Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Sept. 2015 - 4 StR 371/15
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge erhebt, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
- 2
- Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 3
- 1. Eine Anordnung gemäß § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten positiv festgestellt werden kann und wenn der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist. Die Voraussetzungen des § 20 oder zumindest die des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat müssen danach zweifelsfrei festgestellt sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1994 – 3 StR 475/94, BGHR StGB § 63 Tat 4; Urteil vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09; Beschluss vom 2. Februar 2010 – 4 StR 9/10). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
- 4
- a) Das Landgericht hat – darin der psychiatrischen Sachverständigen folgend – angenommen, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Taten nicht ausschließbar im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit im Sinne von § 20 StGB befunden. Er habe an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer schizoaffektiven Psychose gelitten, begleitet von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in der Ausprägung als depressive Episode mit psychotischem Erleben, ferner an einer leichten Minderbegabung und einer Polytoxikomanie. Diese „komplexe psychische Erkrankung“ habe nicht ausschließbar zu einer mindestens nicht ausschließbaren Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt. Daher sei der Angeklagte, bei einer der Anlasstaten verstärkt durch vorherigen Alkoholkonsum, nicht mehr in der Lage gewesen, bei noch vorhandener Unrechtseinsicht danach zu handeln und seine starken aggressiven Impulse zu steuern.
- 5
- b) Mit diesen widersprüchlichen Ausführungen ist der für den Maßregelausspruch erforderliche positive Nachweis eines andauernden Defekts vom Schweregrad des § 21 StGB nicht erbracht. Er lässt sich auch dem Gesamtzu- sammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen. Dass die Strafkammer nicht ausschließbar von aufgehobener Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Anwendung des Zweifelssatzes steht der für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes entgegen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 4 StR 9/10 für § 21 StGB).
- 6
- 2. Die Voraussetzungen der Maßregel nach § 63 StGB sind auch in einem weiteren Punkt nicht hinreichend belegt.
- 7
- a) Die Unterbringung darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Seine Gefährlichkeit muss sich dabei aus demjenigen Zustand ergeben, der die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bei der Anlasstat begründet. Es bedarf danach eines symptomatischen Zusammenhangs dergestalt, dass die Tatbegehung durch die (nicht nur vorübergehende) psychische Störung zumindest mitausgelöst worden ist und dass sich auch die für die Zukunft zu erwartenden Taten als Folgewirkung dieses Zustandes darstellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11 mwN).
- 8
- b) Nach den Feststellungen des Landgerichts sind die Anlasstaten auf einen Zustand des Angeklagten zurückzuführen, der zum einen auf der „kom- plexen psychischen Erkrankung“, zum anderen auf einer gleichzeitig bestehenden Abhängigkeitserkrankung beruht. Erneuter Drogen- und Alkoholkonsum, mit dem beim Angeklagten zu rechnen sei, lasse befürchten, dass es zu einer Verschlimmerung der psychotischen Symptomatik kommen könnte und der Angeklagte in seinem Verhalten noch unberechenbarer werde, so dass jederzeit mit erneuten Gewalthandlungen zu rechnen sei.
- 9
- Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die psychische Störung beim Angeklagten nicht allein, sondern nur im Zusammenwirken mit der vorübergehenden Alkoholisierung zu Straftaten im Zustand zumindest erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit führen wird. In einem solchen Fall kann ein die Unterbringung rechtfertigender Zustand im Sinne des § 63 StGB aber nur angenommen werden, wenn der Angeklagte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet , in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 mwN). Schon mit Blick darauf, dass der Tatrichter die positive Feststellung zumindest der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht getroffen hat, lassen die Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht erkennen, dass dieser rechtliche Maßstab hinreichend bedacht worden ist. Entsprechende Feststellungen in der neuen Hauptverhandlung erscheinen allerdings möglich.
II.
- 10
- 1. Der Senat weist darauf hin, dass er den Gründen des angefochtenen Urteils eine ausdrückliche Erörterung der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung (§ 62 StGB) ebenfalls nicht entnehmen kann. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich nicht, dass diese Frage geprüft und (konkludent) bejaht wurde. Deren Nichterörterung begründet aber im Rahmen der Prüfung einer Maßregel nach § 63 StGB schon für sich genommen regelmäßig einen durchgreifenden Erörterungsmangel.
- 11
- 2. Sollte der neue Tatrichter, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, erneut zu dem Ergebnis kommen, dass der Ange- klagte unter einer schizoaffektiven Störung leidet, wird er mit Blick auf das Erfordernis der Dauerhaftigkeit des psychischen Defekts als Voraussetzung einer Unterbringung nach § 63 StGB insbesondere bedenken müssen, dass schizoaffektive Störungen phasenhaft verlaufen, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170; BGH, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15). Sollte die neue Verhandlung ergeben, dass die Voraussetzun- gen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht vorliegen, wird § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO zu beachten sein, da der Freispruch ebenfalls der Aufhebung unterliegt und das Verbot der Schlechterstellung der Verhängung einer Strafe nicht entgegensteht (BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14 mwN). Mit Blick auf die festgestellte Polytoxikomanie des Angeklagten wird auch eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu prüfen sein.
Bender Quentin
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.