Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2011 - 5 StR 124/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten H. und den nicht revidierenden Mitangeklagten K. jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten hat es eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, gegen den Mitangeklagten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt. Beide wurden darüber hinaus zur Zahlung von Schmerzensgeld an den Nebenkläger verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – vollen Erfolg, allerdings mit der Sachrüge.
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- 1. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer versetzte der Angeklagte dem Mitgefangenen und Nebenkläger S. am Vormittag des 15. März 2009 in einem Kraftsportraum der Justizvollzugsanstalt Hamburg -Fuhlsbüttel mit seiner Gehstütze mehrere kräftige Schläge gegen den Oberkörper. Der Nebenkläger lag dabei auf dem Boden und kämpfte mit dem Mitangeklagten, der ihm mit einer Hantel gegen den Kopf schlug bzw. dies versuchte.
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- Das Landgericht stützt die Feststellungen zur Tat des Angeklagten maßgebend auf die Aussage des Mitgefangenen W. und auf medizinische Befunde, die darauf hindeuten können, dass der Nebenkläger eine Rippenprellung und eine Nierenverletzung mit leichten inneren Blutungen erlitten hat. Hingegen hatte der Nebenkläger die Schläge nicht wahrgenommen. Erstmals am Nachmittag des Tattages hatte er den Mitgefangenen W. und R. über rechtsseitig aufgetretene Rückenschmerzen berichtet (UA S. 16).
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- Die Bekundungen des Zeugen W. hält das Landgericht für glaubhaft. Er habe die Tat bei einer polizeilichen Vernehmung und in der Hauptverhandlung konstant geschildert; soweit „geringe Widersprüche zu früheren Aussagen aufgetreten“ seien, beträfen sie nicht den Kernbereich der Ereignisse und seien „angesichts des Zeitablaufs sowie des sehr kurzen und dynamischen Tatgeschehens nachvollziehbar und natürlich“ (UA S. 33).
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- 2. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung begegnet auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387 mwN, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt) durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
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- Namentlich steht die Wertung der Schwurgerichtskammer zur Konstanz der Aussage des Zeugen W. betreffend das Kerngeschehen in deutlichem Widerspruch zum Inhalt einer durch den Zeugen R. (zu einem im Urteil überdies nicht näher bezeichneten Zeitpunkt nach der Tat) gefertigten (UA S. 28) und für das vollzugliche Disziplinarverfahren bestimmten „Aktennotiz“. Darin ist – notwendig aus Anlass von Angaben des Zeugen W. – festgehalten, der Angeklagte habe „eine Krücke geworfen“ (UA S. 29). Das Landgericht spricht diesen Umstand zwar – wenngleich eher beiläufig , aber in Bezug auf den diese Tat nicht selbst wahrnehmenden Nebenkläger als Hilfserwägung nachvollziehbar – hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers an, würdigt ihn jedoch nicht in Bezug auf die Aussage des Zeugen W. . Es verhält sich insbesondere nicht dazu, ob und gegebenenfalls wie der Zeuge diesen Widerspruch im Disziplinarverfahren und bei seinen weiteren Vernehmungen erklärt hat. Dessen Bekundungen bei der ersten polizeilichen Vernehmung vom 27. Mai 2009 (vgl. UA S. 16) bleiben im Urteil gänzlich unerwähnt (vgl. UA S. 31).
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- Mit der Entwicklung des Aussageverhaltens des Zeugen W. hätte sich das Landgericht zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von dessen Angaben im Einzelnen auseinandersetzen müssen. Dies gilt umso mehr, als die allein durch diesen Zeugen beobachtete Tat auch keine unumstößliche Bestätigung in den medizinischen Untersuchungsbefunden und deren rechtsmedizinischer Begutachtung findet (vgl. UA S. 22, 23). Die Verurteilung des Angeklagten ruht damit nicht auf einer hinreichend fundierten Grundlage und kann keinen Bestand haben.
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- 3. Eine Revisionserstreckung nach § 357 StPO auf den Mitangeklagten kommt nicht in Betracht. Denn das Urteil weist ihn betreffend nicht dieselbe rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung auf.
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- 4. Weil die Revision bereits mit der Sachrüge durchdringt, kann offenbleiben , ob sie in Einklang mit der Auffassung des Generalbundesanwalts aufgrund der erhobenen Beweisantragsrügen zum Erfolg geführt hätte. Bedenklich erscheint insoweit, dass der Beschwerdeführer Ablehnungsbeschlüsse der Schwurgerichtskammer beanstandet, die auf Beweisanträge des Mitangeklagten hin ergangen sind und denen er sich nicht angeschlossen hat. Der Senat muss nicht entscheiden, ob er der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung folgen könnte, wonach allein schon bei übereinstimmender Interessenlage einem die Beweiserhebung nicht selbst beantragen- den Mitangeklagten gleichwohl eine umfassende Rügeberechtigung zugebilligt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1983 – 2 StR 837/82, BGHSt 32, 10, 12; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 84 mwN). Es liegt näher, ihn in diesem Fall auf die Möglichkeit der Aufklärungsrüge zu verweisen, die je nach Fallgestaltung weitergehenden Vortrags im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf und nicht notwendig aufgrund einer Verletzung der Regeln aus § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zum Erfolg führt.
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- 5. Es steht kein die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründender Tatvorwurf mehr in Frage. Der Senat verweist die Sache deshalb entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305, insoweit in BGHSt 40, 251 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner aaO § 354 Rn. 42).
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- Für das weitere Verfahren weist er darauf hin, dass die vom Nichtrevidenten begangene Tat im Vergleich zu der durch den Beschwerdeführer verübten durch einen deutlich höheren Unrechts- und Schuldgehalt geprägt ist, was sich – sofern es in einer neuen Hauptverhandlung abermals zu einem Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung kommen sollte – auch in der konkret verhängten Strafe und in der Bemessung der Schmerzensgeldforderung niederschlagen sollte.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
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eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.