Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Dez. 2016 - 4 StR 473/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:071216B4STR473.16.0
bei uns veröffentlicht am07.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 473/16
vom
7. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2016:071216B4STR473.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 20. April 2016 im Ausspruch über die Entschädigung der Verletzten aufgehoben, soweit „festgestellt (wird), dass sich die Forderung Ziff. 2 aus einer vor- sätzlichen unerlaubten Handlung ergibt“. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die der Neben- und Adhäsionsklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt lediglich den geringen aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Adhäsionsentscheidung auch festgestellt, dass sich das zuerkannte Schmerzensgeld nebst Zinsen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ergebe. Insoweit erweist sich der Adhäsionsausspruch als rechtsfehlerhaft, weil die Nebenklägerin diese Feststellung nicht beantragt hat. Den Verstoß gegen § 404 Abs. 1 StPO hat der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2006 – 4 StR 505/06; vom 30. Mai 2012 – 2 StR 98/12; vom 23. August 2012 – 1 StR 311/12; und vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 292/14).
3
2. Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 1 StPO ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat versäumt, den in der Hauptverhandlung vom 23. März 2016 verkündeten Beschluss gemäß § 154a Abs. 2 StPO mitzuteilen. Darin hat das Landgericht „die Strafverfolgung auf die rechtlichen Gesichtspunkte des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB … beschränkt“. Da das Tatgericht hier (uneingeschränkt) von vollendeter Tatbegehung ausgeht, hätte es dieses Vortrags bedurft, um die Rüge, wonach ein Hinweis auf die (mögliche ) Annahme von Tatvollendung unterblieben sei, auf ihre Schlüssigkeit prüfen zu können.
4
Im Übrigen beruht die Verurteilung des Angeklagten nicht auf einem etwaigen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO (vgl. zur Beruhensprüfung BGH, Urteile vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96; und vom 25. März 1992 – 3 StR 519/91; Beschlüsse vom 14. Januar 2010 – 1 StR 587/09, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 9; und vom 14. Juni 2016 – 3 StR 196/16). Das Landgericht hat den zur Sache schweigenden Angeklagten aufgrund der Angaben der Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 8. Februar 2013 und ihrer auf Video aufgezeichneten und in der Hauptverhandlung abgespielten richterlichen Vernehmung vom 13. November 2013 für überführt erachtet. Ausweislich der Urteilsgründe hat die Jugendschutzkammer diesen Angaben die der Verurteilung zugrunde gelegten Tathandlungen entnommen. Es ist nicht ersichtlich, wie der Angeklagte sich gegen diese bereits von Anbeginn des Verfahrens gegen ihn erhobenen Vorwürfe anders hätte verteidigen können, wenn das Gericht ihn – abweichend von der Anklage – darauf hingewiesen hätte, dass eine Verurteilung wegen eines vollendeten Delikts im Fall 122 in Betracht kommt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Paul

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten. Ist der Antrag außerhalb der Hauptverhandlung gestellt, so wird er dem Beschuldigten zugestellt.

(2) Die Antragstellung hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit. Sie treten mit Eingang des Antrages bei Gericht ein.

(3) Ist der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt, so wird der Antragsteller von Ort und Zeit der Hauptverhandlung benachrichtigt. Der Antragsteller, sein gesetzlicher Vertreter und der Ehegatte oder Lebenspartner des Antragsberechtigten können an der Hauptverhandlung teilnehmen.

(4) Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden.

(5) Dem Antragsteller und dem Angeschuldigten ist auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. § 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gilt mit der Maßgabe, daß dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll; dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Zuständig für die Entscheidung ist das mit der Sache befaßte Gericht; die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 505/06
vom
7. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. Dezember 2006
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 14. Juni 2006
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 14 Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 16 Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen schuldig ist,
b) aufgehoben, soweit den Nebenklägerinnen LuciaMaria J. und Melissa V. Schmerzensgeld zuerkannt wurde; von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge der Nebenklägerinnen wird abgesehen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die sonstigen durch dieses Verfahren entstandenen Auslagen trägt jeder Beteiligte selbst.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 14 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 16 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es den Nebenklägerinnen Lucia-Maria J. und Melissa V. im Adhäsionsverfahren Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro bzw. 3.000 Euro zugesprochen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er in den Fällen II. 1 bis 24 wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen sowie im Adhäsionsverfahren zur Zahlung von Schmerzensgeld an die beiden Nebenklägerinnen verurteilt worden ist.
2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit Folgendes ausgeführt: "Hinsichtlich der Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe muss der Schuldspruch wegen des tateinheitlich mit dem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (Fälle 11 bis 24) bzw. dem sexuellen Missbrauch eines Kindes (Fälle 1 bis 10) begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entfallen, weil insoweit von Verfolgungsverjährung auszugehen ist (BGHSt 46, 85, 86). § 174 Abs. 1 StGB droht im höchsten Maß eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren an, die Verjährungsfrist beträgt demnach gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ebenfalls fünf Jahre. Die Taten in den Fällen II. 1 bis 11 fanden im Jahre 1998 statt. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist es möglich, dass auch die Taten in den Fällen II. 12 bis 24 vor dem 1. April 1999 begangen wurden. Die Taten waren demnach zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung am 25. April 2005 (Bd. I Bl. 4 d.A.) verjährt. Die § 174 StGB in die Ruhensrege- lung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB einbeziehende Gesetzesänderung ist erst am 1. April 2004 in Kraft getreten, also zu einem Zeitpunkt, zu dem nach altem Recht schon Verjährung eingetreten war. Da es sich um tateinheitlich angeklagte und ausgeurteilte Delikte handelt, ist der Schuldspruch zu berichtigen. Einer Aufhebung der Einzelstrafaussprüche bedarf es gleichwohl nicht. Die verhängte Strafe ist im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO unter Berücksichtigung der zutreffenden Strafzumessungserwägungen des Landgerichts angemessen.
Das Urteil kann keinen Bestand haben, soweit der Angeklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Nebenklägerinnen Melissa V. und Lucia-Maria J. verurteilt wurde. Die außerhalb der Hauptverhandlung angebrachten Adhäsionsanträge dieser Nebenklägerinnen wurden ausweislich der Verfahrensakten entgegen § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht förmlich zugestellt. Demzufolge fehlt es an einem wirksamen Adhäsionsantrag , was von Amts wegen zu prüfen ist (BGH NStZRR 2006, 380 m.w.N.). Durch die nochmalige Antragstellung in der Hauptverhandlung ist keine Heilung eingetreten, weil die Anträge erst nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft und damit verspätet angebracht wurden (vgl. Bd. III Bl. 626). Eine Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung allein über den Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht (BGH StraFo 2004, 386)."
Dem schließt sich der Senat an.
3
Im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
4
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, § 472 Abs. 1, § 472 a Abs. 2 StPO.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 98/12
vom
30. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 30. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. September 2011, soweit es ihn betrifft, im Adhäsionsausspruch aufgehoben. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag wird abgesehen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Er hat jedoch die hierdurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die durch dieses Verfahren den Beteiligten erwachsenen notwendigen Auslagen tragen diese selbst. 2. Auf die Revision der Angeklagten E. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch und im Adhäsionsausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen not- wendigen Auslagen, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei weiteren Fällen zu einer Jugendstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Gegen die Angeklagte E. hat es - unter Freisprechung im Übrigen - wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt. Daneben hat das Landgericht gegen beide Angeklagten eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Die Rechtsmittel haben jeweils auf die Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die im Adhäsionsverfahren gegen den Angeklagten K. getroffenen Entscheidungen haben schon deshalb keinen Bestand, weil dieser Angeklagte zur Tatzeit Jugendlicher war. Eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) kam daher gemäß § 81 JGG nicht in Betracht.
3
2. a) Hinsichtlich der Angeklagten E. hält der Strafausspruch sachlich -rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat es unterlassen, schon bei der Bemessung der beiden Einzelfreiheitsstrafen von jeweils fünf Jahren die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten und daraus resultierend die Wirkung der Strafe für deren zukünftiges Leben in die Abwägung miteinzubeziehen; es hat zu ihren Gunsten lediglich ihre bisherige Unbestraftheit berücksichtigt. Nach den ohnehin knappen Feststellungen des Landgerichts zu ihren (offensichtlich desolaten) Lebensverhältnissen fühlte sich die Angeklagte, die zur Tatzeit erst 23 Jahre alt war und von ihrem Ehemann getrennt lebte, mit der Erziehung ihrer damals 6jährigen Tochter, der hier geschädigten Nebenklägerin, überfordert. Sie hatte sich deshalb an das Jugendamt gewendet und um Hilfe zur Erziehung gebeten, nachdem sie zuvor bereits eine weitere Tochter zur Adoption freigegeben und ihren Sohn in die Betreuung der Schwiegereltern übergeben hatte (UA S. 7). Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung dieser nach § 46 Abs. 2 StGB bedeutsamen Umstände im Ergebnis auf mildere Strafen erkannt hätte.
5
Die Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben; einer Aufhebung bedarf es nicht, weil sie von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler unberührt bleiben. Ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen insbesondere zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten sind möglich.
6
b) Auch die im Adhäsionsverfahren gegen die Angeklagte E. getroffenen Entscheidungen haben keinen Bestand, da es an einem wirksamen Adhäsionsantrag fehlt, was eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 37/04, StrFo 2004, 386, 387). Der Adhäsionsantrag wurde außerhalb der Hauptver- handlung gestellt, jedoch ausweislich der Verfahrensakten entgegen § 404 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zugestellt. Auch eine Heilung durch die nochmalige Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist nicht eingetreten, weil diese erst nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft und damit nach § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO verspätet erfolgte.
7
3. Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich gegen eine Erwachsene richtet, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGHSt 35, 267, 269).
Fischer Berger Krehl Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 311/12
vom
23. August 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
wegen zu 1.: versuchten Totschlags u.a.
zu 2. bis 5.: gefährlicher Körperverletzung u.a.
zu 6. und 7.: unterlassener Hilfeleistung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2012 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 4. November 2011 werden als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Ungeachtet sowohl der Zulässigkeit der vom Angeklagten M.
erhobenen Rüge der fehlerhaften Behandlung von zwei Beweisanträgen
als auch der Frage, ob die Ablehnung durch die Strafkammer
rechtsfehlerhaft erfolgte, kann jedenfalls ein Beruhen des
Urteils hierauf ausgeschlossen werden. Denn die unter Beweis
gestellten Tatsachen betreffen keinen für die Würdigung der diesen
Angeklagten angelasteten Tatbeiträge relevanten Umstand.
Für die vom Generalbundesanwalt beantragte Änderung des
Zinsanspruchs aus der Adhäsionsentscheidung war kein Raum,
da dies den Angeklagten M. , der allein das gegen ihn ergangene
Urteil angefochten hat, schlechter stellen würde und zudem
dem Adhäsionskläger hierdurch unter Verstoß gegen § 308 Abs.
1 Satz 2 ZPO mehr zugesprochen würde, als er beantragt hat.
Angesichts der Fassung der Urteilsgründe ist darauf hinzuweisen,
dass die Urteilsgründe nicht dazu dienen, den Gang des Ermittlungsverfahrens
detailliert nachzuzeichnen. Dieser sachlich nicht
gebotene Aufwand überfrachtet die Urteilsgründe und verstellt
den Blick auf ihren wesentlichen Inhalt, nämlich zu belegen, warum
bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, festgestellt
worden sind.
Nack Hebenstreit Jäger
Sander Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR292/14
vom
3. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt vom 1. April 2014 im Ausspruch über die Entschädigung der Verletzten wie folgt geändert und neu gefasst: Es wird festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Nebenklägerin sämtliche immateriellen Schäden infolge des Vorfalls vom 23. September 2013, der Gegenstand dieses Strafverfahrens ist, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Versicherer übergegangen sind oder noch übergehen werden. Hinsichtlich des weiter gehenden Antrags auf Zahlung von Schmerzensgeld wird von einer Entscheidung abgesehen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit entstandenen besonderen Kosten und die der Neben - und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Fer- ner hat es folgende Adhäsionsentscheidung getroffen: „Es wird festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Nebenklägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden des Vorfalls vom 23.09.2013, der Gegenstand dieses Strafverfahrens ist, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungs- träger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.“
2
Die gegen seine Verurteilung gerichtete und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Änderung im Adhäsionsausspruch; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
Das Landgericht hat in seinem Grundurteil auch eine Ersatzpflicht des Angeklagten hinsichtlich materieller Schäden der Verletzten festgestellt. Insoweit erweist sich der Adhäsionsausspruch als rechtsfehlerhaft, weil die Nebenklägerin lediglich einen Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld gestellt hat. Den Verstoß gegen § 404 Abs. 1 StPO hat der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2006 – 4 StR 505/06 – und vom 23. August 2012 – 1 StR 311/12).
4
Der Senat hat den Vorbehalt des Forderungsübergangs sprachlich dem vom Landgericht Gewollten angepasst und auch ausgesprochen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird. Die Strafkammer hat nicht über den von der Adhäsionsklägerin gestellten Leistungsantrag entschieden, sondern insoweit lediglich ein Grundurteil erlassen; dies ist im Tenor des Urteils auszusprechen (BGH, Urteil vom 13. Mai 2003 – 1 StR 529/02, BGHR StPO § 406 Teilentscheidung 1; Beschluss vom 15. Juni 2010 – 4 StR 161/10).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/09
vom
14. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 12. August 2009 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde im Rahmen einer Verfahrensabsprache wegen einer Reihe in der ersten Jahreshälfte 2008 begangener Verstöße gegen das BtMG unter Einbeziehung der Einzelstrafen eines Urteils des Amtsgerichts Ravensburg vom 24. November 2008, dessen Feststellungen im Einzelnen mitgeteilt sind, zu einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt , wie dies auch die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend beantragt hatten.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
3
Näher ist ausgeführt, wie dies auch schon wiederholt gegenüber der Strafkammer geltend gemacht worden war, dass im Blick auf den in dem einbezogenen Urteil abgeurteilten Sachverhalt ein Verfahrenshindernis wegen Strafklageverbrauchs bestehe. Sie macht weiter geltend, wegen unzulänglicher Hinweise gemäß § 265 StPO seien Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt worden, und ist nunmehr der Auffassung, die Strafkammer hätte die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anordnen müssen.
4
Die Revision bleibt erfolglos.
5
1. Gegenstand der hier abgeurteilten Taten waren insgesamt (jeweils mindestens ) 55 g Kokaingemisch, 1,2 kg Amphetamin und 1.200 Ecstasy-Tabletten. Das Rauschgift stammte - an einer Stelle der Urteilsgründe heißt es „überwiegend“ , an einer anderen Stelle, die sich allerdings nur auf Kokain und Amphetamin bezieht, ist diese Einschränkung nicht gemacht - von R. .
6
Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs bezieht sich der Kern des Vorbringens auf die im Urteil des Amtsgerichts getroffene Feststellung, dass der Angeklagte in der Diskothek "D. " in Ra. am 11. Mai 2008 61 EcstasyTabletten und 1,7 g Amphetamin gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Während das Amtsgericht hinsichtlich sämtlicher sonstiger von ihm abgeurteilter Taten R. als (möglichen) Lieferanten nennt, ist dies hinsichtlich des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts nicht der Fall.
7
Die Strafkammer erörtert im Anschluss an die Prüfung der Konkurrenzverhältnisse auch die Frage, ob die hier abgeurteilten Taten mit den vom Amtsgericht abgeurteilten Taten eine Bewertungseinheit mit der Folge des Strafklageverbrauchs (vgl. hierzu zusammenfassend Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 887 m.w.N.) bilden könnten. Die Strafkammer verneint dies. Der Angeklagte sei in vollem Umfang geständig, habe jedoch keine Angaben zur Herkunft des am 11. Mai 2008 im "D. " bei ihm sichergestellten Rauschgifts gemacht. Der Angeklagte habe nach seiner eigenen Einlassung im Tatzeitraum Rauschgift nicht allein von R. bezogen. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er sogar noch ausgesagt, er habe sein Rauschgift meist nicht direkt von R. , sondern von irgendwelchen anderen Leuten bekommen. Abschließend führt die Strafkammer aus und belegt, dass auch der Zweifelssatz nicht gebiete, ohne hinreichende konkrete Anhaltspunkte dafür, dass mehrere Fälle des unerlaubten Er- werbs, Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dieselbe Rauschgiftmenge betreffen, eine Bewertungseinheit anzunehmen.
8
Die Revision meint, die Strafkammer habe die polizeiliche Aussage des Angeklagten falsch ausgelegt. Er habe lediglich darauf hingewiesen, dass das Rauschgift, das Gegenstand der vom Amtsgericht abgeurteilten Tat gewesen sei, direkt von R. stamme, in anderen Fällen habe er nicht direkt von R. bezogen, sondern von Dritten, die als Boten bzw. Überbringer für R. tätig geworden seien. Auch im Übrigen sei die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe nicht sein ganzes Rauschgift von R. bezogen, wie die Revision im Einzelnen darlegt, rechtsfehlerhaft. Daher hätte die Strafkammer von einer Bewertungseinheit ausgehen müssen.
9
Dies ist nicht der Fall.
10
Bei wiederholtem Rauschgifterwerb sind die Handlungen des Käufers selbst dann nicht als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit anzusehen, wenn das gesamte eingekaufte Rauschgift aus demselben Vorrat stammt (vgl. BGH NStZ 1997, 243; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rdn. 43 jew. m.w.N.). Mehrere Rauschgiftgeschäfte sind dann im Sinne von Tateinheit in einer Bewertungseinheit verbunden, wenn sie in ein und demselben Güterumsatz in einem Handlungsteil, etwa beim Erwerb, bei der Lieferung oder bei der Bezahlung des Kaufpreises in einer Gesamtmenge oder in einem Geldbetrag zusammentreffen (Körner aaO Rdn. 846 f. m.w.N.). Selbst wenn, etwa im Blick auf einen einheitlichen Vorgang des Erwerbs durch den Verkäufer zum Zwecke gewinnbringenden Weiterverkaufs, die von diesem aus dem Vorrat vorgenommenen späteren Verkaufshandlungen in Bewertungseinheit verbunden sind, führte dies nicht dazu, dass diese Vorgänge auch auf Seiten des - immer identischen - Käufers als in Bewertungseinheit verbunden anzusehen wären.
11
Ein (jedenfalls teilweiser) Strafklageverbrauch hinsichtlich des Angeklagten käme allenfalls in Betracht, wenn davon auszugehen wäre, dass er im Rahmen desselben Erwerbsvorgangs - eine nach und nach erfolgte Aufstockung eines Vorrats würde nicht ausreichen ("Silotheorie"; vgl. hierzu Körner aaO Rdn. 857 m.w.N.) - sowohl die am 11. Mai 2008 sichergestellten und dem entsprechend vom Amtsgericht abgeurteilten Mengen als auch eine hier abgeurteilte Menge erworben hätte.
12
Der Senat hat dies nicht im Wege des Freibeweises zu überprüfen, also etwa durch Rekonstruktion des Ergebnisses der Beweisaufnahme und (oder) durch Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt, sondern nach revisionsrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGHSt 46, 349, 352, 353; BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00; in vergleichbarem Sinne BGHSt 22, 307, 309; BGH NStZ 2000, 388). Insoweit sind hier nur die Urteilsgründe maßgebend, da eine zulässige Verfahrensrüge in diesem Zusammenhang nicht erhoben ist.
13
Es ist nicht ersichtlich, dass der Strafkammer ein Rechtsfehler unterlaufen wäre.
14
Aus den dargelegten Gründen kommt es schon nicht darauf an, ob der Angeklagte sein Rauschgift ausschließlich von R. bezogen hat (hiergegen können die in den Urteilsgründen dokumentierten Angaben des Angeklagten sprechen) oder gar aus einem einheitlichen Vorrat von R. (hiervon ist bei einer Mehrzahl festgestellter Einzelverkäufe nicht ohne Weiteres auszugehen, vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 12). Jedenfalls sind keine konkreten Anhaltspunkte für die dargelegte Möglichkeit eines einheitlichen Kaufs des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts und hier verfahrensgegenständlichen Rauschgifts ersichtlich. Der Angeklagte hat offenbar häufig Rauschgift bezogen, wobei ihm dies von unterschiedlichen Personen ausgehändigt wurde. Unter die- sen Umständen könnte, wenn überhaupt, allenfalls der Zweifelssatz zu der Annahme führen, dass mehrere unterschiedliche Mengen Teile einer einheitlichen Gesamtmenge waren. Wie auch die Strafkammer jedoch zutreffend dargelegt hat, ist der Zweifelssatz aber keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer Bewertungseinheit (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Körner aaO Rdn. 855 m.w.N.).
15
2. Die Strafkammer gab im Laufe der Hauptverhandlung zwei rechtliche Hinweise gemäß § 265 StPO. Soweit hier von Interesse, lautete der erste Hinweis :
16
"Es wird darauf hingewiesen, dass bei den Taten 1, 13 u. 14 auch unerlaubter Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vors. unerlaubtem Handeltreiben mit Btm in Betracht kommt (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, 52 StGB)".
17
Es folgen in demselben Hinweis Ausführungen zu weiteren Taten. Diesem Teil des Hinweises braucht der Senat nicht weiter nachzugehen, weil er von der Revision nicht angegriffen ist.
18
Der zweite Hinweis lautete:
19
"Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Tat Ziff. 1 auch unerl. Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerl. Handeltreiben von Btm in nicht geringer Menge in Betracht kommt".
20
Die Revision führt aus, dass "dieser Hinweis" in zweifacher Hinsicht fehlerhaft sei, wobei sie zur Begründung sowohl auf Elemente des ersten Hinweises als auch auf Elemente des zweiten Hinweises verweist. Der erste Hinweis verdeutliche nicht, welche neuen Tatsachen der veränderten rechtlichen Würdigung zu Grunde lägen. Darüber hinaus lasse der zweite Hinweis im Gegensatz zum ersten Hinweis die Schuldform des Handeltreibens "nach der nunmehr veränderten Sachlage" offen. Während zunächst noch von "vorsätzlichem" Handeltreiben die Rede gewesen sei, sei dies in dem zweiten Hinweis nicht mehr der Fall gewesen. Auch fehlte in dem zweiten Hinweis die Angabe der einschlägigen Paragraphen , sodass auch insoweit nicht zu erkennen gewesen wäre, ob die Strafkammer von vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeltreiben ausgegangen sei.
21
a) Die Rüge, es werde die veränderte Tatsachengrundlage des Hinweises nicht deutlich, geht schon im Ansatz fehl. Die Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, trifft so nicht zu. Freilich ist dies nach forensischer Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis gemäß § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt zwar nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen Anklage zu bewerten ist (vgl. Engelhardt in KK 6. Aufl. § 265 Rdn. 17). Allein mit der Behauptung , die geänderten tatsächlichen Grundlagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitgeteilt, ist daher ein Verfahrensverstoß nicht schlüssig dargetan.
22
Im Übrigen könnte eine auf unzulängliche tatsächliche Erläuterung eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen sind von der Revision nicht einmal abstrakt behauptet (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.), erst recht nicht konkret ausgeführt (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 265 Rdn. 47 m.w.N.).
23
b) Dem Angeklagten lag im Fall 1 der Urteilsgründe vorsätzliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last, und er wurde wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Die für Fahrlässigkeit maßgebliche Bestimmung, § 29 Abs. 4 BtMG, ist weder in der Anklage oder in den Hinweisen noch im Urteil genannt.
24
Auch wenn es im Übrigen grundsätzlich untunlich ist, identisches Geschehen in unterschiedlichen formalen Prozessvorgängen unterschiedlich (im ersten Hinweis als vorsätzliches Handeltreiben, im zweiten Hinweis als Handeltreiben) zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06), kommt schon deshalb ein Verstoß gegen § 265 StPO nicht in Betracht.
25
Das Vorbringen der Revision, das Unterbleiben des von ihr vermissten Hinweises habe (auch) deshalb besonders Gewicht, weil die Strafkammer von einer geänderten Sachlage ausgegangen sei, kann, wie dargelegt, schon im Ansatz der Prüfung des Revisionsvorbringens nicht zu Grunde gelegt werden.
26
Im Übrigen liegt es nahe, mehrere rechtliche Hinweise, die sich auf die nämliche Tat beziehen, nicht isoliert, sondern in einer Gesamtschau zu bewerten ; selbst die Revision spricht (teilweise) nur von einem Hinweis. Dann aber wird im Abgleich der beiden Teile dieses Hinweises mit noch hinlänglicher Klarheit deutlich, dass mit dem zweiten Hinweis lediglich die Unzulänglichkeit des ersten Hinweises insoweit beseitigt werden sollte, als dort hinsichtlich des Besitzes nicht auf die geringe Menge hingewiesen war, im Übrigen dessen Inhalt aber fortgelten sollte.
27
c) Ohne dass es darauf ankäme, dass hier eine Verfahrensabsprache vorliegt , könnte der Senat aber auch keine, nicht einmal eine entfernte, Möglichkeit erkennen, dass das gesamte in Rede stehende Verfahrensgeschehen irgend einen nachteiligen Einfluss auf Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten ge- habt haben könnte. Auch die Revision legt in ihren Ausführungen zum Beruhen des Urteils auf den geltend gemachten Mängeln nur - zutreffend, aber nur abstrakt - dar, dass eine andere Verteidigungsmöglichkeit nicht notwendigerweise nahe liegen muss.
28
In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen die Möglichkeit eines Beruhens nicht leicht zu erkennen ist, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezieht (BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof gerade auch im Zusammenhang mit Rügen der Verletzung von § 265 StPO wiederholt darauf hingewiesen, dass auch dem Revisionsvorbringen nichts zu entnehmen ist, was das (negative) Ergebnis seiner Beruhensprüfung in Frage stellen könne (vgl. z.B. BGHR StPO § 265 Abs.1 Hinweispflicht 9, 12; BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1994 - 2 StR 336/94; Beschl. vom 13. Juni 2007 - 2 StR 127/07).
29
3. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat, auch über die im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Verfahrenshindernis vorgenommene Überprüfung hinaus, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ebenso wenig stellt es den Bestand des Urteils in Frage, dass die Strafkammer davon abgesehen hat, den Angeklagten gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschwert es den Angeklagten grundsätzlich nicht, wenn keine Maßregel gemäß § 64 StGB gegen ihn verhängt wird (vgl. BGH NStZ 2009, 261 m.w.N.). Eine Fallgestaltung, bei der trotz fehlender Beschwer des Angeklagten auf seine Revision eine Aufhebung des Urteils wegen einer zu Unrecht unterlassenen Unterbringung gemäß § 64 StGB in Betracht kommen kann (BGHSt 37, 5, 9 f.), liegt nicht vor. Ebenso wie schon der hierzu gehörte Sachverständige hat auch die Strafkammer bei der Prüfung und Verneinung der Notwendigkeit einer Unterbringung keine unzutreffenden Maßstäbe zu Grunde gelegt , wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen näher ausgeführt hat, ohne dass dies von der Erwiderung der Revision entkräftet wäre. Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 196/16
vom
14. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
ECLI:DE:BGH:2016:140616B3STR196.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 14. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 22. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten; das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensbeschwerde Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, entgegen § 265 Abs. 1 StPO nicht auf die Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts hingewiesen worden zu sein. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legte dem Angeklagten zur Last, den ihm vorgeworfenen schweren Raub gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten A. begangen zu haben (§ 25 Abs. 2 StGB). Verurteilt hat das Landgericht indes nur den Angeklagten, während A. frei- gesprochen worden ist. Die Strafkammer hielt es für möglich, dass der Angeklagte die Tat allein begangen hatte. Einen Hinweis hierauf hat sie ihm nicht erteilt.
4
Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen als die unverändert zugelassene Anklage, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten; das gilt auch bei einer Verurteilung wegen Alleintäterschaft statt Mittäterschaft (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1957 - 1 StR 318/57, BGHSt 11, 18, 19; Beschlüsse vom 7. September 1977 - 3 StR 299/77, juris Rn. 1; vom 16. Februar 1989 - 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; vom 17. Mai 1990 - 1 StR 157/90, NStZ 1990, 449; Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 474/95, StV 1997, 64; Beschlüsse vom 17. Januar 2001 - 2 StR 438/00, juris Rn. 3; vom 14. Oktober 2008 - 4 StR 260/08, juris Rn. 8; vom 22. März 2012 - 4 StR 651/11, juris Rn. 3; vom 30. Juli 2013 - 2 StR 150/13, juris Rn. 1).
5
Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Auffassung beruht das Urteil auf diesem Verstoß. Zwar ging schon der mit der zugelassenen Anklage erhobene Tatvorwurf dahin, dass der Angeklagte die Tathandlung als solche allein ausführte, während der dem Mitangeklagten A. zur Last gelegte Tatbeitrag im Wesentlichen darin bestand, den Tatplan entwickelt und den Angeklagten für die Ausführung der Tat angeworben zu haben. Abgesehen davon, dass der Anklagevorwurf - wie sich aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergibt - außerdem auf der Annahme gründete, dass A. dem Angeklagten während der Tatausführung telefonisch Anweisungen erteilte, kommt es für die Beruhensfrage nicht darauf an, ob die Mög- lichkeit einer anderen Verteidigung nahe liegt; es genügt vielmehr, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist (BGH, Beschlüsse vom 7. September 1977 - 3 StR 299/77, juris Rn. 2; vom 16. Februar 1989 - 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5); das ist hier der Fall.
6
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
7
Bei einer Verurteilung wegen eines gemäß § 250 Abs. 2 StGB qualifizierten Raubes ist die Tat im Urteilstenor als "besonders schwerer Raub" zu bezeichnen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2003 - 3 StR 373/02, BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; vom 7. März 2006 - 3 StR 52/06, juris Rn. 2).
8
Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB qualifizierten Raubes wird von den bislang getroffenen Feststellungen nicht getragen. Den Urteilsgründen lässt sich schon nicht eindeutig entnehmen , dass der Angeklagte den Geschädigten durch die Tat in eine für die Verwirklichung der Vorschrift erforderliche konkrete Gefahr des Todes gebracht hat. Den Feststellungen zufolge "schlug" der Angeklagte den Geschädigten zwar "mit heftigen Schlägen gegen Oberkörper und Kopf, bis" der Geschädigte "bewusstlos zu Boden fiel" (UA S. 6), und der Geschädigte, der u.a. eine "intrazerebrale Blutung im Bereich der linksseitigen Basalganglien" erlitten hatte, "befand sich mehrere Tage aus medizinischen Gründen in einem künstlichen Koma" (UA S. 8). Daraus ergibt sich jedoch nicht unbedingt, dass er in konkrete Lebensgefahr geraten war. Den in den Urteilsgründen wiedergegebenen Angaben der Rechtsmedizinerin, die den Geschädigten untersucht hat, lässt sich insoweit nichts entnehmen.
9
Zudem belegen die Feststellungen den subjektiven Tatbestand nicht. § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz des Täters in Bezug auf den Eintritt der konkreten Gefahr des Todes voraus (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 - 2 StR 101/04, NStZ 2005, 156, 157). Dazu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es versteht sich indes weder von selbst, dass der Angeklagte die Möglichkeit erkannte, den Geschädigten durch die "heftigen Schläge gegen Oberkörper und Kopf" in konkrete Lebensgefahr gebracht zu haben, noch kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er diese Folge seines Handelns billigend in Kauf nahm.
10
Die neue Hauptverhandlung wird der nunmehr zur Entscheidung berufenen Strafkammer Gelegenheit geben, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat auch unter dem Gesichtspunkt des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB zu prüfen.
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