedingte Wegfall der Einsatzstrafe (drei Jahre Freiheitsstrafe für die Tat II.3. der Urteilsgründe) sowie der für die Tat zu II.2. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
11
Die für die Taten II.1. und 4. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen haben dagegen Bestand; der Senat schließt aus, dass deren Zumessung durch die aufgehobenen Fälle zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden ist.
12
4. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
13
a) Das Tatgericht muss in Fällen sogenannten wiederholten Wiedererkennens in den Urteilsgründen darlegen, dass es sich des eventuell verringerten Beweiswerts bewusst gewesen ist (s. schon BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 – 2 StR 194/61, BGHSt 16, 204, 206). Dabei wird vorliegend das Augenmerk auch auf die im angefochtenen Urteil nicht erörterte Frage zu legen sein, ob schon das Wiedererkennen des Angeklagten seitens des Zeugen B. bei der polizeilichen Wahllichtbildvorlage durch das vorherige Betrachten des in der Zeitung und auf dem Fahndungsaushang veröffentlichten Fotos beeinflusst worden sein könnte. In diesem Zusammenhang wird gegebenenfalls auch darzustellen sein, wie sich der Zeuge L. zum Wiedererkennen des Angeklagten geäußert hat.
14
b) § 249 StGB setzt einen finalen Zusammenhang zwischen dem eingesetzten Nötigungsmittel und der Wegnahme voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 176/01). Hierfür genügt die bloße Feststellung, ein Täter habe das Opfer geschlagen oder getreten, „um ihm Schmerzen zuzufügen“ (UA S. 11), nicht.
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 249 Raub


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 501/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten Pascal H. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten Andrzej J. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für den Nebenkläger Markus W. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der gemeinschaftlichen räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat sich auf Grund der glaubhaften Angaben des Nebenklägers davon überzeugt, dass dieser am 19. Juli 2008 gegen 4.00 Uhr am Baldeneysee in Essen, wo er in seinem auf einem Parkplatz abgestellten Wohnmobil schlief, von insgesamt vier Tätern überfallen wurde. Diese forderten die Herausgabe von Wertsachen, Mobiltelefonen oder Geld und verliehen ihren Forderungen zunächst durch Schläge gegen das Wohnmobil und durch Beschimpfungen Nachdruck. Der Nebenkläger, der angesichts der zunehmend aggressiv vorgehenden Täter Angst bekam und sich in seinen Verteidigungs- möglichkeiten eingeschränkt sah, weil er unbekleidet war, reichte ihnen durch ein spaltbreit aufgeschobenes Fenster etwa fünf Euro Münzgeld heraus. Einer der vier Angreifer, die seiner Versicherung, über kein weiteres Geld mehr zu verfügen, keinen Glauben schenkten, schlug daraufhin das Schiebefenster des Wohnmobils mit einem Radmutterschlüssel ein. Nachdem der Nebenkläger unter dem Eindruck dieses Vorgehens nunmehr auch eines seiner Mobiltelefone herausgegeben hatte, versuchte einer der Täter, ihn von außen durch das vollständig zersplitterte Fenster mit dem Radmutterschlüssel zu schlagen. Das gelang jedoch nicht, weil der Nebenkläger in das Innere des Fahrzeugs auswich. Ein weiterer der vier Täter schlug sodann das Fenster der Fahrertür ein, öffnete die Tür, lehnte sich über den Fahrersitz nach hinten und schlug den Nebenkläger mehrfach mit einem Fahrradspanngurt, der an den Enden mit Metallhaken versehen war. Der Nebenkläger, der dadurch mehrere Striemen am Oberkörper davontrug, verteidigte sich seinerseits mit einer Metall-Taschenlampe. Es gelang ihm, dem Täter am Schiebefenster vorübergehend den Radmutterschlüssel zu entwinden, nachdem dieser das zweite Mobiltelefon des Nebenklägers durch das zerbrochene Fenster an sich genommen hatte, er gab das Werkzeug aber nach Androhung des Einsatzes einer Schusswaffe wieder zurück. Der in den Fahrerbereich des Wohnmobils eingedrungene Angreifer hatte in der Zwischenzeit von dem Nebenkläger abgelassen und nahm aus der Frontablage ein Navigationsgerät, ein Ladekabel, mehrere CDs sowie den Zündschlüssel für das Firmenfahrzeug des Nebenklägers an sich. Daraufhin entfernten sich die Angreifer mit den entwendeten Gegenständen unter Benutzung eines unbeleuchteten Pkws.
3
2. Die Strafkammer hat nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass die Angeklagten, die den Tatvorwurf bestritten und sich dahin eingelassen haben, sie seien zum Tatzeitpunkt jeweils zu Hause gewesen, zusammen mit zwei weiteren, unbekannt gebliebenen Personen die Täter waren. Insbesondere bestehen aus Sicht des Landgerichts begründete Zweifel daran, dass der Nebenkläger die Angeklagten zuverlässig wiedererkannt hat.
4
a) Dem liegt Folgendes zu Grunde:
5
Bei Anzeigeerstattung noch in der Tatnacht (19. Juli 2008) bekundete der Nebenkläger, die Täter nicht einzeln beschreiben zu können, da sie alle „irgendwie gleich ausgesehen“ hätten. Es habe sich um etwa 1,80 Meter große, ca. 25 Jahre alte männliche Personen mit schwarzen, kurzen Haaren, südländischem Aussehen und kräftigen Staturen gehandelt, bei denen er eine türkische Herkunft vermute. Sie hätten die deutsche Sprache mit einem leichten Akzent gesprochen und eine schwarze, viertürige Limousine benutzt. Er nehme an, es sei ein Pkw Audi 80 älterer Bauart mit abgerundeter Karosserie gewesen. Am 29. Dezember 2008 führte die Polizei zwei computergestützte Wahllichtbildvorlagen durch, wobei jede Vorlage aus acht Lichtbildern bestand, von denen jeweils eines einen der beiden Tatverdächtigen, die sieben anderen computergenerierte Bilder nicht existierender Personen zeigten. Die Bilder wurden dem Nebenkläger am Computerbildschirm einzeln nacheinander gezeigt (sog. sequentielle Wahllichtbildvorlage). Der Nebenkläger, dem zu Beginn der Vorlage mitgeteilt worden war, dass sich in jeder der Lichtbildvorlagen jeweils einer der Tatverdächtigen befinden würde, erkannte den Angeklagten H. beim ersten Durchgang auf Bild Nr. 8 zu 100 %; die anderen Personen erkannte er nicht wieder. Im zweiten Durchgang erkannte er bereits auf Bild Nr. 2 den Angeklagten J. , ebenfalls mit 100%-iger Sicherheit. Die auf dem ersten Bild dieser zweiten Vorlage abgebildete Person erkannte der Nebenkläger nicht. Entsprechend den einprogrammierten Systemvorgaben wurde der gesamte Vorgang unmittelbar nach Wiedererkennung des zweiten Angeklagten beendet. Am 30. Januar 2009 legte die Polizei dem Nebenkläger eine weitere Lichtbildvorlage mit acht Personen arabischen bzw. afrikanischen Aussehens vor; er erkannte jedoch niemanden. In der Hauptverhandlung am 12. April 2010 hat der Geschädigte die Angeklagten ebenfalls wiedererkannt.
6
b) Nach Auffassung der Strafkammer spricht die Wiedererkennungsleistung des Nebenklägers zwar für sich betrachtet für deren Richtigkeit. Sie sei aber nicht ohne Beeinflussung des Zeugen zustande gekommen, da dieser jeweils vor Beginn der Vorlage beider Lichtbildserien darüber informiert worden sei, dass sich in jeder Serie einer der Verdächtigen befinde. Es könne zwar offen bleiben, ob diese Beeinflussung des Zeugen allein geeignet sei, die Zuverlässigkeit der Wiedererkennung in Frage zu stellen. Zahlreiche weitere Unstimmigkeiten begründeten jedoch jeweils für sich gesehen und in der Gesamtschau erhebliche Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten. So sei die sequentielle Wahllichtbildvorlage erst fünf Monate nach der Tat durchgeführt worden , die vom Nebenkläger abgegebene, sehr allgemeine Beschreibung der Täter noch in der Tatnacht stimme mit deren tatsächlichen Merkmalen nicht überein , ferner habe der Angeklagte H. zum Tatzeitpunkt keinen schwarzen Pkw der Marke Audi in ständiger Benutzung gehabt, sondern einen roten Pkw Opel Vectra, der im Übrigen zum Tatzeitpunkt an anderer Stelle in EssenBredeney gesehen worden sei. Außerdem sei ein Fingerspurenabgleich negativ verlaufen.

II.


7
Der Freispruch hat keinen Bestand.
8
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Bei einem Freispruch unterliegt der Überprüfung auch, ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (BGH, Urteil vom 6. November 1998 aaO; Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Insbesondere dann, wenn er nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerungen zieht, muss der Tatrichter tragfähige Gründe anführen, die sein Ergebnis stützen können. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 aaO; Urteil vom 17.
März 2005 – 4 StR 581/04, NStZ-RR 2005, 209; Urteil vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, jeweils m.w.N.).
9
2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
a) Zum einen lassen die Ausführungen im angefochtenen Urteil besorgen , dass die Strafkammer an die für eine Verurteilung der Angeklagten erforderliche Gewissheit zu hohe Anforderungen gestellt hat. Dies gilt namentlich für die Bewertung der Wiedererkennungsleistung des Nebenklägers.
11
aa) Entgegen der Ansicht der Revision hat die Strafkammer in den Urteilsgründen zwar noch hinreichend dargelegt, auf welche Weise die sog. sequentielle Wahllichtbildvorlage mit dem Nebenkläger durchgeführt wurde (vgl. dazu nur Senatsbeschluss vom 27. Februar 1996 – 4 StR 6/96, NStZ 1996, 350 m.w.N.). Die Wertung der Strafkammer, die von dem Nebenkläger bei dieser Lichtbildvorlage gezeigte Wiedererkennungsleistung sei in ihrem Beweiswert schon deshalb gemindert, weil dem Zeugen vor Durchführung der Vorlage mitgeteilt worden sei, in jeder der beiden Lichtbildserien befinde sich das Bild eines Tatverdächtigen, vermag der Senat nicht zu teilen.
12
bb) Es trifft zwar zu, dass die Ermittlungsbehörden bei Wahllichtbildvorlagen wie auch bei Wahlgegenüberstellungen a lles zu unterlassen haben, was den jeweiligen Zeugen in seiner Unvoreingenommenheit beeinflussen kann. Danach versteht es sich von selbst, dass Kommentare seitens der Vernehmungsbeamten aus Anlass der Vorlage einzelner Lichtbilder das Ergebnis einer Wiedererkennungsleistung ebenso entscheidend entwerten können wie die fehlerhafte Ausgestaltung von Lichtbildbögen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Januar 1993 – 4 StR 588/92, StV 1993, 234 [Beamter weist auf das Lichtbild des Verdächtigen besonders hin]; BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, NStZ 1998, 266 [Bild des Verdächtigen größer als die anderen]). So liegt der Fall hier aber nicht. Das Landgericht stützt seine Annahme, der Nebenkläger sei suggestiv beeinflusst worden, allein auf die ihm von dem Vernehmungsbeamten gegebene Information, in jeder Bildserie befinde sich das Bild eines der Verdächtigen (ebenso wohl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. März 1983 – 3 HEs 77/83, NStZ 1983, 377). Eine solche Mitteilung stellt jedoch noch keine unzulässige Suggestion des betroffenen Tatzeugen dar, es sei denn, dass die Unbefangenheit des Zeugen beim Wiedererkennungsvorgang durch Hinzutreten besonderer Umstände unsachgemäß in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Auch im vergleichbaren Fall der Wahlgegenüberstellung wird deren Beweiswert nicht schon dadurch gemindert oder in Frage gestellt, dass der Zeuge, sei es mit oder ohne eine entsprechende Information, weiß oder jedenfalls davon ausgeht, dass sich unter den Auswahlpersonen auch die Person des Tatverdächtigen befindet.
13
cc) Die Strafkammer hätte in diesem Zusammenhang auch nicht unerörtert lassen dürfen, dass dem Ergebnis einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage in der Regel ein höherer Beweiswert zukommt als dem einer gleichzeitigen Vorlage aller Bilder (so schon Senatsbeschluss vom 9. März 2000 – 4 StR 513/99, NStZ 2000, 419 zur sequentiellen Wahlgegenüberstellung). Dies beruht bei sequentiell vorgenommener Vorlage von Lichtbildern ebenso wie bei einer solchen Form der Wahlgegenüberstellung vor allem auf dem Umstand, dass dem Zeugen in Ermangelung zeitgleich vorgelegter (weiterer) Lichtbilder oder vorgeführter Personen die Identifizierung im Wege eines – in der Praxis häufig vorkommenden – Ausschlussverfahrens am Maßstab eines (relativen) Ähnlichkeitsurteils regelmäßig verschlossen ist. Der Zeuge kann und muss vielmehr bei je- dem einzelnen Bild bzw. bei jeder einzelnen Person ausschließlich auf sein aktuelles Erinnerungsbild zurückgreifen. Es kommt hinzu, dass die Wiedererkennungssicherheit im vorliegenden Fall trotz der verstrichenen Zeit in beiden Durchgängen einhundert Prozent betrug. Da das Landgericht alle Beweisanzeichen einer Gesamtbetrachtung unterzogen hat, ist nicht auszuschließen, dass bei einer anderen Gewichtung der Wiedererkennungsleistung die Entscheidung anders ausgefallen wäre.
14
dd) Die Erwägung, gegen eine sichere und fehlerfreie Wiedererkennung der Täter durch den Angeklagten sprächen die schlechten Beleuchtungsverhältnisse auf dem Parkplatz in Tatortnähe, erweist sich vor dem Hintergrund der zum unmittelbaren Tathergang getroffenen Feststellungen auch als lückenhaft. Danach war der in das Wohnmobil eingedrungene Täter nicht nur in der Lage, den Geschädigten durch Schläge mit einem Fahrradspanngurt zu treffen. Er durchsuchte im Anschluss daran den Fahrer- bzw. Beifahrerbereich des Fahrzeugs gezielt nach Beute und nahm aus der dortigen Ablage verschiedene Gegenstände an sich, u. a. den Schlüssel für das Firmenfahrzeug des Geschädigten. Warum dem Täter dies trotz der mangelhaften Beleuchtungsverhältnisse möglich war, war daher unter den gegebenen Umständen erörterungsbedürftig.
15
b) Die Beweiserwägungen des Landgerichts erweisen sich auch in anderer Hinsicht als teilweise lückenhaft und widersprüchlich.
16
aa) Nach den Feststellungen der Strafkammer befand sich der vom Angeklagten H. ständig genutzte rote Pkw Opel Vectra in der Tatnacht gegen 4.00 Uhr, besetzt mit drei bis vier nicht identifizierten Personen, in EssenBredeney , etwa fünfzehn Autominuten vom Tatort entfernt. Dort bemerkte der Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, der Zeuge T. , der in dieser Gegend mit Objektschutzaufgaben betraut war, das Fahrzeug und notierte sich dessen amtliches Kennzeichen. Als die Insassen des Fahrzeugs den Zeugen bemerkten, schalteten sie die Fahrzeugbeleuchtung aus und entfernten sich mit hoher Geschwindigkeit.
17
bb) Für das Landgericht ergeben sich aus dieser Begebenheit weitere Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten, da diese sich, so die Strafkammer, nicht zur selben Zeit an zwei Orten gleichzeitig hätten aufhalten können. Abgesehen davon, dass in den Urteilsgründen an anderer Stelle ausdrücklich offen gelassen wird, ob sich die Angeklagten und ihre Mittäter überhaupt in dem Pkw befanden, könnte sich diese Erwägung, worauf die Revision zutreffend hinweist, zu Gunsten der Angeklagten nur dann als tragfähig erweisen, wenn eine genaue Tatzeit feststünde. Aus den Urteilsgründen ergibt sich für die Tatausführung aber ein Zeitfenster von mindestens einer Stunde. Angesichts der geringen Entfernung des von dem Zeugen T. bemerkten roten Opel Vectra zum Tatort hätte dies genauerer Erörterung bedurft. Die nahe liegende Möglichkeit, dass die Angeklagten zur Erschwerung ihrer Identifizierung mit einem anderen Fahrzeug als mit dem vom Angeklagten H. ständig genutzten Pkw zum Tatort gefahren sind, wird vom Landgericht nicht in Betracht gezogen. Indem die Strafkammer in diesem Zusammenhang darlegt, es erscheine nicht lebensfern, dass der Angeklagte H. sein Fahrzeug in der Tatnacht anderen Personen zur Begehung von Straftaten geliehen haben könnte, unterstellt sie vielmehr zu Gunsten der Angeklagten eine Geschehensvariante, die in den übrigen Feststellungen keine Stütze findet.
18
Es ist nicht auszuschließen, dass der Freispruch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
19
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass auch das (wiederholte) Wiedererkennen in der Hauptverhandlung einen , wenn auch eingeschränkten, Beweiswert haben kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 5 StR 235/09, NStZ 2010, 53, Tz. 15) und insoweit die Wiedergabe der von einem Zeugen gegebenenfalls besonders hervorgehobenen Wiedererkennungs- und Identifizierungsmerkmale eines Täters in den Urteilsgründen wünschenswert ist. Im Hinblick auf die Bewertung der Beschreibung der Täter durch den Nebenkläger noch in der Tatnacht wird der neue Tatrichter andererseits bedenken müssen, dass es kaum je zu erwarten ist, dass ein Tatopfer sich alle persönlichen Merkmale eines Täters einprägt und mit der gleichen Zuverlässigkeit alle Merkmale wiedergeben kann. Es bedarf insoweit jeweils einer umfassenden Abwägung, bei der die besonderen Umstände des Falles – hier: nächtlicher Angriff von vier Tätern auf ein schlafendes Opfer – zu bedenken sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 29. September 1998 – 1 StR 416/98, NStZ 1999, 153; Urteil vom 28. Oktober 1992 – 3 StR 410/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 14). Für den Fall, dass es für die Überzeugungsbildung auch auf eine sog. Weg-Zeit-Berechnung ankommen sollte, weist der Senat vorsorglich auf den möglicherweise eingeschränkten Beweiswert einer solchen Berechnung hin (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. Oktober 1992 aaO).
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 524/11
vom
9. November 2011
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Bei einer Wahllichtbildvorlage sollten einem Zeugen Lichtbilder von wenigstens
acht Personen vorgelegt werden. Dabei ist es vorzugswürdig, ihm diese nicht
gleichzeitig sondern nacheinander (sequentiell) vorzulegen oder (bei Einsatz
von Videotechnik) vorzuspielen. Wird die Wahllichtbildvorlage vor der Vorlage
bzw. dem Vorspielen von acht Lichtbildern abgebrochen, weil der Zeuge erklärt
hat, eine Person wiedererkannt zu haben, macht dies das Ergebnis der Wahllichtbildvorlage
zwar nicht wertlos, kann aber ihren Beweiswert mindern.
BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 StR 524/11 - LG Heilbronn
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Heilbronn vom 30. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags und weiterer Gewaltdelikte sowie wegen mehrerer Unterschlagungen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung (ebenfalls wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu einer Jugendstrafe verurteilt.
2
Seine Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Die (gefährliche) Körperverletzung zum Nachteil des ihm bis dahin nicht bekannten Mi. R. hat der Angeklagte bestritten. Dieser und weitere Zeugen der Tat hatten den Angeklagten bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Wahllichtbildvorlage nicht oder nicht sicher wiedererkannt. Ähnlich war das Ergebnis der Hauptverhandlung, auch soweit dort weitere Tatzeu- gen vernommen wurden, mit denen im Ermittlungsverfahren keine Wahllichtbildvorlage durchgeführt worden war. Soweit Mi. R. den Angeklagten in der Hauptverhandlung erkannte, hat die Jugendkammer zutreffend erwogen , dass er möglicherweise das ihm früher gezeigte Lichtbild wiedererkannt haben könnte. Die Jugendkammer stützt ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf die Aussage des ebenfalls bei der Tat anwesenden M. R. . Dieser hatte den Angeklagten vor allem deshalb wiedererkannt, weil er einige Monate zuvor selbst einen Streit und eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gehabt hatte. Außerdem hat er, wie die Vernehmung des damit befassten Polizeibeamten bestätigte, den Angeklagten bei einer Wahllichtbildvorlage wiedererkannt. Der Angeklagte war auf dem fünften dem Zeugen vorgelegten Lichtbild abgebildet gewesen. Nachdem der Zeuge erklärt hatte, er erkenne den Angeklagten auf diesem Bild als denjenigen wieder, der Mi. R. mit dem Messer verletzt hatte, wurde die Wahllichtbildvorlage beendet, obwohl die Vorlage von neun Lichtbildern vorbereitet gewesen war. Die Jugendkammer führt näher aus, dass trotz des Abbruchs der Wahllichtbildvorlage deren Ergebnis, etwa wegen der Angabe M. R. s, den Angeklagten von der früheren Auseinandersetzung her zu kennen, und aus sonstigen, von der Jugendkammer dargelegten Gründen, „nicht wertlos“ gewe- sen sei.
4
Die Revision knüpft an den Abbruch der Wahllichtbildvorlage an und meint, dass unter den gegebenen Umständen „der Beweiswert [der Wahllicht- bildvorlage] … gegen Null (strebt)“.
5
Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
6
Allerdings sollen, dies ist ein Ergebnis kriminalistischer Erfahrung, einem Zeugen bei einer Gegenüberstellung „eine Reihe“ von Vergleichspersonen ge- genübergestellt werden (vgl. Nr. 18 RiStBV), wobei eine Zahl von mindestens acht Vergleichspersonen empfehlenswert ist. Die gleiche Anzahl von Lichtbildern ist bei Wahllichtbildvorlagen sachgerecht (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rn. 1257, 1251 mwN). Dabei ist es vorzugswürdig , wenn dem Zeugen die Lichtbilder nicht gleichzeitig sondern nacheinander (sequentiell) vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99, StV 2000, 603; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 501/10; generell zur sequentiellen Vorlage Odenthal NStZ 2001, 580 ff. mwN). Der nicht näher ausgeführte Hinweis des Generalbundesanwalts, der Abbruch einer Wahllichtbildvorlage, sobald eine Person erkannt sei, beruhe (nicht nur) auf „polizeilichen Richtlinien“ (vgl. insoweit auch Odenthal aaO S. 582), sondern sei auch „in entsprechender Software implementiert“, spricht dafür, dass hier - die Urteilsgründe äußern sich hierzu nicht ausdrücklich - die Wahllichtbildvorlage nicht in Papierform sondern (rechtlich unbedenklich) mit Videotechnik durchgeführt wurde. Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass einem Zeugen auf jeden Fall im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage (mindestens) acht Personen gezeigt bzw. vorgespielt werden sollten, auch wenn er schon zuvor angibt, eine Person erkannt zu haben. Denn er kann bei einer größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, sodass im Ergebnis eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen einen höheren - in Grenzfällen möglicherweise entscheidenden - Beweiswert gewinnen kann (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 7. Aufl., Rn. 1405, Odenthal aaO, jew. mwN).
7
Daraus folgt jedoch nicht, dass es, wie die Revision im Ergebnis meint, aus Rechtsgründen schlechterdings ausgeschlossen wäre, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen einer (deshalb) nach Vorlage von fünf Bildern abgebrochenen Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen. Möglicher Schwächen dieser Art der Beweisgewinnung war sich die Jugendkammer bewusst, wie ihre sehr weitgehen- de Einschränkung, dass das Ergebnis der Wahllichtbildvorlage „nicht wertlos“ war, zeigt. In diesem Umfang konnte sie es in die eingehend und sehr sorgfältig von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einstellen. Die Grenzen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung hat sie weder dabei noch sonst überschritten.
8
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2011 zutreffend im Einzelnen dargelegt hat. Wahl Rothfuß Hebenstreit Elf Graf
5 StR 235/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 21. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Vor der hier abgeurteilten Tat waren der Zeuge P. und seine Freundin H. am 6. Juni 2008 gegen 1.30 Uhr in ihrer Wohnung unter Einsatz eines gefährlichen Werkzeuges beraubt worden. Wegen dieser Tat hat das Landgericht den U. , einen Bekannten des Angeklagten, rechtskräftig verurteilt (UA S. 8). P. fürchtete sich vor dem ihm aus „Szenekreisen“ bekannten U. und erstattete zunächst keine Anzeige.
4
Am 14. Juni 2008 zwischen 2.00 und 3.00 Uhr drang der – vom Landgericht als Täter identifizierte – unmaskierte Angeklagte mit einer weiteren unbekannt gebliebenen maskierten Person in die Wohnung des P. ein. Als einer der Täter das Licht anschaltete, wachten P. und H. auf. Der Angeklagte hielt einen Baseballschläger drohend in seiner Hand und forderte den Geschädigten P. , der sich mittlerweile im Bett aufgesetzt hatte, mit den Worten: „Du hast meine Oma beklaut! Du hast ihr das Portemonnaie mit 165 Euro geklaut! Ich will das wiederhaben!“ (UA S. 9) zur Herausgabe von Bargeld auf. P. übergab dem Angeklagten – durch die Drohung mit dem Baseballschläger beeindruckt – elektronisches Gerät, Spiele und DVD-Filme im Wert von 230 Euro zuzüglich 30 Euro Bargeld.
5
b) Während der noch am Tattag durchgeführten polizeilichen Vernehmung schloss P. nach seinem „Gesamteindruck“ aus, dass U. als maskierter Täter in Betracht komme. Den unmaskierten Täter beschrieb er – ohne Angaben zur Kleidung machen zu können – als 24 bis 25 Jahre alt im Übrigen wie folgt: „170 bis 175 cm groß, schlanke Statur, deutscher Typ, solariumgebräunt , kurze dunkle Haare, nach hinten gekämmt, braune Haut und kreisrunder Bart von Oberlippe bis zum Kinn und an den Wangenknochen. Die Person habe sehr gepflegt gewirkt und deutsch ohne Auffälligkeiten gesprochen“ (UA S. 13). Die Zeugin H. hat über den Täter am gleichen Tag folgende Angaben gemacht: „Vermutlich Deutscher, südländischer Teint, ca. 168 bis 170 cm groß, sportliche Figur, ca. 22 bis 23 Jahre alt, trug leicht gewellte dunkelbraune kurze Haare, dunkle Augen, trug helle Jeans, ein helles T-Shirt, trug einen Oberlippen- und Kinnbart, insgesamt gepflegt und gut aussehend“ (UA S. 23).
6
Das Landgericht hat zum Aussehen des Angeklagten festgestellt: Es handele „sich um einen zur Tatzeit 30-jährigen Berliner, der sowohl aufgrund seines jungenhaften, glatten Gesichts als auch aufgrund seines gesamten Erscheinungsbildes, er ist ca. 168 cm groß, wiegt ca. 50 kg und ist von schlanker Statur, hat dunkle Augen, eine eher eckige Gesichtsform, kräftige Lippen und kurze dunkle Haare, einen leichten Bartansatz von der Oberlippe bis zum Kinn und trägt sportliche Kleidung, deutlich jünger wirkt“ (UA S. 12).
7
Beide Zeugen nahmen in die Lichtbildvorzeigedatei Einsicht. P. betrachtete 217, die Zeugin H. 200 Lichtbilder junger Männer, die entsprechend dem von den Zeugen geschätzten Alter des Tatverdächtigen zusammengestellt worden waren und den (älteren) Angeklagten deshalb nicht enthielten.
8
Die Zeugin H. erkannte indes auf einem von sechs vorgelegten weiteren Lichtbildern (Farbfotos in Passbildgröße; Profil, Seitenprofil und frontal) den Täter zu 100 %. Dabei handelte es sich um den 1985 geborenen und altersentsprechend aussehenden R. , der dem besonders jugendlich wirkenden Angeklagten von der Gesichts-, Nasen- und Mundform, dem Haaransatz, der Haarfarbe sowie dem Bartansatz her sehr ähnlich sieht (UA S. 19). R. s Gesicht sei zudem, wie das des Angeklagten, eher kantig (UA S. 14). Auch der Zeuge P. beurteilte das Erscheinungsbild des auf dem Bild zu sehenden R. nach dem Stil der Haare und vom Typ her dem Täter als sehr ähnlich (UA S. 14).
9
Die Zeugen wurden drei Tage später erneut zur Vernehmung einbestellt. Ihnen wurden fotokopierte schwarz-weiße Lichtbilder in Passbildformat von jeweils sieben Männern, darunter auch eines des Angeklagten vorgelegt. P. erkannte den als ungepflegt auffälligen U. (Bild 3) sowie dessen Freund K. (Bild 7) und bezeichnete das den Angeklagten zeigende Bild zu 80 % als das des Täters (UA S. 17). Der Zeuge habe sich nur deshalb nicht zu 100 % festlegen wollen, weil ihm nur ein Schwarzweißfoto des Kopfes und des Schulterbereiches vorgelegt worden sei. Zum Abgleich seiner Erinnerung habe ihm der Gesamteindruck gefehlt (UA S. 17).
10
Bei einer – am 18. November 2008 während laufender Hauptverhandlung ohne Benachrichtigung der Verteidigerin erfolgten – polizeilichen Gegenüberstellung sei der Zeuge dann sofort sicher gewesen. Der Angeklagte sei der erste gewesen, den der Zeuge im Rahmen der polizeilichen Gegenüberstellung gesehen habe. Aufgrund seines gesamten Erscheinungsbildes (Größe, Statur und Gesicht) sei er zu 100 % sicher gewesen. Die übrigen fünf Personen, die ihm anschließend noch gegenübergestellt worden seien, habe er als Täter ausgeschlossen. Auch in der Hauptverhandlung habe er den Angeklagten zweifelsfrei wiedererkannt.
11
c) Der Angeklagte hat bestritten, die Tat begangen zu haben. Er habe in dieser Zeit keine Verbindung zu U. gehabt und die Geschädigten noch nie gesehen. Seit zwölf Jahren habe er keinen Kontakt zu seiner Großmutter, so dass es ihm an dem erklärten Tatmotiv fehle.
12
d) Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten aufgrund der Wiedererkennungsleistung des Zeugen P. überzeugt. Dabei stützt sich das Landgericht „auf die Angaben des Geschädigten P. , die er im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung gemacht hat“ (UA S. 12). Nach den beweiswürdigenden Darlegungen (UA S. 22) misst die Strafkammer dem Ergebnis der Wahlgegenüberstellung und der Bewertung des Zeugen in der Hauptverhandlung nur insoweit Bedeutung bei, als die Zuverlässigkeit seiner früheren Identifizierung im Rahmen der Lichtbildvorlage nicht in Frage gestellt würde. „Denn die Kammer ist sich sehr wohl bewusst, dass hier die Gefahr besteht, dass der Zeuge sich an dem zuvor gesehenen Lichtbild orientiert“ (UA S. 22).
13
Das Landgericht hat Angaben der Zeugin H. , soweit die Identifizierung des Angeklagten als Täter in Frage steht, bei der Urteilsfindung nur insoweit berücksichtigt, als dass hierdurch keine Widersprüche zu den Angaben des Zeugen P. zutage getreten seien (UA S. 22). Die Zeugin habe die Verdächtigung des R. zurückgenommen und den Angeklagten bei der sequenziellen Gegenüberstellung zu 80 % und in der Hauptverhandlung eindeutig als Täter wiedererkannt.
14
2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben. Die Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten beruht ange- sichts der Komplexität und Fehlerträchtigkeit bei der hier in Frage stehenden Überführung eines Angeklagten allein aufgrund der Aussage und des Wiedererkennens einer einzelnen Beweisperson (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2003, 2444, 2445 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6 und 16; BGHR StPO § 247a audiovisuelle Vernehmung 9) auf keiner ausreichenden Grundlage (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 17).
15
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die ausschließlich auf die Wiedererkennungsleistungen des Zeugen P. gestützte Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten unklar geblieben ist. Soweit das Landgericht auf eine Gesamtschau der konstanten und in sich stimmigen Aussage des Zeugen P. bei der Polizei und in der Hauptverhandlung abgestellt hat (UA S. 12/18), hat es die Problematik der suggestiven Wirkung früherer Wahrnehmungen auf das jeweils spätere Wiedererkennen (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 509 m.w.N.) nicht ausreichend bedacht. Soweit es – im Ansatz zutreffend – maßgeblich auf das erste Wiedererkennen auf dem Lichtbild am 17. Juni 2008 abstellt (UA S. 15/20/22), hat es indes übersehen, dass der Zeuge P. wegen des ihm fehlenden körperlichen Gesamteindrucks lediglich eine Sicherheit von 80 % angeben konnte (UA S. 17). Auf die – ohne Beeinflussung durch Lichtbilder – weitgehend mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung übereinstimmenden ersten Beschreibungen der Zeugen P. und H. (UA S. 12/18) hat das Landgericht seine Überzeugung nicht gestützt. Der Senat ist bei dem hier vorliegenden Fehlen offensichtlicher Identifizierungsmerkmale nicht in der Lage, aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe eine sichere Tatsachengrundlage für die Überzeugung des Landgerichts zu entnehmen.
16
b) Darüber hinaus ist fraglich und vom Landgericht nicht problematisiert worden, ob die ausschlaggebende Wahllichtbildvorlage den Erfordernissen des subjektiven Auswahlverfahrens entsprach (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 13 m.w.N.). Zwar hat sich das Landgericht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die abgebildeten Personen nicht ausnahmslos – wie vom Zeugen P. beschrieben – kurze, nach hinten gekämmte Haare aufwiesen sowie über einen kreisrunden Bart von der Oberlippe bis zum Kinn und an den Wangenknochen verfügten (UA S. 21). Es hat es aber unterlassen , die vorgelegten Bilder hinsichtlich weiterer wesentlicher Unterschiede zu würdigen. Der Angeklagte verfügt über eine eher eckige Gesichtsform und kräftige Lippen (UA S. 12). Diese Merkmale finden sich auf lediglich einem weiteren dem Zeugen vorgelegten Bild (UA S. 16; Bild 2: eckige Gesichtsform, im Verhältnis zur Oberlippe relativ kräftige Unterlippe; Bild 4: schmale Lippen, ovales Gesicht; Bild 6: schmale Lippen). Das den rechtskräftig verurteilten U. zeigende Bild 3 fiel ohnehin erheblich aus dem Rahmen (UA S. 15, 16).
17
c) Auch die Bestätigung des früheren Wiedererkennens, die das Landgericht im Ergebnis der fünf Monate nach der letzten Lichtbildvorlage angeordneten Gegenüberstellung gesehen hat, begegnet für sich betrachtet Bedenken. Das Landgericht hat überwiegend auf eher vage Identifizierungsmerkmale wie Größe und Statur abgestellt, die im Ansatz bei den anderen, indes in keiner Weise beschriebenen ausgeschlossenen fünf Vergleichspersonen ebenfalls hätten vorliegen müssen.
18
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang im Blick auf verfahrensrechtliche Beanstandungen, zu denen es freilich an einem vollständigen Vortrag fehlt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), an: Es widerstreitet der Struktur des Strafverfahrens grundlegend, wenn das Gericht während laufender Hauptverhandlung wesentliche, ihrer Natur nach nicht geheimhaltungsbedürftige, ergänzende polizeiliche Ermittlungen – wie hier die Durchführung einer Wahlgegenüberstellung –, deren Ergebnis dann in der Hauptverhandlung möglicherweise maßgeblich verwertet werden soll, in Auftrag gibt, ohne die Verteidigung hierüber zuvor ausreichend zu informieren und ohne den Versuch zu unternehmen, eine effektive Teilhabe der Verteidigung an den vorgesehenen Ermittlungen zu gewährleisten.
19
d) Schließlich ist die Beweiswürdigung des Landgerichts in zweifacher Hinsicht lückenhaft (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 16 und 17 m.w.N.).
20
Das Landgericht hat es unterlassen, die von der Zeugin H. hinsichtlich des R. erbrachte, zunächst als absolut plausibel bewertete Wiedererkennungsleistung daraufhin zu untersuchen, ob dem mitgeteilten Abgehen dieser Zeugin von ihrer früheren Bewertung sachliche Erwägungen zugrunde lagen. Läge noch ein Wiedererkennen von zwei unterschiedlichen Tatverdächtigen durch zwei Zeugen vor, würde solches eine Überzeugung von der Täterschaft der beiden wiedererkannten Personen verhindern. Der Beweiswert des Wiedererkennens durch einen Zeugen wird reduziert , falls ein zweiter, intellektuell gleich begabter Zeuge aus ähnlicher Wahrnehmungssituation eine andere Person als Tatverdächtigen wiedererkannt hat.
21
Ferner hat es das Landgericht unterlassen, die – auch einer Wahrunterstellung entsprechende – Einlassung des Angeklagten hinsichtlich des vom Täter geäußerten Tatmotivs, bestärkt durch an die Zeugin H. gerichtete beruhigende Worte, in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Das vom Täter angegebene Motiv – Wiedererlangung des seiner Großmutter gestohlenen Geldes – ist von solcher Originalität, dass es sich als Tarnung kaum von selbst versteht.
22
3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Der neue Tatrichter wird naheliegend das Verhältnis des Angeklagten zu dem rechtskräftig verurteilten U. – auch bezogen auf den diesem gemeinsam mit dem Angeklagten angelasteten weiteren Raub – nachzugehen haben (vgl. auch BGH wistra 2002, 260, 262; 430).
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(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.