Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2006 - 5 StR 472/06

published on 14/12/2006 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2006 - 5 StR 472/06
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 472/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2006

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 2006 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Zu den Befangenheitsrügen bemerkt der Senat: 1. Die drei Angeklagten haben im Ermittlungsverfahren gestanden, einen Luxemburger Autohändler im Rahmen des fingierten Verkaufs eines Pkw’s um Bargeld und Wertgegenstände in Gesamthöhe von 40.000 Euro beraubt zu haben. Das Landgericht hat das Raubopfer am 4. April 2006 von 12.30 Uhr bis 15.59 Uhr mit einer Unterbrechung von 13.00 Uhr bis 14.05 Uhr als Zeugen vernommen. Der Vorsitzende beendete die Vernehmung , weil wegen Schließung des Strafjustizgebäudes um 16.00 Uhr die Öffentlichkeit nicht mehr gewahrt sei. Er entließ den Zeugen unvereidigt und vertagte die Verhandlung auf den nächsten Tag, der bereits als Sitzungstag bestimmt gewesen war. Die Verteidigerin des Angeklagten T. machte – noch im Sitzungssaal in Anwesenheit aller an der Hauptverhandlung zuletzt Beteiligter – geltend, der Vorsitzende habe durch seine Verfügungen das Fragerecht der Verteidigerin des Angeklagten M. vereitelt. Der Vorsitzende bekräftigte den Abbruch der Vernehmung des Zeugen aus zwingenden Gründen und wies darauf hin, dass die Verteidigerin des Angeklagten M. gegebenenfalls Beweisanträge stellen müsse, weil unsicher sei, ob der Zeuge noch einmal zur Verfügung stehe. Die vom Vorsitzenden dann dem Zeugen unterbreiteten Terminsangebote, am 5. April 2006 um 9.45 Uhr oder um 16.00 Uhr zur Fortsetzung der Zeugenvernehmung zu erscheinen , lehnte der Autohändler ab. Der Vorsitzende verfügte dann in seinem Dienstzimmer die Ladung des Zeugen auf den 26. April 2006, 12.00 Uhr. Diesen Termin nahm der nach Luxemburg zurückgekehrte Zeuge aber nicht wahr. Die Angeklagten legten am Ende der Hauptverhandlung nach Bekanntgabe von Obergrenzen der jeweils zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafen qualifizierte Geständnisse ab.
2. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vorliegend ein Rügeverlust der Angeklagten deshalb in Betracht kommt, weil sie sich nach sachlicher Verbescheidung ihres jeweils gestellten Befangenheitsantrags mit der Strafkammer unter dem Vorsitz des zuvor abgelehnten Richters auf eine verfahrensverkürzende Absprache eingelassen haben (vgl. BGHSt 50, 40, 52; BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität

4).


3. Die geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden liegt nicht vor. Dies gilt letztlich auch für den Angeklagten M. , obgleich dessen Verteidigung eine unzulässige Beschränkung ihres Fragerechts erfahren hat.

a) Der Senat teilt nicht die Auffassung des Generalbundesanwalts und des Landgerichts, das Verhalten des Vorsitzenden sei unbedenklich gewesen. Zwar trifft es zu, dass eine Fortführung der Zeugenvernehmung in öffentlicher Sitzung aufgrund fehlenden Personals für eine in jedem Falle vorzunehmende Einlasskontrolle von Zuhörern ab 16.00 Uhr nicht möglich war (vgl. Diemer in KK 5. Aufl. GVG § 169 Rdn. 8). Der Vorsitzende wäre aber verpflichtet gewesen, zu einer Wahrung des Fragerechts der Angeklagten gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK vorsorglich für eine Verlängerung der Sitzung zu sorgen, um so auch dem in Haftsachen besonders gewichtigen Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen. In Kenntnis des Umstandes, dass der für die Sachaufklärung wesentliche Auslandszeuge möglicherweise zu keiner
weiteren Vernehmung am Gerichtsort mehr bereit sein würde, konnte der Vorsitzende nicht darauf vertrauen, dass die Mitglieder des Gerichts, Staatsanwalt , drei Verteidiger und drei Angeklagte ihr Fragerecht bis 16.00 Uhr ausgeübt haben würden. Unter den gegebenen Umständen wäre es vielmehr geboten gewesen, entsprechend der in der Dienstvereinbarung zwischen dem Präsidenten des Landgerichts und dem Personalrat über den Einsatz des nichtrichterlichen Personals im Strafverfahren vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, eine längere als bis 16.00 Uhr andauernde Hauptverhandlung bis 14.45 Uhr in der Gerichtsverwaltung anzumelden (Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft S. 5). In einem solchen Fall wäre Personal für die Einlasskontrollen über 16.00 Uhr hinaus zur Verfügung gestellt worden.
Grundsätzlich verbietet freilich die in Haftsachen besonders gewichtige Pflicht zur Sicherstellung eines zügigen Verfahrens (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2006, 668 ff.; StV 2006, 81 ff.) die Beachtung bürokratischer Hemmnisse , wie es die angesichts dieser maßgeblichen Pflicht der Strafjustiz gänzlich untunliche Festlegung eines regelmäßig einzuhaltenden frühen Sitzungsendes bedeutet. Gleichwohl war der Vorsitzende hier gehalten, sich im Rahmen der ihm nach § 238 StPO und § 176 GVG obliegenden umfassenden Sachleitungsbefugnis (vgl. Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 238 Rdn. 6) rechtzeitig um eine Verlängerung der Hauptverhandlung zu bemühen. Nachdem die Strafrichter des Landgerichts, was der Senat dem der Revisionsgegenerklärung beigefügten Schreiben des Präsidenten des Landgerichts vom 5. Januar 2005 entnimmt, die in der Dienstvereinbarung enthaltene Regelung akzeptiert hatten, war sie auch im vorliegenden Fall hinzunehmen.
Selbst wenn es für den Vorsitzenden nicht voraussehbar gewesen wäre, dass die Befragung des Zeugen sich über 16.00 Uhr hinaus erstrecken könnte , war sein weiteres Verhalten nicht prozessordnungsgemäß. Da die Einvernahme eines Zeugen infolge der aus organisatorischen Gründen gebotenen Schließung des Gerichtsgebäudes für die Öffentlichkeit nicht beendet werden
kann, hätte der Vorsitzende die Hauptverhandlung vertagen und die weitere Ausübung des von der Verteidigung nicht ausgeschöpften Fragerechts sicherstellen müssen. Verfahrensrechtlich fehlerhaft war es deshalb, die Schließung des Dienstgebäudes zum Anlass zu nehmen, den Zeugen vorzeitig zu entlassen und weitere Fragen von der Stellung von Beweisanträgen abhängig zu machen.

b) Indes ist das Verhalten des Vorsitzenden vor dem Hintergrund der eher zeitlich umfänglich anberaumten Zeugenvernehmung zu gewichten. Dieses ist noch nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Der Vorsitzende hat letztlich auch durch seine nach Beendigung der Zeugenaussage erfolgten Bemühungen um eine Fortsetzung der Vernehmung und die verfügte Ladung des Zeugen zu erkennen gegeben, dass er das Fragerecht des Angeklagten M. zu fördern gewillt war. Angesichts dieser Ladungsbemühungen und bereits erfolgter eingehender Befragung des Zeugen begründete der Hinweis auf das Beweisantragsrecht noch keine Besorgnis der Befangenheit. Allerdings muss sich die Verteidigung in der gegebenen Verfahrenssituation nicht auf das Beweisantragsrecht verweisen lassen, weil ihr Fragerecht dadurch grundsätzlich nicht ausreichend gewahrt wird. Indem der Vorsitzende auf die Möglichkeit von Wahrunterstellungen abgehoben hat, bewies er immerhin eine weitere Offenheit bezüglich des Beweisstoffes. Zudem hätte durch einen Antrag bei Nichterscheinen des Zeugen zu einem Fortsetzungstermin auch eine audiovisuelle Konfrontationsvernehmung ge-
mäß § 247a StPO mit ihm ermöglicht werden können (vgl. BGHSt 45, 188, 190 ff.), wenngleich dies dem Vorsitzenden bei seiner bedenklichen, aber eben noch keine Besorgnis der Befangenheit begründenden Vorgehensweise nicht vor Augen gestanden haben mag.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sachverständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.