Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Apr. 2015 - 5 StR 109/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an Minderjährige in vier Fällen und der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig ist, und
b) mit den zugehörigen Feststellungen im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in vier Fällen und Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an einen Minderjährigen unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte an vier Tagen den im Tatzeitraum März/April 2013 15-jährigen Sohn seiner früheren Lebensgefährtin Marihuana mitrauchen, das er für den gemeinsamen Konsum in eine Pfeife bzw. einen Joint gefüllt hatte (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe). Schließlich überließ er dem Jugendlichen, der an dem Betäubungsmittelkonsum inzwischen Gefallen gefunden hatte, eine Menge von 6,6 Gramm Marihuana. Davon konsumierte der Jugendliche gemeinsam mit Mitschülern am 26. April 2013, bevor das Rauschgift anschließend sichergestellt wurde (Fall 5 der Urteilsgründe).
- 3
- 2. Der Schuldspruch ist hinsichtlich der angewendeten Tatbestandsvarianten des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG rechtsfehlerhaft und dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend zu ändern. Danach hat der Angeklagte sich nur im Fall 5 der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 BtMG und in den ersten vier Fällen jeweils des Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Gebrauch an Minderjährige nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 Fall 3 BtMG schuldig gemacht. Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne dieser Vorschrift bedeutet jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An der Gewahrsamsübertragung zur freien Verfügung fehlt es aber, wenn das Betäubungsmittel, wie dies der Angeklagte getan hat, zum sofortigen Verbrauch an Ort und Stelle hingegeben wird; eine solche Fallgestaltung wird von der weiteren Tatbestandsvariante der Verbrauchsüberlassung erfasst (vgl. zur Abgrenzung BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 1998 – 3 StR 241/98, NStZ-RR 1998, 347, und vom 5. Februar 2014 – 1 StR 693/13, NStZ 2014, 717; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29a Rn. 13 f.).
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- Der Richtigstellung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen.
- 5
- 3. Die Strafzumessungsentscheidungen weisen durchgreifende Rechtsfehler auf.
- 6
- a) Das Landgericht hat bei den einzelnen Taten jeweils das Vorliegen eines minder schweren Falls im Sinne von § 29a Abs. 2 BtMG verneint und sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung als strafschärfenden Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte als Lebensge- fährte der Mutter des Jugendlichen „zu diesem in einem betreuungsähnlichen Verhältnis stand und quasi in der Rolle eines Stiefvaters war“ (UA S. 13). Diese Bewertung steht jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen und den weiteren Gründen des angefochtenen Urteils. Danach hat zwischen dem zur Tatzeit 25 Jahre alten Angeklagten und dem im großmütterlichen Haushalt lebenden Sohn seiner Lebensgefährtin ein „freundschaftliches Verhältnis“ (UA S. 4)be- standen. Nach Überzeugung des Landgerichts ist dem Angeklagten klar gewe- sen, dass der Jugendliche „ihn als den Älteren bewundert, auch und gerade wenn es sich eher um eine kumpelhafte Beziehung als um eine väterliche han- delt“ (UA S. 13).Hierfür hat sich das Landgericht in der Beweiswürdigung ersichtlich auch auf die Aussage der Großmutter und gesetzlichen Vertreterin des Jugendlichen gestützt. Nach deren Beschreibung des engen freundschaftlichen Verhältnisses, die in der Sache den Bekundungen des Jugendlichen selbst entspricht , seien „die beiden wie zwei Schulfreunde gewesen, wie zwei alberne Kinder“ (UA S. 11).
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- b) Bei Fall 5 hat das Landgericht zudem straferschwerend gewertet, dass es sich bei den vom Angeklagten überlassenen 6,6 Gramm Marihuana nicht mehr nur um eine geringe, sondern um eine „normale“ Menge gehandelt habe. Ungeachtet seiner bereits zweifelhaften Annahme, bezüglich des hier zu beurteilenden Cannabiskrauts gelte eine Bruttogewichtsmenge von 6 Gramm als Obergrenze einer geringen Menge, wie sie in der Rechtsprechung für Cannabisharz (Haschisch) bisweilen angenommen worden ist (vgl. BayObLG, NJW 2003, 1681; Patzak, aaO, § 29 Teil 28 Rn. 39 mwN; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 10 f.), hat das Landgericht damit einem – ohnehin nicht existenten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 ff.) – „Normalfall“ der Tatbestandsverwirklichung strafschärfende Wirkung beigemessen. Hierdurch hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.
- 8
- c) Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Vorgehensweise zur Anwendung des § 29a Abs. 2 BtMG und deshalb zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre.
- 9
- d) Schon die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Überdies kann der Ausspruch über die Gesamtstrafe auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht bezüglich der nach § 55 Abs. 1 StGB einbezogenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Schleswig vom 2. Juli 2014 zwar das Delikt und die Tatzeit benannt, jedoch die herangezogenen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht nachvollziehbar dargestellt hat. Das vorliegende Urteil lässt deshalb eine vollständige Überprüfung der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 – 4 StR 130/09, NStZ-RR 2009, 277, und vom 8. Februar 2011 – 4 StR 658/10; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1475 mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 17).
- 10
- Schließlich hat das Landgericht bei der Gesamtstrafenbildung strafschär- fend berücksichtigt, dass der Angeklagte „im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nunmehr zweifach (vorbestraft)“ gewesen sei (UA S. 14).Damit hat es rechtsfehlerhaft die einbezogene Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Schleswig vom 2. Juli 2014 als Vorstrafe gewertet und dabei verkannt, dass als solche nur eine Verurteilung, die vor der dem aktuellen Verfahren zugrunde liegenden Straftat erfolgt ist, in Betracht kommt.
Berger Bellay
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.